Active Hope - Joanna Macy - E-Book

Active Hope E-Book

Joanna Macy

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Beschreibung

Empowerment für die Bewahrung des Lebens Auf unserer Erde befinden wir uns in einem Ausnahmezustand: Klimakrise, politische Polarisierung, wirtschaftliche Umwälzungen, Artensterben und die Zerstörung der Natur. Active Hope zeigt uns, wie wir unsere Fähigkeit stärken können, diesen Krisen zu begegnen, indem wir eine unerwartete Resilienz entwickeln und kreative Kräfte freisetzen. Joanna Macy und Chris Johnstone vermitteln seit Jahrzehnten ein Empowerment-Konzept, das als „Work that Reconnects“ bekannt wurde. Sie führen uns durch einen Transformationsprozess, der von mythischen Reisen, moderner Psychologie, Spiritualität und ganzheitlicher Wissenschaft geprägt ist. Dieser Prozess stärkt uns, um dem Chaos entgegenzutreten, in dem wir stecken, und er befähigt uns, aktiv zu werden im kollektiven Übergang des Großen Wandels, hin zu einer lebensförderlichen Gesellschaft. Die deutsche Erstauflage dieses Buches kam 2014 unter dem Titel Hoffnung durch Handeln heraus. Heute, fast zehn Jahre später, ist es aktueller denn je und erscheint deshalb in überarbeiteter Neuauflage.

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Seitenzahl: 428

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Joanna Macy & Chris JohnstoneActive Hope Der ökologischen Krise mit kreativer Kraft und Resilienz entgegentreten

Über dieses Buch

Empowerment für die Bewahrung des Lebens 

Auf unserer Erde befinden wir uns in einem Ausnahmezustand: Klimakrise, politische Polarisierung, wirtschaftliche Umwälzungen, Artensterben und die Zerstörung der Natur. Active Hope zeigt uns, wie wir unsere Fähigkeit stärken können, diesen Krisen zu begegnen, indem wir eine unerwartete Resilienz entwickeln und kreative Kräfte freisetzen. 

Joanna Macy und Chris Johnstone vermitteln seit Jahrzehnten ein Empowerment-Konzept, das als „Work that Reconnects“ bekannt wurde. Sie führen uns durch einen Transformationsprozess, der von mythischen Reisen, moderner Psychologie, Spiritualität und ganzheitlicher Wissenschaft geprägt ist. Dieser Prozess stärkt uns, um dem Chaos entgegenzutreten, in dem wir stecken, und er befähigt uns, aktiv zu werden im kollektiven Übergang des Großen Wandels, hin zu einer lebensförderlichen Gesellschaft.

Die Ökophilosophin Joanna Macy ist Expertin für Buddhismus, Allgemeine Systemtheorie und Tiefenökologie. Sie ist eine geachtete Stimme in den Bewegungen für Frieden, Gerechtigkeit und Ökologie weltweit.

Chris Johnstone, Arzt und Coach, leitet u. a. Kurse, die die psychologischen Dimensionen der Krise des Planeten erforschen.

Copyright: © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2024

Die 1. Auflage erschien 2014 unter dem Titel „Hoffnung durch Handeln. Dem Chaos standhalten, ohne verrückt zu werden“.

Copyright © der Originalausgabe: 2012, 2022 by Joanna Macy and Chris Johnstone

Die Originalausgabe ist 2022 unter dem Titel Active Hope. How to Face the Mess We’re in with Unexpected Resilience and Creative Power bei New World Library erschienen.

Coverfoto: © Marcel/Stocksy (Adobe Stock)

Übersetzung: Barbara Hamburger-Langer und Gunter Hamburger

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2024

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0510-4

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0511-1 (EPUB), 978-3-7495-0512-8 (PDF).

Vorwort zur deutschen Ausgabe

2021, anlässlich der Klimakonferenz in Glasgow, sagte Sandrine Dixson-Declève, Co-Präsidentin des Club of Rome, sinngemäß: „Berichte haben bisher wenig geändert, sie haben nur Wissen vermittelt und kaum Emotionen geweckt.“ Beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2023 erneuerte sie ihre Anklage: „Müssen wir denn warten, bis alles in Schutt und Asche liegt?“1 Inzwischen ist es 51 Jahre her, seit der Club of Rome seinen ersten Grundlagentext in dem Buch Die Grenzen des Wachstums veröffentlicht hat. Die Autorinnen und Autoren des Berichts kamen damals zu dem Schluss: „Wenn die derzeitige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen unvermindert anhält, werden die absoluten Grenzen des Wachstums auf der Erde in den nächsten hundert Jahren erreicht.“2 Die Hälfte der Zeit ist um, und es hat sich so gut wie nichts zum Besseren geändert. Der Gedanke, dass die permanente Grenzüberschreitung, die das Wachstum im Kapitalismus verursacht, ohne einen Zusammenbruch des Systems nicht denkbar ist, ist nicht neu. 50 Jahre nach dem ersten Bericht des Club of Rome klingt es bei der Autorin und taz-Redakteurin Ulrike Herrmann immer noch ganz ähnlich: „Die Industrieländer stehen vor einer Alternative, die eigentlich keine ist. Entweder sie verzichten freiwillig auf Wachstum – oder die Zeit des Wachstums endet später gewaltsam, weil die Lebensgrundlagen zerstört sind.“3

„I want you to panic; I want you to feel the fear I do. Every day. And I want you to act …“, appelliert die Klimaaktivistin Greta Thunberg an die politisch Verantwortlichen und globalen Wirtschaftsführenden des Weltwirtschaftsforum in Davos am 26. Januar 2019.

„We want you to act“ ist der ebenfalls eindringliche Grundtenor dieser Jubiläumsausgabe von Active Hope. Chris Johnstone formuliert es so: „Dieses Buch vermittelt ein Gefühl für Möglichkeiten im Sinne von ‚Was wäre wenn …?‘ Wie könnte Active Hope in deinem Alltag aussehen? Wie könnte der Große Wandelsich in deinem täglichen Leben bemerkbar machen? Und: Was könnte dich ermutigen, deinen Beitrag zu leisten? Dazu bietet dieses Buch beste praktische Ideen und Übungen.“4 Und Joanna Macy, unsere altehrwürdige Lehrerin, sagt dazu: „Vermutlich wird dies mein letztes Buch sein, das ich geschrieben habe. Deshalb drückt es all meine Liebe für die Erde aus, meine Freude, mein Engagement als Aktivistin in den letzten sechs Jahrzehnten und meine Dankbarkeit für all meine Weggefährtinnen und Weggefährten.“5

In unseren tiefenökologischen Seminaren erhalten wir von Teilnehmenden immer wieder Feedback, wie bereichernd und ermutigend die gemeinsamen Tage gewesen sind. Diese Erfahrungen haben ihre Motivation, sich für einen förderlichen Wandel einzusetzen und ihre Überzeugung, etwas bewirken zu können, deutlich gestärkt. Vor allem in ihrer Beziehung zu unserer Erde und ihrer Mitwelt fühlen sie sich verbundener und durch das Seminar gestärkt:

„Ich hatte gestern erst mal mit Erschöpfung und Niedergeschlagenheit zu tun – das Loslassen unserer wunderbaren Verbundenheit und das Ankommen in meinem Leben waren eine ziemliche Herausforderung. Heute bin ich dann aber mit einer Lust loszulegen aufgewacht, und so bin ich zum XR (Extinction Rebellion) Camp gefahren.“

„Am Freitag habe ich in unserer Schule in zwei zehnten Klassen den Sprechstein für die Fragen: Wie bin ich gerade da? Was stresst mich gerade? Wie gehe ich mit Stress um? benutzt. Eine große Hilfe war, dass ich mich immer wieder an meine Absicht erinnert habe, wofür ich mich im Großen Wandelengagieren möchte.“

„Mein erster Schritt nach dem Seminar hat sich jetzt konkretisiert und erweitert: Ich werde unser nächstes Umweltschutztreffen in Form eines Councils mit Räuchern und Redestab entlang der Spirale leiten. Ich bin freudig gespannt, ob und wie ich die Leute auf die Reise mitnehmen kann … Ich bin voller Dankbarkeit und Neugier, wohin mich der Weg mit der Tiefenökologieführen wird.“

„Inzwischen habe ich Plakate für den Klimastreik beschriftet und verbreitet.“

„Für mich war im Weg durch die Spirale am Dankbarkeitstag das Gefühl des Lebensnetzes, das mich trägt, eine besondere Erfahrung.“

„Ich trage das ganze Lebensnetz – tief in meinem Herzen.“

„… reinschweben, ankommen, laufe noch leichtfüßig über die Erde … manchmal etwas unwirklich zwischen den Welten. Viele herzliche Umarmungen helfen, den Boden immer sicherer und realer unter den Füßen zu spüren, ohne das innere Leuchten zu verhüllen …“

Rückmeldungen wie diese nach einem Seminar ermutigen uns, diese kostbare Arbeit von Joanna und Chris weiterzugeben. Active Hope zeigt uns, wie wir unsere Fähigkeit stärken können, um den Krisen und Kriegen entgegentreten und mit unerwarteter Resilienz und kreativer Kraft reagieren zu können. Mit der Vermittlung dieses Empowerment-Konzepts, das als Work That Reconnects bekannt ist, führen uns Joanna und Chris durch einen Transformationsprozess, der von mythischen Reisen, moderner Psychologie, Spiritualität und ganzheitlicher Wissenschaft geprägt ist.

