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Im beschaulichen Ahrensloe geht mal wieder alles drunter und drüber. Insbesondere im Leben der Caféinhaberin und Hobbydetektivin Lena. Nicht nur die zwei neuen Aushilfen im Café, die eine schrill, die andere schüchtern, sondern auch eine neue Leiche halten sie auf Trapp. Wieso liegen in der norddeutschen Kleinstadt eigentlich ständig Tote herum? Lena hat die Nase voll davon, soll sich doch wer anders drum kümmern. Als jedoch Sohn Florina zum Hauptverdächtigen wird, gibt es kein Halten mehr für sie. Lena legt los. Ihre Nachforschungen bringen sie bis nach Kiel zum weißen Riesen und sie lernt den charmanten Tony kennen. Ihr Freund treibt sich währenddessen mit einer dünnen Blondine herum, es gibt nächtliche Gäste im Café und Florian wird von Amor verfolgt. Kater Misti, ungerechterweise auch Mistvieh genannt, kann Mörder echt nicht leiden und die Tarot legenden alten Damen des Ortes stehen Lena auch diesmal zur Seite. Dies ist der vierte Band der Serie um Lenas Café, in der die Pfälzerin Lena im verträumten schleswig-holsteinischen Ahrensloe Morde aufklärt. Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig gelesen werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Im beschaulichen Ahrensloe geht mal wieder alles drunter und drüber. Insbesondere im Leben der Caféinhaberin und Hobbydetektivin Lena. Nicht nur die zwei neuen Aushilfen im Café, die eine schrill, die andere schüchtern, sondern auch eine neue Leiche halten sie auf Trapp. Wieso liegen in der norddeutschen Kleinstadt eigentlich ständig Tote herum? Lena hat die Nase voll davon, soll sich doch wer anders darum kümmern.
Als jedoch Sohn Florian zum Hauptverdächtigen wird, gibt es kein Halten mehr für sie. Lena legt los. Ihre Nachforschungen bringen sie bis nach Kiel zum weißen Riesen und sie lernt den charmanten Tony kennen. Ihr Freund treibt sich währenddessen mit einer dünnen Blondine herum, es gibt nächtliche Gäste im Café und Florian wird von Amor verfolgt.
Kater Misti, ungerechterweise auch Mistvieh genannt, kann Mörder echt nicht leiden und die Tarot legenden alten Damen des Ortes stehen Lena auch diesmal zur Seite.
Dies ist der vierte Band der Serie um Lenas Café, in der die Pfälzerin im verträumten schleswig-holsteinischen Ahrensloe Morde aufklärt.
Elisabeth Grimm ist geboren und aufgewachsen in Rheinhessen und hat in Frankfurt am Main Psychologie studiert. Die Arbeit brachte sie in den hohen Norden und die Liebe hat sie dort ein Zuhause finden lassen. Als überzeugte Schleswig-Holsteinerin liebt sie die plüschigen Galloways (lieber auf der Weide als auf dem Teller) und die wunderbare Natur ebenso sehr wie Butterkuchen und Fliederbeersuppe mit Grießklößchen. Schließlich höllt Eten und Drinken Lief un Seel tosamen. Und natürlich sind neben ihrer Familie ihre Katze und Bücher der Mittelpunkt in ihrem Leben. Sie schreibt seit dem zwölften Lebensjahr, Cosy Crimes, Kinderbücher und einen Katzenroman (Veröffentlichung voraussichtlich 2025).
Bisher von Elisabeth Grimm erschienen:
Dampfnudeln, Butterkuchen und Mord, Lenas Café, Band eins.
Achtsamkeit, heiße Maronen und Mord, Lenas Café, Band zwei.
Weihnachten, Fliederbeersuppe und Mord, Lenas Café, Band drei.
Liebe, Kirschpralinen und Mord, Lenas Café, Band vier.
Meer, Salzkaramell und Mord, Lenas Café, Band fünf.
Federweißer, Zwiebelkuchen und Mord, Lenas Café, Band sechs.
Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.
Als Emma Grimm:
Wo ist Oma Wagner? Nele und Kater Carlo ermitteln, Hörbuch für Acht- bis Elfjährige, gesprochen von Astrid Haag.
Originalausgabe
1. Auflage
© 2024 Elisabeth Grimm
Text: Elisabeth Grimm
Hindenburgstraße 52
23843 Bad Oldesloe
E-Mail: [email protected]
Alle Figuren und Ereignisse sind frei erfunden, Ähnlichkeiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Korrektorat: Tino Falke
Covergestaltung und digitaler Buchsatz:
Sarah Schemske (www.buecherschmiede.net)
Alle Rechte vorbehalten.
Lena, 42 Jahre alt, nach Schleswig-Holstein vertriebene Pfälzerin und Caféinhaberin
Das »demente Trio«:
Lotti, 75 Jahre, ehemalige Grundschullehrerin, trägt Blümchenblusen und ist der Fels in der Brandung
Ava, 72 Jahre, aber will es nicht wahrhaben
Hilde, 75 Jahre, sieht und fühlt mehr als andere, ihr Kleidungsstil ist eine Herausforderung für alle, die nicht farbenblind sind
Florian, Lenas Sohn und alleinerziehender Vater, der seit Kurzem mit seiner Tochter Naomi, fast ein Jahr alt, bei Lena lebt
Klaus Kimmel, Kriminalhauptkommissar, Essen spielt in seinem Leben eine wichtige Rolle
Misti, auch Mistvieh genannt, Lenas Kater, auch er räumt seiner Ernährung absolute Priorität ein
Bijou, graue Perserkatze
Heinz Hansen, Lenas Vermieter
Yvonne, pink gekleidete Barbie und Tochter von Heinz, die sich zur lieben Freundin und Yogalehrerin gewandelt hat
Frau Nolde, Lenas Nachbarin mit spitzer Nase und einer Vorliebe für Gartenarbeit und düstere Vorhersagen
Celina Knopp, grelle Aushilfe im Café, böse Menschen nennen sie Tigerbitch
Samantha Schmidt, ebenfalls Aushilfe im Café, eher das Gegenteil von Celina
Mark, Celinas Ex- und Ex-Ex-Ex-Freund
Tony, Elvis Double und Ex-Ex von Celina
Bernd Berger, neuer Kriminaloberkommissar
Ich widme dieses Buch allen Frauen. Gerade hat wieder eine Studie gezeigt, dass Frauen immer noch circa fünfzig Prozent mehr ehrenamtliche, das heißt nicht bezahlte Arbeit verrichten als Männer. Hierzu gehören Kinderbetreuung, Hausarbeit, Pflege von Angehörigen und vieles mehr. Dies wird nach wie vor in unserer Gesellschaft nicht anerkannt. Das zeigt sich auch darin, dass alleinerziehende Mütter und Rentnerinnen die Armutsstatistiken füllen. Also hier ein Hoch auf die Frauen. Ach was. Ein dreifaches Hoch, Hoch. Hoch! Ohne uns läuft der Laden nicht.Elisabeth Grimm
Es ist ein viel zu milder Januartag. Die Sonne scheint, Vögel zwitschern, die ersten Schneeglöckchen strecken ihre vorwitzigen Köpfchen aus der Erde.
