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Nicole Siemer

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Beschreibung

“Armer Akuma. Zu böse, um ein Engel zu sein. Zu gut für einen Dämon.”

Charmant und bitterböse wird hier die Geschichte einer jungen Frau erzählt, in deren Körper ein Dämon haust. Akuma heißt der Plagegeist. Ein dauergelangweiltes, launisches Wesen aus den Tiefen der Hölle, das immer einen Spruch auf Lager hat. Er kann witzig sein, sogar freundlich, doch ein Dämon bleibt ein Dämon und so ist es nicht leicht für Kjara, ein normales Leben zu führen. Denn in Akuma lauert eine dunkle Seite, eine wilde Seite, geifernd nach Gewalt, Blut und Rache.

Mit Witz, Charme und einem Schuss Horror ist AKUMA ein Fantasy-Thriller, wie es ihn noch nie gegeben hat. Lassen Sie sich nach Grubingen entführen. In eine Stadt, in der alles möglich ist und in der die Dämonen unter uns wandeln. Manchmal anders, als wir es erwartet hätten.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Teil I
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Teil II
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Teil III
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Danksagung
Literaturnachweise
Weitere Veröffentlichungen
Trigger-Hinweise
Leseprobe Totentier
Kapitel 1

 

 

AKUMA

Der Exorzismus meines besten Freundes

 

Nicole Siemer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fantasy-Thriller

 

Charmant und bitterböse wird hier die Geschichte einer jungen Frau erzählt, in deren Körper ein Dämon haust. Akuma heißt der Plagegeist. Ein dauergelangweiltes, launisches Wesen aus den Tiefen der Hölle, das immer einen Spruch auf Lager hat. Er kann witzig sein, sogar freundlich, doch ein Dämon bleibt ein Dämon und so ist es nicht leicht für Kjara, ein normales Leben zu führen. Denn in Akuma lauert eine dunkle Seite, eine wilde Seite, geifernd nach Gewalt, Blut und Rache.

Mit Witz, Charme und einem Schuss Horror ist AKUMA ein Fantasy-Thriller, wie es ihn noch nie gegeben hat. Lassen Sie sich nach Grubingen entführen. In eine Stadt, in der alles möglich ist und in der die Dämonen unter uns wandeln. Manchmal anders, als wir es erwartet hätten.

Über die Autorin:

 

Nicole Siemer wurde 1991 in Papenburg (Emsland, Niedersachsen) geboren. Seit dem Abschluss ihres Belletristik-Fernstudiums an der Schule des Schreibens 2017, widmet sie sich in erster Linie unheimlichen Geschichten mit philosophischem Einschlag. Nebenbei schreibt sie Kurzgeschichten, die sie auf ihrem Blog https://dreiwoerter.de/ kostenlos zur Verfügung stellt.

 

 

 

AKUMA

 

 

Nicole Siemer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

Juni 2021 © 2021 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Lektorat: Simona Turini

https://www.lektorat-turini.de/

Korrektorat: Peter Wolf

 

Covergestaltung: Predrag Markovic

https://www.markovicpredrag.com/

 

Coverabbildungen: Adobe Stock ID 1188563484

Texturen Designed by Freepik.com

 

Dieses Buch enthält Trigger-Hinweise auf der letzten Seite gegenüber der Deckel-Innenseite.

Siehe auch: https://dreiwoerter.de/2020/02/29/trigger-hinweise-akuma/

Teil I

Kjara

Kapitel 1

 

Heute

 

Die Kirche roch vertraut und abschreckend zugleich.

Kjara Winter schritt vorbei an den langen Sitzbänken, der Weg zum Altar kam ihr seltsam verzerrt vor. Wie oft sie diesen Weg gegangen war. Früher war sie jeden Sonntag hier gewesen, selbst noch, als sie schon bei Tante Maria gewohnt hatte. Dieser Ort war eine Art Zuflucht für sie und gleichzeitig verspürte sie den Drang vor ihm zu fliehen. Vor dem Beichtstuhl hielt sie einen Moment inne und lauschte ihrem Atem. Dann trat sie ein.

»Vergib mir Vater, denn ich habe gesündigt.«

»Du weißt, dass du nicht gezwungen bist, diesen Satz zu sagen, oder, Kind?«

Die sonore Stimme hinter der Wand klang ein wenig kratzig. Eine Stimme, der man schnell vertraute. Kjara entspannte sich. Fast hatte sie damit gerechnet, den vorwurfsvollen Tonfall ihres alten Pastors zu hören. »Es ist lange her, Kjara«, würde er sagen. »Zu lange!«

Pastor Meiners war bereits ein Greis gewesen, als Kjara das Lesen und Schreiben lernte. Unmöglich, ihn hier zu treffen. Und doch glaubte sie, seinen Alte-Männer-Geruch wahrzunehmen.

Sie setzte sich auf die Beichtbank. »Es erschien mir passend. Seit meiner letzten Beichte ist einige Zeit vergangen.«

»Wie viel Zeit?«

»Oh, nicht mehr als 15 Jahre vielleicht.«

»Nun …«

Kjara grinste. »Sie sind also neu in unserer Gemeinde?«

»Dies ist meine zweite Woche.«

»Ich bin Kjara. Kjara Winter.«

»Helmut Hege.«

»Ich nenne Sie weiter ›Vater‹, wenn Ihnen das recht ist. Ist es Ihnen recht?«

»Natürlich. Was quält dich, mein Kind?«

Kjara betrachtete ihre Hände. Für einen kurzen Augenblick war sie drauf und dran, den Beichtstuhl zu verlassen und wegzugehen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? »Ich weiß nicht recht.«

»Alles, was du sagst, bleibt unter uns und bei Gott.«

»Der große Meister da oben und ich standen uns in den letzten Jahren nicht besonders nahe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Recht habe, ihn um Vergebung zu bitten.«

»Gott ist gnädig. Jeder verdient Vergebung«, sagte Hege.