In einem Einführungsvideo, in dem Joanna dieses neue Buch vorstellt, setzt sie genau da an, wenn sie sinngemäß sagt: „Gefühle zu wecken, Mitgefühlzu wecken, Herz und Verstand einzusetzen, das ist es, was mir wirklich wichtig ist …“6

Es war für uns als Übersetzerin und Übersetzer eine unerwartete Herausforderung in dieser Zeit von Krisen und Katastrophen, an dem Projekt zu arbeiten und häufig haben wir uns die Frage gestellt, ob unsere Energie und unser politisch-soziales Engagement ausreichen, diese Übersetzung zu Ende zu bringen. Am 24. Februar 2022 begann Putin seinen Krieg gegen die Ukraine, und zu dieser Zeit begannen wir mit der Übersetzung. In Gesprächen mit geflüchteten Menschen aus der Ukraine wurden uns die Schrecknisse des Krieges unmittelbar vor Augen geführt. Manchmal waren ihre Erzählungen kaum zu ertragen. Aufgrund der Covid-19-Pandemie isolierten wir uns, soweit es möglich war. Einige unserer bekannten Aktivisten erzählten von ihren verzweifelten Widerstandsaktionen gegen den Raubbau durch riesige Kohlebagger und für den Erhalt des Dorfes Lützerath. Doch Business as usual ging gnadenlos weiter. Diese äußeren Faktoren machten es uns schwer, uns auf die Übersetzung zu konzentrieren. Was uns geholfen hat und wofür wir dankbar sind, sind die uns umgebende Natur, unsere natürliche Mitwelt und unsere drei Enkelkinder. Es war ein großes Geschenk, mit den Enkelinnen inmitten der wunderschönen Bergwelt des Engstligentals bei Adelboden eine Auszeit nehmen zu können – auch wenn wir mit Sorge und Kummer das Schmelzen des Gletschers am Wildstrubel dort seit Jahren beobachten können und die Sorge der Alpbauern hören, die bereits jetzt unter Wassermangel leiden. Was uns weitergeholfen hat, waren immer wieder die ermutigenden Worte von Joanna und Chris, die aus jeder Zeile des Buchs sprechen, die wissenschaftlich nachgewiesenen Fakten systemischen Wissens, Worte der Kooperation, des Gemeinsinns und gegenseitiger Achtung, des Respekts und Mitgefühls. Wir sind beeindruckt von der kollektiven Intelligenz und Kooperation, die sich in der Formation eines Schwarms von Wildgänsen ausdrückt. Dieses Sinnbild steht im Buch häufig dafür, wie wir Active Hope praktizieren können.

Einer unserer Beiträge als Übersetzerin und Übersetzer am Großen Wandel teilzuhaben ist unsere stete Absicht, diese Transformation, die dem Ansatz von Active Hope zugrunde liegt, vielen Menschen bewusst zu machen, damit sie neugierig werden und ihre unverhoffte Resilienz und Kraft entdecken, die ein Gegengewicht zum „Weiter so wie bisher“ unserer Zeit bilden können.

„Der Zustand unseres Planeten Erde hat sich im letzten Jahrzehnt in vielerlei Hinsicht verschlechtert. Wir haben deshalb in diese Jubiläumsausgabe zu zehn Jahren Active Hope neue Denkansätze, Konzepte und praktische Übungen aufgenommen, die uns unterstützen, darauf entsprechend zu reagieren. Wir sind Barbara und Gunter sehr dankbar, dass sie diese Veränderungen in die neue Übersetzung mit aufgenommen haben“,7 gibt uns Chris mit auf den Weg.

Es ist für uns wesentlich, dass dieses Buch in deutscher Sprache erscheint, weil wir zutiefst davon überzeugt sind, dass es uns ermutigt, mit menschlicher Wärme, Mitgefühl und Liebe zu handeln. Es ist ebenso eine Handlungsanleitung für die künftigen Generationen des 21. und 22. Jahrhunderts – wie auch für die „Aktivistis“ der Letzten Generation – und für uns selbst, um dem Leben zu dienen, ohne Warum. Es zeigt uns Wege auf, wie Handeln im Sinne von Active Hope möglich ist – nicht aus dem Lehnstuhl heraus, sondern durch aktives Tun.

Lies es und lass dich inspirieren, so, wie es uns in diesen Zeiten inspiriert, im Auftrag der zukünftigen Wesen nicht aufzugeben. Was könnten wir sonst Besseres tun?

Barbara Hamburger-Langer und Gunter Hamburger

Neuhausen ob Eck

Februar 2023

Danksagung

Wir beginnen mit Dankbarkeit und erinnern uns an die Worte von Thich Nhat Hanh: „Wenn du ein Dichter bist, wirst du deutlich sehen, dass in diesem Blatt Papier eine Wolke schwebt. Ohne eine Wolke gibt es keinen Regen, ohne Regen können die Bäume nicht wachsen, und ohne Bäume können wir kein Papier herstellen …“8 So ist es auch mit diesem Buch. Ohne all jene, die mitgewirkt haben, würde es dieses Buch nicht geben. Ihnen gilt unser besonderer Dank, vor allem:

Dem Kernteam, das an der Produktion des Buchs beteiligt war. Schon zu Beginn unserer Reise als Buchautor:innen begegneten wir zwei Menschen, die unser Vorhaben verstanden und begleitet haben: Unser Agent Suresh Ariaratnam und unser Lektor Jason Gardner. Was für eine Erleichterung, dass sie uns auch bei der Veröffentlichung dieser überarbeiteten Ausgabe zur Seite standen. Wir danken ihnen.

Wir bedanken uns bei Dori Midnight für die wunderbare Spiralillustration in Kapitel 2, Dave Baines für die beiden faszinierenden Zeitspiralen in Kapitel 8 und Carlotta Cataldi für die Illustrationen in den Kapiteln 1, 2 und 5. Vielen Dank an alle bei New World Library für die verschiedenen Rollen, die sie gespielt haben, insbesondere Diana Rico (für diese Ausgabe) und Mimi Kusch (für die erste Ausgabe) für das Lektorat, Monique Muhlenkamp und Kim Corbin für die Öffentlichkeitsarbeit, Tona Pearce Myers für die Innengestaltung, Tracy Cunningham für die Umschlaggestaltung, Danielle Galat für die internationalen Ausgaben und Munro Magruder für das Marketing. Wir möchten uns auch bei den vielen Menschen bedanken, die uns inspiriert haben, insbesondere denen, die wir zitiert haben, wie John Robbins, John Seed, Rebecca Solnit, Tom Atlee; ebenso bei inzwischen Verstorbenen: Arne Naess, Nelson Mandela und Elise Boulding.

Wir danken auch den vielen Freunden und Familienmitgliedern, die uns beim Schreiben unterstützt haben. Fran, Joannas Ehemann, hat uns von Anfang an unterstützt. Wir haben ihn als starken Verbündeten empfunden, auch nach seinem Tod im Jahr 2009. Joanna dankt insbesondere ihrer Assistentin Anne Symens-Bucher, ihren Kindern Peggy, Jack und Christopher sowie ihren Enkelkindern Julien, Eliza und Lydia. Seine Frau Kirsty ermutigte Chris durch alle Höhen und Tiefen des Schreibens hindurch. Hamish Cormack befragte Chris zu jedem Kapitel und kommentierte frühe Entwürfe. Unsere liebe Freundin Kathleen Sullivan, die uns beide schon seit Jahrzehnten kennt, unterstützte uns beim Schreiben – vielen Dank dafür.

