Longing - Julia Will - E-Book

Longing E-Book

Julia Will

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Aaron hat ein Geheimnis, das er niemals mit jemandem teilen wollte. Doch dann sind da sein bester Freund Tayfun, viel zu viele Shots und schwups, ist das Geheimnis keines mehr und eine Entscheidung getroffen, die er mit klarem Kopf vielleicht nochmal hätte überdenken sollen.  Oder doch nicht?  Denn im Grunde ist genau das der Reiz an der ganzen Geschichte ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 303

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Longing

Julia Will

Triggerwarnung

Belästigung an öffentlichen Orten

BDSM

Rapeplay

Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort
Prolog
Longing
Epilog
Danksagung

© 2024 Amrûn Verlag Jürgen EglseerTraunstein

Lektorat: Luise Mertineit-SeidlitzUmschlaggestaltung: Ulrike Kleinert – dreamaddiction.de

Alle Rechte vorbehalten

ISBN TB – 978-3-95869-542-9

Print in the EU

Besuchen Sie unsere Webseite:

amrun-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar

v1/24

Vorwort

Irgendjemand hat mal gesagt: »Pervers ist es erst, wenn es außer dir keiner mehr gut findet.«

Selbstverständlich passt dieser Satz als Schablone nicht auf jedes Szenario, aber ich finde, er nimmt schon ein bisschen Druck raus, oder?

Was erwartet dich in dieser Geschichte?

Auf jeden Fall viel zu viel Alkohol und zum Glück ist das unserem Protagonisten Aaron auch bewusst.

Außerdem ein erschreckend hoher Mangel an Kommunikation, der bei unseren Jungs aber zum Glück keine negativen oder gar gefährlichen Konsequenzen zur Folge hat.

Was ich damit sagen will: Redet miteinander. Egal ob es um eure Beziehungen zueinander im Allgemeinen geht, um eure Vorlieben im Bett oder – am allerwichtigsten – eure Abneigungen. Offene Kommunikation ist der Schlüssel zur Zufriedenheit! #FürSieGetestet

Da es sich hierbei aber zum Glück um eine rein fiktive Geschichte mit frei erfundenen Charakteren handelt, hoffe ich du drückst für mich und die Jungs ein oder zwei Augen zu (sofern du dann noch lesen kannst :-) ), lehnst dich zurück und genießt einfach die Show.

Prolog

Samstag, 22. Februar – auf Tayfuns Couch

23:28 Uhr; Alkoholpegel: zwei Tequila über dem Limit

»Nein!«

»Ach komm, du erzählst nie was über dich! Ich will ja gar keine Staatsgeheimnisse, oder irgendwas über deine blöde, geheiligte Kundendatei wissen. Ich will nur, dass du mir erzählst, was dich geil macht!« Tayfuns Augen blitzten gierig.

»Das geht dich aber nichts an!« Aaron machte sich nicht die Mühe zu hinterfragen, warum Tayfun so scharf darauf war, in seiner Privatsphäre herumzuwühlen. Er war eben so. Viel wichtiger war die Frage: Was stimmte mit Aaron nicht, dass er Tayfun nicht nur auf der Arbeit ertrug, sondern sogar mit ihm befreundet war? Das Eine war unvermeidlich, aber das Zweite war definitiv selbst gewähltes Leid.

»Wie soll ich dir denn dann helfen jemanden zu finden?« Gespielt genervt verschränkte Tayfun die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. Anstrengend. »Gar nicht? Ich will niemanden. Ich will nur …«

Seufzend drückte Aaron sich fester gegen die Rückenlehne von Tayfuns Couch und starrte hilfesuchend an die weiß gestrichene, fleckige Decke.

»Mal wieder ordentlich gefickt werden?«

»Halt die Schnauze.« Bullseye. Oder zumindest der schmale Ring außenrum.

Prompt lehnte Tayfun sich leicht schwankend zu ihm herüber und stieß einen Finger gegen seine Brust. »Okay. Und wo ist das Problem? Du siehst doch geil aus? Geh feiern und schlepp jemanden ab? Ich wette, du kriegst innerhalb von Sekunden was du willst, wenn du´s ernsthaft versuchst.« Vielsagend ließ Tayfun den Blick über seinen Freund gleiten und Aaron fühlte sich auf merkwürdige Weise bloßgestellt. Als wäre das alles so einfach, war es aber nicht. Zumindest nicht für ihn.

»Ja, eben nicht!« Die Brauen fest zusammengezogen, die Stirn in gewittrige Falten geworfen wedelte er Tayfun etwas auf Abstand.

»Warum nicht?«

»Weil die alle … die sind so … Ach fick dich! Und nein, ich will nichts mehr … wobei … ach, auch schon egal.«

23:34 Uhr; Drei Tequila über dem Limit

»Fuck!«

»Du musst aber nicht kotzen, oder?« Tayfun legte Aaron vorsichtig eine Hand auf den Rücken. Fast, als hätte er Mitleid mit ihm, aber Aaron hatte es schon gesehen. Das neugierige Glitzern in seinen Augen. Und das nur schlecht verborgene Lächeln zeugte auch nicht gerade von aufrichtiger Sorge. Tze. »Ne. Alles gut …« Wobei, so sicher war Aaron nicht. Der Alkohol brannte in seiner Kehle und sein Magen fühlte sich inzwischen weit weniger kooperativ an als noch vor einer halben Stunde. »Sehr schön.« Schon weitete sich das Lächeln zu einem ausgewachsenen Grinsen und Aaron verdrehte die Augen. Hatte er es doch gewusst.

»Also. Was ist falsch an den Leuten, dass sie nicht das sind, was du willst?« Jetzt fing der schon wieder damit an!

