Adrian - Kristina Bialek - E-Book

Adrian E-Book

Kristina Bialek

0,0

Beschreibung

Nach einem Zusammenbruch wird die temperamentvolle Ricarda Overbrugg die Patientin des ausgesprochen charmanten Chefkardiologen Dr. Adrian Gräfenthal. Sie ändert ihr Leben rigoros und lässt sich von ihrem Arzt auch von der Implantation eines Ereignis-Rekorders überzeugen. Dieser soll ihre Herzaktivitäten überwachen. Die Atmosphäre zwischen Arzt und Patientin knistert zunehmend und Ricardas Leben nimmt langsam, aber sicher beruflich und privat wieder vernünftige Formen an. Bis aus heiterem Himmel unbekannte Daten in ihrer Patientenakte auftauchen. Darüber hinaus werden Manipulationen an ihrem Rekorder vorgenommen, die sie sich nicht erklären kann. Auch der Chefkardiologe scheint ratlos, gerät aber zunehmend enger ins Visier. Die Vorfälle werden immer mysteriöser und bedrohlicher. Ricarda ist mit den Nerven völlig am Ende. Sie misstraut nun jedem und isoliert sich, da ihr auch die Polizei nicht helfen kann. Dann stellt sie aber fest, dass die jüngeren Vorfälle wohl einem ausgeklügelten System folgen. Und als bei einer Überprüfung dann auch noch das Alibi des Chefarztes platzt, beschließt sie, der Sache auf eigene Faust auf den Grund zu gehen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 512

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für SAL

„... I’ve got you under my skin ...“

(Cole Porter, 1936)

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

1

„Spüren Sie das?“

Ich fühlte in mich hinein und bemerkte nichts.

„Nein, ich spüre nichts“, antwortete ich ihm leise, doch so, dass er es hören konnte.

„Okay, ich fange dann jetzt an“, hörte ich seine ruhige Stimme und versuchte, mich zu entspannen.

Ich sollte ein Implantat bekommen. Einen Herzmonitor, wie er umgangssprachlich genannt wird. Das bedeutete, dass mir quasi ein Dauer-EKG eingesetzt würde, das, wie der Name schon sagt, dauerhaft, zu jeder Sekunde, meine Herz-Aktivität messen und auch gegebenenfalls aufzeichnen sollte.

Ob ich das auch wirklich benötigte, war eine ganz andere Geschichte, doch Ärzte sind ja nun völlig zu Recht vorsichtig.

Und meiner schon einmal erst recht.

Im Frühjahr war ich zweimal völlig ohne Ankündigung ohnmächtig zusammengebrochen und wenn das für Ärzte kein Alarmsignal ist, nun ja, was denn dann? Also war ich an den Ohren durch die komplette mögliche Analytik gezogen worden. Alles absolut einwandfrei. Doch man fällt ja nun mal nicht einfach so um, oder?

Oder doch. Denn ich hatte ein paar überaus schwere Wochen hinter mir gehabt und mich persönlich hatte es nicht gewundert, dass ich im übertragenen Sinne „aus den Latschen“ gekippt war.

Emotional war es mehr als grenzwertig gewesen und ich hatte auch gemerkt, dass mein Körper begonnen hatte zu streiken. Doch ernst genommen hatte ich ihn natürlich nicht. Wieso auch? Er hatte ja nur recht gehabt ...

Die Strafe war sozusagen auf dem Fuß gefolgt und die zweite Ohnmacht hatte mich mehr als falsch getroffen. Ich wusste ja nicht, was passiert war, nur, dass ich mitten auf dem Gesicht gelandet sein musste. Ungebremst, reflexfrei. Gar nicht lustig und vor allem richtig gefährlich. Denn genau so kann man sich den Hals, und das im wahrsten Sinne des Wortes, brechen.

Ich hatte wohl überaus viel Glück gehabt und war mehr auf der Stirn gelandet als auf dem Nasenrücken, doch alles war schillernd blau und violett angelaufen. Geschwollen, dick und unansehnlich. Woraufhin mich meine beste Freundin erst einmal in die Notaufnahme gebracht hatte.

Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma und das müsse untersucht werden. So also hatten der Analytikmarathon und mein mehrtägiger Klinikaufenthalt begonnen.

Und letztlich war ich, nachdem mir so ziemlich jeder Arzt bescheinigt hatte, dass ich ja eigentlich gesund sei, beim Kardiologen gelandet.

Besonders amüsiert hatte ich mich zuvor allerdings über den Neurologen. Denn der hatte mich erwischt, also jetzt wirklich, als ich am Bettgestell Dehnübungen gemacht hatte. Kopfüber. Und ein solcher Arzt fragt sich natürlich auch, was denn mit der Patientin nicht stimmen soll, wenn sie zu solchen Übungen fähig ist. Ohne umzufallen, versteht sich.

Nichts, wäre meine Antwort gewesen, denn ich wusste ja, dass ich an und für sich in Ordnung war. Nur emotional überlastet. Richtig überlastet. Viel zu hohe emotionale Schmerztoleranz, wie ich mir immer wieder selbst bescheinigte.

Doch kein Hardcore-Mediziner glaubte das erst einmal. Zu Recht, meines Erachtens, denn Psychosomatik erscheint manchmal wie die eierlegende Wollmilchsau und wird auch mal gern zu schnell vors Loch geschoben, wenn kein weiterführendes Interesse an der wirklichen Ursache besteht.

In meinem Fall allerdings stimmte es und so hatte ich in aller Seelenruhe meine Dehnübungen gemacht, als eben jener Chefneurologe bei mir aufgetaucht war.

Er hatte mir nach seinen Untersuchungen bescheinigt, sehr zu meiner Erheiterung, dass ich wohl völlig gesund im Kopf sei. Und mein Lachen hatte er selbstverständlich zunächst nicht verstanden und versucht, mir zu erklären, was er denn wie untersucht hatte und wieso er das meinte.

Ich hatte mich derweil weiter amüsiert und hatte auf seine einigermaßen frustrierte Nachfrage auch nur gemeint:

„Also, wenn Sie irgendjemandem erzählen, ich sei gesund im Kopf, nun, dann herzlichen Glückwunsch. Ich bezweifele, dass Sie da einen finden, der das glaubt.“ Ich hatte weiter gekichert. „Also, zumindest niemanden, der mich näher kennt.“

Er hatte mich eingehend gemustert, dann so leicht resigniert, wie ich gesehen hatte, und wider Willen doch lachen müssen. Und er hatte mich nach wie vor für neurologisch gesund erklärt und so blieb der Schwarze Peter bei der Kardiologie, herauszufinden, wieso ich aus dem Stand umgefallen war.

Der Chefkardiologe hatte sich nach kurzer Zeit in meinem Zimmer aufgebaut und sich vorgestellt. Er hatte das Glück gehabt, weniger verblüfft sein zu müssen als sein neurologischer Kollege, denn ich saß artig am Tisch und las.

„Morgen, Frau Overbrugg, Gräfenthal. Man sagte mir, ich solle mal nach Ihnen schauen, da Sie sich den Fußboden wohl gern ab und zu etwas näher anschauen als gut für Sie wäre.“ Er hatte mich dabei intensiv gemustert.

Tolle Augen, hatte ich schnell gedacht, ausgesprochen ausdrucksstark und sehr, sehr lebendig.

„Und da die Kollegen der Radiologie, Neurologie und wer Sie auch sonst noch in die Finger bekommen hat, nichts finden, sind Sie jetzt meine.“

Ich hatte ihn breit angelächelt und mal noch nichts gesagt.

„Äh, meine Patientin, meine ich“, hatte er sich schnell korrigiert und ein Lachen weggedrückt.

Unterhaltsamer Mann, hatte ich weiter gedacht und ihn betrachtet, immer noch ohne etwas zu sagen. Das könnte interessant werden, mal schauen, was kommt.

Und auf einmal hatte ich es in der Klinik auch gar nicht mehr so langweilig wie zuvor gefunden. Es war zugegebenermaßen öde, wenn man eigentlich nichts hatte und darauf zurückgesetzt wurde, den ganzen Tag zu lesen. Oder Dehnübungen zu machen.

Ich war Privatpatientin, deshalb hatte ich den Vorzug eines Einzelzimmers bekommen, aber dennoch. Denn auch das verlor seinen Charme bei längerer Betrachtung.

Es hatte diesen allerdings in Form des Chefkardiologen eben wiedergewonnen, also hatte ich mich langsam von meinem Stuhl erhoben und ihm die Hand entgegengehalten.

„Ricarda Overbrugg, freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Dr. Gräfenthal.“ Dazu hatte er ein strahlendes Lächeln von mir bekommen und ich hatte aus dem Augenwinkel gesehen, dass der Stationsarzt, der ihn begleitet hatte, angefangen hatte zu grinsen.

Dr. Gräfenthal hatte mein Lächeln ähnlich herzlich erwidert und ich hatte ihn dabei noch etwas näher betrachtet. So jetzt vor ihm stehend war es wesentlich leichter gewesen. Die Größe ließ sich zumindest schon einmal besser einschätzen.

Er war also ein Stück größer als ich und ich vermutete, auch nur unwesentlich älter. Wenn überhaupt. Schlank, ansprechend gebaut, eine durchweg attraktive Erscheinung. Nett, wirklich ganz nett, hatte ich gedacht und meine Betrachtungen dann vorerst unterbrochen.

Eigentlich sind das ja exakt die Gedanken, die man in einer Klinik nicht so durchschnittlich hat, hatte ich innerlich über mich selbst gelacht und dann schnell umgeschaltet.

