Achtsamkeit, heiße Maronen und Mord - Elisabeth Grimm - E-Book

Achtsamkeit, heiße Maronen und Mord E-Book

Elisabeth Grimm

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Beschreibung

Die temperamentvolle Cafèinhaberin Lena freut sich auf ein ruhiges Leben zusammen mit ihrem Sohn Florian und ihrer zehn Monate alten Enkelin Naomi. Stattdessen entwickelt sich ihr Café zu so einer Art Selbsthilfetreff für die dauerjammernde Yvonne. Die blonde Barbie hat es im Gegensatz zu Lena nicht nötig, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Sie nervt Lena ebenso wie Florian, der es sich zum Ziel gesetzt zu haben scheint, ihr kleines Reihenhaus ins Dauerchaos zu stürzen. Selbst ihr Lieblingskater Misti macht seinem zweiten Namen Mistvieh alle Ehre. Lena hat die Nase voll. Es wird Zeit, etwas für sich zu tun. Kurz entschlossen nimmt sie an einem Achtsamkeitskurs teil. Anstatt jedoch tiefenentspannt auf einem Kissen zu sitzen und zu atmen, gerät Lena in eine Art südamerikanische Soap, in der es von Liebe, Hass und Mord nur so wimmelt. Das merkt sie jedoch erst, als sie mal wieder über eine Leiche stolpert. Lena macht sich zusammen mit dem "dementen Trio", drei 70-plus-Damen, die nicht im Geringsten dement, sondern ziemlich plietsch sind, ans Ermitteln. Das ist der zweite Band der humorvollen Cosy-Krimi-Serie um die Hobbydetektivin Lena, die bisher sechs Bände umfasst. Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch

Die temperamentvolle Cafébesitzerin Lena freut sich auf ein ruhiges Leben zusammen mit ihrem Sohn Florian und ihrer zehn Monate alten Enkelin Naomi. Stattdessen entwickelt sich ihr Café zu so einer Art Selbsthilfetreff für die dauerjammernde Yvonne. Die blonde Barbie hat es im Gegensatz zu Lena nicht nötig, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Sie nervt Lena ebenso wie Florian, der es sich zum Ziel gesetzt zu haben scheint, ihr kleines Reihenhaus ins Dauerchaos zu stürzen. Selbst ihr Lieblingskater Misti macht seinem zweiten Namen Mistvieh alle Ehre.

Lena hat die Nase voll. Es wird Zeit, etwas für sich zu tun. Kurz entschlossen nimmt sie an einem Achtsamkeitskurs teil. Anstatt jedoch tiefenentspannt auf einem Kissen zu sitzen und zu atmen, gerät Lena in eine Art südamerikanische Soap, in der es von Liebe, Hass und Mord nur so wimmelt. Das merkt sie jedoch erst, als sie mal wieder über eine Leiche stolpert. Und Lena macht sich zusammen mit dem »dementen Trio«, drei 70-plus-Damen, die nicht im Geringsten dement, sondern ziemlich plietsch sind, ans Ermitteln.

Dies ist der zweite Band der Serie um Lenas Café, in der die Pfälzerin Lena im verträumten schleswig-holsteinischen Ahrensloe Morde aufklärt.

Die Autorin

Elisabeth Grimm ist geboren und aufgewachsen in Rheinhessen und hat in Frankfurt am Main Psychologie studiert. Die Arbeit brachte sie in den hohen Norden und die Liebe hat sie dort ein Zuhause finden lassen. Als überzeugte Schleswig-Holsteinerin liebt sie die plüschigen Galloways (lieber auf der Weide als auf dem Teller) und die wunderbare Natur ebenso sehr wie Butterkuchen und Fliederbeersuppe mit Grießklößchen. Schließlich höllt Eten und Drinken Lief un Seel tosamen. Und natürlich sind neben ihrer Familie ihre Katze und Bücher der Mittelpunkt in ihrem Leben. Sie schreibt seit dem zwölften Lebensjahr, Cosy Crimes, Kinderbücher und einen Katzenroman.

Bisher von Elisabeth Grimm erschienen:

Dampfnudeln, Butterkuchen und Mord, Lenas Café, Band eins.

Achtsamkeit, heiße Maronen und Mord, Lenas Café, Band zwei.

Weihnachten, Fliederbeersuppe und Mord, Lenas Café, Band drei.

Liebe, Kirschpralinen und Mord, Lenas Café, Band vier.

Meer, Salzkaramell und Mord, Lenas Café, Band fünf.

Federweißer, Zwiebelkuchen und Mord, Lenas Café, Band sechs.

Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

Als Emma Grimm:

Wo ist Oma Wagner? Nele und Kater Carlo ermitteln, Hörbuch für Acht- bis Elfjährige, gesprochen von Astrid Haag.

Elisabeth Grimm

Achtsamkeit, heiße Maronen und MORD

LENAS CAFÉ

Ein norddeutscher Cosy-Krimi

Impressum

Originalausgabe

1. Auflage

© 2023 Elisabeth Grimm

Text: Elisabeth Grimm

Hindenburgstraße 52

23843 Bad Oldesloe

E-Mail: [email protected]

Alle Figuren und Ereignisse sind frei erfunden, Ähnlichkeiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Korrektorat: Tino Falke

Covergestaltung und digitaler Buchsatz:

Sarah Schemske (www.buecherschmiede.net)

Alle Rechte vorbehalten.

Es spielen mit

Lena, 42 Jahre alt, nach Schleswig-Holstein vertriebene Pfälzerin und Caféinhaberin

Das »demente Trio«:

Lotti, 75 Jahre, ehemalige Grundschullehrerin, trägt Blümchenblusen und ist der Fels in der Brandung

Ava, 72 Jahre, aber will es nicht wahrhaben

Hilde, 75 Jahre, sieht und fühlt mehr als andere, ihr Kleidungsstil ist eine Herausforderung für alle, die nicht farbenblind sind

Klaus Kimmel, Kriminalhauptkommissar, auch die Schnecke genannt, Essen spielt eine wichtige Rolle in seinem Leben

Misti, auch Mistvieh genannt, Kater, auch er räumt der Ernährung absolute Priorität ein

Claudia Classen, Kriminaloberkommissarin, eine zickige Schlange

Heinz Hansen, Vermieter von Lena

Yvonne Hansen, seine Tochter, von bösen Menschen auch Barbie genannt

Frau Nolde, Nachbarin von Lena mit spitzer Nase und einer Vorliebe für Gartenarbeit und Tarot

Sabine, Lenas beste Freundin, die aber leider immer noch in der Pfalz wohnt

Peter Häuser, Lenas Ex-Mann und ein A…

Florian Häuser, Lenas Sohn, der seit Kurzem mit seiner Tochter Naomi bei ihr lebt

Hans Hummel, Achtsamkeitscoach und ein echter Hingucker

Claas Hummel, sein Bruder, der wie ein alter Landpfarrer aussieht

Amelie, Lebensgefährtin von Hans und seine Partnerin in der Achtsamkeitsschule

Gisela und Heiner Schmidt, ein älteres Ehepaar, das den Achtsamkeitskurs besucht

Sigrun nimmt ebenfalls am Achtsamkeitskurs teil

Jasper, ein gestresster Informatiker, der den Achtsamkeitskurs besucht

Hans Herbert, Polizist und Choleriker, der zur Beruhigung seiner Nerven zum Kursbesuch verdonnert wurde