»Die sind zu … nett.«

»Nett? Aber … was ist denn falsch an nett?«

»Es … ist langweilig.« War das das richtige Wort? Der Alkohol wirbelte durch sein Hirn und Aaron hatte das Gefühl, als würde er bei jeder Umdrehung Buchstaben verlieren. Fühlte sich seltsam an.

»Okay? Was willst du stattdessen?«

»…« Wenn Aaron lang genug auf seine Knie glotzte und Tayfun ignorierte, würde er seine Frage dann vergessen? Einen Versuch war es wert.

»Muss ich raten? Also … du willst, dass dich jemand so richtig rannimmt?« War ja klar, dass das nicht funktionierte. Antworten wollte er trotzdem nicht.

»…« Ohne es zu wollen, reagierte sein Körper mit …

»Kannst du wenigstens nicken oder den Kopf schütteln? Was ist das denn?« Aaron schnaufte, hob resigniert die Schultern.

»Ist nicht richtig, aber auch nicht ganz falsch …« Warum wollte Tayfun das alles so genau wissen? Das ging den überhaupt nichts an! Vielleicht sollte er ihm das mal sagen! Obwohl … das hatte er schon versucht. »Aha … Also stehst du auf …?«

»Lass mich einfach in Ruhe.« Schnaubend drehte er sich von Tayfun weg und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Nope, abgelehnt. Wenn mein Lieblingskollege schräge geheime Kinks hat, muss ich das wissen!« Was zur Hölle? »Ich hab keine … schrägen Kinks …«

Offenbar war nun auch Tayfun langsam mit seiner Geduld am Ende und fuhr die ganz schweren Geschütze auf: »Mein Gott, wie schwer kanns denn sein? Ich hab dir schon vor drei Monaten erzählt, dass ich mich manchmal von Sandra vögeln lasse und auf Natursekt stehe und ich hab mich auch drauf verlassen, dass du mich deswegen nicht weniger magst oder mich anders behandelst. Oder das rumerzählst.«

»Ich mag dich gar nicht.« Okay, das war ein sehr lächerlicher Ablenkungsversuch.

»Jaaa, genau, darum bist du heute auch hier, schon klar. Also – warte. Hier, noch einen Kurzen.«

»Nein, ich will nicht mehr!«

»Sei still und trink.«

23:46 Uhr; Vier Tequila über dem Limit

»Wenn ich auf deine Couch kotze, bist du selbst schuld.« Aaron stellte sich vor, wie sein Magen ihm wutschnaubend den Stinkefinger zeigte. Lange würde der dieses Spiel nicht mehr mitmachen.

»Ja, ja, du kotzt schon nicht. Also, zurück zum Thema.« Bitte nicht.

»Also der nächste Typ, der dich nagelt soll …?«

»…« Vielleicht konnte Aaron Tayfun so intensiv anstarren, dass er Feuer fing? Dann wäre er wenigstens mit etwas anderem beschäftigt, als ihm mit seinen unangemessenen Fragen auf die Nerven zu gehen.

»Dir tief in die Augen schauen und erraten, was du willst?« Frustriert warf Aaron die Hände in die Luft. Genug war genug.

»Er soll nicht raten. Und auch nicht danach fragen!«

»Öh … aber wie soll der denn dann wissen, was du willst?« Die Verwirrung stand Tayfun so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass Aaron noch unsicherer wurde. Trotzdem senkte der Alkohol erfolgreich alle Hemmungen, die Aaron sonst so zuverlässig davor schützten, zu viel über sich preiszugeben.

»Das … muss er nicht.«

»Er soll dich gar nicht fragen?« Aaron zögerte, nickte und Tayfun … machte einfach mit.

»Okay. Er soll sich also … einfach nehmen, was er will?« Wie zwei wirklich, wirklich betrunkene Trottel saßen sie da und nickten sich weiter an.

»Echt jetzt? Okay, das hätte ich nicht erwartet. Ich meine, dein Bild erscheint auf Wikipedia, wenn man Kontrollfreak eingibt.« Wow, zum Totlachen.

»Da schau, deshalb erzähle ich dir sowas nicht! Du machst dich nur lustig!« Eingeschnappt wendete Aaron sich erneut von Tayfun ab.

»Nein, gar nicht! Ich wunder mich nur!«

»Lachend.«

»Ich bin halt eine sehr fröhliche Person.«

»Fick dich.«

»Okay, also Spaß bei Seite. Wie wär´s mit noch einem Kurzen?« Knurrend schielte Aaron über seine Schulter.

»Aber keinen Tequila mehr!«

23:53 Uhr; Vier Tequila und einen Jägermeister über dem Limit

»Oh fuck, das war ne Scheißidee.« Aaron verzog angewidert das Gesicht und nickte.

»Ich hasse dich!« Oh, da wäre jetzt fast der Tequila wieder hochgekommen.

»Tust du nicht. Aber oh Gott, ist das Zeug widerlich! Wie kann Sandra das nur pur saufen? Willst du auch Cola?« Seine beste Idee des Abends.

»Ja, danke.« Erleichtert setzte Aaron die große Flasche an die Lippen und versuchte sich dabei nicht vollzuschütten. Die noch fast volle eineinhalb Literflasche zitterfrei am Mund festzudrücken war definitiv jenseits dessen, was Menschen in seinem Zustand noch problemlos hinbekamen.

»Kein Ding. Okay, gut. Weiter im Text. Du stehst also drauf dominiert zu werden, ja?« Aaron gab es auf. Dann wusste Tayfun halt Bescheid, jetzt war es auch schon egal, oder?

»In gewisser Weise …«, gab er also zu, nahm dann noch einen Schluck Cola. Es wurde feucht auf seiner Brust. Ach Dreck.

