Federweißer, Zwiebelkuchen und Mord - Elisabeth Grimm - E-Book

Federweißer, Zwiebelkuchen und Mord E-Book

Elisabeth Grimm

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Beschreibung

Caféinhaberin und Hobbydetektivin Lena ist schwer beschäftigt. Nämlich damit, Kriminalhauptkommissar Kimmel aus dem Weg zu gehen. Nachdem er knapp dem Tode entronnen war, hatte er Lena einen Heiratsantrag gemacht. Ohne zu wissen, dass sich die freiheitsliebende Lena geschworen hatte, diesen Fehler nie wieder zu begehen. Da kommen ihr der Ahrensloer Landfrauenverein und das geplante Herbstfest als Ablenkung gerade recht. Doch anstatt Federweißer und Zwiebelkuchen zu servierten, stolpert Lena mal wieder über eine Leiche. Als ihre geliebte, kluge Lotti, Teil ihres Ermittlerteams und des "dementen Trios", unter Verdacht gerät, kennt Lena kein Halten mehr und steckt ihre Schnüffelnase in die Angelegenheit. Dabei lernt sie nicht nur die Doppelgängerin von Schwester Mary Patrick aus Sister Act kennen, sondern gerät tief in die Abgründe des Vereinslebens. Zu tief? Dies ist der sechste Band der Serie um Lenas Café, in der die Pfälzerin Lena im verträumten schleswig-holsteinischen Ahrensloe Morde aufklärt. Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig gelesen werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch

Der Tod ihrer Mutter hat die 20-jährige Cäcilie in eine tiefe Depression gestürzt. Sie empfindet das Leben als leer und kalt.

Kater Mika hingegen liebt das Leben, die weiße Nachbarskatze Bijou und vor allem Thunfisch.

Als Mika und Cäcilie aufeinandertreffen, kracht es im wahrsten Sinne des Wortes: Er rennt ihr ins Fahrrad und sie erleidet einen schweren Unfall mit Schädel-Hirn-Trauma. Als sie es vor Schmerzen nicht mehr aushält, will sie sich das Leben nehmen.

Das kann Mika nicht zulassen. Er fühlt sich verantwortlich. Schließlich hat er das große Glück, ein Kater zu sein, während Cäcilie nur ein Mensch ist. Er wird ihr schon zeigen, wie man sich das Leben im positiven Sinne nimmt.

Mit der ihm eigenen Mischung aus frechem Humor und liebevoller Katerweisheit gelingt es ihm, Cäcilie aus ihrer Isolation zu befreien. Cäcilie lernt nicht nur den schrulligen Maler Clemens, sondern auch Jonas kennen und trifft ihren Ex-Freund Hanno wieder. Plötzlich ist ihr Leben übervoll und sie muss sich entscheiden. Nicht nur für das Leben, sondern auch für einen eigenen Weg und die Liebe.

Die Autorin

Die gebürtige Rheinhessin Elisabeth Grimm hat in Frankfurt am Main Psychologie studiert und lebt und arbeitet in der Nähe von Hamburg. Sie schreibt seit dem zwölften Lebensjahr: Die Cosy-Krimi-Reihe um die Caféinhaberin Lena, ein Kinderbuch, Romane und Fantasy.

Sie schreibt mit viel Humor und Herzenswärme über das, was sie liebt: Menschen, Katzen, die Natur und natürlich Essen und Trinken.

Bisher von Elisabeth Grimm erschienen

Dampfnudeln, Butterkuchen und Mord, Lenas Café, Band eins.

Achtsamkeit, heiße Maronen und Mord, Lenas Café, Band zwei.

Weihnachten, Fliederbeersuppe und Mord, Lenas Café, Band drei.

Liebe, Kirschpralinen und Mord, Lenas Café, Band vier.

Meer, Salzkaramell und Mord, Lenas Café, Band fünf.

Federweißer, Zwiebelkuchen und Mord, Lenas Café, Band sechs.

Demnächst: Yoga, Mojo und Mord, Lenas Café, Band sieben.

Elisabeth Grimm

Mika und Cäcilie

Humorvoller Katzenroman über das Leben und die Liebe

Originalausgabe

1. Auflage

© 2025 Elisabeth Grimm

Text: Elisabeth Grimm

Hindenburgstraße 52

23843 Bad Oldesloe

E-Mail: [email protected]

Website: elisabethgrimm-autorin.de

Alle Figuren und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Korrektorat: Tino Falke

Covergestaltung und digitaler Buchsatz: Sarah Schemske (www.buecherschmiede.net)

Druck und Vertrieb: Amazon

Alle Rechte vorbehalten.

Die automatisierte Analyse dieses Werkes ist gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) untersagt.

Ich widme dieses Buch den circa neun Millionen Menschen in Deutschland, die unter einer affektiven Störung leiden. Depressionen können jeden betreffen und sind eine potenziell tödliche Erkrankung, die professionell behandelt werden sollte.

Ich hoffe, ich kann mit meinem kleinen Buch dazu beitragen, neuen Mut und Kraft zu schöpfen.

Kapitel eins

Der Unfall

Es ging alles viel zu schnell. Cäcilie saß auf dem Rückweg vom Friedhof auf ihrem Fahrrad und kämpfte mit den Tränen, froh, dass der schneidende Wind eine gute Ausrede für ihre überfließenden Augen bot.

Irgendwer schrie: »Hau ab, du Mistvieh!« Eine Tür knallte. Aus dem Gebüsch neben ihr ertönte ein lang gezogenes »Mrauuuu« und ein schwarzer Blitz sauste direkt vor ihr Fahrrad.

Cäcilie riss den Lenker zur Seite, stieß mit dem Reifen an den Kantstein und fiel. Eine Nahaufnahme von regennassem Asphalt. Alles drehte sich. Es krachte. Hellgrüne Buchenblätter schoben sich vor einen dunkelvioletten Himmel, brüllender Schmerz durchflutete ihren Kopf, ihren Körper und dann Dunkelheit.

Das Licht stach wie ein Messer in Cäcilies Kopf. Schwerfällig schloss sie ihre schmerzenden Augen. Sie fühlte sich wie in zähe Melasse gegossen. Um sie herum war Stimmengewirr, Piepsen, der unverkennbare Krankenhausgeruch, der sie seit Monaten begleitete. Maman? Wo war …? Dann fiel es ihr wieder ein. Die Stimmen rückten in den Hintergrund, Bilder schoben sich vor ihren verwirrten Geist: Maman, zu einem Knochengerippe abgemagert, die sie schmerzverzerrt anzulächeln versuchte. Die Schwester im Hospiz, die den Arm um sie legte. Die kalte Wintersonne, die ihr unbarmherziges Licht auf das leere Bett von Maman warf, als sie das Foto, das sie, Maman und Oma zeigte, von ihrer Kommode räumte.

Jemand berührte ihre Schulter, verscheuchte die Erinnerungen. »Frau Wagner, können Sie mich hören?« Widerstrebend öffnete Cäcilie die Augen, nahm aufgeregtes Stimmengewirr und verschwommen über ihr schwebende Gesichter wahr. »Was ist los?«, fragte sie sich in einem Moment und im nächsten Augenblick hatte sie das Gefühl, in Watte zu ertrinken und in eine tiefe Dunkelheit zu fallen, die alles auslöschte.