Denn Dr. Gräfenthal hatte begonnen, noch einmal alles abzufragen, was mich schon jeder vorher gefragt hatte. Doch ich hatte ihm gelassen geantwortet, schließlich konnte ich mir vorstellen, wieso sie das taten. Redundanz. Nicht, dass ein Patient mal schnell etwas erfindet, denn das fliegt in der Regel beim dritten Nachfragen auf, da dann Details nicht mehr stimmen.

Und so hatte er alles noch einmal bekommen, er hatte mich dabei aufmerksam beobachtet und schnell einen Vermerk in meine Akte geschrieben.

Nach einer ganzen Weile hatte er sich mit seinem Stationsarzt höflich verabschiedet und mich wissen lassen, dass am Nachmittag noch ein paar Untersuchungen anstünden.

Noch welche, hatte ich auch nur leise geseufzt, als beide weg waren und ich mich wieder an meinen Tisch gesetzt hatte. Na ja, musste wohl alles sein.

Dadurch allerdings war der Nachmittag wie im Flug vergangen und ich hatte mich anschließend auf der Untersuchungsliege sitzend vorgefunden.

Dr. Gräfenthal hatte vor mir gesessen und begonnen, mir seine Ergebnisse auseinanderzupflücken.

Alles plausibel, vor allem alles gesund. So weit.

Auf seine Anordnung hatte man mir noch ein Langzeit-EKG angelegt, Langzeit-Blutdruck sollte ein paar Stunden später hinzukommen und abends hatte ich an mir heruntergesehen und nur noch gegrinst. Schließlich hatte ich durch die verschiedenen Kabel und den Zugang auf dem Handrücken endlich ausgesehen wie ein echter Patient.

Kurzum: Auch die Ergebnisse waren durchaus gut gewesen, bis auf den Umstand, dass Dr. Gräfenthal meine teils sehr hohe Herzfrequenz nicht gefallen hatte. Im Ergebnis hatte er mir also zur Implantation eines Event-Rekorders geraten, um sich das mal über längere Zeit genauer ansehen zu können.

Und eben jenen setzte er gerade ein.

„Alles okay?“, hörte ich leise.

Ich hatte meinen Kopf zur Seite gedreht, damit ich nicht auf dieses fiese weiße Tuch über mir schauen musste. So sah ich Teile des OPs und der Ausblick war zumindest interessanter.

„Alles okay“, gab ich ihm zurück. War es auch. Ich spürte, dass er etwas an mir tat, doch nicht was. Also tat es auch nicht weh, sondern fühlte sich nur etwas befremdlich an.

Ich betrachtete weiter meinen kleinen Ausschnitt des OPs, den ich sehen konnte. Bei meiner Vorbereitung hatte Dr. Gräfenthal in genau jenem Blickfeld gestanden, während er gewartet hatte, fertiggemacht zu werden. Ich hatte den Verdacht, dass er das völlig absichtlich getan hatte, um dem Patienten, also mir, ein beruhigendes Gefühl zu geben.

Sollte meine Vermutung stimmen, war ich beeindruckt, denn das hatte erstens funktioniert und war zweitens ausgesprochen sensibel. Doch dass er Letzteres war, nun, den Eindruck hatte ich bereits des Öfteren gehabt. Allein während der Vorbesprechung und ...

„Hm“, murmelte ich leise, denn ich merkte, dass mir übel wurde. Toll! Ich war ja auch in der denkbar besten Position dafür.

„Ist was nicht in Ordnung?“, fragte er mich konzentriert.

„Ah, mir wird ein wenig schlecht.“ Und ich versuchte, dieses Gefühl tapfer zu unterdrücken.

„Das ist nicht ungewöhnlich, Frau Overbrugg“, meinte Gräfenthal ruhig, „ich schiebe nämlich eben das Implantat in die Hauttasche. Machen Sie sich bitte keine Gedanken. Das ist gleich vorbei. Sie sind sehr schlank, also hat das Gerät dort nicht viel Platz und ...“

Er redete leise und ausgesprochen ruhig weiter und ich merkte, dass er mich ablenkte, dadurch, dass er mir jeden Schritt erklärte, den er machte.

Es funktionierte und ich atmete auf, als er den Faden abschnitt. Er war fertig, der Rekorder lag und ich war froh, es überstanden zu haben. Lokale Anästhesie hat sicherlich viele Vorteile, jedoch auch den Nachteil, mitzubekommen, dass jemand an einem herumarbeitet. Auch wenn man keine Schmerzen fühlt.

„Alles prima“, lächelte er mich kurz darauf ausgesprochen warm an. Die Schwestern legten mich wieder frei und ich bekam eines dieser bezaubernden OP-Hemdchen an. Hinten offen, sexy!

Okay, soweit hatte ich meinen Humor also schon einmal wieder. Ich erwiderte Gräfenthals Lächeln. „Ich danke Ihnen!“

„Nicht dafür.“ Er drückte mir kurz die Schulter, ein weiteres Lächeln folgte und er zwinkerte mir kurz zu. „Ich schaue nachher noch mal nach Ihnen. Wenn Sie auf Station sind.“

Dorthin wurde ich etwas später dann auch gebracht. Im Vorfeld hatte ich mich gewundert gehabt, dass Gräfenthal mich für eine Nacht auf Station hatte legen wollen, da ich gedacht hatte, ambulant wäre doch prima.

Nun wusste ich, dass es so sehr viel besser war, denn der Wundschmerz setzte ein. Nicht allzu stark, doch immerhin nicht sonderlich angenehm. Und in den ersten Stunden im Zweifel unter Beobachtung zu stehen gab mir jetzt die Sicherheit, die ich sonst vielleicht vermisst hätte.

Ach, Ricarda, schimpfte ich innerlich mit mir, du lernst es auch immer erst hinterher: Die wissen schon, was sie tun.

Ja, ich seufzte leise und drückte vorsichtig auf die Kompresse auf meinem neuen Rekorder.

Gräfenthal kam dann auch, wie versprochen, am Abend noch kurz nachschauen und wirkte zufrieden, als er anschließend ging.

Also war ich es auch und freute mich darüber, mir mein Abendessen nicht selbst machen zu müssen. Die Verpflegung in der Klinik war ganz okay. Gut, keine Offenbarung, aber welches Krankenhaus schafft das denn auch? Nun, das Essen war in Ordnung und mehr brauchte ich auch nicht.

Später telefonierte ich noch ein paar Freunde an, die wissen wollten, wie es so gelaufen war, und schlief recht früh ein.

2

Der Morgen kam, das Frühstück auch und einige Zeit später eine Armada namens Chefvisite. Ich grinste ihnen entgegen.

Gräfenthal und sein Stab bauten sich filmreif am Fußende meines Bettes auf und der Chefkardiologe betrachtete mich eingehend.

„Wie geht es Ihnen heute?“

„Danke, prima. Gut geschlafen, gut gefrühstückt und der Wundschmerz ist auch schon beinahe weg.“

Ich lächelte ihn gutgelaunt an. Dann kniff es mich.

„Aber, Dr. Gräfenthal, sagen Sie ...“

„Ja?“ Er hob die Augenbrauen, legte den Kopf ein wenig schief und wartete.

„Nun, ich meine“, machte ich umständlich weiter und sah ihn ernst an. „Ich meine, habe ich der GPS-Überwachung vorher eigentlich zugestimmt?“ Dazu bekam er einen übermäßig unschuldigen Blick von mir.

Seine Augen blitzten kurz und äußerst intensiv auf, dann wandte er sich lässig halb zu seinem Stationsarzt um und fragte den so über die Schulter:

„Wer, bitte, hat ihr das gesagt?“

Man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können, im wahrsten Sinne des Wortes, denn alle hielten die Luft an.

Gräfenthal jedoch streifte mich flüchtig mit immer noch phänomenal blitzenden Augen und wandte sich dann zur anderen Seite, weg von seinen Mitarbeitern. Er tat, als hielte er irgendetwas in der Hand, tippte imaginär darauf herum und murmelte nur leise:

„Hähähä, jetzt kann ich immer sehen, wo Frau Overbrugg so steckt.“

Anschließend strahlte er mich breit an.

Ich lachte leise, weil ich ein deutliches Aufatmen aus der Gruppe hörte.

„Das wollen Sie doch gar nicht.“

„Doch!“ Er lächelte gutgelaunt weiter. Die Aktion schien ihm gefallen zu haben.

„Ach, was“, widersprach ich ihm. „Das ist Ihnen mit Sicherheit zu langweilig.“

Sein Lächeln wurde tiefer. „Das kann ich Ihnen erst sagen, wenn ich weiß, wo Sie sich so herumtreiben.“

„Ich treibe mich für gewöhnlich nicht herum, sondern bin einfach irgendwo“, korrigierte ich ihn mit einem Zwinkern.

„Na ja, oder so“, lenkte er, immer noch amüsiert lächelnd, leise ein. „Also interessiert mich das dann.“

Dann wurde er wieder ernst und fragte mich verschiedene Dinge ab, besah sich kurz die Narbe unter der Kompresse und wirkte anschließend sehr zufrieden.

„Alles gut?“, wollte ich leise wissen, als er sich noch leicht über mich beugte.

Er sah mich langsam an, wartete kurz und nickte leicht. „M-hm. Sehr gut.“

Das kam allerdings recht dunkel und ich fragte mich, was er wohl meinte. Doch ich schob die Überlegung sicherheitshalber mal ein wenig weg aus meinem Kopf.

