Der Selbstmordverein - Franziska zu Reventlow - E-Book

Der Selbstmordverein E-Book

Franziska zu Reventlow

4,3

Beschreibung

Wer nicht genug Geld hat, denkt unweigerlich daran, wie er an solches kommen kann. In "Der Geldkomplex" nimmt dieses Phänomen nun besondere Züge an, als die unter diesem Zwang Stehende in die Hände von Psychiatern fällt. In "Der Selbstmordverein" besteht eine Laune einiger Jünglinge, Gymnasiasten, darin, sich einem derartigen Ende zu verschreiben. Groß ist das Entsetzen, als sich der junge Georg auf diese Weise das Leben nimmt und dabei noch eine Freundin mitnimmt. Unweigerlich stellt sich der Leser die Frage, ob es bei dieser Einzeltat bleibt oder ob sie Nachahmer findet. Und wen?-

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Franziska zu Reventlow

Der Selbstmordverein

Zwei kleine Romaneund drei Aufsätze

Herausgegebenvon Ursula Püschel

Saga

Der Geldkomplex

Roman

Meinen Gläubigern zugeeignet

1

Meine liebe Maria!

Aus einem eindringlichen Brief von B..., der mir durch das Konsulat nachgeschickt wurde, sehe ich, daß man sich um meinen Verbleib beunruhigt ...

Es nahm sich vielleicht nicht gerade freundschaftlich aus, daß ich so spurlos verschollen bin und auf nichts mehr antwortete (hab noch nachträglich vielen Dank für Deine verschiedenen Briefe) – aber glaube mir, es geschah zum Teil aus zarter Rücksicht. Erwarte nur ja nicht, daß die hiermit wieder eröffnete Korrespondenz von allzu erfreulichen Tatsachen handeln wird.

B... meint, und Ihr anderen am Ende auch, ich hätte längst die berühmte Erbschaft angetreten und damit das Weite gesucht. Nein, das stimmt nicht, der alte Herr ist ja noch nicht einmal tot. Aber jedenfalls kann es nicht lange mehr dauern, und das ist einer von den Gründen, weshalb ich hier bin – bitte, erschrick nicht – in einer Nervenheilanstalt, oder sagen wir lieber Sanatorium, das klingt immerhin noch etwas milder.

Sanatorium – – – ich seh Dich und mit Dir alle die anderen verständnislos den Kopf schütteln. Ich bin auch nicht nervenkrank, nicht einmal besonders nervös, ich habe nur einen «Geldkomplex». – – – –

Ich hoffe zu Gott, Du weißt, was ein Komplex in diesem, nämlich im pathologischen, Sinne bedeutet? Etwa so: verdrängte, nicht ausgelebte Gefühle, Triebe und dergleichen, die sich, ich glaube, im Unterbewußtsein zusammenballen und einem seelische Beschwerden verursachen. Es handelt sich da um irgendeine neue Nervenheilmethode, die man Psychoanalyse nennt. Erfunden hat sie der bekannte Professor Freud in Wien – dies nur, damit Du verstehst, weshalb ihre Anhänger «Freudianer» heißen. Man möchte sonst glauben, es bedeutet irgend etwas besonders Lustiges oder gar Zweifelhaftes.

Aber es gibt eine Menge Leute, die Dir das besser auseinandersetzen können als ich, und ich rate Dir, Dich lieber an diese zu wenden. Ich selbst hatte auch bisher von diesen Geschichten keine Ahnung und würde mich absolut nicht dafür interessieren – wenn nicht ein «Freudianer» meinen Geldkomplex entdeckt hätte.

Es gibt gewiß nichts Faderes, als seine eigene Leidensgeschichte zu erzählen, und ich erzähle im ganzen lieber Freudengeschichten. Die Nervenheilanstalt hat aber sicher in Euren Augen etwas so Blamables, daß ich mich doch rechtfertigen und Dir den trüben Hergang näher erzählen möchte. Du mußt halt Nachsicht haben, wenn ich dabei etwas weitschweifig und manchmal konfus werde. – –

Liebe Maria, wir haben uns letztes Jahr wenig gesehen, da Du meist fort warst, aber Du weißt, daß mein Dasein schon vorher nur noch eine einzige wirtschaftliche Krisis war. Wie oft habt Ihr in Eurer Verblendung meinen Optimismus und meine Todesverachtung bewundert – mit Unrecht, denn gerade das ist mein Verderben gewesen. Ich habe die Sache mit dem Geld niemals ernst genug genommen, ließ es so hingehen und dachte, es würde schon einmal anders werden. Kurz, um mich im Freudianerjargon auszudrücken – ich habe es entschieden ins Unterbewußtsein verdrängt, und das hat es sich nicht gefallen lassen. Bitte, haltet mich nicht für ernstlich gestört, aber ich bin tatsächlich dahin gekommen, es – das Geld – als ein persönliches Wesen aufzufassen, zu dem man eine ausgesprochene und in meinem Falle qualvolle Beziehung hat. Mit Ehrfurcht und Entgegenkommen könnte man es vielleicht gewinnen, mit Haß und Verachtung unschädlich machen, aber durch liebevolle Indolenz verdirbt man’s vollständig mit ihm. Und das muß ich getan haben, ich ließ es kommen und gehen, wie es gerade kam und ging – ach, der verfluchte Optimismus, den Ihr so nett gefunden habt. Als ich dann merkte, daß es anfing, sich immer feindlicher gegen mich zu stellen, habe ich es gelockt, bin ihm nachgelaufen – aber es war schon zu spät, es wollte nicht mehr. Also – die wirtschaftliche Krisis erreichte einen nie geahnten Höhepunkt. Du hast ja oft genug bei mir gewohnt, Maria, und kennst das aus eigener Anschauung: die Wohnung ist gekündigt, jedes menschenwürdige Einrichtungsstück gepfändet oder schon auf Nimmerwiedersehen abgeholt – es klingelt beständig, aber man macht nicht mehr auf – jedes Poststück, das ins Haus kommt, beginnt «Im Namen des Königs ...» usw. Trotzdem tauchen immer neue Leute auf, die Geld wollen, Geld, Geld und noch einmal Geld. Die ganze Atmosphäre bekommt etwas Überhitztes, Widernatürliches, schwirrt von abnormen Anforderungen. Es ist einfach nichts da, und doch hört, sieht, liest und erfährt man nichts anderes mehr, als daß jeder «sein Geld» haben will.

Du hast dann manchmal behauptet, es ginge bei mir wie in den Lesebuchgeschichten, wo fromme Leute eine Kirche oder dergleichen nützliche Dinge bauen wollen, ohne jegliches Kapital, aber mit unerschütterlichem Gottvertrauen. Schon wollen sie verzweifeln, richten aber gläubig den Blick gen Himmel – sieh, da klingelt es, und ein anonymer Wohltäter schickt eine unwahrscheinliche Summe. – – –

Das war einmal – das war manches Mal –, aber eben bei jener letzten Krisis war keine Rede davon. Die Wohltäter waren ausgestorben, verschwunden, verreist, erzürnt oder nicht mehr zu haben. Ich hatte auch das blinde Gottvertrauen nicht mehr und fühlte, daß die Kluft, die sich zwischen ihm – dem Geld – und mir aufgetan hatte, nicht mehr zu überbrücken war. Es begann sich an mir zu rächen, und das Infame an dieser Rache war, daß es mich nicht nur mied, sondern eben durch seine völlige Abwesenheit alle meine Gedanken und Gefühle ausschließlich erfüllte, mich vollständig in Anspruch nahm und sich nicht mehr ins Unterbewußtsein verdrängen ließ. – – –

Es gibt Momente, wo Leute anfangen zu beten. Und es gab einen Moment, wo ich anfing zu rechnen, blind und inbrünstig zu rechnen. Ich rechnete beim Aufwachen und beim Einschlafen, rechnete, wo ich ging und stand, rechnete all die Summen, die ich brauchte, in meinem früheren Leben gebraucht hätte und späterhin brauchen würde, zusammen und wieder auseinander, kalkulierte alle vorhandenen und nicht vorhandenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in der Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit.