Cäcilie blinzelte. Es war schon wieder so hell und ihr Kopf fühlte sich an, als wollte er zerspringen. Wieso war es so laut? Wo war der Ausknopf für dieses unerträgliche Piepsen? Eine Frau im weißen Kittel beugte sich über sie und leuchtete ihr in die Augen. Sie wollte das stechende Licht wegschlagen, aber ihr Arm lag tonnenschwer da und rührte sich kaum.

»Keine Angst. Sie sind im Krankenhaus. Sie hatten einen Unfall. Ich untersuche Sie nur, es ist gleich vorbei. Sie haben drei Tage im Koma gelegen. Können Sie mich verstehen?«, fragte die Ärztin.

Nach einer Woche voll endloser Untersuchungen, Erklärungen, Fragen und Schmerzen wurde Cäcilie mit der Diagnose Schädelhirntrauma aus dem Krankenhaus entlassen. In ein leeres Zuhause.

An dem Gefühl, in einen merkwürdig surrealen Film geraten zu sein, hatte sich in dieser Zeit nichts verändert. Cäcilie erlebte die Welt wie durch einen Schleier. Nur die rasenden Kopfschmerzen ließen sich leider nicht verschleiern. Die Zeit schien gleichzeitig stehen zu bleiben und wie im Flug zu vergehen. Sie hatte das Gefühl, in einer seltsamen Blase, weit weg von der Welt, von jeglichem Leben vor sich hinzudämmern. Nichts existierte, nur Schmerz.

Bei der Nachuntersuchung zwei Wochen später saß Cäcilie zusammengesunken vor dem Schreibtisch des Arztes, der eifrig in seinen Computer tippte. Wieder schnitt ihr die Sonne, die sich durch die Lamellen­vorhänge schummelte, direkt in ihr Gehirn.

»Ich halte diese fürchterlichen Kopfschmerzen nicht mehr aus«, sagte Cäcilie.

Der Arzt musterte sie mit gerunzelter Stirn. »Ich kann Ihnen stärkere Schmerzmittel verschreiben, aber nur für den Ausnahmefall.«

Cäcilie nickte. Dann flüsterte sie: »Wird das so bleiben?«

Dr. Meyer lächelte sein Doktorlächeln, stand auf und klopfte ihr ermutigend auf die Schulter.

»Sie lagen drei Tage im Koma. Mit einem Schädelhirntrauma ist nicht zu spaßen. Jeder Verlauf ist anders. Das wird schon wieder. Es dauert seine Zeit. Sie sollten in Zukunft einen Helm tragen.«

Er nickte ihr kurz zu und hielt ihr die Tür des Arztzimmers auf. Die Audienz war beendet.

»Es dauert seine Zeit. Sie sollten einen Helm tragen. Es dauert seine Zeit. Sie sollten einen Helm tragen«, hallte es in ihrem Kopf wider.

Reflexhaft zog sie die Kapuze ihres Hoodies tief über ihre kurz geschorenen Haare. Halb blind vor Tränen hastete sie an den Wartenden, die wie blutrünstige Zombies auf beiden Seiten des engen Flures auf sie lauerten, vorbei, passierte die Rezeption und trat hinaus in die unbarmherzige Sonne.

Sie zog eine riesige Sonnenbrille aus der Tasche und floh nach Hause.

Zurück in der Sicherheit ihrer Wohnung ließ sie sich vor dem Garderobenspiegel auf den Boden fallen und tiefe Schluchzer erschütterten ihren Körper. Als ihre Tränen endlich versiegten, blickte ihr aus dem Spiegel ein Sméamuckl entgegen. Wider Willen musste sie lachen. Eine Mischung aus Sméagol und Pumuckl starrte sie aus tief umschatteten Augen an. Ihre wilde rote Haarmähne, ihr ganzer Stolz, war im Krankenhaus zu einem kurzen roten Flaum geschoren worden. Übrig geblieben war ein Totenkopfgesicht mit riesigen dunkelblauen Augen und schneeweißer, fast durchsichtiger Haut.

Außerdem war sie stark abgemagert. Schon immer schlank, schien ihr Gesicht, ach was, ihr ganzer Körper lediglich aus Haut und Knochen zu bestehen.

Es war nur noch so wenig da von ihr. So wenig Körper, so wenig Leben. Wie konnte so wenig nur so wehtun?

»Sie müssen vor der Tabletteneinnahme essen. Das hält Ihr Magen sonst auf Dauer nicht aus«, hatte ihr der Doktor eingeschärft, als er das Rezept für die starken Schmerzmittel ausgestellt hatte.

Sie musste doch noch irgendwo eine Banane haben. Mühsam rappelte sie sich hoch. Sie hatte keine Kraft. Weder zum Einkaufen noch für die Papiere auf dem Schreibtisch, die sich dort seit dem Tod der Mutter türmten. Anträge, Waisenrente, Wohngeld, Rechnungen des Krankenhauses, Hospizes, Bestatters, von Wasser, Strom und Internet. Schnell schob Cäcilie die Gedanken beiseite. Schon vor ihrem Unfall war sie dem Berg an Bürokratie kaum gewachsen gewesen. Nun schien er sie zu erdrücken. Einfach nicht daran denken! Sie schleppte sich zum Kühlschrank. Leer bis auf eine halbe Dose Margarine, ein Glas Marmelade, der besagten Banane und eingetrocknetem Käse. Widerwillig nahm sie die Hälfte des matschigen Obstes und mithilfe von viel Wasser schaffte sie es, den widerwärtig süßen Brei herunterzuschlucken. Wie konnte es angehen, dass alles, was sie aß, wie trockene Pappe schmeckte? Cäcilie wusste, dass sie sich zusammenreißen, einkaufen, die Papiere bearbeiten, ihre Wäscheberge waschen, die Wohnung putzen, sich eine Arbeit suchen musste. Aber sie schaffte es einfach nicht. Und es gab niemanden mehr, der es für sie tun könnte. Oder für den sie sich anstrengen musste. Keine Oma und auch keine Maman, einen Vater hatte es noch nie gegeben.

Sie schleppte sich ins Bad und warf ein paar Tabletten ein. Schon kurze Zeit später spürte sie, wie sie eine watteweiche Gleichgültigkeit einhüllte.

»Wieso?«, war der letzte Gedanke, bevor sie in ein tiefes Nichts tauchte. »Wieso passiert mir das? Wieso stirbt erst Oma, dann Maman und als ob das nicht genug wäre, sitze ich hier mutterseelenallein in dieser Scheiße? Wieso?«

Und dann fragte sie sich: »Wofür? Wofür soll ich so leiden?«

Fast automatisch, ohne einen bewussten Entschluss, fummelte sie Tablette um Tablette aus der Verpackung und schluckte eine nach der anderen.

Das Letzte, was sie wahrnahm, war das Klappern des offenen Fensters, ein Wrums auf dem Schreibtisch und ein lautes MIAU?

Kapitel zwei

So ein Kater

Ein Hubschrauber rotierte dröhnend über ihr und schien auf ihr landen zu wollen. Panisch riss Cäcilie ihre verklebten Augen auf. Schwerfällig blinzelnd nahm sie graue Schlieren vor der weißen Zimmerdecke wahr. Weit und breit kein Hubschrauber. Das zumindest war beruhigend. Ein eklig säuerlicher Geruch nach Erbrochenem attackierte ihre Nase. Ihr Magen schmerzte, als würde ein tonnenschweres Gewicht darauf liegen. Seltsam.

Als sie sich an die Helligkeit im Zimmer gewöhnt hatte, verschwanden die Schlieren. Sie wandte den Blick von der Zimmerdecke in die Horizontale und blickte in gelbbraune Dämonenaugen.