Vorspann

Da lag er nun in seiner ganzen Pracht. Zeitlebens war er ein schöner Mann gewesen, ein Womanizer. Groß, selbstbewusst, mit strahlend blauen Augen. Sein Kopf hatte sich im Fallen verdreht. Leere, trübe Auen blickten Lena an. So richtig schön sah er nicht mehr aus. Sein bleiches, aufgedunsenes Gesicht ragte aus dem Erbrochenen, die Haare klebten ihm am Kopf, eine kleine kahle Stelle zog sich vom Hinterkopf zur Seite. Dabei war er sich immer wieder mit den Händen durch sein dichtes Haar gefahren, als wollte er auf dessen Pracht aufmerksam machen. Er war so stolz gewesen auf sein dickes, dichtes Haar. Fortan würde es ihm erspart bleiben, sich jeden Morgen vor dem Spiegel die restlichen Haare zu raufen und hilflos dabei zuzusehen, wie es Tag für Tag lichter wurde, wie sich immer mehr Haare im allmählich nutzlos werdenden Kamm verfingen. Sein Körper wirkte seltsam geschrumpft. Noch am Vortag war er stolz wie ein preisgekrönter Hahn aufgetreten, die Brust herausgereckt, ein aufrechter, starker Mann. Davon war nichts mehr übrig. Sein schwammiger, aufgedunsener Leib bot dem Betrachter ein jammervolles Bild. Das Alter und der Alkohol hatten ihre Spuren hinterlassen. Es stank. Säuerlich, nach altem Schweiß, Erbrochenem, Angst und Tod.

Und nach Genugtuung.

Kapitel eins

Auf gar keinen Fall

Einige Tage vor dem Mord arbeitete Lena wie üblich in ihrem kleinen Café. Sie bereitete routiniert zwei Cappuccini und einen Latte Macchiato zu, legte Schinkencroissants mit einer türkisfarbenen Serviette (die zum Hauptfarbthema ihres Cafés passte) auf einen Teller und drängelte sich an Yvonne vorbei, die in den letzten Wochen zum Thekengargoyle mutiert war. Leider konnte sie im Gegensatz zu den steinernen Wächtern sprechen.

»Lena, bitte komm mit. Du musst auch mal raus hier«, quengelte Yvonne gerade.

»Nope, ich arbeite. Hast du nicht noch irgendwas zu tun?«, fragte Lena im Vorbeigehen.

Nachdem sie die Bestellungen serviert hatte, schäkerte sie ungewöhnlich ausdauernd mit den Gästen, wischte die Tische so exakt ab, als leide sie unter einem Putzzwang, und nahm auf dem Rückweg leeres Geschirr mit, das sie im Gegensatz zu sonst mit großer Sorgfalt vorher passgenau stapelte. Als sie zurückkam, saß Yvonne zu ihrer Enttäuschung immer noch an der Theke und Lena stöhnte aus tiefstem Herzen. Mist, ihr Plan war nicht aufgegangen. Gargoyles bewegten sich eben nicht so oft. Lena ließ das Geschirr klappernd in die Spüle fallen.

Yvonne verzog schmollend ihren grellpinken Mund.

»Biiitte, Lena. Sei doch nicht so! Komm mit! Wir werden total viel Spaß haben, wir sind doch beste Freundinnen.«

»Pfff! Das wüsste ich wohl.« Lena schnaubte nur und riss die Spülmaschine auf, deren heißer Dampf ihr unangenehm ins Gesicht stieg. Die Frau machte sie noch ganz kirre.

Sie war einfach eine Plage. Seit dem schrecklichen Tod der Polizistin Marion hatte Yvonne sie, Lena, aus für Lena völlig unverständlichen Gründen zu ihrer besten Freundin auserkoren. Was angesichts der Tatsache, dass es kaum zwei unterschiedlichere Frauen als die verwöhnte Barbieimitation Yvonne und die bodenständige Lena gab, recht seltsam erschien. Damit hätte Lena sich gerade noch arrangieren können. Leider schien Yvonne darüber hinaus das Gefühl zu haben, Lenas siamesischer Zwilling zu sein. Seit Wochen hing sie von morgens bis abends bei ihr im Café herum. Zuvor hatte Yvonne ihre mannigfaltige Freizeit beim Kosmetiker, Friseur, Shoppen oder im Tennisverein verbracht und über das Café mit den kunterbunten Kissen auf alten Stühlen und der dort ein- und ausgehenden Normalokundschaft nur die Nase gerümpft. Schon mittags hatte sie bei Luigi, dem besten und einzigen Italiener vor Ort, versucht, ihre Langeweile mit Prosecco zu vertreiben oder war auf der Jagd nach ihrem untreuen Ehemann Hugo gewesen, der sich auf der Flucht vor ihr gerne in Lenas Café versteckt hatte. Nun war Hugo nicht mehr da und Yvonne mied die Tennisdamen, die sie nach den wilden Ereignissen um den Mord an Marion scheel ansahen.

Jetzt auf einmal waren Lena und ihr Café gut genug für sie.

Blöd nur, dass diese sich eher wie Hugo fühlte und am liebsten vor der nervigen, stets angesäuselten Yvonne flüchten wollte. Sie passte definitiv nicht in Lenas Lieblingsmenschkategorie.

Yvonne war groß und schlank, hatte eine wilde, mit hellblonden Strähnchen durchzogene Lockenmähne und allein ihre Designerjeans kostete vermutlich mehr, als Lena in der Woche verdiente. Man wusste bei ihrem Anblick nicht genau, ob Farrah Fawcett oder Barbie vor einem stand. Yvonne stammte aus reichem Haus und hatte noch nie in ihrem Leben gearbeitet.

Lena hingegen war lediglich mittelgroß, hatte mäßiges Übergewicht, das ihr aber gut stand, wie sie selbst beschlossen hatte, und dunkle Locken, die sie meist zu einem Pferdeschwanz band. Lenas Standardoutfit waren Jeans und weiße Bluse, je nach Saison mit langen oder kurzen Ärmeln, zusammen mit den großen, goldenen Creolen, die ihr ihre Oma zur Konfirmation geschenkt hatte. Damit war man immer gut gekleidet und man ersparte sich morgendliche »Oh Gott, was zieh ich nur an«-Dramen, um sich auf wesentlichere Dinge wie die Arbeit zu konzentrieren.

»Vielleicht suchst du dir eine Arbeit?«, schlug Lena bei dem Gedanken vor.

Yvonne riss ihre Augen auf.

»Wozu das denn? Meinst du, ich könnte da jemanden kennenlernen?« Sie zog nachdenklich die Stirn kraus. »Ich habe mal gelesen, dass sich die meisten Menschen auf der Arbeit kennenlernen. Aber ich kann ja nichts.« Yvonne schaute sich im Café um. »Ich könnte natürlich hier arbeiten, allerdings bin ich doch sowieso immer hier.«

Lena verdrehte die Augen.

Logisch, um hier zu arbeiten, musste man natürlich nichts können.

Sie selbst hatte gefühlt schon immer in ihrem Leben gearbeitet. Als Kind besserte sie in den Weinbergen der Pfalz ihr Taschengeld beim Traubenlesen auf oder sammelte Kastanien, um sie bei der örtlichen Kräuterfirma zu verkaufen. Während der Gymnasialzeit schuftete sie fast jeden Sommer bei über 30 Grad Hitze auf den Feldern ebendieser Firma. So wunderbar ein Feld voller orangener Ringelblumen auch am frühen Morgen in der aufgehenden Sonne leuchtete, spätestens, wenn der Körper mit Schweiß, Pflanzen- und Insektenresten verklebt, der Mund ausgetrocknet und der Rücken krumm war, interessierte die Optik nur noch peripher. Direkt nach dem Abi hatte Lena angefangen, in dem Bistro ihres späteren Mannes und jetzigen Ex-Mannes zu arbeiten. Lena kannte so was wie Urlaub oder Langeweile nicht wirklich und hatte wenig Verständnis für Yvonne.