Ebenso danken wir den zahllosen Kolleginnen und Kollegen vonThe Work That Reconnects, die dieses Werk in der Praxis anwenden, es weltweit anbieten, und ihre eigenen unverwechselbaren Beiträge beigesteuert haben. Wir stellen die Essenz dieses Ansatzes hier einem breiteren Publikum vor, und die Impulse dieser Kolleginnen und Kollegen sind wie wachsende Ringe, welche die Arbeit bereichern. Wir freuen uns darüber.

Die wachsende internationale Gemeinschaft vonActive Hope hat dazu beigetragen und uns dabei geholfen, Active Hope in die Welt zu bringen, nicht nur als Buch, sondern auch als eine Praxis und Lebenseinstellung. Hierzu zählen die Übersetzerinnen und Übersetzer und die Teams in den Verlagen, die hinter den Ausgaben in mittlerweile 14 Sprachen stehen. Weitere Übersetzungen sind in Vorbereitung. Wir sind all jenen sehr dankbar, die sich in Buchgruppen und Studien-Aktionskreisen zu Active Hope engagieren. Unser Dank geht auch an Elle Adams für die Gestaltung der Website https://www.activehope.info und an das Team bei https://www.activehope.training, insbesondere an Madeleine Young, für die Hilfe bei der Entwicklung unseres YouTube-Kanals und unseres kostenlosen Online-Kurses. Und zu guter Letzt danken wir auch dir, wenn du dazu beiträgst, Active Hope zu verbreiten und weiterzugeben. Willkommen in unserem Team!

Einleitung

Das Jahr 2020 begann mit toten Vögeln. Sie fielen aus einem völlig rauchverhangenen Himmel, als in Australien unkontrollierte Feuer wüteten. Das Jahr endete mit fast 2 Millionen Toten, die einer wachsenden Pandemie zum Opfer gefallen waren. Zurückblickend kann man sagen: Es war das Jahr, in dem der fortschreitende Zerfallsprozess im Alltag angekommen war.

Hast du das Gefühl, dass unsere Welt zerbröselt? Oder dass unsere menschliche Zivilisation und das Ökosystem des Planeten in Gefahr sind? Das ist es, was wir mit dem fortschreitenden Zerfallsprozess meinen – mit The Great Unraveling –, ein Ausdruck, den der visionäre Wirtschaftswissenschaftler und Autor David Korten fand, als er überlegte, wie zukünftige Generationen über unsere Zeit sprechen würden.9 Bei diesem, wie wir es auch bezeichnen, fragmentierten Zerfall handelt es sich um mehr als um nur einige wenige isolierte Katastrophen. Es ist ein gut erforschtes größeres Muster am Werk.

In Kohleminen wurden früher Kanarienvögel als Warnsystem vor giftigen Gasen eingesetzt. Wenn sie durch das Einatmen unsichtbarer Gase starben, wussten die Minenarbeiter, dass sie in Gefahr waren und schnell handeln mussten. Der massive Rückgang der Vogelpopulation sagt uns etwas Ähnliches. Seit 1970 sind allein in Nordamerika fast drei Milliarden Vögel gestorben. Dieser unglaubliche Verlust bedeutet, so die Wissenschaftler, dass das gesamte Gefüge des nordamerikanischen Ökosystems im Zerfall begriffen ist.10 Vergleichbares geschieht weltweit und betrifft nicht nur die Öko-, sondern ebenso unsere Gesellschaftssysteme.

In den letzten 50 Jahren ist jedes Jahrzehnt wärmer geworden. Extreme Wetterereignisse wie Rekordhitzewellen, unkontrollierte Feuer, Dürren, Überschwemmungen und Stürme werden immer häufiger. Ein Trend, der die Bedingungen in der Zukunft immer mehr verschlechtert.11 Wenn sich die Erderwärmung fortsetzt, wächst der Anteil von Landmasse, die wegen zu großer Hitze für Menschen nicht bewohnbar ist, von 0,8 Prozent (Stand 2020) im Jahr 2070 auf 19 Prozent an.12 Eine bis drei Milliarden Menschen könnten zu Geflüchteten werden.

Von diesen Veränderungen werden die nachfolgenden Generationen am stärksten betroffen sein. Kinder, die 2020 geboren wurden, leben mit einer Wahrscheinlichkeit, Überflutungen, Hitzewellen, Dürren, Feuer und Missernten zu erleiden, die zwei- bis siebenmal höher ist, als sie es für ihre Großeltern war.13 Der Ausdruck „Klimagerechtigkeit“ lenkt zum einen die Aufmerksamkeit auf die Ungerechtigkeiten zwischen den Generationen und zum anderen auf die Art und Weise, wie die Zerstörung des Klimas in unverhältnismäßiger Weise jenen Menschen Schaden zufügt, die in Gemeinschaften und Ländern mit niedrigem Einkommen leben.

Die Klimakrise ist nicht das einzige Problem, mit dem wir konfrontiert sind. Die menschliche Bevölkerung und der Konsum wachsen, während gleichzeitig unentbehrliche Ressourcen wie zum Beispiel Trinkwasser, Fischbestände, Mutterboden und vieles mehr weniger werden. Die extreme Ungleichheit nimmt zu, in einer Welt, in der immer mehr Milliardäre Reichtum anhäufen, während Hunderte Millionen Menschen hungern. Während die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie viele verzweifeln lassen und sie sich fragen, wie sie weitermachen können, werden weltweit 2 Billionen Dollar jährlich für Kriegsvorbereitung und -führung ausgegeben.14 Diese Summe hat sich bereits heute (Stand 2023) in unermessliche Höhen gesteigert: Seit dem 24. Februar 2022 befindet sich Russland in einem Krieg gegen die Ukraine. Die westlichen Verbündeten unterstützen die Ukraine mit Geld und Waffen und nehmen ukrainische Kriegsflüchtlinge in ihren Ländern auf.15

Hoffnung gilt oft als ein Gefühl dafür, dass Dinge besser werden. Wenn wir den katastrophalen Zustand betrachten, in dem wir uns befinden, ist es für die meisten von uns schwierig, Hoffnung zu bewahren. Blicken wir in die Zukunft, dann zeigt sich: Wir können nicht länger davon ausgehen, dass Ressourcen, von denen wir abhängig sind – Nahrung, Öl, Gas und Trinkwasser –, verfügbar sein werden. Wir können noch nicht einmal sicher sein, dass unsere Zivilisation überleben wird oder die Bedingungen auf unserem Planeten für komplexe Lebensformen weiterhin günstig bleiben.

Wir beginnen damit, dass wir diese düstere Ungewissheit als die zentrale psychologische Realität unsere Zeit bezeichnen. Wir können uns fragen, ob wir – unsere Familien, unsere Zivilisation und sogar unsere Spezies – überleben werden. Da jedoch Ängste um unsere kollektive Zukunft üblicherweise zu unangenehm sind, um über sie zu sprechen, verbleiben sie meist im Hintergrund unseres Bewusstseins, als eine nicht ausgesprochene Art der Präsenz. Wir hören oft Kommentare wie „Lass das sein, es macht zu depressiv“ und „Hänge nicht am Negativen“. Das Problem an dieser Herangehensweise ist, dass sie unsere Gespräche und unser Denken blockiert. Wie können wir den Schlamassel, in dem wir stecken, überhaupt in Angriff nehmen, wenn wir ihn für zu deprimierend halten, um überhaupt darüber nachzudenken? Diese blockierte Kommunikation beschwört eine noch tödlichere Gefahr herauf, denn die größte Gefahr unserer Zeit ist ein Abstumpfen in unseren Reaktionen.

Nehmen wir jedoch das Chaos wahr und lassen wir es zu, dass schreckliche Nachrichten über verschiedene Tragödien sich Einlass in unsere Welt verschaffen, fühlen wir uns schnell überwältigt. Wir fragen uns vielleicht, ob wir überhaupt etwas dagegen tun können.

Deshalb beginnen wir folgendermaßen: Wir erkennen an, dass unsere Zeit uns mit Realitäten konfrontiert, die schmerzhaft und schwer zu ertragen sind; die so verwirrend sind, dass man schlecht mit ihnen leben kann. Kein Wunder also, dass du dich ängstlich fühlst, unterlegen oder verzweifelt.