»AHRRRG!«, kreischte sie und versuchte sich aufzurichten, weg von dem riesigen schwarzen Fellball, der empört miauend von ihrem Bauch gehüpft war und sie anstarrte. Dabei fasste sie in etwas Glitschiges.

»Igittt!«

Jetzt war Cäcilie hellwach. Angeekelt schaute sie sich um. Da kein anderer außer ihr und einem dicken Kater im Zimmer war, musste er wohl der Schuldige gewesen sein.

»Du hast mein Zimmer vollgekotzt!«

»Da pack dich mal an die eigene Nase.« Der Kater schnaubte verächtlich.

Cäcilie sah sich entsetzt um. Überall: Im, unter und neben dem Bett klebten stinkende Essensreste. Bemerkenswert viele, wo sie doch außer den Tabletten kaum etwas zu sich genommen hatte.

Die Tabletten! Was hatte sie angerichtet?

Schwindel und eine erneute Welle der Übelkeit erfassten sie. Sie schmeckte bittere Galle, würgte, aber ihr Magen war offenbar leer. Erschöpft ließ sie sich zurück in ihr Kissen fallen. Auch wenn es klebte.

»Es stinkt«, nörgelte der Kater.

»Ich weiß. Aber mir dröhnt der Kopf«, sagte Cäcilie.

»Selbst schuld!«, befand das Tier und fuhr sich mit einer Pfote über sein linkes Ohr.

Als ob sie das nicht wüsste. Ein bisschen Mitgefühl könnte der Kater … Moment! Hatte sie gerade mit einem Kater gesprochen?

Cäcilie riss die Augen auf und rückte möglichst weit weg von dem Tier, das gerade sein Hinterteil putzte.

Dann musste sie lachen. Offenbar hatte sie einen gewaltigen Tablettenkater. Sie hatte sich doch glatt eingebildet, der Kater würde sprechen.

»Mors lecken während der Konversation ist nicht gerade die feine Art«, sagte sie.

»Ich stinke wenigstens nicht«, sagte er und putzte sich das rechte Ohr. Seltsame Reihenfolge, ein Ohr, den Popo, das nächste Ohr. Verrücktes Vieh, dachte Cäcilie und stutzte.

»Was glotzt du so?« Der Kater unterbrach seine Waschorgie und starrte sie an.

O mein Gott! Der Kater sprach tatsächlich mit ihr.

Hatte sie jetzt auch noch Halluzinationen? Vielleicht eine Folge der Medikamente? Entsetzt sprang Cäcilie aus dem Bett, schwankte ein wenig und musste sich erst noch mal setzen.

»Bähhh!« Sie hatte sich in eine Pfütze gesetzt.

»Das kommt vom Saufen. Das kenne ich schon von meinem Mitbewohner Clemens. Warum machen Menschen das? Ich verstehe es nicht. Ich habe mal von seinem Schnaps probiert. EKELHAFT. Nie wieder. Apropos Futter, ich habe Hunger«, schwadronierte der Kater vor sich hin, während er sich hingebungsvoll der Pflege seines langen buschigen Schwanzes widmete.

Cäcilie stützte die Hände in den Kopf. »Womit habe ich das verdient? Wieso labert mich meine Halluzination voll? Andere sehen einfach nur Zombies und springen aus dem Fenster. Ich sehe einen fetten Kater, der mich vollbrabbelt. Und das mit Kopfschmerzen.«

»Eh, ich bin nicht fett. Ich bin stattlich.« Der Kater schien sie böse anzustarren.

»Okay, also einen stattlichen Kater«, gab Cäcilie nach.

»Der Hunger hat. Hast du Thunfisch?«, fragte er.

Cäcilie rappelte sich vorsichtig auf und schleppte sich, den imaginativen, nervigen Kater ignorierend, ins Bad. Vorsichtshalber schloss sie die Schlafzimmertür so fest sie konnte. Sicher war sicher. Andererseits ließen sich Halluzinationen vermutlich nicht von Türen aufhalten.

Ach was, sie hatte nur einen Kater. Im wahrsten Sinne des Wortes. Bestimmt musste sie erst einmal duschen und einen starken Kaffee trinken, dann würde es ihr schon besser gehen. Ärgerlich suchte sie im Alli­bert nach Schmerztabletten, fand aber nur eine leere Packung. Der Schreck fuhr ihr in die Glieder. Offenbar hatte sie gestern alle Tabletten genommen. Wie gut, dass sie erbrochen hatte. Sonst wäre sie tot … Bei dem Gedanken lief Gänsehaut über ihren ganzen Körper. Jetzt, wo sie selbst durch das Milchglasfenster des Badezimmers die strahlende Sonne und das Vogelgezwitscher draußen wahrnehmen konnte, fühlte sie sich unendlich erleichtert, am Leben zu sein.

Wie hatte sie sich nur so gehen lassen können? Nachdem sie in den Tiefen des Badezimmerschrankes noch eine vereinsamte Tablette aufgetrieben hatte, schluckte sie diese entschlossen und stieg unter die Dusche.

Das Wasser umhüllte sie wie eine weiche, warme Decke und spülte nicht nur alles klebrig Stinkende, sondern irgendwie auch einen Teil ihrer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ab.

Nach dem Duschen durchwühlte sie den Berg Schmutzwäsche, der aus dem Wäschekorb quoll. Sie suchte die am wenigsten müffelnden Sachen heraus, zog sich an, belud die Waschmaschine und stellte sie ein. Danach machte sie sich einen starken Kaffee, beschmierte ein paar hart gewordene Brotreste mit Margarine und Marmelade und zwang sich, diese zu essen. Sie wollte gar nicht erst wieder mit schlechten Gewohnheiten anfangen.

»Eten un Drinken höllt Lief un Seel tosamen«, hatte Oma immer gesagt. Sie musste essen, auch wenn es schmeckte wie süße Pappe.

Sie spürte, dass sie es herauszögerte, ins Schlafzimmer zu gehen. Sie hatte Angst, der dicke Kater säße immer noch dort, würde sich die Genitalien lecken und labern. Sie hatte definitiv keine Lust auf eine schwatzhafte Halluzination mit übertriebener Intimpflege. Sie hatte Probleme genug. Da musste sie nicht auch noch verrückt werden. Reichte es nicht, dass Maman gestorben war und sie mutterseelenallein mit einem Schädelhirntrauma, fürchterlichen Kopfschmerzen und Existenzsorgen hier in der Bude saß? Musste sie auch noch aus Versehen versuchen, sich umzubringen, und als Nebenwirkung halluzinieren? Und zwar einen blöden Kater statt ein paar krasser Außerirdischer.

Zaghaft öffnete sie die Schlafzimmertür, die sie zuvor energisch zugeschlagen hatte, als könnte man eine Halluzination in ein Zimmer sperren. Sie lugte durch den Türspalt und erwartete schon, dass ein fetter, nein stattlicher Kater »Kuckuck« rufen und sich totlachen würde, aber das Zimmer war leer.

Die Vorhänge bewegten sich vor dem offenen Fenster, das in den Garten hinaus zeigte. Es stank säuerlich nach Erbrochenem und war ein einziges Durcheinander, aber weit und breit war kein Kater zu sehen.

