Weihnachten, Fliederbeersuppe und Mord - Elisabeth Grimm - E-Book

Weihnachten, Fliederbeersuppe und Mord E-Book

Elisabeth Grimm

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Beschreibung

Caféinhaberin und Hobbydetektivin Lena freut sich auf eine gemütliche Weihnachtszeit mit ihrer Familie. Endlich hat es das erste Mal geschneit. Lena ist fest entschlossen, dieses Jahr zum wild dekorierenden und backenden Weihnachtsmonster zu mutieren und das Haus in eine Winterwunderwelt zu verwandeln. Da klingelt es unerwartet an der Haustür. Mara, die Lenas Ehe auf dem Gewissen hat, steht zusammen mit Baby Fabienne vor ihrer Tür und sucht Zuflucht. Ausgerechnet bei ihr. So gern Lena ihr auch die Tür vor der gepuderten Nase zuschlagen würde, bringt sie es doch nicht fertig, Mutter und Kind in der Kälte stehen zu lassen. Unglücklicherweise ist das nicht nur der Beginn vom Ende ihrer aufkeimenden Beziehung zu Kriminalhauptkommissar Kimmel, sondern auch der Anfang einer mörderischen Vorweihnachtszeit. Lenas Vergangenheit sucht sie ausgerechnet zur schönsten Zeit des Jahres heim und hinterlässt blutige Spuren. Zum Glück stehen Kater Misti, ungerechterweise auch Mistvieh genannt, und das "demente Trio", drei 70-plus-Damen, die nicht im Geringsten dement, sondern ziemlich plietsch sind, an ihrer Seite. Selbst ihre kauzige Nachbarin Frau Nolde hilft Lena so tatkräftig, dass sich ein dementes Quartett anbahnt. Dies ist der dritte Band der Serie um Lenas Café, in der die Pfälzerin Lena im verträumten schleswig-holsteinischen Ahrensloe Morde aufklärt. Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch

Lena freut sich auf eine gemütliche Weihnachtszeit mit ihrer Familie. Endlich hat es das erste Mal geschneit. Lena ist fest entschlossen, dieses Jahr zum wild dekorierenden und backenden »Weihnachtsmonster« zu mutieren und das Haus in eine Winterwunderwelt zu verwandeln. Da klingelt es unerwartet an der Haustür. Mara, die Lenas Ehe auf dem Gewissen hat, steht zusammen mit Baby Fabienne vor ihrer Tür und sucht Zuflucht. Ausgerechnet bei ihr. So gern Lena ihr auch die Tür vor der gepuderten Nase zuschlagen würde, bringt sie es doch nicht fertig, Mutter und Kind in der Kälte stehen zu lassen.

Unglücklicherweise ist das nicht nur der Beginn vom Ende ihrer aufkeimenden Beziehung zu Kriminalhauptkommissar Kimmel, sondern auch der Anfang einer mörderischen Vorweihnachtszeit. Lenas Vergangenheit sucht sie ausgerechnet zur schönsten Zeit des Jahres heim und hinterlässt blutige Spuren. Zum Glück stehen Kater Misti, ungerechterweise auch Mistvieh genannt, und das »demente Trio«, drei 70-plus-Damen, die nicht im Geringsten dement, sondern ziemlich plietsch sind, an ihrer Seite. Selbst ihre kauzige Nachbarin Frau Nolde hilft Lena so tatkräftig, dass sich ein dementes Quartett anbahnt.

Dies ist der dritte Band der Serie um Lenas Café, in der die Pfälzerin im verträumten schleswig-holsteinischen Ahrensloe Morde aufklärt.

Die Autorin

Elisabeth Grimm ist geboren und aufgewachsen in Rheinhessen und hat in Frankfurt am Main Psychologie studiert. Die Arbeit brachte sie in den hohen Norden und die Liebe hat sie dort ein Zuhause finden lassen. Als überzeugte Schleswig-Holsteinerin liebt sie die plüschigen Galloways (lieber auf der Weide als auf dem Teller) und die wunderbare Natur ebenso sehr wie Butterkuchen und Fliederbeersuppe mit Grießklößchen. Schließlich höllt Eten und Drinken Lief un Seel tosamen. Und natürlich sind neben ihrer Familie ihre Katze und Bücher der Mittelpunkt in ihrem Leben. Sie schreibt seit dem zwölften Lebensjahr, Cosy Crimes, Kinderbücher und einen Katzenroman.

Bisher von Elisabeth Grimm erschienen:

Dampfnudeln, Butterkuchen und Mord, Lenas Café, Band eins.

Achtsamkeit, heiße Maronen und Mord, Lenas Café, Band zwei.

Weihnachten, Fliederbeersuppe und Mord, Lenas Café, Band drei.

Liebe, Kirschpralinen und Mord, Lenas Café, Band vier.

Meer, Salzkaramell und Mord, Lenas Café, Band fünf.

Federweißer, Zwiebelkuchen und Mord, Lenas Café, Band sechs.

Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

Als Emma Grimm:

Wo ist Oma Wagner? Nele und Kater Carlo ermitteln, Hörbuch für Acht- bis Elfjährige, gesprochen von Astrid Haag.

Elisabeth Grimm

Weihnachten, Fliederbeersuppe und MORD

LENAS CAFÉ

Ein norddeutscher Cosy-Krimi

Impressum

Originalausgabe

1. Auflage

© 2023 Elisabeth Grimm

Text: Elisabeth Grimm

Hindenburgstraße 52

23843 Bad Oldesloe

E-Mail: [email protected]

Alle Figuren und Ereignisse sind frei erfunden, Ähnlichkeiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Korrektorat: Tino Falke

Covergestaltung und digitaler Buchsatz:

Sarah Schemske (www.buecherschmiede.net)

Alle Rechte vorbehalten.

Ich widme dieses Buch allen Frauen, die unter einer p­ostpartalen Depression leiden und in dieser schweren Zeit, die sie sich vor der Geburt so ganz anders ausgemalt haben, Verständnis und Unterstützung benötigen.Elisabeth Grimm

Kapitel eins

Überraschung!