Hoffst du, dass dieser Entwicklungsprozess auch in dir ausgelöst wird? Oder dass du eine Rolle dabei spielen könntest, anderen bei ihrem Prozess zu helfen? Wenn ja, dann laden wir dich ein, uns auf unserer Reise zu begleiten. Gemeinsam werden wir erkunden, wie wir zu unerwarteter Resilienz und schöpferischer Kraft gelangen können. Es geht nicht nur darum, dem Chaos zu begegnen und ihm möglichst standzuhalten, sondern es gilt ebenso, etwas dagegen zu unternehmen und unseren Teil beizutragen.

Was ist Active Hope (Hoffnung durch Handeln)?17

Welche Situation auch immer wir vorfinden, wir können wählen, wie wir darauf reagieren. Angesichts überwältigender Herausforderungen haben wir vielleicht das Gefühl, unser Handeln zähle nicht viel. Doch wie wir reagieren und wie stark wir glauben, dass unsere Reaktionen Gewicht haben, hat sehr viel damit zu tun, wie wir Hoffnung definieren. Hier ein Beispiel:

Jane sorgte sich sehr um die Welt und war entsetzt über das, was sie sah. In ihren Augen waren die Menschen ein hoffnungsloser Fall: So sehr in ihrem zerstörerischen Verhalten verhaftet, dass Jane glaubte, die völlige Zerstörung unserer Welt sei unvermeidlich. „Was bringt es, irgendetwas zu tun, wenn es nichts an unserem Schicksal ändert, auf das wir zusteuern?“, fragte sie.

Das Wort Hoffnung hat zwei verschiedene Bedeutungen. Bei der ersten, die wir bereits angesprochen haben, handelt es sich um die Zuversicht, dass es zu dem Ergebnis kommen wird, das wir gerne sehen möchten – weil es uns vernünftig erscheint. Doch wenn wir auf diese Art von Hoffnung angewiesen sind, ehe wir uns zum Handeln aufraffen, blockieren wir uns überall dort, wo wir unsere Chancen als nicht sehr hoch einschätzen. Das genau passierte Jane – sie fühlte sich so hoffnungslos, dass selbst ein Versuch, etwas zu ändern, ihr unmöglich erschien.

Bei der zweiten Bedeutung geht es um das Wünschen. Auf die Frage, was sie sich für unsere Welt wünschen würde, beschrieb Jane ohne zu zögern die Zukunft, die sie sich erhoffte – die Welt, nach der sie sich so sehr sehnte, dass es sie schmerzte. Es ist diese Art von Hoffnung, mit der unsere Reise beginnt – zu wissen, worauf wir hoffen und was wir uns wünschen oder was wir lieben. Wie wir mit dieser Hoffnung umgehen, macht den Unterschied aus. Passive Hoffnung wartet darauf, dass äußere Kräfte bewirken, was wir uns wünschen. Hoffnung durch Handeln bedeutet, dass wir uns aktiv in den Prozess einbringen, der sich in Richtung unserer Hoffnungen und deren Verwirklichung bewegt.

Active Hope ist eine Praxis. Wie bei Tai-Chi oder Gartenarbeit geht es eher um ein Tun als um etwas, das wir haben. Active Hope ist ein Prozess, den wir auf jede Situation anwenden können und der drei Hauptschritte umfasst. Wir fangen dort an, wo wir gerade sind und verschaffen uns erstens ein klares Bild der Wirklichkeit, machen uns bewusst, was wir sehen und fühlen. Zweitens finden wir die Richtung heraus, in die sich die gewünschten Dinge entwickeln sollen oder die Werte, die wir gerne verwirklicht sehen möchten. Drittens unternehmen wir Schritte, die uns selbst oder unsere Situation voranbringen – in die erhoffte Richtung.

Active Hope setzt keinen Optimismus voraus, und wir können sie deshalb auch überall dort anwenden, wo wir uns hoffnungslos fühlen. Der leitende Impuls ist die Absicht; wir wählen, was wir erreichen, wofür wir handeln oder was wir ausdrücken wollen. Anstatt unsere Chancen abzuwägen und nur dann zu handeln, wenn wir uns hoffnungsvoll fühlen, konzentrieren wir uns auf unsere Absicht und lassen uns von ihr leiten.

Wie wir unsere Fähigkeiten und unser Engagement fördern

Die meisten Bücher zu globalen Themen beschreiben entweder die Probleme, vor denen wir stehen oder die erforderlichen Lösungen. Wir befassen uns mit beiden Aspekten, aber unser Fokus wird immer darauf liegen, wie wir unsere Fähigkeiten und unser Engagement zum Handeln stärken können, sodass wir unsere wie auch immer geartete Rolle bei der Unterstützung der Selbstheilungskräfte unserer Erde so gut wie möglich spielen können.

Wir alle haben verschiedene Teile des Planeten im Blick und bringen unser eigenes Portfolio an Interessen, Fähigkeiten und Erfahrungen mit. Es sind unterschiedliche Anliegen, die uns nahegehen, die ganz unterschiedliche Reaktionsweisen erforderlich machen. Dieses Buch soll dich dabei unterstützen, jene Themen zu benennen, die dich am meisten bewegen, geleitet von dem, was du im Herzen fühlst und was für dich ehrlich klingt.

Erkennen wir eine Notsituation und nehmen uns entschlossen der Sache an, wird etwas sehr Kraftvolles in uns geweckt. Wir aktivieren unsere Zielstrebigkeit und entdecken Stärken, von denen wir nicht einmal ahnten, dass wir sie haben. Merken wir, dass wir etwas bewirken können, dann gibt uns das viel Energie und unserer Existenz einen tieferen Sinn. Wenn wir Active Hope praktizieren, geht es nicht so sehr darum, pflichtbewusst zu sein oder uns in irgendeiner Hinsicht als besonders würdig zu erweisen, sondern darum, schrittweise einen Zustand der Lebendigkeit zu erreichen, der unser Leben und unsere Welt transformiert.

Drei Geschichten unserer Zeit

Zu jedem großen Abenteuer gehören Hindernisse. Die erste Hürde ist die, sich einfach bewusst zu machen, dass wir als Zivilisation und als Spezies auf eine Katastrophe zusteuern. Zwar wird zunehmend darüber gesprochen, dass man sich der globalen Krise endlich ernsthaft zuwenden solle, dennoch verfolgen die meisten Regierungen und Unternehmen vorrangig immer noch dieselben kurzfristigen Ziele, die den Schlamassel verursacht haben.

In Kapitel 1 machen wir auf die riesige Kluft aufmerksam: Wie groß die Notsituation ist und wie im Vergleich dazu die Reaktionen auf sie aussehen. Wir legen dar, wie sehr die Geschichte, mit der wir uns identifizieren, unsere Wahrnehmung prägt. Hier dienen uns drei Geschichten bzw. Versionen der Realität als eine Art Vergrößerungsglas, durch das wir deutlicher sehen und verstehen können, was vor sich geht.

Die erste Geschichte haben wir bereits vorgestellt. Wir nennen sie den fragmentierten Zerfall oder sprechen auch vom Zerbröseln (Great Unraveling). Wir zeigen auf, wie unzählige ineinandergreifende Elemente in den sozialen, ökologischen, hydrologischen und atmosphärischen Systemen, von denen unser Leben abhängt, fortwährend immer mehr zusammenbrechen. Hier spielen auch die zunehmende Hasskriminalität, das sinkende Vertrauen und das Verbreiten von immer mehr Lügen durch politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger eine Rolle.

Wenn wir einen Schritt zurücktreten und die größere Geschichte als Ganzes sehen, ist es leichter zu erkennen: Unsere Welt zerbröselt nicht nur – sie wird auseinandergerissen. Hier ist ein aktiver Prozess am Werk, der mit einer zweiten Geschichte zusammenhängt, die wir Business as usual18 nennen.

Business as usual bedeutet: Wir gehen davon aus, dass es kaum notwendig ist, unsere Lebensweise zu ändern, nach dem Motto: Für den Wohlstand braucht es Wirtschaftswachstum, und die Hauptsache ist, dass es vorangeht. Wohin dieser Ansatz uns führt, dazu gibt es keine längerfristigen Überlegungen. Bis zum Jahr 2020 dominierte diese Erzählung die Mainstream-Kultur so sehr, dass es für viele die einzig mögliche Geschichte zu sein schien, nach dem Motto: Die Dinge sind nun mal so, wie sie sind. Dann kam Covid-19 und brachte Krankheit, Tod und Zerstörung in weite Teile unserer Welt. Auf diese Weise rückte der fortschreitenden Zerfall in den Mittelpunkt des Geschehens. Nach Jahren des Aufruhrs sehnen sich viele Menschen verständlicherweise danach, dass alles wieder so wird, wie es einmal war. Wir werden uns jedoch noch anschauen, dass ein Zurück zum Business as usual gerade den Zerfall beschleunigt.

