Ahed Tamimi - Manal Tamimi - E-Book

Ahed Tamimi E-Book

Manal Tamimi

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Beschreibung

Ahed Tamimi wurde durch eine Ohrfeige zum neuen Symbol des palästinensischen Widerstands. Das Video, auf dem sie sich gegen den voll bewaffneten, israelischen Soldaten in der Einfahrt ihres Hauses wehrt, ging um die Welt. Dieses Buch ist Zeugnis des anhaltenden Widerstands von Ahed, ihrer Familie und ihres Dorfes in einem ungleichen Kampf. Sie haben nicht die Freiheit der Wahl, ob sie gegen die Besatzung des israelischen Staates ankämpfen sollen oder nicht. Sie müssen, um ein Leben in Würde zu führen. Die deutsche Übersetzung beinhaltet alle Texte der englischen Originalausgabe - geschrieben u.a. von Aheds Tante Manal Tamimi. Zudem wurde das Buch im Anhang um einen weiteren Text ergänzt. Dieser Text von Sozialist*innen aus Israel und Palästina ist ein Beitrag zur Diskussion um die richtige Strategie im Kampf gegen die nationale Unterdrückung der Palästinenser*innen.

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung des Manifest Verlags

Geburtstag vor Gericht

Vorwort des schwedischen Verlags

Danksagungen

KAPITEL 1

Ahed Tamimi

KAPITEL 2

Eine Ohrfeige mit historischen Wurzeln

Timeline

KAPITEL 3

Die Kriminalisierung palästinensischer Kinder

KAPITEL 4

Frauen und der Kampf um die Befreiung Palästinas

Israel/Palästina: Die marxistische Linke, der nationale Konflikt und der palästinensische Kampf

Impressum

Liebe Leser*innen,

im September 2019 trennten sich auf einer Sonderkonferenz der Sozialistischen Alternative – SAV die Wege von zwei Fraktionen nach eine neunmonatigen Debatte. Daraus sind zwei Organisationen entstanden – die neue SAV und die Sol – Sozialistische Organisation Solidarität. Die Sol führt den Manifest Verlag fort sowie die Monatszeitung „Solidarität“. Wir vertreiben den bestehenden Bücherbestand, in dem in Vorworten und Texten Bezug auf die SAV genommen und werden dies erst in Neuauflagen ändern können. Wir hoffen, dass dadurch nicht allzu viel Verwirrung entsteht, bauen aber auf das Verständnis der Leser*innen unserer Veröffentlichungen. Wenn Ihr Fragen zur Sol habt, könnt Ihr uns gern unter [email protected] kontaktieren oder auf unsere Website www.solidaritaet.info schauen oder uns in den sozialen Medien folgen, wo wir regelmäßig aktuelle Artikel veröffentlichen und über unsere Arbeit berichten.

Vorbemerkung des Manifest Verlags

Der Kampf gegen jedwede Ausbeutung und Unterdrückung ist ein internationaler Kampf. Auf der ganzen Welt herrscht ein System, welches auf Kosten der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung die Privilegien und Profite einer kleinen Minderheit sichert. Also findet dagegen auch weltweit Widerstand statt. Es ist wichtig, diesen Widerstand zu organisieren und zu verbinden – einerseits um die verschiedenen Kämpfe zu stärken, andererseits um sich der gemeinsamen Interessen bewusst zu werden und ein politisches Programm für eine Welt jenseits von Ausbeutung, Unterdrückung und Kapitalismus zu erarbeiten. Denn dieses System kann nicht anders als immer wieder in eine Sackgasse zu führen. Ein tragisches Beispiel dafür ist der nationale Konflikt in Israel und Palästina. Besonders wegen seiner langen Geschichte, aber auch wegen des krassen Grades an Gewalt, Leid und Angst, den dieser Konflikt tagtäglich reproduziert. Die vorliegenden Texte zeigen das in aller Deutlichkeit.

Der Manifest Verlag freut sich außerordentlich, das hier vorliegende Buch über Ahed Tamimi in deutscher Sprache zugänglich zu machen. Denn es ist vor allem auch ein Zeugnis des Widerstands in einem ungleichen Kampf. Ahed Tamimi und ihre Familie – das wird in diesem Buch deutlich – haben nicht die Freiheit der Wahl, ob sie gegen die Besatzung des israelischen Staates ankämpfen sollen oder nicht. Sie müssen, um ein Leben in Würde zu führen.

Dieses Buch verdeutlicht die Realität eines Lebens unter Besatzung. Es zeigt, was die nationale Unterdrückung konkret für die Menschen in Palästina heißt. Der Mut von Ahed Tamimi, sich als 16-jährige Schülerin gegen einen mit Sturmgewehr bewaffneten Soldaten einer Besatzerarmee zu wehren – in vollem Wissen, dass das tödliche Konsequenzen nach sich ziehen kann – ist vor diesem Hintergrund beeindruckend und inspirierend. Das Video, das diesen Vorfall dokumentierte, ging um die Welt und weckte international die Solidarität von Millionen Menschen. So auch die von Christer Bergström, der im Vorwort des schwedischen Verlags Vaktel Förlag, auf Idee und Entstehung dieses Buches genauer eingeht.

Die deutsche Übersetzung beinhaltet alle Texte der englischen Originalausgabe. Auf diese und die Autor*innen geht Bergström in seinem Vorwort ein.