Gräfenthal ging zurück zum Fußende und machte schnell ein paar Vermerke in meiner Akte. Anschließend sah er mich eingehend an.

„Wir sehen uns dann nachher. Alles sieht gut aus und ich erkläre Ihnen dann das Gerät, bevor Sie wieder nach Hause können. Schonen sollten Sie sich aber doch noch ein paar Tage.“

Da war er wieder, der routinierte Arzt. Ich lachte leise und nickte höflich ab. „Sicher. Und danke“, gab ich ihm noch mit, woraufhin er kurz nickte und mit seinem Haufen Weißkittel im Kielwasser wieder abzog.

Es ging gegen Mittag und ich packte schon mal meine kleine Tasche zusammen. Viel war es nicht gewesen, das ich mitgenommen hatte. Schließlich war ja auch nur eine Nacht geplant gewesen und das sollte wohl zutreffen.

Das Essen kam und ich machte es mir gemütlich. Zeit hatte ich reichlich, solange ich noch nicht entlassen war. Ich tippte, dass Gräfenthal mich so gegen eins, vielleicht halb zwei anfordern würde.

Exakt, ich lag richtig, denn kurz nach eins klopfte es und eine Schwester kam herein.

„Er wäre dann jetzt so weit, Frau Overbrugg.“ Sie lächelte freundlich.

Ich auch, nur innerlich lachte ich kräftig. Er. Soso.

„Sie wissen, wohin Sie müssen?“, fragte sie noch. „Sonst hole ich noch jemanden, der Sie runterbringt.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Danke, das ist lieb, aber nicht notwendig. Ich denke, ich finde mich zurecht.“

Das tat ich natürlich und war kurze Zeit später in der entsprechenden Abteilung.

Dr. Gräfenthal wartete schon und machte sich voller Begeisterung daran, mich über meinen neuen Rekorder aufzuklären. Wie man ihn aktiviert, wie er dann später ausgelesen würde und so weiter und so weiter.

Telemetrie ist eine feine Sache, dachte ich zwischendurch, denn ein Datenabgleich zwischen dem Implantat und der Klinikgerätschaft erfolgt auf diesem Weg. Wie auch anders, schließlich lag das Ding unter meiner Haut. Nun, aber spannend war es trotzdem. Ich hörte ihm interessiert zu.

Wir probierten eine Aktivierung, die ich notfalls vornehmen müsste, wenn etwas passierte. Denn dann würde der Rekorder in jedem Fall aufzeichnen und mein Kardiologe etwas auslesen können.

Nun, falls etwas war. Ich glaubte das nicht, aber schließlich hatte ich das Gerät ja nun in mir und nahm es auch sehr ernst.

Zwischenzeitlich amüsierte ich mich gut über Gräfenthal, denn es war schwer zu übersehen, dass er ausgesprochen technikbegeistert war.

Doch ich konnte ihn verstehen, das alles war auch eine überaus interessante Sache.

Und schließlich entließ er mich mit den besten Wünschen. Ich ging hoch auf mein Zimmer und verabschiedete mich in Ruhe vom Personal auf der Station. Anschließend verließ ich die Klinik, packte meine Tasche in den Kofferraum meines Wagens und fuhr nach Hause.

Dort angekommen machte ich mir erst einmal einen Kaffee und setzte mich hin. Auspacken würde ich später. Es war ja kaum etwas. Doch ich war nachdenklich und wollte mir die Zeit auch geben. Außerdem hatte ich einen schönen Blick aus dem Fenster. Also hing ich meinen Gedanken nach.

Meine emotionale Talfahrt hatte ich überstanden. Ich hatte einige sehr belastende Dinge geklärt und eben deshalb glaubte ich auch nicht, dass ich noch einmal umfallen würde. Doch, wer wusste das schon vorher? Und die nächste Zeit würde es zeigen, ob ich wirklich wieder gefestigter war.

Ich seufzte leise. War schon komisch, so ein Implantat zu tragen. Es tat nur noch leicht weh und für Notfälle hatte man mir Schmerztabletten mitgegeben. Doch ich war mir sicher, keine zu brauchen. So schlimm war es dann doch nicht. Es drückte nur hauptsächlich etwas.

Eine gute Stunde ging ins Land. Und dann rief ich Maja an. Sie war nach meiner zweiten Ohnmacht sofort vorbeigekommen und hatte mich kurzentschlossen in die Notaufnahme gebracht. Und sie wartete jetzt auch wieder auf meinen Anruf. Also wollte ich sie auch nicht länger als nötig warten lassen.

„Hi, Süße“, ging sie recht schnell ran, als ich durchklingelte. „Na? Wie geht’s dir?“

Ich lachte leise. „Hi. Ja, ganz gut so weit. Bin etwas platt, aber ansonsten ...“

„Wovon?“, lachte sie durch das Telefon. „Du ruhst dich doch seit zwei Tagen aus.“

Ich kicherte. „Nun ja, ausruhen würde ich das jetzt nicht gerade nennen.“

Sie wurde ernster. „Wie war’s denn?“

Also erzählte ich ihr, wie die beiden Tage verlaufen waren, dass ich jetzt mein Implantat hatte und kaum Schmerzen.

Sie nickte beinahe hörbar. „Und wie ist er?“

Er? Nein!!! Sie war fast immer so schön rational. Und das war im Moment völlig anders. Ich seufzte unhörbar, denn ich befürchtete, schon mehr als genau zu wissen, was kommen würde.

„Maja? Alles schön bei dir?“

Sie lachte. „Ja, wieso?“

„Na ja, ich meine, also ...“

Sie lachte noch mehr. „Meine Liebe, du warst bis vor Kurzem in der Klinik.“

Aha.

„Ja. Und du hast mir nach deinem Analytik-Brimborium von deinem Kardiologen erzählt.“

Noch mal aha.

Was, zum Geier, hatte ich ihr denn erzählt, dass das ihr Interesse so dermaßen geweckt hatte? Tapfer durchforstete ich mein Gedächtnis. Doch ich hatte ihr eigentlich nur gesagt, dass ich ihn ausgesprochen sympathisch fand. Und das stimmte schließlich auch.

„Also“, fing sie noch mal an, „wie ist er?“

„Äh“, machte ich vorsichtig, denn ich wollte beim besten Willen das nicht, was jetzt vermutlich kommen sollte.

„Na, komm schon!“

„Maja, meine Süße, ich würde ja gerne, doch was willst du denn hören?“ Ich hoffte immer noch auf Gnade.

„Hey, ich will wissen, wie er dir gefällt.“

Ich gab auf.

„Er gefällt mir sehr gut, das weißt du doch. Routiniert, souverän, Profi halt und sehr einfühlsam“, versuchte ich, doch sie lachte nur.

„Das ist klar, nichts anderes habe ich erwartet. Nein, ich meine sonst so.“

Sonst so. Ich stöhnte innerlich.

„Na gut. Gott, ich schwimme, wenn ich nur an ihn denke. Ich werde wild, wenn ich nur ...“

„Ricarda, ich meine das ernst“, kam von der anderen Seite dieses absurden Gesprächs.

„Ich auch.“ Sollte sie doch haben, was sie hören wollte.

Sie seufzte leise. „Ricarda, ich weiß, dass er dir gefällt. Ich möchte doch nur wissen, wie sehr. Oder ob sich das irgendwie verstärkt hat.“

Und so seufzte ich auch. „Maja, über so etwas habe ich in den letzten Tagen bei aller Liebe nicht nachgedacht. Ich hatte einen kleinen Eingriff, ich hatte leichte Schmerzen und an irgendetwas anderes zu denken, hatte ich schlicht nicht den Kopf.“

Ich wartete einen Moment. „Ja sicher, er gefällt mir immer noch. Sehr sogar. Er hat eine Menge Temperament und Witz. Und seine überaus sanfte, ruhige Art im OP hat mich sehr beeindruckt.“

„Danke.“

„Wofür?“

„Dass du mich immer noch ernstnimmst.“

Ich lachte. „Ich habe dich noch nie ernstgenommen. Wieso also heute?“

Sie lachte ebenso. „Stimmt. Wieso also heute?“

Sie war unnachahmlich, ich lachte leise weiter. „Maja, nur damit du zufrieden bist und dann ist das Thema für mich durch: Ja, ich finde ihn nach wie vor überaus interessant und anziehend.“

„Interessant? Also ist er hässlich.“

Ich musste aufpassen, nicht laut herauszuprusten. „Nein! Aber ganz sicher nicht.“

„‚Interessant‘ ist aber die etwas elegantere Art, das zu sagen“, kam von ihr.

„Maja! Das gilt für Frauen, nicht für Männer. Bei Frauen sagt man gern ‚interessant‘, wenn die Optik jetzt mal nicht so passt. Aber bei Männern ...“

„Was sagt man denn bei Männern?“

Ich lachte vor mich hin. Maja war Sprachwissenschaftlerin und wenn sie das alles nicht wusste, wer denn dann?

„Schatz, er ist wirklich interessant“, begann ich und erzählte ihr noch ein paar Dinge aus den vergangenen zwei Tagen. Und ich merkte, dass auch sie so langsam wieder etwas ernsthafter wurde und mir aufmerksam zuhörte.

„M-hm“, hörte ich aber zwischendurch, „was zieht dich eigentlich am meisten an? Seine Augen?“

Oh, dachte ich, sie ist immer noch in ihrem Element. Und sie gibt einfach nicht auf.