»Das heißt? Ich meine, es gehört zwar ein bisschen mehr dazu nen Dom zu finden als in nen Club zu gehen und ›Nimm mich‹ zu schreien, aber da gibt’s auch Möglichkeiten, die –«

»Ich will keinen Dom.« Was war der Blödmann denn so schwer von Begriff? Sollte Aaron es ihm jetzt vielleicht noch vortanzen?

»Aber was denn dann?«

»Ich will … ich … fuck!« Tanzen wäre wahrscheinlich einfacher als es tatsächlich auszusprechen.

»Hm …« Tayfun musterte ihn mit angestrengt gerunzelter Stirn.

»Was?«

»Hmhmhmm …« Nun rieb er sich auch noch mit völlig übertriebener Geste das Kinn. Aaron kam sich vor wie ein Kaninchen im Käfig. Ein sehr betrunkenes und sehr angespanntes Kaninchen.

»Was!«

»Ich hab da so eine Idee. Gib mir mal dein Handy. Oder ne, warte. Ich hole meinen Laptop. Sekunde.« Damit sprang Tayfun auf die Füße und wäre fast vornüber auf seinen Wohnzimmertisch geknallt. Er fing sich in letzter Sekunde und wankte in Richtung Flur davon. Aaron sah ihm hinterher und fragte sich, in welchem beschissenen Film er hier gelandet war.

Irgendwo krachte etwas auf den Boden.

»Scheiße!«

»Brauchst du Hilfe?«

»Ne, bleib sitzen. Ich bin gleich ...« Tayfun tauchte in der Tür auf und rieb sich bei jedem unsicheren Schritt die Hüfte, bis er sich ächzend neben Aaron auf die Couch fallen ließ. Hatte wohl ordentlich wehgetan.

»Also …«, begann Tayfun und tippte etwas in die Suchleiste seines Browsers. Er musste mehrfach ansetzen, bis das sinnlose Kuddelmuddel an Buchstaben Worte ergab. Dann öffnete sich ein Fenster.

»Was ist das für eine Seite?«

»Eine, die dir möglicherweise helfen kann. Hier, lies mal.« Konzentriert ließ Aaron seinen Blick über die Homepage wandern, die von oben bis unten mit Werbung vollgepflastert war. Nervig. Aber zwischen den blinkenden Pop-ups …

» … Das … ahm …«

»Ist es das, was du willst?« Aaron schluckte trocken.

»Also, ja?«, fragte Tayfun.

Vorsichtig nickte Aaron, auch wenn er dem Braten noch nicht ganz traute. Gab es sowas wirklich?

»Na dann? Buch doch einfach?«

»Spinnst du?«

»Nein? Du hast Bedürfnisse und die da können die erfüllen. Ist doch nichts dabei? Ist alles super diskret.« Unschlüssig leckte sich Aaron über die Lippen. Das klang viel zu gut, um wahr zu sein.

»Ich weiß nicht …«

»Ich hab nen Bekannten, der hat da mal gebucht. Zwar nicht das, was du haben willst, aber bei dieser Seite und der war hinterher mega zufrieden.« Tayfun nickte begeistert und schob den Laptop auf Aarons Knie. Unsicher hob Aaron die Hände und legte sie auf die Tastatur.

»Na komm, jetzt gib dir nen Ruck! Schau, du hast zwei Wochen Zeit, um kostenlos zu stornieren. Also kannst du´s immer noch canceln, wenn du morgen wieder nüchtern bist, und es wirklich für ne Scheißidee hältst. Du hast doch nichts zu verlieren?«

»Du meinst, außer meine Selbstachtung?«

Ein letzter Rest verzweifelter Widerstand. Wenn Aaron ehrlich war, hatte er sich längst entschieden.

»Meine Fresse … Hier, trink noch einen.«

23:58 Uhr; Fünf Tequila und einen Jägermeister über dem Limit

»Okay. Geschissen drauf, ich mach das jetzt!« Inzwischen schwirrte Aaron so der Kopf, dass es fast unmöglich wurde, auf der Tastatur die richtigen Buchstaben anzuschlagen. Oder mit der Maus die richtigen Fenster anzusteuern. Aaargh, wie nervig!

»Das ist mein Junge! Ich helf dir auch, ja?«, sagte Tayfun und lehnte sich äußerst hilfreich so gegen Aarons Seite, dass er ihn wieder auf Abstand schieben musste, weil er so nicht schreiben konnte.

»Muss ich das jetzt alles ausfüllen?« Das Formular war verdammt lang.

»Ja klar! Die wollen ja, dass du am Ende zu hundert Prozent zufrieden bist!«

Ratlos kratzte Aaron sich am Kopf.

»Hm … na gut. Also … eigentlich ist mir das Aussehen total egal.«

Klar gab es Männer, die nicht seinem Geschmack entsprachen, aber bei solch einer Seite arbeiteten ja wohl nur … ansprechende Exemplare?

»Gar keine Präferenzen?«

»Ich weiß nicht …« Plötzlich schnipste Tayfun und strahlte ihn begeistert an. Aaron fühlte sich ein bisschen, als wäre er dem Bösewicht in einem Zeichentrickfilm auf den Leim gegangen. Für einen Rückzieher war es jetzt aber zu spät.

»Mach blond«, schlug Tayfun vor.

»Ich weiß, dass du blonde Typen gut findest.«

»Okay …«

»Alter?« Aaron zuckte überfordert die Schultern.

»Gib nen groben Rahmen an? Der soll ja nicht zehn Jahre jünger sein als du«, erklärte Tayfun.

»Die werden mir keinen Fünfzehnjährigen schicken. Dann machen sie sich strafbar. Und ich mich auch.« Das war ihm selbst in seinem desolaten Zustand klar. Vielleicht sollte er das Alter zumindest nach oben eingrenzen? Er tippte bis 35. Ja, das sah richtig aus.

