Addicted 1: Craving for your touch - Julia Will - E-Book

Addicted 1: Craving for your touch E-Book

Julia Will

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Beschreibung

Elias will mehr. Mehr Spaß, mehr Abwechslung, mehr Sex. Aber unverbindlich, bitte schön, denn Beziehungen sind eher was für andere. Darum fühlt es sich für ihn wie der Jackpot an, als er Lucien und Mia über eine Online-Datingplattform kennenlernt. Offen, experimentierfreudig und seit Jahren in einer festen Beziehung. Perfekt! Oder doch nicht? Plötzlich wird das neue Abenteuer komplizierter als erwartet und seine Prinzipien auf eine harte Probe gestellt. Elias hasst Lügen und Heimlichkeiten, aber die Angst Mia und Lucien sofort wieder zu verlieren ist größer, als er sich das selbst eingestehen will.

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EPUB
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Seitenzahl: 448

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Addicted 1:

Craving for your touch

Julia Will

© 2025 Amrûn Verlag

Jürgen Eglseer, TraunsteinEichenweg 1a, 83278 [email protected]

Umschlaggestaltung im Verlag

Lektorat: Luise Mertineit-Seidlitz

Printed in the European Union

ISBN TB 978-3-95869-439-2

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie unsere Webseite:

amrun-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

v1/25

Für Lisa,

weil diese Geschichte es ohne dich und deine Liebe dafür nicht über das erste Kapitel hinaus geschafft hätte.

Prolog

Meine Knie zittern. Ich kann nicht mehr. Ich kann … Es geht nicht. Immer wieder stoße ich zu, lausche dem tiefen Stöhnen, beiße mir fest auf die Unterlippe und reiße mich am Riemen. Ein bisschen noch.

»Fuck …« Er sieht über seine Schulter zu mir hoch, das Gesicht lustverzerrt, die Augen dunkel, gierig … So verdammt geil! Es ist, als würde meinen Körper neue Kraft durchströmen, und ich stoße fester zu. Sein Keuchen wird von der schäbigen Tapete zurückgeworfen, jagt heiße Schauer über meine empfindliche Haut.

»Komm für mich«, raune ich gegen seinen feuchten Nacken. Es scheint, als wäre es genau das gewesen, worauf er gewartet hat. Stöhnend bäumt er sich auf, verkrampft sich um mich, und dann spritzt er seinen Saft auf die verschwitzte Decke. Das gibt mir den Rest. Meine Stirn trifft auf seine Schulter, ich schmecke Salz unter meinen Lippen, und ich komme.

Es wird ruhig im Zimmer. Flacher Atem, träge Bewegungen, leise raschelndes Bettzeug. Die Glücksgefühle klingen ab und weichen erschöpfter Schwere. Ich fühle mich ausgelaugt und fertig. Als hätten wir die ganze Nacht Sex gehabt. Okay, hatten wir auch.

Kurz huscht mein Blick zu der hässlichen Uhr über der Tür. Es ist bereits nach drei.

Scheiße. Wir sind schon viel zu lange hier. Aber was soll ich tun? Er macht mich verrückt! Ich kann nicht mehr klar denken, wenn er bei mir ist, und wenn er mich berührt, ist es um mich geschehen. Jedes Mal.

»Ahm … Tut mir leid, ich … wollte eigentlich noch rausziehen«, hauche ich schlapp in seinen Nacken, genieße es, mit ihm verbunden zu sein. Seine Wärme hüllt mich ein. Am liebsten würde ich so bleiben. Aber das geht nicht.

»Macht nichts, ich … Ich finde das nicht unangenehm«, flüstert er, klingt genauso erschöpft wie ich. Er tastet blind auf dem Nachttisch nach einem Taschentuch, und in diesem Moment fängt sein Handy an zu klingeln. Wir zucken beide zusammen, der Schock jagt mir eine unangenehme Gänsehaut über den Rücken. Unsere Blicke wandern zum Display, und aus der unguten Vorahnung wird schreckliche Gewissheit. Mia. Scheiße!

Elias

Kennst du das, wenn du das Gefühl hast, dass du jeden hier schon mal gesehen hast? Totaler Blödsinn, ist mir klar. Aber wenn ich mich umsehe … nur bekannte Gesichter. Langweilig.« Seufzend sehe ich von der Brüstung, hoch über der Tanzfläche des Amadeus, nach unten auf die feierwütige Meute, die sich zu den hämmernden Bässen aus den Boxen bewegt.

»Falls du mit gesehen gevögelt meinst, nein.«

»Das klingt, als würde ich den ganzen Tag nichts anderes machen.« Gespielt entrüstet verschränke ich die Arme vor der Brust.

Jascha steht neben mir und zuckt unbeteiligt die Schultern. »Ich behaupte, dass ich die Samstage, an denen du den Laden ungevögelt verlassen hast, an einer Hand abzählen kann.« Schief grinsend nimmt er mir mein Bier aus der Hand, um daraus zu trinken. »Davon mal abgesehen habe ich dir schon mehrfach angeboten, dass wir ins Flex gehen können. Da laufen andere Leute rum.« Das Grinsen wird noch eine Spur breiter. »Frischfleisch.«

Brummend ziehe ich eine Schnute und schüttle den Kopf, ignoriere das wenig charmante Bild, das er von mir zeichnet – leider nicht völlig zu Unrecht.

»Da ist die Musik scheiße. Die spielen fast nur Elektro, und damit kann ich nichts anfangen. Du auch nicht, dachte ich?« Außerdem gefällt es mir im Amadeus. Mich nervt nur, dass hier immer dieselben Leute rumlaufen. Und nein, ich habe nicht sämtliche Gäste des Clubs auf den Toiletten – oder neben dem Hinterausgang – vernascht. Nur ein paar, über einen, meiner Meinung nach, durchaus angemessenen Zeitraum. Ich habe eben gerne Spaß. Unverbindlichen Spaß, sowohl mit Männern als auch Frauen, gerne gleichzeitig.

»Tja, dann musst du dich mit dem zufriedengeben, was du hast«, lacht Jascha, trinkt noch mal und gibt mir dann die Flasche zurück. Die Musik wechselt, und er beginnt zu tanzen. Ich mag das Lied ebenfalls.

»Gehen wir?«, frage ich, nicke runter in die Menge und leere mein Bier, damit ich die Hände frei habe.

»Ja, komm, suchen wir dir was zum Vögeln. Dein schwanzgesteuertes Gelaber nervt.«

»Warum kümmerst du dich nicht selbst drum?« Keine wirklich ernst gemeinte Frage, aber es wäre nicht das erste Mal, dass ich damit Erfolg hätte. Schmunzelnd greife ich nach Jascha, versuche ihn an mich zu ziehen, aber er schiebt meine Hände entschieden weg und schüttelt den Kopf. Schade.

»Nope, kannst du knicken. Keine Lust, den Notnagel für dich zu spielen.«

»Nein, nein, ich wäre der Nagel. Du wärst das Loch, in das ich meinen Nagel reinhämmere«, gebe ich zurück, kann mir den dummen Spruch nicht verkneifen.

»Alter, Elias! Geh ficken, aber lass die Finger von mir.« Für einen Moment sieht es so aus, als wäre Jascha sauer auf mich, dann verdreht er die Augen und schüttelt den Kopf. »Aber erst tanzt du mit mir! Mindestens drei Lieder, dann kannst du dich verpissen.«

Erleichtert lachend packe ich ihn an der Hand und ziehe ihn die breite Treppe runter zur Tanzfläche, wo wir uns direkt in die Menge werfen. Der Rhythmus vibriert durch meinen Körper. Es ist eng, es ist laut, und ich liebe es! Jascha ist direkt neben mir. Immer wieder berührt mich eine seiner Hände, dann tanzen wir für eine Weile eng aneinandergepresst, sein heißer Atem streicht über mein Ohr, und mein Schwanz zuckt interessiert. Nicht heute, da war Jascha sehr deutlich. Wir vögeln zwar hin und wieder, wenn wir es beide nötig und Lust haben, aber ohne Regelmäßigkeit oder Verpflichtungen. Als Freundschaftsdienst. Denn das sind wir. Freunde. Beste Freunde. Die ab und zu mal Sex miteinander haben.Wir feiern viel mehr als die geforderten drei Lieder zusammen, dann fällt mir ein hübscher, blonder Kerl ins Auge. Unsere Blicke treffen sich, und meine fragend hochgezogene Braue wird mit einem interessierten Lächeln beantwortet. Drei Schritte – und er steht vor mir. Worte sind keine nötig, unsere Körper, die sich sofort in perfektem Einklang bewegen, übernehmen für den Moment sämtliche Kommunikation. Warme Finger tanzen über meinen Nacken, freche, fordernde Lippen streifen meine Wange, wandern weiter zu meinem Mund, und ich weiß, wohin uns der nächste Weg führen wird. Auf die Herrentoilette.