„Jaaa“, antwortete ich ernst, einigermaßen zumindest, „denn genau die spiegeln seine, wie ich denke, recht hohe Intelligenz.“

Das dachte ich wirklich, denn Augen sind der Spiegel der Seele. Und die Augen von Gräfenthal zeigten eine enorme Beredsamkeit und Lebendigkeit. Und das genau zog mich an. Insofern stimmte das alles.

Doch so langsam hatte ich keine Lust mehr, über meinen Doc, seine Augen oder Sonstiges von ihm zu sprechen. Schließlich gab es auch andere interessante Dinge.

Meine Freundin am anderen Ende lenkte ein. Gut, sie hatte so ja auch ihren Spaß gehabt. Sie hatte mich, wie sie das so gerne tat, in Bedrängnis gebracht. Und sie hatte sich vor allem wie ein Hund auf einen Knochen auf das Thema „Mann“ stürzen können.

Ich lachte im Anschluss an unser Telefonat gutmütig. Maja war knapp zwei Jahre älter als ich, tat aber manchmal gern als wären es zwanzig. Und wenn irgendeine Form von Mütterlichkeit mit ihr durchging, war sie der Meinung, mich verkuppeln zu müssen.

Was sie dabei schon länger übersah, war die simple Tatsache, dass ich gar keinen Mann wollte. Ich hatte von Männern, gelinde gesagt, die Schnauze voll.

Denn ein Mann war die Ursache meines derzeitigen Zustands. Nein, ich hatte keine unglückliche Beziehung hinter mir oder dergleichen. Ich hatte lediglich einen Mann als Chef gehabt. Einen hochgradig inkompetenten Mann, der sich selbst allerdings wahnsinnig toll fand und sehr gern reden hörte. Damit war er zwar allein auf dieser Welt, doch solch ein Ego stört das im Allgemeinen eher nicht. Also produzierte er sich mit wachsender Begeisterung. Sehr zur Freude seiner Angestellten, die jedes Mal hinter ihm her aufräumen mussten.

Schadensbegrenzung hieß das, denn wir waren ein Architekturbüro. Und wenn Monsieur Le Chef mal wieder die Grillen hatte, hatten wir stinksaure Kunden. Und dann die entsprechenden Kühe vom Eis zu holen, war manchmal extrem schwierig. So standen wir dann auch alle immer mehr unter enormem Stress. Die hohe Fluktuation in seinem Büro gab ihm selbstverständlich nicht zu denken.

Ich seufzte bei dem Gedanken an die ganze Geschichte.

Solch eine Situation für sich selbst zu entschärfen, war nicht ganz einfach. Vor allem, bevor sie ernstzunehmende gesundheitliche Konsequenzen hatte.

Eine Kollegin sowie auch ich hatten oft genug die Quittung bekommen, während der eine oder andere Angestellte sich eine Haut aus Teflon zugelegt hatte. Wir beide schafften das nicht. Und wir beide hatten auch die Quittung bekommen. Bei ihr zerbrach ihre Ehe, bei mir beinahe mein Körper.

Also hatten wir uns, nachdem ich aus meiner ersten Untersuchungshaft in der Klinik wieder entlassen worden war, zusammengesetzt. Und es gab nur ein Ergebnis, das diese beiden Leben noch so irgendwie wieder normal werden lassen konnte: Kündigung.

Und genau das taten wir dann. Noch am selben Tag, direkt hintereinander. Ein phänomenales Gefühl. Erleichterung war ein zu kleiner Begriff dafür.

Wir waren beide ausgezeichnete Architektinnen und würden es auch ohne dieses Büro schaffen. Einen Moment lang hatten wir auch darüber nachgedacht, uns vielleicht zusammenzutun. Doch ich persönlich wollte erst einmal lieber allein sein. Den Rest würde die Zukunft zeigen. Ich hatte ein paar ganz gute Rücklagen und aus dem Grunde ließ ich es langsam angehen. Endlich einmal nahm ich meinen Körper ernst. Und das war auch wirklich Zeit gewesen.

Aber zurück zum Thema: Ich hatte Männer schlicht satt.

Das war eventuell nicht ganz fair, aber es gab ja auch immer mal wieder jemanden, der mich ein wenig interessierte. Manchmal vielleicht sogar etwas mehr, doch ich blockte, wenn es um mehr als um Freundschaft gehen sollte. Ich war mir genug und somit schon länger ein zufriedener Single. Wenn irgendwann wirklich mal einer auftauchen würde, der es wert war, würde ich das schon merken.

Also gründete ich im Moment lieber mein eigenes Architekturbüro und ließ mich immer wieder von Maja und ihren Verkupplungsversuchen ärgern. Und ich war mir völlig sicher, eben nicht wieder einfach umzufallen.

3

Der restliche Tag wurde verhältnismäßig langweilig. Aufzuräumen hatte ich nicht viel, mein Haushalt war auch auf Vordermann und an meinen Garten brauchte ich in den nächsten zwei Wochen eher nicht zu denken. Und wenn ich es doch täte, würde mich meine frische Narbe schon zurückpfeifen. Denn die merkte ich doch. Sie ziepte. Und schon zwei Tage später begann sie zu jucken. Das war ja mal ein Mist! Ein dickes Pflaster, draufdrücken tat weh, und das Biest hatte nichts Besseres zu tun als anzufangen zu jucken. Ja gut, sie heilte, mehr hieß das ja nicht. Und das wollte ich ja auch, aber wenn’s ging ohne weitere Einschränkungen.

Das Wochenende kam und ich wachte am Samstagmorgen schweißgebadet auf. Mein Herz bemühte sich, oben am Hals herauszuhüpfen, und ich bekam Angst. Das war mir ja nicht neu. In den ganzen vergangenen Monaten und eigentlich eher Jahren hatte ich immer mal wieder Albträume gehabt. Wer hatte das nicht? Doch seit meinen Ohnmachten war ich übersensibel, was einen so schnellen und hämmernden Puls anbelangte.

Sollte ich vielleicht den Rekorder aktivieren?

Nein, dachte ich. Du machst dich lächerlich, lass es.

Also regelte ich mich langsam, aber sicher wieder runter, duschte schnell und machte mir ein kleines Frühstück.

Dabei saß ich und dachte nach. Der Rekorder und das gesamte Prinzip waren neu für mich, also war eine gewisse Unsicherheit eigentlich normal.

Hm, überlegte ich. Wenn ich den jetzt also aktiviere und nächste Nacht wird’s richtig schlimm. Was dann?

Kann ich den noch einmal aktivieren? Überschreibt er dann vielleicht die vorherige Aufzeichnung? Oder schreibt er gar nichts mehr auf?

Ich holte mir das Beiheft und las.

Und natürlich stand dazu nichts drin. Ich legte es wieder weg.

Missmutig trank ich einen weiteren Kaffee und grübelte. Das führte natürlich nicht zum Ziel, also beschloss ich, das erst einmal zu ignorieren und mich ein wenig an den Schreibtisch zu setzen.

Ich hatte einen ganzen Haufen Formulare auszufüllen, Finanzamt, Stadt und von wem nicht sonst noch. Architekt war ein klassischer „Katalog“-Beruf, demzufolge wurde man Freiberufler, nicht etwa Gewerbetreibender.

Das war mir auch ganz recht, denn Gewerbesteuer wollte ich jetzt ohne Not nicht auch noch bezahlen müssen. Der Anfang würde sowieso sicher etwas holprig werden. Zuerst musste ich mir ja zum Beispiel mal einen Kundenstamm erarbeiten.

Und so stürzte ich mich auf alle Informationen, die ich brauchte, surfte etwas im Netz für Infos, die ich noch nicht hatte, und las alles, was notwendig war. Eine einigermaßen gute und halbwegs intelligente Vorbereitung würde mir den ersten Weg erleichtern. Denn nichts war schlimmer, als vollkommen blauäugig an solche Dinge heranzugehen. In etwa: Oh, heute ist ein toller Tag, mich selbstständig zu machen. Nein, das lag mir nicht.

Es wurde Sonntag und ich hatte erfreulicherweise keinen Albtraum gehabt. Innerlich seufzte ich und machte an meinem Schreibtisch weiter.

Am Montag dann hatte ich einen Termin bei meinem Finanzamt. Beratung. Eine gute Sache, wenn man einige Fehler bereits im Vorfeld verhindern möchte.

So ging der Vormittag rum und mittags merkte ich, dass mein Herz recht unruhig schlug. Es stolperte, wie ich das so laienhaft beschreiben muss. Ich war also wieder in Alarmbereitschaft.

Und je mehr ich in mich hineinhorchte, umso unregelmäßiger schlug es natürlich. Logisch, aber dennoch beängstigend.

Schließlich wurde mir das alles zu bunt und ich rief in der Klinik an.

„Overbrugg“, stellte ich mich schnell vor, als Gräfenthals Vorzimmer annahm.

„Oh, hallo, Frau Overbrugg.“

„Ich, äh, also es tut mir sehr leid, Frau Aschau, dass ich jetzt störe“, begann ich umständlich, „aber ich bin etwas unsicher wegen meines Rekorders.“

„Sie stören nicht“, lachte die Sekretärin mich durch den Hörer freundlich an. „Was ist denn mit dem Rekorder?“

„Na ja, also ich weiß nicht recht, ob ich ihn auslösen soll oder lieber nicht und ... ach.“

Sie hörte meine Resignation. Sie war eine sehr liebe und einfühlsame Frau, wie ich ja wusste, und deshalb machte sie kurzen Prozess.

„Ich stelle Sie durch. Ich denke, das ist besser.“

Und schon war ich in der Schleife.