»Okay, weiter … Safeword.«

Auch das noch.

»Guck nicht so, du brauchst eins.«

Noch während Aaron zu einer Antwort ansetzte, warum er sowas weder brauchte noch eine Ahnung hatte, was er dafür überhaupt hernehmen sollte, ließ Tayfun ihn ein weiteres Mal an seiner unvergleichlichen Genialität teilhaben.

»Schluckspecht.«

Eine von Aarons dunklen Augenbrauen wanderte nach oben.

»Du bist bescheuert.«

»Selber. Jetzt schreib.« Da Aaron nichts Besseres einfiel, folgte er Tayfuns Vorschlag. Als nächstes verlangte das Formular die Angabe eines Zeitraums.

»Sechs bis neun Monate ab jetzt?«, schlug Tayfun vor.

Bevor Aaron darüber nachdachte, richtete er sich aus seiner halb kauernden Tippstellung auf.

»Was, so spät?«

»Haha, jetzt hast du´s eilig, oder wie?« Erwischt.

»Nein! Nein, ich … ich dachte …« Ehrlich, warum sollte er sich jetzt die Mühe machen und dann Monate lang warten? Das war doch bescheuert.

Tayfun zuckte mit den Schultern.

»Dann mach halt drei bis sechs Monate?«

»Hm …« Immer noch echt lang, aber für irgendetwas musste er sich wohl entscheiden. Er wählte die entsprechende Option und seufzte.

»Diese Begeisterung.« Tayfun rollte mit den Augen. Dann stupste er Aaron mit dem Ellenbogen in die Rippen.

»Aber hey, du hast es geschafft! Letzter Punkt!« Er räusperte sich übertrieben und las mit dem Finger über den Bildschirm gleitend vor: »Ich bestätige, dass ich die Buchung freiwillig und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte vorgenommen habe. Anhaken. Und abschließen.«

»Soll ich wirklich?« Unsicher sah Aaron hinüber zu seinem Freund. War das eine gute Idee? Aber Tayfun war Feuer und Flamme, strahlte ihn an und zeigte ihm beide Daumen hoch.

»Klar! Wenn du´s morgen bereust, stornierst du einfach, ist gar kein Ding!« Da hatte er auch wieder recht.

»Okay …«

»Hehe, saugut! Und jetzt, zur Feier des Tages, noch einen Tequila!«

»Auf gar keinen Fall!« Entschieden schüttelte Aaron den Kopf und stellte den Laptop auf den Tisch.

»Ach, komm jetzt! Oder muss ich dich … zwingen?«

Tayfun wackelte anzüglich mit den Augenbrauen, wollte wahrscheinlich witzig sein aber wenn überhaupt, machte Aaron das nur wieder sauer. Zur Hölle! Das war überhaupt nicht lustig und außerdem bestätigte ihn das nur wieder darin, dass er niemandem von seinem privaten Kram erzählen sollte.

»Fick dich hart, Tayfun, fick dich einfach nur richtig hart!«

»Hahahahaha!«

Dienstag, 16. Juni - Oder: Vier Monate später am Hauptbahnhof

16:12 Uhr; Rushhour

Aaron trat die letzten Stufen zum U-Bahn-Gleis hinunter und der Gestank nach Schweiß, Bier und Steinkohleteer legte sich wie eine muffige Decke über ihn. Um ihn herum herrschte das vertraute Feierabendchaos.

Menschen schoben sich gegenseitig aus dem Weg, ranzten sich an, wenn irgendjemand nicht schnell genug zur Seite sprang oder die Türen zu den Zügen blockierte. Er hasste es. Leidenschaftlich. Und vermisste schmerzlich die Ruhe seines BMWs. Was hatte ihn nur geritten, als er seiner Mutter vor zwei Wochen angeboten hatte, ihr sein Auto zu leihen? Nur, weil er direkt vor der Tür eine Bahnstation hatte und auch sein Büro nur wenige Gehminuten von einer Haltestelle entfernt war? Dazwischen herrschte knapp vierzig Minuten die blanke Hölle, bestehend aus Lärm, unerträglicher Hitze und Gesprächen, bei denen sich ihm die Zehennägel hochrollten.

Tja, fürs Erste musste er sich wohl damit arrangieren. Seine Mutter war ihm das allemal wert.

Seufzend hob Aaron den Blick zur Anzeige. Seine Bahn hatte Verspätung, wie fast jeden Tag. Immerhin musste er auf dem Weg nach Hause nicht umsteigen und mit ein bisschen Glück erwischte er heute sogar einen Sitzplatz.

»Und wovon träumst du nachts?«, murmelte er leise und schüttelte über sich selbst den Kopf. Langsam lief er über den Bahnsteig weiter nach hinten, wo weniger Leute standen, obwohl er inzwischen aus Erfahrung wusste, dass es keine Rolle spielte, wo er sich positionierte. Der Waggon würde in jedem Fall brechend voll sein und das für mindestens sechs oder sieben Stationen. So hatte er immerhin direkt am Gleis ein bisschen Ruhe und da hinten war sogar noch ein freier – oder auch nicht. Sitzen wurde sowieso überbewertet.

Während die nächste Bahn einfuhr, die leider nicht seine war, holte Aaron sein Handy aus der Hosentasche und rückte seine Umhängetasche in eine bequemere Position. Sein Bruder hatte ihm geschrieben. Und Tayfun. Oh, und ein Anruf in Abwesenheit von seinem Chef? Sofort wurde er unruhig. Zurückrufen machte bei diesem Lärm und dem miesen Empfang hier unten allerdings keinen Sinn, also würde sein Chef warten müssen.

Die Bahn fuhr ab und Aaron trat näher an die Bahnsteigkante. Die Nächste war seine.

Um sich abzulenken, hob er sein Handy und las die Nachricht von seinem Bruder.