Mein ganzes Leben zog wieder an mir vorüber bis in die kleinste pekuniäre Einzelheit, ich sah ein, daß ich niemals genug Geld gehabt hatte und voraussichtlich nie genug haben würde – alle verdrängten Begehrlichkeiten, alle gescheiterten Luxusträume wachten wieder auf, alles, was ich jemals hätte tun oder kaufen mögen und nicht getan oder gekauft hatte, gaukelte mahnend vor meinem inneren Auge, und so ging es fort bis ins Endlose. – –

Daß man in dieser Verfassung nicht sehr umgänglich ist, kannst Du Dir denken. Ich fühlte denn auch, daß die Bekannten kein besonderes Vergnügen mehr an meinem Verkehr hatten. Sie fanden mich langweilig, präokkupiert und zitterten vor Geldansinnen. Darin hatten sie auch vollkommen recht, denn war ich mit Menschen zusammen, so tat ich im stillen nichts anderes, als sie taxieren und geeignete Momente abwarten, um sie zu einer Anleihe, einer Schiebung oder Unterschrift zu verlocken. – – –

Ich möchte nicht gar zu ausführlich werden, um Deinetwie um meiner selbst willen. Denn wenn ich näher darauf eingehe, bekomme ich heute noch Rechenanfälle. – – –

Es kam dann schließlich ein Tag – so etwa Anfang oder Mitte Mai –, wo ich morgens vor die Stadt hinausging, um auf andere Gedanken zu kommen. Aber es nützte gar nichts – gleich auf dem Wege begegnete mir ein Hotelwagen, ich las stumpfsinnig die Aufschrift: «Zu den vier Jahreszeiten» und überlegte mechanisch, was denn eigentlich für eine Jahreszeit sei, während ich durch die Wiesen ging. Alles stand in Blüte und Sonnenschein, Lerchen sangen, und im Teich quakten die Frösche – anscheinend vor Vergnügen. Ich beneidete sie. Und wieder fingen meine Gedanken an, unaufhaltsam um den einen Punkt zu wirbeln ... ja, es wird wohl Frühling sein, aber was geht mich das an? Es gibt keine Jahreszeiten, keinen Sonnenschein und keine Blüten – es gibt keinen Lerchengesang und keine Frösche – es gibt nur Geld. Das alles tut, als ob es glücklich wäre, und doch gibt es kein Glück und keine Tragik, denn mit Geld läßt sich jede Tragik aushalten, und ohne Geld geht auch das Glück zum Teufel, oder man kann nichts damit anfangen. – – –

So strich ich alles durch und setzte dafür Geld. Das hatte tatsächlich etwas Erlösendes, bis mir dann wieder aufs Herz fiel, daß es in meinem Fall ja eben keines gab, und nun fing alles wieder von vorne an.

Ich will mich Deiner erbarmen, Maria, und es nicht noch weiter ausmalen. – –

Eben an jenem Morgen traf ich dann einen mir flüchtig bekannten Nervenarzt, einen «Freudianer». Ich wollte mich unbefangen mit ihm unterhalten, konnte aber aus meinem Gedankengang nicht mehr herauskommen. Er wurde aufmerksam, interessierte sich, tat alle möglichen Fragen, dann blieb er mitten im Wege stehen, sah mich enthusiastisch an und stellte fest, ich litte an einem schweren Geldkomplex, und den könne man nur durch psycho-analytische Behandlung heilen, die er am liebsten selbst übernehmen wollte. Im weiteren Verlauf des Gesprächs schlug er mir vor, ich solle mich einstweilen in die Anstalt seines väterlichen Freundes, Professor X., begeben, er selbst habe die Absicht, seine Ferien dort zu verbringen, und werde also nachkommen. Dem Professor X. möchte ich nur um Gottes willen nichts von der geplanten Behandlung sagen, denn er sei ein erbitterter Gegner alles Freudianertums. Ich könnte mich ja auf irgendeine fixe Idee hinausreden und ein wenig simulieren.

Anfangs war ich etwas unschlüssig und ziemlich erschrokken über den Gedanken, mit einer pathologischen Sache behaftet zu sein. Das heißt, ich hatte wohl selbst schon geahnt, daß es nicht mehr ganz richtig mit mir war. Andererseits aber hatte der Gedanke, diesen Zustand wieder loszuwerden, vieles für sich – das fürchterliche Rechnen und die beständigen Geldgedanken mußten mich binnen kurzem ganz zugrunde richten. Wenn es in dieser Weise fortging, war ich sowieso nicht imstande, mich ernstlich mit der Ordnung meiner Angelegenheit zu befassen.

Als ich kurz darauf die Nachricht von der schweren Erkrankung des alten Erbherrn bekam, war mein Entschluß gefaßt, denn nun auch noch mit positiven Kapitalsmöglichkeiten zu rechnen, das ging, weiß Gott, über meine Kraft.

So stellte ich meine Angelegenheiten, meine Gläubiger und alles übrige in Gottes Hand, fuhr hierher und tat sowohl der Welt wie mir selbst gegenüber, als ob ich nicht mehr existierte.

Aber selbst die Erinnerungen greifen mich noch zu sehr an, und ich glaube, wir haben für heute beide genug – – – – ein andermal mehr. – – –

2

Wie mir denn hier zumut ist, willst Du wissen? – Einstweilen ist es so ziemlich die dümmste Situation, die mir das Leben bisher serviert hat, und mit törichten Situationen war es freigebig genug.

Ich war noch nie in einem Sanatorium und habe noch nicht recht heraus, wie man sich hier zu benehmen hat. Der Professor nahm mich natürlich eingehend ins Verhör, und ich war in einiger Verlegenheit, was ich ihm sagen sollte. Da ich nun am ersten Abend meine Mitpatienten ziemlich unsympathisch fand, gab ich an, ich litte an krankhafter Menschenscheu – so konnte ich mich doch wenigstens ruppig benehmen, wenn mir die Leute ernstlich auf die Nerven fielen. Aber er meinte, dann wolle er mich lieber vorläufig isolieren. Ich sollte die Mahlzeiten alleine auf meinem Zimmer nehmen usw. – Nein, um Gottes willen, das wollte ich nicht, zuviel Alleinsein machte mich vollends verrückt. – Nun, er wolle mir gern möglichste Freiheit lassen, soweit ich nicht störend auf andere einwirke, etwa die Abneigung gegen meine Mitmenschen in auffallender Weise äußern sollte. – Nein, nein, das würde ich ganz gewiß nicht tun, sagte ich voller Überzeugung – er sah mich daraufhin ganz erstaunt an und schüttelte den Kopf. – Pause – angestrengtes Nachdenken. Dann beklagte ich mich über Schlaflosigkeit, Depressionszustände und was mir gerade in den Sinn kam. – Wie sich die äußerten – nämlich die Depressionen –, ob ich etwa oft und ohne Grund Neigung zum Weinen fühle? Darüber fiel ich wieder aus der Rolle und mußte über dieses merkwürdige Ansinnen herzlich lachen. Aber er hielt das, Gott sei Dank, für nervös, legte mir väterlich die Hand auf die Schulter und meinte, ich hätte am Ende irgendwelche schwere seelische Erschütterungen durchgemacht – – ach, du lieber Gott, auch ohne den Geldkomplex zu erwähnen, konnte ich ihm doch nicht gut sagen: Ja gewiß – aber sie lagen ausschließlich auf pekuniärem Gebiet – ich war mein Leben lang allen menschlichen und seelischen Konflikten gewachsen, nur den wirtschaftlichen nicht. Weder glückliche noch unglückliche Liebe, weder Ehe noch Ehebruch, sondern ausschließlich Gläubiger, Hausherren und Lieferanten haben es dahin gebracht, mich psychisch zu zerrütten. – – –

Schwerlich hätte der Professor das richtige Verständnis gehabt, und ihm wären höchstens Bedenken über meine Zahlungsfähigkeit aufgestiegen.