Eine langhaarige graue Perserkatze liegt ausgestreckt auf der sonnenwarmen Sitzfläche eines kaputten Strandkorbes im Garten einer heruntergekommenen, unbewohnten Villa.
Ein dicker roter Kater schleicht vorbei, stutzt, starrt sie aus seinen grünen Kateraugen an und nimmt ihren Duft in sich auf.
Die graue Katze ignoriert ihn und leckt sich hochkonzentriert die Pfötchen sauber. Der Kater starrt und flehmt weiter. Dann rennt er los. Er hat plötzlich das total dringende Bedürfnis, der nonchalanten Grauen eine Maus zu fangen.
»Aha!« Lena lauschte mit undefinierbarem Gesichtsausdruck.
»Ist das so?« »Wenn du meinst.« »Einen schönen Abend noch. Tschüss.«
Lena legte das Handy beiseite und ärgerte sich. Wieso gab es keine richtigen Telefone mehr? Dann hätte sie jetzt den Hörer mit Vollkaracho auf die Gabel schmeißen können. Sie hatte ja noch nicht mal ein Klapphandy, das man zuknallen konnte. Was dem Gerät auf Dauer möglicherweise nicht zuträglich gewesen wäre. Ihr Handy könnte sie höchstens auf den Boden werfen und darauf herumtrampeln, aber das war eventuell ebenfalls der Funktionstüchtigkeit abträglich. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als sich in aller Seelenruhe einen Cappuccino zuzubereiten und sich zu Lotti und Ava, denen die Neugierde förmlich aus dem Gesicht sprang, an den Personaltisch zu setzen.
Es war Mitte Januar, das Café war bis auf die grauhaarige Lotti, die gleich alte, brünett gefärbte Ava und ein paar Stammkunden menschenleer. Draußen tobte nach fast frühlingshaften Tagen graues Winterwetter mit Dauerregen und einem Sturmtief nach dem nächsten. In der Fußgängerzone vor dem Café war genauso tote Hose wie drinnen.
Lotti musterte Lena eindringlich mit ihren klaren grauen Lehrerinnenaugen, während Lena lustlos ihren Cappuccino umrührte.
»Schlechte Nachrichten?«, fragte Lotti.
Lena zuckte nur mit den Schultern. Sie hatte keine Lust, darüber zu sprechen. Und außerdem, wenn sie schon den Kimmel nicht zu fassen bekam, um ihm ihren Frust höchstpersönlich um die Ohren zu hauen, konnte sie wenigstens Lotti ein wenig ärgern, indem sie sie auf die Folter spannte.
»Noch ein Schinkencroissant, Lotti?«, wechselte Lena das Thema.
»Du weißt doch, dass ich meins schon hatte.« Lotti zog verwundert die Augenbrauen hoch.
»Dann nimm halt noch eins. Es sind genug da. Blöde Idee mit dem Frühstück, es bleibt ständig was übrig.«
Lotti schnaufte empört. »Bis vor Kurzem war dein Frühstück der Renner. Ist doch normal, dass mal Flaute ist.«
Ava, ebenso wie Lotti 70 plus und Teil des »dementen Trios«, wie die drei naseweisen Damen, die sich in alles einmischten, gemeinerweise genannt wurden, nippte an ihrem schwarzen Kaffee (gemäß Lenas Kaffeelogie der Beweis, dass Ava komplett spaßbefreit war, wie alle Kaffeeschwarztrinker) und kicherte gehässig.
»Es ist Januar, ihr Lieben. Außer euch beiden ist der Rest der Menschheit auf Diät. Da werden keine fettigen mit Schinken, Käse und Mayo belegten Croissants gefuttert.«
Lotti schnaubte erneut. Diesmal verächtlich. »So ein Unsinn. Ich brauche keine Diät.«
Ava verzog ihr sorgfältig geschminktes Gesicht unter dem eleganten Haarknoten zu einer fiesen Grimasse.
»Du vielleicht nicht.«
»Du findest mich zu dick?« Lenas Stimme war eine gefährliche Oktave nach oben gestiegen.
Ava zuckte nur die eleganten, kaschmirumhüllten und, wie Lena neidvoll anerkennen musste, ziemlich mageren Schultern.
»Ich täusche mich ja vielleicht, aber dein sowieso rundes Gesicht hat sich dem Mond angepasst.«
»Miststück«, zischte Lena, die genau wusste, dass gerade Vollmond war. Während dieser Mondphase konnten sie und Naomi, ihre Babyenkelin, kaum schlafen. Das war nervig genug. Sie ließ sich hier doch nicht beleidigen. Lena stand auf, warf ihre leere Cappuccinotasse in die Spüle und fing an, Gläser aus den Regalen zu räumen, um sie neu zu polieren.
Lotti war ebenfalls aufgestanden und hatte sich an die Theke gestellt.
»Das hast du doch gerade erst gemacht.«
»Dann mache ich es eben noch mal. Gläser polieren hat noch nie jemandem geschadet.«
»Sag mir doch einfach, was los ist. Ist was mit Flori?«
»Nein.« Lenas 22-jähriger Sohn Florian, der seit einem halben Jahr mit seiner fast ein Jahr alten Tochter Naomi bei ihr wohnte, weilte genau dort, wo er sein sollte. In der Universität in Lübeck, während Hilde, die Dritte im Bunde des dementen Trios, auf die kleine Naomi aufpasste.
»Also ist was mit dem Kimmel«, vermutete Ava, die sich neben Lotti gestellt hatte.
Lena schossen Tränen in die Augen.
Verstohlen wischte sie sie ab, aber Lotti war schon an ihrer Seite und dirigierte sie sanft zurück an den Personaltisch. Ava schnappte sich die Grappaflasche und drei Gläser, schenkte in freudiger Erwartung intimer Details aus Lenas frisch gebackener Beziehung zu Kriminalhauptkommissar Kimmel randvoll ein und prostete den andern zu. »Nicht lang schnacken, Kopf in’n Nacken.« Dann trank sie auf ex. Lena musste wider Willen lachen und machte es ihr nach.
»Was is denn nu?« Lotti war ungeduldig.
»Ach, eigentlich gar nichts. Nur dass er so ein richtiger Torfkopf ist. Wir haben uns echt gut verstanden, bis er Anfang Januar wieder zur Arbeit musste. Jetzt sagt er fast immer ab. Er hat hier ein Seminar, dort eine Besprechung, ist kaputt, muss unbedingt zum Sport. Ich glaube, er will sich trennen und traut sich nur nicht, es mir zu sagen.«
»Tünkram«, sagte Lotti entschieden. »Der Kimmel lebt schon lange allein und außerdem ist er ein Mann. Multitasking ist nicht bei ihm. Wenn er arbeitet, fällt es ihm eben schwer, sich noch auf etwas anderes zu konzentrieren.«
Lena schüttelte nur ungläubig den Kopf. »Aber selbst sein Sport ist ihm wichtiger. Sport, echt jetzt!«
Ava seufzte. »Auch wenn du es dir nicht vorstellen kannst, für andere ist es eben wichtig, wie sie aussehen. Nachdem der Kimmel so viel abgenommen hat und auch du ihn vorher null beachtet hast, kann ich mir schon vorstellen, dass er Wert darauf legt, regelmäßig zum Sport zu gehen. Würde kleinen Monden ebenfalls nicht schaden.«
Lena spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg.