Zudem wurde das Buch im Anhang um einen weiteren Text ergänzt – deswegen dazu noch ein paar erklärende Sätze. Dieser Text stammt von Maavak Sozialisti / Nidal Eshtaraki (Sozialistischer Kampf). Wie die SAV – Sozialistische Alternative in Deutschland ist Maavak Sozialisti / Nidal Eshtaraki in Israel/Palästina eine Sektion des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI), einer internationalen marxistischen Organisation. Mit der Veröffentlichung dieses Textes wollen wir einen Beitrag zur Diskussion um die richtige Strategie im Kampf gegen die nationale Unterdrückung der Palästinenser*innen leisten – eine Frage, die in diesem Buch nicht erschöpfend behandelt wird. Manal Tamimi schreibt richtigerweise in ihrem Text über die Rolle von Frauen im Widerstand, dass „unsere nationale Befreiung die umfassenderen Probleme Armut, ungerechte Verteilung des Reichtums und des Fehlens von sozialer Gerechtigkeit lösen [muss.]“ Das CWI ist der Meinung, dass weltweit die Arbeiterklasse die gesellschaftliche Kraft ist, die letztendlich diese soziale Befreiung umsetzen kann. Denn sie ist überall die Kraft, die den Reichtum der Gesellschaft und die Profite der herrschenden Klasse erarbeitet. Keine Nation könnte ohne ihr Tun überleben, ohne sie funktioniert keine Industrie, kein Handel, kein Transportwesen, keine Gesundheitsversorgung oder Bildungssystem. Sie hat die Kraft und auch ein objektives Interesse daran, eine Alternative im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung zu erkämpfen. Das gilt für Israel und Palästina. Maavak Sozialisti / Nidal Eshtaraki vertritt deshalb einen Klassenansatz, das heißt auf beiden Seiten eine scharfe Trennung zwischen den Interessen der arbeitenden und der herrschenden Klasse zu machen und die gemeinsamen Interessen der Arbeitenden und Armen auf beiden Seiten der nationalen Spaltungslinie zur Geltung zu bringen. Das ist aus unserer Sicht auch die beste Herangehensweise, um der nationalen Unterdrückung der Palästinenser*innen ein Ende zu bereiten. Marxist*innen verteidigen das Recht auf Selbstbestimmung der Palästinenser*innen auf einen eigenen Staat frei von Einmischung und Unterdrückung durch die herrschende Klasse Israels. Sie sind solidarisch mit dem legitimen Widerstand des palästinensischen Volkes und machen Vorschläge, wie dieser auf der Basis von Massenmobilisierungen und demokratischen Strukturen geführt und mit dem Ziel verbunden werden kann, auch die materiellen Lebensverhältnisse der Palästinenser*innen nachhaltig zu verbessern. Aus unserer Sicht ist es eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des Widerstands, die israelisch-jüdische Arbeiterklasse zu erreichen und die in ihr vorhandene Unterstützung für die reaktionäre Besatzungspolitik aufzubrechen.

Dazu müssen auch auch die Sorgen und Existenzängste in der israelischen Arbeiterklasse anerkannt werden, die durch diesen Konflikt geschaffen wurden – insbesondere durch die nationalistische Rhetorik und Kriegspolitik ihrer Regierungen. Der Kapitalismus bietet weder für die Massen in Israel noch in den Palästinensergebieten eine Perspektive für ein Leben in Frieden, materiellem Wohlstand und Würde. Deshalb vertritt Maavak Sozialisti / Nidal Eshtaraki eine sozialistische Perspektive und schlägt als Alternative zu Besatzung und Unterdrückung eine sozialistische Zwei-Staaten-Lösung im Interesse der Arbeiter*innen und Unterdrückten beider Seiten vor, die die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben beider Völker legen kann, aber auch das gegenwärtige Bewusstsein beider Gruppen in Betracht zieht. Nur auf der Grundlage einer Gesellschaft, welche durch die arbeitende Bevölkerung demokratisch nach den Bedürfnissen der Mehrheit organisiert wird, in der es keine Motive für Kriege und nationale Unterdrückung gibt und in der das Recht auf Selbstbestimmung aller nationalen Gruppen gilt – nur auf dieser Grundlage kann zwischen den verschiedenen nationalen und ethnischen Gruppen ein friedliches und gutes Leben für alle organisiert werden.

Dafür ist Maavak Sozialisti / Nidal Eshtaraki aktiv in verschiedenen sozialen und politischen Bewegungen und versucht diesen Ansatz in die Praxis umzusetzen. Ein Bericht ihrer letzten Sozialismus-Konferenz (2018) ist in deutscher Sprache auf www.sozialismus.info veröffentlicht worden.1 Alle, die diese Ideen von Maavak Sozialisti / Nidal Eshtaraki, der SAV bzw. des CWI teilen und mit uns gemeinsam für eine sozialistische Welt kämpfen wollen, möchten wir einladen uns zu kontaktieren und mit uns aktiv zu werden.

Berlin, 12.02.2019

Tom Hoffmann

https://www.sozialismus.info/2018/11/sozialismus-konferenz-2018-in-israelpalaestina/↩

Geburtstag vor Gericht

Ein Brief von Bassem Tamimi an seine Tochter Ahed anlässlich ihres 17. Geburtstages. 31. Januar 2018.

An meine Tochter Ahed,

Ich musste mich in dein Bett legen, um dir in einem Moment wie diesem schreiben zu können. Denn als ich gerade meinen Kopf auf dein kleines Kissen legte, hast du meine Seele wieder aufgeladen. Sie war bis zum Rand mit Dankbarkeit gefüllt – in Erinnerung an deine Größe. Wie sollte mein Mut auch nicht zu mir zurückkehren, wo du doch diejenige warst, die die Welt in einen Sturm, in einen Hurrikan verwandelt hat?