Dann fuhr es mir plötzlich durch den Kopf: Gott im Himmel, wenn nun am Ende ein Wunder geschähe, der alte Erbherr sich wieder erholte und ich auch hier meinen pekuniären Verpflichtungen nicht nachkommen könnte! Die Geldgedanken, die ich seit ein paar Tagen fast vergessen hatte, fielen wieder über mich her wie ein Schwarm von Raben. Ich war außerstande, etwas zu sagen, was der Professor wohl auf die seelischen Erschütterungen schob und mich voller Teilnahme gehen ließ.

Immerhin hatte ich den Eindruck, daß er mich für ziemlich übergeschnappt hielt.

Du mußt ja auch selbst sehen, Maria, wie es um mich steht. Ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst – habe ich mir früher je Gedanken gemacht, wie man sich am Ende irgendeines Aufenthaltes aus der Affäre ziehen würde? Vielleicht bin ich schon auf dem Wege zum Verfolgungswahn, denn ich habe längst angefangen, in jedem Menschen den eventuellen Gläubiger zu sehen. Das geht nun auch hier schon wieder los. – – Der gute Professor ist wirklich sehr nett mit mir – aber eines Tages wird er mir unweigerlich als Gläubiger gegenüber stehen ... die anderen Patienten – wer weiß, ob ich nicht in die Lage kommen werde, sie anpumpen zu müssen – und das Personal, das sicher fürstliche Trinkgelder erwartet. Nein, glaubt mir nur, die Bestie im Menschen, vor der so oft gewarnt wird, braucht man nicht halb so zu fürchten wie den Gläubiger im Menschen.

Apropos, um die in M... habe ich mich nicht weiter bekümmert, mögen sie sich untereinander um meinen Nachlaß zerfleischen. Die Flüche der «Ausgesogenen und Betrogenen» hallen nur manchmal noch auf Umwegen zu mir herüber. Einige haben ihre Forderungen dem Verein «Kreditreform» übergeben, und dieser schlug mir vor, mich gütlich mit ihnen zu einigen, sonst käme mein Name auf eine schwarze Liste, die an achtzigtausend Kaufleute versandt würde. Es war das einzige Schreiben dieser Art, das mich wirklich sympathisch berührte, und ich möchte jenen menschenfreundlichen Verein dafür segnen. Es ist wohltuend, zu denken, wie Schulden sich einfach dadurch erledigen, daß man auf eine Liste kommt und daß man mit jenen achtzigtausend Kaufleuten gar nichts zu tun hat, sie zum mindesten nicht auch noch Geld von mir beanspruchen. Kurz nach Empfang dieses Schreibens hatte ich einen Traum: Ich war in einer Wüste, und die achtzigtausend Kaufleute kamen als Karawane auf mich zu, umringten mich, boten mir mit mildem Lächeln alles mögliche an und wollten mir ein Kamel zum Reiten geben. Bis dahin war der Traum sehr schön, aber dann bemerkte ich plötzlich, daß das Kamel ein Menschengesicht hatte, und zwar sah es aus wie mein letzter Hausherr in M. Darüber erschrak ich so, daß ich ganz verstört aufwachte.

Du mußt wissen, daß die Freudianer sich im Interesse der Patienten auch mit Traumdeutung befassen. Dies war jedenfalls ein richtiger Komplextraum, und ich habe ihn mir deshalb notiert, um für Baumann Material zu sammeln. Womit soll ich ihn sonst beschäftigen? Vorläufig behandelt mich der Professor nach der hier üblichen Methode mit Tageseinteilung, Ruhestunden, Bädern, Wickeln und dergleichen mittelalterlichen Foltern. Es ist zum Gottserbarmen, und ich möchte wissen, ob die Leute ihre Seelenschocks oder Depressionen wirklich dadurch loswerden. Auf mich wirkt es gerade umgekehrt, ich fange jetzt erst an, nervös zu werden.

3

Aus lauter Verzweiflung habe ich angefangen, Bekanntschaften zu machen. Man erzählt sich seine Leiden, räsoniert über die Behandlung, vergleicht die jedem zugemessene Anzahl von Bädern und Packungen, kurz, man fachsimpelt auf Tod und Leben. Ich komme mir zwar immer noch sehr dilettantisch vor. Angstzustände, nervöse Herzgeschichten, Idiosynkrasien, Neurosen und Psychosen, die in diesem Milieu zum guten Ton gehören, sind mir bisher böhmische Dörfer gewesen, aber ich lerne doch allmählich, mich sachverständig darüber zu unterhalten.

Wir haben da einen achtzehnjährigen Pastorensohn, der sich zum Atheismus durchgekämpft und darüber eine Psychose bekommen hat. Nun gibt es einen entlegenen Teil des Gartens mit einem kleinen Holzpavillon, und in dem Pavillon steht – ich weiß nicht, warum – eine Spieluhr. Ebendort geht der jugendliche Atheist ganze Nachmittage im glühendsten Sonnenschein tiefsinnig und barhäuptig auf und ab. Jedesmal, wenn er zum Pavillon zurückkommt, zieht er die Spieluhr wieder auf. Ich habe ihm ein paarmal schweigend zugesehen und ihm dann klarzumachen versucht, daß diese Betätigung unmöglich heilsam auf seine Nerven wirken könne. Er sollte lieber mit mir ins Dorf hinuntergehen und ein Glas Wein trinken – hier oben sind geistige Getränke verpönt. Wir gingen also Wein trinken, unterhielten uns über Religion, verständnislose Eltern, Vorrechte der Jugend und andere einschlägige Fragen, und es wurde ihm entschieden etwas besser. Darüber versäumten wir irgendwelche abendlichen Duschen, und der Professor bemerkte am nächsten Morgen etwas ironisch, meine Menschenscheu scheine sich ja auffallend zu bessern. Trotzdem setzen wir unsere Spaziergänge fort, und ich sehe, daß es dem Jungen gut anschlägt. Dann ist da ein blonder Landwirt, der behauptet, er sei schon von Jugend auf Melancholiker – in lichten Momenten schwärmt er von einer Reise um die Welt, die ihn vielleicht auf frohere Gedanken bringen könne, unter anderem möchte er gerne die kalifornische Schweinezucht aus eigener Anschauung kennenlernen. – Ferner eine dicke Baumeisterswitwe, die nervenkrank geworden ist, weil ihr Mann Bankrott gemacht und sich dann erschossen hat. Sie hat uns die Geschichte gewiß schon fünf-, sechsmal mit allen Details vorgetragen, und man hat aufrichtiges Mitgefühl. Mehr als alles andere, mehr als Tod und Bankrott ist es ihr nachgegangen, daß in einer Zeitung gesagt wurde, ihr Mann sei ein «unverbesserlicher Baulöwe» gewesen und habe sich damit zugrunde gerichtet. Über diese Beschimpfung kann sie absolut nicht wegkommen.

Ja und so weiter. Du siehst, es ist keine besonders lustige Umgebung – aber wenn man so dazwischen sitzt, gibt sie einem doch allerhand zu denken.