Knapp zwanzig Minuten später hauche ich einen sanften Kuss auf geschlossene Lippen, dann packe ich meinen Schwanz wieder in die Hose. Nett, wie ich bin, halte ich meine neue Bekanntschaft stützend am Ellenbogen, damit er sich ebenfalls wieder anziehen kann. Er lächelt. Zufrieden verknote ich das Kondom und werfe es in den kleinen Mülleimer neben der Toilettenschüssel.

»Das war echt gut. Bist du öfter hier? Ich hab dich noch nie gesehen«, frage ich neugierig.

»Danke und ja, fand ich auch. Ich bin nur noch bis morgen in der Stadt. Verwandtschaftsbesuch«, erwidert er, zupft sein Shirt zurecht und mustert mich mit schief gelegtem Kopf. »Eigentlich schade. Hätte nichts gegen ein Wiedersehen gehabt.« Ich beuge mich ihm zu einem letzten Kuss entgegen, dann greife ich an ihm vorbei und entriegle die Tür.

»Die wundervolle Erinnerung daran kann uns keiner mehr nehmen«, flüstere ich und halte ihm mit einer angedeuteten Verbeugung die Tür auf. Mir ist bewusst, dass wir auf unserem Weg durch den Raum von den übrigen Männern angestarrt werden, interessiert mich aber nicht. Wir sind nicht die Ersten, die hier Sex hatten, und werden auch nicht die Letzten gewesen sein. Nun wesentlich entspannter und definitiv zufrieden, mache ich mich auf die Suche nach Jascha. Die Nacht ist noch nicht vorbei.

Ich finde ihn an der Bar, wo er sich mit einem gemeinsamen Bekannten unterhält. Jonas. Den sieht man hier nicht oft. Er ist eher von der ruhigen Sorte, sitzt die meiste Zeit mit seinem Getränk an der Bar und beobachtet die Menschen um sich herum. Mit ein bisschen Alkohol kriegt man ihn manchmal auf die Tanzfläche.

»Hey!«, grüße ich die beiden und nehme Jaschas Bier aus seiner Hand, halte es hoch, bis einer der Barkeeper zu mir sieht, und bestelle per Fingerzeichen zwei neue Flaschen.

»Hallo, Elias.« Lächelnd lasse ich meinen Blick über Jonas gleiten. Er kommt mir seltsam unruhig vor, wie er da sitzt und die Hände ringt.

»Wie geht’s?«

»Ein wenig nervös …«, gesteht er, holt sein Handy raus, lässt das Display kurz aufleuchten und packt es wieder weg.

»Warum? Wartest du auf jemanden?« Er nickt. »Ja, ich habe … quasi ein Date.«

»Hier?«, frage ich ungläubig und sehe mich in meinem Stammclub um. Ich bin ja echt gern im Amadeus, aber für ein Date ist es nicht gerade optimal. Der Club liegt etwas außerhalb der Stadt, ist schon relativ alt, was man an den ziemlich ranzigen Tischen und den vollgesprayten Toiletten sieht. Ruhige Ecken gibt es nicht, die Tanzfläche klebt von literweise verschüttetem Alkohol, aber die Musik ist geil. Deswegen komme ich auch so gerne hierher. Jonas nickt.

»Ja, es ist … ein Sexdate.« Fast hätte ich gelacht. Der Gedanke ist absurd, aber Jonas’ Gesichtsausdruck ist dermaßen ernst und entschlossen, dass ich gerade noch die Kurve kriege.

»Was ist daran so komisch?« Oder doch nicht. Ups.

»Na ja, du …« Ich komme ein bisschen in Erklärungsnot, denn alles, was ich jetzt sagen könnte, wird ihn zwangsläufig beleidigen. Dabei will ich das gar nicht. Zum Glück erlöst er mich und winkt ab.

»Ich weiß schon, spar es dir. Ich bin ja selbst nicht sicher, ob das eine gute Idee ist, aber es war nett, mit ihr zu schreiben und sie mag den Club und da haben wir uns eben verabredet.«

Der Barkeeper schiebt mir meine Bestellung über den Tresen zu und ich nehme einen großen Schluck von meinem herrlich kühlen Bier, bevor ich mich Jonas erneut zuwende.

»Und wie habt ihr euch kennengelernt?«

»Über Tinder.«

Am nächsten Morgen liege ich neben Jascha in dessen Bett und langweile mich. Er schläft. Und das, obwohl ich mich in der letzten Viertelstunde mehrfach herumgewälzt habe. Ich drehe mich auf die Seite und lasse einen Finger über seinen Hals gleiten, stupse die drei Sterne des blassorange tätowierten Dragonballs an, den er direkt unter dem Ohr auf der Haut trägt. Keine Reaktion. Mist. Ich schnaufe leidend und überlege, ob ich aufstehen will. Aber was soll ich allein in seiner Wohnung machen? Die ist winzig. Da habe ich nichts gewonnen, außer, dass ich eben aufgestanden bin und darauf habe ich eigentlich gar keine Lust. Ich will beschäftigt werden. Seufzend angle ich nach meinem Handy und öffne Twitter, scrolle durch meine Timeline, gehe dann weiter zu Instagram und lese die Kommentare zu meinem gestrigen Post, einem Selfie von Jascha und mir. Ein paar Komplimente und jemand will wissen, ob wir in einer Beziehung sind. Diese Frage bekommen wir mindestens einmal die Woche gestellt. Und wenn wir dann darüber aufklären, dass wir nur befreundet sind, wird meistens einer von uns nach einem Date gefragt. Ich mag das Bild. Jascha mit seinen hellbraunen Locken und den blitzenden, tiefblauen Augen und ich mit den kurzen, hochgestylten dunklen Haaren und meinem Drei-Tage-Bart – der eher nach fünf Tagen aussieht, aber das muss man ja nicht so genau nehmen. Der Filter hat meine hellen Augen mehr grau als blau gefärbt. Jaschas Sommersprossen wurden komplett raus editiert. Schade eigentlich. Egal, ist trotzdem gut geworden. Neben mir raschelt die Bettdecke.

»Morgen«, flöte ich abgelenkt, schließe die App und checke noch fix meine Mails. Nur Spam, der direkt in den Papierkorb verschoben wird.

»Warum bist du schon wach?«, fragt Jascha mit schlafrauer Stimme, gähnt und streckt sich. Umständlich dreht er sich zu mir und blinzelt müde. Die Sonne knallt ihm direkt ins Gesicht und lässt seine Sommersprossen leuchten. Niedlich.

»Die Frage ist eher: Warum bist du jetzt erst wach? Es ist gleich halb zwölf.«

»Ja, und wir sind erst kurz nach fünf heimgekommen? Boah …« Er fährt sich mit einer Hand übers Gesicht, gähnt erneut. »Ich bin so fertig.« Sein Kopf landet auf meiner Brust und sein warmer Atem kribbelt auf meiner Haut.

»Die letzten zwei Tequila hätten nicht sein müssen, oder?«

»Halt die Klappe«, brummt er und dreht sich von mir weg. Tja, selbst schuld. Ich bin bei Bier geblieben. Entsprechend gut geht es mir jetzt, ganz im Gegensatz zu ihm. Und das, obwohl ich mich körperlich viel mehr verausgabt habe als er. Oh, apropos!

»Sag mal, hast du Jonas nochmal gesehen? Also nach seinem Date?«, frage ich, während ich meinen App Store öffne. Wie hieß die App nochmal? »Hm, ja. Er meinte, dass es voll gut war. Und dass er das jetzt wahrscheinlich öfter macht.«

»Was genau? Sex haben?« Ich grinse gemein und überlege, ob ich Jonas schreiben soll, lasse es dann aber. So wichtig ist es auch nicht.