Mein mutiges, schönes, schüchternes und kühnes, kleines Mädchen - der Sieg steht dir so wie die Freude deinem Gesicht steht. Meine Tochter, es tut mir so leid, dass ich dich nicht vor der Abscheulichkeit der Besatzung beschützen konnte. Es tut mir leid, dass ich die Orangen von Jaffa traurig und ungeschält zurückließ, sie sehnen nach deiner Berührung. Du bist jetzt von Eisenstangen umgeben, an einem Ort, an dem die Zeit schal ist und Freiheit und Liebe nicht existieren. Doch in dieser Zelle liegt meine Hoffnung auf eine bessere Zukunft und die Gewissheit, dass wir sie erreichen werden. Du, mein Hoffnungsschimmer, bist in einem Gefängnis eingesperrt, das auf den Ruinen von Umm Khalid1 gebaut wurde, nahe des Ufers unseres Meeres. Dasselbe Umm Khalid, das der ethnischen Säuberung jener Armee zum Opfer fiel, die du geohrfeigt hast.

Ahed, deine Zelle liegt auf halbem Weg nach Haifa, auf dem Weg, auf dem wir eines Tages zurückkehren werden. Dort stelle ich mir vor, wie wir wieder vereint sind, der Klang meiner Stimme, die hinter den Wänden schwingt – Ahed… Ahed… Ahed… Meine Tochter, die Saiten meiner Seele. Möge jedes Jahr erblicken, wie du mit der Wahrheit, die du in dir hast, heller strahlst. Möge dich jedes Jahr stärker, fröhlicher und so standhaft wie die Felsen machen, die die Wut von Ozeanen zurückhalten.

Alles Gute zum Geburtstag - Wenn Eltern die Geburtstagsfeiern ihrer Kinder organisieren, versuchen wir, sie besonders und unvergesslich zu machen - würdig eines wunderbaren Anlasses. Uns Eltern bringen diese Tage immer eine weiche und anmutige Freude in unser Herz.

Heute ist dein Geburtstag, aber ich bin mitten in der Nacht aufgewacht nicht voller Vorfreude, sondern unbequem und kurzatmig. Dieser Geburtstag von dir, er ist anders als die davor. Ja, es ist der Tag, an dem du geboren wurdest, aber du wirst gewaltsam weiter weg gehalten, als ich es aushalten kann. Dennoch bist du meinem Herzen näher, als du dir je vorstellen kannst.

Heute, meine Tochter, bist du ein Jahr klüger - ein ganzes Jahr gefüllt mit noch tieferer Liebe zu deiner Heimat. Heute trittst du in ein Jahr ein, das schwieriger sein wird als jene, die ihm vorausgingen. Mir graut der Gedanke an deine Gefängnisnächte und das Wissen um ihre Kälte.

Gefängnisnächte sind nicht wie jene zu Hause, bei uns. Die Unruhe der Geburtstagsfeiern steht im scharfen Gegensatz zur Einsamkeit ihrer Zelle. Es tut mir so leid. Alles was ich will, ist, dein goldenes Haar sanft zu streicheln, mein kleines Mädchen, wie ich es seit du ein Baby warst getan habe; dich zärtlich zu umarmen, nachdem du die 17 Kerzen auf deinem Geburtstagskuchen ausgeblasen hast, wie ich es immer getan habe, seit du ein Jahr alt wurdest. Aber wie soll meine Sehnsucht nach dir die Stahlstäbe durchbrechen, die jetzt zwischen uns liegen?

Keine Sorge, Ahed, wir werden die Freude wiedersehen und wir werden feiern, wie wir es immer getan haben. Hiermit verspreche ich, dass deine Brüder und ich vor den Toren des Gefängnisses stehen und für dich und die Freiheit deiner Mutter singen werden. Wir werden die Freiheit aller zu Unrecht Inhaftierten fordern; wir werden die Freiheit aller freien Geister fordern. Und du und deine Mutter, ihr werdet mit uns singen und mit eurer mächtigen Kraft auf die Gefängniswände einschlagen.

Heute Abend feiern wir deinen Geburtstag, indem wir der Welt zeigen, dass wir, egal was passiert, das Leben feiern. Wir lehren das Leben. Wir lieben das Leben und werden nicht zulassen, dass diese Liebe zerquetscht wird. Niemals.

Aber bevor der Abend kommt, an dem wir gemeinsam als Familie feiern, möchte ich, dass du stark und widerständig bleibst. Ich weiß, dass die Soldat*innen um Mitternacht vielleicht kommen, dich fesseln und durch ein weiteres Verhör zwingen. Wenn du dich warm anziehen kannst, dann zieh noch ein Hemd an, denn sie werden ihr Bestes tun, um dir die Wärme zu nehmen. Jeder Raum, in dem sie dich unterbringen, jedes Militärfahrzeug, wird absichtlich eiskalt sein. Aber ich weiß, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Ich weiß, wie warm deine Seele ist. Du solltest es nicht müssen, du solltest es wirklich nicht, mein kleines Mädchen, doch ich weiß, dass du jede Dunkelheit und Kälte ertragen kannst, mit der sie versuchen, dich zu foltern.

Welche Entscheidung auch immer getroffen wird, das israelische Militärgericht, in dem du vor Gericht stehen wirst, wird dir keine Gerechtigkeit bringen. Diese Gerichte wurden nicht gebaut, um Gerechtigkeit zu bringen, ihre Richter*innen wollen keine Gerechtigkeit. Sie wurden in einem Reich außerhalb der Menschheit errichtet. 99 Prozent derjenigen, die vor ihnen stehen, werden für schuldig befunden. Aber das sind alles nur die Symptome der Krankheit - auch wenn du freigesprochen werden solltest, können diese Gerichte niemals ein Werkzeug der Gerechtigkeit sein, da sie nur ein weiteres Zahnrad in der Maschine der militärischen Besatzung sind. Die Wege des Kolonialismus werden nie den Weg kreuzen, den die Grundwerte der Menschheit nehmen. Besatzung kann sich niemals mit Freiheit, Gerechtigkeit und Würde überschneiden.