Nach meinem Gefühl wären fast alle Psychosen in erster Linie mit Geld zu heilen. Hätte der rebellische Pfarrerssohn Geld, so brauchte er weder zu seiner Familie zurück noch eine neue Weltanschauung, sondern würde sich nach Herzenslust amüsieren und, da schon ein Glas Wein und ein bißchen Geschwätz ihn aufleben läßt, bald geheilt sein. – Der Landmann könnte um die Welt reisen und über den Wundern der kalifornischen Schweinezucht seinen Trübsinn vergessen. Auch die Witwe möchte sich sicher über den unverbesserlichen Baulöwen trösten, wenn er ihr ein anständiges Vermögen hinterlassen hätte. Aber das sieht wohl kein Nervenarzt ein, und es nützt ja auch nichts, wenn er es einsähe. Man kann nicht von ihm verlangen, daß er seine Patienten auch noch finanziert. – – –

Mein Tischnachbar, der Privatdozent Lukas, ist Gott sei Dank nur überarbeitet. Ich unterhalte mich gern mit ihm, nur ist er mir zu sehr Reformmann und hat extravagante Ideen über die Erwerbsfähigkeit der Frau – er ist Nationalökonom. Gegenüber sitzt eine Medizinstudentin, die ihm natürlich sekundiert, ihr Steckenpferd ist das weibliche Gehirn, das trotz irgendwelcher Unterschiede ebenso brauchbar sein soll wie das männliche. Über dieses Gehirn wären wir neulich beinah hart aneinandergekommen. Das verblendete Mädchen trat aufs lebhafteste dafür ein, daß möglichst viele Frauen sich den wissenschaftlichen Berufen zuwenden sollten und dabei bessere Chancen hätten als in anderen. Dr. Lukas hielt das Erwerbsleben für noch geeigneter, und ich meinte aus tiefster Überzeugung, daß wir überhaupt zu keiner ernstlichen Tätigkeit taugten, nicht einmal zum Schneidern und Kochen, denn jeder Schneider oder Koch macht es immer noch besser. Und die sogenannte geistige Arbeit ist vollends ruinös und schrecklich. (Ich war den Tag gerade schlechter Laune, und es tat mir wohl, meinen Empfindungen freien Lauf zu lassen, um so mehr, wenn ich jemanden damit ärgern konnte.) Die Medizinerin setzte ihren Zwicker auf und sah mich fast erschrocken an: «Aber Sie sind doch selbst Schriftstellerin.»

Ach Barmherzigkeit, wie kommt sie zu dieser Kenntnis? Du weißt ja, Maria, ich kann das nun einmal nicht vertragen und habe gegen das bloße Wort eine förmliche Idiosynkrasie. So fuhr ich denn auch diesmal auf wie von sechs Taranteln gestochen und sagte: Nein, ich sei gar nichts. Aber ich müsse hier und da Geld verdienen, und dann schriebe ich eben, weil ich nichts anderes gelernt hätte. Gerade wie die Arbeitslosen im Winter Schnee schaufeln – sie sollte nur einen davon fragen, ob er sich mit dieser Tätigkeit identifizieren und sein Leben lang mit «Ah, Sie sind Schneeschaufler» angeödet werden möchte.

Das verstand sie nicht und sagte etwas von der Befriedigung, die alles geistige Schaffen gewähre.

«Nein, die kenne ich nicht, aber ich habe manchmal davon gehört», wagte ich hier zu bemerken. «Was mich selbst in solchen Fällen aufrechterhält, ist ausschließlich der Gedanke an das Honorar.»

Daraufhin ließ sie mich, nicht aber das weibliche Gehirn fallen und behauptete, immerhin müsse doch auch meines so organisiert sein, daß ich etwas damit leisten könne. «Aber ganz im Gegenteil, es leidet unendlich darunter. Es gibt doch so etwas wie Gehirnwindungen, und ich fühlte tatsächlich bei jeder geistigen Anstrengung, wie mein Gehirn sich darunter windet. Nein – ich glaube unbedingt an den Schwachsinn des Weibes, und zwar aus eigener schmerzlicher Erfahrung. Seien wir nur ehrlich, liebes Fräulein Doktor», fügte ich versöhnlich hinzu, «wenn unsere Gehirne wirklich so viel taugten, wären wir doch alle beide nicht hier.»

Das aber nahm sie sehr übel und beteuerte, ihr Nervenleiden beruhe nur auf erblicher Belastung.

4

Du – ich fange an, wieder an Wunder zu glauben. Lach nur nicht, man findet ja im Lauf der Zeit manchen alten Glauben wieder, zum Beispiel den an ein zweites Leben, in dem man entweder Geld haben oder keines mehr brauchen wird. Ja, ich könnte mich sogar mit dem Tod aussöhnen, der mir früher so unsympathisch war – denn, selbst wenn nichts anderes mehr käme, so wird’s doch wenigstens keine Gläubiger und keine Rechnungen mehr geben. Wie gut, daß man nicht fromm ist, sonst würde ich mir vorstellen, die ewige Verdammnis bestände darin, daß sie einem auch dorthin nachfolgen. Also Eure Gebete sind sichtlich erhört worden, laß Dir nur erzählen. Vorgestern ging ich wieder einmal mit dem Atheisten und der Baulöwenwitwe, die sich uns manchmal anschließt, ins Dorf hinunter. Wir haben aus lauter Verzweiflung angefangen, dort nachmittags Kegel zu schieben. Alle drei fühlten wir uns etwas unglücklich und jammerten rechtschaffen über unser elendes Dasein und über unsere Nerven. Als wir dann zwischen dem Kegeln eine Erholungspause machten, sah ich im Wirtsgarten einen Herrn sitzen, der mir merkwürdig bekannt vorkam. Ja nun, es war tatsächlich Henry – wir hatten uns jahrelang nicht gesehen, und ich war sehr überrascht, ihn so unverändert wiederzufinden. Damals, als er nach drüben ging, dachten alle, er würde Karriere machen, als Millionär mit Bauch und Berlocks wiederkommen und uns alle finanzieren. Als er dann nie mehr schrieb, gab man ihn wehmütig auf. Aber er ist wieder da, ist immer noch derselbe, gründet immer noch, es geht auch immer noch schief, und dann hat er gleich wieder eine neue und fabelhafte Chance an der Hand.

Sein Erstaunen, mich hier mit den beiden beim Kegelschieben zu finden, war ebenso groß wie meines und wuchs noch, als ich ihm erzählte, daß wir droben in das Sanatorium gehörten. Wohl oder übel mußte ich dann die anderen an den Tisch holen. Es ging auch ganz gut, die Witwe schloß ihn gleich ins Herz und erzählte von ihrem Baulöwen. Henry überlegte sofort, wie man die Gläubiger überlisten und das verkrachte Vermögen retten könne. Später gingen die anderen voran, um ihre Abendbehandlung nicht zu versäumen, ich blieb noch eine Weile und ließ mir erzählen. Er ist hergekommen, um Terrains für eine Fabrik anzukaufen, und will noch eine Weile bleiben, weil ihm der Ort gefällt und er dringend etwas Erholung braucht. Im Laufe des Gesprächs fiel mir auf, daß er sich doch verändert hat, er ist schweigsamer geworden, und manchmal schaut er so merkwürdig vor sich hin in die Luft und sein Blick wird ganz starr.

«Woran denkst du denn, Henry?»

«Ich rechne.»

«Immer?»

«Immer.»

«Dann hast du auch einen Geldkomplex.»

«Was hab ich?» – Er wußte nur von Häuserkomplexen, Baukomplexen, Terrainkomplexen. Ich erklärte es ihm, so gut ich konnte, und fürchtete beinahe, er möchte es übelnehmen, aber er stürzte sich förmlich darauf wie auf eine neue Spekulation. Vielleicht berührte es ihn auch wie ein heimatlicher Klang, eben weil er beständig mit seinen Häuser-, Bau- usw. Komplexen zu tun hat. Aber dieser Mann hat viel mehr Illusionsfähigkeit als ich, er fand die Möglichkeit einer Heilung durch Analyse ganz einleuchtend und will meinen Freudianer unbedingt kennenlernen, sobald er kommt. Das ist mir ganz recht, so kann ich mich vielleicht um die Behandlung drükken, zu der ich schon längst keine Lust mehr habe.

An dem Abend verspätete ich mich arg, und der Professor machte mir einen richtigen Krach. Er hat von unseren Ausflügen Wind bekommen, warf mir vor, daß ich den Atheisten zum Weintrinken verführt habe, auch die Witwe sei heute abend ganz außer Rand und Band, und meine eigene Behandlung lasse ich überhaupt völlig außer acht.