»Ne, Fickdates über Tinder. War angenehm unkompliziert, meinte er.«

Hah! Stimmt, Tinder!

Ich tippe den Namen in das Suchfeld und schon werden mir Vorschläge angezeigt. Wischen. Matchen. Chatten. Aha. Klingt nicht direkt so, als wäre das nur für unverbindliche Sextreffen. Ich lade die App trotzdem runter, dann mache ich mir einen Account. Jascha beobachtet mich dabei, schiebt seine Füße zu mir unter die Decke und ich mache ihm schmunzelnd ein bisschen mehr Platz. Wo der immer seine eiskalten Zehen herhat …

»Kommst du klar?«, fragt er irgendwann. Warme Finger wandern über meinen Bauch. Ich brumme entspannt und nicke. »Nach links wischen heißt nein, nach rechts ja. Und wenn beide nach rechts wischen, hat man ein Match und kann privat chatten.«

»Phänomenal. Wie ein Profi.« Der Sarkasmus trieft aus jeder Silbe, während er sein Gesicht an meinen Hals schmiegt und dann geräuschvoll einatmet. Offenbar ist er fertig damit, mir zuzusehen. »Ich hab Hunger. Und Kopfweh. Du?«

»Bei Frühstück bin ich dabei. Meinem Kopf geht’s gut«, antworte ich und fange an zu wischen. Die Suchfilter habe ich noch nicht so ganz durchschaut … ich hoffe, ich muss da nicht ständig hin- und herwechseln.

»Okay … Lass mich aufstehen.« Jascha rollt sich über mich drüber und ich wette, es war Absicht, dass er mir den Ellenbogen in den Magen gerammt hat. Der Arsch, der blöde. Kurz bleibe ich noch liegen, sehe zu, wie er sich eine Hose und ein Shirt anzieht, damit fünf seiner sieben Dragonball-Tattoos unter Stoff versteckt und dann rüber in seine kleine, offene Küche geht, die ich vom Bett aus bequem einsehen kann. Seine Wohnung ist im Vergleich zu meiner echt winzig. Frühstück klingt aber gut, also raffe ich mich ebenfalls auf und suche meine Klamotten von gestern zusammen. Die App läuft mir ja nicht weg.

»Willst du das echt ausprobieren? Tinder, mein ich«, fragt Jascha, als ich mich an den kleinen Klapptisch setze und ihn dabei beobachte, wie er Instantkaffee in zwei Tassen löffelt. Der Ofen ist an und ich zähle vier Brötchen auf dem Rost.

»Warum nicht? Wenn nichts bei rumkommt, lösche ich die App einfach wieder«, gebe ich gelassen zurück und bereue ein bisschen, dass ich das Handy im Bett liegen lassen habe. »Wieso?«

»Nur so. Ich kenne zwei, die da ziemlich aktiv sind und schon die eine oder andere unschöne Erfahrung gemacht haben. Ich will nur nicht, dass du … ach, vergiss es.« Der Wasserkocher piepst und während Jascha uns beiden einschenkt, gucken wir dem heißen Wasser zu, wie es sprudelnd in die Tassen plätschert. Ich überlege gerade, das Thema fallen zu lassen, da fängt Jascha wieder davon an. »Sind Layla und Jannick nicht auch über Tinder zusammengekommen?«

»Stimmt! Layla hat damals was von einer App erzählt.« Da Jascha immer noch an unserem Frühstück werkelt und ich ihm aus Platzgründen nicht helfen kann, ohne dass wir uns gegenseitig vor die Füße laufen, gehe ich nun doch mein Handy holen und öffne Tinder. »Was ist das mit dem blauen Stern da, weißt du das?« Warum selbst suchen, wenn er sich offensichtlich auskennt?

»Das ist so ’ne Art Superlike. Den kann man einmal am Tag an eine Person vergeben und der wird ihr im Profil dann angezeigt.« Ich nicke verstehend, während ich mich weiter durch die Männer wische, auf die ich die Suchfilter aktuell eingestellt habe. Ganz nebenbei mache ich mich mit den Einstellungen vertraut und merke, dass man sogar seinen Instagram-Account mit dem Profil verknüpfen kann. Vielleicht sollte ich noch ein paar mehr Bilder von mir hochladen. Manche haben fast eine ganze Galerie, da kommt mir mein einzelnes Bild ein bisschen mickrig vor.

»Dich hat’s jetzt echt gepackt, oder?«, fragt Jascha und ich zucke grinsend die Schultern.

Keine Ahnung, ob ich damit auf lange Sicht was anfangen kann, aber für den Moment …

»Das ist echt nett, dass mir nur Leute in meiner Nähe angezeigt werden.«

»Du kannst den Radius auch erweitern«, erklärt er, während er mit Besteck herumklappert. »Das richtet sich danach, wo du gerade bist. Ach ja, hin und wieder suchen auch Paare nach Spaß zu dritt.«

»Was, echt?« Jetzt wird es richtig interessant. Inzwischen habe ich mir den einen oder anderen Kerl näher angesehen und dann stolpere ich über den ersten, den ich wirklich interessant finde. Luan, 25 Jahre. Lange, tiefschwarze Haare und dunkle, seelenvolle Augen. Mit den Wangenknochen könnte er der große Bruder von Pocahontas sein. Meine Fresse, ist der hübsch. Ich wische nach rechts. »Und wie merke ich, wenn mich jemand gematcht hat?«

»Wenn du zuerst den Like bekommen hast und dann auch einen machst, wird es dir direkt angezeigt. Umgekehrt kommt es per Nachricht.« Sein Ton klingt etwas angespannt. Ich glaube, langsam ist er fertig mit dem Thema.

»So, Handy weg«, befiehlt er dann auch prompt und ich lege es brav zur Seite. Der Tisch ist voll beladen mit allem, was der Kühlschrank hergegeben hat, und wir frühstücken in aller Ruhe, dann muss ich nach Hause. Zu meinem Kater. Der mit Sicherheit schon halb verhungert ist. So wie immer. Gefühlt dreimal am Tag, obwohl er Trockenfutter bis zum Abwinken hat. Wie erwartet, werde ich direkt an der Tür begrüßt und angemault.

»Jaaa, ich weiß, ich bin zu spät«, brumme ich, ziehe meine Schuhe aus und gehe direkt in die Küche, um das arme, halbtote Tier zu füttern. Anschließend wandere ich weiter ins Wohnzimmer, schalte meinen Fernseher an und lasse irgendwas über Spotify laufen, während ich mich weiter mit meinem Handy beschäftige. Auf der Heimfahrt habe ich mir überlegt, was ich in meine Tinder-Bio packen könnte. Ich will nicht direkt reinschreiben, dass ich nur auf der Suche nach Sex bin. Diese Info bekommt man über mein drittes Bild, auf dem ich mit freiem Oberkörper an einer Wand lehne, eine Hand lässig im Nacken, die andere locker nach unten hängend. Man hat so ein bisschen das Gefühl, dass ich dem Betrachter gleich zuzwinkere. Ich mag es. Es sieht nicht allzu protzig oder pornös aus. Ich zeige halt, was ich habe. Und ehrlich, wer lädt ein Bild von seinem Sixpack hoch, wenn er nicht ganz bestimmte Absichten verfolgt? Mein Instagram ist vor drei Monaten explodiert, als ich das Foto hochgeladen habe und Layla, die es geschossen hat, hatte über Nacht rund hundertfünfzig neue Abonnenten. Während ich also darüber nachdenke, was genau ich in die Biografie reinschreibe, wische ich weiter. Das hat Suchtpotenzial.

Nach zwei Stunden habe ich ungefähr zehn Typen nach rechts gewischt und auch schon den ersten Match.

Mo, 22 Jahre

Blond, grün-blaue Augen, relativ breit gebaut und ich stehe ein bisschen auf die Snakebites in seiner Unterlippe. Die machen sein schiefes Lächeln so sexy und verwegen. Außerdem sieht man sie nicht so oft bei Männern. Generell finde ich seine Bilder cool, vor allem die mit den drei Schäferhunden. Eine Push-Nachricht ploppt auf. Mo hat mich angeschrieben und ich bin ein ganz kleines bisschen aufgeregt. Bevor man auch nur ein Wort miteinander gewechselt hat, hat man sich mit dem Match gegenseitig einfach mal so signalisiert: Hey, ich find dich gut!