Die Menschheit ist schön. Sie malt das Leben mit einem Pinsel voller Anmut und verleiht ihm Schönheit. Die Besatzung ist hässlich, und sie ist dazu da, das Gesicht der Menschheit zu entstellen. Meine Tochter. Freie Menschen verlieren sich nicht in ihrem eigenen Narzissmus, denn keiner von uns allein ist irgendetwas, wenn wir uns nicht mit einem tieferen Zweck verbinden und uns nicht der positiven Handlung widmen. Durch unsere tiefe Verbindung, unsere Absichten und unser Handeln bewegen wir uns von den einsamen Bedingungen unserer Geburt zu der wahren Bedeutung und Kostbarkeit, die die Welt zu bieten hat. Nur diese Erkenntnis erlaubt Menschlichkeit und ein kollektives Bewusstsein. Du, mein kleines Mädchen, bist in dieses Bewusstsein der ganzen Menschheit gelangt.

Sie stellen dich vor Gericht, weil sie dieses Gefühl der Menschlichkeit, das in dir ist, töten wollen; sie wollen deinen Sinn für den kollektiven Kampf für eine bessere Welt zerstören. Es ist zu gefährlich für sie, ihn einfach so gewähren zu lassen. Ob du es glaubst oder nicht, sie versuchen sogar, dir deine Jugend wegzunehmen und sagen, dass du, wenn du 17 wirst, kein Kind mehr bist. Und ich frage: Geht deine Kindheit einen anderen Weg als du selbst an diesem Tag oder hat deine Kindheit etwas mehr Zeit, in den Obstgärten der Jugend zu spielen und die letzten deiner Schultage in Frieden zu genießen?

Israels Expert*innen für unmoralisches Recht können frei über die Unrechtmäßigkeit der Ohrfeige beraten, die ihrem voll bewaffneten Soldaten von einem Mädchen serviert wurde, welches ihre militärische Männlichkeit zerschmetterte und ihre zerbrechlichen Institutionen bis zur Gefahr des Zusammenbruchs brachte. Sollen sie doch. Kümmere dich nicht um ihre unmoralischen Militärgesetze, denn diese Gesetze liegen außerhalb der Grenzen der Menschheit.

Mein kleiner Engel… Belästige dich nicht mit den Worten derer, die in Politik und Religion Handel betreiben wie Kaufleute auf dem Markt. Religiöse Männer - in ihren eigenen Augen fromm - wollen über deine Haare diskutieren, um die Aufmerksamkeit von deinem Kampf und seiner Berechtigung abzulenken. Die Indoktrinierten - in ihren eigenen Augen unverfälscht - erkennen die Menschlichkeit und Wahrheit in niemandem, der ihrem Dogma nicht blind Loyalität schwört.

Dann gibt es diejenigen, die immer abseits sind; diejenigen, die sich weigern, eine Haltung zu dem, was richtig ist, einzunehmen, die schaudern über die Idee, sich angesichts der Unterdrückung zu erheben. Sie weigern sich, sich der Brutalität zu stellen; und diejenigen, die für die Freiheit kämpfen, wie du, reißen ihre Masken ab, um ihnen zu zeigen, was sie sind.

Mach dir keine Sorgen um diejenigen, die dich jetzt kritisieren, mein kleines Mädchen. Deine Tapferkeit hat dich in einen Blitzableiter verwandelt und diejenigen, die ihre eigene Heuchelei fürchten, wollen sich verstecken, indem sie dich verletzen. Ihre ganze Kritik an dir ist erfunden, damit sie sich weiterhin hinter ihren Ängsten verstecken können. Sie wissen, es ist dein Mut, der alle daran erinnert hat: Der Kaiser hat keine Kleider.

Hier stehst du vor der Welt – wie an vergangenen und noch kommenden Tagen - voller Wahrheit, weil du dazu erzogen wurdest, ehrlich zu dir selbst und anderen zu sein und du hast aus unserem Land und unserer Geschichte gelernt, dass wahre Freiheit entsteht, wenn man Handlungsfähigkeit besitzt. Sie entsteht durch die Bereitschaft, gegen die Angst immer und immer wieder anzukämpfen. Sich zu weigern, seine Würde aufzugeben.

Jetzt hat dein winziger Schlag ihr mächtiges, blutrünstiges Militär bis ins Mark erschüttert und ihre symbolische Abschreckung zerschlagen. Deine eigene persönliche Wahrheit ist unsere Wahrheit, die Wahrheit unseres historischen und menschlichen Kampfes, um auf diesem Land zu bleiben. Es stellt ihre falschen Erzählungen in Frage, die sie haben - über uns und über sich selbst.

Deine Wahrheit trägt nun eine ganze Generation mit sich herum, die sich geweigert hat, sich der Unterdrückung hinzugeben, eine Generation, die weiterhin für ihre Freiheit kämpfen wird. Deine Wahrheit scheint hindurch, weil du dich für deine Gemeinschaft und dein Heimatland und die Menschen, die du liebst, eingesetzt hast. Du hast dich geweigert, zu etwas anderem zu gehören als zu dir selbst und zu Palästina.

Deine Wahrheit ist reiner denn je, denn in unserer Zeit, in Palästina, finden sich die Reinen an zwei Orten, entweder als politische Gefangene am Rand der Freiheit oder als Märtyrer*innen, die uns genommen wurden und uns jetzt aus dem Himmel beobachten. Deine Wahrheit ist jetzt ein Leuchtfeuer der Hoffnung für Menschen auf der ganzen Welt, die sich entschieden haben, der Unterdrückung zu widerstehen, anstatt ihr zu erliegen.