„Gräfenthal. Was liegt denn an, Frau Overbrugg?“, hörte ich nach ein paar Sekunden auch schon freundlich.

„Tag, Dr. Gräfenthal. Ach, ich komme mir gerade etwas doof vor, wenn ich das mal so sagen darf.“

„Dürfen Sie“, lachte er leise, „sollten Sie aber nicht.“ Damit wurde er ernst. „Sie sind unsicher wegen des Implantats?“

„Ja.“ Dann erzählte ich ihm vom Wochenende und dass ich mal wieder unruhig war wegen dieses Stolperns, wie ich es nannte.

Er hörte sich alles in einer völligen Seelenruhe an und meinte dann: „Aktivieren Sie ihn. Dann kommen Sie gemütlich her und wir lesen ihn aus.“

„Es ist also ernst?“

Wieder lachte er leise. „Nein, ich denke nicht. Doch das ist die beste Methode, Ihnen die Unsicherheit zu nehmen.“

Gut ist der Mann, dachte ich nur und stimmte zu.

„Oh, und lassen Sie sich etwas Zeit, herzukommen, ich meine nach der Aktivierung, denn so ein bisschen Datenmaterial brauche ich.“

„Okay. Wann soll ich denn kommen?“

„Wenn Sie ihn jetzt aktivieren, nun“, hörte ich ihn laut nachdenken, „vielleicht so in einer Stunde.“

Ich nickte so vor mich hin. „Ist gut. Mache ich.“

„Okay. Dann bis gleich.“ Er legte auf.

Ich auch und nahm mir das Gerät, das den Rekorder aktivierte. Es funktionierte.

Dann trödelte ich ein wenig herum und spürte schon, dass ich ruhiger wurde, mein Herz auch nicht mehr so hüpfte und musste feststellen, dass die Strategie meines Docs aufging.

Schließlich fuhr ich los und kam mit einer Punktlandung von einer Stunde nach Aktivierung bei ihm an.

„Frau Overbrugg“, fing er fröhlich an, „wie geht es Ihnen?“

„Das werden Sie mir sicher gleich sagen.“ Ich erwiderte seinen Händedruck und musterte ihn verhalten.

Er strahlte gute Laune aus, hatte er wohl auch, denn er plauderte munter auf mich ein, bis wir den Untersuchungsraum erreicht hatten.

„So, hinlegen, bitte.“ Er deutete auf die Liege.

„Irgendwas ausziehen oder so?“, fragte ich an, denn schließlich wusste ich nicht so genau, was jetzt kam. Beim Test nach der Implantation war ich schließlich oben ohne gewesen. Vielleicht war ja Hautkontakt nötig.

Doch Gräfenthal lächelte mich blitzend an. „Sehr gern. Aber nicht notwendig.“

Äh, was?

Er lachte leise. „Einfach hinlegen. Reicht.“

Das machte ich auch und er legte mir das schwarze Kästchen auf den Rekorder, so, dass es nicht herunterfiel.

Dann widmete er sich seinem Computer.

Ich fand das recht interessant, denn ich spürte nichts, beim besten Willen nicht. Das allerdings hatte ich auch irgendwie erwartet, denn der Test war ja ähnlich verlaufen. Und Gräfenthal erhielt wohl alle Daten, die er brauchte. Denn nach einer kleinen Weile nahm er mir das Kästchen wieder von der Brust und druckte aus.

Das Ergebnis zeigte er mir dann in aller Ausführlichkeit. Ich setzte mich rittlings auf die Liege, um besser folgen und sehen zu können. Er erklärte, dass alles völlig normal sei, zeigte mir das in den entsprechenden Diagrammen und sah mich dann ernst an.

„Lösen Sie bitte den Rekorder aus, wann immer Ihnen danach ist. Besser einmal zu viel als einmal zu wenig.“

Ich nickte.

„Denn es nimmt Ihnen unter anderem auch die Unsicherheit. Das Gerät ist neu für Sie und da ist das durchaus verständlich.“

Ich nickte noch mal.

Seine Art gefiel mir. Er nahm mich ernst, wohl wissend, dass da nichts gewesen war. Nur meine Unerfahrenheit mit dem Gerät.

„Aber genau dafür haben Sie ihn ja. Und“, machte er mit einem Lächeln weiter, „denken Sie bitte nicht, Sie würden mich nerven.“

Gut, das war wohl eben über meine Stirn gelaufen. Ich lachte leise.

„Denn das tun Sie nicht.“ Er musterte mich gründlich. „Wirklich nicht.“

Ich erwiderte seinen Blick und sah ihm an, dass er es ausgesprochen ernst meinte. Also nickte ich. „Okay.“

Wir gingen gemeinsam wieder zu seinem Büro zurück und unterwegs erzählte er mir noch ein paar Details über den Rekorder. Ich bemerkte wieder einmal, dass er Technik wirklich mehr als mochte.

Na ja, bei den heutigen Möglichkeiten der Diagnostik ist das ja auch recht faszinierend.

Ich verabschiedete mich von ihm und machte mich ein wenig nachdenklich wieder auf den Weg nach Hause.

Er hatte es geschafft, mich zu beruhigen. Klasse Leistung, dachte ich glücklich. So einfach schafften das die wenigsten. Na ja, er war ja auch ... Was war er auch?, fragte ich mich schnell und drückte das weg.

Nächste Woche Fäden ziehen und meine Welt wäre wieder einigermaßen im Lot. Auch wenn ich den Rekorder durchaus kräftig spürte, doch das würde sich sicher legen in den kommenden Wochen.

Zu Hause wechselte ich das Pflaster auf der Narbe. Eigentlich hätte ich keines gebraucht, doch anderenfalls blieb ich mit dem Faden in meiner Kleidung hängen. Und so ein leichter Zug auf die kleine Narbe reichte schon aus, mich etwas blass werden zu lassen.

Und so kam die nächste Woche und ich fuhr zum Fädenziehen.

Gräfenthal begrüßte mich gutgelaunt und ging mit mir wieder einmal durch die halbe Klinik zur entsprechenden Abteilung.

„Na? Irgendwas gewesen?“, fragte er aufgeräumt nach.

Ich schüttelte den Kopf. „Nö, sonst hätten Sie mich schon gesehen.“

Er lachte leicht. „Na ja, vielleicht wollten Sie ja auch nur nicht.“

Na, wenn du dich da mal nicht täuschst!, dachte ich und wunderte mich über mich selbst.

Aber ich lachte ebenfalls leise. „Doch, glauben Sie mir, ich bin so unsicher mit dem Ding. Sie hätten mich in jedem Fall auf der Pelle gehabt.“

Sein Lachen wurde noch wärmer. „Gut. Sehr gut.“

Ich sah ihn schräg von der Seite an, doch er tat, als wäre nichts, bis wir ankamen.

„So, liebe Frau Overbrugg“, begann er mit einer einladenden Geste, „heute dürfen Sie sich dann mal freimachen.“

„Wie weit hätten Sie es denn gerne?“, fragte ich unschuldig.

„Das meinen Sie nicht.“ Er sah mich herausfordernd an. „Sie meinen: Wie weit brauche ich es denn zum Fädenziehen?“, korrigierte er mich schließlich mit einem verräterischen Funkeln in den Augen.

„Ja, das meinte ich natürlich.“ Ich zuckte noch nicht einmal.

Er war geübt in Provokation und Parieren. Genau mein Fall und es machte zunehmend mehr Spaß.

Eine Minute später zog er den einen Faden, es war kaum unangenehm, und ich zog mich wieder an.

Auf dem Weg zurück ging die Plänkelei natürlich weiter und ich merkte, als ich mich kurz darauf wieder in mein Auto setzte, dass ich so richtig gute Laune hatte.

Die Chemie zwischen meinem Doc und mir stimmte. Mehr als das. Na, wenn das nichts hatte.

Ich fuhr zufrieden nach Hause. Das Tagesgeschäft lief danach fast wie von selbst und am Abend gönnte ich mir auf meiner Terrasse ein Glas Wein und ging einigermaßen früh ins Bett.

Und auch die folgenden Tage vergingen beinahe wie im Flug. Ich organisierte mich. Ich versuchte, meinen neuen beruflichen Weg zumindest einigermaßen gut auf die Bahn zu bringen und hatte letztlich ein ganz gutes Gefühl dabei.

Gut genug, um kaum an meinen Rekorder zu denken. Na ja, wenn er nicht so gedrückt hätte, denn damit brachte er sich immer wieder gern in Erinnerung.

Die Narbe heilte ganz offensichtlich prima und ich beachtete das Drücken letztlich nur dann, wenn es etwas zu heftig wurde. Und gelegentlich wurde es das. Leider.

Und ich beachtete mein Implantat, als ich eines Nachts wieder einmal schweißgebadet aufwachte, mit einem Puls, der überaus hoch war. Noch dazu hatte ich deutliche Beklemmungsgefühle in der Brust.

Super, dachte ich schwer frustriert, das wird ja alles ganz spitze hier. Vielleicht noch ein kleiner Herzinfarkt gefällig, die Dame?

Ich stand auf, aktivierte meinen Rekorder und überlegte schon mal, was ich meinem Kardiologen am nächsten Tag erzählen wollte. Ach, Scheiße. Es war ja wirklich großartig, sich immer noch nicht richtig emotional regulieren zu können. Zumindest insoweit, dass mich alles nach wie vor bis in meinen Traum verfolgte. Ich war sauer.