Irgendwie grotesk, aber höchst effizient. Die Frage ist: Mit welchem Hintergedanken hat Mo mich nach rechts gewischt.

Mo: Jo! Danke für den Match!

Elias: Hey, gerne! Coole Bilder!

Es dauert etwas, bis er antwortet und ich wische mich munter durch die Profile weiterer Männer, bis ich die Suche auf Frauen umstelle. Mal sehen, was mich hier so erwar- Es kracht in der Küche und ich zucke erschrocken zusammen.

»Dexter!?«, rufe ich alarmiert, denn das kann nur er gewesen sein. Ich springe von der Couch und finde den Rest meines gestrigen Abendessens auf dem Küchenboden wieder, sowie ein zu Tode erschrockenes schwarz-weißes Fellknäuel unter einem meiner Stühle. »Du bist so ein elender Arschkater!«, maule ich, locke Dexter aber trotz des Ärgers auf meinen Schoß, um ihn zu beruhigen. Anschließend beseitige ich das Chaos. Überall liegt Reis. Und der klebt auch noch so geil. Ich bin nur froh, dass ich dazu keine Soße hatte, sondern nur Gemüse und Fleisch. Das habe ich aber gestern schon aufgegessen. Also das Fleisch. Das Gemüse nicht. Das darf ich jetzt auf Knien kriechend einsammeln. »Du bist blöd«, motze ich weiter. Dexter geht es jetzt natürlich wieder gut und er fängt an, das Essen zu beschnuppern. »Magst du eh nicht, geh da weg.« Vorsichtig versuche ich, ihn mit dem Handrücken aus der Gefahrenzone zu schieben. Ich liebe diesen Kater. Tue ich wirklich. Aber manchmal will ich ihn – natürlich ganz liebevoll – aus dem Fenster werfen. Er maunzt, streicht um den Arm, auf den ich mich stütze, und macht eine Rolle vorwärts. Mitten in den Reis. Gott, dieses Tier.

Fünfzehn Minuten später sitze ich wieder auf der Couch. Der Arschkater hat sich auf meinem Schoß eingerollt und schnurrt glücklich. Hin und wieder lasse ich meine Finger durch das weiche Fell gleiten, weniger um ihn glücklich zu machen, als um mir selbst etwas Gutes zu tun. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Und währenddessen schreibe ich mit Mo. Ob ich mit ihm direkt in die Kiste springen will, kann ich noch nicht sagen, aber er ist mir auf jeden Fall sympathisch. Zwischendurch sehe ich mir weiter die Profile der Damen an und wische auch hier mehrfach nach rechts. Dann entdecke ich eines, bei dem ich mich unwillkürlich gerade hinsetze.

Auf dem Bild ist Mia, 24 Jahre.

Sie steht seitlich zur Kamera und trägt ein sehr enges, bauchfreies Trägertop. Ihre Augen kann ich nur mit schokoladenbraun beschreiben und riesengroß, wie sie da unter dem silberblonden Pony ihres Bobs herausblitzen. Sie ist unglaublich hübsch. Aber was mich wirklich umhaut, ist der Typ, der mit ihr abgebildet ist. Er steht hinter ihr, hat eine Hand auf ihrem Bauch und ich sehe ihn nur im Profil. Es sieht aus, als würde er ihr etwas ins Ohr flüstern. Seine dunkelbraunen Haare fallen ihm über die Augen, sodass ich ihre Farbe nicht erkenne, aber allein dieser sinnliche Mund und die scharf geschnittene Linie seines Kiefers lassen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ich schlucke. Jackpot. Gerade bin ich sehr froh, dass ich meinen Superlike noch nicht gegeben habe. Den bekommen die beiden, noch bevor ich auf die Idee komme, in die Infobox zu gucken. Es könnte ja sein, dass es trotzdem nur um Mia geht. Aber nein, da steht es!

Wir sind auf der Suche nach netter männlicher Verstärkung für vergnügliche Stunden zu dritt

Jetzt bleibt mir nur zu hoffen, dass sie mich zurückmatchen. Oh Mann. Ich bin richtig aufgeregt.

Dexter wird unruhig und ich widerstehe dem Impuls, ihn von meinen Beinen zu schütteln.

Mo schreibt, aber ich kann gerade nicht antworten. Ich mache einen Screenshot von Mia und ihrem … Freund? Wahrscheinlich. Dann sehe ich mir das zweite Foto an, das sie hochgeladen hat. Auch da sind sie zu zweit. Dieses Bild ist deutlich freizügiger als das erste. Der Ausschnitt zeigt beide bis zu den Knien. Mia steht vorne. Die dunkelrote Spitzenunterwäsche ist verdammt heiß und ich glaube, ihr Freund hinter ihr ist nackt. Zumindest erkenne ich keinen Stoff an der Hüfte, die rechts ein bisschen hervorspitzt. Fuck, meine Hände werden feucht! Hier schaut er ebenfalls in die Kamera. Generell ist das Bild recht dunkel gehalten, viele Schatten und alles, aber diese Augen … Ich erkenne die Farbe wieder nicht, ändert aber nichts daran, dass mir ein heißer Schauer über den Rücken läuft, so intensiv ist sein Blick. Der Pony hängt ihm fransig in die Stirn, die Seiten sind eher kurz und ich versinke in der Betrachtung seiner schönen Kinnpartie und diesen abartig verlockenden Lippen. Noch ein Screenshot, dann öffne ich WhatsApp und schicke die beiden Bilder an Jascha, zusammen mit drei sabbernden Emojis.

Jascha: Joa, hat schon was.

Elias: Hab ihnen den Superlike gegeben!

Schnell kontrolliere ich Tinder, in der Hoffnung, eine Nachricht von Mia zu haben, werde aber leider enttäuscht. Schade. Jetzt vertreibe ich Dexter doch, um mir was zu trinken zu holen. Mein Kühlschrank gibt nicht sonderlich viel her, aber ich finde eine letzte Dose Cola Light. Mit der hocke ich mich zurück auf die Couch und da ist auch schon wieder der Kater, der es kaum abwarten kann, bis ich sitze. Manchmal ist er so verschmust. Ich stelle die Dose auf den Tisch und streichle ihn kurz mit beiden Händen, dann nehme ich wieder mein Handy.

Jascha: Wird schon.

Manchmal ist es gar nicht so einfach, meine Begeisterung für gewisse Dinge mit Jascha zu teilen. Gerade, wenn Frauen involviert sind. Er steht auf Männer. Ausschließlich. Heißt nicht, dass er Frauenkörper generell unattraktiv findet, aber er hat sexuell einfach kein Interesse an ihnen. Ich bin da wesentlich flexibler. Ich weiß Schönheit in all ihren Facetten zu schätzen und das lebe ich auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus. Zu zweit, zu dritt, wie es gerade passt. Dies hier wäre für mich nicht das erste Mal mit einem Pärchen, aber die große Preisfrage ist, ob Mias Freund überhaupt Sex mit mir haben will und darf. Ich hoffe einfach mal das Beste, denn er ist echt unverschämt heiß!

Fürs Erste bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als abzuwarten. Irgendwie fühle ich mich schlapp. Fernsehschlafen? Klingt nach einem guten Plan, also starte ich Netflix, suche mir einen uralten Horrorfilm mit hundertprozentiger Einschlafgarantie und lege mich bequemer hin, was für Dexter heißt, dass er seinen Schlafplatz von meinen Beinen hoch zur Hüfte verlegt. Und tatsächlich komme ich nicht mal bis zur Haupthandlung des Filmes, da fallen mir die Augen zu.

Kurz vor Ende des Films schrecke ich wieder hoch. Keine Ahnung, was mich geweckt hat, aber Dexter liegt nicht mehr auf mir, sondern stromert auf der Suche nach Beschäftigung durch die Wohnung. Ich gähne und strecke mich, dann öffne ich das Wohnzimmerfenster, von dem aus es direkt in den Garten geht. Sofort quetscht sich der Kater an mir vorbei. Er steht ein paar Sekunden unschlüssig im Fensterrahmen, dann steigt er aufs Fensterbrett und springt die nicht ganz zwei Meter hinunter ins Gras unseres Hinterhofes, statt die Katzenleiter zu benutzen.