»Tüüt, Tüüt, Tüüüüt, Tüüüüüüt, Tüüüüüüüt …«

Lena drehte sich unwillig zur Seite. Sie tastete nach dem Wecker, um ihn auszustellen, bevor ihr Kopf explodierte. So was sollte als akustische Waffe verboten werden. Wieso klingelte er überhaupt? War heute nicht Sonntag? Nachdem sie ihn gefunden hatte, versuchte sie den Riegel nach unten zu schieben. Dabei fiel er auf den Boden.

Sakra, jetzt musste sie vermutlich bis ganz unter das Bett kriechen, um ihn auszustellen. Nein! Sie krabbelte hier nirgends rum. Fest entschlossen weiterzuschlafen, schob sie sich das Kopfkissen auf die Ohren und versuchte es mit Ignorieren. Dann mit Meditieren. Wie war das noch mal? Was hatte sie im Achtsamkeitskurs gelernt? Das war doch die perfekte Anwendungssituation. Lena versuchte, sich an die Anleitung von Hans zu erinnern.

»Konzentriere dich auf deinen Atem, nimm deine Gedanken und alle Einflüsse von außen wahr, aber bewerte sie nicht. Geh mit deiner Konzentration zu dem, was du als Hindernis empfindest, und beschränke dich auf die Betrachtung. Wie fühlt es sich an, welche Emotionen und Gedanken entstehen? Beobachte genau. Lass alles weiterfliegen, wie eine Wolke, ohne Bewertung …«

Wütend warf Lena das Kissen zur Seite. Scheißachtsamkeit! Gegen Wecker half die auf jeden Fall schon mal nicht! Sie sprang auf und kroch unter das Bett, nur um festzustellen, dass er gar nicht der Übeltäter war. Er war ausgestellt. Einen ordentlichen Niesanfall später hatte sie zudem die Erkenntnis gewonnen, dass dringend irgendwer unter dem Bett Staub saugen müsste. Aber wer?

Bibbernd, denn es war Ende November und schweine­kalt, stampfte Lena die Treppe ihres kleinen Reihenhauses hinunter.

Wer wagte es, sie an einem Sonntagmorgen aus dem Bett zu klingeln? Der sollte was erleben.

Als Lena zur Haustür polterte, fiel sie fast über Misti, der sich schnurrend um ihre Beine wand.

Lena stolperte und konnte sich gerade noch an der Garderobe festhalten. Dabei riss sie die Jacken und Mäntel zu Boden.

»Mistvieh!«, fluchte sie, was ihr sofort wieder leidtat, da der rote Kater sie mit großen, vorwurfsvollen Augen musterte. Sie beugte sich zu ihm hinunter und streichelte ihn. »Sorry, mein Dicker, aber es ist einfach noch zu früh für mich.« Dann riss sie die Haustür auf und schreckte zurück. Es war alles so weiß um sie herum. Über Nacht war der erste Schnee gefallen. Sie wäre am liebsten im Schlafanzug nach draußen gestürmt, um einen Schneeengel im unberührten Weiß des Vor­gartens zu hinterlassen. Wenn die völlig fremde junge Frau vor ihrer Haustür ihr nicht heulenderweise um den Hals gefallen wäre.

»Lena, wie schön! Wie lieb von dir, mich einzu­laden!«, sagte sie und schien weder zu beabsichtigen, Lena loszulassen, noch aufzuhören, sie klatschnass zu weinen. Durch die offene Haustür zog eisige Luft herein. Was auch immer das hier bedeutete, Lena entschied, dass sie und die heulende Fremde auf alle Fälle erst mal die Tür zumachen sollten. Leider klebte die Frau mit den dunklen Locken immer noch an ihrem Hals und ihre präferierte Option, die Tür zwischen sich und der Heulboje zu schließen, fiel schon mal weg. Da blieb nur noch, sie reinzulassen und so schnell wie möglich einen Kaffee zu trinken. Denn der half bekanntlich in allen Lebenslagen. Sie als Cafébesitzerin sollte das schließlich wissen.

Sie zog die fremde Frau mit sich in den Flur und schloss die Haustür.

»Ich mach uns erst mal einen Kaffee«, schlug sie vor.

»Jahaa. Das ist so lieb von dir.«

Lena musterte die Fremde. Sie sah fast wie eine jüngere Version ihrer selbst aus, mit ihren dunklen Locken und dem runden Gesicht. Allerdings war Lena selbst zu ihren schlankesten Zeiten nie so zierlich gewesen und schon gar nicht dermaßen sorgfältig geschminkt. Die Unbekannte schaute irritiert auf den Mantelberg, der auf dem Boden lag.

»Das war das Mistvieh!«

Die Frau riss ihre verheulten braunen Rehaugen so weit auf, dass Lena kurz Angst bekam, die Augäpfel könnten herauskullern.

»Mein Kater«, erklärte sie. »Eigentlich heißt er Misti, aber die Vorbesitzerin hat ihn immer Mistvieh genannt.«

Die Frau nickte mit gerunzelter Stirn.

Lena hob rasch die Mäntel auf und hängte sie zurück an die Garderobe. Wenn ich Glück habe, hält sie mich für eine gefährliche Irre und geht gleich wieder, dachte sie dabei.

»Du kannst deine Sachen dazu hängen.«

Bambi, wie Lena sie gerade innerlich getauft hatte, legte ihre für die Jahreszeit viel zu dünne, karamell­farbene Wildlederjacke ab und zog artig die dazu passenden Sneaker aus. Sie trug einen weit ausgeschnittenen beigen Cashmerepullover über dem braun gebrannten Dekolleté, das eine lange Goldkette zierte. Auf farblich zum Pullover passenden Socken folgte sie Lena in die Küche, wo Lena in blitzartiger Reihenfolge Heizung, Kaffeevollautomat und Ofen zum Aufbacken der Brötchen anschmiss.

»Ich müsste mal zur Toilette, ich bin schon seit Stunden unterwegs, fast nonstop«, sagte Bambi.

Lena zeigte ihr die Gästetoilette im Flur und versuchte, Mistis Futternapf aufzufüllen, was nicht so einfach war, da sich eine gierige Katerschnauze immer wieder dazwischenschob. Sie zog sich die knallpinke Fleece­jacke, die ihr ihre Freundin Yvonne als Partner­look geschenkt hatte, über. Trotz der scheußlichen Farbe liebte Lena die kuschelig warme Jacke heiß und fettig. Dann wusch sie sich die Hände und gab Brötchen zum Aufbacken in den Ofen. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass es 7.30 Uhr war. Und das an einem Sonntagmorgen. Sie hatte sich so darauf gefreut, dass ihr 21-jähriger Sohn Florian und seine 12 Monate alte Tochter Naomi das Wochenende bei Freunden waren und sie endlich mal ausschlafen konnte.