»Was bist du nur fürn ooltes Aastüch.«
Lotti mischte sich ein. »Aber vielleicht hat Ava ja gar nicht so unrecht. Hier im Café würde es auch nicht schaden, eine gesunde Alternative zum Vollfettcroissant anzubieten. Beschäftige dich besser mit Problemen, die du lösen kannst, als mit übertriebenen Katastrophisierungen, was den Kimmel betrifft. Ich habe noch nie einen Kerl gesehen, der so sehr wie ein Schaf guckt, wenn er dich sieht. Das ist ein eindeutiges Zeichen. Der Kimmel hat einfach gerade andere Sorgen, aber er ist nach wie vor ein verliebter Schafskopf.«
»Meinst du?« Lena suchte hoffnungsvoll Lottis Blick.
Lotti nickte entschieden. »Ganz sicher.«
Lena war beruhigt. Schließlich hatte Lotti fast immer recht. Aber das hieße ja …
»Findest du mich zu dick?«, fragte sie Lotti leise.
»Ich glaube, es würde dir nicht schaden, die Weihnachtskilos wieder abzuspecken, dich gesünder zu ernähren und ein wenig Sport zu machen. Wir werden alle nicht jünger und du musst noch ein paar Jährchen hier im Café buckeln«, wich diese geschickt aus.
Als Ava und Lotti gegangen waren, hatten sie eine sehr nachdenkliche Lena zurückgelassen, die immer wieder forschend in den Spiegel hinter den Glasregalen blickte.
Kleiner Mond. Frechheit! Was ihr da ihm Spiegel entgegenblickte, war ein ausgewachsener Vollmond.
Auf dem Nachhauseweg musterte Lena sich in jedem Schaufenster. Hatte sie wirklich zugenommen? Okay, die Jeans drückten ein wenig am Hosenbund, aber kein Problem, man konnte schließlich den obersten Knopf einfach still und heimlich unter der Bluse öffnen, wenn man sich hinsetzte. Blöd wurde es nur, wenn man beim Aufstehen vergaß, ihn wieder zu schließen, und die Hose auf dem Weg durchs Café plötzlich in den Knien hing, als wäre man ein Pseudohipster aus Billstedt. Bei der Erinnerung daran, wie sie mitten im Café mit rutschender Hose gestanden hatte, wurde Lena knallrot. Immer diese nervigen Hitzewallungen. Sie öffnete ihren dicken Daunenmantel, der für die entspannten acht Grad Celsius, die das Thermometer zurzeit aufwies, viel zu warm war. Oder waren das etwa schon die Wechseljahre? War sie dafür mit 42 Jahren nicht noch viel zu jung? Na ja, sie war ja sogar schon Oma. Lena warf einen Seitenblick in das Fenster einer kleinen Boutique. Mit dem offen stehenden Mantel sah sie aus wie das Michelinmännchen. Lena trat näher an das Fenster. War sie wirklich so fett geworden? Das musste eine optische Täuschung sein. Sie hatte gehört, dass Magersüchtige eine Körperschemastörung hatten und sich viel dicker wahrnahmen, als sie waren. So musste es bei ihr auch sein. Oder das Schaufenster verzerrte einfach alles. Das war eh klar. Hm, das war ein hübscher Pullover, der da dekoriert war. Geringelt in verschiedenen Fliedertönen. Lena liebte geringelt und Lila war schließlich die Farbe der Bewegung. Frauenpower. Den musste sie haben. Kurz entschlossen betrat Lena die kleine Boutique und fragte nach dem Pullover in Größe 42, um ihn anzuprobieren. Die schlanke Verkäuferin musterte sie skeptisch und reichte ihr zwei Pullover, nachdem sie ihr den Weg zur Umkleidekabine am Ende des Ladens gezeigt hatte.
Lena lachte. »Die sehen zwar toll aus, aber einer reicht mir völlig.« Dann fiel ihr Blick auf einen passenden kurzen Jeansrock. »Der ist ja schick. Haben Sie den auch noch in 42 da?«
Wiederrum wurden ihr mit entschuldigendem Lächeln zwei Exemplare überreicht. »Die Sachen fallen ein wenig klein aus, ich gebe Ihnen die 44 mit dazu.«
Lena spürte erneut ein heißes, unangenehmes Prickeln im Gesicht. Am liebsten hätte sie der dürren Kuh die Sachen an den Kopf geworfen und den Laden verlassen. 44, Unverschämtheit! Lena atmete tief aus. Sie sollte sich nicht gleich aufregen. Möglicherweise meinte die Verkäuferin es nur nett.
Lena zwängte sich gerade in der viel zu kleinen Umkleidekabine in die 44 (!), als neue Kunden den Laden betraten. Während es ihr unter Luftanhalten und Baucheinziehen gelang, den Knopf des Minirocks zu verschließen, hörte sie, wie die Verkäuferin der Kundin, die die Kabine neben ihr betrat, riet, doch eine Größe kleiner zu nehmen, die Sachen würden recht groß ausfallen. Bitch!, dachte Lena und musterte sich im Spiegel. Sie sah aus wie eine lila geringelte Wurst, mit einem roten Ende, ihrem Gesicht, das vor Luftnot und Ärger immer röter wurde. Gerade als sie den Kopf aus der Kabine strecken und um Größe 46 (!) bitten wollte, erstarrte sie.
»Monika, kommst du endlich? Ich habe nicht ewig Zeit.«
Nein! Das war doch der Kimmel.
Mit klopfendem Herzen öffnete Lena den Vorhang einen Spalt und sah eine ausgesprochen schlanke, blonde Frau, die in genau der Kombination, aus der sie gerade herausquoll, vor dem Spiegel stand, während der Kimmel danebenstand und mit dem typischen genervten Gesichtsausdruck, den Männer beim Einkaufen haben, ihre Jacke hielt.
»Wie findest du es?«, fragte die Frau, die sich wie eine Ballerina vor dem Spiegel drehte.
»Super. Können wir nun endlich gehen?«
»Nein, jetzt mal ehrlich.«
Kimmel seufzte. Er guckte kurz von seinem Handy auf und lächelte die Frau an. »Es steht dir wirklich gut. Aber du wolltest nur kurz hier reinschauen. Wir müssen los.«
Die Frau drehte sich noch ungefähr hundertmal und bewunderte sich von allen Seiten, während der Kimmel vor sich hin stöhnte und Lena kurz vorm Explodieren war. Und das lag nicht an der angehaltenen Luft oder der zu engen Kleidung.