Etwas weiter hinten spielen ein paar Kinder in der warmen Junisonne Fangen. Eines der Mädchen entdeckt Dexter und quietscht begeistert seinen Namen. Ich mache das Fenster wieder zu. So. Was tu ich jetzt mit mir? Ich gähne noch mal, greife nach meinem Handy und dann sitze ich plötzlich kerzengerade auf meiner Couch. Da ist eine Pushnachricht! Mia hat mir geschrieben! Mein Herz macht einen kleinen Satz, als ich die Nachricht öffne.

Mia: Hi Elias, vielen Dank für deinen Superlike, ich fühle mich richtig geehrt!

Wie du schon gesehen hast, sind mein Freund Lucien und ich auf der Suche nach männlicher Unterstützung zwischen den Laken. Allerdings möchte ich, bevor wir irgendetwas planen, natürlich ein paar Dinge über dich wissen und auch ein Treffen zum Kennenlernen würde ich gerne voranstellen, bevor wir am Ende feststellen, dass es doch nicht funktioniert. Wäre ja schade für alle, findest du nicht? Vorweg eine Frage: Hast du schon Erfahrung mit Dreiern oder ist das Neuland für dich?

Kommt direkt zur Sache, die Gute, das mag ich. Nichts gegen Small Talk, aber den habe ich in der Arbeit schon in rauen Mengen. Zufrieden vor mich hin grinsend tippe ich meine Antwort.

Elias: Hi Mia, vielen Dank fürs Matchen! Das mit dem Treffen vorher finde ich absolut sinnvoll. Peinliche Stille im Schlafzimmer kann verdammt unangenehm werden. Zu deiner Frage: Ich hatte schon des Öfteren Sex zu dritt, sowohl mit spontanen Bekanntschaften als auch mit Pärchen. Ich würde behaupten, dass ich ziemlich gut zwischen zwei Parteien jonglieren kann, damit sich keiner benachteiligt fühlt. Im Übrigen bin ich, was den Schutz und die Verhütung angeht, sehr penibel und entsprechend kann ich von mir auch behaupten, dass ich gesund bin – Gummis sind natürlich trotzdem eine Selbstverständlichkeit. Wenn du noch mehr wissen willst, frag mich ruhig.

Abgeschickt. Wenn ich mir das so durchlese, hat es beinahe was von einer Bewerbung, aber ich will das wirklich. Ich nehme einen großen Schluck von meiner Cola, switche am Fernseher wieder zu Spotify und lehne mich bequem in die großen Couchkissen. Mia klingt auf jeden Fall sehr nett. Ich hoffe, dass dieser Eindruck auch ein persönliches Treffen übersteht. Ihr Freund heißt also Lucien. Ein ungewöhnlicher Name, aber irgendwas klingelt da bei mir. Ich hab den schon mal gehört. Wo war das noch – Oh, eine neue Nachricht!

Mia: Hey, das klingt doch schon mal super! Tatsächlich erleichtert es mich sogar. Es wäre das erste Mal, dass wir uns einen anderen Mann mit ins Bett holen. Bisher hatten wir nur Frauen und ich muss ehrlich gestehen, dass ich beim letzten Mal ein Problem damit hatte, dass die Dame sich fast ausschließlich mit Lucien beschäftigt hat. Was für mich jetzt noch wichtig wäre: Ist es okay für dich, wenn wir uns ein Zimmer in einem Hotel nehmen? Zumindest für das erste Mal würden wir einen neutralen Ort vorziehen, das hat sich in der Vergangenheit ganz gut bewährt.

Grinsend lese ich ihre letzte Anfrage. Ich erinnere mich selbst zu gut an den einen oder anderen unangenehmen Morgen danach, an dem keiner so richtig wusste, wie man wann auseinandergehen sollte. Da ist eine feste Checkout-Zeit deutlich einfacher zu händeln. Wenn man sich dann näher kennt und mag, kann man die Örtlichkeiten immer noch neu aushandeln. Entsprechend antworte ich. Jetzt fühle ich mich schon etwas sicherer.

Elias: Ja klar, das mit dem Hotel ist für mich kein Problem. Und zum Rest: Das fünfte Rad zu spielen fühlt sich ziemlich scheiße an. Ist mir auch schon passiert. Mit einem Pärchen. Grundsätzlich ist es ja in Ordnung, dass die sich mit sich selbst beschäftigen, aber dann sehe ich keinen Sinn darin, sich ’ne dritte Person dazuzuholen. In deinem Fall ist es halt doppelt kacke gelaufen. Keine Sorge, das wird nicht passieren, versprochen! Also gut, kommen wir zur Frage aller Fragen: Hättest du, beziehungsweise hättet ihr, Interesse an einem ersten Treffen mit mir?

Ich kann die Antwort kaum erwarten und als irgendwas mit Schwung gegen meine Fensterscheibe knallt, springe ich vor Schreck fast von der Couch.

»Scheiße!«, keuche ich, presse eine Hand auf mein rasendes Herz. Ich mag die Kinder aus der Nachbarschaft. Eigentlich. Tief durchatmend sage ich mir das noch ein paar Mal, dann mache ich das Fenster auf und sehe raus zu den drei Jungen, die mit einem Ball rumkicken. Die Mädchen sind inzwischen weg. Ich muss nicht mal mehr etwas sagen, da kommen sie angelaufen. »Entschuldigung, Elias, wir gehen weiter hinter!«

»Okay, danke.« Jetzt lasse ich das Fenster offen und höre auch direkt das vertraute Trippeln auf der Katzentreppe. Kurz darauf schleicht Dexter sich auf das Fensterbrett und maunzt mich an. »Wieder rein?«, frage ich, aber er setzt sich und sieht mich an, als hätte ich nicht mehr alle Latten am Zaun. Oh, eine neue Nachricht von Mia!

Mia: Oh, das klingt hervorragend und ja, hätten wir definitiv! Wir können unsere Arbeitszeiten weitestgehend selbst bestimmen, wie ist das bei dir? Du kannst uns auch einfach sagen, wann du Zeit hast, dann richten wir uns nach dir.

Oho, sie richten sich nach mir. Das gefällt mir.

Elias: Ich bin leider nicht ganz so frei, aber eigentlich kann ich abends immer. Wie wäre es direkt morgen um neunzehn Uhr im Roxy? Falls euch das was sagt und ihr Burger mögt? Oder ist das zu spontan?

Diesmal kommt die Antwort richtig fix.

Mia: Dein Ernst? Ich liebe den Laden! Ich könnte da gefühlt jeden Tag hingehen, würde Lucien nicht irgendwann auf die Barrikaden gehen. Also dann morgen Abend um sieben! Ich freu mich wirklich sehr darauf, dich kennenzulernen!

Grinsend sehe ich auf mein Handy. Das war unkomplizierter, als ich gedacht habe.

Ob ich Jonas schreiben und mich für den Tipp bedanken sollte? Nein, so viel Kontakt haben wir jetzt auch nicht. Kurz sehe ich mir noch mal die zwei Bilder von Mia und Lucien an und stelle fest, dass ich echt unverschämtes Glück habe. Sogar die Entfernung von Mia zu mir wird mir in der App angezeigt und wenn die zwei gerade zu Hause sind, heißt das, dass sie ungefähr zwölf Kilometer von mir entfernt wohnen. Witzig, dass wir uns noch nie über den Weg gelaufen sind. An so krass schöne Menschen hätte ich mich definitiv erinnert!

Glücklicherweise vergeht die Zeit bis zum nächsten Abend wie im Flug. So spaziere ich um kurz vor sieben ins Roxy und lasse mich zu dem Tisch bringen, den ich gestern vorsorglich reserviert habe. Man weiß ja nie, und Mia hat sich gefreut und bedankt, dass ich so vorausschauend war. Ich folge der Bedienung ins Obergeschoss, wo es in der Regel etwas ruhiger zugeht. Schon auf den letzten Stufen fällt mir Mias silberblonder Haarschopf auf und auch sie scheint mich sofort zu erkennen, wenn man nach ihrem breiten Grinsen geht.