Ach, mir wäre bald die Geduld gerissen, und ich war nahe daran, in offene Rebellion auszubrechen, zu sagen, daß mir ja absolut nichts fehle und man mich um Gottes willen in Ruhe lassen solle. Es ist wirklich hart genug, sich auf Schlaflosigkeit und dergleichen behandeln zu lassen, wenn man einen so gesunden Schlaf hat wie ich, und überhaupt ...

Aber seit der letzten wirtschaftlichen Krisis bin ich völlig charakterlos geworden, ich habe nicht mehr den Mut, den Ast abzusägen, auf dem ich sitze ... das wohlbekannte Gefühl, wenn er plötzlich kracht und man drunten liegt ... nein, das kann ich nicht mehr. Jedesmal, wenn ich aufbegehren möchte, sehe ich wieder wie in einer Vision den Professor als Gläubiger vor mir und werde sanft wie ein Lamm.

Die Kegelausflüge haben wir also aufgeben müssen, dafür habe ich Henry bewogen, als Neurastheniker ebenfalls in das Sanatorium zu ziehen. Er findet sich ganz gut hinein, und man macht sich gegenseitig das Leben so angenehm wie möglich. Jetzt im Sommer ist es überhaupt erträglicher, man hat den großen Speisesaal mit der deprimierenden langen Tafel verlassen und nimmt die Mahlzeiten auf der Terrasse an einzelnen Tischen. Henry, Doktor Lukas, der Knabe Gottfried und ich haben einen Tisch am oberen Ende, wo man alles übersehen kann und doch etwas für sich ist. Die Witwe wollte sich anschließen, aber es war zum Glück kein Platz mehr. So gastiert sie nur bei uns, und damit sie nicht allzu störend wird, erziehen wir sie zu unserer Anschauungsweise. Kurz, wir haben hier mitten in dieser fremden Welt eine Art eigenes Milieu gegründet.

Du kannst Dir denken, daß Henry und ich uns viel zu erzählen haben und endlos von alten Zeiten reden. Wir rechneten aus, wie lange wir uns jetzt schon kennen. Es sind ungefähr acht Jahre, und die Bekanntschaft begann mit einer sehr schönen, sehr langen und sehr kostspieligen Reise, von der wir ohne einen Heller zurückkehrten. Er gab dann seine bisherige wissenschaftliche Tätigkeit auf und verlegte sich auf Unternehmungen. Der erste Anlaß dazu war ein Exfreund, dem er ein beträchtliches Kapital ins Geschäft gesteckt hatte und der es nicht wieder herausrücken wollte. Der Exfreund wurde verklagt, gepfändet, jedoch umsonst. Er hatte vorgesorgt und alles rechtzeitig seiner Tante zediert. Aber er hatte irgendeine vielversprechende Erfindung gemacht, das Patent auf diese Erfindung konnte er wohl nicht gut der Tante zedieren, und Henry ließ es beschlagnahmen. Damals lernten wir, seine näheren Bekannten, ihn bewundern; er hatte uns vorher wohl allerlei Pläne entwickelt, aber wir verstanden wenig von solchen Dingen und hielten sie deshalb für phantastisch. Ich sehe ihn noch, wie er dann eines Tages plötzlich auf den Tisch schlug und sagte: «Jetzt hab ich’s.»

Acht Tage später hatte er auf die Erfindung des Exfreundes eine GmbH gegründet, hatte ein elegantes Bureau mit zahllosen Plänen, Grundrissen und Gipsmodellen und telefonierte den ganzen Tag. Wenn ich mich recht erinnere, handelte es sich um einen feuersicheren Kinemasaal, brach aber doch einmal Feuer aus, so würde wenigstens keine Panik entstehen, weil er in einer halben Minute geräumt werden konnte. Wie die Geschichte ausging, bringe ich nicht mehr zusammen, und es tut auch nichts zur Sache. Jedenfalls begann er damit seine Laufbahn als Gründer. Übrigens hat Henry ebenso wie ich einen rätselhaften Unstern in finanziellen Dingen gehabt, er konnte wohl auch nicht die richtige persönliche Beziehung zum Geld finden. Mich hat es dann schließlich ernst genommen, ihn foppte es auf unqualifizierbare Weise. Böse Zungen behaupten heute noch, es sei bei all seinen Unternehmungen nie etwas herausgekommen, aber das kennt man ja und soll kein Gewicht darauf legen. Einerlei, er blieb unbeugsam, fragte man ihn, wie steht es denn mit der oder jener Geschichte?, so hieß es: Schlecht, gerade im entscheidenden Moment kam etwas dazwischen, aber ich habe jetzt eine neue Sache an der Hand, und wenn die nicht einschlägt, soll mich der Teufel holen. Manchmal verschwand er auch für eine Weile, und man hatte Angst, er sei verkracht, aber er war nur rasch in Südamerika oder sonstwo gewesen, um irgendein Unternehmen «in die Wege zu leiten». Dann tauchte er wieder auf und mit ihm ein neues Bureau, ein imponierendes Türschild, das wieder eine neue GmbH verkündete, Modelle, Telefongespräche und Aktionäre.

Du siehst, Maria, er ist auch diesmal wiedergekommen und hat sich drunten in unserem Städtchen ein Bureau eingerichtet, wo er täglich ein paar Stunden mit seinen Aktionären telefoniert. Wir schwelgen in alten Erinnerungen: ... wie ich einmal Geld hatte ... wie du einmal Geld hattest ... oder: als es mir damals ernstlich an den Hals ging ...

Unsere Schicksale hatten immer eine gewisse Ähnlichkeit miteinander, so mußte es wohl auch kommen, daß wir uns hier im Sanatorium mit unseren beiderseitigen Geldkomplexen wiederfanden und doch beide nach altem Brauch auf eine günstige Lösung warten ... ich auf meine Erbschaft, er auf einen großen Coup, der seiner Meinung nach dieses Mal nicht fehlschlagen kann.

Beklag Dich, bitte, nicht wieder über meine Briefe, Maria. Aber ich interessiere mich momentan so grenzenlos für meine eigene Existenz, daß nichts anderes übrigbleibt. Auch darin verhext einen die ewige Geldfrage, möchtest Du’s nur nie an Dir selbst erfahren. Alle schönen Eigenschaften des Herzens, alles Eingehen auf andere geht dabei zum Henker ...

5

Ich fürchte, wir haben den armen Privatdozenten angesteckt. Anfangs pflegte er nur friedlich von wirtschaftlichen Fragen zu sprechen, während er sich jetzt auf das lebhafteste für Gründungen und Spekulationen, kurz für alle direkten und indirekten Geldfragen interessiert. An unserem Tisch ist von nichts anderem mehr die Rede, die Neurosen und Psychosen haben alle Anziehungskraft verloren. Selbst Gottfried denkt nicht mehr über seine Weltanschauung nach, sondern hört andächtig zu. Ich glaube, der Verkehr mit uns wird ihn noch völlig heilen. Heut saß ich längere Zeit mit Doktor Lukas allein. Wir gaben uns alle Mühe, zur Abwechslung einmal ein anderes Thema anzuschlagen ... die Hitze ... die Persönlichkeit des Professors ... wie schön es sein müßte, jetzt für ein paar Wochen an die Nordsee zu fahren ... und wurden dabei aber immer einsilbiger und langweiliger. Dann kam die Witwe einen Augenblick heran und stimmte ihr gewohntes Klagelied an. Tag und Nacht habe ihr verstorbener Mann gearbeitet, bis er ein kleines Vermögen auf der Bank liegen hatte, und all das sauer verdiente Geld sei nun in der Konkursmasse – mein Gott, mein Gott!

Die gute Dame ist etwas ermüdend, aber ihre Neurose besteht nun einmal in dem beständigen Repetieren ihrer Leidensgeschichte, und als Mitpatient muß man Geduld haben.

«Eigentlich hat sie ja auch recht», sagte Lukas, als sie wieder fort war.