Vorsichtig schloss sie den Vorhang wieder und ließ sich erst mal auf den kleinen Hocker in der Kabine fallen. Sollte sie in diesem Clownsaufzug aus der Kabine stürzen und den Kimmel konfrontieren? Damit, dass er angeblich heute Abend länger arbeiten musste? Nach einem erneuten Blick in den Spiegel entschied sie sich dagegen. Sie sah aus wie ihr Kater Misti, kurz bevor er aus seinem Fell platzen würde. Der arme Kater hatte es leider geschafft, über die Feiertage zwei Kilo zuzunehmen, und er war schon vorher nicht gerade ein Leichtgewicht gewesen. Die Tierärztin hatte ihn beim Impfen gewogen und strengste Diät verordnet.
»Da müssen mindestens drei Kilo runter, Ihr Kater wiegt zehn Kilo.« Empört hatte sie Lena gemustert. Nun war ihr auch klar, weshalb. Bestimmt hatte sie gedacht, wie der Herr, so’s Gescherr, sowohl Kater als auch Besitzerin platzen aus allen Nähten.
Lena war so in Gedanken, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, dass der Kimmel und seine dürre Blondine den Laden verlassen hatten. Tja, dass er einen ungesunden Hang zu Blondinen hatte, hatte die dunkelhaarige Lena spätestens beim Mord am schönen Hans und seinem Schlawenzeln um die blonde Amelie gemerkt. Das hätte ihr eine Warnung sein sollen. Aber anscheinend bevorzugte er nicht nur blond, sondern auch dünn. Damit konnte sie nun wirklich nicht dienen. Und er log. Das war der Gipfel! Lena, deren Ex-Mann sie über Jahrzehnte hinweg belogen und betrogen hatte, konnte Lügner einfach nicht ertragen. Nie hätte sie den drögen Kimmel mit seinen klaren blauen Augen hinter der dicken Brille und seiner langsamen, bedachten Art für einen Lügner gehalten.
»Wie man sich täuschen kann«, entfuhr es ihr kopfschüttelnd.
»War die Größe nicht richtig? Wollen Sie mal eine 46 probieren?«, fragte die Verkäuferin, die genauso verlogen war wie der Kimmel. Die gleichen Sachen fielen offenbar mal zu klein und mal zu groß aus, wie’s beliebte.
»Danke, es passt perfekt, aber es ist doch nicht mein Stil. Wirkt ein bisschen billig«, log Lena frech, quälte sich aus den engen Sachen, schmiss sie der verblüfften Frau auf die Theke und verließ mit hochrotem Gesicht den Laden.
Der kühle Wind im Gesicht auf dem Nachhauseweg tat richtig gut. Zum Glück kühlte nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ihre Wut langsam ab. Lena entschied sich, noch einen kleinen Abstecher zum Supermarkt zu machen.
Kurz vor der Kasse blickte sie in ihren Einkaufswagen. Tiefkühlpizzen, weißes Aufbackbaguette, Fertiglasagnen, Salami, Butter, Rotwein und Camembert in Vollfettstufe lagen neben mehreren Tafeln Schokolade und einer winzig kleinen 400-Gramm-Tüte Chips. Das einzig Kalorienarme in dem Wagen waren die Tomaten zum Käse und die Gemüsegläschen für Naomi, nebst deren Windeln. Die konnte man schließlich nicht essen.
Lena starrte eine gefühlte Ewigkeit auf ihren Einkauf. Wie lange aß sie schon so? Früher hatte sie immer für sich und Florian gekocht, Fast Food und Tiefkühlware waren ihr nicht ins Haus gekommen. Aber seit sie hier im Norden lebte, hatte sich alles verändert. Sie hatte nach einem langen Tag im Café einfach keine Kraft mehr, auch noch zu kochen. Florian hatte so viel mit seinem Studium und Naomi zu tun, dass er ebenfalls auf Fertigprodukte zurückgriff, und im Café half er auch nur noch selten. Wie ein Flashback hatte Lena kurz die schwitzende lila Wurst mit dem hochroten Kopf vor Augen, während sich die blonde Elfe selbstzufrieden vor dem Spiegel drehte.
Energisch schüttelte Lena den Kopf, machte eine Kehrtwende mit dem Einkaufswagen und tauschte: Vollfettkäse gegen die Light-Version und Quark. Salami wurde in Geflügelsalami umgewandelt und die Baguettes in Vollkornbrötchen. Sie kaufte Äpfel, Bananen, Orangen, Tomaten, Möhren, Gurke und Salat, mageres Fleisch, Fisch und Eier. Haferflocken, geriebene Mandeln und Mandelmilch. Die Chips, die sich vorher in den Wagen geschlichen hatten, wurden in Walnüsse und Salzstangen umgetauscht, die fünf Tafeln Vollmilchschokolade in zwei mit 70 Prozent Kakao und kaum Zucker, nur der Rotwein durfte bleiben. Ein bisschen Spaß musste schließlich sein.
Auf dem Nachhauseweg fühlte Lena sogar ein wenig Stolz. Schiet doch auf Kimmel, den Lügenbaron, sie würde ihr Leben ändern. Sie würde wieder die alte Lena mit mäßigem Übergewicht, das ihr gut stand und mit dem sie leben konnte, werden. Sie würde sich endlich mal um sich selbst kümmern. Das nahm sie sich schon vor, seit sie vor drei Jahren aus der Pfalz in den Norden gekommen war. Sie hatte eine gescheiterte Ehe, in der sie belogen und betrogen worden war, hinter sich gelassen, um endlich ein eigenes Leben zu leben. Stattdessen betütelte sie Florian und Naomi, stand fast täglich im Café und jammerte dem nächsten verlogenen Kerl hinterher. Schluss damit. Hier kam Lena 3.0. Die extrem verbesserte Form. Die anderen konnten sich warm anziehen. Vielleicht nicht zu warm, es waren schließlich acht Grad.
Sam starrte den gelbstichigen Putz an, der unter der halb heruntergerissenen Raufasertapete hervorblitzte. Widerwillig schälte sie sich aus ihrem Schlafsack und erhob sich mühevoll von der mürben Matratze. Im Zimmer des leer stehenden Hauses, in dem Mark ihr Unterschlupf geboten hatte, zog es empfindlich durch die trüben Altbaufenster.
»Aber nur für ein paar Tage«, hatte er gesagt. »Ich will keine Neuen, zu viele Leute, die hier ein und aus gehen, fallen auf.«
Wütend trat sie einen alten Stuhl um, bevor sie ihren Schlafsack zusammenrollte und auf ihrem Rucksack festschnallte. Sie zog ihre Doc Martens an und wusch sich im Bad mit eiskaltem Wasser. Beim Zähneputzen schrie ihr Kiefer vor Schmerz, aber sie ignorierte die Kälte und zog dem Spiegelbild im fleckigen Spiegel eine Grimasse. Grasgrüne Augen blickten sie müde unter hohlen, blassen Wangen an. »Ich kenne dich nicht, aber ich wasche dich trotzdem«, witzelte sie und bürstete ihr dickes rotes Haar unter heftigem Geziepe. Danach flocht sie es zu einem Zopf, der ihr seitlich über die magere Schulter fiel. Kurz roch sie an ihrem schwarzen Hoodie, dann zuckte sie die Achseln. Sie hasste es, ungepflegt zu sein, aber sie hatte keine Gelegenheit, ihre Sachen zu waschen. Einen Waschsalon gab es in dieser winzigen Spießerstadt, wo jeder eine eigene Waschmaschine im gepflegten Eigenheim besaß, nicht. Da half nur eine doppelte Portion Deo.