»Danke, ab hier komme ich klar«, sage ich zu der Bedienung und gehe alleine weiter. Kurz bevor ich am Tisch bin, steht Mia auf. Sie wirkt nervös, wie sie an ihren Fingern herumspielt. Das ist ziemlich süß und ganz ehrlich? Mir geht es genauso.

»Hi! Schön, dass du da bist!«, begrüßt sie mich und wirft mir ihre Hand fast ins Gesicht. Ich muss lachen und sie auch.

»Hey, ich freue mich auch. Setz dich doch wieder, so förmlich brauchen wir es nicht«, biete ich freundlich an, nachdem sie mir kräftig die Hand geschüttelt hat. Unauffällig mustere ich sie, während sie sich wieder auf die Bank setzt. Sie ist etwas mehr als einen Kopf kleiner als ich, schlank, aber nicht übertrieben zierlich. Genau wie auf den Fotos.

»Kommt Lucien später?«, frage ich, als wir beide sitzen und mir aufgeht, dass wir eine Person zu wenig sind. Sie blinzelt mich überfordert an, dann verzieht sie bedauernd das Gesicht.

»Ach Gott, das tut mir so leid, ich hab völlig vergessen, dir das zu schreiben. Ich weiß, ich hatte gesagt, dass wir flexibel sind, aber ihm kam kurzfristig ein Termin dazwischen, den er nicht absagen konnte, darum bin nur ich da. Ich hoffe, das ist nicht schlimm?« Unsicher lächelt sie mich an. Ich hätte Lucien gerne kennengelernt. Wer weiß, ob ich Mia so von mir überzeugen kann, dass sie mehr als dieses Treffen möchte? Vielleicht stellt sie fest, dass es nicht passt, und das war’s dann. Auf der anderen Seite würde es mir auch nichts bringen, wenn nur Lucien mich gut findet, denn Alleingänge sind nicht vorgesehen. Entsprechend gibt es nur eine richtige Antwort auf ihre Frage.

»Ach Unsinn, mein Vorschlag war super spontan. Ich bin schon überrascht, dass es überhaupt geklappt hat.« Erleichtert atmet sie aus. Ihr Lächeln wird breiter und verzaubert mich ein bisschen.

»Ich bin total froh, dass du so kurzfristig Zeit hattest. Ich war und bin wahnsinnig neugierig auf dich«, gesteht sie und wir fangen wieder beide an zu lachen. Ich war wohl nicht der Einzige, der auf heißen Kohlen saß. »Geht mir genauso. Also auf euch beide, aber ich denke, Lucien werde ich noch früh genug kennenlernen.« Sie nickt.

»Er meinte, dass ich einfach entscheiden soll, ob das mit uns dreien klappt, da du ja mehr oder minder für mich bist. Kann man das so sagen? Das klingt total bescheuert, oder?« Oh. Schade. Aber kann man wohl nichts machen.

»Unsinn, ich verstehe schon, was du meinst, alles gut«, winke ich ab. »Also … werde ich dann hauptsächlich mit dir interagieren, richtig? Sofern du das nach diesem Treffen immer noch willst.«

»Hmm, jein. Puh, das ist echt blöd zu – Guten Abend«, unterbricht Mia sich selbst, als ein Kellner mit zwei Karten an unseren Tisch tritt und unsere Getränkebestellungen haben will.

»Oh, soweit waren wir noch gar nicht. Wir brauchen noch einen Moment, sorry«, schicke ich ihn wieder weg, nehme beide Karten und reiche eine an Mia weiter. »Wir sind schon witzig, kennen uns seit zwei Minuten und kommen direkt zur Sache.« Ich bin amüsiert. Keine Ahnung, wie das so schnell passiert ist.

»Stimmt. Eigentlich wollte ich gar nicht so mit der Tür ins Haus fallen, aber jetzt ist es eh egal, oder?« Sie kichert und ich stelle fest: Ich mag sie. Total.

»Ja, würde ich auch sagen. Also erzähl, was ist blöd?«

»Eh … Ja, genau! Wobei warte, lass mich erst mein Essen raussuchen!«

»Gute Idee!« Tatsächlich brauche ich nicht mal zwei Minuten, um mich zu entscheiden und Mia ist fast genauso fix, dann klappen wir die Karten wieder zu und sie sieht mich erwartungsvoll an, bis ihr einfällt, dass sie mir was erzählen wollte.

»Sorry, ich bin immer noch so aufgeregt!«

»Nicht schlimm, geht mir nicht viel besser.«

»Ehrlich? Ich dachte, du hattest schon öfter … Du weißt schon?« Sie sieht sich unsicher um und ich wiege den Kopf.

»Das ist richtig, aber nie so geplant. Das waren immer sehr spontane Aktionen und ich habe Tinder auch erst seit gestern, weil mir ein Kumpel davon erzählt hat. Entsprechend habe ich heute wohl auch ein erstes Mal«, erkläre ich und zwinkere ihr zu. Sie seufzt erleichtert.

»Okay, gut zu wissen, dass es nicht nur für mich komisch ist. Also, wo war ich? Ach ja, Lucien. Wir haben uns darüber unterhalten, was wir uns davon versprechen, einen zweiten Mann im Schlafzimmer zu haben, und er ist sich unsicher, inwieweit er aktiv mitmischen möchte. Sex will er definitiv keinen, aber wenn die Stimmung passt, meinte er, wäre anfassen grundsätzlich okay. Ich hoffe, du bist nicht allzu enttäuscht? Ich weiß ja nicht, was du dir vorgestellt hast.« Jetzt sieht sie wieder schuldbewusst aus. Offenbar hat mein Gesicht sich selbstständig gemacht.

»Na ja, wenn ich ehrlich bin, hatte ich schon Hoffnungen. Ich bin bi und finde euch beide wahnsinnig heiß, aber am Ende geht es nicht nur um mich und was ich mir wünsche, sondern auch um euch. Vielleicht habe ich ja Glück und er ändert seine Meinung, wenn wir erst mal angefangen haben.« Grinsend zwinkere ich ihr zu und sie strahlt, bevor sie sich nochmal prüfend umsieht und näher zu mir beugt. Unwillkürlich lehne ich mich ihr entgegen. Mein Blick fällt auf ihre Lippen, die über kurz oder lang auf meinen liegen werden. Prompt spüre ich ein sanftes Echo in meinem Schritt. Oh ja, wir werden verdammt viel Spaß miteinander haben, vollkommen egal, ob Lucien sich für oder gegen Sex mit mir entscheidet.

»Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis, aber das muss unbedingt unter uns bleiben, okay? Kein Wort zu Lucien, versprochen?« Ich nicke überrascht. »Bevor wir zusammengekommen sind, war da diese Party bei einem gemeinsamen Bekannten und Lucien war blau. Oh Gott, so betrunken war er weder vorher noch hinterher jemals wieder und ich gehe jede Wette ein, dass er die Hälfte des Abends vergessen hat und eigentlich möchte ich es auch dabei belassen, weil … na ja. Ich weiß, dass ihm das wahnsinnig peinlich wäre.« Jetzt bin ich wirklich neugierig. »Es war ziemlich spät und ich war bereit, nach Hause zu gehen, aber Lucien war verschwunden. Ich war damals schon voll in ihn verknallt und wollte nicht gehen, ohne Tschüss zu sagen. Eine Freundin meinte, dass er mit irgendeinem Typ oben im ersten Stock ist. Ich hatte erwartet, dass die in einem Zimmer hocken und zocken, aber dann …« Sie zieht bei der Erinnerung sogar ein bisschen Farbe auf. »Du darfst ihm das echt nicht sagen!«

»Ich schweige wie ein Grab, ich schwöre es!« Ich mache sogar die passenden Fingerzeichen und bringe sie damit zum Kichern.

»Okay. Auf jeden Fall will ich gerade an eine Zimmertür klopfen, da höre ich jemanden stöhnen. Mir ist heiß und kalt geworden, vor allem, weil ich hätte schwören können, dass es nach Lucien geklungen hat. Zu der Zeit hatte ich keine Ahnung, wie es klingt, wenn er stöhnt, aber …« Gebannt hänge ich an ihren Lippen. »Aber du warst dir nicht sicher?«

»Richtig. Und ich wäre gestorben, hätte ich nicht nachgesehen. Also habe ich ganz, ganz leise die Tür geöffnet und da hab ich sie gesehen. Lucien und diesen Kumpel beim … Du weißt, was ich sagen will.« Bilder mit dem nun wahrscheinlich deutlich erwachseneren Lucien schießen mir in den Kopf und mir wird warm. Es würde mich nicht wundern, wenn mein Gesicht auch ein bisschen rot ist. Vor allem, weil die Szenen in meinem Kopf so explizit sind und ich einiges dafür geben würde, sie in die Realität umzusetzen.