«Nein, sie ist vollständig auf dem Holzweg, weil sie an dem Geld gerade das Sauerverdiente so schätzt und hervorhebt. Es ist ein widerwärtiger Ausdruck und ein widerwärtiger Begriff. Es kann auch auf sauerverdientem Geld kein Segen ruhen, es muß uns hassen, weil wir es an den Haaren herbeigezogen haben, wo es vielleicht gar nicht hinwollte, und wir müssen es hassen, weil wir uns dafür geschunden haben und im Gedanken an diese Schinderei noch voller Ressentiments sind. Es rächt sich auch immer, denn entweder warten schon andere Leute darauf, oder man gibt es in der ersten Reaktion für sinnlose Dinge aus.»

«Der Baulöwe hatte es aber anscheinend doch auf die Bank gelegt, um sich später einmal gute Tage zu machen ...»

«Um so schlimmer, dann wird es gar noch zum sauer Ersparten, was die Leute bekanntlich immer auf tragische Weise einbüßen. Ich begreife auch, daß das Geld sich solche Bezeichnungen nicht gefallen läßt. Sauer erspart ... sagen Sie es sich nur ein paarmal vor, womöglich mit knarrender Stimme.»

Er tat es und mußte mir recht geben: «Wie Krähen im Herbst», sagte er.

Inzwischen war Henry unbemerkt durch die Gartentür hereingekommen und stand mit einemmal hinter uns.

«Was macht ihr denn da?» sagte er aufrichtig erschrocken. «Mein Gott, Herr Doktor, jetzt hat es Sie auch schon ... Kommen Sie lieber mit hinunter in mein Bureau, ich möchte Ihnen etwas zeigen.»

Im Bureau war ein Arbeiter damit beschäftigt, eine große Holzkiste aufzubrechen, und wir waren sehr neugierig auf den Inhalt. Henry erzählte uns derweil ausführlich die Geschichte der südafrikanischen Goldminen, um derenthalben er damals fortging. Man hatte ihm die Leitung des ganzen Unternehmens übertragen, aber wie gewöhnlich, wenn alles einmal glattgehen konnte, machte das Geld eine förmliche Verschwörung gegen ihn. Er hatte einfach keines, konnte das aber den Aktionären nicht gut unter die Nase reiben, und die Abreise verzögerte sich, verschob sich bis ins Aschgraue. Wiederum regten sich die bösen Zungen und behaupteten, er sei monatelang mit einem falschen Bart herumgegangen, um zu verbergen, daß er immer noch da war. Ich weiß auch nicht mehr, hat es ein halbes oder ein ganzes Jahr gedauert, bis er endlich an seiner Geschäftsstelle anlangte. Von dort aus hatte inzwischen ein Herr Alramseder aus Nürnberg, der an der Sache beteiligt war, gegen ihn intrigiert, und Henry erfuhr gleich bei seiner Ankunft, daß die Gesellschaft ihn schon lange seiner Stellung enthoben und eben jenen Herrn Alramseder zu seinem Nachfolger gemacht hatte. Dieser liebenswürdige Mann mit dem heimatlichen Namen hatte einen ausgesprochenen Tropenkoller und schickte ihm ohne weiteres einen Trupp von sechzehn Kaffern entgegen, die ihn verhaften sollten.

Die Witwe hörte in größter Spannung zu und fragte fast atemlos: «Ja ... und was taten Sie da?»

«Zuerst fotografierte ich die Kaffern», sagte Henry schlicht und ohne Pose.

«Fotografierten die Kaffern? ...»

«Ja, um Beweismaterial gegen den Alramseder in der Hand zu haben.» – Pause.

Tatsächlich ist es ihm dann auch gelungen, ich weiß nicht, ob die Fotografie der sechzehn Kaffern dabei ausschlaggebend wirkte – die leitende Stellung wieder an sich zu bringen und zu behaupten. Die Witwe war ganz begeistert und ist jetzt überzeugt, daß es Henry gelingt, mit ihren Gläubigern fertig zu werden und das Andenken des unverbesserlichen Baulöwen reinzuwaschen.

Inzwischen war die Kiste endlich aufgebrochen, und Henry hob eine sonderbare, unförmliche Gipsgeschichte heraus, die das Minenterrain darstellte. Quer durch geht ein blau angestrichener Fluß. Er erklärte uns die geographische Lage und daß die Goldlager sich unter dem Flußbett befänden.

«Und wie bekommt man das Gold da heraus?» fragten wir.

«Das ist ganz einfach», antwortete er und hob ohne weiteres den blau angestrichenen Fluß heraus, mit einer so überzeugenden Geste, daß wir einen Moment das Gefühl hatten, wenn es darauf ankäme, würde er es auch in Wirklichkeit so machen.

Nun, er hat es uns dann ausdrücklich erklärt, wie es gemacht wird, aber ich habe weder aufgepaßt noch möchte es von besonderem Interesse für Dich sein. Schließlich kann einen Gold doch nur lebhaft interessieren, wenn es schon wirklich Zwanzigmarkstücke sind und sie einem gehören.

6

So, nun habe ich endlich einmal eine Sensation zu verkündigen, die Sensation ... der alte Herr ist sanft entschlafen, wie mir gestern ein Telegramm meines Miterben meldete. Ich war ihm dankbar, daß er sich so taktvoll ausdrückte, und gebe mir alle Mühe, dem Entschlafenen gegenüber ebenfalls taktvoll zu empfinden. In dem Moment, wo jemand tot ist, wird einem das ja auch immer relativ leicht. Also erwartet jetzt, bitte, kein ordinäres Freudengeheul von mir, mir ist vielmehr zumut, als ob ich vorläufig sehr viel Haltung bewahren müßte.

Erstens wissen wir über das Testament und vor allem über den Besitzstand des Verstorbenen noch nichts Genaueres, und da er Ausländer war, kann sich das alles noch etwas hinziehen. Zweitens habe ich den Glauben an das Geld, an alles Geld verloren und kann ihn nicht von heute auf morgen wiederfinden. Bis es nicht tatsächlich vor mir auf dem Tisch liegt ... und wer weiß, ob es mich jetzt für hinlänglich geläutert hält, um sich wirklich auf meinen Tisch zu legen. Wie oft habe ich erlebt, daß es schon auf dem Wege zu mir war und unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand wieder umkehrte. Selbst dadurch, daß es einem gehört, hat man es noch nicht ... so halte ich es für geboten, es vorläufig möglichst zu ignorieren und um keinen Preis kopfscheu zu machen.

Bitte, verhaltet auch Ihr Euch in diesem Sinne, sprecht nicht davon, freut Euch nicht, schlagt keinen Lärm und gratuliert mir nicht.

... Nein, diese Botschaft an sich kann mich noch nicht von meinem Geldkomplex erlösen, es kommt nur allmählich wieder ein Gefühl von Daseinsberechtigung über mich, das ich mittlerweile ganz verloren hatte. Laß Dir sagen, liebe Maria, es sind nur zwei Dinge, die einem dies Gefühl geben ... Geld und Liebe. Soll es ganz richtig sein, so sind es beide zusammen, aber wann ist wohl das Leben einmal ganz richtig? Und fehlt eines von den beiden, so kann man sich immerhin mit dem anderen trösten. Fehlen aber beide, wie jetzt, wie hier ... nun, alles in allem ist es doch ein etwas trüber Aufenthalt. Mit Geld könnte ich fortgehen, aber es ist keines da; mit Liebe könnte ich hierbleiben, aber es fehlt jedes geeignete Objekt. Der Atheist ist mir zu jung, Lukas zu seriös, und mit Henry bin ich allmählich zu gut befreundet. In den Arzt verliebt man sich nur, wenn man hysterisch ist, und unser würdiger Professor eignet sich wenig dazu.