Und genauso fuhr ich am nächsten Nachmittag wieder einmal in die Klinik. Ich war der festen Überzeugung, diesem Mann jetzt aber mal wirklich auf die Nerven zu gehen. Sollte er behaupten, was immer er wollte.

Gräfenthal kam breit strahlend auf mich zu und schüttelte mir zunächst ausführlich die Hand.

„Frau Overbrugg. Gut sehen Sie aus. Was liegt denn an?“ Er musterte mich dabei unverhohlen. „Sie haben Ihren Rekorder aktiviert, hieß es eben. Probleme? Und hinlegen, bitte.“

Ich zuckte genervt mit den Achseln. „Ja.“

„Ups, Sie haben ja gute Laune“, machte er fröhlich weiter und setzte auch seine Musterung fort, während er mir das Kästchen auf die Brust legte.

„Nein, habe ich nicht“, brummte ich ihn an.

Doch er lachte nur. „War ’n Scherz.“

Ich seufzte leise. Obwohl ich es nicht wollte, schmolz meine miese Laune recht schnell dahin. „’tschuldigung.“

Er sah mich interessiert an. „Wofür?“

„Ach.“ Ich sah resigniert zu ihm hoch. „Mir geht das furchtbar auf die Nerven.“

„Was genau?“ Sein Blick war ausgesprochen warm und verständnisvoll und ich begann mich zu entspannen.

„Ha. Es nervt mich, dass ich mich irgendwie immer noch nicht so richtig stabilisiert bekomme. Dass ich immer noch Albträume habe. Dass ich ...“ Und ohne, dass ich es so richtig merkte, erzählte ich ihm in Grundzügen, was mich bewegte.

Er hörte zu, sah so gut wie nicht auf seinen Computer und setzte sich anschließend am Fußende auf den Rand der Liege, auf der ich so nett lag.

Auch ich setzte mich auf und sah ihn frustriert an.

„So etwas, Frau Overbrugg, ist auch nicht von heute auf morgen reguliert“, erklärte er.

Ich nickte leicht. Das stimmte leider nur zu sehr.

Er strich mir kurz über den Arm. „Und Sie denken außerdem, Sie stehlen mir meine Zeit“, machte er dann anschließend leise weiter.

Ich nickte und schaute mir den Liegenbezug genauer an.

Dann spürte ich, dass er mir wieder vorsichtig seine Hand auf den Unterarm legte und sah hoch.

Sein Lächeln tat gut. „Solche Dinge arbeitet wirklich niemand mal so nebenbei ab. Das wissen Sie. Und zu Punkt zwei sollten Sie sich vielleicht einfach sagen, wenn Sie schon alles andere nicht hören wollen“, er lächelte jetzt wissend dabei, „dass das mein Job ist.“

Dann sah er mich einigermaßen herausfordernd an. Nun, Mädel, widerleg mich!

Ich musste lachen. „Danke!“

„Nicht dafür“, lachte er ebenso und erklärte mir dann zusammenfassend die eben ausgelesenen Daten. „Und streichen Sie bitte jetzt endgültig aus Ihrem Kopf, dass Sie mich nerven könnten“, kam noch einmal abschließend. „Ich tue das mehr als gerne.“

Er war bemerkenswert, denn ich kam wirklich gründlich runter von meiner Anspannung.

„Und wenn es wirklich mit dem Druck nicht geht“, er tastete noch einmal schnell den Rekorder unter meiner Haut ab, „dann nehmen wir ihn wieder raus.“

Nein, nehmen wir nicht, legte so ein kleines Eckchen in meiner Seele Veto ein. Denn dann hätte ich kaum einen Grund herzukommen. Huch, dachte ich, interessanter Gedanke.

4

Gräfenthal verabschiedete mich gründlich und stellte noch einmal sicher, dass ich nicht aus falscher Scheu den Rekorder in entsprechenden Situationen nicht aktivieren würde. Und vor allem, dass ich mich jederzeit melden würde, wenn etwas wäre.

Ja, das würde ich, denn ich wurde zunehmend ruhiger und weniger hektisch, was dieses Gerät unter meiner Haut betraf. Ich würde mich daran gewöhnen. Ich würde mich auch damit abfinden, dass es manchmal drückte.

Schließlich hatte ich ja auch ohne Probleme akzeptiert, dass das Implantat sehr gut sichtbar unter meiner Haut in meinem Dekolleté lag.

Ich grinste. Gräfenthal hatte erheblich größere Schwierigkeiten, das zu akzeptieren als ich. Na ja, er als Mann sah das wohl auch anders als ich. Ich war der Meinung, dass jemand, dem das nicht gefiel, doch bitte woanders hinschauen sollte.

Gemütlich fuhr ich wieder nach Hause und stellte wiederholt fest, dass ich ausgesprochen gute Laune hatte. Interessant, dachte ich auch zum wiederholten Mal. Irgendwas hat er wohl wirklich, das das bei mir bewirkt.

Mein Alltag nahm daraufhin relativ vernünftige Formen an. Ich schaffte es, den einen und anderen Kunden zu gewinnen. Ein gutes Gefühl, denn so nahm die Selbstständigkeit so langsam richtige Formen an und nicht nur theoretische.

Auch fand ich es bemerkenswert, dass sich zwei Kunden meines ehemaligen Büros meldeten und von mir betreut werden wollten. Ärger konnte das allerdings hinsichtlich einer Wettbewerbseinrede geben und das wollte ich ganz sicher nicht. Doch beide Kunden hatten bereits klargestellt, dass das keine Einrede wäre, denn wenn ich sie nicht betreute, mein ehemaliges Büro täte es erst recht nicht.

Gut, grenzwertig war das schon, doch mein Ex-Chef hatte den Wink wohl verstanden. Erstaunlich eigentlich, dass er überhaupt mal etwas verstanden hat, dachte ich hämisch.

Also nahmen wir die entsprechenden Floskeln in den Vertrag und anschließend die Arbeit auf. Es war ein gutes, befriedigendes Gefühl, wieder vernünftig und konzentriert arbeiten zu können. Ohne ständig auf der Lauer zu liegen, welcher „Kollege“ denn mal wieder eine kleine Profilneurose hatte und meinte, sich besserstellen zu können durch simple Arschkriecherei. Entschuldigung, aber mehr war es manchmal wirklich nicht gewesen.

Sein eigener Herr zu sein war sicherlich nicht einfach. Jedoch, was das alles anbelangte, zumindest gradliniger.

Ich arbeitete also richtig nett vertieft, als eines Morgens mein Handy klingelte. Nummer bekannt: Gräfenthals Vorzimmer.

„Oh, guten Morgen, Frau Aschau“, nahm ich fröhlich an. „Wie geht es Ihnen?“

„Prima. Danke. Morgen, Frau Overbrugg. Kann ich Sie durchstellen?“

Äh, ja, wieso denn nicht?, dachte ich, wusste nur nicht wieso. „Klar, machen Sie mal.“

Was wollte denn Gräfenthal im Moment von mir? Ich hatte keinen Bedarf angemeldet, ausgelesen zu werden. Beschwerden hatte ich auch nicht. Also, was drückte denn den Herrn Chefkardiologen?

Ich sollte es schnell erfahren.

„Guten Morgen, Dr. Gräfenthal“, begann ich also, als ich hörte, dass die Leitung frei wurde.

„Guten Morgen, Frau Overbrugg“, bekam ich freundlich zurück. „Wie schaut es denn aus bei Ihnen?“

„Ja, danke, so weit ganz nett. Was kann ich denn Schönes für Sie tun?“

Mein Gegenüber lachte leise. „Ich dachte eher, etwas für Sie tun zu können.“

„Ach ja?“

„Ja, denn mich wundert, dass Sie sich so gar nicht melden.“

Ich grinste vor mich hin. „Und das heißt?“

„Nun“, machte er einen vollkommen bedächtigen Anfang, „dass Sie entweder viel zu gesund sind, um weiter meine Patientin zu sein, oder aber“, Pause, „dass Sie sich einfach nicht mehr melden, weil Sie aus bekannten Gründen meinen, Sie würden meine Zeit überstrapazieren.“

Ich lachte leise, aber vernehmlich. „Denken Sie?“

„Ja, denke ich. Eines von beiden muss es sein.“

Ich lehnte mich entspannt zurück und dachte nur, wie anregend doch manch ein Telefonat sein kann.

„Worauf tippen Sie denn?“, provozierte ich ihn.

„Nun, ich tippe auf Alternative zwei. Und aus dem Grunde“, machte er eine hörbare und fühlbare Pause, „wünsche ich Sie am Mittwoch gegen halb drei hier zu sehen.“

Moment mal! Was?

„Entschuldigung, ich habe Sie vermutlich nicht recht verstanden“, versuchte ich ruhig.

„Doch, haben Sie“, parierte er frech. „Ich wünsche Sie am Mittwoch gegen halb drei hier zu sehen.“

Oookay. Was nun?

„Am Mittwoch, tut mir furchtbar leid, kann ich nicht“, bekam er deshalb. Wer war ich denn, zu springen, wenn er rief?

„Na gut, dann Donnerstag.“ Er schien nicht irgendwie irritiert oder überhaupt erschütterbar zu sein.

„Donnerstag“, konstatierte ich schnell und tat so, als würde ich überaus intensiv nachdenken. „Ja, Donnerstag könnte klappen.“

„Prima. Wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und bis Donnerstag dann“, hörte ich auch nur, schaute mein Handy einigermaßen verblüfft an und legte letztlich auf.

Was war das denn gewesen? Hatte ich mich eben quasi zwangsweise in die Klinik zitieren lassen? Ja, es schien so.