»Es gibt Dunkelheit in mir.«

»Wir alle haben unsere Dämonen.«

Kjara schnaufte. »Meinen habe ich in den vergangenen Jahren häufig nachgegeben. Ich bin lange Zeit nicht mehr in der Kirche gewesen, weil ich es nicht für nötig hielt. Weil ich nichts bereut habe.«

»Was hat sich geändert?«

»Es besteht die Möglichkeit, mich zu verlieben.«

»Liebe ist ein wundervolles Geschenk; das wundervollste, wage ich zu behaupten.«

»Ja, aber ich kann mich ihr nicht voll und ganz hingeben. Nicht, solange ich diese dunkle Seite in mir trage. Ich möchte mich von meinen Sünden reinwaschen, Vater. Wieder ein Kind Gottes sein. Ich möchte nicht mehr auf diese Art leben.«

»Ich bin mir sicher, du trägst viel Gutes in dir, Kind.«

Kjara seufzte.

»Wende dich wieder Gott zu und du wirst die Dämonen vertreiben«, sagte Hege. »Jeder Dämon weicht zurück vor dem Angesicht Gottes.«

»Welche Dämonen lauern in Ihnen, Vater?«

Ein Moment der Stille kehrte ein und Kjara rutschte unruhig auf dem Beichtstuhl hin und her. »Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«

»Nein, ist schon gut. Wir alle haben eine Last zu tragen. Heute sprechen wir über dich und deine Pein. Ich denke, die Liebe wird dich wieder auf den rechten Pfad führen.«

»Erik ist ein toller Mann. Daraus könnte was werden.«

»Dann trau dich, mein Kind. Sei frei!«

»Ich kann nicht.« Kjara betrachtete erneut ihre Hände. Sie vergrub die Finger in den Stoff ihres Mantels, bis die Knöchel weiß hervortraten. »Ich habe Angst.«

»Verletzt zu werden ist eine der gr…«

»Nein, Sie verstehen nicht, Vater. Ich habe keine Angst, verletzt zu werden. Ich habe Angst, zu verletzen.«

»Ich glaube, du bist ein reines Wesen, Kjara. Ich erkenne nichts Dunkles in dir und sehe, dass du dich von Gott leiten lassen möchtest. Ich denke, du bist gut. Warum siehst du es nicht?«

»Ich kann niemals wirklich gut sein, Vater. Wenn dem so wäre, hätte ich die Männer nicht getötet.«

 

* * *

 

Pastor Hege schloss die Tür hinter sich ab. Seit er nach Grubingen gezogen war, hatte er sich angewöhnt, sie zu verriegeln. Heutzutage schlief niemand mehr bei unverschlossener Haustür. Das Böse lauerte überall. Manchmal erschien es Hege, als hätte Gott an Macht verloren – oder an Interesse.

Er hängte seinen Talar an den Kleiderhaken des Flurs und betrat das Wohnzimmer. Auf dem Tisch stand ein Teller vom Morgen und darauf ein angebissenes Brötchen; daneben eine geöffnete Packung Zigaretten. Hege betrachtete sie eine Weile, dann ging er weiter in die Küche. Aus dem Kühlschrank gähnte ihm Leere entgegen. Der Einkauf konnte bis morgen warten, er hatte ohnehin keinen Hunger.

Hege drehte sich um die eigene Achse und griff nach der Schnapsflasche, die neben der Spüle stand. Auf dem Wohnzimmertisch wartete das Glas vom Vortag. Er schlurfte zurück ins Wohnzimmer und ließ sich ächzend in den Sessel fallen.

Kjara Winter beschäftigte ihn.

Wenn dem so wäre, hätte ich die Männer nicht getötet.

Ehe er hatte reagieren können, war sie aus dem Beichtstuhl gestürzt und hatte ihn verdutzt zurückgelassen. Sicher hatte sie das als Metapher gemeint. Solch eine zierliche Frau wie Kjara, wäre nie imstande …

Hege schenkte sich Schnaps ein, schaltete den Fernseher an und nahm einen Schluck. Werbung für Kopfschmerztabletten plärrte ihm entgegen und er schaltete um. Bei einem alten Schwarz-Weiß-Krimi blieb er hängen. Wie sehr Hege sich bemühte, der Handlung zu folgen, seine Gedanken schweiften immer wieder zu der jungen Frau aus dem Beichtstuhl zurück.

Er gönnte sich einen weiteren Schluck und griff in die angebrochene Zigarettenschachtel. Er hatte vor Jahren das Rauchen aufgegeben. »Zigaretten sind Teufelszeug«, hatte sein Vater stets zu sagen gepflegt. Meistens hatte er dabei einen Whiskey in der Hand gehalten.

Heute genoss Hege das Gefühl, hin und wieder eine Zigarette zwischen den Fingern zu halten, ohne sie anzuzünden. Es erinnerte ihn an die gute alte Zeit und es machte manchen Abend erträglicher.

Wenn dem so wäre, hätte ich die Männer nicht getötet.

Was hatte sie damit gemeint? Alkohol floss seine Speiseröhre hinunter und wärmte ihm die Brust.

Sollte er sich der jungen Frau annehmen? Ihr einen Besuch abstatten und nicht bis zur nächsten Beichte warten? Ergründen, ob ihrer Behauptung ein Körnchen Wahrheit innewohnte?Sie wirkte wie eine nette, junge Frau.