Vincent: Hast du heute Abend schon was vor?

Aaron: Nein. Willst du vorbeikommen?

Lautes Rauschen aus dem Tunnel, dann fuhr die Bahn ein und er ließ das Smartphone sinken. Er trat zur Seite, damit die Fahrgäste aussteigen konnten, dann ließ er sich von einer wahren Flutwelle an fremden Körpern ins Innere des Waggons treiben. Er landete direkt an der gegenüberliegenden Tür, wurde unsanft mit dem Rücken gegen eine Haltestange gedrückt. Ein durchdringendes Piepsen erklang, dann schlossen sich die Türen. Vorsichtig versuchte Aaron sich zu drehen, um einen einigermaßen sicheren und bequemen Stand zu finden, ohne irgendjemandem versehentlich seinen Ellenbogen in die Rippen zu donnern.

Die eine Hand fest um die Stange geschlungen, hob er erneut sein Handy. Er klickte weiter in den nächsten Chat und las, was Tayfun ihm geschrieben hatte.

Tayfun: Wo bist du hin? Wir haben Meeting!

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Hitze breitete sich in seinem Nacken aus und ihm wurde sogar ein bisschen schlecht. Das Meeting! Das hatte er vollkommen vergessen. Und er war einfach gegangen, hatte natürlich niemandem Bescheid gesagt. Shit!

Aaron: Mir geht’s nicht gut. Wahrscheinlich war das Essen in der Kantine schlecht. Hab vergessen, mich abzumelden. Kannst du bitte dem Chef Bescheid geben?

Tayfun: Klar, kein Problem. Du hast vorhin ja auch eeecht schlecht ausgesehen. Gute Besserung!

Eine Ladung anzüglich lächelnder Emojis und Auberginen folgte.

Aaron: Fick dich, mir geht’s wirklich nicht gut!

Tayfun: Ja, ja, ja. Bis morgen dann!

Aaron verzichtete auf eine Antwort. Stattdessen schrieb er, trotz Tayfuns Zusicherung ihn bei seinem Chef abzumelden, selbst noch eine Mail und entschuldigte sich für seine Abwesenheit. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.

Sein Herz klopfte immer noch viel zu schnell und sein Rücken war nassgeschwitzt. Hier drin war es aber auch unerträglich warm. Er zwang sich dazu, einmal tief durchzuatmen und lehnte die Stirn gegen das kühle Metall der Haltestange. Das fühlte sich gut an. Die Bahn stoppte an der nächsten Station. Menschen stiegen aus und wieder ein, und Aaron hatte das Gefühl, als würde der Waggon nur immer voller statt leerer werden. Ein fremder Körper drängte sich gegen ihn und er wich, so gut er konnte, zur Seite aus, kam aber nicht weit. Eine Hand schlang sich unter seiner um die Stange und der dazugehörige Arm berührte ihn durch sein Hemd über den Rippen. Zu nah.

Viel zu nah. Aber er konnte nirgends hin. Die Bahn setzte sich wieder in Bewegung und Aaron wurde noch ein bisschen heißer. Wer auch immer da hinter ihm stand, er spürte ihn nun auf ganzer Länge. Ein fremder Brustkorb drängte sich an seinen Rücken und … etwas presste, mit wesentlich mehr Druck, als es auch in einer vollbesetzten Bahn akzeptabel gewesen wäre, gegen seinen Hintern.

Er sagte nichts. Versuchte nach vorne, gegen die Stange, auszuweichen, doch die wenigen gewonnenen Zentimeter wurden sofort wieder geschlossen und dann spürte Aaron ihn. Den harten Penis der Person hinter ihm.

Er schluckte trocken, biss sich auf die Unterlippe und … unterdrückte ein Stöhnen.

Ob er etwas sagen sollte? Sicher war das der Person hinter ihm ohnehin schon peinlich und dessen Erregung hatte garantiert nichts mit Aaron zu tun, also sollte er vielleicht einfach hier stehen und … es genießen.

Großer Gott, wie oft hatte er sich vorgestellt, dass genau so etwas passierte? Dass er in der Bahn stand, eingepfercht zwischen fremden Menschen, während sich ein gutaussehender Fremder an ihn presste. Gut, er hatte keine Ahnung, wie der Mann hinter ihm aussah, aber er roch fantastisch.

Es kribbelte in Aarons Schritt. Interessiert drückte sein Schwanz sich gegen seine Unterwäsche, versuchte sich Platz zu verschaffen und in diesem Moment ging Aaron auf, dass das hier etwas ganz anderes war, als seine Fantasien. In seinem Kopf war er alleine, unbeobachtet, völlig egal, was sein Hirn sich zusammenspann. Jetzt war er umgeben von Fremden. Eine unbedachte Bewegung, ein verräterischer Laut und jeder würde mitbekommen, was mit ihm los war.

Panik mischte sich unter die Aufregung, schaffte es aber nicht, die aufkommende Erregung zu dämpfen, ganz im Gegenteil.

Eine fremde Hand legte sich auf seine Hüfte und Aaron erstarrte. Sein Herz stolperte und er fürchtete für einen Moment, ohnmächtig zu werden, als sich die Hand weiter über ihn bewegte, sich in Richtung Mitte schob und einen Augenblick später über seinen inzwischen vollkommen harten Penis legte.

Den Mund halb geöffnet, starrte Aaron mit kugelrunden Augen gerade aus an die beige Wand des Waggons.