Und wieso eigentlich? Ich hatte nichts, demzufolge meinen kleinen Tyrannen auch nicht aktiviert, also, was sollte das Ganze?

Ich beschloss, einfach mal abzuwarten und Gräfenthal im wahrsten Sinne auf mich zukommen zu lassen.

Das tat ich auch. Es wurde Donnerstagnachmittag und ich machte mich auf den Weg zur Klinik. Pünktlich kam ich dort an und begrüßte zunächst einmal Frau Aschau.

„Na?“, fragte ich sie auch direkt. „Alles okay bei Ihnen?“

Sie nickte und drückte mich wie oft kurz an sich. Es war ein gutes Gefühl.

„Ja klar. Der übliche Stress halt, die verschieben eine Sitzung nach der anderen, doch das wirft mich nicht um.“ Sie strahlte mich an. Ja, das war klar. Etwas, das sie umwarf, musste vermutlich erst noch erfunden werden. Außerdem war sie eine Seele von Mensch und ich mochte sie wirklich sehr.

„Was will er denn eigentlich von mir?“, fragte ich sie.

Sie musterte mich und grinste überaus wissend.

„Ich weiß es nicht. Er hat nur gesagt, dass es sehr merkwürdig sei, dass Sie sich nicht melden, und er demzufolge mal nachhaken müsse.“

„Aha.“

Sie grinste noch breiter. „Na ja, er macht sich halt Sorgen.“

„Sorgen?“

Ich sah sie zweifelnd an und ihr Grinsen sprengte beinahe ihre Gesichtszüge.

„Weil ich mich nicht melde? Nun, eigentlich heißt das, dass es mir gutgeht. Also ehrlich, das hat noch keinen Arzt erschüttert, wenn es seiner Patientin gut geht.“

Ich betrachtete sie aufmerksam, doch sie zog es vor, vor sich hin zu lachen und mich nicht weiter einzuweihen. Gut, sollte sie. Ich resignierte ein wenig und gab auf.

„Wo soll ich denn hin?“, fragte ich sie anschließend.

Sie nahm sich auch zurück und erklärte mir den schon bekannten Weg in die Analytik-Abteilung.

Ich trottete also dorthin, setzte mich auf einen Stuhl und wartete. Nicht lange allerdings, denn eine MTA kam zu mir.

„War er schon bei Ihnen?“

Er. Ich lachte wieder einmal innerlich.

„Äh, nein, Dr. Gräfenthal war noch nicht hier. Doch er wird sicher gleich ...“

Sie schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab. „Oh, wenn dieser Mann doch nur einmal da sein könnte, wo er auch sein soll ...“ Und sie ging leise schimpfend weiter in eines der angrenzenden Zimmer.

Aha, interessant, dachte ich nur. Doch irgendwie passte das zu seinem Temperament. Nie da, wo erwartet. Ich lachte leise.

Nun, mal schauen, was das heute so werden sollte. Und wieso war ich eigentlich in der Analytik?, fragte ich mich still. Sein Büro hätte an und für sich gereicht. Nun, egal.

Ich machte es mir auf meinem Stuhl weiter bequem.

Das allerdings wieder nicht allzu lange, denn Dr. Gräfenthal kam nach kurzer Zeit mit wehendem Kittel um die Kurve geflogen und strahlte mich auch schon an.

„Frau Overbrugg“, begann er erfreut, „schön, dass Sie kommen konnten. Alles okay?“, und schüttelte begeistert meine Hand.

Ich musterte ihn amüsiert, denn bei mir war schließlich so weit alles okay. Und weshalb er mich angefordert hatte, war mir immer noch ein Rätsel.

„Jaaa“, sagte ich langsam und vertraute darauf, dass er meine Hand irgendwann mal wieder loslassen würde.

Doch er schien vorerst nicht einen Gedanken daran zu verschwenden. Gut, dann eben nicht. „Also, Sie haben sich ja nicht“, und damit schob er mich letztlich doch in den Untersuchungsraum, „gemeldet.“ Ein gründlicher Blick. „Wieso eigentlich nicht?“

„Äh, also, wenn ich ehrlich sein soll ...“

„Ja“, unterbrach er mich, „sollen Sie.“

„Also, wenn ich ehrlich sein soll“, fing ich mit einem schrägen Seitenblick noch einmal an, „weil da nichts war, weshalb ich mich hätte melden sollen.“

„Wie, nichts?“ Er studierte mein Gesicht und ich hatte beinahe den Eindruck, er konnte nicht glauben, was er hörte. „Ja nun, also ich meine, was soll ich Ihnen denn melden, wenn ich doch keine Unregelmäßigkeiten, kein Stolpern und kein sonstiges Etwas habe?“

Sein Blick wurde noch intensiver. Ganz offensichtlich hatte er das so nicht erwartet.

„Nichts?“

„Nichts.“

„Gar nichts?“

„Nein, wirklich gar nichts.“

„So überhaupt nichts?“

„Nein, tut mir leid, so überhaupt nichts.“ Ich zuckte bedauernd mit einer Schulter und amüsierte mich innerlich.

„Also, so überhaupt gar nichts?“ Seine Augenbrauen hatten so langsam den Haaransatz erreicht.

Ich musste lachen. Er klang ein kleines bisschen frustriert. Ja, eine Patientin, die so nichts hatte, war wohl auch schwer für einen leidenschaftlichen Arzt.

„Nein, sorry, wirklich so überhaupt gar nichts.“

„Hm.“ Er wandte sich ab.

„Sie wirken enttäuscht“, versuchte ich.

Das brachte ihn dazu, sich mir wieder zuzuwenden. Er sah mich nachdrücklich an. „Nein, da vertun Sie sich. Ich bin“, machte er leise weiter, „eigentlich sehr zufrieden, wenn Sie nichts haben. Denn schließlich heißt das, dass Sie sich wohl so langsam ganz gut selbst regulieren können. Und vermutlich wirklich nichts Organisches vorliegt.“

Dann verklärte sich sein Blick ein wenig. „Doch andererseits hieße das auch ...“

„Ja?“ Ich sah ihn interessiert an.

„Nun“, setzte er seinen Satz langsam fort, „dass, ähm, dass ich Ihre Untersuchungsintervalle hochsetzen muss.“

Dann war er wieder ganz der Profi.

„Ich meine, dass es dann ausreicht, wenn Sie alle sechs Monate ausgelesen werden.“ Noch ein aufmerksamer Blick. „Vorausgesetzt, es fällt nichts vor und Sie aktivieren den Rekorder.“

Oh, dachte ich, das hättest du wohl gerne. Hm, ich eigentlich auch, gab ich mir selbst zu. Sechs Monate wären schon eine ganz schön lange Zeit.

Ich lächelte ihn einfach nur an mit einem kleinen bisschen Bedauern und stimmte ihm zu. „Solange nichts vorfällt, da haben Sie recht.“

Die Anziehung zwischen ihm und mir war jetzt nun mal wirklich nicht mehr zu leugnen, außer man war völlig blind und taub. Doch, nun ja, was auch immer das werden sollte. Falls es überhaupt etwas werden sollte.

Ich gab mir Mühe, mich einigermaßen ruhig von ihm zu verabschieden und vor allem zu ignorieren, dass er in meine Augen eintauchte, und machte mich sehr nachdenklich auf den Weg zum Parkplatz. Mein Auto war schnell gefunden und schwer gedankenverloren fuhr ich nach Hause.

Nun, zwei Menschen zogen sich nun einmal gelegentlich sehr stark an. So auch hier. Doch ich kannte ja noch nicht einmal seinen Hintergrund. Also, außer im medizinischen Bereich, doch der spielte bei solchen Betrachtungen keine Rolle.

Oh, dachte ich, Ricarda, du hast ein wenig Arbeit vor dir, wenn dich dein Kardiologe nicht aus der Bahn werfen soll. Und aus der Bahn warst du eigentlich schon gründlich vor nicht allzu langer Zeit. Eine Wiederholung, und die dann auch noch privat, wäre jetzt richtig schlecht, emotional gesehen.

Ich seufzte leise und schob das Thema „Gräfenthal“ erst einmal von mir.

Auf dem Weg nach Hause begleitete mich mein Chefarzt aber dennoch und ich war schließlich der Ansicht, dass es eigentlich nicht allzu viel Sinn machte, mir den Kopf zu zerbrechen, was er denn womöglich beabsichtigte. Vermutlich gar nichts und dann wäre die ganze Grübelei sowieso umsonst.

5

Also verliefen die nächsten Wochen einigermaßen normal. Ich hatte Kunden, die bearbeitet werden mussten. Ich hatte private Kontakte, die gepflegt werden, und Freunde, die gehört werden wollten.

Und ich stellte fest, dass ich einen Chefkardiologen hatte, der nicht ignoriert werden wollte.

Denn mein Handy klingelte wieder einmal und ich war erstaunt, Frau Aschau in der Leitung zu haben.

„Hallo, Frau Overbrugg“, begann sie freundlich, „wie schaut es aus bei Ihnen?“

„Och, danke, Frau Aschau, ganz prima eigentlich. Und bei Ihnen?“

„Ja, alles okay“, gab sie fröhlich zurück. „Frau Overbrugg, äh, könnten Sie nächste Woche vorbeikommen, bitte?“

Ich konnte ein großes Fragezeichen in ihrer Stimme hören. Also wartete ich kurz.