... Ich fahre erst heute fort. Der Miterbe war hier, man hat sich ernst und korrekt die Hand geschüttelt, und doch ein wenig wie zwei Überlebende nach einem Schiffbruch, die nun nähere Bekanntschaft miteinander machen. Man widmete dem Verstorbenen einige geziemende Worte, und das war wirklich anständig, denn er hat bei seinen Lebzeiten wenig Sympathie für uns an den Tag gelegt und unser beider Treiben, soweit es ihm bekannt wurde, meistens gemißbilligt. Aber wir waren jetzt einig, ihm das nicht mehr nachzutragen. Dann war vom Begräbnis die Rede. Der alte Herr will in seiner Familiengruft beigesetzt werden, und das ist ungemein schwierig, weil wir, die beiden einzigen Nachkommen, im Moment nicht über die Mittel verfügen, ihn dorthin zu geleiten. Diese Frage bleibt also noch ungelöst. Dagegen wird morgen am Sterbeort eine Einsegnung stattfinden. Ich sollte durchaus mitfahren, habe mich aber geweigert. Nie in meinem Leben habe ich solche Sachen mitgemacht, ich habe einen pathologischen Horror davor. Gott weiß, ob der Alte sich nicht auch darüber ärgern würde. Ich habe Angst davor, ihn noch nachträglich zu verstimmen und üble Folgen über mein Haupt heraufzubeschwören.

Allmählich kamen wir dann auch auf die Erbschaft selbst zu sprechen. Er hat das Testament vor einigen Jahren selbst eingesehen, und nach dem, was er sagt, käme eine Summe in Betracht, die uns beiden das Herz höher schlagen läßt. Nun machte aber der alte Herr vor anderthalb Jahren, nachdem er unglücklicherweise von unserem Kontrakt erfahren (vermutlich durch den schnöden Advokaten, der ihn gemacht hat und den wir nicht zahlen konnten), eine verdächtige Reise in seine Heimat, um «seine Angelegenheiten zu ordnen». Der Miterbe, der eigentlich Bescheid wissen müßte, behauptet zwar, nach dem dortigen Gesetz könne man ihn als den einzigen direkten Nachkommen, falls er nur verheiratet sei, nicht verkürzen. So hat man sich darüber wieder beruhigt. Natürlich muß er sich gründlich um die Sache bekümmern, meint aber, in wenigen Monaten könne alles erledigt sein.

Monate – Maria –, in Monaten kann alles mögliche passieren, man kann krank werden, sterben, verunglücken oder den Verstand verlieren. In Monaten hat das Geld alle Muße, die ausgefallensten Schikanen zu ersinnen. Monate sind eine schreckliche Zeit, wenn man sie mit Warten zubringt. Ich male mir alle schlimmen Möglichkeiten aus, das ist immer das beste, um ihnen vorzubeugen. Ängstigt man sich zum Beispiel, es sei jemand ertrunken oder abgestürzt, so kommt er sicher heil zurück, erwartet man ihn aber unbefangen zum Abendessen, so wird er womöglich vom Blitz erschlagen.

Du siehst, ich habe mein System vollständig geändert und wehre mich ebenso verzweifelt gegen jeden Optimismus, wie ich ihm früher huldigte. Und doch, wenn ich morgens aufwache und mich noch nicht genügend beherrsche, denke ich mit scheuer Verliebtheit an dies ferne Geld, das, so Gott will, über kurz oder lang zu mir in Beziehung treten wird.

Natürlich habe ich nur den männlichen Tischgenossen davon erzählt, vor der Witwe hatte ich Angst, sie möchte mich an ihr Herz ziehen, Tränen vergießen und wieder von ihrem Baulöwen anfangen.

Henry nahm es mit derselben Seelenruhe auf wie die sechzehn Kaffern des Herrn Alramseder, und der gottlose Pfarrerssohn meinte, sein Vater würde in solchem Fall sicher sagen: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele.

«Oder, was kann der Mensch geben, daß er seine Seele wieder löse», vollendete Lukas.

«Ach, wie gerne wollte ich Schaden an meiner Seele nehmen, wenn ich Reichtümer damit gewinnen könnte.»

«Und ich bin fest überzeugt», sagte Henry, «daß man mit Geld seine Seele ohne weiteres wieder auslösen könnte.»

Gottfried lächelte fröhlich, seine neue Weltanschauung befestigt sich immer mehr. Henry hat nämlich vor, ihn in Afrika bei den Goldminen unterzubringen, so braucht er nicht mehr unter das väterliche Dach zurückzukehren und könnte seine Psychose ruhig aufgeben. Doktor Lukas aber wollte ganz genau wissen, wie mir jetzt zumute sei. Er ist etwas enttäuscht, denn er hat es sich wohl so vorgestellt, wie in den Zeitungsgeschichten von Flickschustern, die das große Los gewinnen und dann vor freudigem Schrecken die Treppe hinunterfallen oder vom Schlag gerührt werden. Und wie ich mir nun die Zukunft denke?

Ich denke nach ... die Zukunft ist noch nicht da, und die Vergangenheit wirkt noch zu stark in mir nach. Mir ist, als sei ich mein halbes Leben Jongleur in einem Zirkus gewesen, wollten die Kugeln nicht mehr richtig fliegen, so warf man mit Flaschen, Tellern oder Messern. Wollte es mit den Händen nicht mehr gehen, so stellte man sich auf den Kopf und jonglierte mit den Füßen weiter. Dabei immer die verdammte Unsicherheit, ob man Herr der Situation bleiben wird oder nicht, bis dann eines schönen Tages die Dinge wirklich streikten, Kugeln, Flaschen, Teller, Messer herunterrasselten und die Zuschauer mich auspfiffen – unter den Zuschauern stellte ich mir meine Gläubiger vor, die bei der Vorführung durchaus auf ihre Kosten kommen wollten.

Nein, ich wollte lieber gar nicht über das Geld reden, ehe es da ist. Aber Lukas ließ nicht locker. Wie alle Privatdozenten hat er natürlich ein kleines Vermögen, von dem er bescheiden und sicher leben kann. Der Umgang mit uns hat nun zwar in letzter Zeit seine Begriffe etwas verwirrt, aber manchmal wird er wieder rückfällig und ist nun geradezu besorgt, ob ich mich zu der veränderten Sachlage richtig einstellen werde. So macht er alle möglichen Pläne, wie ich das Geld am besten anlegen solle.

«Anlegen ...?»

«In Goldshares», rät Henry, «in wenigen Jahren gibt es vermutlich enorme Dividenden.»

«Ja, um Gottes willen, Sie Phantast ... wenn Sie Ihren Fluß herausgehoben haben?»

«Und dem Alramseder einmal definitiv auf den Kopf spukken kann ... denn damit steht und fällt die ganze Sache», sagte Henry ernst.

Der Privatdozent rang die Hände: «Nein, ich bitte Sie, machen Sie mir die gnädige Frau nur nicht wieder vollends ...»

«Sprechen Sie ruhig aus», sagte ich melancholisch ..., «es hat jetzt wirklich keine Gefahr mit mir. Wenn das Geld nur erst da ist, werde ich sicher wieder normal.»

«So normal, daß Sie vernünftig damit umgehen? Sagen wir zum Beispiel, das Kapital nicht angreifen, falls Sie mit den Zinsen auskommen können ... und daß Sie sich nicht auf Spekulationen einlassen, die davon abhängen, ob Ihr Freund Henry dem Herrn Alramseder oder sonst jemandem auf den Kopf spuckt ...?»

«Sie, Lukas, haben heute wieder einen schrecklichen Rückfall in Ihre nationalökonomischen Komplexe. Leute, die von ihren Zinsen leben, sind viel anormaler. Denken Sie nur, plötzlich sterben zu müssen, was jedem passieren kann, und das ganze Kapital liegt noch da, mit dem man sich unendliches Pläsier hätte verschaffen können. Mir würde dieser Gedanke alle Seelenruhe nehmen. Man sollte vielleicht taxieren, wie lange man ungefähr noch zu leben wünscht, und danach die Summe einteilen. Bedenken Sie doch auch meinen Geldkomplex, wie soll ich den jemals loswerden, wenn ich mir nicht eine ausgiebige Revanche für alle bisher erlittene pekuniäre Unbill leisten darf?»

«Bitte, hören Sie auf», bat Lukas, «ich möchte sonst noch Ihrer eigenen Auffassung vom weiblichen Gehirn beistimmen und Sie vom wirtschaftlichen Standpunkt aus völlig aufgeben ...»