Was passierte hier? Die Präsenz des Mannes hinter ihm wurde übermächtig. Harte Brustmuskeln drängten sich gegen ihn, genauso wie der stahlharte Schwanz des Fremden gegen seinen Hintern. Hatte er gerade zugestoßen oder hatte der Zug gewackelt? Aaron wusste es nicht, aber die Vorstellung machte ihn unglaublich an. Ein dunkles Lachen rumpelte durch den Brustkorb hinter ihm, vibrierte gegen seinen Rücken und dann spürte er heißen Atem an seinem Ohr. Eine feuchte Zunge streifte ihn, ließ ihn schaudern und sein Herz davon galoppieren. Sollte das hier jemand mitbekommen, würde er vor Scham sterben.

»Kein Wort, verstanden?« Diese Stimme … Allein der Tonfall sorgte dafür, dass sämtliche Gedanken an Gegenwehr sofort aus Aarons Kopf purzelten und wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war … wollte er sich auch gar nicht wehren. Also nickte er kurz und abgehackt, versuchte durchzuatmen.

»Beine weiter auseinander«, prallten die nächsten geflüsterten Worte gegen seine brennende Haut und Aaron entschlüpfte ein leises Wimmern.

Die Bahn machte eine Linkskurve und er wurde noch etwas fester gegen die Stange gepresst, packte sie mit beiden Händen, um nicht vollends das Gleichgewicht zu verlieren.

Er biss sich auf die Lippen, um das erleichterte Keuchen abzufangen, als der Druck über seiner Mitte zunahm, die fremden Finger fester zupackten.

»Sei leise«, knurrte die dunkle Stimme ihm ins Ohr und ein scharfer Schmerz zuckte durch sein Ohrläppchen, aber Aaron schaffte es, vollkommen still zu bleiben. Der Kerl hatte ihn gebissen! Mitten in der vollbesetzten Bahn! Was, wenn das jemand gesehen hatte? Aaron wagte es nicht, den Kopf zu heben und sich umzusehen. Alles, was er um sich herum erkennen konnte, waren fremde Hosenbeine und Schuhe, die dicht an dicht gedrängt standen. Er konnte nur hoffen, dass –

»Mach die Hand auf.«

»Was?«, würgte er gepresst hervor, versuchte sich, zu beruhigen. Aber das war gar nicht so einfach, denn die Finger in seinem Schritt hielten nicht länger still. Sie bewegten sich in festen, verdammt erregenden Kreisen über seine harte Erektion und alles, woran Aaron denken konnte, war, ob er verhaftet werden würde, wenn er sich jetzt die Hose von den Hüften zerren und den Fremden anflehen würde, ihn zu ficken.

»Hey! Hör mir zu!« Die fremde Hand packte zu und Aaron entkam ein gequältes Keuchen, als die Finger, die bis eben so verführerisch über ihn geglitten waren, seinen Schwanz und die Hoden zusammenpressten und er spürte, wie ihm der Schweiß über die Stirn lief. Fuck … Es tat weh, und gleichzeitig …

»Mach. Deine. Hand. Auf.« Die Stimme duldete keinen Widerspruch, also löste Aaron seine zitternden Finger von der Stange, ließ sie etwas nach unten sinken und hielt sie mit der Handfläche nach oben in die Luft.

Etwas Längliches wurde hineingelegt. Aus … Gummi? Er wagte nicht hinzusehen, schloss nur seine Finger darum.

Es ragte über seine Handfläche hinaus und die Oberfläche fühlte es sich an wie …

»Morgen bist du wieder hier. Selbe Zeit, selbe Bahn.Du wirst das hier tragen. Eingeschaltet. Solltest du dich weigern und nicht auftauchen, wird deine Familie sich sicher freuen, wenn ich ihr dein kleines, schmutziges Geheimnis verrate. Ich weiß alles über dich, Aaron. Du tust besser, was ich von dir will, sonst wirst du das verdammt bitter bereuen!« Kribbelige Gänsehaut raste über Aarons Körper und er war unendlich dankbar, dass die fahrende Bahn so einen Höllenlärm machte.

»Wer … wer sind Sie?«, wagte er zu fragen, winselte, als die fremden Finger ihn noch ein bisschen härter packten, bevor sich eine zweite Hand zwischen seine Beine schob, tief zwischen seine Schenkel griff und mit festem Druck über seinen Damm rieb. Gott ihm Himmel, er war so unfassbar erregt!

»Sei still.« Die nächste Haltestelle wurde ausgerufen und der Druck auf seine Mitte fast unerträglich.

»Wehe du bist morgen nicht hier! Und du wirst es dir heute auch nicht mehr selbst machen. Ich will, dass du morgen in deiner Hose kommst. Hast du mich verstanden?«

Aaron öffnete den Mund, aber kein Laut kam heraus. Ein Finger bohrte sich von unten gegen ihn, rieb so fest gegen seine Prostata, dass er um ein Haar seine Erregung durch den ganzen Waggon geschrien hätte.

»Nick, wenn du mich verstanden hast!«

Selbst dafür brauchte Aaron mehrere Sekunden. Die Bahn kam mit leise quietschenden Bremsen zum Stehen und plötzlich war da kühle, halbwegs frische Luft und die Hände waren verschwunden. Zu gerne hätte Aaron sich nach dem Fremden umgesehen, hätte versucht zumindest einen flüchtigen Blick auf ihn zu erhaschen, aber er brauchte all seine Kraft und Konzentration dafür, aufrecht stehen zu bleiben und nicht hilflos wimmernd in die Knie zu brechen.

Was zur Hölle war gerade passiert? Wer war das? Was wollte dieser Fremde von ihm? Von was für einem Geheimnis hatte er gesprochen? Doch nicht von … war er gehackt worden? Hatte dieser Kerl sich Zugriff auf seinen Rechner verschafft und seine gespeicherten Bilder gefunden? Auch die … oh Gott! Wenn seine Eltern die zu Gesicht bekämen! Oder Vincent! Er könnte ihnen nie wieder in die Augen schauen!