Als Sam, eingehüllt in eine dicke schwarze Daunenjacke, das Haus verließ, war sie nicht gerade traurig, den ungastlichen kalten Ort zu verlassen.
Sie brauchte unbedingt einen Kaffee. Ein paar Euro hatte sie noch und zur Not konnte sie auch in der Fußgängerzone schnorren. Wobei die Kleinstadtbürger hier nicht gerade großzügig waren, wie sie die letzten Tage festgestellt hatte. Am besten, sie ging zurück nach Hamburg. Was wollte sie hier? Seit Tagen schlich sie um das kleine Fachwerkhaus am Rande der Innenstadt herum, traute sich aber nicht zu klingeln. Die Alte sah mit ihren hennaroten Haaren und den kunterbunten Klamotten einfach zu irre aus. Und dann schob sie auch immer eine Kinderkarre mit sich rum. Ob das ihre Urenkelin war?
Energisch straffte sie ihre Schultern und versuchte, die Grübeleien beiseitezuschieben. Sie war verrückt gewesen, hierher zu kommen. Jetzt erst mal einen Kaffee und dann weg aus dieser Spießerstadt, wo man selbst in einem leer stehenden Haus nicht willkommen war. Wo war sie eigentlich willkommen? Wie mochte es sich anfühlen, ein richtiges Zuhause zu haben? Sehnsüchtig starrte Sam in das Fenster des Cafés, an dem sie vorbeikam.
Es war hell erleuchtet, ein Gast kam aus der Tür heraus und mit ihm kam ihr ein Schwall warmer Luft und Kaffeeduft zusammen mit fröhlichem Gelächter entgegen.
Ein junger Mann blieb neben ihr stehen und hielt ihr die zufallende Tür auf.
»Wolltest du nicht reinkommen?« Bernsteinfarbene Augen strahlten sie unter einem Wust dunkler Locken an.
Sam räusperte sich verlegen »Ähem …«, setzte sie an, etwas zu sagen, als der Blick des jungen Mannes auf das Schild in der Tür fiel. »Aushilfe dringend gesucht.«
Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Du kommst sicher wegen dem Aushang. Mama macht echt Nägel mit Köpfen, ich wusste gar nicht, dass sie schon angefangen hat, Leute zu suchen.«
Er hielt ihr seine Hand hin, die sie verlegen ergriff.
»Ich bin Florian. Ich habe bisher hier ausgeholfen, aber mein Studium nimmt mich zu sehr in Anspruch. Und du? Studierst du auch?«
»Ja«, sagte Sam und spürte, wie sie rot wurde. Das war noch nicht mal gelogen, auch wenn sie fast nie an der Uni war. Wie sollte sie sich nur verhalten?
Florian nahm ihr die Entscheidung ab. »Komm rein. Sei nicht so schüchtern. Das musst du dir im Service schnell abgewöhnen. Ich stell dich erst mal meiner Mutter vor. Ihr gehört das Café. Oder noch besser, ich mach dir erst mal einen Kaffee, du siehst so aus, als könntest du einen gebrauchen. Hast du schon gefrühstückt?«
Sam schüttelte den Kopf.
Florian schubste sie entschlossen durch die Tür und drückte sie an den kleinen Tisch in der Nähe der Theke, auf dem ein Messingschild »Personaltisch« verkündete und an dem schon eine grau gelockte ältere Dame saß und herzhaft in ein Schinkencroissant biss.
»Latte und ein Croissant?«, fragte Florian von der Theke aus.
Sam konnte nur nicken und eine halbe Stunde später hatte sie nicht nur so gut gefrühstückt, wie schon lange nicht mehr, sondern sogar einen Job. Sie wusste, dass die ältere Dame Lotti hieß, sich die meisten im Café duzten und Stammkunden waren und dass Lena, die weibliche, deutlich moppeligere Version von Florian, voll nett war. Sie hatte sie nur kurz nach ihrem Studium gefragt, ob sie dreimal fünf Stunden arbeiten konnte und ob sie schon mal Service gemacht hatte. Nachdem Sam alles zu Lenas Zufriedenheit beantwortet hatte, hatte die ihr eine bezahlte Probewoche angeboten.
Sam wusste nicht so recht, wie ihr geschah, aber es schien ihr wie ein Wink des Schicksals und sie sagte Ja. Was hatte sie zu verlieren? Dann müsste sie eben noch ein paar Tage Mark auf die Nerven gehen, er würde sie schon nicht rausschmeißen. Nicht nach dem, was sie über ihn wusste. Und vielleicht, ganz vielleicht würde sie doch noch den Mut aufbringen, an dem kleinen Hexenhaus zu klingeln. Der Kaffee und die Croissants waren auf jeden Fall der Burner.
Lena nahm in Ruhe einen Schluck ihres Cappuccinos und beobachtete, wie Florian Samantha den Umgang mit der Kaffeemaschine und die Ordnung hinter der Theke erklärte.
Sie war hin- und hergerissen. Als Florian freudestrahlend mit Samantha an seiner Seite aufgetaucht war und sie als neue Aushilfe angepriesen hatte, hatte sie ihm nicht sagen mögen, dass sie schon jemanden zum Probearbeiten eingestellt hatte. Sie hatte gerade das Schild aus der Tür nehmen wollen, da waren die beiden hereingeplatzt. Na ja, wenn Samantha studierte, hatte sie vermutlich ebenso wie Flori in den Prüfungszeiträumen wenig Zeit zum Arbeiten. Zwei Aushilfen konnten auch nicht schaden. Sie brauchte auf jeden Fall mehr Zeit für sich selbst, für Sport, gesundes Essen und Meditation. Die moppelige Wuchtbrumme, zu der sie mutiert war, gefiel ihr nicht. Die musste sie unbedingt ändern. Nicht wegen Kimmel, dem Dösbaddel. Lotti hatte ihr lange ins Gewissen geredet, dass er sicher eine gute Erklärung für die dürre Blonde an seiner Seite hatte und sie einfach mal was tun sollte, was der ungeduldigen Lena gar nicht lag, nämlich abwarten. Da Lena nicht wirklich glauben konnte, dass Klaus sie schon nach so kurzer Zeit hinterging, hatte sie sich vorgenommen, auf Lotti zu hören. Die hatte schließlich immer recht. Aber es wurmte sie. Irgendwas verbarg der Kommissar vor ihr und sie würde es herauskriegen. Garantiert. Nicht umsonst war sie die beste Cafédetektivin von Ahrensloe. Sechs Morde hatte sie schon aufgeklärt, da war das Geheimnis um die Blondine ja wohl ein Klacks.