Wenn dem so wäre, hätte ich die Männer nicht getötet.

Irgendetwas an Kjara war unheimlich gewesen.

Ich habe keine Angst, verletzt zu werden. Ich habe Angst, zu verletzen.

War es dieser Satz? Der quälende Unterton in ihrer Stimme? Von welcher Art des Verletzens hatte sie gesprochen?

Hege griff nach der Schnapsflasche und füllte das Glas erneut. Dann erhob er es an zu einem Toast. »Sondern erlöse uns von dem Bösen«, sprach er feierlich und nahm einen großen Schluck.

Kapitel 2

 

Vor 20 Jahren

 

Er betrat den Dachboden und schloss die Augen. Der Wind heulte um die Giebel und eisige Böen drangen durch vereinzelte Risse herein. Er genoss die Kälte. Sie war ganz anders, als die ständige Hitze der Hölle.

Wie viele Male zuvor, zog Er den Karton vom hinteren Ende des Bodens an sich heran. Die Familienalben darin waren abgegriffen und einige Fotos hatten sich gelöst. Er betrachtete die lachenden Gesichter, die Ihn aus den Alben heraus ansahen; besonders konzentrierte Er sich auf den Familienvater.

Der Mann sah glücklich aus. Und liebevoll. Auf dem ersten Bild legte er einen Arm um seine Frau. Er trug einen schwarzen Anzug und sie ein weißes Kleid. Auf dem nächsten Foto saß die Frau mit geschwollenem Bauch auf einem Sofa, während der Mann die Wölbung berührte. Da lag ein Glanz in ihren Augen, der Ihn verwirrte. Er blätterte einige Seiten weiter und vier Gesichter strahlten Ihm entgegen. Die beiden Erwachsenen saßen mit zwei Kindern – ein blond gelockter Junge und ein haarloses Baby – in einem Swimmingpool. Der Säugling lag in den Armen der Mutter, die ihn in die Luft hob. Ein einzelner Zahn ragte aus dem rosa Zahnfleisch hervor.Es kam Ihm vor, als könnte Er die quietschenden Laute hören, die das Kind vor Freude ausstieß. Der blonde Junge umarmte den Vater. Sie sahen sorgenfrei aus.

Wie hatte es zu dieser Wandlung kommen können?

Er schlug das Album zu und griff zum nächsten. Wie ist es den Menschen möglich, in einem Moment gut zu sein und einen Wimpernschlag später so boshaft?

Auf diesem Foto waren sie zu dritt. Das jüngste Kind fehlte darauf. Der blonde Junge saß zwischen den Erwachsenen, die Hände brav, fast schüchtern, zwischen die Oberschenkel geklemmt. Keiner von ihnen lächelte mehr. Sie wirkten wie ausgewechselt und es hätte Ihn nicht gewundert, wäre dies die Fotografie von Leichen gewesen. Ordentlich platziert, um eine Erinnerung zu wahren. Die Erinnerung an ein vergangenes Leben. Oder ein verlorenes.

Gedämpfte Stimmen ließen Ihn innehalten, gefolgt von einem dumpfen Knall.

Er legte die Alben in den Karton zurück und eilte auf die Stufen des Dachbodens zu. Was ging hier vor? Menschen in diesem Haus? Das konnte nicht sein! Er ließ seine physische Form verschwinden und bewegte sich für menschliche Augen unsichtbar in Richtung der Stimmen.

Im Wohnzimmer unterhielten sich zwei Männer. Der im Anzug dominierte das Gespräch. Hin und wieder zeigte er irgendwohin und bewegte sich resolut durch den Raum, als gehörte das Haus ihm. Der andere Mann wirkte interessiert, obwohl er mit dem Anzugträger wenig gemeinsam zu haben schien. Sein buntes Hawaiihemd war eines der scheußlichsten Kleidungsstücke, das Er je gesehen hatte.

»Dieses Haus ist ein wahres Schnäppchen. Fußbodenheizung in jedem Raum, alles frisch saniert und die Küche ist so gut wie unbenutzt. Alle Möbel, die Sie hier sehen, gehörten den vorherigen Besitzern. Zugegeben, sie sind ein wenig aus der Mode geraten, aber ich würde sie Ihnen zu einem anständigen Preis überlassen. Sie können die Gegenstände nutzen oder verkaufen. Wie Sie wünschen, Herr Winter«, sagte der Anzugträger.

»Wunderbar! Und hier ist es passiert? In diesem Raum?«

Der Mann im Anzug wirkte mit einem Mal nervös. »Nicht direkt im Wohnzimmer. Es war oben im Kinderzimmer. Ich kann Ihnen versichern, …«

»Perfekt!«, rief der Mann im Hawaiihemd.

Eine Frau stieß dazu. Sie trug das Haar zu einem strammen Dutt gebunden. »Was ist perfekt, Schatz?«

»Hier ist der Mord geschehen!«

Sie zischte ihm zu, der Mann im Hawaiihemd fuhr zusammen. »Entschuldige. Es ist ein malerisches Haus, findest du nicht?«

»Ich weiß nicht recht.«

Der Anzugträger wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Ach komm, Schatz. Dieses Haus ist eine Quelle der Inspiration. Ich werde haufenweise Bestseller schreiben, verlass dich drauf! Seit wann hast du Angst vor Gespenstern?«

»Gespenster? Cool.« Ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren schlenderte ins Wohnzimmer.