Bambi hatte sich in der Toilette offenbar auch das Gesicht gewaschen und ihr Make-up erneuert.

Wer um Gottes Willen war diese Frau? Und was wollte sie mitten in der Nacht von ihr? War sie, Lena, irrigerweise als Selbsthilfepoint angegeben worden? Sie hatte sich damit abgefunden, dass ihr Café zu einer Art Selbsthilfetreff mutiert war, in der sich vor allem die Hinterbliebenen der Leichen, die sie ständig fand (Die Leichenfinderei war so eine norddeutsche Sitte, als sie noch in der Pfalz lebte, war sie nie über Leichen gestolpert), trafen. Aber sonntags hatte sie eigentlich frei. Und wieso verdammt noch mal fühlte sie sich in ihrem eigenen Haus im mit bunten Kätzchen bedruckten Schlafanzug und einer zur Erblindung führenden Jacke angesichts des wie aus dem Ei gepellten Bambis irgendwie fehl am Platz? Lena musterte ihr Gegenüber, das dankbar den heißen Cappuccino, den sie gemacht hatte, in den zierlichen (an Lena war gefühlt noch nie irgendwas zierlich gewesen) Händen hielt und schlückchenweise trank, verärgert.

Sie wollte endlich wissen, wer da auf ihrer Küchenbank saß, traute sich aber nicht zu fragen, hatte die Fremde doch gesagt, sie hätte sie eingeladen. Lena kramte angestrengt in ihrem Kopf herum, wen sie versehentlich hätte einladen können, den sie noch nicht einmal kannte, während sie die heißen Brötchen auf den Tisch deckte.

»Dinkelvollkorn. Die esse ich auch am liebsten«, freute sich Bambi und strahlte Lena an. Na, wenigstens heult sie jetzt nicht mehr, dachte Lena.

Dann schlug Bambi sich mit der Hand vor den Kopf und die braunen Augen füllten sich erneut mit Tränen.

»Gott, ich habe Fabienne völlig vergessen. Was bin ich nur für eine Mutter?«

Schluchzend rannte sie zur Tür heraus und kam kurz darauf mit einem in einen dicken Overall gehüllten, gerade aufwachenden Baby in einer Trageschale zurück.

Alles klar, dachte Lena, als das Baby, das fast so alt wie ihre Enkelin Naomi war, seine Augen öffnete und sich bedröppelt umblickte. Sie hatten das gleiche Bernsteinbraun wie die Augen von Florian, Naomi und Peter, seines Zeichens Ex-Mann von Lena, Großvater von Naomi und Vater von Florian und Fabienne. Dunkle Locken quollen aus ihrer Teddymütze hervor. Der einzige Unterschied zwischen ihr und Naomi war, dass Letztere durch Aborigine-Vorfahren einen wunderbaren milchkaffeebraunen Teint hatte, während der von Fabienne schneeweiß war. Und dass Lena Naomi über alles liebte, aber die Tochter ihres Ex und seiner Neuen auf gar keinen Fall in ihrem Haus haben wollte. Denn nun wusste sie, wer Bambi war. Mara, die Zerstörerin ihrer Ehe. Und die sollte sie hierher eingeladen haben? Sie war doch nicht verrückt. Lena überlegte, ob es besser war, sie gleich umzulegen, oder ob sie ihr erst nach einer Erklärung, was sie ausgerechnet bei ihr wollte, das Lebenslicht ausblasen sollte.

Kapitel zwei

Auf dem Markt

Am Montagmorgen bummelte Lena in aller Herrgottsfrühe bibbernd durch die noch schlafende Kleinstadt. Sie war geladen. Anstatt durch den Schnee zu toben, der inzwischen schon fast wieder weggeschmolzen war, hatte sie den ganzen Sonntag damit verbracht, sich das Gejammer vom Bambi über den ach so bösen Peter anzuhören, lediglich unterbrochen vom Geheule von Baby Fabienne. Man bedenke dabei, dass Mara die Ursache der Scheidung von Lenas Ex Peter war. Das schien Mara weder bewusst noch in irgendeiner Form peinlich zu sein. Komplett schamlos brachte sie Lenas Ohren zum Klingen. Entgegen ihrer sonstigen Art war diese dermaßen sprachlos und geplättet, dass sie außer »Nein, wirklich?«, »Tatsächlich?«, »Wie furchtbar!« kaum etwas sagte. Parallel dazu hatte sie die ganze Zeit vergeblich versucht, Florian telefonisch zu erreichen, der sich nach einem schier endlos erscheinenden Tag endlich am späten Nachmittag zurückgemeldet hatte.

»Moin, Mom, was ist denn? Wieso rufst du mich ständig an?«

»Mara ist hier.«

»Ha, ha, ha! Im Ernst jetzt. Was ist los?«

Lena biss die Zähne zusammen. Sonst würde sie vor Wut schreien. »MARA IST HIER.«

In dem Augenblick drang höllisches Gebrüll aus der Stube, wo Fabienne offenbar gerade aufgewacht war.

»Wer brüllt denn da? Vermisst du uns so, dass du Babybesuch hast?«

Lena fauchte in den Hörer »Ich habe mich auf einen Sonntag ohne Babygeschrei gefreut. Ich hätte es entspannt verkraften können, nicht mitten in der Nacht von Mara und Fabienne geweckt zu werden und einen ganzen Tag Genöle oder Geheule mitanzuhören.«

Schweigen am anderen Ende.

»Florian, Florian? Wag es nicht, einfach aufzulegen!«, fauchte sie ins Telefon.