Am schlimmsten fand sie, dass Yvonne weder über Humor noch irgendwelche Interessen außer Männer, Mode, Mode und Männer zu verfügen schien.

Wenn es Lenas knapp bemessene Zeit zuließ, begeisterte sie sich für ihren Garten und Nahrungsmittel in jeglicher Form, vor allem Kuchen, Kuchen und eventuell auch Kekse. Backen war eine Leidenschaft für sie. Und Klatsch. Aufgrund ihrer legendären Neugierde hatte sie mehr oder weniger aus Versehen sogar einen Mord aufgeklärt.

Im Mittelpunkt ihres Lebens stand jedoch ihre Familie. Ihr Sohn Florian und seine zehn Monate alte Tochter Naomi, die seit Kurzem bei ihr lebten. Und natürlich ihr heißgeliebter Kater Misti, der von seiner Vorbesitzerin ungerechterweise Mistvieh genannt worden war. Allerdings schien Flori, gegen den Misti eine Abneigung entwickelt hatte (Revierkampf unter Männern?), ihn ebenfalls für ein solches zu halten, zerfetzte der Kater doch mit Vorliebe dessen Besitztümer.

Die einzige Gemeinsamkeit der beiden Frauen bestand darin, dass sie beide Singles Anfang vierzig und die Kinder schon aus dem Haus waren. Wobei Lenas Sohn Florian ja gerade mit Naomi wieder bei ihr eingezogen war.

Lena fand, dass sie damit genug um die Ohren hatte. So als Oma, Mutter, Cafébesitzerin, Hobbydetektivin und Kuchenbäckerin. Sie brauchte nicht auch noch eine nervtötende Klette um sich herum.

Kurz entschlossen nahm Lena die Proseccoflasche von der Theke.

»Du trinkst zu viel. Bis um fünf gebe ich dir nichts mehr. Wir sind hier ein Café und keine Kneipe.«

Yvonne rutschte vom Barhocker und schaute Lena dabei mit großen, traurigen Hundeaugen an.

Tschacka, dachte Lena. Wieso bin ich da nicht eher darauf gekommen? Nun wird sie sich beleidigt zu Luigi schleppen und ich bin sie endlich los.

Stattdessen trat ein wenig Pipi aus Yvonnes Augen. Leicht schwankend rutschte sie von ihrem Barhocker und warf sich Lena um den Hals. Dabei weinte sie ihr auf die Schulter. Bähh! Es fühlte sich fast an wie ein Spuckfleck von Naomi. Mit dem Unterschied, dass Naomi unglaublich zuckersüß war und Yvonne … na ja.

»Du bist eine wahre Freundin. Du machst dir Sorgen um mich. Das ist so süß. Ich nehme einen Espresso.«

Angeekelt wand Lena sich aus der Umarmung, dirigierte Yvonne zurück auf den Barhocker und machte ihr resigniert den gewünschten Espresso. Yvonne war ihr einfach über.

Lotti und Ava, zwei freche Siebzig-plus-Damen und Stammgäste in Lenas Café, beobachteten das Ganze vom Personaltisch aus.

»Ja, unsere Lena ist eine ganz Liebe«, spottete Lotti, die Lena durchschaut hatte, und verschluckte sich fast vor Lachen.

Yvonne warf einen bösen Blick auf die Damen, die in der Nähe der Theke ihr übliches zweites Frühstück mit Kaffee und belegten Croissants einnahmen. Sie murmelte: »Wo ist eigentlich Hilde? Seid ihr heute nur ein dementes Duo? An eurer Stelle würde ich raffinierte Fette meiden, die machen es nicht besser.«

»Raffiniert ist nicht so deins, schon klar«, konterte Lotti, überzeugte Anhängerin akkurat gebügelter Blümchenblusen und selbst genähter Gummizughosen. Dabei musterte sie Yvonne mit zusammengekniffenen Augen.

Lena war unklar, ob Lotti einfach nur genervt von Yvonne war, schließlich hörte sie auch schon seit Wochen deren Gejammer, oder ob Yvonnes strahlende Erscheinung sie blendete.

Wenn man geschätzt ein Kilo Diamanten an jeglichen nur vorstellbaren Körperstellen trug, sorgte dies zusammen mit Yvonnes Lieblingsfarbe Pink selbst an grauen Herbsttagen für die Sehnsucht nach einer Sonnenbrille.

Wie eine lästige Fliege versuchte Lena die dabei aufkommende Frage, ob Yvonne wirklich an ALLEN, auch nicht sichtbaren Stellen glitzerte, zu verscheuchen.

Ein kurzes Bedürfnis nach Grappa stieg in ihr auf, als sich die Frage zu einem Bild zu verdichten begann.

Energisch schüttelte Lena den Kopf.

Nein, Yvonne würde es nicht schaffen, Lena zum Trinken zu animieren. Und schon gar nicht zum Achtsamkeitskurs.

Das hatte sie, Lena, gar nicht nötig. Sie musste sich nur zusammen mit Misti in eine dicke Wolldecke eingekuschelt unter den Apfelbaum im Garten legen, den Vögeln lauschen, die frische Herbstluft über ihr Gesicht streicheln lassen …

»Lena, bitte«, riss Yvonnes Stimme sie aus ihren Gedanken.

Lena widmete sich konzentriert dem Polieren eines Weinglases, das sie aus der Spülmaschine geholt hatte. Sie hielt es kontrollierend ins Licht. Wie schön es glitzerte.

Ach nein, das war nur Yvonne, die sich Lena in den Weg gestellt hatte.

»Der Kurs soll ganz toll sein. Der schöne Hans leitet ihn, er ist ein regelrechter Guru. Bitte.«

»Der schöne Hans?«, fragte Lena. »Echt jetzt? Das ist also der Grund, weshalb du da hin willst.«

»Ich kann doch auch nichts dafür, dass ihn alle so nennen. Er sieht voll gut aus …«

Lena versuchte Yvonnes Stimme mit dem Murmeln der Gäste zu einem Gesamtrauschen zu verschmelzen. Das war gar nicht so einfach. Ob Achtsamkeit gegen das Gejammer im Ohr half?

Lena machte sich einen Cappuccino. Sie kostete in voller Achtsamkeit den Kontrast des cremigen Milchschaumes mit sanfter Schokonote zum leicht bitteren heißen Kaffee. Die Stimme quakte weiter.

Wie war das noch mal auf ihrer Achtsamkeits-CD? Umgang mit Widerwillen, hieß ein Kapitel. Lena empfand gerade ausgesprochen intensiven Widerwillen.

»Wenden Sie sich dem Gefühl des Widerwillens zu. Wir alle neigen dazu, die Quelle dieses Gefühls vermeiden zu wollen. Nun üben Sie, sich dem Gefühl in voller Achtsamkeit zu widmen. Betrachten Sie es so genau wie möglich mit dem Geist eines Forschers. Beobachten Sie es, ohne jegliche Bewertung. Spüren Sie jeder Veränderung nach. Wird der Widerwillen größer, kleiner …«

»Lena, du hörst mir gar nicht zu. Weißt du, es ist total wichtig …«

Definitiv größer, dachte Lena betrübt und erwog noch mal die Sache mit dem Grappa. Das mit dem Widerwillen musste sie wohl noch üben. Oder sie zog Yvonne früher oder später eins über den Schädel. Vielleicht mit dem Sektkühler. Sie musterte ihn interessiert.