»Ich verstehe sehr gut, was du sagen willst.« Mein Mund ist staubtrocken.

»Ich weiß nicht, wie lange ich ihnen zugesehen habe. Ich war geschockt und irgendwie … angeturnt. Es sah wahnsinnig heiß aus und Luciens Stöhnen ist so … Na ja, du wirst es ja noch hören. Auf jeden Fall, seit ich ihn kenne, hat er niemals auch nur ein Mindestmaß an Interesse an Männern aufgebracht oder angedeutet, dass er da irgendwelche Bedürfnisse hat. Folglich weiß ich nicht, ob das damals ein Ausrutscher war oder mehr dahintersteckt. Ich möchte ihn aber auch nicht darauf ansprechen. Ich warte einfach darauf, dass er gegebenenfalls von selbst zu mir kommt. Oder es lässt. Ich wollte damit nur sagen, dass er Intimität mit Männern nicht grundsätzlich abgeneigt ist. Denke ich jedenfalls.« Inzwischen ist Mia knallrot im Gesicht. Wahrscheinlich ist ihr das Thema ein bisschen peinlich. Umso schöner ist es, dass sie mir nach dieser kurzen Zeit schon so weit vertraut und sich darauf verlässt, dass ich Lucien nichts von dieser Geschichte sage. Was bedeutet, dass ich Lucien kennenlernen werde. Und das wiederum lässt nur einen Schluss zu.

»Hast du möglicherweise schon beschlossen, dass aus uns dreien was wird? Also ernsthaft?« Sie grinst breit und legt den Kopf schief.

»Wenn ich ehrlich bin, wusste ich das in dem Moment, als ich dich gesehen habe. Ich weiß nicht, was du an dir hast, aber es gefällt mir.« Oh, das hätte ich nicht erwartet. Aber es heißt ja auch, dass Frauen bereits in den ersten fünf Sekunden entscheiden, ob sie mit einem Mann Sex haben würden oder nicht. Umso besser für mich. »Das nehme ich mal als Kompliment, danke.«

»Bitte.« Der Kellner kommt erneut zu uns und wir geben endlich unsere Bestellung auf. Mia hatte zwar gesagt, dass sie gerne herkommt, aber ich hätte nicht erwartet, dass sie sich, genau wie ich, einen XXL-Burger bestellt. Die Frau gefällt mir immer mehr. Und spätestens, als sie sich extra Bacon draufpacken lässt, bin ich ein bisschen verliebt.

»Wie wär’s, wenn wir jetzt mit dem Smalltalk weitermachen?«, schlage ich belustigt vor.

»Find ich gut. Nachdem die schmutzigen Details halbwegs geklärt sind. Also, Elias, erzähl was über dich!«

»Was willst du denn wissen?«

»Uhm … Was arbeitest du? Wenn du denn arbeitest.«

»Oh, ich arbeite. Ich bin nicht zum Spaß erst abends frei für Dates. Ich bin Niederlassungsleiter beim hiesigen Audi-Vertragspartner. Ich nehme nicht an, dass er dir aufgefallen ist, aber der schwarze A6 vor der Tür ist meiner.« Ihre Augen werden riesig.

»Was echt? Also nein, ich hab ihn leider wirklich nicht gesehen, aber ich liebe Audi! Lucien ist totaler BMW-Fan. Ich glaube, seine komplette Familie fährt BMW, aber ich finde Audi so viel cooler! Meine Eltern sind sehr lange Audi gefahren und waren immer zufrieden!« Ihre dunklen Augen leuchten, ziehen mich mit jedem Satz mehr in ihren Bann.

»Oh, und warum jetzt nicht mehr?«

»Ich weiß es ehrlich gesagt gar nicht, aber wenn sie wieder ein neues Auto brauchen, schicke ich sie definitiv zu dir!«

»Sehr ordentlich, so gefällt mir das!« Sie wird mir von Minute zu Minute sympathischer. Aber ich könnte nicht sagen, dass Lucien durch seine Liebe zu BMW unattraktiver wird. Ich will ihn immer noch kennenlernen und finde es zunehmend bedauerlich, dass er heute nicht mitgekommen ist. An unserem Nebentisch werden zwei riesige Teller mit Burgern abgestellt. Der Duft nach gebratenem Fleisch, Bacon und Frittierfett zieht zu uns herüber und mein Magen knurrt, was man über die Musik, die halblaut durch den Laden schallt, zum Glück nicht hört. »Gut, jetzt du. Was arbeitest du?«

»Ich bin Pharmazeutisch-technische Assistentin.«

»Ohhh, warte, mir hat das mal jemand übersetzt! Das klingt nur so ultra fancy! Du bist Apothekerin, oder?«

»Erwischt!« Habe ich schon erwähnt, dass ich ihr Lachen mag? Sie streicht sich ein paar lange Strähnen hinters Ohr und ich stelle fest, dass sie schöne Hände hat. Nicht zu klein, schmal, kurze, gepflegte Nägel, nichts Künstliches. Mag ich. Ich frage mich, ob sie mich auch schon abgecheckt hat. Und wenn ja, zu welchem Ergebnis sie gekommen ist.

»Ich wusste gar nicht, dass man da so frei mit den Arbeitszeiten ist?«

»Ist auch nur bei uns so, weil wir in Schichten arbeiten und ein sehr junges Team sind. Heißt, wenn mal jemand spontan frei braucht, klappt das in der Regel.«

»Ah, okay. Und Lucien?«

»Der ist Makler. Selbstständig und ziemlich gut im Geschäft. Dass er heute nicht kommen konnte, lag an einem Ehepaar, das sich heute Mittag nach wochenlanger Bedenkzeit entschlossen hat, den Vertrag für eine Villa draußen am Stadtrand zu unterschreiben. Gibt ’ne Bombenprovision. Da konnte er leider nicht absagen.« Ich nicke verständnisvoll. Klar, wenn der Lebensunterhalt dranhängt, muss man Prioritäten setzen. War bei mir nicht anders, als ich noch im Verkauf war, auch wenn ich selten länger als achtzehn Uhr im Autohaus bleiben musste.

»Klingt beides nicht schlecht. Okay, nein, Apothekerin klingt ziemlich unspannend, aber ich hoffe, du hast Spaß an der Arbeit?« Ich grinse sie frech an und sie nimmt es mir nicht übel, dass ich sie aufziehe. Sehr gut.

»Nein, spannend ist es nicht, aber ich habe ein Team und das macht viel aus, finde ich!«

»Das ist die halbe Miete, wenn du mich fragst. Mir kann’s inzwischen fast egal sein, aber ich bin dennoch dankbar, dass ich auf Arbeit lauter nette und vernünftige Menschen um mich habe, sowohl über als auch unter mir. In meiner Ausbildung hatte ich ’nen Kollegen, der hat mich gehasst. Keine Ahnung warum, aber der konnte mich einfach nicht riechen und hat mehrfach versucht, mich bei unserem Vorgesetzten schlechtzureden. Aber weil Karma netterweise manchmal seine Arbeit macht, bin ich sein Chef geworden.«

»Du bist schon seit deiner Ausbildung dort? Das ist beeindruckend. Und heutzutage sehr selten.« Ich lächle sie geschmeichelt an und zucke gelassen die Schultern.

»Fast zehn Jahre inzwischen. Plus minus ein Jahr. Ist schon eine echt lange Zeit.«

»Und dann auch noch so jung Niederlassungsleiter. Mit sechsundzwanzig.« Mein Ego genießt ihre verbalen Streicheleinheiten und bewundernden Blicke. Vielleicht ein bisschen zu sehr, aber wer hört nicht gerne mal Lob? Hatte ich eine ganze Weile nicht.