Mit der dritten Geschichte identifizieren sich jene, die überzeugt davon sind, dass ein anderer Weg in die Zukunft möglich ist und bereits eingeschlagen wird. Dazu gehören diejenigen, die fest entschlossen sind, das soziale und ökologische Netzwerk unserer Welt zu verteidigen und sich aktiv für Gerechtigkeit und die Erhaltung des Lebens einsetzen. Es sind besonders jene, die Tätigkeiten und Handlungsweisen wieder entdecken, indem sie Systeme und Strukturen entwickeln, die das Erblühen des Lebens (Flourishing of Life)19 nähren, wie zum Beispiel durch lokale Währungen, Solargenossenschaften bis hin zu Ökodörfern und ökologisch-solidarischer Landwirtschaft (SOLAWI). Diese Geschichte umfasst sowohl innere als auch äußere Dimensionen des Wandels. Sie bezieht sich auf Veränderungen unserer Vorstellung davon, wer wir sind, wer wir sein wollen und wie wir alle miteinander und mit der lebendigen Erde verbunden sind.

Die verschiedenen Stränge dieser dritten Geschichte verbinden sich und wirken zusammen in einem größeren Erzählbogen: dem des epochalen Übergangs von der industriellen Wachstumsgesellschaft zu einer zukünftigen lebensförderlichen Gesellschaft. Dieser Wandel ist so weitreichend, wie es die landwirtschaftliche Revolution vor 10.000 Jahren war und die weniger als drei Jahrhunderte zurückliegende industrielle Revolution. Diese Geschichte nennen wir den Großen Wandel.

Wir müssen uns nur umschauen und wir entdecken, wie in unserer Welt Teile dieser Geschichten „gespielt“ werden. Es gibt immer alle drei, obgleich sie in unterschiedlichen Regionen ungleich verteilt sind. Es gibt Krisenherde, wo der Zerfall offensichtlich ist und verstörende Trends, die das besonders deutlich machen. In manchem Kontext ist Business as usual außerordentlich dominant – als gäbe es keine anderen Geschichten. Den Großen Wandel hingegen beachten die Mainstream-Medien kaum oder sie verleugnen ihn absichtlich. Wir werden einen Prozess erkunden, der den Großen Wandel sichtbar macht. Eine gute Frage, um diesen Prozess in Gang zu setzen, lautet: „Was geschieht durch dich?“

Geschichten geschehen durch Menschen; unsere Entscheidungen und unser Handeln sind bestimmend dafür, wie Geschichten durch uns wirken. Wenn wir den Fokus vom Ergebnis auf den Prozess lenken und nicht mehr fragen: „Wird es geschehen?“, sondern: „Welche Schritte sind hilfreich, damit es möglich wird?“, tragen wir dazu bei, dass der Große Wandel geschehen kann. Wir tun dies durch unsere Absicht, unseren Part zu übernehmen und einen Unterschied zu machen. Vielleicht magst du darüber nachdenken, auf welche Art und Weise du das bereits tust. Was lässt du künftig bleiben, weil du weißt, dass es schädlich ist? Was entspricht deinen Werten und Hoffnungen für unsere Zukunft? Wenn wir wahrnehmen und wertschätzen, wie der Große Wandel bereits durch uns wirkt – persönlich und kollektiv –, dann ist das etwas, auf dem wir aufbauen können. Aber das allein genügt nicht. Was wir vorrangig benötigen, ist Active Hope, unsere Hoffnung durch Handeln.

Während es immer schwieriger wird, Business as usual aufrechtzuerhalten, schreitet der fragmentierte Zerfall voran. Seine Auswirkungen sind überall spürbar, denn wir sind zunehmend mit den schwerwiegenden Konsequenzen des gesellschaftlichen und ökologischen Zusammenbruchs konfrontiert. Allerdings wissen wir nicht, in welcher konkreten Form und Geschwindigkeit diese Entwicklung voranschreitet. Einige der möglichen Szenarien sind weitaus beunruhigender als andere. Wenn wir uns klarmachen, was in unserer Welt geschieht, dann stellen sich die Fragen: Was ist das Beste, worauf wir hoffen können? Und wie können wir aktiv dazu beitragen, dass dieses Beste wahrscheinlicher oder sogar möglich wird?

Die Pandemie brachte für so viele von uns Tragödien und Verluste mit sich, und gleichzeitig hat sie gezeigt, wozu wir in Notsituationen fähig sind. Vielleicht warst du Zeuge / Zeugin oder Teil von spontan gebildeten Netzwerken gegenseitiger Hilfe, die rund um den Globus entstanden sind. Die Menschen hörten auf zu fliegen, Fabriken stießen weniger Abgase aus, die Kohlenstoffemissionen sanken, und die Luft wurde sauberer. Ehe diese Dinge passierten, hätte man sie als unrealistische Hoffnungen abtun ­können. Das wirft die Frage auf: Was wäre möglich, wenn wir wirklich gemeinsam Herz und Verstand einsetzen würden, um die notwendigen Veränderungen umzusetzen? Um das in der bestmöglichen Weise anzupacken, müssen wir uns selbst ­trainieren.

Die Spirale der tiefenökologischen Arbeit

Die Reise, die in Kapitel 2 beginnt, setzt sich durch das ganze Buch fort. Sie basiert auf einem transformativen und stärkenden Prozess, den wir seit Jahrzehnten in Workshops anbieten. Von Joanna ursprünglich in den 1970er-Jahren entwickelt, wuchs und verbreitete sich dieser Ansatz durch die lebendigen Beiträge einer wachsenden Zahl von Kolleginnen und Kollegen auf allen Kontinenten (vielleicht nicht in der Antarktis). Er wurde und wird in vielen verschiedenen Sprachen gelehrt und erreicht Hunderttausende von Menschen unterschiedlichen Glaubens, verschiedener Herkunft und jeden Alters. Weil dieser Prozess uns hilft, Verbindungen neu zu knüpfen – mit dem Netz des Lebens und miteinander –, wurde er als The Work That Reconnects (wörtlich: „Die Arbeit, die wiederverbindet“)20 bekannt. Indem er uns hilft, unsere inneren Ressourcen zu entfalten und unsere lebendige Gemeinschaft mit allen Lebewesen zu stärken, fördert die Tiefenökologie unsere Fähigkeit, beunruhigende Informationen zu verarbeiten und mit unerwarteter Widerstandsfähigkeit zu reagieren. Durch die Erfahrung, die wir mit dieser Arbeit gemacht haben, konnten wir wieder und wieder erleben, wie Energie und Engagement mobilisiert werden, wenn die Menschen in ihre Rolle beim Großen Wandel hineinwachsen.

Wir haben dieses Buch geschrieben, damit du die transformative Kraft der Spirale in der Tiefenökologie erfahren, aus ihr schöpfen und kreativ auf die Krisen unserer Zeit antworten kannst. Die weiteren Kapitel führen dich durch die vier Stadien der Spirale, die immer wieder in diesem Prozess durchlaufen werden: Wir beginnen mit Dankbarkeit, würdigen unseren Schmerz um die Welt, sehen die Welt mit neuen Augen und stehen auf, um zu handeln (siehe Abbildung 1). Der Weg durch diese Stadien hat eine stärkende Wirkung, die sich mit jeder Wiederholung vertieft.

Sich allein auf die Reise zu begeben kann schon sehr bereichernd sein, doch in Gemeinschaft wachsen die Vorzüge dieser Arbeit noch schneller. Wir ermutigen dich, andere zu suchen, um das Buch gemeinsam zu lesen und auf deinem Weg Gedanken auszutauschen. Einige der Übungen sind auch in dem kostenlosen Online-Kurs ActiveHope.Training beschrieben. Unsere Sorgen öffentlich zu machen ist ein zentrales Element der Auseinandersetzung mit dem Chaos, in dem wir stecken, und wir werden noch untersuchen, aus welchen Gründen Angst diese Art des Austauschs verhindern kann. Wir werden erkunden, was es so schwer macht, über unsere planetare Krise zu sprechen und ein vielfältiges Instrumentarium bereitstellen, das uns dabei unterstützt, jene ermutigenden und für unsere Zeit so notwendigen Gespräche zu führen.