Erleichtert fing Cäcilie an, das Bett abzuziehen und Ordnung zu schaffen. Zwischendurch musste sie sich immer wieder hinsetzen, so übel und schwindelig war ihr. Wie sollte sie ihr Leben jemals auf die Reihe kriegen, wenn sie schon von einem vollgekotzten Bett überfordert war?

Unvermittelt stieg eine Erinnerung an ihre Mutter in ihr auf.

Es war kurz nach Omas Tod. Sie war elf Jahre alt.

Cäcilie war früh wach geworden und schlaftrunken in die Küche getapst. Normalerweise hätte Oma schon den Frühstückstisch gedeckt und leise Musik gehört. Es wäre warm und gemütlich gewesen und hätte nach heißem Kakao und Kaffee geduftet.

An diesem Tag war die Küche kalt, roch nach altem Rauch und Wein. Das war nun fast jeden Morgen so. Maman versprach zwar immer, in der Küche nicht mehr zu rauchen, aber sie versprach so einiges, was sie nicht hielt. Cäcilie räumte zwei leere Weinflaschen unter die Spüle zum Altglas, leerte den stinkenden Aschenbecher aus, spülte ihn ab, machte die Fenster auf, drehte die Heizung auf, stellte Teller und Gläser vom Vorabend in die Spülmaschine und wischte den Tisch ab. Sie holte Brötchen aus dem Tiefkühler, legte sie in den Herd, schloss die Fenster wieder und ging ins Bad, um sich für die Schule fertig zu machen. Wie gut, dass sie immer so früh aufwachte. Eigentlich war sie genau wie Maman eine Langschläferin, aber seit Oma tot war, wachte sie mit den Vögeln auf. Sie lauschte ihrem Zwitschern, das so gegen fünf Uhr morgens einsetzte, und stellte sich vor, dass die Vögel in den Himmel zu ihrer Oma flogen und ihr von ihrer kleinen Cäcilie erzählten. Wie sie sie vermisste … Cäcilie stiegen Tränen in die Augen. Ein paar Wochen nach Omas Tod hatte sie aufgehört zu weinen, denn sie hatte Besseres zu tun. Sie musste sich um den Haushalt, Maman und sich selbst kümmern.

Auch an diesem Morgen machte Cäcilie sich allein fertig für die Schule, frühstückte und wartete auf Maman, um ihr vor der Schule Tschüss zu sagen. Aber Maman stand einfach nicht auf. Dabei wurde es Zeit, sie musste zur Arbeit.

Cäcilie zögerte vor der Schlafzimmertür ihrer Mutter. Sie konnte morgens echt grantig werden. Na ja, eigentlich immer. Cäcilie sah auf die Uhr. Beinahe halb acht. Es half alles nichts. Sie musste zur Schule und Maman musste auch los. Cäcilie holte tief Luft und drückte auf die Türklinke.

Maman lag quer im Bett, überall lagen Klamotten herum und es stank nach Erbrochenem. Einen kurzen Moment blieb Cäcilies Herz stehen. Sie war doch nicht … Schnell lief sie zu ihr hin und schüttelte sie. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie wach wurde. Als Cäcilie erkannte, dass ihre Mutter lebte, aber offenbar sehr viel getrunken hatte, stieg heiße Wut in ihr auf. Trotz des frischen Novembermorgens öffnete sie die Fenster sperrangelweit, holte einen sehr nassen Waschlappen aus dem Bad und warf ihn ihrer Mutter ins Gesicht.

»Was fällt dir ein?«, kreischte Corinne und starrte Cäcilie mit zusammengekniffenen Augen an. So böse. Cäcilie schossen die Tränen aus den Augen. Maman rappelte sich auf, fuhr sich mit dem Waschlappen über die Augen und nahm sie in den Arm.

»Es tut mir leid, ma petite. Ich mache hier Ordnung. Es wird nicht wieder vorkommen. Geh jetzt zur Schule. Alles ist gut.«

Da sich ihre Tränen einfach nicht stoppen ließen, versteckte Cäcilie sich bis zum Anfang der ersten Stunde im Mädchenklo. Immer wieder klatschte sie kaltes Wasser in ihr Gesicht, um endlich mit der nervigen Heulerei aufhören zu können.

Natürlich erwischte die Zicke Insa sie im Klo und die ganze bescheuerte Mädchenclique skandierte kichernd »Heulsuse, Heulsuse, Heulsuse!« Ohne es zu ahnen taten sie Cäcilie damit einen Gefallen. Sie wurde so wütend, dass es ihr endlich gelang, mit dem blöden Geweine aufzuhören. Leider war das nicht alles. Sie erinnerte sich noch ganz genau daran. Es klatschte, Insa fasste sich ungläubig an die Wange und die anderen Kinder starrten sie mit offenem Mund stumm an.

»Geschieht dir ganz recht«, sagte Cäcilie und bahnte sich durch die fassungslos zurückweichenden Kinder einen Weg zur Klasse.

Merkwürdigerweise hatte Insa nicht gepetzt und beschränkte sich in Zukunft darauf, sie zu ignorieren, was Cäcilie nur recht war.

Noch merkwürdiger war, dass Maman seit diesem Morgen nicht mehr in der Wohnung rauchte, wenig trank und morgens aufstand und Frühstück machte. Jedenfalls eine gewisse Zeit, bis sich alles Schritt für Schritt wieder änderte.

Cäcilie schrak aus ihren Gedanken auf. Sie war genau wie Maman. Nein, so wollte sie auf keinen Fall werden. Was würde Oma von ihr denken? Cäcilie sank voller Scham und Selbstekel auf den Boden. Erneut brachen die Schleusen und drohten das Zimmer zu fluten. Cäcilie warf sich auf das halb abgezogene Bett und schluchzte.

Sie bemerkte die kleine Gestalt, die auf die Fensterbank gehüpft war, nicht, bis sie ein lautes Stöhnen hörte.

»Pffff, heulst du etwa schon wieder?«, fragte ein dicker, äh, stattlicher schwarzer Kater und blickte sie aus seinen gelben Dämonenaugen genervt an.

Kapitel drei

Der Kater nervt

»Was willst du?« Ärgerlich wischte Cäcilie sich mit dem Ärmel das tränennasse Gesicht trocken.

»Futter?«, fragte der Kater hoffnungsvoll.

»Du bist nur eine blöde Halluzination. Verschwinde!«, sagte Cäcilie.

»Tssstssstsss!« Der Kater schüttelte den Kopf. »Dafür, dass ich dir das Leben gerettet habe, bist du echt unfreundlich.«

Cäcilie lachte. »DU hast mir das Leben gerettet?«

Der Kater sprang von der Fensterbank, setzte sich auf den Boden und schaute Cäcilie ernst an. Sofern ein Kater ernst gucken konnte. Auch wenn sich seine Gesichtszüge nicht bewegten, hatte Cäcilie den deutlichen Eindruck von unterschiedlichsten Gesichtsausdrücken. Sie zuckte die Schultern. Halluzinationen unterlagen wohl keinen allgemeingültigen Regeln. Schließlich konnten Katzen normalerweise auch nicht sprechen.

»Du hast ganz flach geatmet und warst bleich wie Milch. Ich kenne den Tod. Ich kann ihn riechen und fühlen. Du warst kurz davor. Ich habe gerochen, dass es von dem Zeug kam, das du gegessen hast. Ich bin ganz oft auf deinen Bauch gesprungen. Bis du alles wieder ausgespuckt hast. Sicherheitshalber bin ich auf dir liegen geblieben und habe dir all meine Kraft gegeben. Und sieh dich nur an. Du heulst mal wieder rum, anstatt dich zu freuen«, sagte das Tier.