Sie hörte ein tiefes Seufzen. »Du meinst, Mara und Fabienne sind WIRKLICH da? ERNSTHAFT?«

»Wieso wundert dich das jetzt nur so, schließlich hast du sie eingeladen.«

»Aber das habe ich doch nicht ernst gemeint.«

»Hat Frau Ich-merke-nicht-so-viel-und-bin-komplett-schambefreit wohl nicht mitbekommen. Sieh zu, dass du so schnell wie möglich hier bist oder ich bringe sie um.«

»Du kannst sie ja rausschmeißen.«

»Klar, ich schmeiße deine Stiefmutter und deine Halbschwester raus. Wenn du sie hier nicht haben willst, machst du das gefälligst selbst und du spielst auch ihre Klagemauer, mir dröhnen die Ohren.«

Zwei Stunden später hatten Florian und Naomi dann vor der Tür gestanden und es war in einer Umarmungsorgie ausgeartet. Lena hatte vorgegeben, mit Yvonne verabredet zu sein, und sich bei dieser volllaufen lassen. Auf Yvonnes Designersofa hatte sie aber nicht gut schlafen können und nun putzte sie schon seit 5.00 Uhr morgens das Café. Mit Kater. Wobei nicht Misti gemeint war. Als Lena an ihn dachte, kam ihr vor Wut wieder der Dampf aus den Ohren. Da hatte diese Ehemännerdiebin Mara doch glatt vorgeschlagen, dass Misti, Lenas Kater, im November den ganzen Tag draußen bleiben solle, um Fabienne nicht einer möglichen allergischen Reaktion auszusetzen.

Das war Lenas Grenze. Sie hatte zuckersüß gelächelt.

»Hier ist alles verkatzt. Wenn Fabienne allergisch ist, müsst ihr wohl leider ins Hotel. Zu schade aber auch. Mein Kater bleibt, wo er ist. Ich bin dann mal bei Yvonne«, und hatte Florian Blicke zugeworfen, die zum Glück nicht töten konnten.

Lena hielt es im Café nicht mehr aus. Sie brauchte Bewegung, Ablenkung. Kurz entschlossen klebte sie ein Schild mit der Aufschrift »Komme gleich wieder« an die Glastür des Cafés und tigerte Richtung Marktplatz. Brr, war das kalt, so früh am Morgen.

Sie schlenderte über den Miniweihnachtsmarkt, eine Art weihnachtlicher Wochenmarkt, der ab Ende November in der Kleinstadt abgehalten wurde. Die meisten Stände öffneten gerade erst.

Angesichts der Kälte und der frühen Stunde belagerten die ersten Marketender entweder den neuen Kaffeestand oder zogen sich beim Bratwurstfritz schon eine Wurst rein. Superidee.

»Moin, Fritz!«, rief Lena und stellte sich an den Stand.

»Eine Thüringer, bitte.«

»Moin, Lena. Kommt sofort«, Fritz strahlte sie unter seiner dicken Fellmütze hervor an.

Ab und zu, wenn sie eine Vertretung für eine halbe Stunde fand, kam Lena an Markttagen in der Mittagspause vorbei und futterte Würstchen.

Fritz war nur ein paar Jährchen jünger als sie und ein echt cooler Typ, mit dem sie sich super verstand. Er hatte halb langes blondes Haar und fast so blaue Augen wie der Kimmel. Nein, falsche Abzweigung. Sie wollte die lecker duftende Wurst ohne störende Gedanken genießen. Sie beschmierte ihr Bratwurstbrötchen dick mit Senf und biss ab. Zu Köstlich! Als die Kollegen neben ihr eine Flasche Köm kreisen ließen, nahm sie ebenfalls einen kräftigen Schluck.

»Was ist denn mit dir los? Es ist weder deine Uhrzeit noch trinkst du sonst Köm«, fragte Fritz sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Doch, heute schon.« Lena setzte gerade an, sich über das irre Bambi auszuheulen, als es beim Edelmarzipanstand gegenüber laut wurde.

»Sie haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank! Meine Waage ist voll korrekt«, schrie der große, rot­gesichtige Standbesitzer. Mit wütend verzerrtem Gesicht blickte er auf einen Typen in korrektem Anzug hinab. Dieser trug ein bis zum obersten Knopf zugeknöpftes Hemd und eine Wollmütze, sein offenbar einziges Zugeständnis an das Wetter, und legte gerade eine Tüte Marzipan auf die Waage.

»Sehen Sie, ganz genau 100 g«, sagte er.

»Ja, sehe ich. Also alles korrekt, steht ja auch 100 g drauf«, antwortete der Standbesitzer.

»Ja, aber es sind, Moment mal«, der Anzugträger öffnete die Tüte und kippte das Marzipan in einen Beutel, den er aus seiner Aktentasche hervorgeholt hatte. Danach wog er die Verpackung und den Verschluss und strahlte den kurz vor der Explosion stehenden Standbesitzer an.

»Genau wie ich es mir gedacht habe. Die Verpackung wiegt 7 g. Sie betrügen Ihre Kunden bei jeder Tüte um 7 g. Die Waage muss neu eingestellt werden.«

»Sie spinnen doch! Die paar Gramm, wen schert das? Da habe ich halt nicht daran gedacht.«

»Mich schert es. Es verstößt gegen die Lebensmittel­verordnung. Wenn Sie es bis morgen nachgebessert haben, bleibt es bei dieser kleinen Verwarnung.«

Und damit stellte er dem mit offenem Mund dastehenden Standbesitzer ein Knöllchen aus. »Bis morgen dann.«

»Eh, und mein Marzipan?«

Der Knöllchenmann schaute auf die Uhr, holte ein Etikett heraus, das er sorgfältig beschriftete, und klebte es auf die Tüte, die er in seine Aktentasche steckte. »Das nehme ich mit ins Labor. Ich habe es Ihnen auf der Zahlungsaufforderung quittiert.«

Dann wandte er sich an Bratwurstfritze, während Jörn Jürgens, wie es groß auf seinem Stand verzeichnet war, ihm immer noch ungläubig hinterherstarrte.

»Guten Morgen, Albert Anders, Lebensmittelkontrolleur. Ich überprüfe die Einhaltung der Marktregeln.«

»Moin. Bratwurstfritze.« Fritz grinste ihn an.

»Ähem, Herr Bratwurstfritz, haben Sie eine Schanklizenz?«

»Nö, wieso?«

»Sie schenken hier Alkohol aus.« Herr Anders blickte auf die Kömflasche auf der Theke.