Ava hatte sich vom Personaltisch erhoben und Lenas Blick aufgefangen. Sie grinste schadenfroh und verabschiedete sich von Lena mit einer herzlichen Umarmung, Luftküsschen links und rechts und affektiertem »Ciao, Ciao, Lenaschatz«. Lotti war ebenfalls aufgestanden und ahmte Avas ungewöhnlichen Abgang grinsend nach. Lena schüttelte den Kopf. Von wegen altersweise, alberner als ViertklässlerInnen waren diese beiden, dachte Lena, als die Damen kichernd das Lokal verließen.

Außer Lotti und Ava gehörte Hilde zum »dementen Trio«. Die »Dorfhexe« verkaufte Kräutertees, besprach Warzen und legte Karten. Die drei Damen waren natürlich nicht im Geringsten dement, sondern ziemlich plietsch und hatten bei der Aufklärung des Mordes an der Polizistin Marion eifrig mitermittelt. Aber nachdem der gemeine Spitzname »dementes Trio« erst einmal vom spitzzüngigen Hugo, Yvonnes Ex, eingeführt war, wurden sie ihn nicht mehr los.

Genauso wenig wie Lena sich gegen das ständige »Lenaschatz« zur Wehr setzen konnte, das sich im Café eingebürgert hatte. Die bescheuerte Anrede war zudem damit verbunden, dass danach irgendetwas Nerviges von ihr verlangt wurde. Wie zum Beispiel »Lenaschatz, mach mir doch mal einen Latte Macchiato, aber koffeinfrei und mit Mandelmilch, ach was, mach halb Mandel, halb lactosefrei. Ich will mir heute mal was gönnen.« Nicht nur anstrengende Extrawurstler, einfach jeder schien sie so zu nennen. Auch das war Hugo zu verdanken.

Die norddeutsche Kleinstadt, in der das Café lag, hatte außer ihrer hübschen Altstadt und trotz ihrer Nähe zu Hamburg und Lübeck für Touristen wenig zu bieten. Das Publikum bestand hauptsächlich aus Stammkunden, weshalb man sich in der Regel auch duzte. Lena hatte sich so daran gewöhnt, dass sie manchmal sogar vergaß zu reagieren, wenn sie mit »Frau Häuser« oder gar »Fräulein« angesprochen wurde.

Yvonne setzte sich Lena, die es ausnutzen wollte, dass gerade nicht so viel los war und sich mit ihrem Cappuccino am Personaltisch direkt hinter der Theke niedergelassen hatte, gegenüber und starrte sie mit großen wässrigen Augen an.

»Bitte, Lenaschatz, komm mit mir zum Achtsamkeitskurs. Wir müssen auch nichts bezahlen, Papa ist finanziell an der Schule beteiligt und hat Freikurse. Bitte, Lena, es würde uns beiden nach dem ganzen Stress wegen der blöden Marion echt guttun.«

Eine Ermordete als blöde Marion zu bezeichnen, fand Lena etwas krass, aber sie musste zugegeben, dass Marion ein ziemliches Biest gewesen war.

Auch Lena war nach den aufregenden Ereignissen im Sommer fix und fertig, zumal ihr Café Mittelpunkt der Ereignisse und sie eine der Hauptverdächtigen und in Lebensgefahr gewesen war.

Gerade als Lena, das »demente Trio«, Misti und Kriminalhauptkommissar Kimmel ihren Ermittlungserfolg bei Dampfnudeln und Butterkuchen feierten, stand Florian überraschend vor Lenas Tür. Zusammen mit Baby Naomi, von dem Lena vorher nichts gewusst hatte. So überglücklich Lena zunächst wegen Florian und ihrer Enkelin gewesen war, war das Zusammenleben im winzigen Reihenhaus nicht immer einfach. Ja, ihr Leben war in der Tat aufregend und stressig. Genau deshalb würde sie in ihrer knapp bemessenen Freizeit gewiss keinen Kurs mit Yvonne zusammen besuchen. Auf gar keinen Fall!

Lena kippte ihren Cappuccino, stand auf und antwortete Yvonne kurz angebunden und sehr entschieden.

»Das mache ich nie im Leben!«

Na ja, Irren ist menschlich.

Kapitel zwei

Hier tobt das Chaos

Der Volvofahrer hinter Lena hupte ungeduldig. Lena zuckte nur nonchalant mit den Schultern und zockelte weiter im vorgeschriebenen Tempo 30. Zugegeben, die Geschwindigkeitsbeschränkung vor der Schule galt nach 18.00 Uhr nicht mehr, aber Lena hatte Zeit.

Vor allem seit Naomi zahnte, war sie die Ruhe in Person. Zumindest im Auto. So wie sie sich nach der Trennung daran gewöhnen musste, allein zu leben, war es nun eine Umstellung, zu dritt zu sein. Und daran, dass Babys so ausdauernd und laut schreien konnten, erinnerte sie sich nur noch vage. Im Grunde war der Weg zum Café und zurück die einzige Zeit am Tag, wo ihre Ohren sich von all dem Geschrei und Gejammer erholen konnten. Lena verlangsamte bei diesen Gedanken auf 27 km/h und der Volvofahrer überholte sie mit quietschenden Reifen.

Ja, ja, dachte Lena. Geduld is’n goot Kruut, dat wasst man nich in jeedeen Hoff.1 Dann musste sie kichern. Sie verbrachte eindeutig zu viel Zeit mit Lotti und ihren Sprichwörtern. Lotti war für Lena trotz des großen Altersunterschiedes eine liebe Freundin. Sie war herzensgut und hatte Lena über manch schwere Zeit hinweggeholfen.

Wenn Lena daran dachte, wie Florian vor Wochen einfach vor ihrer Tür gestanden hatte, mit der kleinen Naomi im Tragetuch, kamen ihr immer noch Tränen der Rührung. Es war ihr wie ein Wunder erschienen. Leider war Naomis Mutter bei der Geburt verstorben. Florian war so fertig und mit allem überfordert gewesen, dass er sich kaum noch bei Lena gemeldet hatte. Er war damals in tiefer Trauer gewesen, hatte ein Baby zu versorgen und einiges an Bürokratie zu erledigen, um das Sorgerecht für seine Tochter zu erhalten. All das hatte er nicht am Telefon erzählen wollen und können, sodass Lena – völlig ahnungslos über seine Situation – sich tief verletzt fühlte, dass er sich so selten meldete.

Lena musste sich selbst durch eine harte Zeit beißen. Es war Schlag auf Schlag gekommen. Erst war ihre Mutter von einem Tag auf den anderen verstorben und sie hatte ihr geliebtes Elternhaus verkaufen müssen. Fast direkt im Anschluss hatte sich ihr Mann für eine neue, deutlich jüngere Frau von ihr getrennt und sie zum Auszug aus dem gemeinsamen Haus gedrängt. Ihr einziges Kind Florian war zeitgleich ins Ausland geflüchtet. Lena hatte sich von allen verlassen, allein und im Stich gelassen gefühlt. So ergriff sie ihrerseits die Flucht aus ihrer Heimat Pfalz, um im Norden mit einem eigenen Café neu anzufangen. Sie wollte sich und ihr eigenes Leben neu erfinden. Stattdessen war Corona gekommen und sie hätte fast Bankrott gemacht. Dann wurde sie auch noch des Mordes an der Polizistin Marion beschuldigt.