Cäcilie war sprachlos. Der Kater hatte ihr das Leben gerettet? Sie hob ihr T-Shirt hoch. Auf ihrem mageren Bauch prangten Flecken in allen Farbschattierungen von Dunkelblau bis Tiefviolett. Deshalb tat der Bauch so weh. Sie hatte es für eine Nachwirkung des Erbrechens gehalten. Aber konnte eine Halluzination auf ihrem Bauch herumspringen? Witzig, was sich ein kaputtes Gehirn für einen Müll ausdenken konnte.

»Du bist viel zu dünn. Und ich habe Hunger«, unterbrach der Kater ihre Gedanken.

»Halluzinationen essen nicht«, sagte Cäcilie.

»Ich weiß nicht, was das ist«, sagte der Kater.

»Eine Halluzination ist etwas, das nicht existiert. Nicht wirklich, nur in meinem Kopf«, erklärte Cäcilie.

»Ich existiere und esse definitiv. Oft, gerne und viel.« Der Kater guckte sie auffordernd an.

Cäcilie musste lachen. »Das überrascht mich jetzt aber. So schlank, wie du bist!«

Der Kater kam näher und drückte seinen breiten Katerkopf an ihr Bein. Unwillkürlich hob sie die Hand und fing an, ihn zu kraulen. Sein Fell war weich und flauschig und ein leises Schnurren ertönte.

»Thunfisch?«, fragte er mit großen, hoffnungsvoll auf sie gerichteten Augen.

Irritiert stand Cäcilie auf und ging in ihre kleine Vorratskammer. Sie fand tatsächlich eine Dose Thunfisch, öffnete sie und füllte sie in eine Schale. Währenddessen strich der Kater ungeduldig um ihre Beine, fast wäre sie über ihn gestolpert. Er war echt nervig für eine Halluzination.

Sie stellte die Schale auf den Küchenfußboden und der Kater fing gierig an zu fressen, wobei er laut schmatze.

Cäcilie betrachtete ihn nachdenklich. Er war viel zu laut, fluffig und frech für eine Halluzination. Außerdem hatte er verdammt viel Ähnlichkeit mit dem Kater von nebenan, dessen Besitzer ihn immer mit Mistvieh betitelte. Vielleicht war er gar keine Einbildung, sondern existierte wirklich. Cäcilie bückte sich, um den Kater erneut zu streicheln und um sich zu vergewissern, dass er tatsächlich da war.

»Nicht beim Essen!«, knurrte dieser und schlug nach ihrer Hand.

Schnell zog sie sie wieder weg. Leider nicht schnell genug, denn ein dicker roter Kratzer zog sich über ihren Handrücken.

»Dich gibt es wirklich!«, sagte sie überrascht.

Der Kater schaute kurz vom Essen auf und starrte sie an. Als wolle er sagen, schön, dass du es endlich kapiert hast, nun lass mich in Ruhe essen. Vermutlich hätte er mit den Augen gerollt, wenn er es gekonnt hätte.

Während sie an ihrem Handrücken saugte und der Kater sich nach der Mahlzeit das Gesicht putzte, dachte Cäcilie nach. »Bist du vor mein Fahrrad gelaufen?«

»Tut mir leid. Clemens war hinter mir her. Ich habe dich nicht kommen sehen.« Der Kater saß mit hängenden Ohren vor ihr und wirkte niedergeschlagen.

Cäcilie setze sich neben ihn und streichelte ihn. Er kletterte auf ihren Schoß und fing an zu schnurren.

Kapitel vier

Und nu?

Am nächsten Morgen hatte Cäcilie, die es am Vorabend mit letzter Kraft noch geschafft hatte, einzukaufen, Gesellschaft beim Frühstück.

Der Kater, der sich als Mika vorgestellt hatte, hatte Cäcilie, kurz bevor er abends wieder zum Gartenfenster herausgesprungen war, mit der Besorgung von Katzenfutter, möglichst fischig und teuer, beauftragt.

Selbiges schmatzte er nun gemütlich in sich hinein. Cäcilie hatte sich frisches Obst, Joghurt und Getreideflocken besorgt und eine große Schale Müsli zu ihrem Kaffee zubereitet.

»Füttert dich dein Herrchen nicht?«, fragte sie.

Wütend fauchte Mika. »NICHT BEIM ESSEN STÖREN!«

»Entschuldige.« Cäcilie verdrehte die Augen. Mika war eine ganz schöne Diva.

Der Kater seufzte, unterbrach seine Mahlzeit und putzte sich die Schnauze. »ICH HABE KEIN HERRCHEN. Katzen sind frei. Ich wohne nur bei Clemens, aber er schreit viel und vergisst ständig, Essen zu kaufen.«

Cäcilie nickte verständnisvoll. Wie ein Film zog der erste Mai, ein Tag kurz vor ihrem Unfall, an ihrem inneren Auge vorbei.

Sie saß am Schreibtisch, knüllte wütend Rechnungen zu einem Ball und warf sie gegen das Fenster. Der dicke, schwarze Kater, der es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, sich ausgerechnet auf ihrer Fensterbank zu sonnen, sprang mit einem empörten »MRAUUU« hinunter in den Garten.

»Hau bloß ab!«, schrie Cäcilie ihm hinterher.

Dann tat es ihr leid und sie öffnete das Fenster, um zu schauen, wo er geblieben war. Im sonnendurchfluteten Garten war nur noch eine zuckende Schwanzspitze, die in den Fliederbüschen zum Nachbarsgarten verschwand, zu sehen. Eine Biene summte an ihr vorbei, es roch nach Flieder und Weißdorn. Im ungemähten Rasen tummelten sich Gänseblümchen und Löwenzahn, die Büsche an den Seiten des Gartens standen in voller Blüte. Cäcilie schloss einen Moment die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Sie hörte noch mehr Bienen summen, Vögel zwitscherten, die Gärten und Hinterhöfe der Lübecker Wakenitzsiedlung hallten wider von Kinderlachen.

»MRAAUUUUU!«, ertönte es da aus dem Nachbarsgarten. Eine Männerstimme schrie: »Verpiss dich, Mistvieh!« Der dicke Kater sprang so behände, wie man es ihm gar nicht zutraute, auf die efeubewachsene Mauer am Gartenende und duckte sich. Ein Badeschlappen flog ihm hinterher und landete im Fliederbusch. »Mist, verdammter!«, fluchte eine raue Männerstimme. Dann trat Ruhe ein. Der Kater hatte es sich auf der sonnigen Mauer gemütlich gemacht und fing an, sich in aller Seelenruhe zu putzen.

Cäcilie setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. Gerade, als sie das Gefühl hatte, den Berg von Rechnungen und Papieren, der alles war, was ihr von ihrer verstorbenen Mutter geblieben war, in den Griff zu bekommen, sprengte das Röhren von irgendeiner 80er-Jahre-Heavy-Metal-Band die Stille des ersten Mais.

Es kam natürlich, woher auch sonst, aus dem Nachbarhaus, wo der »Mitbewohner« von »Mistvieh« lebte.

Egal, wie sehr Cäcilie sich bemühte, den ohrenbetäubenden Lärm einfach zu ignorieren, er bohrte sich in ihren Kopf. Ihr Fass, das übervoll war mit Trauer und Existenzangst schwappte über.