Wir wollen dich ermutigen, dich mit den beschriebenen Übungen vertraut zu machen, indem du sie ausprobierst. Über das ganze Buch verstreut findest du Übungen für dich allein, für Gespräche mit anderen oder die besonders wertvolle Arbeit in Gruppen.

Abbildung 1: Die Spirale der Arbeit, die wiederverbindet

Was haben wir anzubieten?

Im Mittelpunkt dieses Buchs steht ein kollaboratives Modell der Macht. Es beruht darauf, dass wir erkennen, wie viel mehr wir erreichen können, wenn wir gemeinsam denken und handeln und nicht nur als getrennte Individuen. Die Geschichte unserer Co-Autorenschaft ist ein gutes Beispiel dafür. Die Samen für unsere Idee erwuchsen aus einem Gespräch über die Lehren, die wir, Joanna und Chris, aus der Erfahrung mit The Work That Reconnects gezogen haben. Was uns beide überraschte und begeisterte, war: In den vielen Stunden, die darauf folgten, tauchten sehr häufig Einsichten auf, die niemand von uns zuvor gehabt hatte. Obwohl der Kern, die Konzepte und die Übungen gut erprobt sind, konnten wir sie in einer Weise bereichern, verfeinern und ergänzen, sodass eine große Menge an unveröffentlichtem Material zusammenkam, das bislang nirgendwo publiziert worden war.

Es gibt das alte Sprichwort, dass vier Augen besser sehen als zwei, denn aus zwei unterschiedlichen Perspektiven erwächst die Tiefe des dreidimensionalen Sehens. Als Co-Autoren haben wir jeweils einen anderen Hintergrund, wir leben auf verschiedenen Kontinenten und schöpfen aus unterschiedlichen Quellen. Das alles hat zu den vielfältigen Synergieeffekten geführt, die diesem Buch zugrunde liegen.

Joanna, praktizierende Buddhistin, Lehrerin für Allgemeine Systemtheorie und Tiefenökologie, ist die Begründerin von The Work That Reconnects. Sie ist Anfang 90 und seit mehr als 60 Jahren Aktivistin. Sie lebt in Berkeley, Kalifornien, in der Nähe ihrer Kinder und Enkelkinder. 18 Bücher hat sie geschrieben, einige davon zusammen mit anderen Autorinnen und Autoren, darunter vier Bände mit Gedichten von Rainer Maria Rilke, an deren Übersetzung sie mitgewirkt hat.

Chris ist Arzt, Coach und Trainer. Seine Spezialgebiete sind die Psychologie der Resilienz sowie Verhaltens- und Suchttherapie. Er lebt in Großbritannien, und an seinen Resilienz-Online-Kursen nehmen Menschen aus mehr als 60 Ländern teil. Er ist Anfang 60 und seit seiner Jugend politisch aktiv. Seit mehr als 30 Jahren lehrt er die Psychologie der Nachhaltigkeit und schreibt auch darüber.

Kennengelernt haben wir uns 1989 bei einem von Joanna geleiteten einwöchigen Seminar mit dem Titel Die Kraft unserer Tiefen Ökologie. Für Chris war das eine lebensverändernde Erfahrung. Seither haben wir oft zusammengearbeitet. Dieses Buch beschreibt die Arbeit, die wir gemeinsam tun und die uns am Herzen liegt. Es ist nicht als Patenlösung für unserer Probleme gedacht, sondern als Angebot, um durch eine Reihe von Übungen und Erkenntnissen einerseits Stärke zu gewinnen, andererseits auf einer mythischen Reise transformiert zu werden.

Die Autorin und Aktivistin Rebecca Solnit schreibt: „Eine Krise bedeutet eine Trennung von Vertrautem, eine plötzliche Veränderung der Grundstimmung, die von uns verlangt, dass wir daran wachsen.“21

Machen wir uns das gegenwärtige Chaos bewusst, erkennen wir, dass ein Weiter so wie bisher … nicht mehr möglich ist. Was uns hilft, an der Situation zu wachsen, ist die Erfahrung, mit etwas viel Größerem verwurzelt zu sein, als wir selbst es sind. Der Dichter Rabindranath Tagore22 hat diesen Gedanken in folgenden Worten ausgedrückt:

„Der gleiche Strom des Lebens, der Tag und Nacht durch meine Adern fließt, fließt durch die Welt und tanzt in rhythmischen Maßen.“

In diesem Strom fließen wir. Er führt uns zu einer Lebensweise, die unsere Welt bereichert. Unsere Grundlage und unser Fokus ist die Praxis von Active Hope. Wenn wir uns dem Chaos stellen und uns darauf einlassen, wird auch unser Leben ­bereichert.

TEIL I: DER GROSSE WANDEL

1. Drei Geschichten unserer Zeit

In der Mitte des Raums lagen drei große Bogen Papier auf dem Boden. „Da habe ich die meiste Zeit meines früheren Erwachsenenlebens zugebracht“, sagte Elly und deutete auf das Blatt neben ihr, auf dem „Business as usual“ („Weiter wie bisher …“) zu lesen war. „In den dann folgenden vier Jahren erlebte ich den ,fragmentierten Zerfall‘, bis mir mehr und mehr das Chaos, in dem wir stecken, bewusst wurde und ich mich völlig überwältigt fühlte. Erst in den letzten ein bis zwei Jahren bin ich auf die dritte Geschichte aufmerksam geworden – den Großen Wandel –, und hier habe ich nun meinen Platz gefunden.“ Der Kreis der Menschen nickte zustimmend. In diesem Workshop zum Thema Active Hope (siehe Abbildung 2) reflektierten die Teilnehmenden, wie ihre eigenen „Reisen“ verlaufen waren, wie ihnen dabei bewusst wurde, was geschieht und welche Impulse sie dazu brachten, darauf zu reagieren.

Abbildung 2: Wir können die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.

Aus welcher Geschichte oder aus welchen Geschichten heraus betrachtest du die Welt? Wie hat sich das im Lauf deines Lebens verändert? Wenn wir hier den Begriff Geschichte verwenden, beziehen wir uns damit auf die Art und Weise, wie unser Verstand unserer Welt einen Sinn gibt. Er tut es, indem er Aspekte des Geschehens in eine größere Erzählung einordnet. Psychologinnen und Psychologen würden hier von unserer Metaerzählung (bzw. unserem Metanarrativ) sprechen – einem größeren Muster, das wir wahrnehmen und das durch viele einzelne Elemente und Ereignisse geprägt ist. In diesem Kapitel befassen wir uns eingehender mit den drei in der Einleitung erwähnten Geschichten: der fragmentierte Zerfall (Anm. d. Übersetzer: oder wie wir es umgangssprachlich nennen: das Zerbröseln der Systeme), Business as usual (Weiter so wie bisher) und der Große Wandel. Die Erkenntnis, dass wir die Geschichte, in der wir leben, wählen können, kann befreiend sein. Wenn wir eine gute Geschichte finden, an der wir teilnehmen, trägt das zu einem Gefühl von Sinnhaftigkeit und Lebendigkeit bei. Wir werden untersuchen, wie jede dieser Geschichten unsere Reaktion auf globale Krisen prägt.

Geschichte 1: Der fragmentierte Zerfall

Wie gravierend sind deiner Meinung nach die Probleme, mit denen wir als Menschheit konfrontiert sind? Wenn du deine Antwort auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten könntest, wobei 0 für „gar kein Problem“ steht und 10 eine Katastrophe bedeutet (siehe Abbildung 3), welche Zahl würdest du dann wählen?

Abbildung 3: Wie gravierend sind die Probleme, mit denen wir es zu tun haben?

Wenn du Punkte vergeben hast, dann erkennst du, dass etwas nicht stimmt. Wenn deine Punktzahl höher als 7 ist, spürst du, dass wir in Gefahr sind. Was ist es, das dich beunruhigt oder alarmiert? Wenn du deine Sorgen benennst, rücken sie in den Fokus. Der erste Schritt zur Lösung eines Problems besteht darin, es erst einmal wahrzunehmen. Damit beginnt unsere Reise.

 ÜBUNG: Deine Sorgen benennen

Vervollständige die folgenden Satzanfänge mit Worten, die dir dabei ganz natürlich in den Sinn kommen. Das kannst du im Stillen für dich im Kopf machen, du kannst aber auch aufschreiben, was dir einfällt. Du kannst diese Übung ebenso mit einer anderen Person machen, indem ihr beide abwechselnd sprecht und zuhört. Wenn du nicht sicher bist, was du sagen sollst, dann wiederhole einfach den Satzanfang und entdecke, was dann geschieht. Vertraue spontan deiner inneren Stimme. Du kannst das mehrmals wiederholen, und jedes Mal kann deine Antwort eine andere sein.