»Die gehört mir. Das hat nix mit Fritz zu tun.« Ein anderer Standbesitzer, den Lena von der Bulettenbude kannte und aufgrund seiner Vorliebe für Frikadellen und seiner quadratischen Figur heimlich »Don Klopso« nannte, nahm schnell die Flasche an sich.

»Aha. Und was ist das hier?« Offensichtlich angewidert deutete der kleine, dünne Herr Anders auf die offene Senfflasche neben Lena.

»Senf«, nuschelte diese mit vollem Mund. Stand doch sogar drauf.

»Sämtliche Flaschen mit Senf oder Ketchup müssen verschlossen sein. Die hier hat noch nicht mal einen Verschluss.«

»Upss«, sagte Lena. »Muss mir wohl gerade heruntergefallen sein.«

Herr Anders sah sich suchend auf dem Boden um, Fritz kramte den Verschluss hinter der Theke hervor. »Der Lümmel ist hinter die Theke gefallen.«

»Das kann ich so leider nicht akzeptieren. Ich stelle Ihnen hiermit eine Verwarnung mit einer Mahngebühr aus. Der Verschluss muss an der Flasche befestigt sein. Morgen halten Sie bitte Einzelverpackungen vor. Das ist sowieso viel hygienischer.«

»Und teurer«, Fritz runzelte die Stirn.

»Und mehr Verpackungsmüll. Wir haben nur einen Planeten«, empörte sich Lena.

Herr Anders, der Lena völlig ignorierte, reichte Fritz den Mahnbescheid, machte sich eine Notiz in seinem Tablett und ging zum nächsten Stand.

Fritz schaute genauso dumm aus der Wäsche wie sein Nachbar vom Stand gegenüber und Lena hatte Mühe, einen Lachanfall zu unterdrücken.

Fritz hielt wortlos die Hand auf und Don Klopso drückte ihm die Kömflasche hinein. Nach einem ordentlichen Schluck reichte er sie an Lena weiter, die jedoch abwinkte. »Ich gehe schnell wieder in mein Café und mache noch mehr sauber. Wer weiß, wen der heute noch heimsucht?«

Sie winkte allen zu und machte, dass sie zurück ins Café kam. Gegen diesen Herrn Anders war Bambi ja eine Seele von Mensch.

»Nein!« riefen Lotti, Ava und Hilde unisono. »Ist nicht wahr, Lena du flunkerst.«

Ein paar Stunden später saß Lena zusammen mit dem dementen Trio, wie ihre alles andere als dementen, sondern ziemlich plietschen 70-plus-Freundinnen gemeinerweise auch genannt wurden, beim gemeinsamen Frühstück in Lenas Café. Da der erste Gästeansturm abgeflacht war, hatte Lena Zeit zum Klönen.

Lotti, eine pensionierte Grundschullehrerin, trug eine selbst genähte Stoffhose mit Gummizug, den sie gerne voller Stolz samt ihrer beigen, riesigen Baumwollunterwäsche präsentierte, und eine ebenfalls selbst hergestellte Strickjacke über ihrer üblichen Blümchenbluse. Alles war akkurat gebügelt und Ton in Ton, heute war offenbar weihnachtliches Tannengrün angesagt.

Ava, die Reichste, Schickste und Bissigste im Bunde, trug zu ihrem perfekten Make-up und den dicken Goldklunkern überall, wo sie nur eine Befestigungs­möglichkeit finden konnte, ein Ensemble in grauem Cashmere.

Hilde, die auch als »Dorfhexe« tätig war, war wie üblich in schreiend bunten Farben, die nicht null zusammenpassten, gekleidet. Auch ihre riesige Strickjacke war selbst gemacht, aber leider in ihren Lieblingsfarben, Orange, Gelb und gnädigerweise Braun statt Neongrün, was sie eher im Sommer trug. Dazu waren ihre Haare hennaorange gefärbt. Ava trug ihr dunkelbraun gefärbtes Haar in einem eleganten Knoten und Lotti hatte graue Locken.

Während sie also alle Schinkencroissant und Latte Macchiato in sich hineinstopften, hingen sie Lena ungläubig an den Lippen.

»Lena, du flunkerst uns wirklich nicht an? Ohne Ankündigung ist die Neue von deinem Ex mit ihrem Baby bei dir aufgetaucht und WOHNT jetzt bei dir?« Ava war schier fassungslos.

Dann bekam sie einen Riesenlachflash. Auch die anderen beiden fielen ein. Lotti verschluckte sich vor Lachen und Lena musste ihr auf den Rücken klopfen, bis Lotti »So was Bescheuertes kann auch nur dir passieren!« prustete.

Beleidigt stellte Lena das Klopfen ein.

»Und wo ist Bambi jetzt?«, fragte Ava, die den Spitznamen schnell übernommen hatte.

»Na, bei Florian zu Hause. Der Idiot hat sie schließlich eingeladen. Er hat oft mit ihr telefoniert, weil Naomi und seine Halbschwester Fabienne fast gleich alt sind. Sie haben sich über die Babys ausgetauscht und Mara hat ihn vollgeheult, dass Peter sich nie um sie und das Baby kümmert und sie ständig allein ist. Peter behauptet, es wäre so viel Arbeit im Bistro, dabei kommt wohl kaum noch Kundschaft und sie haben Geld­sorgen. Oder er hängt mit seinen Kumpels beim Fußball oder auf Weinfesten rum und trinkt mehr, als ihm guttut. Also der gleiche Arsch wie schon in den zwanzig Jahren, in denen ich mit ihm verheiratet war. Dumme Gans! Hat sie wirklich geglaubt, er ändert sich?« Lena schüttelte den Kopf.

Lotti, die es gar nicht mochte, wenn man böse über andere sprach, schaute Lena mit zusammengekniffenen Augen an.

»Na, zumindest ist sie schlauer als du. Sie hat offenbar schon nach einem Jahr und nicht erst nach zwanzig die Flucht ergriffen.«

Lena schwieg betroffen. Das konnte sie leider nicht abstreiten.

»Treffer, versenkt.« Ava feixte.

Die herzensgute Hilde tätschelte Lenas Hand.