Wütend riss sie die Terrassentür auf, schnappte sich den Badeschlappen aus dem Fliederbusch und stampfte zum Nachbarshaus. Bisher hatte sie sich lieber von dort ferngehalten. Der Nachbar, der selten das Haus verließ, wirkte chronisch schlecht gelaunt und ungepflegt. Auch die alte Villa hätte einen neuen Anstrich dringend gebrauchen können. Der Name am unteren Klingelschild war ebenso vergilbt wie die Farbe an den Fensterrahmen. »Clemens Claßen, Maler« entzifferte sie und schnaubte. Wenn er schon Maler war, könnte er sein Haus mal neu anstreichen. Wenn er aufhören würde, seinen Kater anzuschreien, Schlappen durch die Gegend zu werfen und seine Nachbarn musikalisch zu foltern, hätte er sicher ausreichend Zeit dazu.

Offensichtlich war die Musik zu laut, um die Klingel zu hören, keiner reagierte. Wütend trat Cäcilie an die Tür und wandte sich gerade zum Gehen, als diese sich knarzend öffnete.

»Was?«, fragte ein alter Mann, der sie über seinem verfilzten, weißen Bart mit fast schwarzen Augen feindselig anstarrte. Sein Feinrippunterhemd schien er mit einer Malerpalette verwechselt zu haben. Flecken und Essensreste in allen Farbschattierungen hatten es sich darauf gemütlich gemacht. Eine unangenehme Schnaps-Schweiß-Geruchsmischung ging von ihm aus.

Sofort bereute Cäcilie, die zutiefst schüchtern war, ihre wutgesteuerte Klingelaktion und brachte kein Wort mehr heraus. Sie hielt ihm nur seinen Schlappen hin.

»Oh, danke.« Verwirrt nahm er den Schlappen entgegen.

»Es ist viel zu laut«, sagte Cäcilie.

»Wir sind hier nicht in einer Gruft«, sagte er und schaute noch böser.

»Aber ich bin in Trauer.« Sobald Cäcilie das gesagt hatte, traten ihr auch schon Tränen in die Augen.

Scheiße, dachte sie. Warum hatte sie das nur gesagt? Das ging diesen alten Säufer gar nichts an, vermutlich kam jetzt erst recht ein dummer Spruch.

»Du bist Cäcilie, nicht wahr? Der Tod deiner Mutter tut mir sehr leid. Corinne war so eine schöne Frau. Und so lebendig. Wir waren mal zusammen auf einem Konzert von Blue Öyster Cult. Daher die Musik. Ich muss oft an sie denken. Ich mache es leiser. Wenn du was brauchst …?«

Cäcilie starrte ihn verblüfft an. Die braunen Augen blickten einen kurzen Augenblick gar nicht mehr böse, sondern voller Mitgefühl.

»Nein, danke.«

»Umso besser.« Die Tür schlug ihr genauso plötzlich wieder vor der Nase zu, wie sie sich geöffnet hatte, aber wenige Augenblicke später erklang Stille, wo zuvor Lärm war.

Cäcilie schüttelte die Erinnerung ab und fragte den Kater: »Also frisst du dich jetzt hier durch?«

»Ich pflege zu speisen. Und ich bin hier, weil du mich brauchst«, erwiderte er hoheitsvoll.

Cäcilie lachte. Wozu sollte sie ein verfressenes Fellknäuel brauchen?

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, antwortete Mika: »Ich bin für dich verantwortlich, weil ich deinen Unfall verursacht habe und du in der Folge fast gestorben wärst. Ich werde dir helfen, bis du mich nicht mehr brauchst.«

»Na, da bin ich mal gespannt. Wo möchtest du anfangen? Hängst du die Wäsche auf oder putzt du lieber? Oder ordnest du meine Papiere?«

Der Kater stöhnte. »Ich werde dir erst einmal bei den Papieren helfen.« Er lief in die Stube und sprang auf den Schreibtisch. »Komm!«

Cäcilie hatte keine Lust. Außerdem wollte sie sich nicht von einem Kater tyrannisieren lassen. Vor allem, wenn man bedachte, dass er zwar existierte, so viel, wie er fraß, konnte das gar nicht anders sein, sie sich aber einbildete, ihn sprechen zu hören. Schlimm genug, Stimmen zu hören! Man durfte jedoch keinesfalls tun, was sie sagten. Man stelle sich vor, jemand hörte Außerirdische, die befahlen, »Töte alle Hunde, Hunde sind böse!«, und man würde anfangen, Hunde zu ermorden. Im eigenen Kopf verrückt zu sein, war eine Sache, aber verrückt zu handeln eine andere. Auf keinen Fall! Schon allein bei dem Gedanken an den chaotischen Berg von Papieren und Rechnungen auf ihrem Schreibtisch fing ihr Kopf wieder an, wehzutun. Sie schaffte das nicht. Sie würde sich aufs Sofa legen.

Cäcilie ging in Richtung Sofa.

»Nein!« Der Kater sprang vom Schreibtisch und baute sich mit gesträubtem Fell vor ihr auf. »Wenn du dich jetzt hinlegst, wird das nie was mit deinen Papieren. Keine Ahnung, wozu Menschen Papiere brauchen, sie schmecken nicht. Ich habe es probiert. Bäh! Aber sie sind wichtig. Wenn die Papiere im Chaos sind, ist der Mensch im Chaos und es gibt kein Essen. Das konnte ich bei Clemens genau beobachten.«

»Ich schaffe es heute nicht«, sagte Cäcilie und bewegte sich weiter in Richtung Couch.

Doch Mika ließ nicht locker. »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Ich glaube, das ist eine Menschenweisheit. Stimmt ausnahmsweise. Wenn ich heute eine Maus fangen kann, wäre ich doch blöd, bis morgen zu warten. Dann habe ich heute keine Maus und morgen vielleicht auch nicht. Völlig klar! Los jetzt!«, kommandierte er und versuchte, Cäcilie mit seinem dicken Kopf in Richtung Schreibtisch zu drängen.

Cäcilie gab stöhnend nach. Die blöde Halluzination hatte leider recht.

Nachdem sie sich mit dem Gedanken abgefunden hatte, dass sie den Tag am Schreibtisch verbringen würde, fiel ihr die Arbeit erstaunlich leicht. Vielleicht trug auch der friedlich auf der Fensterbank hinter dem Schreibtisch schlafende und leise schnarchende Kater dazu bei. Jedes Mal, wenn sie den Blick hob und das schwarze Fellknäul sah, musste sie in sich hineinlächeln. Nach einer Weile stand sie auf. Sofort öffnete sich ein Katerauge und fixierte sie streng.

Cäcilie stöhnte. Musste er so übertreiben? »Ich muss mal aufs Klo.«

Der Kater blinzelte, was wohl mit einer Erlaubnis gleichzusetzen war, und schloss die Augen wieder.

Um die Mittagszeit fing Mika an, sich zu bewegen. Er dehnte und streckte sich nach allen Seiten.

»Pause!«, ordnete er an. Er sprang von der Fensterbank und marschierte in Richtung Küche.

»Nur noch …«, fing Cäcilie an, da wurde sie rüde unterbrochen.

»Es ist Zeit für eine Pause. Du sitzt ganz verspannt«, beharrte Mika. Er kam zurück und dehnte sich noch mal ausgiebig, indem er die Pfoten weit nach vorne und sein Hinterteil in die Höhe streckte. »Guck, so macht man das.«

Cäcilie wollte erneut widersprechen, stellte jedoch fest, dass ihr in der Tat alleswehtat. Sie dehnte sich probehalber. Es fühlte sich gut an. Sie stand auf und dehnte sich so, wie sie es bei Mika gesehen hatte, in alle Richtungen.