An der Panik, die ihn nun schüttelte, war überhaupt nichts erregend. Zitternd klammerte Aaron sich an die Haltestange und als der Zug die nächste Station erreichte, stolperte er hektisch keuchend auf den Bahnsteig. Glücklicherweise war er inzwischen nicht mehr hart. Schwer atmend stützte er sich mit den Händen auf den Knien – oh, er hatte ja noch was in der Hand. Das, was der Fremde ihm gegeben hatte. Er senkte den Kopf und dann hätte er den hellblauen Analplug fast zurück in den Waggon geworfen. Und wäre dann vermutlich wegen versuchter Körperverletzung angezeigt worden.

»Scheiße!«, zischte er, drehte sich panisch einmal im Kreis und wusste nicht, wohin mit dem blöden Ding, bis ihm einfiel, dass er seine kleine Arbeitstasche über der Schulter trug.

Mit zitternden Fingern zerrte er sie sich über den Kopf, öffnete sie und holte die Wasserflasche heraus, damit er Platz für den Plug hatte. Erst als die Tasche wieder sicher verschlossen war, wagte Aaron es, mit wackeligen Knien zu einer etwas entfernt stehenden Bank zu wanken und sich auf die Sitzfläche fallen zu lassen. Er war von oben bis unten nassgeschwitzt und sein Herz raste immer noch.

Vielleicht hatte er in der letzten halben Stunde einen Herzinfarkt bekommen? Oder kamen die Schmerzen in seiner Brust davon, dass er sich so verkrampft hatte? Aarons Handy vibrierte und er beschloss, dass er ein bisschen Ablenkung gut gebrauchen konnte. Er schaffte es nicht, sich jetzt damit zu befassen, was geschehen war.

Und erst recht nicht damit, wie gestört es war, dass er es genossen hatte. Er musste … er musste dringend an etwas anderes denken. Da, Vincent hatte ihm geantwortet.

Sein Bruder tötete seine Libido so zuverlässig wie sein Vater vor rund zwölf Jahren bei dem Versuch, ihn über Sex aufzuklären. Genau das, was er gerade brauchte.

Vincent: Gut. Ich nehme an, du hast schon Feierabend? Ich könnte so in einer Stunde bei dir sein. Wäre dir das recht?

In einer Stunde … Suchend sah Aaron sich um. Welche Station war das hier? Ah … und wenn die nächste Bahn tatsächlich erst um – oder nein. Für heute hatte er genug von öffentlichen Verkehrsmitteln. Entschlossen stand er auf und verließ den Bahnsteig in Richtung der Treppen zur Oberfläche. Zu Fuß würde er zwar ewig brauchen, aber vielleicht hatte er es geschafft, sich zu beruhigen, wenn Vincent bei ihm zu Hause ankam. Duschen musste er auch dringend. Während Aaron die ersten Stufen hinter sich brachte, antwortete er seinem Bruder.

Aaron: Bitte erst in zwei. Musste länger bleiben.

Wohl fühlte er sich damit nicht, Vincent anzulügen, aber alles war besser als ihm zu erzählen, dass er … dass er … Fuck. Und morgen?

Aaron war sich sicher, dass er es sich nur einbildete, aber es fühlte sich so an, als würde seine Tasche vibrieren und das brachte die Erinnerungen zurück. An die fordernden Finger des Fremden und seine tiefe, grollende Stimme, die ihm gedroht hatte. Die verlangt hatte, dass er morgen …

Aaron schlug sich eine Hand vor den Mund, bevor das Stöhnen, das mit Macht durch seine Brust nach oben rollte, über seine Lippen brechen konnte. Er musste einen Schritt zur Seite machen und sich kurz gegen die Wand lehnen. Ob er sich eben auf die Stufen setzen – nein. Die starrten vor Dreck und er würde sich jetzt zusammenreißen! Er könnte einen Schluck trinken. Genau. Und dann einfach nicht mehr an die ganze Sache denken. Zumindest bis morgen.

Wenn er den Fremden wiedertreffen würde. Oh Gott … wie sollte er das aushalten, ohne vollends den Verstand zu verlieren?

Dienstag, 16. Juni – zu Hause

18:35 Uhr; Allgemeinzustand: kritisch aber immerhin sauber

Als Vincent an der Tür klingelte, waren Aarons Haare immer noch leicht feucht. Kein Wunder, denn er hatte sich unter der Dusche viel zu lange Zeit gelassen. Aus dem ursprünglichen Bedürfnis nach Sauberkeit – getrockneter Schweiß war etwas Furchtbares und er hatte das Gefühl gehabt zehn Kilometer gegen den Wind nach sexueller Frustration zu stinken – wurde ein wahrer Kampf zwischen ihm und der immer wieder aufflammenden Erregung. Natürlich hätte er sich einfach einen runterholen können. Niemand konnte ihm das verbieten, erst recht nicht irgendein dahergelaufener … verdammt sinnlicher … Himmel nochmal! Was stimmte nur nicht mit ihm?

Es klingelte erneut. Aaron rückte seinen erwachenden Penis in der, zum Glück sehr weiten, Jogginghose zurecht.

So konnte er seinem Bruder auf keinen Fall unter die Augen treten, ihm war schon wieder viel zu heiß. Knurrend drückte er auf den Türöffner, stapfte in die Küche und holte ein Kühlpad aus dem Eisfach. Fuck, war das Zeug kalt! Aber höchst effizient.

»Aaron?«, rief sein Bruder aus dem Flur und Aaron warf das Pad zurück in den Kühlschrank. Jetzt hatte er einen kleinen Wasserfleck vorne auf dem grauen Stoff. Fantastisch.

»Ich komm gleich. Setz dich schon mal ins Wohnzimmer. Willst du was trinken?«, fragte er, marschierte ins Schlafzimmer und zerrte eine frische Hose aus dem Schrank. Die war schwarz. Besser, fand er.