»Was machst du denn nun, Liebes? Es ist sicher nicht leicht für dich, die beiden zu Gast zu haben. Und nicht nur, weil ihr sowieso so wenig Platz in deinem Häuschen habt.«

Das nur 86 Quadratmeter große Endreihenhaus mit Renovierungsstau, das zwei Dörfer von ihrem Café entfernt lag, hatte Lena von ihrem Güterausgleich nach der Scheidung gekauft. Damals hatte sie sich entschlossen, noch einmal ganz von vorne anzufangen und am anderen Ende von Deutschland, im schleswig-holsteinischen Ahrensloe, das zwischen Hamburg und Lübeck lag, ein Café aufzumachen.

Hier lebte sie nun schon drei Jahre. Trotz einiger Anfangsschwierigkeiten mit dem kühlen Wetter und den ebenso kühl erscheinenden Nordlichtern war sie inzwischen recht zufrieden mit ihrem neuen Leben.

Besonders seitdem Florian, Naomi und Misti bei ihr lebten und sie mit dem dementen Trio und Yvonne neue Freundinnen gewonnen hatte. Und da war auch noch die Sache mit Kriminalhauptkommissar Kimmel. Misti liebte ihn abgöttisch und Lena musste nach den letzten zwei Mordfällen auffällig oft an ihn denken. Sie hatte sich sogar bei dem Gedanken ertappt, dass es Zeit wurde, eine neue Leiche zu finden, um den Kimmel mal wieder zu treffen. Ihn einfach anzurufen, was rein theoretisch auch eine Möglichkeit wäre, kam natürlich nicht infrage. Außerdem konnte er ja auch anrufen, der alte Stoffel. Warum rief er eigentlich nicht an? War da doch was mit Amelie, mit der er sich bei den Er­mittlungen im letzten Mordfall so gut verstanden hatte? Amelie war klein und zierlich und hatte riesige blaue Augen und fluffiges blondes Haar. Sie sah in gewisser Weise aus wie Mara, nur in einer andern Farbpallette. Lena hasste diesen Typ Frau. Sie selbst war vollschlank und zierlich war für sie ein Fremdwort. Leider war sie auch recht groß und der anhimmelnde Blick nach oben, auf den Männer offenbar so abfuhren, war nicht möglich. Aber auch mit einigen Zentimeter weniger, würde sie es wohl nie schaffen, dass ihr nicht in ihrem Gesicht geschrieben stand, was sie dachte. Und das war oft genug: »Idiot, damischer!«

»Erde an Lena, wo bist du denn schon wieder?« Lotti zog sie am Ärmel.

Lena hatte leider einen echt üblen Affengeist, wie die Buddhisten ständig abschweifende Gedanken nannten. Das brachte ihr viele Schwierigkeiten, da ihr innerer Affe sie nicht nur andauernd ablenkte, sondern auch permanent unpassendes Zeug brabbelte und Lena lachen musste, wenn alle anderen den Tränen nahe waren.

»Was machst du denn nun?«, insistierte Hilde auf ihrer Frage.

Lena zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Mara ist Florians Gast. Er muss sich um sie kümmern, auch wenn er mit seinem Studium, Naomi und dem Job hier im Café eigentlich genug zu tun hat. Ich kann nur hoffen, sie geht bald wieder. Ich bin da raus.«

So war zumindest der Plan.

Kapitel drei

Hilfe, Peteralarm!

Peter drängelte sich durch die Menschenmenge des Mannheimer Hauptbahnhofs. Nur noch fünf Minuten bis zur Abfahrt des ICEs nach Hamburg. Energisch schubste er beim Überholen ein älteres Ehepaar beiseite, das ihm empört hinterherrief, ohne dass er sich davon stören ließ. In letzter Sekunde joggte er die Treppen zum Bahnsteig hoch und hetzte in den Zug. Kaum dass er drinnen war, ertönten auch das wohlbekannte »Bitte Vorsicht bei der Abfahrt«, ein Pfiff und die Türen schlossen sich. Als er endlich am anderen Ende des Zuges einen Sitzplatz gefunden hatte, packte er die Jacke und seine Sportasche in das Gepäckfach und ließ sich erschöpft und schweißüberströmt fallen. Dann grinste er seinen Sitznachbarn in der Hoffnung, sich die Zeit bis Hamburg mit einem Schwätzchen vertreiben zu können, an und hielt ihm die Hand hin.

»Moin, wie man wohl im Norden sagt, Peter Häuser, Gastronom. Fahren Sie auch nach Hamburg?«

Der Typ im alcaponemäßigen Nadelstreifenanzug mit Schlag, unter dem er ein hellgrünes Hemd mit großem Kragen trug, schaute irritiert auf die Hand, ergriff sie kurz und sagte:

»Moinsen, Jasper Hummel.« Dann ignorierte er ihn wieder und vertiefte sich in sein Tablet.

Während der Zug langsam anfuhr, versuchte Peter sich zu erinnern, wann er zuletzt in einem gesessen hatte. Das musste schon Ewigkeiten her sein. Noch vor seiner Ehe mit Lena. Vielleicht als missglückter Student? Aber auch da hatte er immer ein Auto gehabt. Zugfahren war was für Loser. Unverschämtheit von Mara, einfach seinen Mercedes zu nehmen, um bei Lena Unterschlupf zu suchen. Und wieso ausgerechnet dort? Er schüttelte nur ungläubig den Kopf.

»Meine Frau hat mein Auto, ich bin schon ewig nicht mehr Zug gefahren«, versuchte Peter das Gespräch in Gang zu bringen. Alles war besser als grübeln.

Der Mitfahrer neben ihm murmelte nur ein gelangweiltes »Aha«, während er Peters immer größer werdende Schweißflecken unter den Armen naserümpfend musterte. Verärgert öffnete Peter seine Arme so weit wie möglich, bis der Pingel seinen Laptop zusammenklappte, seine Aktentasche und seinen Mantel einsammelte und mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er was Schlechtes gerochen, aufstand.

Na, hatte er ehrlicherweise vermutlich auch. Peter hatte, seit Mara weg war, hauptsächlich gegrübelt und getrunken und sich die Dusche heute Morgen, bevor er sich ohne lange Überlegung entschlossen hatte, ihr hinterherzureisen, gespart. Sollte sich der Pingel doch einen neuen Platz suchen, viel Vergnügen dabei, der Zug war proppenvoll. Wenigstens hatte er nun einen komfortablen Doppelsitz.