Seufzend trank Lena ihr kalt gewordenes Getränk aus und musterte die Schinkencroissants in der Theke. Das Wasser lief ihr im Munde zusammen. Sie hatte einen Mordshunger. Aber etwas noch Fettigeres, Nährstoffärmeres und Ungesünderes könnte sie kaum finden. Sie hatte sich eine Banane und eine Dose mit Mandeln mit zur Arbeit genommen, diese aber schon aufgefuttert. Sie musste dringend im Café auch etwas Gesundes anbieten. Aber was?
Samantha und Florian lachten hinter der Theke. Sie schienen sich gut zu verstehen. Erst jetzt wurde Lena bewusst, dass Florian nie eine Freundin erwähnte. Nach dem Tod von Naomis Mutter, die bei deren Geburt vor knapp einem Jahr verstorben war, hatte sie ihn noch nie mit einem Mädchen gesehen. Klar, durch das Studium, seinen Caféjob und die Kleine hatte er wenig Zeit, aber es schien ihn auch nicht zu interessieren. Er war immer noch in Trauer, wie er ihr vor Kurzem anvertraut hatte. Wenn er Samantha mochte, dann wollte sie sich nicht dazwischenstellen. Lena musterte sie skeptisch. Sie sah aus wie ein kleiner Vogel, der aus dem Nest gefallen war, irgendwie viel zu dünn und zu blass, vernachlässigt eben. Und dann studierte sie auch noch Kunst. Wie ihre verstorbene Schwester Karin. Vermutlich konnte man nicht alle Kunststudenten über einen Kamm scheren, aber die bodenständige Lena hatte nur noch allzu lebhaft in Erinnerung, dass Karin ausgesprochen unzuverlässig gewesen war. War man um 18.00 Uhr mit ihr verabredet, konnte man froh sein, wenn sie gegen 19.00 Uhr erschien, und wenn man etwas vereinbarte, erinnerte Karin immer nur die Hälfte, die zu ihren Gunsten war. Wenn es jemanden gab, der mit zweierlei Maß unterwegs war, dann die liebe Karin. Aber de mortuis nil nisi bene.1 Lena seufzte tief. Sie vermisste ihre verstorbene Schwester, trotz ihrer Fehler und deren gab es viele, auch noch nach Jahren. Aber längst nicht so sehr, wie sie ihre Eltern vermisste.
Energisch straffte sie ihre Schultern und stand auf. Sie hatte nun ein neues Leben mit neuen Menschen am anderen Ende von Deutschland und damit hatte sie weiß Gott genug zu tun.
Celina warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Sie fuhr sich mit den Fingern durch ihr langes, hellblondes Haar. Dann zuckte sie die Achseln, zog ihr grellpinkes, weit ausgeschnittenes Longshirt, das sie über hautengen, schwarzen Leggins und Doc Martens trug, in Form. Sie warf sich eine dicke, pinke Daunenjacke über, machte mit den im passenden Rosa geschminkten Lippen noch mal einen Kussmund und schmiss die Haustür hinter sich zu.
Auf der Treppe kam ihr die alte Frau Beier kopfschüttelnd entgegen. Die sollte sich mal nicht so haben, die alte Schabracke. Celina rief ihr ein fröhliches »Moin, Frau Beier« entgegen und ignorierte das knurrige Gemurmel, von dem sie nur »anständiges Haus« verstand.
Anständiges Haus, pfff, so ein Witz. Es war ein runtergekommener Mietcontainer, genau in so einem war sie aufgewachsen und sie hätte es sich nicht träumen lassen, dass sie wieder in so einem landen würde. Aber es würde nicht für lange sein.
Wenn Tony nicht schwach werden und sie zurückholen würde, würde sie sich eben den schnuckeligen Sohn ihrer neuen Chefin angeln. So ein Café war doch auch nicht schlecht. Vor allem als Chefin nicht. Sie würde sich Florian, der gerade gegangen war, als sie sich Lena vorgestellt hatte, krallen und die Alte würde sie schon irgendwie loswerden. Florian war ein schicker Kerl, mit seinen dunklen Locken, und als er ging, hatte sie seinen muskulösen Hintern bewundern können. Sie hatte ihn bereits des Öfteren im Studio beim Training gesehen. Er war echt ein Hingucker, viele Mädels schwärmten für ihn, aber er schien das gar nicht zu bemerken. Na, wenn sie direkt vor seiner Nase war, konnte er sie schlecht übersehen. Dafür würde sie schon sorgen.
Was nur in Tony gefahren war? Sie einfach aus dem Haus zu schmeißen, nur weil er sie mit Mark in der Kiste erwischt hatte. Er war doch selbst kein Kostverächter und schließlich hatte er nie Zeit für sie. Er war selbst schuld. Wäre er, wie sie vorgeschlagen hatte, mit ihr im Januar auf die Seychellen gefahren, wie jeder, der etwas auf sich hielt, hätte er mit ihr am Pool Cocktails schlürfen können, anstatt sie mit dem Loser Mark zu erwischen. Was sollte sie den ganzen Tag allein in dem schicken Bungalow machen? Netflix hatte sie schon rauf und runter geschaut, sie war im Solarium, im Studio, beim Nageldesign gewesen. Sie hatte sich dermaßen gelangweilt. Aber nein, nie hatte er Verständnis für sie. Was Besseres, als rumschreien und sie samt ihrer drei Koffer voller Klamotten vor die Tür zu setzen, war ihm nicht eingefallen. Er war so fantasielos. Eigentlich unter ihrem Niveau. Zum Glück hatte Silke aus dem Studio, bei der sie sich ausgeheult hatte, Rat gewusst. Silke hütete gerade die Wohnung einer Freundin ein, die ein Jahr in Madrid studierte, und ein paar Telefonate später war die Wohnung an sie untervermietet. Bäh, es roch nach Kohl im Treppenhaus. Na ja, trotzdem besser, als auf der Straße zu sitzen oder gar zurück zu ihrer Junkiemutter zu müssen. Da war sie hier deutlich besser dran. Und lange konnte es sowieso nicht dauern. Entweder zog sie zu Florian oder Tony entschuldigte sich und alles wäre wieder wie früher. Vielleicht hatte er dann endlich ein Einsehen und es ging ab auf die Seychellen. Da wollte sie schon immer mal hin. Ihretwegen auch nach Thailand. Das passte eher zu dem Kniepsack. Mit einem zufriedenen Lächeln trat Celina hinaus in die Kälte und machte sich auf den Weg zu Lenas Café zu ihrem ersten Arbeitstag. In ihrer Vorstellung strahlte ihr eine pinke Leuchtreklame mit »Celinas Cocktailbar« über der Tür vom Café entgegen, als sie diese mit einem strahlenden Lächeln aufstieß.
Lena hatte das Gefühl, in »Und täglich grüßt das Murmeltier«2 gefangen zu sein. Wieder einmal saß sie am Personaltisch, schlürfte den letzten kläglichen Rest Cappuccino und beobachtete Florian mit einem Mädel. Wenn ihr schon am Vortag nicht ganz wohl bei der Sache war, weil sie Samantha nicht kannte und nicht einschätzen konnte, so schrillten heute sämtliche Alarmglocken bei ihr.