»Geht doch«, sagte dieser und kurz darauf war das übliche Schmatzgeräusch aus der Küche zu hören.

Cäcilie folgte ihm in die Küche und holte eine Müslipackung aus dem Schrank.

»Richtiges Essen«, sagte Mika schmatzend, ohne aufzusehen.

»Was?«

»Menschen essen mittags richtiges Essen. Sie machen es warm und es tut ihnen gut. Ich esse doch auch nicht nur Dosenfutter. Abends hole ich mir immer eine Maus oder was anderes Frisches. Sonst würde ich krank werden. Menschen nennen das, glaube ich, kochen. Los, koche!«

»Höflich bist du nicht gerade.«

»Pfff.«

Kopfschüttelnd schaute Cäcilie in ihren Kühlschrank, Rührei mit Paprika, das würde gehen. Das Wasser lief ihr im Munde zusammen. Sie hatte direkt Appetit darauf.

Als sie später über ihr Essen herfiel, tat sie es mit sichtlichem Genuss und spürte der angenehmen Wärme, die sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete, nach. Es war so lange her, dass sie sich etwas gekocht hatte.

Cäcilie switchte in die Vergangenheit.

Sie war gerade zehn Jahre alt geworden. Oma hatte die ersten Chemos hinter sich gebracht und war wieder zu Hause. So glücklich Cäcilie auch war, ihre Oma nach den schier endlos erscheinenden Wochen im Krankenhaus zurückzuhaben, umso irritierter war sie über die Veränderung, die Oma in dieser Zeit erfahren hatte.

Die ehemals fröhliche, rundliche kleine Frau war mager und zerbrechlich geworden. Sie hüpfte nicht mehr wie ein lustiger, kleiner Flummi von Zimmer zu Zimmer und sang dabei, sondern sie schleppte sich fast ausschließlich zwischen Sofa und Bett hin und her.

Wenn Cäcilie das Radio, das sonst immer lief, anstellte, bat Oma sie, es wieder auszustellen, sie benötige Ruhe. Oma sprach nicht viel und die Vorhänge blieben zugezogen. Das Licht bohre sich in ihren verkrebsten Kopf.

Kinderbesuch hatte Maman ihr mit Rücksicht auf Oma verboten. Wo Oma bisher Freude und Wärme versprüht hatte, traten nun Dunkelheit und Stille ein.

Wenn Cäcilie von der Schule kam, lag Oma im verdunkelten Raum auf dem Sofa, anstatt mit einem gedeckten Tisch und lecker duftendem Essen auf sie zu warten.

Eines Tages war Cäcilie freudestrahlend in die Wohnung gestürmt, um Oma zu erzählen, dass sie für die Hauptrolle des Abschlusstheaterstücks der vierten Klasse ausgewählt worden war.

»Das ist schön, Schatz«, hatte Oma lediglich gesagt und Cäcilie gebeten, nicht so laut zu sein.

»Was wollen wir essen?«, fragte die enttäuschte Cäcilie.

»Ich habe keinen Appetit. Mach dir Rührei mit Paprika. Das isst du doch gerne.«

Niedergeschlagen ging Cäcilie in die Küche und bereitete eine große Pfanne Rührei zu, schnitt Paprika klein und backte Brötchen dazu auf.

Sie suchte besonders hübsche Teller mit bunten Blumen am Rand heraus und stellte sogar eine Vase mit Gänseblümchen auf den Tisch, die sie schnell noch im Garten pflückte. Zufrieden musterte sie die Tafel. Er sah genauso appetitlich aus, wie es duftete. Unwillkürlich schossen ihr Tränen in die Augen. Sie wollte nicht schon wieder allein essen. Oma war doch endlich zu Hause. Entschlossen wischte sie sie Tränen ab und stand auf. Sie ging in die Stube, zog die Vorhänge auf und ließ die Sonne herein. Mit in den Seiten aufgestützten Armen baute sie sich vor Oma auf.

»Du stehst jetzt auf und isst mit mir. Eten un Drinken höllt Lief un Seel tosamen. Das sagst du doch immer. Dann mach das jetzt auch.«

Und wie durch ein Wunder rappelte Oma sich mit verdächtig feuchten Augen auf und kam mit in die Küche. Sie pickte zwar nur ein paar Bröckchen, wie ein kleines Vögelchen, aber von dem Tag an blieben die Vorhänge geöffnet und das Essen stand auf dem Tisch, wenn Cäcilie nach der Schule nach Hause kam. Tag für Tag aß Oma ein wenig mehr und mit jedem Bissen kehrte etwas von ihrer alten Kraft und Fröhlichkeit wieder.

»Du bist mein guter Geist, ma petite«, sagte Oma immer wieder. »Ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun sollte.«

Fast ein Jahr hatten sie noch so zusammengelebt. Fröhlich und dankbar für jeden Augenblick. Dann war der Krebs zurückgekehrt.

Mika stupste sie an. Sie kehrte zurück in die Gegenwart und streichelte ihn.

»Du bist mein guter Geist, Mika«, sagte Cäcilie.

»Logisch«, antwortete er und putzte sich mit ausgesprochen selbstzufriedenem Habitus über seine Schnurrhaare.

Kapitel fünf

Das Leben ist analog

Innerhalb kürzester Zeit entwickelten Mika und Cäcilie eine gemeinsame Routine. Die hauptsächlich daraus bestand, zusammen auf dem Sofa zu liegen und zu schlafen oder Essen zuzubereiten und zu essen. Oft philosophierten sie auch gemeinsam über das Leben, manchmal schauten sie zusammen fern.

»Das will ich auch!«, rief Mika, sobald Werbung für Katzenfutter erschien.

Cäcilie stöhnte. »Das schmeckt dir nur wieder nicht. Ich musste schon dreimal los, weil du unbedingt das Futter aus der Werbung wolltest, und nie hat es dir geschmeckt.«

Mika kletterte auf Cäcilies Schoß und starrte sie mit zu winzigen Schlitzen verzogenen Augen an. »Der Katze im Fernsehen hat es super geschmeckt. Du hast nicht das Richtige gekauft.«

Cäcilie nahm sanft seinen Kopf in ihre Hände. »Mika, im Fernsehen und in der Werbung ist nicht die Realität abgebildet. Das meiste sind Erfindungen und Lügen.«

Mika fauchte, sprang auf den Boden und schlug mit seiner Tatze nach dem Fernsehapparat. »Lügenfresse!«, schimpfte er und rollte sich hinter dem Sofa zum Schlafen zusammen.

Es liefen gerade Nachrichten, als er wach wurde. Entsetzt starrte er auf den Bildschirm, der Szenen vom Krieg und von schreienden Menschenmassen, die demonstrierten, zeigte.

»Mach das weg. Warum schaust du böse Lügen?«, fauchte er.

Cäcilie seufzte. »Das ist diesmal leider real.«

Mika schwieg und verfolgte die Szenen im Fernseher. Erneut kletterte er auf Cäcilies Schoß und blickte sie an. Diesmal wirkte sein Blick traurig. »Warum hassen die Menschen sich gegenseitig?«, fragte er.