«Vor allem ist das Geld ja wirklich noch nicht da», bemerkte Henry mit unerschütterlicher Miene.

«Erlauben Sie mir wenigstens noch die Frage, wie der Herr ... nun, Ihr Herr Miterbe darüber denkt ... seinen Namen haben Sie uns übrigens immer noch vorenthalten.»

«Er trägt denselben Namen wie ich auch, da wir miteinander verheiratet sind ...»

Hätte ich nur lieber geschwiegen, aber es fuhr mir so heraus, und nun mußte ich natürlich eine Flut von Aufklärungen geben. Worauf der arme Lukas so angegriffen war, daß er sich für den Rest des Abends zurückzog.

Du weißt, ich rede nicht gern von dieser Heirat, wenn es nicht unbedingt notwendig ist, weil es mich gar so langweilt, immer wieder den Zusammenhang erläutern zu müssen. Wir leben nicht zusammen, wir kennen uns kaum, wir sind keine Ehe, sondern nur ein Kontrakt, und unser einziges gemeinsames Interesse ist eben diese Erbschaft. Manche begreifen das nicht, andere nehmen Ärgernis daran, und ich selber vergesse inzwischen manchmal vollständig, daß ich eigentlich verheiratet bin.

Der Professor erwartet einen neuen Patienten – es ist ein russischer Fürst, und wir sind sehr gespannt auf ihn. Russischer Fürst klingt so angenehm nach Geld und Spleen.

7

Nein, ich weiß immer noch nichts Näheres. Die Testamentseröffnung soll erst nächste Woche stattfinden. Inzwischen hat der Miterbe wenigstens Mittel und Wege gefunden, um selbst hinzufahren und gleichzeitig die sterblichen Überreste des alten Herrn zu überführen. Einstweilen war er immer noch im Bahnhof deponiert. Henry hielt das für sehr bedenklich, weil es immerhin einen Anstrich von Rücksichtslosigkeit hatte, aber es war beim besten Willen nicht zu ändern.

Daß Ihr die Sache äußerst spannend findet, begreife ich, kann aber Eure Empfindungen nicht teilen. Ich lasse mich grundsätzlich auf keine Spannung mehr ein, sie schadet mir und beeinflußt die Dinge immer nur ungünstig.

Es war eine glückliche Fügung, daß ich hierherkam. Ich muß die Segnungen dieses Aufenthalts immer mehr anerkennen und kann nur sagen, ein Sanatorium ist doch der einzige geeignete Ort, um auf Erbschaften zu warten. Von der Kur habe ich mich ziemlich emanzipiert, es war nicht mehr zum Aushalten. So habe ich dem Professor auseinandergesetzt, meine Schlaflosigkeit hätte sich in das Gegenteil verkehrt und ich litte jetzt vielmehr an einer veritablen Schlafsucht ..., damit er mich nur mit seinen Wickeln und Duschen verschont. Außerdem möchte er mir etwas mehr Bewegungsfreiheit gewähren, denn ich hätte einen verwickelten Erbschaftsprozeß und müsse deshalb öfter in die Stadt, um mit einem Anwalt zu beraten. Er gab schließlich nach, aber seine Sympathie für mich, die wohl nie sehr heftig war, nimmt immer mehr ab. Ich glaube sogar, er möchte mich fort haben, denn er machte ziemlich brutale Anspielungen, ob ich nicht zur Nachkur noch in ein Seebad gehen wollte. Henry meint, er hielte mich am Ende für eine Schwindlerin ... Es ist schon möglich, denn daß meine Nerven völlig intakt sind, hat er längst durchschaut, vielleicht auch, daß es mit meinen Geldverhältnissen nicht der Fall ist. Der Freudianer hat ihn ja damals brieflich darauf vorbereitet, daß ich erst am Ende meines Aufenthalts zahlen würde ... Erbschaftsprozesse und dergleichen klingt immer etwas nach Schwindel, kein Mensch glaubt an Erbschaften, die noch in der Luft hängen, kurz, er wird in meiner Vorstellung immer mehr zum Gläubiger, und das ist ungemütlich. Vielleicht ist es auch ein Fehler, daß ich nie die Rechnung beanstande, sie wird einem jede Woche ins Zimmer gelegt, und ich sehe, daß andere Patienten, die regelmäßig zahlen, jeden Augenblick Krakeel machen. Das ist eine Gewohnheit aus schlechten Zeiten. Ist man selbst überzeugt, daß man doch nicht wird zahlen können, so kommt es nicht in Betracht, wie hoch die Rechnung wird. Ich kann ihm also sein Mißtrauen nicht übelnehmen ... wie oft war man schon in ähnlicher Lage und brannte dann irgendwie durch, das mag in Sanatorien ebenso oft vorkommen wie in Hotels.

Um wenigstens etwas glaubhafter dazustehen, habe ich mir einen Rechtsanwalt von ihm empfehlen lassen und bin auch wirklich hingegangen. Was er für mich tun soll, ist vorläufig noch ganz unklar, aber ich bereite ihn darauf vor, daß es eventuell etwas zu tun geben wird, und befrage ihn um tausend Dinge, die ich entweder schon weiß oder gar nicht zu wissen brauche. Im Anschluß daran kann man sich wenigstens etwas herumtreiben, ins Café gehen und dergleichen längst entbehrte Freuden genießen.

Mittlerweile ist auch der schon erwähnte russische Fürst hier aufgetaucht, das heißt, zur allgemeinen Enttäuschung ist er kein Fürst, sondern nur Großgrundbesitzer und heißt Balailoff. Den erhofften Spleen aber hat er im höchsten Maße, und so kommt es auf eins heraus. Wir haben ihn gleich in unseren Kreis gezogen und sind durchaus zufrieden mit ihm. Der Spleen zerfällt in zwei Teile, einmal will er sich den Alkohol abgewöhnen lassen, zweitens hat er eine Braut mit und will hier heiraten.

Dieser Balailoff ist eine gute Ablenkung, denn er erzählt beständig von seinen Angelegenheiten, und wenigstens in seiner Gegenwart müssen wir unsere Geldgespräche suspendieren, schon weil er augenscheinlich über schwindelhafte Mittel verfügt und unsere Komplexe nicht verstehen würde. Statt dessen drehen wir uns mit um seine Heiratsangelegenheiten und seinen Alkoholismus. Mit der Braut dagegen haben wir vergebens versucht, uns in Fühlung zu setzen. Sie bewohnt einen Extrapavillon, zieht sich sehr zurück und weiß uns nicht zu schätzen. Es macht den Eindruck, als ob sie ihn zu dieser Entziehungskur veranlaßt hätte und beständig mit dem Professor komplottiert. Er selbst schimpft bei jeder Gelegenheit darüber, daß er hier so überwacht wird, und für die Momente, wo er es nicht mehr aushalten kann, hat er sich schon eine Art Weinkeller in Henrys Bureau eingerichtet. Die beiden haben sich nämlich in einem großen Spekulationsobjekt gefunden. Balailoff hat, wie so viele Russen, auf irgendwelche Weise sein Anrecht auf einen Platz verwirkt, kann deshalb nicht mehr nach Rußland zurück und möchte seine dortigen Ländereien verkaufen. Da, wie er erzählt, ergiebige Petroleumquellen in der Gegend sind, riet Henry ihm, statt dessen eine Aktiengesellschaft zu gründen, und er ist Feuer und Flamme dafür. Sie sitzen beständig im Bureau, machen Kostenanschläge und rechnen. Kommen sie dabei zu einem Resultat, das sie besonders begeistert, so wird es auf Balailoffs Verlangen «begossen», und wir haben dann unsere liebe Not, ihn so weit zu zähmen, daß der Professor und die Braut nichts merken. Sie begleitet ihn nur selten bei seinen Ausgängen, sondern sitzt in ihrem Pavillon, spielt Klavier und verachtet uns alle miteinander.

8