Keine Sorge, meine kleine Tochter - deine Freiheit, als auch das Ende der Besatzung ist nahe. Und diejenigen, die sich gegen unsere Freiheit gestellt haben - die Heuchler*innen und Extremist*innen und Feiglinge - werden mit nichts anderem als Enttäuschung zurückgelassen, wenn Geschichte geschrieben wird.

Wenn ich heute Abend nach Hause komme, werde ich mit deinen Brüdern in dein Zimmer gehen, und wir werden eine Kerze für dich anzünden und deine Gegenwart bei uns spüren, wir rufen, dass du unsere "Ahed" bist, unser Versprechen für eine bessere Welt; wie ein in die Erde gesetzter Olivenbaum.

Deine Mutter wartet auf dich im Gefängnis. Wenn du sie sehen kannst, umarme sie bitte für mich und feiert deinen Geburtstag zusammen mit uns in euren Herzen. Und wenn du bis zum Morgengrauen in ihren Metallkisten allein gehalten wirst, nimm einfach Platz auf dem Sattel der Hoffnung, erhebe dich auf dem Pferd des Mutes, das du dir seit deiner Kindheit vorgestellt hast, beachte nicht diejenigen, die dich täuschen und verletzen wollen, schaue einfach auf den Sonnenaufgang aus der kleinen Luke und strahle dein Lächeln zurück, denn es ist dein Lächeln, das uns in eine bessere Zukunft führen wird.

Ich vermisse dich Ahed, aber ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag. Möge jedes Jahr, das kommt, dich stärker machen. Mögest du immer voller Liebe und voller Wahrheit sein.

Dein liebevoller Vater

Umm Khalid war ein palästinensisches Dorf nahe der Stadt Tulkarm. Ein israelischer Militärbericht besagt, dass Umm Khalid am 20. März 1948 geräumt wurde. Flüchtlinge berichteten von einer seit 1947 andauernden Blockade des Dorfes durch Zionist*innen, welche die Bewohner*innen letztlich zur Flucht zwangen. Heute gehört der Ort zur israelischen Stadt Netanja. A.d.Ü.↩

Vorwort des schwedischen Verlags

Dass ein 16-jähriges palästinensisches Schulmädchen plötzlich und brutal in ein Militärgefängnis in Israel gesteckt wurde, war für mich und Millionen von Menschen auf der ganzen Welt ein großer Schock. Später sah ich mir einen kurzen Videoclip an - gefilmt vom israelischen Militär -, der zeigt, wie eine Gruppe großer, starker israelischer Soldat*innen in voller Kampfausrüstung dieses Mädchens, Ahed Tamimi, in festem Griff hält, sie zwingt, von der Haustür ihres Hauses zu einem israelischen Militärfahrzeug zu hetzen, in das sie schließlich gestoßen wird. Vor dreißig Jahren sahen wir, wie die Polizei des Apartheidregimes in Südafrika ANC-Kämpfer*innen auf diese Weise verhafteten. Aber diese Kämpfer*innen waren oft große, starke Männer und meistens hatten sie sich gewaltsam gegen die Verhaftung gewehrt - was solch eine grobe Handhabung provozierte.

Aber das war ein junges Mädchen, das am nächsten Mittwochmorgen zur Schule gehen sollte. Auf ihrem Schreibtisch in ihrem Schlafzimmer lag ein Papier, ihre fertigen Hausaufgaben für die Schule. Anstatt ihre Arbeit nach einem Frühstück und anderen zivilisierten Routinen an ihre Lehrerin abzugeben, wird sie mitten in der Nacht aus dem Bett getrieben. Bevor sie wirklich wusste, was passiert war, knallte eine Stahltür vor ihr zu und schloss sie in eine Zelle in einem grauen Militärgefängnis ein.

Als ich das in den Nachrichten hier in Schweden erfuhr, war ich absolut fassungslos. Als Vater von zwei Töchtern konnte ich mir den Schrecken vorstellen, den sie gefühlt haben muss, aufgeweckt zu werden von ausländischen Soldat*innen, die mitten in der Nacht in ihr Haus einbrachen. Und sie waren hinter ihr her. Ich fühlte auch mit ihrem Vater. Ich tat das Einzige, was ich tun konnte: Ich schrieb ihm, Bassem Tamimi, eine Nachricht an seine Facebook-Seite, um Mitgefühl auszudrücken und Solidarität in der Kampagne zur Befreiung von Ahed anzubieten.

Ich wusste, dass sie einen israelischen Soldaten geschlagen hatte, aber das konnte ihre Verhaftung nicht rechtfertigen. Ich hatte das Video gesehen, das von Aheds Mutter vier Tage zuvor, am 15. Dezember 2017, gedreht wurde. Es zeigte zwei bewaffnete israelische Soldaten, die den Garten der Familie Tamimi betraten und Ahed und Nour waren sehr wütend und sagten ihnen, sie sollten gehen. Natürlich waren sie wütend. Nur wenige Minuten zuvor hatte ein israelischer Soldat Aheds 15-jährigen Cousin Mohammad Tamimi direkt ins Gesicht geschossen - aus nächster Nähe mit einer gummierten Stahlkugel. Er wurde in ein induziertes Koma versetzt, bevor er ihm eine Operation das Leben rettete. Und jetzt betraten dieselben Soldaten ohne ersichtlichen Grund den Garten der Familie Tamimi.