Fünfeinhalb Stunden sollte es bis Hamburg dauern und dann noch mal eine Dreiviertelstunde bis Ahrensloe, das anscheinend am Ende der Welt lag.

Peter starrte auf die vorbeifliegende novemberkahle Landschaft. Scharen von Krähen saßen in den abge­ernteten Feldern und verdunkelten beim Auffliegen den grauen Himmel.

Wie war er nur in diese Situation geraten? Was hatte er falsch gemacht? Vielleicht hatten seine Kumpels doch recht, als sie ihm von einer Heirat mit einer zwanzig Jahre jüngeren Frau abgeraten hatten.

»Peter«, hatte Rüdiger gesagt. »Das bringt nur Ärger. Deine Lena ist doch eine Superfrau. Sie lässt dir deine Freiheit und hält dir immer den Rücken frei. Von Mara wirst du das nicht erwarten können.«

Er hatte recht gehabt. Peter hatte sich gefreut, Lena gegen ein deutlich jüngeres und schickeres Modell auszutauschen, auch wenn ihm die Auszahlung des Zu­gewinns fast körperlich wehgetan hatte. Aber nach dem Tod ihrer Mutter und dem Auszug des gemeinsamen Sohnes Florian war Lena zunehmend zur Spaßbremse mutiert. Ständig hatte sie ihm in den Ohren gelegen, sie sei immer allein, er habe nie Zeit für sie, wozu sie eigentlich verheiratet wären? Da musste sie sich doch nicht wundern, dass er sich die gleiche Frage stellte. Mara hatte nie mit ihm gemeckert, sondern ihn mit ihren Bambiaugen angehimmelt und über jeden seiner flachen Witze, bei denen Lena nur die Augen verdreht hatte, gelacht. Er hatte sich plötzlich nicht mehr wie ein leicht übergewichtiger Endvierziger und Familienvater, sondern jung und unbeschwert gefühlt.

Und dann war Fabienne auf die Welt gekommen und alles war anders geworden. Die rehäugige, niedliche Mara hatte sich in einen feuerspeienden Drachen verwandelt. Sie war gefühlt hundertfach so schlimm wie Lena in ihren schlechtesten Zeiten. Was wollte sie nur von ihm? Er war doch auch bei Florian nie nachts aufgestanden. An Windeln wechseln oder gar tageweise Betreuung, damit die Kindsmutter sich mal erholen konnte, erinnerte er sich genauso wenig.

Bei ihrem letzten Streit, als er Mara gebeten hatte, ihm ein paar Schnittchen zum Fußballspiel zu machen, das er schon ihr zuliebe zu Hause statt mit seinen Kumpeln in der Kneipe anschaute, hatte sie ihn mit dem schreienden Baby auf dem Arm gefragt, ob er noch ganz dicht sei.

Knurrend hatte er auf die Schnittchen verzichtet und sie lediglich gebeten, mit dem Baby rauszugehen, es sei gerade so spannend, da hatte sie ihn angeschrien wie eine Bekloppte.

»Du bist doch total neben der Spur. Du willst Schnittchen, anstatt mir mal zu helfen. Wie hat es Lena nur mit dir ausgehalten? Du bist völlig aus der Zeit gefallen«, hatte sie geschrien.

Pfff, er war ein gut erhaltener Vierziger, er könnte als Enddreißiger durchgehen, das mussten die Hormone bei Mara sein. So eine Schwangerschaft und die ganze Stillerei waren ja nicht so ohne, er hatte im Wartezimmer vom Arzt gelesen, es gäbe sowas wie Still­verblödung. Sonst interessierte er sich ja nicht so für den Frauenkram. Gewiss litt die arme Mara daran.

Aber sie war zum Glück rausgegangen und er konnte sein Spiel in Ruhe gucken. Fast in Ruhe, schließlich hatte sie noch ewig in der Wohnung rumgewuselt. Warum mussten Frauen ständig aufräumen? Am liebsten beim Fußball. Irgendwann war Ruhe eingekehrt, er hatte noch ein paar Bierchen gekippt und war im Sessel eingeschlafen. In der Nacht war er lediglich kurz auf Toilette gewesen und dann zum Sofa rübergekrabbelt, um weiterzuschlafen.

Dadurch hatte er sich erst am nächsten Morgen über die angenehme Stille im Haus gewundert. Offensichtlich war Mara endlich zur Vernunft gekommen und nahm mal Rücksicht auf ihn. Als er, sich am Bauch kratzend, in die Küche gekommen war, war er schon enttäuscht gewesen, dass diese eiskalt war und ihn weder ein fertiges Frühstück noch ein frisch gefüttertes Baby erwarteten. Bei Lena hätte es so was nicht gegeben.

Also hatte er um des lieben Friedens willen Brötchen aufgebacken, den Tisch gedeckt, schnell geduscht und sich zu den beiden Langschläfern ins Schlafzimmer geschlichen.

Er wollte sich gerade an Mara kuscheln, als ihm auffiel, dass das Bett leer war. Er machte das Licht an und starrte in ein ebenfalls leeres Babybettchen. Komisch. Hatten die Krabbelgruppe oder so was? So früh? Da fiel ihm ein Briefumschlag auf dem Ehebett ins Auge.

Er öffnete ihn mit zitternden Fingern.

»Lieber Peter, wir halten es leider nicht mehr aus mit dir, deinem Egoismus und deiner Sauferei. Wir sind dann mal weg.

Gute Besserung! Mara.«

Hundertmal drehte und wendete er den Brief, aber da stand sonst nichts. Kein Warum? Was meinte sie mit Egoismus und Sauferei? Er war ein schwer arbeitender Bistrobesitzer, der halt mal mit den Gästen was trank. Oder beim Fußball. Oder auf dem Weinfest. Oder beim Grillen. Oder mit Kumpels. Oder nach der Arbeit. Also total normal und fast nie. Und Egoismus? SIE war doch die Egoistin und zerstörte die Familie, indem sie einfach so mir nichts, dir nichts, ohne dass er irgendwas gemacht hatte, verschwand.

Nachdem er fassungslos eine Zeit lang wie betäubt auf der Bettkante gesessen hatte, war ihm ein unangenehmer Geruch in die Nase gestiegen.