Als Florian und Naomi in ihr kleines Reihenhaus zogen, war Lena zunächst überglücklich. Doch nun, Wochen später, bröckelte das Glück. Vielleicht hatte Yvonne doch recht und es war auch für Lena alles zu viel gewesen. Möglicherweise würde ihr eine Auszeit guttun. Im Grunde hatte sie nie ihre Ruhe. Entweder sie arbeitete im Café oder sie räumte zu Hause hinter Flori und dem Baby auf. So lieb sie die beiden auch hatte, Lena fand das Zusammenleben anstrengend.

Berge von Wäsche und Windeln besetzten Sofa, Sessel und Tische, es war nie Ruhe und Misti, ihr Kater, war alles andere als begeistert über die Veränderungen. Er hatte sich ein neues Hobby zugelegt. Florian ärgern. Misti schien sich das Ziel gesetzt zu haben, möglichst viele Kleidungstücke von Florian, die dieser überall herumliegen ließ, zu zerfetzen oder als Katertoilette zu verwenden. Seltsamerweise war ausschließlich Florians Kleidung betroffen. Misti kratzte Flori auch gerne mal oder fauchte ihn an, während er zu Lena und Naomi ein Schmusekater wie aus dem Bilderbuch war.

Lena seufzte. Sie zockelte so langsam wie möglich die wenigen Kilometer, die ihr kleines Reihenhaus vom Café entfernt war, nach Hause.

»Achtsamkeit, Lena, konzentrier dich auf das Hier und Jetzt und nicht auf deine negativen Gedanken«, wies sie sich selbst zurecht und versuchte, die Umgebung bewusster wahrzunehmen. In der schweren Zeit, die hinter ihr lag, hatte sie angefangen zu meditieren.

Es war Anfang Oktober. Ein ungewöhnlich warmer Oktober mit Temperaturen um die 20 Grad. In den Vorgärten vor den rot geklinkerten Häusern, die die Straße säumten, blühte es noch spätsommerlich. Rosen, Astern, Dahlien, sogar ein paar Stockrosen strahlten in der warmen Sonne des Frühherbstes, während sich gleichzeitig schon die Blätter an den Bäumen bunt färbten. Noch waren Wildgänse in den Wiesen zu entdecken, aber sie sammelten sich immer öfter laut schnatternd in großen Schwärmen in der Luft. Karamellfarbene Galloways, die aussahen wie riesige Plüschtiere, standen im hohen Gras und kauten zufrieden vor sich hin.

Die Wahrnehmung der friedlichen Landschaft legte sich beruhigend auf Lenas Geist. Zu Hause angekommen, freute sie sich auf ihre kleine Familie.

Sie schloss die Haustüre auf und mehrere Dinge passierten gleichzeitig.

Ein dicker, roter Fellball schrie »MRAUUUUU« und schoss aus der Tür heraus, sobald diese einen Spalt geöffnet war, und ein wütend schreiender Florian lief ihm mit puterrotem Gesicht in Unterhose hinterher.

»Du Mistvieh, du hast auf meine saubere Wäsche gepiescht. Warte nur, wenn ich dich erwische!«

Der Kater sprang über die Mülltonnen auf das Dach vom Fahrradunterstand, setzte sich dort scheinbar tiefententspannt hin, ignorierte den schimpfenden Florian und fing an, sich zu putzen.

»Du glaubst wohl, du bist da sicher? Aber nicht mit mir.«

Florian setzte an, ebenfalls auf die Mülltonnen zu klettern.

Aus dem Haus ertönte lautes Geheule von Naomi, die offenbar gerade aus ihrem Schlaf aufgewacht war.

Lena hielt Flori, der leicht bekleidet vor ihren Mülltonnen stand, am Arm fest.

»He, geht’s noch? Du kletterst hier nicht auf den wackeligen Mülltonnen herum. Und dann auch noch in Unterwäsche. Was soll denn das? Du erwischst ihn ja doch nicht. Zieh dir lieber was an und kümmre dich um Naomi!«

Ärgerlich schüttelte Flori Lenas Hand ab.

»Ich würde mir ja gerne was anziehen, aber dein Mistvieh hat auf meine frisch gewaschene Jeans gemacht. Er hasst mich, ständig macht er auf meine Sachen. Wenn ich den erwische.«

Lena stöhnte und ignorierte ihren Sohn ebenso wie den Kater, der zufrieden auf seinen besiegten Widersacher herunterzugrinsen schien.

Das waren noch Zeiten, als der Kater und sie allein gewesen waren. Wehmütig dachte Lena daran, wie er, sobald sie die Haustür aufgeschlossen hatte, sich freudig um ihre Beine geschlängelt und sie schnurrend begrüßt hatte. Um dann nach einer kräftigen Mahlzeit einträchtig zusammengekuschelt auf dem Sofa zu liegen. Die Ruhe zu genießen.

Lena seufzte. Vielleicht war wenigstens das Essen fertig. Sie hatte Flori bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass er sich ruhig an der Hausarbeit beteiligen dürfte. Sie war schließlich kein Hotel Mama und würde sich nach der Arbeit über eine anständige, selbst zubereitete Mahlzeit freuen. Wobei sie mit selbst zubereitet nicht sich, Lena, meinte.

Erwartungsvoll schnuppernd betrat sie das Haus. Aber alles, was sie riechen konnte, war ein Haufen überquellender Windeln, die sich aus dem Windeleimer drückten, und Katzenpipi, das sich über einen Stapel Wäsche auf dem Stubentisch verteilt hatte.

»Igitt«, Lena musste würgen, so stank es in der Stube.

Sie hielt sich mit der einen Hand die Nase zu, während sie mit der anderen rasch die Terrassentür öffnete.

»Frische Luft, Gott sei Dank«, Lena nahm einen tiefen Atemzug und schaute in den Garten. Erste Äpfel waren vom Baum gefallen und faulten vor sich hin, der Rasen musste dringend gemäht und die vertrockneten Blütenstände in den Blumenrabatten zurückgeschnitten werden.

»Tss, tss, tsss. Schrecklich, schrecklich!«, machte es da im Nachbargarten und eine Rosenschere klapperte dazu.

»Moin, Frau Nolde!« Auch das noch. Lena musterte entnervt die spitze Nase hinter der schon leicht gelichteten Buchenhecke. Viel mehr konnte sie von Frau Nolde, die gefühlt immer hinter irgendwelchen Rosenbüschen oder Hecken lauerte, nicht sehen. Frau Nolde hörte man mehr, als dass man sie sah. Man erkannte sie an ihrem ständigen, echt ekligen Zungengeschnalze und Scherengeklapper. Ein Wunder, dass der Garten der Nachbarin nicht völlig kahl war. Aber diese schien nur winzige Stellen, die außer ihr selbst kein anderer erkennen konnte, wegzuschneiden. Auf jeden Fall sah ihr Garten immer perfekt aus und ihre Rosen waren eine einzige Blütenpracht.

»Guten Tag, Frau Lena«, grüßte die alte Nachbarin, die sich nicht zum Du entschließen konnte und sich für einen Kompromiss zwischen Sie und Vornamen entschieden hatte.

»Ich möchte ja nichts sagen, aber Ihr Garten, nein also wirklich, Ihr Garten sieht einfach schrecklich aus. Ganz schrecklich!« Frau Nolde schnalzte wild und sichtlich empört.

Lena war hin- und hergerissen zwischen Ärger und Resignation. Es ging Frau Nolde zwar nichts an, aber leider hatte sie recht.