Wenn ich mir vergegenwärtige, wie es um unsere Welt bestellt ist, befürchte ich …

Was mir besonders Angst macht, ist …

Wenn du auflistest, welchem Spektrum an Bedrohungen wir gegenüberstehen, beschreibst du den fragmentierten Zerfall bzw. das Zerbröseln der Systeme. Es ist sinnvoll, dem größeren Muster der sich verschlechternden Bedingungen einen Namen zu geben. Obwohl selten darüber gesprochen wird, ist dieser Vorgang den meisten Menschen bewusst. Im Zuge einer internationalen Umfrage im Jahr 2017 gaben von 18.000 Befragten 67 Prozent an, dass sich ihrer Meinung nach der Zustand der Welt verschlimmern wird.23 2021 wurden insgesamt 10.000 junge Menschen im Rahmen einer internationalen Studie befragt, und 75 Prozent gaben an, sie hätten Angst vor der Zukunft.24 Doch was geschieht, wenn du in deinen Alltagsgesprächen deine Sorgen äußerst? Höchstwahrscheinlich wirst du schnell zu hören bekommen, dass ein solch offener Austausch beunruhigender Informationen nicht erwünscht ist. Du riskierst vielleicht einen Streit oder dass man deine Gesellschaft meidet, weil sie zu deprimierend sei.

Auch wenn kulturelle Widerstände es schwer machen, unsere Ängste in der Öffentlichkeit auszusprechen, ist der erste Schritte herauszufinden, wie wir selbst mit diesen Ängsten umgehen können. Von den Themen, die uns beschäftigen, ragen die folgenden heraus. Die folgende Aufzählung erhebt nicht den Anspruch, vollständig oder gar umfassend zu sein – doch die benannten Punkte betreffen uns alle:

Die Verschärfung der Klimakatastrophe

Vergiftung und Zerstörung der natürlichen Mitwelt

Zunahme extremer Ungleichheit

Demontage demokratischer Strukturen

Ängste, ob wir unsere Grundbedürfnisse erfüllen können

Die Bedrohung durch Krieg und die Kosten der Aufrüstung

Die Wahrscheinlichkeit des gesellschaftlichen Zusammenbruchs

Fehlinformationen und Lügen verhindern die Wahrnehmung dessen, was wirklich geschieht

Weil der fragmentierte Zerfall nicht überall auf der Welt im gleichen Ausmaß anzutreffen ist, wird er unterschiedlich erlebt, abhängig davon, wo genau und unter welchen Bedingungen du lebst. Du kannst eine eigene Liste deiner Sorgen erstellen und fügst vielleicht noch weitere Punkte hinzu. Wenn wir sehen können, dass ein Spek­trum an Bedrohungen miteinander verflochtene Elemente einer größeren Geschichte sind, hilft uns das zu erkennen, auf welche Weise sie sich gegenseitig beeinflussen.

Der Terminus fragmentierter Zerfall beschreibt eher einen Prozess als ein Ereignis. Für einige Gesellschaften ist die Erfahrung, dass ihre Welt zusammengebrochen ist, nichts Neues. Indigenen Völkern wurde ihr angestammtes Land gestohlen. Dabei drangen Invasoren in Gestalt weißer Kolonialisten ein, um sich über Jahrhunderte deren Reichtum anzueignen und damit eine höchst ungleiche Weltordnung zu schaffen, die den Interessen einer privilegierten Minderheit dient. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt von weniger als 5,50 Dollar pro Tag25, und mehr als 900 Millionen Menschen hatten 2021 so wenig zu essen, dass sie unterernährt waren.26 Die Ungerechtigkeit trägt am meisten zum weltweiten Zerfall bei; sie steht in Wechselwirkung mit den schmerzhaften Auswirkungen von Klimakatastrophe, Krieg, Zerstörung des Lebensraums und Pandemien.

Vor diesem Hintergrund ist der fragmentierte Zerfall ein fortschreitender Prozess, der – was äußerst verstörend ist – noch an Dynamik gewinnt. Das zeigt sich zum Beispiel an den Teufelskreisen – den positiven Rückkopplungsschleifen – der sich verschärfenden Klimaveränderungen. Wälder haben eine Schutzfunktion, indem sie Kohlendioxid absorbieren. Findet jedoch ein Kahlschlag statt, kehrt sich dieser äußerst wichtige Prozess ab einer bestimmten Menge an gefällten Bäumen ins Gegenteil um: Es wird Kohlendioxid in die Atmosphäre freigesetzt. Große tropische Bäume sind zusätzlich gefährdet, denn wenn wärmere Luft den Boden austrocknet, verdorren sie. Ein globaler Temperaturanstieg um 4 Grad Celsius könnte genügen, große Flächen des Amazonas-Regenwalds, die „Lunge des Planeten“27, zu vernichten. Wenn das geschieht, würden wir nicht nur den Kühlungseffekt des Regenwalds verlieren, sondern die Treibhausgase, die beim Verrotten oder Verbrennen der Bäume freigesetzt werden, würden die Erwärmung weiter verstärken. Der Begriff Runaway Climate Change28 (außer Kontrolle geratene Klimaveränderungen) beschreibt diese gefährliche Situation: Die Folgen der Erwärmung führen von ganz allein zu einer noch stärkeren Erwärmung (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4: Sich selbst verstärkende Rückkopplungen bei einem außer Kontrolle geratenen Klimawandel

Wenn die Land- und Meeresoberflächen mehr Sonnenwärme aufnehmen, taut die Eisdecke auf, und das schmelzende Eis bewirkt einen weiteren Teufelskreis einer positiven Rückkopplungsschleife. Je mehr von der Eisdecke schmilzt, desto weniger kann die Hitze der Sonne abgestrahlt werden, und die wärmeren Temperaturen führen zu weiterer Eisschmelze. Die meisten großen Städte der Welt entwickelten sich als Hafenstädte am Meer oder an großen Flüssen, und 630 Millionen Menschen leben weniger als 10 Meter über dem Meeresspiegel. Da die Eisschilde auf Grönland und der Westantarktis weiter abschmelzen, wird der steigende Wasserspiegel London, New York, Miami, Mumbai, Kalkutta, Sydney, Shanghai, Jakarta, Tokio und viele andere Großstädte überfluten.29

Wenn wir den fragmentierten Zerfall als Fakt anerkennen, dann bestätigen wir damit nicht nur die Katastrophen, die bereits stattgefunden haben, sondern wir machen erwiesene und bestätigte Trends bewusst, wonach sich die zukünftigen Bedingungen verschlechtern werden.

Ein zentraler Mechanismus, der den Zerfallsprozess antreibt, ist die Systemdynamik von Overshootand Collapse (Grenzüberziehung und Zusammenbruch). Überansprucht man ständig und geht damit über Belastungsgrenzen hinaus, kommt es zum Zusammenbruch – bei Menschen und anderen Lebewesen, aber auch bei Organisationen oder Ökosystemen. Bei jemandem, der zum Beispiel über längere Zeit schwerem Stress ausgesetzt ist, sind die inneren Reserven ab einem bestimmten Punkt vermutlich so sehr erschöpft, dass ein Kollaps die Folge ist. Etwas Ähnliches geschieht in der Landwirtschaft, wenn die Übernutzung von Flächen dem Boden seine Fruchtbarkeit nimmt. Das Ergebnis: Jahr für Jahr wird fruchtbares Land in der Größe Englands in Wüste verwandelt.30

Wenn man von Zerfall spricht, ist damit ein Prozess impliziert, der schrittweise wie ein Aufdröseln vor sich geht, weil er nach und nach den Zusammenhalt, das Gedächtnis und die Funktionalität eines Systems verringert und lockert, bis es auseinanderfällt. Der Weg des Niedergangs verläuft über unterschiedliche Stadien. Erste Warnzeichen treten auf, wenn die Ränder „ausfransen“. Mit dem Verlust von signifikanten Elementen und Funktionen beginnt die Leistungsfähigkeit zu schwinden. Wenn das System dann nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zusammenzuhalten, ist eine Sollbruchstelle erreicht, und es zerbricht. Diese Abfolge können wir an vielen Beispielen überall auf der Welt beobachten – bei landwirtschaftlichen Systemen, in der Fischerei und bei natürlichen Lebensräumen. Aber auch an Beispielen für Gesellschaften, die in erodierten Landschaften leben; für Organisationen, die mit sich verschlechternden Bedingungen kämpfen, und sogar am Beispiel ganzer Länder.