Der Anzugträger ergriff erneut das Wort; Er hatte genug gehört. Menschen, in seinem Haus! Das ging eindeutig zu weit. Sein Blick schweifte zu dem Menschenkind, das mit verschränkten Armen neben Hawaiihemd stand.

Es war an der Zeit, eine alte Kunst anzuwenden, und das Balg würde Ihm dabei behilflich sein. Bald genoss Er wieder Seine süße Ruhe.

 

* * *

 

»Ich sehe mich um, okay?«, fragte Kjara und lief zur Tür.

»Sicher, Kleines«, sagte Papa.

»Aber sei vorsichtig«, fügte Mutter hinzu.

In der Küche war Kjara vorher schon gewesen, dieses Mal inspizierte sie alles genauer. Sie stellte sich vor, eine Detektivin zu sein, und blickte durch eine imaginäre Lupe.

»Interessant, interessant«, flüsterte sie, als eine Winkelspinne über den Fußboden krabbelte. Kjara folgte ihr auf allen vieren, bis das Tier unter dem Herd verschwand. »Tschüss, mein kleiner Krabbler.«

Die Küche langweilte Kjara schnell. Das einzig Interessante würde werden, wenn Mama den Herd, den Kühlschrank und die Hängeschränke bemerkte – alle rotlackiert. Sie würde sie hassen!

Kjara kehrte ins Wohnzimmer zurück und trat durch eine weitere Tür. Der Raum war groß, rechteckig und düster. Papa hatte dieses Haus gewollt, weil hier Dinge geschehen waren, die ihn inspirierten. Er hatte ihr nicht davon erzählen wollen. Sicher wäre es eine spannende Geschichte geworden. Werner Winter erzählte nur packende Geschichten. Kjara hätte sie gerne mit ihren Freunden geteilt – hätte sie welche.

Ein Ehebett füllte einen Großteil des gesamten Raums aus. Es war größer als das Bett der letzten Wohnung. Gegenüber befand sich ein Kleiderschrank mit Schiebetüren. Genügend Platz für Monster und Geister. Ob die Türen quietschten, wenn man sie aufschob? Kjara machte auf dem Absatz kehrt und sprintete zurück ins Wohnzimmer. »Papa? Habe ich auch so einen coolen, unheimlichen Kleiderschrank?«

»Das weiß ich nicht, Kleines.«

Der Makler ergriff das Wort: »Das Kinderzimmer befindet sich im ersten Stock.«

Papa wuschelte Kjara durch das schwarze Haar. Sie wich zurück und richtete sich die Frisur. Oh, wie sie es hasste, wenn er sie wie ein kleines Kind behandelte.

»Na, willst du es dir ansehen?«, fragte Papa.

Der Makler zupfte an seinem Hemdkragen. »Sind Sie sicher, dass Ihre Tochter …«

»Die Kleine ist immer auf der Suche nach Gespenstern«, antwortete Papa und zwinkerte. »Das geht in Ordnung.«

Der Makler erzählte ausschweifend, was alles im oberen Stockwerk zu finden war. Kjara hatte keine Lust mehr, ihm zuzuhören, und rannte die Stufen hoch. 13 zählte sie.

Die Kinderzimmertür stand offen, so als wollte der Raum sie einladen. Die Jalousie war heruntergelassen und selbst nachdem Kjara den Lichtschalter ertastet und ihn gedrückt hatte, blieb das Zimmer dämmrig. Eine unangenehme Kälte schlug ihr entgegen, als wäre das Fenster lange nicht mehr geschlossen worden.

Das Kinderzimmer war deutlich kleiner, als das ihrer Eltern, aber Kjara hatte nie viel Platz gebraucht. Spielzeuge besaß sie ohnehin kaum, zudem war sie mit ihren zwölf Jahren zu erwachsen, um noch mit Stofftieren zu spielen.

Wer hier früher gewohnt hatte, hatte alles dagelassen. Die vorherigen Besitzer mussten zwei Kinder gehabt haben: Zu Kjaras Linken stand ein schmales Bett, dessen Gestell einem Rennwagen glich und in der Ecke eines mit Stäben, damit das Baby nicht hinausfallen konnte.

In dem aufgeräumten Zimmer standen außerdem zwei Kommoden, auf denen Stofftiere und Action-Figuren aufgereiht waren. Sicher lag in den Schubladen jede Menge Spielzeug. Was Kjara eher faszinierte, war der Kleiderschrank. Leider hatte der keine quietschenden Schiebetüren, sondern zwei Knäufe, um die Türen aufzuziehen. Sie trat näher heran und streckte die Hand aus. Ob sich dahinter eine andere Welt verbarg? Sie berührte den ersten Knauf und drehte ihn – nichts. Mit der freien Hand versuchte sie, den zweiten Knauf zu drehen – nichts. Kjara zog und drückte und drehte, die Türen blieben verschlossen.

»Dreck!«, fluchte sie und ließ ab. »Vielleicht hat der Makler einen Schlüssel.«

Sie drehte sich um und war im Begriff, aus dem Zimmer zu sprinten, als es hinter ihr knarrte. Kjara wirbelte herum. Beide Schranktüren standen offen.

Sie runzelte die Stirn und starrte in den geöffneten Schlund.

Ein Klackern.

Kjara hielt die Luft an. Da lebte tatsächlich ein Geist in ihrem Schrank. Was, wenn er sie verspeisen wollte? Was, wenn er ihr Freund sein wollte?

»Hallo«, sagte sie und räusperte sich. »Ich bin Kjara.«

Sie lauschte. Stille.

»Und wer bist du?«

Sie wartete, das Herz schlug ihr in gespannter Erwartung bis zum Hals. Da drang eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit zu ihr herüber.