Diese Art Tussi kannte sie nur zu genau. Jahrelang war diese Sorte um ihren Ex-Mann im gemeinsamen Bistro in der Pfalz herumgeschwänzelt. Zu schade, dass Florian gerade gegangen war, als sie das Vorstellungsgespräch mit Celina geführt hatte. Dann hätte sie vielleicht noch mal nachgedacht, bevor sie den blonden Vamp einstellte. Klar waren ihr die viel zu grelle Schminke und der Barbiestyle aufgefallen. Aber Yvonne, die Tochter ihres Vermieters, sah ähnlich aus und hatte sich zu einer zuverlässigen, lieben Freundin entwickelt. Also hatte sie sich entschlossen, nicht so viel auf das Äußere zu geben, zumal sie froh war, so schnell jemanden gefunden zu haben.
Eine Hand auf ihrer Schulter ließ sie aus ihren Gedanken aufschrecken. Sie drehte sich um und erhob sich, um den Ankommenden mit einem Küsschen zu begrüßen.
»Klaus, musst du nicht arbeiten?«
»Moin, Lena. Ich bin quasi bei der Arbeit. Ich wollte dir jemanden vorstellen. Flori, einen Kaffee bitte«, bat der Kimmel, bevor er sich zu dem Herrn in Lederjacke hinter ihm umdrehte. »Bernd, was trinkst du?«
»Einen doppelten Espresso, bitte.«
Auweia, dachte Lena, die laut ihrer Kaffeelogie schlechte Erfahrungen mit Doppelten-Espresso-Trinkern gemacht hatte. Sowohl ihr nerviger Ex als auch der nicht weniger nervige Ex von Yvonne gehörten dazu.
Lena musterte den circa dreißigjährigen Mann in Lederjacke neugierig. Er streckte ihr die Hand hin, wie das hier im Norden üblich war.
»Bernd Berger, Kriminaloberkommissar, sehr erfreut.«
»Lena Häuser, Caféinhaberin, hallo«, sagte Lena zurückhaltend. Was wollte denn ein zweiter Kriminaloberkommissar in dieser kleinen Stadt? Frau Classen, von ihr ursprünglich die Schlange getauft, die sie im Rahmen der zurückliegenden Mordfälle kennengelernt hatte, kam doch wieder oder etwa nicht? Wo Lena gerade angefangen hatte, sich an wechselwarme Reptilien zu gewöhnen.
Kommissar Berger drückte ihre Hand mit genau der richtigen Stärke und nahm neben Kimmel am Personaltisch Platz.
»Gibt es hier auch etwas zu essen?«, fragte er Lena.
»Wir hätten noch ein paar Schinkencroissants«, schlug Lena vor. Er folgte ihrem Blick zur Glastheke.
»Eine Fruchtbowl oder Porridge gibt es nicht zufällig? Oder einen Eiweißshake?«
Lena musterte die beachtlichen Muskeln, die Bernd, nachdem er die Lederjacke über seinen Stuhl gehängt hatte, unter dem engen, strahlend weißen T-Shirt präsentierte. Eiweißshake, schon klar. Na, der sah wenigstens mal aus, wie man sich einen Kommissar vorstellte. Zumindest im Tatort. So eine Art Götz George mit Muskeln. Kimmel kam eher nach dem bierbauchigen Kommissar Thiel aus Münster. Bei dem Gedanken musste Lena grinsen.
»Nope, die gesunden Sachen wurden schon alle aufgefuttert«, flunkerte sie.
»Was machen Sie hier im kleinen Ahrensloe? Ist was passiert?«
»Dann wüsstest du es ja wohl als Erste«, ätzte der Kimmel. Lena musterte ihn verblüfft. Was war dem denn über die Leber gelaufen? Und warum hatte er dunkle Augenringe und sah eingefallen und krank aus?
»Stell dir vor, Bernd, unsere Lena hier hat im letzten halben Jahr sage und schreibe fünf Leichen gefunden. Alles Mordopfer.«
Bernd Berger lachte. Wie süß. Er hatte sogar Grübchen in den Wangen. Und sehr schöne weiße Zähne. Lena setzte sich unwillkürlich gerader hin und strahlte ihn an. Adlerauge Kimmel seufzte und verdrehte dieselben.
Der Neue zwinkerte Lena zu und sagte: »Ich habe mich auch über die Anforderung eines zweiten Kommissars hier gewundert. Aber meine Vorgängerin, Frau Classen, ist noch krankgeschrieben und bei so einer hohen Rate an Kapitalverbrechen wie hier ist das nachvollziehbar. Dann habe ich Ihnen also meinen Aufenthalt hier zu verdanken.« Er strahle Lena, die entzückt von seinen Grübchen war, an, während der Kimmel rot wurde. Nu hab dich mal nicht so, dachte Lena. Immerhin ist er hier nur ein Kunde und ich gehe nicht mit ihm zusammen shoppen, während ich behaupte, in einer Besprechung zu sein. Sagen mochte sie das hier vor versammelter Mannschaft aber nicht.
Celina brachte die Getränke an den Tisch, wobei sie Kimmel ihr in die Leggins gepresstes Hinterteil und Bernd den tiefen Ausschnitt und ein strahlendes Lächeln präsentierte.
Der starrte sie wie gebannt an.
Kimmel zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Das ist Celina, eine unserer neuen Aushilfen.«
»Ich wusste gar nicht, dass du neue Angestellte hast.« Kimmel schien etwas perplex.
Auch Bernd wirkte geplättet, aber aus offensichtlich anderen Gründen.
»Danke«, sagte er errötend, während Celina Lenas leere Tasse mit hinter die Theke nahm, und starrte ihre ansehnliche Rückfront an.
»Tja, wenn man sich so selten sieht, entgeht einem eben manches«, nörgelte Lena.
»Du weißt doch, dass ich ohne Frau Classen bis über die Ohren in Arbeit stecke.« Kimmel funkelte sie böse an.
Bernd stand auf und klopfte ihm auf die Schultern. »Keine Sorge, old boy, dafür bin ich ja nun hier. Ich schaukle das Ganze hier schon. Nimm dir ruhig Zeit für deine Süße.« Dabei zwinkerte er Lena erneut zu und verließ fröhlich pfeifend das Lokal.
Kimmel, der inzwischen aussah, als würde er gleich in die Luft gehen, stand ebenfalls auf, legte Celina einen Zehner auf die Theke, murmelte »Stimmt so« und folgte ohne ein Wort des Abschieds seinem Kollegen nach draußen.
Lena starrte ihnen mit offenem Mund nach. »Old boy?« Das war krass.
Auch Florian wunderte sich. »Seit wann zahlt der Kimmel denn?«
Als Lena sich nicht rührte, tippte er sie kurz an. »Mama?« Lena drehte sich zu ihm. »Mama, Eiweißshakes fände ich echt gut.«
»Ja, es gibt krass leckere Sorten, sogar ganz ohne Zucker. Im Studio gönne ich mir nach dem Training immer einen. Die sind voll supi«, sagte Celina.