»Ja, danke. Ich nehme mir einfach etwas in der Küche?«, fragte Vincent zurück, während Aaron sich umzog.

»Tu das.« Er kam dazu, als sein Bruder sich gerade ein Glas mit Eiswürfeln aus dem im Kühlschrank integrierten Spender füllte.

»Ich habe Ginger Ale, wenn du möchtest.«

Vincent überlegte einen Moment, nickte dann und wenig später saßen sie beide mit ihren vollen Gläsern auf Aarons großer, bequemer Couch. Er schaltete den Fernseher an, öffnete Spotify und startete eine Playlist mit den letztjährigen Sommerhits.

»Also … wie war dein Tag?« Vincents Blick über den Rand seines Glases hinweg ließ mehr als bloßes Interesse an Aarons Tag vermuten. Und so sehr Aaron es genoss sich Vincent anzuvertrauen … auch seine Bruderliebe hatte Grenzen. Also beschloss er, dass es viel einfacher wäre, direkt auf den Punkt zu kommen.

»Wahrscheinlich besser als deiner, oder?«

Prompt zuckten Vincents Augenbrauen und eine verräterische Röte kroch über seinen Hals nach oben. Seine Ohren glühten binnen Sekunden wie zwei Leuchtfackeln.

»Ahm … wahrscheinlich. Ich …«

»Geht es um … ihn?« Es war nur eine Vermutung, aber so unsicher wie Vincent in sein Glas starrte, hatte Aaron wohl recht.

»Was ist passiert?«

»Nichts! Also nicht wirklich … ich weiß nicht genau …« Seufzend strich Aaron sich ein paar Strähnen aus den Augen und schüttelte den Kopf. Seit Monaten war sein Bruder nun unglücklich – Aarons Worte, Vincent behauptete, er wäre nicht unglücklich, solange er bei ihm war – in seinen Arbeitskollegen Benedikt verliebt. Soweit Aaron das mitbekommen hatte, hatte dieser auch Gefühle für Vincent, aber so wirklich voran kamen die beiden nicht.

»Na, entweder es ist etwas passiert oder eben nicht.

Wie kannst du das denn nicht wissen?« Bei Vincent konnte nichts passiert alles heißen. Von ›er hatte einen kleinen, aus dem Nest gefallenen Vogel gerettet‹ bis ›im Hinterhof seiner Arbeitsstelle wurde eine alte Fliegerbombe gefunden‹ war alles möglich. Aaron selbst hatte in dieser Hinsicht, seiner Meinung nach, eine wesentlich realistischere Einschätzung. Das heute in der Bahn würde definitiv unter etwas passiert laufen. Und jetzt sollte er das ganz schnell wieder aus seinem Kopf verbannen, bevor wieder etwas passierte.

In seiner Hose. Aaron versuchte, sich auf Vincent zu konzentrieren, der unschlüssig das Gesicht verzog und mit den Schultern zuckte.

»Nun ja … wir haben uns geküsst.«

»Schon wieder?« Das wäre nun das dritte Mal, wenn Aaron das richtig auf dem Schirm hatte.

»Ja …«

»Aber das ist doch gut, oder nicht?« Vincent war ihm schon immer ein Rätsel gewesen, aber Aaron war froh, wenn er sich ihm anvertraute. Vincent machte seinen Kram lieber mit sich selbst aus, so wie Aaron auch, aber manchmal … Nun, wahrscheinlich war dieser Benedikt tatsächlich so speziell, dass sein Bruder sich allein nicht mehr zu helfen wusste?

»Doch, schon. Aber … Dann kam Eric um die Ecke und Benedikt hat mich weggestoßen und so getan, als wäre nichts passiert.« Vincent sah dermaßen geknickt aus, dass Aaron ihm eine Hand auf den Arm legte und ihn tröstend drückte.

»Klingt ja nicht so toll … Warum redest du nicht einfach mal mit ihm? Und fragst ihn, was er von der ganzen Sache hält? Ich meine … drei Küsse sind ja nicht wenig.« Aaron war nicht gut darin andere zu trösten oder ihnen gute Ratschläge in Sachen Beziehung zu geben.

Seine Letzte war inzwischen über drei Jahre her und auch die war nicht lang gewesen. Im Grunde war es ein bisschen heuchlerisch von ihm seinem Bruder zu raten, seine Probleme mit Benedikt einfach anzusprechen. Aaron war selbst nicht gerade der große Redner in zwischenmenschlichen Dingen. Er war immer der Meinung gewesen – entweder es passte, oder es passte eben nicht. So einfach war das, zumindest, wenn es um ihn selbst ging. Ihm war durchaus bewusst, dass offene Kommunikation absolut durchschlagende Erfolge verzeichnen konnte. Aber bei anderen war alles immer viel leichter als bei einem selbst.

Während er so in seine Überlegungen abdriftete, versank Vincent seufzend zwischen den vielen großen Kissen auf der Couch.

»Ich verstehe ihn einfach nicht. Als wir neulich den Firmenausflug zu diesem Escape-Room gemacht haben, klebte er förmlich an mir. Es lief so gut und als ich ihn dann gefragt habe, ob er nicht mal Lust hat ins Kino zu gehen, hat er Eric auch mit eingeladen.« Vincents Gesichtsausdruck war dermaßen irritiert, dass Aaron sich beherrschen musste nicht zu lachen.

»Versteh mich nicht falsch! Ich mag Eric, und ich würde jederzeit mit ihm nach Feierabend etwas unternehmen, aber … doch nicht, wenn ich mit Benedikt … wenn wir …«

»Wenn ihr ein Date habt?«

»Richtig!«

»Hat Benedikt denn verstanden, dass du ein Date mit ihm haben willst?«