»Akuma.«

Kapitel 3

 

Heute

 

Das Café Seraph war ein lauschiges Restaurant. Gegen Abend trafen sich hier Paare in maßgeschneiderten Anzügen und überteuerten Kleidern. Kerzen schmückten jeden Tisch und das Personal sprach in säuselndem Ton mit den Gästen.

Kjara hielt nicht viel von diesen Schickimicki-Läden, doch das verriet sie Erik nicht. Sie fühlte sich unwohl in ihrem dunkelroten Cocktailkleid, das behielt sie ebenso für sich. Er hatte es ihr geschenkt und obwohl ihr erster Gedanke›sieht aus wie ein frischer Tatort‹ gewesen war, hatte sie Erik angestrahlt und ihn geküsst. Ja, Kjara war kein Mensch, der Kleider trug, aber für ihn hätte sie sogar eines mit Rüschen angezogen.

Nun saß er ihr gegenüber, das Gesicht vom Schein der Kerze beleuchtet, und lächelte auf diese charmante Art, wie Kjara sie nie zuvor bei einem Mann gesehen hatte.

»Schon überlegt, was du essen möchtest?«

»Hmm, vielleicht das Schnitzel.« Kjara klappte die Speisekarte zu und Eriks Augenbraue schoss in die Höhe.

»Ein Schnitzel?«, fragte er.

»Ich esse gern Schnitzel. Schnitzel sind toll. Hmmm, leckere Schnitzel!«

»Du veralberst mich.«

Kjara grinste. »Ein bisschen. Ich denke, ich entscheide mich für das Steak.«

»Gute Wahl, das nehme ich auch.«

Ein Kellner trat an den Tisch und raunte ihnen seine Frage zu: »Haben Sie bereits eine Wahl getroffen?«

»Möchtest du einen Wein?«, fragte Erik.

»Für mich ein Bier. Danke.«

Er bestellte die Getränke.

»Soll das Steak medium sein?«, fragte er an Kjara gerichtet.

»Eher gut durch.«

»Gut, dann einmal durch und einmal medium.«

»Sehr wohl«, hauchte der Kellner, machte sich eine Notiz und schritt mit schwellender Brust und erhobenen Hauptes davon.

»Du siehst heute wundervoll aus«, sagte Erik, seine Augen strahlten. »Schön, dass du das Kleid trägst.«

Kjara lächelte und nahm Eriks Hand. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart tatsächlich schön. Er verschlang sie geradezu mit seinen Blicken. So hatte sie sich nicht mehr gefühlt, seit sie Sebastian ›Basti‹ Kleinhaus durch ihr Fenster hereingelassen hatte. Der hatte sie angestarrt, in ihrem Sport-BH, der als Schlafanzugoberteil diente und der Boxershorts, auf der kleine Homer-Simpson-Köpfe abgebildet gewesen waren. Basti hatte sie ständig angestarrt. Mittlerweile würde sie ihn für einen Stalker halten, damals hatte sie sich in seiner Gegenwart hübsch und begehrt gefühlt. Er war umständlich über sie hergefallen und der Akt war bei Weitem nicht so schön gewesen, wie Kjara sich ihr erstes Mal ausgemalt hatte, doch Gefahr besaß etwas Elektrisierendes. Tante Maria hätte sie umgebracht, wenn sie mitbekommen hätte, dass ihre Nichte Jungsbesuch empfing.

Eriks Daumen strich sanft über Kjaras Handrücken und versetzte ihr mehrere kleine Stromstöße.

»Ich bin froh, in dich reingerannt zu sein«, sagte sie und beugte sich leicht vor.

»Ein Wink des Schicksals möglicherweise.«

»Möglicherweise.«

»Ich bin froh, dass du mich mit Kaffee übergossen hast.«

Sie kicherte. »Zum Glück war er abgekühlt.«

»Ach tatsächlich?«, fragte Erik. »Komm, ich zeig dir die Brandwunden.«

Der Kellner brachte die Getränke. Erik bedankte sich, nippte an seinem Wein und nahm erneut Kjaras Hand. Sie fühlte sich wie ein Teenager und konnte es kaum erwarten, ihn mit in ihre Wohnung zu nehmen und ihm das Jackett vom Leib zu reißen. Ihre letzte Beziehung war wie lange her? Zwei Jahre? Es wurde mal wieder Zeit, einen Mann ins Schlafzimmer zu zerren, und Erik würde nackt sicher umwerfend aussehen.

»Geht’s dir gut?« Erik riss sie aus ihren Gedanken.

»Bestens!«

Das Steak schmeckte köstlich. Nachdem sie die letzten Happen verputzt und ihre Gläser geleert hatten, überreichte Erik dem Kellner ein üppiges Trinkgeld und sie verließen das Restaurant Hand in Hand. Dies war ihr zweites Date. Kjara hatte vor Jahren die Regel aufgestellt, dass sie niemals vor dem dritten Treffen mit einem Mann schlief. Jetzt kämpfte sie ernsthaft mit diesem Prinzip. Vor der Haustür gab Erik ihr einen leidenschaftlichen Kuss. Er wartete einen Augenblick – ganz Gentleman – und als Kjara ihn nicht zu sich einlud, lächelte er und drückte ihre Hand.

»Sehen wir uns morgen?«

Kjara nickte, dann erinnerte sie sich an ihre Pläne für den morgigen Tag und schlug sich vor die Stirn. »Entschuldige, ich kann nicht.«

»Das macht nichts. Dann übermorgen. Oder den Tag darauf. Oder den Tag darauf. Wann immer es dir passt.«

Kjara kicherte und gab Erik rasch einen weiteren Kuss. »Übermorgen.«

»Gegen acht? Ich könnte früher Feierabend machen. Die Computer kommen ohne mich zurecht.«

Sie nickte. Es folgte ein weiterer Kuss, ehe Erik davonschlenderte. Kjara sah ihm hinterher.