Der Videoclip zeigt, wie ein heftiger Streit zwischen den beiden Soldaten und den beiden kleinen Mädchen beginnt, die kaum bis zu den Schultern der beiden uniformierten Männer reichen. Die israelischen Soldaten weigern sich zu gehen. Einer der Soldaten fängt an, mit der Hand vor Aheds Gesicht herumzufuchteln und schlägt sie, um sie zurückzudrängen. Ahed reagiert im Handumdrehen, schlägt zurück und trifft den Soldaten. Was hätten die Soldaten getan, wenn Aheds Mutter nicht die Szene gefilmt hätte?

Auf jeden Fall zeigen sie Zurückhaltung. Während der andere Soldat das Gespräch mit den beiden Mädchen fortsetzt, dreht derjenige, der den Schlag kassiert hat, der Kamera den Rücken zu und wird passiv. Der Videoclip von Ahed, die einen Vertreter der israelischen Armee zurückschlägt und ohrfeigt, ohne dafür sofort bestraft zu werden, sorgte für einen Wutausbruch in der israelischen Community. Einige waren wütend auf die Soldaten, weil sie nicht mit Gewalt geantwortet hatten, andere sagten sogar, dass das Mädchen hätte erschossen werden sollen. Mächtige Stimmen forderten Vergeltungsmaßnahmen.

Wie vielen anderen waren mir auch die israelische Besatzungspolitik und die Kritik an Israel wegen wiederholter Menschenrechtsverletzungen bekannt. Der Staat Israel hat dadurch die meisten seiner Freunde in der Welt verloren. Aber ich ahnte nicht, dass die Unterdrückung das Niveau erreicht hatte, Schulmädchen ins Gefängnis zu werfen und zwar für ein so kleines Vergehen. Die folgenden Tage und Wochen sollten mich lehren, dass ich naiv gewesen war.

Weihnachten verging und Neujahr kam. Langsam wurde der Welt klar, dass der Staat Israel entschlossen war, an diesem Mädchen ein Exempel zu statuieren. Sie sollte nicht so schnell entlassen werden, wie ich und viele andere es mir vorgestellt hatten. Und noch mehr, als ihre Mutter sie im Gefängnis besuchte, wurde auch sie verhaftet.

Ich hatte Ahed in den letzten Jahren mehrmals auf YouTube gesehen. Bezeichnet als "das tapfere kleine Mädchen" war ihre verzweifelte und mutige Konfrontation der israelischen Soldaten einige Male viral gegangen. Das erste Mal war vor fünf Jahren als ein Clip eine elfjährige Ahed zeigte, die verzweifelt weinte und ihre Mutter umarmte, die gerade dabei war, von einem halben Dutzend israelischer Soldaten in ein kleines Fahrzeug geschoben zu werden. Es war herzzerreißend, etwas, das man nicht vergisst. Und jetzt, mit sechzehn Jahren, war sie im Gefängnis.

Ich fühlte, dass ich etwas tun musste. Ich konnte die Telefonnummer ihres Vaters herausfinden und ihn anrufen. Wir sprachen ein paar Minuten lang. Wir hatten eine besondere Verbindung, eine zwischen zwei Vätern. Ich hörte mich Bassem fragen, ob er es gut finden würde, wenn ich als Verleger ein Buch über Ahed veröffentlichte. Die Welt muss sie kennenzulernen und wenn ein Buch über sie ihr in dieser Situation helfen kann, ist es das Mindeste, was ich als Verleger tun kann. Auf der anderen Seite der Leitung sagte mir Bassem, dass er einverstanden sei.

Zwei Tage später hatte mein Freund Paul Morris, ein Universitätsdozent in Schweden mit gründlichem Wissen über die Situation in Palästina, das Projekt mit Leidenschaft und großer Begeisterung übernommen. Paul wiederum holte seinen Kollegen Paul Heron, einen bekannten britischen Anwalt, der sich intensiv mit Menschenrechtsfragen beschäftigt, an Bord. Peter Lahti, ein Journalist mit dem gleichen sozialen Pathos, schloss sich an und diese drei bildeten ein starkes und sehr engagiertes Team.

Sehr bald standen Paul und Paul in fast täglichem Kontakt mit verschiedenen Mitgliedern der Tamimi-Familie. Sie begannen, einen Besuch im Dorf der Tamimis, Nabi Saleh, im Westjordanland zu planen. Dies erforderte einen Besuch bei der Botschaft von Palästina in Stockholm, wo wir alle einen freundlichen Empfang erhielten und mit einigen sehr guten Kontakten für den bevorstehenden Besuch im Westjordanland versorgt wurden.

Der Besuch von Paul und Paul im Westjordanland war natürlich entscheidend. Während Peter zu Hause war und an dem Manuskript arbeitete, trafen sich beide Pauls mit Bassems Unterstützung mit vielen Menschen, die entscheidend am Kampf in Nabi Saleh teilnehmen. Sie filmten, machten Interviews und hörten zu. Sie erzählten mir, wie sich das Bild von Ahed in ihrem Kopf entwickelte, Stunde für Stunde.

Ein wichtiger Kontakt wurde mit Aheds Tante Manal Tamimi hergestellt. Die langen Gespräche mit Manal machten deutlich, dass wir Manal mit in den Autorenkreis nehmen mussten und es war ein großes Glück, dass sie bereit war, mitzumachen. Beide Pauls hatten erkannt, dass Manal, die ihnen ihre Geschichte und Gedanken erzählte, offensichtlich eine Autorin war und ein wichtiges Kapitel über den Kampf der Frauen um die Befreiung Palästinas hinzufügen konnte.