»Ich weiß, Frau Nolde, ich weiß. Ich hoffe, ich habe am Wochenende Zeit für den Garten.«

Wie ein Vogelschnabel drückte sich die spitze Nase durch die Hecke, gefolgt von einem faltigen Gesicht mit grauen Löckchen und grauen Augen. Diese sahen Lena über die Lesebrille erstaunlich mitfühlend an.

»Frau Lena, ich will ja nichts sagen, aber sollte das nicht der junge Mann machen? Sie arbeiten doch schon jeden Tag im Café.«

Lena stiegen die Tränen in die Augen. Sie war sprachlos. Sogar die alte Nolde hatte Verständnis für sie, nicht zu fassen. Während ihr eigener Sohn …

Sie konnte nicht sprechen und nickte Frau Nolde nur rasch zu und ging zurück in die Stube. Je eher daran, desto eher davon. Sie atmete tief durch. Dann schnappte sie sich den Wäschestapel und drückte ihn zurück in die Waschmaschine, aus der er vor Kurzem gekommen war. Auf dem Weg dorthin sammelte sie noch Spucktücher und Kleidungsstücke von Naomi ein, stopfte sie dazu und stellte die Maschine an.

Danach brachte sie den Windeleimer raus, säuberte rasch den käseverkrusteten Ofen, schob eine Lasagne aus dem Tiefkühler rein, putzte in Windeseile einen passenden Salat, räumte das herumstehende Geschirr in die Spülmaschine, wischte die Arbeitsflächen ab und deckte den Tisch.

Florian hatte es in der Zwischenzeit geschafft, Naomi neu zu wickeln und ihr ein Fläschchen zu geben. Er fischte eine schmutzige Jeans aus dem Wäschekorb, zog sie an und kam mit dem zufrieden strahlenden Baby auf dem Arm in die Küche. Naomi starrte Lena mit ihren bernsteinfarbenen Kulleraugen unter den leicht schwitzigen dunklen Locken an und quietsche entzückt, als diese ihr ein Begrüßungsküsschen gab. Lenas Herz ging auf. Mit ihrer karamellfarbenen Haut und den Pausbäckchen war sie wirklich ein Wonneproppen. Aber sie wäre auch vor Liebe fast explodiert, wenn Naomi ein Hängeauge und Warzen im Gesicht gehabt hätte. Naomi war zusammen mit der Rückkehr des Sohnes ein Geschenk, für das Lena jeden Tag dankbar war. Wenn sie nicht gerade vor Wut über den Saustall, den die beiden generierten, platzte.

Naomi streckte ihre kleinen, dicken Babyärmchen aus und Flori drückte sie Lena in den Arm.

»Sorry, Mom, ich will noch schnell zum Tennis. Ich komme ja nie raus hier. Ich esse dann mit Henning im Verein. Du brauchst nicht für mich zu decken. Ich nehme dein Auto, okay?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, gab er ihr und dem Baby ein Küsschen, schnappte sich den Autoschlüssel und verschwand.

Lena setze Naomi in den Babystuhl am Tisch und gab ihr einen Kochlöffel, mit dem sie auf dem Tisch herumhauen konnte, wenn sie nicht gerade an dessen Stiel herumnagte, um gegen den Zahnungsschmerz anzuarbeiten.

Lena hätte jetzt auch gerne auf etwas gebissen oder herumgehauen. Ihr Herr Sohn hatte sie doch nicht mehr alle! Wieso schaffte sie es in einer knappen halben Stunde, hier einigermaßen klar Schiff zu machen, und er, der den ganzen Tag Zeit hatte, hinterließ das reinste Chaos?

Nein, so konnte es nicht weitergehen, bei aller Liebe. Wenn sogar schon die alte Nolde anfing, mit ihrem »Ich will ja nichts sagen, aber …« und Mitleid mit ihr hatte, lief etwas gründlich schief.

»MRAUUU?«, ein dicker Katerkopf drückte sich an das Küchenfenster.

Lena stand seufzend auf und öffnete ihm die Tür. Nun war es genauso, wie Lena und Misti es sich gewünscht hatten. Es war ruhig und ordentlich, der Kater begrüßte Lena, drückte sich an ihre Beine und schnurrte. Lena streichelte ausgiebig sein seidiges Fell und füllte seine Futternäpfe auf. Ein wenig später saßen die drei zufrieden essend in der Küche. Misti schmatzte lautstark Thunfischbröckchen, Lena langte bei Lasagne und Salat zu und Naomi nagte sabbernd an einem Babykeks.

Nachdem sie Naomi ins Bettchen gebracht hatte, brabbelte diese noch lange vor sich hin und schreckte immer wieder schreiend aus dem Schlaf auf. Endlich war sie eingeschlafen und Lena zog sich eine dicke Jacke über, setzte sich mit einem Glas Wein und Misti auf ihrem Schoß auf die Terrasse und wartete auf ihren Sohn. Sie hatte ihm einiges zu sagen.

Kapitel drei

Achtsamkeit am Morgen

Ein paar Tage später klingelte es an der Haustür.

»Komme gleich!«, rief Lena durch die geschlossene Tür. Sie balancierte gerade im Flur auf einem Bein, um sich in ihre neue Yogahose zu quetschen, die komischerweise nicht einmal ansatzweise so weit war wie auf der Abbildung im Internet. Sie schaffte es mit Mühe und Not, nicht umzufallen, und schnappte sich eine kleine Sporttasche, in die sie neben einer großen Decke, ein paar belegte Brote und eine Wasserflasche gepackt hatte.

Schnell hob sie Naomi aus ihrem Laufstall, in welchem sie das Baby zur eigenen Sicherheit hin und wieder kurz parkte, nahm es auf den Arm und ging zur Haustür.

»Moin, Lena!« Hilde, ein Teil des »dementen Trios« und »Kräuterhexe« der Kleinstadt, stand vor der Tür. Naomi gluckste erfreut und streckte ihre kleinen dicken Ärmchen aus. Lena drückte sie Hilde, die eine lila Stoffhose zu einem bunt gestreiften, selbst gestrickten Pullover trug, dessen Farben sich sowohl mit der Hose als auch ihren hennaorangenen Haaren bissen, in den Arm. Hilde strahlte. In Sekundenschnelle waren die beiden in der Stube verschwunden.

»Na, meine Kleine, wollen wir einen riesengroßen Turm bauen und zusammenkrachen lassen?«

Naomi nickte heftig und kurze Zeit später hockten die beiden einträchtig vor der ausgekippten Spielzeugkiste, während Lena sie von der Tür aus beobachtete.

»Hilde, ich habe dir einen Zettel hingelegt, wann und was die Kleine isst und wann sie schläft.«

»Alles klar, kriegen wir hin. Ich habe schließlich drei Kinder und vier Enkelkinder großgezogen. Wir schaffen das. Zur Not rufe ich an. Du hast dein Handy ja dabei und Florian genauso.«

Unschlüssig stand Lena noch einen Moment in der Tür. Es war ein komisches Gefühl, weder ins Café zu gehen, denn dort hatte sie ihren Sohn eingespannt, noch auf Naomi aufpassen zu müssen. Sie hatte in der Tat das erste Mal seit Wochen frei.