Er war wie ein wahr gewordener Traum. Sie musste unbedingt erneut mit Pastor Hege sprechen. Erik durfte niemals von ihrer anderen Seite erfahren. Niemals!

Sie schüttelte den Kopf. Dies war nicht der passende Moment, um in dunkle Gedanken zu verfallen. Der Abend war trotz Kleid und Schickimicki-Restaurant magisch gewesen. Erik hatte sich Mühe gegeben – ein wahrer Prince Charming.

Ein Wunder, dass er sie überhaupt hatte ausführen wollen, nach ihrem ersten Aufeinandertreffen.

Vielleicht war es ein Wink des Schicksals gewesen.

Kjara erinnerte sich, wie sie vor einer Woche bereits zwei große Einkaufstaschen voller Lebensmittel in der linken Hand gehalten hatte und sich mühsam einen weiteren Beutel über die rechte Schulter gehängt hatte, dessen Inhalt aus fünf Gläsern Kaffeepulver bestand.

Warum nur, muss ich immer gleich so viel einkaufen?

In der freien Hand hielt sie einen Kaffeebecher. Sie versuchte gerade, umständlich daran zu nippen, als sie gegen jemanden prallte und ihr der Becher aus den Fingern glitt.

»Oh mein Gott, das tut mir leid!«, rief sie und betrachtete das Malheur.

Vor ihr stand ein Mann im dunklen Anzug. Auf seinem weißen Hemd prangte ein hellbrauner Fleck.

»Warten Sie, ich habe Servietten.« Kjara ließ die Taschen fallen und kramte in einer von ihnen herum. Die anderen Beutel kippten zur Seite und jede Menge Fertiggerichte kullerten auf den Bordstein. Sie spürte die aufkeimende Hitze in den Wangen und wollte mit der einen Hand weiter nach den Servietten kramen, während sie mit der anderen die Lebensmittel aufsammelte.

»Warten Sie, ich helfe Ihnen«, sagte der Mann und beugte sich zu ihr runter. Er verströmte einen angenehm süßlichen Duft und als Kjara einen ersten bewussten Blick auf sein Gesicht erhaschte, wäre ihr fast ein ›wow‹ entglitten. Dieser Kerl war verdammt scharf! Stattdessen stammelte sie ein paar unverständliche Worte.

»Ich bin Erik Lopéz.« Er kniete sich vor sie und sah sie aus eisblauen Augen an.

Sein gepflegter Drei-Tage-Bart ließ ihn ein wenig verrucht aussehen, seine Stimme klang ruhig und freundlich. Jetzt lächelte er und entblößte dabei eine Reihe perfekter Zähne.

Kjara hatte Mühe, sich wieder ihren davongekullerten Lebensmitteln zuzuwenden.

»Kjara Winter«, murmelte sie.

»Ein schöner Name.«

Erik half ihr, die Lebensmittel zurück in die Beutel zu stecken, und hielt bei der dritten Packung Tiefkühllasagne inne.

»Was denn?«, sagte sie und riss ihm die Lasagne aus den Händen. »Ich mag das Zeug.«

»Sie trinken ja reichlich löslichen Kaffee.«

»Sind Sie Ernährungsberater oder was? Aha! Hier, die Servietten.« Kjara reichte sie ihm, Erik winkte ab.

»Halb so wild, ich habe immer ein frisches Hemd in meinem Koffer.«

Kjara schielte an Erik vorbei und entdeckte einen grauen Aktenkoffer hinter ihm. »Oh. Das ist besser als die Servietten.«

Er zeigte erneut sein einnehmendes Lächeln, mit Zähnen wie aus einer Zahnpastawerbung. Zwei kleine Grübchen bildeten sich neben den Mundwinkeln, hinzu kam dieser stechende Blick.

Vor ihr kniete ein Mann, der immer bekam, was er wollte.

»Was machen Sie beruflich?«, fragte Erik.

Kjara schulterte ihre Taschen und die beiden erhoben sich. »Ich bin Schriftstellerin.«

»Das erklärt den Fertigfraß.«

»Kreative Menschen leben ungesund.« Sie zuckte die Achseln und schwenkte ihren Kaffeebecher. »Ich schätze, Ihr Hemd ist jetzt wacher als ich. Habe ich Sie verbrüht?«

»Kaum. Momentan kühlt es ab und mir wird kalt. Ich ziehe mich besser um und mache mich auf den Weg.«

»Ja. Ja, natürlich. Was machen Sie beruflich, Erik Lopéz?«

Erik griff nach seinem Aktenkoffer. »Ich bin Programmierer in einer IT-Abteilung.«

»Sie sehen gar nicht aus, wie ein Computerfreak.«

»Wir tragen nicht alle übergroße Brillen und manche von uns bürsten sich sogar ab und an das Haar.«

Kjara kräuselte die Stirn. »Das klingt mehr nach ›verrückter Professor‹.«

»Was schreiben Sie?«

»Dark-Fantasy-Romane mit einem Dämon als Hauptfigur. Ich arbeite momentan am vierten Band.«

»Weiß ich doch.« Erik zwinkerte. »Sie sind schließlich die Berühmtheit dieser Stadt. Ich bin ein Fan.«

»Veräppeln Sie mich?«

»Würd ich nie wagen. Sie können mir ja mal aus Ihrem neusten Werk vorlesen und ich koche uns etwas Vernünftiges.«

Kjaras Gesichtszüge entgleisten und um ein Haar wäre ihr die Einkaufstasche mit dem Kaffee von der Schulter gerutscht, sie richtete sie.