Verdammt, er hatte die Scheißbrötchen vergessen. Peter rannte die Treppe hinunter, inzwischen piepsten die Feuermelder. Er durchdrang den schwarzen Nebel in der Küche und öffnete die Backofentür, wodurch er in weiteren Rauchwolken üble Hustenanfälle erlitt. Die Brötchen waren nur noch schwarze Aschehäufchen. Schnell öffnete er das Fenster und machte sich ein Bier auf.

Nachdem Mara nicht an ihr Telefon ging und auch auf keine seiner Nachrichten antwortete, rief er inzwischen sturzbesoffen und in heller Panik seinen Sohn Florian, mit dem er seit Wochen nicht mehr gesprochen hatte, an.

Und was hatte der Lümmel ihm geantwortet? »Vattern, ruf an, wenn du wieder nüchtern bist.« Und dann hatte er einfach aufgelegt.

Jetzt, nachdem sein Herr Sohn endlich bereit gewesen war, mit ihm zu sprechen, war er auf den Weg ans Ende der Welt in dieses beschissene Ahrensloe, um seine Frau und seine Tochter wieder nach Hause zu holen. Und natürlich seinen Mercedes. Hoffentlich waren sie heil angekommen. Er hasste es, wenn sein Oldtimer Beulen bekam.

»Sehr geehrte Damen und Herren, in Kürze erreichen wir Hamburg-Harburg.«

Peter schrak aus seinen Gedanken hoch und fing hektisch an, seine Jacke anzuziehen und Handy, Schal und Taschentücher, die er auf dem zweiten Sitz verstreut hatte, zurück in seinen Rucksack zu stopfen. Die Taschentücher fielen auf den Boden. Während er sie aufhob, fiel ihm das Ende eines kleinen braunen Mäppchens, das hinter die Zuginformation in das Netz vom Nachbarsitz gestopft war, auf.

Er zog es heraus und betrachtete es stirnrunzelnd. Dann steckte er es achselzuckend in seinen Rucksack. Er konnte es ja an der Bahnhofsinfo abgeben, zumindest, wenn er noch Zeit hatte, bevor sein Zug nach Ahrensloe abfuhr. Auch wenn der pingelige Nerd, der es vermutlich dort vergessen hatte, es seiner werten Meinung nach nicht verdient hatte. Aber er war ja ein Guter, eine Seele von Mensch. Wenn er keine Zeit mehr hatte, könnte er es auch einfach in den nächsten Mülleimer drücken. Bei dem Gedanken musste Peter grinsen und hastete aus dem Zug. Nur um eine Minute später wieder hektisch einzusteigen. Er hatte die Ansage »Bitte einsteigen und Türen schließen, der Zug fährt weiter nach Hamburg Hauptbahnhof« gerade noch rechtzeitig mitbekommen.

Fluchend stand er mit anderen Mitreisenden vor den Zugtüren.

»Wie viele verdammte Bahnhöfe hat es hier in Hamburg denn?«, fragte Peter.

»Also dieser Zug hält an drei Bahnhöfen, Harburg, Altona und Hamburg Hauptbahnhof«, war die überraschende Antwort.

Am Hauptbahnhof erreichte Peter gerade noch den Anschlussbummelzug nach Ahrensloe und vergaß dabei das braune Mäppchen völlig.

Das demente Trio war gerade zur Tür heraus, als Lena die Spülmaschine vollräumte und klar Schiff hinter der Theke machte. In der Mittagszeit war in der Regel kaum was los. Die Angestellten saßen beim Mittagstisch und holten sich höchstens noch einen Latte to go und alle anderen waren schon längst wieder zu Hause und bereiteten das Mittagessen vor, das hier im Norden nach Möglichkeit Punkt 12.00 Uhr auf dem Tisch stehen sollte. Zumindest in der älteren Generation.

Lena achtete nicht auf den Gast, den sie hereinkommen hörte, der konnte auch noch einen Moment warten.

»Wirtschaft! Bedient hier auch wer?«, rief da eine Männerstimmte und haute auf die Theke.

Lena erstarrte.

Diese Stimme kannte sie doch.

Nein, lieber Gott, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Bitte nicht auch das noch.

Widerwillig kam sie hinter der Kaffeemaschine hervor.

»Lenaschatz, mach mir mal einen doppelten Espresso. Was zu essen wäre auch nett. Ich bin schon seit Stunden unterwegs. Du bist ja echt am Ende der Welt gelandet. Läuft wohl nicht besonders gut, dein Laden?« Peter ließ sich an den Personaltisch fallen, der direkt hinter der Theke stand. Wohin auch sonst? Manchmal fragte Lena sich, wieso sie so viele Tische vorhielt, waren in der Regel nur der Personaltisch und die Theke besetzt. Manchmal zog sich die Kundschaft sogar noch Stühle von anderen Tischen dazu, weil am Personaltisch nur zwei Stühle standen. Und das aus gutem Grund. Dem gleichen nämlich, weshalb ein silbernes Schild »Nur für Personal« verkündete.

»Peterschatz, kannst du nicht lesen? Nur für Personal!«

Lena war unterirdisch genervt. Was sollte das hier werden? Ein nettes Familientreffen mit ihrem Arschloch-Ex, seinem neuen Bambi und seiner Tochter?

Reichten rund 700 km nicht, damit die sie in Ruhe ließen? Wohin sollte sie? An den Nordpol? Das wäre vielleicht eine Option. Vielleicht könnte sie ein Elfen­café eröffnen. Und Knecht Ruprecht bitten, Peter mit der Rute zu vertreiben.

Bei dem Gedanken ging ein Lächeln über Lenas Gesicht.

Gleichzeitig öffnete sich die Tür erneut und der Kimmel, noch mal mindestens fünf Kilogramm leichter, braun gebrannt und mit einem neuen Kurzhaarschnitt, kam herein. Mit seinen Zivilklamotten aus Jeans und Pulli sah er deutlich besser aus als sein früheres Selbst, die bleiche, übergewichtige Kimmel­schnecke, die ihr schütteres Haar quer über den Kopf klebte, Opa­klamotten trug und ihres Zeichens Kriminal­hauptkommissar war.

---ENDE DER LESEPROBE---