„Ähm, wieso? Also, ich meine, sicher kann ich das einrichten. Doch wieso?“

„Nun“, machte sie ein wenig umständlich weiter, „also, weil er gesagt hat, er müsse Sie sehen.“

Das Schweigen, das sie jetzt in den Raum stellte, war greifbar. Sie wusste offenbar ebenso wenig wie ich, weshalb mich Gräfenthal einbestellte.

Innerlich begann ich allerdings, so richtig breit zu grinsen, denn mir kam das mit Sicherheit entgegen. Nicht, dass ich bereits massive Sehnsucht entwickelt hätte, doch so ein wenig Kardiologe täte mir schon ganz gut. Das war zumindest meine Selbsteinschätzung. Und die lag so gut wie nie verkehrt.

„Er muss mich sehen“, wiederholte ich also sehr, sehr langsam.

„Ja, sagt er“, druckste sie so ein wenig herum. Gar nicht ihre Art, denn normalerweise war sie eine außerordentlich taffe Frau. Das musste sie bei solch einem Chef vermutlich auch sein. Doch es war ihr offensichtlich unangenehm, mir keinen konkreten Grund nennen zu können.

„M-hm“, machte ich dann. „Na gut, soll er seinen Willen bekommen.“ Ich tat als gäbe ich nach. „Wann will er denn?“

Sie atmete auf. Interessant, dachte ich nur schnell, dann kam auch schon: „Donnerstag, so gegen drei?“

„Donnerstag?“ Sie konnte meine Ablehnung hören und auch spüren.

„Ginge es eventuell auch am Mittwoch?“, legte ich anschließend nach. „Nächste Woche Donnerstag ist nicht so gut bei mir.“ Das stimmte zwar nicht so ganz, doch wieso direkt zusagen, wenn auch etwas Verhandlung möglich war?

Sie prüfte seinen Kalender, wie ich merkte, denn ich hörte zunächst erst einmal nichts. Dann aber.

„Ja, Mittwoch ginge auch, aber eher halb drei. Okay für Sie?“

„Okay für mich“, nickte ich großzügig ab.

Wir tauschten noch ein paar Sätze aus, dann musste sie auch schon wieder zurück an ihre Arbeit und ich an meine. Doch so ein kleines Grinsen blieb in meinem Gesicht zurück.

Soso, er forderte mich also ohne ersichtlichen Grund an. Mal schauen, wie er das am kommenden Mittwoch erklären würde. Mir kam das recht, denn so ein unerwarteter Kardiologenbesuch, na ja, das würde sicher ganz anregend.

In jedem Fall merkte ich, dass sich meine sowieso schon ganz gute Laune um locker tausend Prozent gesteigert hatte. Der Mann hat einen positiven Einfluss auf mich, stellte ich innerlich fest. Und das nicht zum ersten Mal.

Die nächsten Tage gingen dahin mit viel Arbeit, denn es ließ sich wirklich ausgesprochen gut an mit meiner Selbstständigkeit und ich dachte so langsam darüber nach, mir eine Assistentin einzustellen. Das würde alles etwas entzerren und ich könnte mich ausschließlich auf meinen Bereich konzentrieren.

Es wurde Mittwoch und ich bemerkte schon beim Aufstehen eine gewisse Vorfreude. Ricarda, Ricarda!, dachte ich dazu nur amüsiert. Vorfreude empfindet vermutlich außer dir niemand, wenn er ins Krankenhaus soll.

Na ja, dachte ich aber auch sehr schnell, es hat ja auch nicht jeder einen derart interessanten und anregenden Arzt.

Rechtzeitig fuhr ich dann also schließlich los und schlug pünktlich um kurz vor halb drei bei Frau Aschau im Vorzimmer auf.

Die freute sich wie immer mich zu sehen und meinte nach einem kurzen Austausch: „Sie gehen schon mal zur Analytik, bitte? Er kommt dann gleich nach.“

Ich lachte leise. Das Prozedere kannte ich schließlich. Doch ich wusste immer noch nicht, wieso er mich einbestellt hatte. Mit einem kleinen Seufzer ging ich also dorthin, wo er mich haben wollte, setzte mich bequem auf einen Stuhl und wartete.

Allerdings auch an dem Nachmittag nicht allzu lange, denn es dauerte nur kurz, bis Gräfenthal mit wehendem Kittel um die Ecke bog.

Ich lachte deutlich, denn ich bekam so langsam den Eindruck, dass es ihn immer nur in voller Bewegung gab. Allein die Tatsache, mir vorzustellen, dass sein Kittel einmal schlapp einfach an ihm herunterhängen würde, hm, absurd. Allerdings war er ja auch nicht immer in vollem Gang und dann ...

Doch weiter kam ich mit meinen Überlegungen nicht, denn er stand vor mir und schüttelte mir die Hand.

„Frau Overbrugg“, freute er sich sichtlich, „schön, dass Sie es einrichten konnten!“

„Ach, Dr. Gräfenthal.“ Ich schenkte ihm ein ganz besonders vielversprechendes Lächeln. „Ihr Wunsch ist mir doch Befehl.“

„Ach, wirklich?“ Er blitzte mich vielsagend an. „Ich denke, darauf werde ich zurückkommen.“ Damit drehte er sich mit süffisantem Lächeln um und ging in den Untersuchungsraum. Natürlich in der Annahme, ich würde ihm folgen.

Und das tat ich selbstverständlich auch, sah ihn herausfordernd an und setzte mich auf die Liege. „Nun?“

„Nun, was?“, fragte er auch nur zurück und musterte mich dabei.

„Nun“, meinte ich und legte meinen Kopf ein wenig schief. „Was verschafft mir die Ehre, herbestellt zu werden? Aktiviert habe ich nichts.“

„Und ansonsten?“

Ich sah ihn irritiert an, doch er lächelte nur ansatzweise.

„Ansonsten?“, erwiderte ich mit Fragezeichen in den Augen.

Er lachte leise. „Ansonsten heißt: Haben Sie ansonsten andere Beschwerden? Irgendwas, das ich vielleicht besser wissen sollte?“

Ich erwiderte sein Lachen. „Nein, habe ich nicht. Ich hätte mich doch sonst gemeldet.“

„Sicher?“ Seine Augen funkelten mich an.

Ich nickte einigermaßen ernst. „Ja, natürlich.“

„Na, dann ist es ja gut.“ Er wurde nach einem kleinen Augenzwinkern komplett ernst. „Frau Overbrugg, weshalb ich Sie einbestellt habe, ist, dass ich ganz gern mal einen Ultraschall machen möchte.“ Er betrachtete mich aufmerksam. „Der letzte ist“, er sah in seine Akte, „bei Ihrem stationären Aufenthalt gemacht worden.“

„Ja, stimmt.“ Und das war eine Weile her.

„Freimachen, bitte“, bekam ich als freundliche Anordnung und folgte. Schließlich lag ich dort und er bereitete seine Technik vor.

Einmal saukaltes Ultraschall-Gel auf die Brust und ich prustete auch nur leicht. „Ah, bis eben mochte ich Sie noch!“ Ich sah ihn schräg an, doch er lachte lediglich leise. Und irgendwie wissend.

Ich ignorierte das, beobachtete ihn bei seiner Untersuchung indes überaus genau. Eigentlich schon unhöflich deutlich. Doch störte mich das? Nein. Und ihn offenbar auch nicht.

„Wenn Sie Gold finden“, sagte ich leise, „teilen wir.“

Sein Lachen war herrlich warm. „Das suche ich eigentlich gar nicht.“

„Gut. Was immer Sie suchen, was finden Sie denn?“ Ich sah ihn interessiert an.

Er erwiderte meinen Blick und beendete seine Untersuchung. „Nichts. Und das wollte ich ja auch.“

Ich erwartete, dass er mir ein paar Tücher gab, um das Gel abzuwischen, denn das kannte ich so, doch nichts da. Er tupfte alles selbst ab. Und dass mir dabei doch warm wurde, konnte man mir jetzt beim besten Willen nicht vorwerfen.

Doch Gräfenthal zeigte keine Regung, während er mich vom Gel befreite, sondern meinte anschließend nur: „Sie können sich jetzt wieder anziehen.“ Dabei drehte er sich weg von mir.

Was genau wurde das hier eigentlich?, fragte ich mich so leise innerlich. Die Atmosphäre zwischen ihm und mir war durchaus knisternd, ja, okay. Das stimmte. Sehr sogar.

Und dass zwischen uns zweifellos starke Anziehungskräfte wirkten, ja, ebenso okay. Und sehr schön, wie ich mir wieder einmal eingestand. Doch diese Gedanken brachten mich erst einmal nicht weiter.

Also zog ich mich langsam und nachdenklich wieder an und machte mich mit ihm auf den Weg zu seinem Büro. Er hatte angekündigt, den Arztbrief noch schnell schreiben zu wollen. Gut.

„Was interessiert Sie eigentlich immer so am Samstagmorgen, wo ich bin?“, fragte ich ihn quasi nebenbei, als ich mit ihm zu seinem Büro ging. Interessanterweise wirkte er gar nicht mal allzu eilig.

Er sah mich schräg an. „Mich?“

„Jaaa“, machte ich langsam, nahm den Blick von ihm und sah angelegentlich geradeaus. „Sie überprüfen mich, ich wusste es ja immer schon.“

„Oh“, meinte er leise, wartete einen Moment und sah mich dann ausgesprochen kurz von der Seite an. „Sie merken das?“

Ich tat harmlos. „Ja, merke ich.“

„Hm, das ist nicht gut. Das muss ich ändern.“ Er sah stur geradeaus.