Das Gespräch mit Florian einige Abende zuvor war überraschend gut verlaufen. Auch er war mit der Situation, immer mit dem Baby zu Hause rumzuhängen, unzufrieden gewesen. Schnell hatten sie sich geeinigt, dass er einige Schichten im Café übernehmen sollte, bis er sich für ein Studium entscheiden könnte. Seitdem er 16 Jahre alt war, hatte er im Bistro seines Vaters, Lenas Ex-Mann, gejobbt und es war leicht gewesen, ihn in die Arbeit im Café einzuweisen. Hilde, die schon immer gerne auf ihre Enkel oder Tageskinder aufgepasst hatte, hatte zugesagt, ab und zu bei Naomi einzuhüten. So kam es, dass Lena frei hatte und mit Ava und Yvonne zu dem Achtsamkeitskurs gehen konnte.

Lena warf noch einen Blick auf das ins Spiel vertiefte ungleiche Paar am Boden, dessen Turm gerade krachend zusammenfiel, winkte ihnen fröhlich zu, schnappte ihre Sporttasche und verließ das Haus.

Vor dem Haus wartete schon der viel zu große weiße SUV von Yvonne.

Ava saß auf dem Beifahrersitz. Sie hatte ihr dunkelbraun gefärbtes Haar zum eleganten Dutt hochgesteckt, trug die üblichen Perlenohrringe und leichtes Make-up und war in vornehmes Beige gehüllt. Sie hob sich krass von der mit glitzernden Diamanten behängten Yvonne im grellpinken Yogaanzug ab. Lena hatte sie mal spaßeshalber gefragt, wieso sie eigentlich kein pinkes Auto fahren würde, und Yvonne hatte sehr bedauernd geantwortet, dass es dieses Model leider nicht in Pink gäbe und ihr Vater es nicht eingesehen hätte, eine Umlackierung für ein nagelneues Auto zu finanzieren. Auch wenn Yvonne genug eigenes Geld von ihrer Mutter geerbt hatte, zog sie es selbst mit Anfang 40 vor, sich vom Vater finanzieren zu lassen.

»Moin, ihr beiden«, grüßte Lena beim Einsteigen.

»Moinsen«, antwortete die 72-jährige Ava kurz angebunden und offensichtlich schlecht gelaunt.

»Moin, Lena. Ist das nicht aufregend? Ich freue mich schon so auf den Kurs. Hast du meinen neuen Yogaanzug gesehen? Ein echtes Designerstück. Ist er nicht toll? Ich bin stundenlang durch Hamburg gelaufen, bis ich ihn endlich entdeckt habe. Es war nicht so einfach, etwas zu finden, das mir entspricht …«

Yvonne plapperte wie ein Wasserfall, Ava verdrehte genervt die Augen und Lena kicherte in sich hinein. Sie glaubte sofort, dass es selbst in Hamburg nicht viele extrem geschmacklose, pinke, glitzernde und teure Yogaklamotten gab. Aber Chapeau! Yvonne hatte das vermutlich einzige Exemplar dieser Sorte, das in der Lage war, jeden, der sie betrachtete, zum Erblinden zu bringen, ergattert. Und falls doch noch ein Rest Augenlicht erhalten blieb, hatte Yvonne vorsichtshalber den passenden Lippenstift und Glitzersteinchen an den nur dezent pinken Augenlidern angebracht. Yvonne war im wahrsten Sinne eine blendende Erscheinung.

Lena selbst hatte sich bei der Wahl ihrer Kleidung so, wie es in der Einladung zum Kurs empfohlen wurde, für etwas Bequemes, Unauffälliges entschieden. Wie Yvonne auf die Idee kam, mit einem Outfit zu erscheinen, das eher für einen Diskoabend auf Ibiza geeignet schien, war Lena schleierhaft. Aber so war Yvonne nun mal. Und dass sie unaufhörlich plapperte, war leider auch typisch für sie. Kein Wunder, dass Ava so genervt war, hatte sie es schließlich schon eine halbe Stunde länger ertragen. Auf der anderen Seite sollte sie sich mal nicht so haben. Lena hörte es den ganzen Tag im Café und dann war Yvonne auch noch mit Prosecco gedopt.

»… ich hoffe sehr, dass ein paar attraktive Kerle vor Ort sind. Wozu habe ich mich schließlich so in Schale geworfen? Es wird echt Zeit, dass ich über Hugo hinwegkomme. Ich habe gehört, der Kursleiter soll ein ganz schicker Typ sein. Ava, kennst du ihn zufällig?«, plapperte Yvonne weiter.

Ava lachte spöttisch.

»Den schönen Hans? Wer kennt den nicht? Der ist ganz dein Typ. Gut aussehend, charmant, ein richtiger Womanizer und genau wie dein Hugo keinen Pfifferling wert.«

»Ava, du bist immer so witzig. Er ist gut aussehend und charmant?«, fragte Yvonne aufgeregt nach. Sie merkte einfach die Einschläge nicht und ignorierte den zweiten und in Lenas Augen deutlich wichtigeren Teil der Botschaft.

Zum Glück waren sie inzwischen angekommen.

Die »Achtsamkeitsschule am Wald« lag, wie der Name schon sagte, am Rande eines Wäldchens und war früher ein kleines Forsthaus gewesen. Nun war im Erdgeschoss der weiß verputzten Villa, deren mit bunten Astern bepflanzte Blumenkästen vor den Fenstern in der Sonne strahlten, eine Achtsamkeits- und Yogaschule untergebracht, die seit einiger Zeit von Hans Hummel und Amelie Amsel betrieben wurde. Im Stockwerk darüber wohnte Hans, der Junggeselle war. Dort gab es keine Blumenkästen, die Rollläden vor den Fenstern waren sogar zum Teil noch geschlossen.

Lena hatte den schönen Hans bisher nur hin und wieder in der Stadt im Vorübergehen gesehen, er verkehrte eher im schicken Luigis.

Neben dem gepflasterten Zugang zur Eingangstür, an der ein goldenes Schild »Achtsamkeits- und Yogaschule« verkündete, waren bunte Herbstblumen gepflanzt, die Hecken waren ordentlich gestutzt und der Rasen gemäht. Lena war hin und wieder beim Spazierengehen an dem niedlichen kleinen Haus vorbeigekommen und wusste, dass es hinter dem Haus, an dem ein Waldweg vorbeiführte, ganz anders aussah. Durch die nicht gepflegte Hecke im hinteren Teil konnte man einen wild wuchernden Garten mit ungemähtem Rasen, gammelnden Liegestühlen und rostenden Pseudokunstwerken erspähen. Vorne hui, hinten pfui, dachte Lena amüsiert. Na, das kann ja interessant werden.

Kaum hatte Yvonne geklingelt, wurde ihr schon von einer 60-plus-Frau die Tür geöffnet. Ein unangenehmer Lavendelduft, der Lena an den Kleiderschrank ihrer Oma erinnerte und von dem sie Kopfschmerzen bekam, ging von ihr aus. Sie hatte wallendes, graues Lockenhaar und trug ein ebenso wallendes lila Kleid, aus dessen Riesenausschnitt gewaltige Brüste hervorwogten. Die Frau hatte zu allem Überfluss auch noch nackte Füße, deren verformte Hammerzehen mit violetten Nägeln und Glitzersteinchen verziert waren. In den Ohren funkelten lange lila Swarovskiohrringe, passend zum gleichfarbigen Lippenstift.

Mann, Mann, Mann, dachte Lena. Da stand eine Yvonne in 20 Jahren vor ihr mit ebenso vielen Kilos mehr auf den Rippen und in einer anderen Farbpalette. Sie war, was wirklich selten vorkam, sprachlos.

Ava allerdings nicht.

»Sigrun, was machst du denn hier?«, fragte sie die Frau und runzelte die Stirn.