»Was halten Sie davon, wenn wir uns am Samstagabend einen Film ansehen?«

Kjara starrte ihn an.

»Wunderbar. Wir treffen uns um 18:30 Uhr am Kino. Dann dürfen Sie mich mit Cola überschütten.« Erik grinste und ging davon.

Kjara richtete erneut ihre Einkaufstasche.

»Wow.«

 

* * *

 

Kjara schloss die Tür und atmete tief durch.

Also wieder keinen Sex für den armen Herrn Gleitgel, erklang eine volltönige Stimme in ihrem Inneren.

»Na, endlich wach?«

Ich habe euch beobachtet und es überrascht mich, dass du nicht mit ihm schläfst.

»Es war das zweite Date!«

Er schreit ja geradezu danach, flachgelegt zu werden mit dem ganzen Zeug in seinen Haaren.

»Es ist Haargel! Haargel! Nicht Gleitgel, nenn ihn nicht so. Rik ist ein toller Mann. Vielleicht schaffe ich es, ihn nicht sofort zu verschrecken, sobald es ernster zwischen uns wird.«

Kjara marschierte durchs Wohnzimmer. Das einzige Licht im Raum stammte von einer Straßenlaterne. Er hatte es lieber dunkel und sie sich mit der Zeit daran gewöhnt.

»Ich brauch ’nen Kaffee.«

Was Herr Gleitgel wohl davon hält, wenn er erfährt, dass du doch nicht weniger Kaffee trinkst und weiter ungesundes Zeug in dich hineinstopfst? Ob er dir bald einen Ernährungsplan aufstellt?

»Halt die Klappe, okay? Er achtet eben darauf, was er isst und trinkt. Ist doch nichts dabei, das machen viele.«

Kjara versetzte der Küchentür einen Tritt und stapfte zum Wasserkocher. »Achtung, ich knipse das Licht an.« Sie drückte den Schalter einer batteriebetriebenen Stehlampe, die sie auf der Fensterbank platziert hatte. »Wie lange überlege ich jetzt, mir eine vernünftige Kaffeemaschine zuzulegen?«

Sicher kauft Doktor Gleitgel dir eine.

Kjara warf die Arme in die Luft und stöhnte auf. »Ich rede nicht mehr mit dir. Leg dich wieder schlafen.«

Sie schaltete den Wasserkocher an und öffnete das Glas mit dem löslichen Kaffee. Aus der Spüle nahm sie den Becher von heute Morgen und gab einen gehäuften Löffel voll hinein. Dann hielt sie kurz inne und schüttete einen weiteren Löffel dazu.

»Ich muss heute unbedingt schreiben, wenn ich die Abgabefrist einhalten möchte. Am besten brühe ich mir gleich eine ganze Kanne auf.«

Wann ziehen wir mal wieder um die Häuser? Die tiefe Stimme übertönte das Rauschen des Wasserkochers. Kjara rieb sich die Schläfen. Wenn sie heute wieder keine Ruhe zum Schreiben fand, würde sie Amok laufen.

»Sobald wir den nächsten gefunden haben.«

Du suchst gar nicht mehr.

»Ich habe viel zu tun.«

Das Wasser brodelte und der Wasserkocher schaltete sich mit einem Klicken aus. Kjara füllte ihren Becher. Das Aroma des Kaffees stieg ihr in die Nase.

»Du kennst die Regel. Morgen nach unserem Besuch darfst du weiter über meinen Freund lästern. Warte damit bitte, bis wir wieder zuhause sind. Der Gang in die Anstalt ist auch ohne dein Genörgel schwer genug. Danach kannst du Rik Gleitgel nennen, so oft du willst. Schreibe ich, herrscht Ruhe.«

Es folgte keine Erwiderung.

»Es sei denn, ich frage dich Relevantes für die Handlung.«

Wenn du mich nicht hättest.

»Dann hätte ich seltener Kopfschmerzen.« Kjara nahm den Kaffee, schaltete die Stehlampe aus und machte sich auf den Weg in ihr Büro.

 

* * *

 

Am nächsten Morgen lief Kjara durch die Schiebetüren des St.-Angela-Hospitals. Sofort schlug ihr der typische Krankenhaus-Geruch entgegen und sie verspürte den Wunsch, auf der Stelle wieder umzukehren. Patienten schlichen an ihr vorbei wie geisterhafte Schatten, die niemand außer Kjara bemerkte.

»Guten Morgen, Frau Winter«, begrüßte sie eine ältere Dame am Empfang. Sie trug kein Namensschild und obwohl sich die beiden Frauen häufiger unterhalten hatten, hatten sie sich nie einander vorgestellt.

Kjara fragte sich, ob es in dieser Einrichtung nur eine Empfangsdame gab. Außer Agnes – Kjara hatte ihr heimlich diesen Namen gegeben, weil sie wie eine Agnes aussah – hatte sie nie eine andere Person dort sitzen sehen. Eines Tages würde sie die Frau nach ihrem richtigen Namen fragen.

In ihrer Fantasie war Agnes eine ledige Frau, möglicherweise Witwe, die sich ihren Haushalt mit zehn Katzen teilte. Sie schlief schlecht, weil sie unter Nachtangst litt und oft schreiend aufwachte. Die Panikattacken hatte sie von ihrer Tante Clara geerbt, die als betagte Frau aus dem Fenster gestürzt war, da sie es im Halbschlaf für eine Tür gehalten hatte. Nachts brachte Agnes die Nachbarn um den Verstand, wenn sie kreischte und aus dem Bett sprang und ihre Katzen draußen ihre Konzerte gaben.