In einer vernetzten Welt löst ein Zusammenbruch eine Kettenreaktion aus, die andere Systeme beeinflusst. 2020 veröffentlichten Wissenschaftler eine Studie, in der sie künftige globale Risken einschätzen, den Future Earth Risks Perceptions Report. Mehr als 200 Wissenschaftler aus 52 Ländern warnen vor kollidierenden Auswirkungen von Klimawandel, Extremwetterereignissen, dem Zerfall der Ökosysteme, Nahrungsmittelkrisen und Süßwasserknappheit. All diese Phänomene wirken zusammen und verstärken sich gegenseitig, wodurch wir auf einen globalen systemischen Zusammenbruch zusteuern.31 Welche psychologischen Auswirkungen auf das Leben sich mit der Aussicht auf einen katastrophalen Zusammenbruch ergeben, beschreiben Jem Bendell und Rupert Read in ihrem Buch Deep Adaptation (Tiefe Anpassung) folgendermaßen:

„Es ist nicht nur schwierig, sich diese Aussicht bewusst zu machen, sondern auch schwer, damit zu leben, denn den gesellschaftlichen Zusammenbruch zu erwarten bedeutet sowohl, selbst verletzlich zu sein, als auch Angst vor der Zukunft der uns nahestehenden Menschen zu haben.“32

Das Ausmaß der Krise vor Augen, könntest du auf eine Massenmobilisierung hoffen, die Regierungen, Organisationen, Gemeinschaften und Menschen von überall her zusammenführt, um sich in dieser planetaren Notlage gemeinsam zu erheben. Doch sehen wir das? Wir können anhand einer zweiten Bewertungsskala herausfinden, wie stark unserer Meinung nach die kollektive Reaktion auf diese Probleme ist (Abbildung 5). In diesem Fall ist 0 überhaupt keine Reaktion, und 10 ist so gut, wie es nur möglich ist, mit einer weitverbreiteten, ausgeprägten und beindruckenden internationalen Reaktion. Wie würdest du unsere derzeitige kollektive Reaktion bewerten?

Abbildung 5: Wie gut ist unsere kollektive Reaktion entwickelt?

Geschichte 2: Business as usual

Wenn du beide Skaleneinschätzungen vorgenommen hast (Abbildungen 3 und 5): Zeigt sich bei dir in beiden Fällen ein Missverhältnis zwischen dem Ausmaß unserer Probleme und der Stärke unserer kollektiven Reaktion? Wenn du, so wie wir, die Probleme viel höher einschätzt, wirst du vermutlich erkennen, mit welcher ungeheuren Macht unsere zweite Geschichte, Business as usual(Weiter so wie bisher), ausgestattet ist. Diese Geschichte basiert auf der Grundannahme: Es ist alles gar nicht so schlimm, und wir können wie gewohnt weiter machen. Aus dieser Perspektive betrachtet bedeuten periodisch auftretende Katastrophen nur vorübergehende Unterbrechungen.

Mit Business as usual beziehen wir uns auf den Mainstreammodus in den Industrieländern, wo die Art und Weise, wie die Dinge gehandhabt werden, als normal gilt. Zum Beispiel ist es für die Menschen heutzutage gang und gäbe, viel mehr Energie und Material zu verbrauchen als die Generationen vor uns und dabei enorme Mengen an Müll zu produzieren. Der in den Vereinigten Staaten jährlich erzeugte Müll könnte einen Konvoi von Mülllastern füllen, der lang genug wäre, um die Erde neunmal zu umrunden.33 Weniger sichtbar, aber umso gefährlicher sind die Treibhausgase, die jedes Jahr in die Atmosphäre ausgestoßen werden und Mikroplastik, das unsere Ozeane verseucht. Doch trotz der offensichtlichen Zerstörungskraft lässt die von Business as usual geprägte Sicht der Welt jegliches Engagement oder jegliche Dringlichkeit vermissen, auch nur im Ansatz etwas zu verändern.

Mit jeder Geschichte, die davon erzählt, wie wir die Welt betrachten, sind bestimmte Annahmen darüber verbunden, was es für uns bedeutet, „für das Leben Gutes zu tun“ oder „ihm zu schaden“. Im Rahmen von Business as usual geht es einem Land gut, wenn seine Wirtschaft wächst. Einem Unternehmen geht es gut, wenn es expandiert. Einem Menschen geht es gut, wenn sein Einkommen steigt. Für diese Betonung des Wachstums gibt es einen anderen Ausdruck, der den Mainstream vortrefflich beschreibt: industrielle (kapitalistische) Wachstumsgesellschaft. Damit die Industrie wachsen kann, benötigt sie mehr Absatz. Das bedeutet, dass wir ermutigt werden, noch mehr zu kaufen und zu konsumieren, als wir es ohnehin schon tun. Diese Dynamik führt zum Overshoot, also zur Grenzüberziehung, und in dessen Folge zum Zusammenbruch, denn durch den ständigen Druck, mehr Dinge zu produzieren, beuten wir Ressourcen auf eine Weise aus, die ganze Landstriche verschlingt und unsere Welt mit Abfall vergiftet.

Die zerstörerischen Normen des Business as usual werden durch eine Reihe von Annahmen darüber, wie die Welt funktioniert, aufrechterhalten. Diese zentralen Annahmen lauten:

Ökonomisches Wachstum ist eine wesentliche Voraussetzung für Wohlstand.

Die Natur ist eine Ressource, die für menschliche Zwecke zur Verfügung steht.

Den Konsum anzukurbeln ist gut für die Wirtschaft.

Nicht alles Leben ist gleichwertig, manche Leben zählen mehr als andere.

Die Probleme anderer Völker, Nationen und Arten gehen uns nichts an.

Über die ferne Zukunft brauchen wir uns nicht den Kopf zu zerbrechen, weil wir dann schon tot sein werden.

Was wir tun, macht überhaupt keinen Unterschied; wir können die Welt nicht ändern.

Die Zwangslage der doppelten Wirklichkeit

Die Geschichten vom fragmentierten Zerfall und von Business as usual stehen in einem krassen Gegensatz zueinander und liefern jeweils völlig unterschiedliche Bilder vom Zustand unserer Welt. Es sind zwei verschiedene Realitäten, die zeitgleich im selben Raum koexistieren. Du kennst wahrscheinlich Menschen, die in einer anderen Geschichte leben als du. Ebenso kann es sein, dass du dich zwischen den Geschichten hin- und herbewegst. Es ist durchaus möglich, dass du dich einen Teil des Tages in einem Modus bewegst, der da heißt „Weiter so wie bisher“, und Pläne schmiedest für eine Zukunft, von der wir annehmen, dass sie sich kaum von der heutigen unterscheiden wird. Dann nimmst du etwas von dem Chaos wahr, das dich umgibt und bist alarmiert. Mit deinem Herzen und deinem Verstand erkennst du den sich anbahnenden oder bereits stattfindenden Zusammenbruch.

Werden Menschen sich zum ersten Mal des Ausmaßes der Auflösungs- und Zerfallserscheinungen bewusst, ist das ein ziemlicher Schock. Unser normaler Alltag lässt uns Dinge ausblenden, die zu verstörend sind. Öffnen wir hingegen unsere Augen vollständig und blenden den Schrecken nicht mehr aus, fühlen wir uns häufig unvorbereitet, überwältigt oder verloren. Viele Menschen, mit denen wir gesprochen haben, beschreiben das „Hin-und-hergerissen-Sein“ zwischen diesen unterschiedlichen Geschichten so, als wären sie in einer doppelten Realität gefangen. Wenn wir unser Leben mit diesen gegensätzlichen Versionen gestalten, kommen wir in eine qualvolle Zwangslage: Sich einerseits dem Chaos zu stellen ist beängstigend und deprimierend, doch wenn wir uns abwenden und uns dem nicht stellen, dann bleibt andererseits das Gefühl, mit einer Lüge zu leben und an einer Gesellschaftsordnung mitschuldig zu sein, die dabei ist, unsere Erde zu zerstören. Wenn wir das Schlimmste annehmen, kann unser Glaube, dass wir etwas bewirken können, zerbrechen. Doch wenn wir einfach wegsehen, sehen wir auch nicht die Notwendigkeit, es wenigstens zu versuchen.