Cäcilie zuckte mit den Schultern. »Es hat viele Gründe. Oft geht es um die Freiheit oder um Ressourcen.«

»Das mit der Freiheit verstehe ich. Kannst du dir vorstellen, dass der alte Bodo zwei Häuser weiter nicht mehr raus darf? Manchmal entwischt er und erzählt mir, dass sein Herzensmensch Angst um ihn hat, weil er schon so alt ist. Aber er hat keine Angst. Er will einfach nur raus. Er war immer ein freier Kater. Keiner darf ihm das nehmen. Er wird immer kränker und bald wird er wirklich sterben, aber unglücklich«, sagte Mika. Nach einer kleinen Pause fragte er: »Was sind Ressourcen?«

Cäcilie zögerte. Wie sollte sie ihm das erklären? »Einfach betrachtet geht es um Mäuse. Viele Menschen sind arm und haben Hunger. Andere sind sehr reich und leben im Überfluss. Dann gibt es Krieg. Weil alle die wenigen Mäuse haben wollen. Manchmal hassen sie andere nur, weil sie einen anderen Glauben haben oder anders aussehen.«

Mika riss seine Augen auf. »Ich verteidige mein Revier. Der dicke rote Kater, der hier immer durchläuft, nervt mich ganz schön. Manchmal prügeln wir uns auch. Ich bin natürlich viel stärker.« Er grinste. »Gestern habe ich ihm eins mitten auf die Nase gegeben. Du hättest sehen sollen, wie der auf einmal losgeflitzt ist. So schnell ist der Dicke noch nie gerannt.« Mika wurde wieder ernst. »Aber es geht ums Revier und die Beute. Ich hasse ihn nicht. Und wie er aussieht, ist mir völlig egal. Katzen sind alle schön, von Natur aus, egal, welche Fellfarbe sie haben.«

Cäcilie lachte und kraulte ihn unter dem Kinn. »Das finde ich auch.«

»Logisch«, schnurrte Mika, während er ihr seine Kehle entgegenstreckte. »Stell den blöden Kasten aus, er macht schlechte Laune. Die spinnen, die Menschen.«

»Tagesplanung!«, forderte Mika am nächsten Morgen, als Cäcilie den Frühstückstisch abräumte.

»Welche Tagesplanung? Ich bin noch krank, die Wohnung sieht einigermaßen ordentlich aus und die Papiere habe ich sortiert. Ich dachte an Sofa und Netflix.«

»Auf keinen Fall! Das hast du schon die letzten drei Tage gemacht. Es ist langweilig und macht rammdösig. Das mache ich nicht mehr mit«, sagte Mika.

»Musst du doch auch nicht. Geh ruhig Mäuse fangen«, sagte Cäcilie.

Mika schüttelte den Kopf und schaute sie ernst an. Cäcilie stöhnte. Das kannte sie schon. Nun musste sie sich wieder einen Vortrag anhören und in der Tat, Mika legte los.

»Menschen! Tsss! Mäuse fängt man abends. Katzen sind nachtaktiv, Menschen tagaktiv. Außer dir und Clemens. Ihr hängt immer nur rum. Irgendwann gibt es keinen Unterschied mehr zwischen dir und dem Sofakissen. Selbst im Fernsehen berichten sie darüber. Es heißt Depression und was dagegen hilft, ist Aktivität. Ich habe genau zugehört.«

Cäcilie ärgerte sich. Vielleicht sollte sie doch mal einen Psychiater aufsuchen. War es normal, dass der Kater mit ihr Dokus über Depression schaute und sie dann zwingen wollte, aktiv zu werden? Ihr Unterbewusstsein, verkörpert durch Mika, hatte bei der Sendung offenbar genau zugehört. Aktivität und Tagesstruktur helfen gegen Depressionen. Nur Sitzen, Fernsehen oder Computerspiele sind Gift für die Seele, hatte der Psychologe in der Sendung gesagt.

»Ich habe zu nichts Lust«, wandte Cäcilie ein.

»Wen interessiert das? Von Lust war keine Rede. Du sollst was machen, die Lust kommt dann schon.«

»Dann mache ich jetzt ein Computerspiel an. Du kannst ja mitspielen.« Cäcilie grinste herausfordernd.

Am Vortag hatte sie dem Kater erlaubt, mit ihr am Computer zu spielen, aber er hatte schnell die Lust daran verloren, einen leuchtenden Fleck auf dem Bildschirm fangen zu wollen.

»Das macht keinen Spaß. Es riecht nicht nach Maus, es fühlt sich nicht so weich, warm und fellig an, es quiekt nicht, hüpft nicht und schmeckt nicht. Es ist hart und tut an den Tatzen weh, wenn man draufhaut, und ich darf keine Krallen benutzen. Computer sind doof.«

»Du hast ja recht, aber ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll.« Ratlos zuckte Cäcilie mit den Schultern.

In diesem Augenblick klingelte es. Wer mochte das sein?

Cäcilie öffnete zögerlich die Tür.

Ein hochgewachsener junger Mann, nur wenig älter als sie selbst, stand vor der Tür. Er trug Jeans und ein akkurat gebügeltes Hemd. Unsicher lächelte er sie an.

»Entschuldigen Sie, haben Sie vielleicht diesen Kater gesehen?« Er hielt einen Flyer mit einem Bild von Mika hoch, über dem dick und fett »Mika wird vermisst« stand.

Cäcilie schluckte. Sie wünschte, sie hätte etwas anderes an als eine olle Jogginghose und ein löchriges T-Shirt. Der junge Mann sah so ordentlich aus. Er hatte sogar versucht, seine wilden, blonden Locken mit Haargel zu bändigen. Wenn auch vergeblich.

»Nein, nie gesehen«, log sie reflexartig und fragte: »Ist das ihr Kater?«

»Er gehört meinem Onkel. Der wohnt nebenan. Mika war schon ein paar Tage nicht mehr zu Hause. So lange bleibt er sonst nie weg.«

Cäcilie fühlte, wie die Hitze in ihr Gesicht stieg. Warum hatte sie gelogen? Aus irgendeinem Grund wollte sie nicht, dass jemand wusste, dass Mika bei ihr war. Wenn sie nur daran dachte, er könnte verschwinden und sie wieder ganz allein zurücklassen … Ein Frösteln lief durch sie hindurch.

»MRRAUUU!« In diesem Augenblick kam Mika aus der Stube angerannt, quetschte sich an Cäcilie vorbei und schlängelte sich hoch erhobenen Schwanzes um die Beine des Besuchers.

»Mika, alter Ausreißer. Da bist du ja.« Der junge Mann bückte sich und nahm den heftig schnurrenden Kater hoch.

»So, so. Noch nie gesehen! Sie können doch nicht einfach fremde Kater klauen. Geht’s noch?«, fauchte der Typ sie an. Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich wütend um und verschwand mit dem immer noch schnurrenden Kater in den Armen im Eingang zum Nachbarhaus.

Cäcilie stand wie erstarrt. Dann wandte sie sich ab und schloss die Tür. Die Wohnung, die ihr eben noch heimelig warm erschienen war, voller Katergeschwätz, drückte mit ihrer kalten Leere auf ihr Gemüt. Und wieder versank sie in ein Déjà-vu.

Vor Cäcilies Augen erschien das Bild von Hanno. Es war kurz vor dem Abitur. Ihre Mutter hatte gerade die Krebsdiagnose erhalten. Hanno war seit dem Kindergarten ihr bester Freund. Plötzlich sahen sie sich mit anderen Augen an. Er war nicht mehr nur der alte Hanno, der im Unterricht herumalberte und sie zum Lachen brachte.

---ENDE DER LESEPROBE---