»Harte Arbeit und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein hilft«, wehre ich der Form halber ab. Sie soll mich schließlich nicht für einen Angeber halten, obwohl ich durchaus stolz auf das bin, was ich erreicht habe. »Trotzdem danke.« Bevor sich komische Stille zwischen uns einschleichen kann, kommt glücklicherweise das Essen. Es riecht verdammt lecker und mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Auch Mia sieht sehr, sehr glücklich aus. Forschend mustert sie mich einen Moment.

»Stört es dich, wenn ich mit den Fingern esse?« Allein für die Frage will ich sie küssen.

»Kein Stück!« Der erste Bissen ist immer der beste. Und ich schäme mich kein bisschen für das zufriedene Brummen, als sich der köstliche Geschmack auf meiner Zunge ausbreitet.

»Shit, ist das gut«, seufzt Mia zufrieden und wenn das so weitergeht, mache ich ihr bis zum Ende dieses Dates, das keines ist, einen Antrag. Ich nehme sie samt ihrem geilen Freund. Wenn ihm das nicht passt, ist das sein Problem. Ein paar Minuten sind wir erst mal nur mit uns selbst beschäftigt, dann ist die erste Gier besänftigt und ich bin wieder einigermaßen fähig, mich normal zu artikulieren.

»Übrigens, was ich die ganze Zeit schon sagen wollte: Eure Bilder aus deinem Tinder-Profil sind wahnsinnig schön.« Mia muss sich das Grinsen verkneifen und kaut erst mal zu Ende.

»Danke, willst du mal lachen?«

»Immer.« Schmunzelnd legt sie ihren Burger weg, wischt sich die Finger an einer Serviette ab und holt ihren Geldbeutel aus ihrer kleinen schwarzen Handtasche. Ein paar Fächer muss sie absuchen, dann wird sie fündig und eine Sekunde später muss ich tatsächlich lachen, als ich Laylas Visitenkarte in der Hand halte. In dieser Stadt gibt es so viele verschiedene Fotostudios und wir waren ausgerechnet im selben.

Okay, Layla ist für mich quasi Familie und ich kenne sie seit unserer Schulzeit, lange bevor sie auch nur daran gedacht hat, sich mit Fotografie zu beschäftigen. Als es dann vor ein paar Jahren so weit war, durfte ich eines ihrer ersten Probemodelle sein und sie hat damals schon echt geile Scheiße gemacht. Grinsend drehe ich das Kärtchen zwischen den Fingern. Ich glaube, sie hat die Druckerei gewechselt. Die letzten waren nicht so glatt.

»Ich habe eines deiner Bilder bei ihr im Studio hängen sehen und fand da schon, dass du echt toll aussiehst.« Verlegen sieht sie auf ihren Teller, bevor sie mich wieder angrinst. »Das ist kein Scherz. Und als du uns dann den Superlike geschickt hast, wusste ich im ersten Moment vor lauter Überforderung gar nicht, wohin mit mir.«

»Ach guck mal, ich hatte gar nicht mehr auf dem Schirm, dass sie mich gefragt hatte, ob sie eines ausstellen darf. Das macht es nur noch grotesker und lustiger.« Sie nickt.

»Darum musste ich dir auch sofort antworten und war vielleicht ein bisschen zu begeistert, als ich festgestellt habe, dass du nicht nur superheiß, sondern auch supernett bist.« Meine Güte, mit so viel Liebe für mein Ego kann ich kaum umgehen und das von ihr! Sie ist selbst so unfassbar hübsch und lustig und freundlich. Einfach ein rundum sympathischer Mensch.

Ich bin kein großer Freund vom Schicksal. Ich bin der Meinung, dass man sein Leben selbst in die Hand nehmen kann und muss, wenn man etwas will. Aber hin und wieder würde ich mir durchaus einreden lassen, dass da jemand nachhilft. Und ich weiß auch schon, wen ich nachher anschreibe und frage, ob es aus der Fotoserie von Mia und Lucien weitere Bilder gibt. Mehr als zufrieden mit der Entwicklung hebe ich mein Glas und halte es Mia zum Anstoßen entgegen.

»Auf eine gute … Zusammenarbeit.« Ihr Grinsen ist genauso dreckig wie meines, unsere Gläser klirren, dann trinken wir und vernichten den Rest unserer Burger. Oh, das wird alles so fantastisch werden, ich weiß es einfach!

Mia und ich sitzen fast bis halb elf zusammen, reden über Gott und die Welt, springen vollkommen problemlos von Thema zu Thema und stellen am Ende fest, dass die Chemie zwischen uns stimmt. Wir tauschen Telefonnummern und ich halte ihr beim Hinausgehen sogar die Tür auf. Bevor wir uns schließlich trennen, fragt sie mich ganz schüchtern nach einem Selfie. Das bekommt sie natürlich. Ich bringe sie bis zu ihrem Auto und bekomme zum Abschied ein kleines unschuldiges Küsschen auf die Wange. Ich hätte auch nichts gegen einen richtigen Kuss, aber solche Aktivitäten sind der Zeit zu dritt vorbehalten, finde ich. Winkend sehe ich ihr nach, als sie in ihrem knallpinken Audi A2 davonfährt und ich könnte schwören, dass ich weiß, wer ihr den verkauft hat, weil ich mich daran erinnere, dass die Kiste für ein paar Tage bei uns auf dem Hof stand. Noch so ein Zufall, über den ich schmunzeln muss. Als sie schließlich außer Sichtweite ist, gehe ich zurück zu meinem eigenen Wagen und hole mein Handy aus der Hosentasche. Drei Nachrichten von Jascha.

Jascha: Bock auf Pizza?

Jascha: Ah, ne, du hast grade dein Date mit den Tinder-Menschen, oder?

Jascha: Meld dich, wenn du wieder da bist, ich wollte dir noch was erzählen.

Elias: Das Date war der Wahnsinn! Er konnte heute nicht, aber sie ist echt super und ich kann’s kaum erwarten, bis wir das erste Mal zu dritt sind!

  

»Und, wie war dein Date gestern?«, fragt mich David am nächsten Tag, als wir zusammen aus dem Supermarkt um die Ecke kommen. Er ist unser Verkaufsleiter und mein ehemaliger Ausbilder, aka Ersatzvater, und weiß wahrscheinlich mehr über mich als die meisten meiner Freunde, inklusive Jascha. Im ersten und zweiten Ausbildungsjahr hatte ich eine ziemlich wilde Phase und ich habe keine Ahnung, ob ich das alles ohne ihn hingekriegt hätte. Dafür bin ich ihm wahnsinnig dankbar. Grinsend deute ich zu der kleinen Parkanlage, während ich von meinem Schnitzelbrötchen abbeiße.

»Hammer. Also, das Mädel ist Hammer. Ihn habe ich noch nicht kennengelernt.« Natürlich weiß David auch, dass ich bi bin. Das habe ich ihm irgendwann mal, hoffnungslos betrunken, auf einer Betriebsweihnachtsfeier erzählt. Er hat gelacht und gemeint, dass er sich so was schon gedacht hat, nachdem ich zehn Minuten vorher dem neuen Azubi aus der Werkstatt im Vorbeigehen meine Hand auf den Hintern geklatscht und zugesäuselt habe, dass er mich anrufen soll, wenn er mal unter was richtig Hartem liegen will. Da war ich gerade im ersten Jahr nach der Ausbildung und bin am nächsten Arbeitstag ganz kleinlaut zu dem Typen gegangen, um mich zu entschuldigen und ihn anzubetteln, mich bitte nicht bei den Chefs anzuschwärzen. Am Ende kam es zu ein paar ungezwungenen Dates, dann hat sich die Sache im Sand verlaufen. Jedenfalls ist David in den letzten Jahren von einer Art Vaterfigur zu einem sehr guten Freund geworden.

Entspannt gehen wir zu einer der vielen Bänke, wo wir uns in die Sonne setzen, und David erneut das Gespräch aufnimmt.

»Und warum war nur sie da?«

»Ihm kam was dazwischen. Aber Mia will mich auf jeden Fall wiedersehen und wir machen demnächst den ersten Termin aus. Haha, wie das klingt …« Aber im Prinzip tun wir genau das: Wir finden einen Termin für unseren ersten Sex zu dritt. David schmunzelt amüsiert.

»Du bist mir einer. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du mit den Jahren zwar erwachsener, aber gleichzeitig auch verrückter wirst.«