Als Paul und Paul nach Hause zurückkamen, konnten sie mir eine Geschichte von einer Familie erzählen, die fest an den gewaltfreien Kampf glaubte, um wieder ein normales, anständiges Leben zu führen. Sie erzählten mir von einem jungen Mädchen, das nichts anderes wollte, als wie jedes andere Mädchen ihres Alters leben zu können, in der Schule zu lernen, mit ihren Freunden abzuhängen, im nahegelegenen Meer zu schwimmen, Fußball zu spielen - ein Mädchen, das wegen der brutalen Besatzung an all dem gehindert wurde; ein Mädchen, dessen Vater und Mutter ihr immer wieder entrissen und ins Gefängnis gesteckt werden, obwohl sie in ihrem ganzen Leben noch nie eine gewalttätige Handlung begangen haben, nie ein einziges Verbrechen begangen haben; ein Mädchen, dessen Tante und Onkel von Soldat*innen getötet wurden, während sie selbst unbewaffnet waren und keine Bedrohung darstellten; ein Mädchen, das von rechten Israelis verleumdet wird und sogar Morddrohungen erhalten hat. Ein Mädchen, das nur ein Mädchen sein wollte, aber sich wehren musste.

Aus diesem Grund ist es notwendig, der Welt ihre Geschichte zu erzählen.

Die Absicht dieses Buches, das in mehrere Sprachen übersetzt wird, ist es, die Geschichte von Ahed Tamimi und den Kontext, in dem sie lebt, zu erzählen, einen Kontext, der für jeden, der ihn nicht erlebt, sehr schwer zu erfassen ist. Vaktel Books ist ein gewöhnlicher kommerzieller Verlag mit einer großen Auswahl an Büchern, aber dieses Buch ist ein Solidaritätsprojekt. Die Hälfte der Gewinne aus diesem Buch geht an den Palästinensischen Rechtsschutzfonds. Als Ahed gefangen genommen wurde, wurde sie eines von hunderten Kindern, die als politische Gefangene in den Militärgefängnissen Israels festgehalten wurden. Der Kampf vor Gericht kostet Geld und dieses Buch wird hoffentlich sowohl Mittel für diesen Kampf aufbringen als auch dazu beitragen, das Bewusstsein zu schärfen und eine Kampagne zur Erlangung ihrer Freilassung und sogar zur Beendigung der militärischen Besatzung Palästinas mitaufzubauen. Der Palästinensische Rechtsschutzfonds ist zu finden unter www.ahedtamimibook.com.

Eskilstuna, Schweden, 13. März 2018

Christer Bergström, Verleger bei Vaktel Books

Danksagungen

Die Autor*innen sind den folgenden Personen sehr dankbar, die bei Arbeit an diesem Buch einen unschätzbaren Beitrag geleistet haben:

Bassem Tamimi.

Hala Fariz, Botschafterin von Palästina, Schweden.

Cindy Inglessis, Assistentin der palästinensischen Botschafterin in Schweden.

Janna Jihad, die jüngste Journalistin der Welt (für die Interviews).

Nour Tamimi (für das Interview).

Marah Tamimi (für das Interview).

Nawal Tamimi (für das Interview).

Bilal Tamimi, Nariman Tamimi, Heidi Levine, Ahmad Gharabli und Haim Schwarzenberg für die Verwendung ihrer fantastischen Bilder.

Hamdi Bawaqneh, Diana Mosa, Mohamed Mosa und Mariam Massoud für die Übersetzungshilfe.

Peter Hill für die Videos.

Keely Kingswood und Louise Jones für die großartigen Transkriptionsdienste, manchmal auch ohne qualitativ hochwertige Tonaufnahmen.

Jeffrey Lark, Suzy Morris und Sarah Hall Preston für hilfreiche Beiträge und Überlegungen.

Lennart Wennergrund für die Website.

DCI Palästina, die uns freundlicherweise einige Grafiken zur Verfügung stellt.

Protest Stencil für die Verwendung ihre Bilder.

Den tapferen Menschen aus Nabi Saleh.

Sollte jemand in dieser Auflistung fehlen, so ist das nur auf ein Versehen zurückzuführen, für welches sich die Autor*innen und die Herausgeber*innen entschuldigen müssen; bitte betrachtet dies als unsere implizite Dankbarkeit.

KAPITEL 1

Ahed Tamimi

Einige Tage vor Weihnachten letzten Jahres (2017) habe ich das Video auf YouTube gesehen. Das Video war viral gegangen. Ich erinnere mich nicht daran, anfangs die Namen der Protagonist*innen gesehen zu haben – es waren Fremde aus der anonymen Welt des Internets. Es ist ein Kampf, nichts Ungewöhnliches also, was so die Runde auf YouTube macht - aber es ist ein seltsamer und ungleichmäßiger Kampf. Auf der einen Seite ein Mädchen, ein ziemlich gewöhnliches Mädchen im Teenageralter, in einer typischen Jeansjacke, auch hier nichts Ungewöhnliches. Aber ihr Gegner… das ist seltsam, ein voll ausgerüsteter, uniformierter und bewaffneter Soldat. Die Szene geht viral, weil das unbewaffnete Mädchen von nebenan einem Soldaten die Stirn bietet. Der Titel unter dem Video verrät uns, um wen es sich handelt; es ist Ahed Tamimi. Ein palästinensisches Mädchen, das sich vor ihrem eigenen Haus gegen einen Vertreter einer grausamen militärischen Besatzung, einen israelischen Soldaten im Ausland, im Dorf Nabi Saleh im Westjordanland stellt.