Lena seufzte tief. Warum war sie nur kein Mann geworden? Dann würde sie sich ihr Gehirn weder über Blondinen noch über neue Kollegen gleichen Ranges oder ähnlichen Scheiß zerbrechen. Hätte sie nicht wenigstens eine Blondine werden können? Dann würde sie sich einfach einen Eiweißshake machen und alles wäre supi. Total krass supi.
Für den sonst eher stinklangweiligen Januar, in dem Lena normalerweise das Gefühl hatte, zusammen mit der nicht vergehen wollenden Zeit wie ein alter Käse über dem Personaltisch zu zerlaufen, waren die nächsten Tage spektakulär.
Lena hatte beschlossen, Florian, der noch Zeit hatte, bevor die Klausurphase anfing, die Einarbeitung der Grazien zu überlassen und die Show zusammen mit dem »dementen Duo«, sprich Ava und Lotti zu genießen. Hilde, die normalerweise die Dritte im Bunde des »dementen Trios« war, beschränkte sich im Winter darauf, Naomi einzuhüten und ihre rheumageplagten Knochen möglichst nahe des Kamins ihres alten Fachwerkhauses aufzubewahren. Gegen ihre gegenwärtigen schlimmen Rheumaschübe schienen auch ihre eigenen Kräutertees, die sie als »Dorfhexe« anbaute und verkaufte, leider nicht zu helfen. Lotti war oft bei ihr, wenn sie nicht zusammen mit Lena die Vorstellung genoss. Ava hatte sogar eine Riesenpackung Popcorn, natürlich ohne Zucker, angeschleppt. So saßen sie auch heute da, knusperten vor sich hin und staunten.
»Sam«, kreischte die schrille Stimme von Celina, heute im Tiger-Lily-Longshirt über den obligatorischen Leggings. »Wo bleiben die zwei Kaffee?« Dabei lehnte sie kaugummikauend an der Theke und tappte ungeduldig mit den Fingern.
Sam steckte ihr schwitziges rotes Gesicht unter dem Wust ebenso roten Haares hinter der Kaffeemaschine hervor und schimpfte. »Also erstens heiße ich nicht Sam, sondern Samantha.«
»Du hast doch selbst gesagt, Freunde nennen dich Sam.«
»Eben, für dich also Samantha, und zweitens, wenn ich hier Berge von Geschirr wegräumen muss, würdest du nicht sterben, wenn du den Kaffee einfach schnell selbst machen würdest.«
»Florian hat gesagt, einer macht Theke, einer Service.«
Florian schüttelte genervt den Kopf. »Normalerweise. Wenn die Hölle los ist, wie jetzt gerade, helfen wir uns natürlich gegenseitig.« Die beiden neuen Bedienungen hatten einige Neugierige angelockt, die ebenso wie Lena und Ava das Geschehen im Café mit leuchtenden Augen verfolgten. War ja auch sonst nix los im Januar. Kein Kleingarten zu pflegen und Ausflüge an die Ostsee verlockten bei den ständigen Sturmwarnungen und Überschwemmungen auch nicht gerade. Da kam die Zickenshow, serviert mit Kaffee und Schinkencroissants, gerade recht.
Celina zog nach Florians Ansage eine Schnute, mit der sie angesichts ihres pinken Lippenstiftes und den wuscheligen Haaren Miss Piggy nicht unähnlich sah. Dann legte sie affektiert ihre rosa lackierten Krallen auf Floris Arm. Irritiert musterte dieser den Fremdkörper. »Florischatz, immer musst du zu dieser Bitch halten.«
Lena, die sich gerade eine Handvoll Popcorn eingeworfen hatte, verschluckte sich und legte einen veritablen Hustenanfall hin. Hatte diese Bitch tatsächlich gerade Bitch zu ihrer Kollegin gesagt?
Sie machte Anstalten, aufzustehen, hatte Florian aber unterschätzt.
Ruppig zog er seinen Arm beiseite und fauchte Celina an. »Komm mal kurz mit mir in den Vorratsraum, sofort!«
»Grrr«, machte diese, albern einen Tiger imitierend und die Situation komplett verkennend, und folgte ihm kichernd.
Ava fiel fast vom Stuhl vor Lachen. »Vorratsraum, echt jetzt? Lena, hast du denn keine Besenkammer, wie anständige Leute?«
Lena verdrehte nur die Augen. »Sam, oh sorry, Samantha, kann ich die Grappaflasche haben?« Gute Vorsätze hin oder her, anders konnte sie das Ganze hier nicht verkraften. Kurz überlegte sie, ob sie oder Celina die Situation verkannt hatte, aber schüttelte den Gedanken schnell wieder ab. Sie vertraute ihrem Sohn, so bekloppt konnte er gar nicht sein.
Sam stellte lächelnd den Grappa und zwei Gläser ab. »Für dich Sam, Lena.«
Sam war eine Süße. Ein bisschen ruhig und schüchtern, aber deutlich angenehmer um sich zu haben als die Tigerbitch. Allerdings hatte sie schon seit Tagen dasselbe schwarze T-Shirt an, welches auch allmählich zu müffeln begann.
»Setz dich doch kurz zu uns«, sagte Lena. »Möchtest du auch einen Grappa?«
»Florian hat gesagt, im Dienst wird nichts getrunken. Nur Kaffee und Softdrinks«, druckste Sam.
Alle Achtung, ihr Herr Sohn war offenbar deutlich strenger als sie. Aber er hatte recht. Wehret den Anfängen. Sie kannte das bereits aus ihrem Bistro in der Pfalz. Einige konnten mit Freiheit umgehen, Sam vermutlich, und andere nicht. In die Kategorie schien ihr die Tigerbitch, wie Lena sie inzwischen innerlich getauft hatte, zu gehören. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sie einen Prosecco nach dem nächsten stemmte. Allerdings vermutete Lena ebenso, dass man es ihr nicht anmerken würde, sie sah aus, als wäre sie gut in Übung. Aber es tat nicht Not, ihr das Gesaufe zu finanzieren.
»Schon okay. Setz dich doch kurz zu uns.« Lena starrte Ava auffordernd an. Ausnahmsweise fügte diese sich, anstatt erst recht sitzen zu bleiben, wie es so ihre Art war.
»Ich wollte sowieso noch bei Hilde und Lotti vorbeischauen. Ich glaube, Hilde geht es nicht gut«.
Sam riss erschrocken ihre grünen Augen auf und goss sich blitzschnell einen Grappa ein, den sie in gleicher Geschwindigkeit kippte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Oha, dachte Lena. Auch im Training.
»Was hat sie denn? Hoffentlich nichts Schlimmes?«, fragte Sam.
Lena und Ava schauten sie neugierig an.
»Kennst du Hilde?«, fragte Lena. »Sie war jetzt schon einige Zeit nicht hier.«
»Nein, nein. Ich frage nur so. Sie ist doch eine liebe Freundin von Lotti und die kenne ich ja inzwischen gut, schließlich ist die jeden Tag hier.