Sigrun ließ sich davon nicht abschrecken, begrüßte jede der drei Frauen mit Luftküsschen links und rechts und verkündete begeistert, dass sie am Grundkurs in Achtsamkeit teilnehmen würde.

»Ich meditiere ja schon seit Jahren, ach was, seit Jahrzehnten. Eigentlich sollte ich eher Kurse leiten, aber wer weiß … Jetzt verbringe ich hier erst mal eine Woche Bildungsurlaub«, informierte sie die anderen überschwänglich, während sie den Weg zur Schuhablage und den Kursräumen zeigte.

»Bezahlter Sonderurlaub, schon klar«, knurrte Ava leise.

»Außerdem ist Hans soo ein wunderbarer Lehrer, da lohnt es sich auf jeden Fall. Wir sind uns ja auch privat sehr verbunden«, erzählte Sigrun fröhlich.

»Ob Hans das auch weiß? Sie ist nicht gerade sein Typ«, lästerte Ava leise, als sie sich neben Lena die Schuhe auszog.

Im dunklen Flur war ein einfaches Holzregal untergebracht mit einem Schild, das darum bat, die Schuhe im Flur zu lassen. Drei weitere Schilder waren an den jeweiligen Zugängen zu den Räumen angebracht. Nach vorne hin, auf der linken Seite, lag der Übungsraum, am Ende des Flurs wies ein Schild auf ein Büro hin und auf der rechten Seite waren Toiletten und Küche untergebracht.

Kaum hatten sie ihre Rutschesocken übergestreift, wurden sie von einer freundlichen, jungen Frau begrüßt.

Sie war klein und zierlich, hatte fluffige, halb lange, blonde Haare, die sie wie ein Heiligenschein umgaben, und große blaue Augen. Sie trug weiße Yogakleidung und sah aus wie ein Engel. Sie verneigte sich vor den Neuankömmlingen, lächelte freundlich und erklärte, dass sich jeder in der Küche noch ein Getränk nehmen oder schon im Gruppenraum Platz nehmen könne.

»Ich bin Amelie. Ich leite mit Hans zusammen die Schule und unseren heutigen Kurs.«

Lena und Ava stellten sich lächelnd vor, während Sigrun nur die Augen verdrehte und sich zur Küche hin abwandte.

Merkwürdige Person, dachte Lena und ging kopfschüttelnd in den Gruppenraum, um sich erst mal einen Platz zu sichern. Hinter der Tür öffnete sich ein heller Raum, mit großem Erkerfenster zur Frontseite des Hauses. In Kreisform lagen auf dem Holzparkettboden bunte Yogakissen, aber auch ein paar Stühle standen dort für diejenigen, die es bequemer haben wollten. An den jeweils gegenüberliegenden Seiten des Kreises verkündeten beschriftete Namensschilder auf zwei weißen Kissen, dass dies die Plätze von Hans und Amelie waren. Auf den noch nicht besetzten Kissen lagen Zettel und Stifte. Ein paar Kursteilnehmer hatten es sich schon im Raum gemütlich gemacht. Neben einem älteren Paar auf Stühlen, deren Schilder die Namen Gisela und Heiner verkündeten, saß ein junger Mann auf einem Kissen, ein Jasper offensichtlich. Alle nickten sich freundlich zu.

Lena sicherte sich einen Stuhl mit Blick aus dem Fenster, malte ihren Namen auf ein Schild, das sie auf den Stuhl legte, und ging in die Küche, in der Yvonne und Sigrun in ein lebhaftes Gespräch vertieft waren, während Ava sich eine Tasse Tee aus einer Thermoskanne eingegossen hatte, vorsichtig einen Schluck nahm und angewidert den Mund verzog.

Amelie, die das Ganze beobachtet hatte, lachte.

»Die grüne Teekanne ist für Hans. Da ist Tausendgüldenkrauttee drin. Hans schwört darauf, aber der Tee schmeckt so bitter, dass er auch mit Honig nicht wirklich trinkbar ist. Trink lieber einen Kaffee oder normalen Kräutertee aus den weißen Kannen.«

Ava schüttete den Tee in den Ausguss und entschied sich für eine Tasse Kaffee, während Lena lediglich ein Glas Wasser aus einer Karaffe trank. Amelie nahm die grüne Thermoskanne und ging damit in den Raum, der mit Büro beschriftet war. Danach kam Amelie zurück und bat alle, in den Gruppenraum zu kommen.

Zwei Plätze waren frei geblieben. Auf beiden lag ein Zettel mit dem Namen Hans. Der Kursleiter und ein Namensvetter verspäteten sich offenbar.

Amelie begrüßte die Teilnehmer freundlich und kündigte gleich eine kurze Meditation an.

»Schließt die Augen oder konzentriert euch auf einen Punkt im Raum, wenn ihr sie nicht schließen wollt. Seid ganz im gegenwärtigen Augenblick. Wir fangen an mit der Körperwahrnehmung. Wie sitzt ihr gerade? Was spürt ihr im Körper? Geräusche von außen und Gedanken kommen und gehen. Lasst die einfach vorüberziehen und konzentriert euch auf die Wahrnehmung des Körpers. Wir fangen mit den Fußzehen an …«

Amelie hatte gut reden. In Lenas Kopf tummelten sich tausend Gedanken. Wieso war der Kursleiter nicht da? Woher kannte Ava die merkwürdige Sigrun? Was zur Hölle macht sie eigentlich hier? Sie hätte viel besser allein mit Misti auf dem Sofa entspannen könne. Vielleicht zusammen mit einer Palette Butterkuchen? Auch wenn Lena inzwischen häufiger Achtsamkeitsübungen und Meditation praktiziert hatte, war es dennoch schwer, in der neuen Umgebung zur Ruhe zu kommen.

Gerade hatte sie es geschafft, als es mehrfach laut klingelte.

Da möchte aber einer dringend rein, dachte Lena. Sie hörte Schritte, jemand ging zur Haustür, öffnete sie und dann war es endgültig vorbei mit der Ruhe.

Eine Männerstimme, die sie unschwer als die von Heinz Hansen, ihrem Vermieter und dem Vater von Yvonne und Partner von Ava identifizierte, lieferte sich mit einer unbekannten Männerstimme, vermutlich Hans Hummel, dem Leiter der Schule, ein heftiges Schreiduell.

Da konnte Amelie noch so oft dazu auffordern, sich auf sich selbst und den Atem zu konzentrieren und Geräusche von außen einfach zu ignorieren. Es war schlicht und ergreifend nicht machbar.

Lena versuchte es gar nicht mehr, sondern spitzte, von Neugier gepackt, genau wie alle anderen die Ohren.

»Ich habe die Nase voll von deinen leeren Versprechungen. Ich habe mich immer wieder auf einen Aufschub eingelassen, aber jetzt reicht es mir. Du zahlst ja noch nicht mal deinen monatlichen Abschlag. Ich will mein Geld zurück! Sofort!«, durchdrang die grelle Stimme von Heinz die Wände.

Die andere Männerstimme war tiefer und leiser und leider war nur ein dunkles Gemurmel zu hören.

»Noch mehr Geld? Du hast sie doch nicht mehr alle! Wie konnte ich nur auf so einen Aufschneider wie dich reinfallen? Wenn ich bis morgen nicht mindestens meinen monatlichen Abschlag habe, dann kannst du was erleben. Du wirst dich wundern. Das lasse ich mir nicht bieten!«, schrie Heinz erbost.

Wieder war nur das dunkle Gemurmel zu hören.

---ENDE DER LESEPROBE---