Im Internet ist es ein Leichtes, ein Bild aus dem Kontext zu nehmen und ich gestehe: Als ich das Video zum ersten Mal sah, wusste ich nicht, was los war. Ich war nur halb konzentriert, in diesem endlosen Strom von Informationen und Bildern, dem wir heutzutage online ausgesetzt sind. Ich gebe auch zu, dass ich zuerst eine scheinbare Aggression des Mädchens und scheinbare Zurückhaltung beim Soldaten gesehen habe. Aber das hieße, die Bilder falsch zu verstehen. Was da im Video vor sich geht, ist eigentlich bemerkenswert. Während wir im Hintergrund den Eingang eines Hauses wie bei einem jedem anderen sehen, müssen wir uns doch vergegenwärtigen, dass da doch auch eindringende Soldaten einer Besatzungstruppe sind. Die jungen Frauen, es sind ihrer zwei, Ahed Tamimi (16 Jahre alt zum Zeitpunkt des Vorfalls) und Nour Tamimi (20 Jahre alt) stehen in ihrem Garten. Sie sagen den Soldaten, sie sollen verschwinden und haben sicher jedes Recht dazu.

"Verschwindet!", heißt die Forderung und natürlich wollen sie, dass sie schnellstens die Einfahrt verlassen, und schließlich auch ihr Land.

Und, liebe Leser*in, ich denke, du musst darüber nachdenken, wie du wohl reagieren würdest, wenn Soldat*innen eines Besatzerstaates in deinem Vorgarten wären. Würdest du dich hinter dein Fenster kauern? Dich hinter deiner Couch ducken? Oder könntest du so mutig sein wie Ahed und Nour und hinausgehen und sie konfrontieren?

Wenn du es tätest, wärst du dann ruhig und zurückhaltend, vor den Augen der Welt? Hier denke ich, dass etwas Empathie angebracht ist. Vor dem oben genannten Vorfall, der Szene, die viral ging, wurde Aheds and Nours Cousin, ihr junger Cousin, Mohammad Tamimi, gerade 15 Jahre alt, von den israelischen Streitkräften (IDF) aus nächster Nähe in den Kopf geschossen. Seine Verletzungen sind so schwer, dass er für die Operation in ein induziertes Koma versetzt werden muss. Sein Leben wird möglicherweise nie wieder dasselbe sein. Die gummierte Stahlkugel hatte beim Eintritt in seinen Schädel den Kiefer gebrochen. An diesem Tag, an dem Mohammads Leben am seidenen Faden hängt, wollen IDF-Soldaten in Aheds Einfahrt Schutz suchen, um aus einer besseren Position auf weitere Jugendliche auf der Straße zu schießen. Ahed und Nour sehen das anders und sie gehen hinaus, um den Soldaten zu sagen, dass das hier keinen sicherer Hafen für sie sein wird.

Sie werden sich nicht hinter dieser Mauer verstecken und Schüsse abgeben können. Dies ist der Widerstand der Familie Tamimi gegen die Besatzung. Die Tamimi-Familie ist auch bewaffnet, nicht mit Schusswaffen, sondern mit der mächtigen Waffe der Kamera und dem Zugang zum Internet. Der Vorfall wird gefilmt und die Soldaten, die an die Kameras denken, sind bis zu einem gewissen Grad zurückhaltend. Obwohl einer von ihnen gewaltsam versucht, Ahed beiseite zu schieben, erhalten die Soldaten eine verächtliche Salve von Worten und Schlägen von den Mädchen, die sie zum Gehen bringen wollen. Und sie gehen, vorerst.

Aber die Soldaten werden zurückkehren, in größerer Zahl und im Dunkeln, weg von dem Licht, das die Kameras speist und den wachsamen Augen vieler Zeugen. Wie das Motto der Zeitung Washington Post besagt - Demokratie stirbt in der Dunkelheit; stattdessen gedeiht die Angst und die Besatzersoldat*innen nähren sich von der Angst.

Die IDF kommt wenige Nächte später zurück. Sie kommen mitten in der Nacht des 19. Dezembers, gegen 3 Uhr morgens. Sie wecken die Familie und bringen Ahed in ein israelisches Militärgefängnis. Während ich schreibe, sind drei Monate seit diesem nächtlichen Überfall vergangen und Ahed sitzt immer noch im Gefängnis. Dass Ahed außerhalb ihres Heimatlandes festgehalten wird, bedeutet, dass sie nach den Regeln der Genfer Konvention illegal festgehalten wird. Diese besagen, dass ein*e Gefangene*r nicht einfach in ein anderes Land gebracht werden darf, in das Land des Aggressors.

Insgesamt wird Ahed einer langen Reihe von Anklagen wegen Gewalt und Anstiftung ausgesetzt sein, die sich über einen Zeitraum von zwanzig Monaten erstrecken. Aheds Mutter, Nariman, war am Tag nach der Verhaftung ihrer Tochter auf die Polizeiwache gegangen, um zu protestieren, durfte aber nicht nach Hause zurückkehren. Auch sie wurde angeklagt und inhaftiert – bis zu einem Prozess, der verschoben und verschoben werden sollte. Nour wurde in der Nacht nach Aheds Verhaftung verhaftet und auch sie wurde angeklagt.

Bei Aheds Auftritt vor dem Militärgericht Ofer in Jerusalem am 1. Januar 2018 lächelte sie trotzig. Sie gab ihren Unterstützer*innen und ihrer Familie Kraft, aber lieferte auch den Fotograf*innen der Massenmedien ein Bild. Die palästinensische Bewegung hatte mit Ahed ein junges, lebendiges und leuchtendes Symbol für ihren Kampf. Ihr langes, helles Haar, vielleicht mähnenartig, nahmen einige Kommentator*innen zum Anlass, sie mit einem mutigen Löwen zu vergleichen. Dieses mächtige Bild einer feurigen jungen politischen Gefangenen - einem Mädchen, das sich wehrte - würde sich verbreiten.

*

Einige Wochen später, im Februar 2018, sitze ich in einem Café in der palästinensischen Stadt Ramallah und interviewe Aheds Vater Bassem.

---ENDE DER LESEPROBE---