Einst war sie verliebt gewesen. Das war viele Jahre her und nachdem Charles – ein englischer Zuwanderer – sie wegen einer anderen Frau verlassen hatte, ließ sie niemanden mehr an sich heran. Mit Ausnahme ihrer Katzen. Die verurteilten sie nicht und akzeptierten sie, trotz der dunklen Augenringe und der nächtlichen Panikattacken.

Kjara grüßte Agnes. »Wie geht es Ihnen?«

»Oh, immer derselbe Trott. Wie ist es Ihnen ergangen, Frau Winter?«

»Ich arbeite an meinem neuen Roman. Es geht voran, schleppend, aber er nimmt Gestalt an.«

»Ich habe gerade mit dem ersten Band angefangen. Bisher gefällt er mir, wenngleich ich auf die ein oder andere Gewaltszene verzichten könnte. Ich frage mich, ob alle Autoren ein gewisses Maß an Sadismus tolerieren. Wie schaffen Sie es, nachts zu schlafen, wenn Ihnen solche Abartigkeiten durch den Kopf schwirren?«

»Berufsgeheimnis.« Kjara grinste. »Verraten Sie mir, wie es Ihnen insgesamt gefallen hat, ja?«

Agnes hob die Mundwinkel zu einem Lächeln an und erinnerte dabei an Angela Merkel.

»Wie geht es den beiden?«, fragte Kjara.

Ein Mann um die 60 kam ihr entgegen. Er wirkte apathisch und stützte sich auf eine junge Frau, die in überschwänglichem Ton auf ihn einredete.

»Unverändert«, sagte Agnes. Ihre Mundwinkel hingen wieder schlaff nach unten und ihre Augenringe schienen an Intensität zugenommen zu haben. »Sie dürften sich im Gemeinschaftsraum aufhalten. Den Weg dorthin kennen Sie ja.«

»Ja. Danke.« Kjara schenkte Agnes ein halbherziges Lächeln und machte sich auf den Weg durch den endlosen Korridor.

Immer wieder schlurften Patienten an ihr vorbei wie Schauspieler aus Die Nacht der lebenden Toten. Arzthelfer eilten durch die Gänge – im St.-Angela-Hospital wirkten die Mitarbeiter stets, als befänden sie sich auf dem Weg zu einem Notfall. Niemals hatte Kjara zwei Angestellte bei einem Plausch erwischt, nie sah sie jemanden mit Kaffee in der Hand. Sie flitzten durch die Flure und bildeten einen Kontrast zu den geisterhaften Patienten.

St. Angela vereinte ein Krankenhaus mit einer psychiatrischen Klinik. Auf halbem Wege schien sich die Atmosphäre schlagartig zu ändern, kein Hasten und kein Schlurfen mehr und Kjara beschlich ein mulmiges Gefühl. Was Krankheit bedeutete, wusste sie, aber psychische Störungen bereiteten ihr Gänsehaut. Was ging in den Hirnen dieser Menschen vor sich? Was war der Auslöser für ihre verdrehte Sichtweise gewesen?

Am Ende des Korridors kam eine Gabelung. Kjara schlug den rechten Gang ein, auf deren Schwingtüren in großen Lettern das Wort ›Psychiatrie‹ stand.

Nach einem weiteren Korridor folgte die Doppeltür, die direkt in den Gemeinschaftsraum führte. Kjara trat ein und entdeckte einen ihr bekannten Pfleger. Seinen Namen kannte sie genauso wenig. Sie nannte ihn heimlich Viktor, weil er sie an einen ihrer ehemaligen Klassenkameraden erinnerte. Lächelnd winkte sie ihm zu.

Kjara näherte sich dem Tisch, an dem eine Frau mittleren Alters mit grau melierten Haaren saß, die schlapp über ihre Schultern fielen. Sie sah mindestens zehn Jahre älter aus, als sie in Wirklichkeit war. Daneben kauerte ein Mann. Er starrte auf ein Kreuzworträtsel, ohne ein einziges Feld ausgefüllt zu haben. Mit der leicht zitternden linken Hand umklammerte er einen Kugelschreiber.

»Hey, Mama. Hey, Papa«, sagte Kjara und setzte sich zu den beiden an den Tisch.

Helene sah geradewegs durch sie hindurch. Es versetzte Kjara jedes Mal einen Stich, von ihr angesehen und nicht erkannt zu werden.

»Möchten Sie einen Kaffee?«

Kjara fuhr zusammen.

»Oh, entschuldigen Sie.« Viktor hob abwehrend die Hände und trat einen Schritt zurück. Röte schoss ihm ins Gesicht, die ihn wie einen 16-jährigen Jungen erscheinen ließ. Er machte den Job seit mindestens fünf Jahren, trotzdem wurde er dauernd rot, wenn er mit Angehörigen sprach. Vermutlich lag ihm das soziale Interagieren mit geistig gestörten Menschen eher. Unter anderen Umständen wäre diese Tatsache für Kjara ein gefundenes Fressen gewesen, aber der Gemeinschaftsraum schien ihre Kreativität zu absorbieren.

»Nichts passiert«, sagte Kjara. »Ich war in Gedanken. Was haben Sie gefragt?«

Viktor trat wieder näher an den Tisch. Die Röte in seinem Gesicht blieb. »Ob Sie einen Kaffee möchten.«

»Erstaunlicherweise habe ich keine Lust auf Kaffee. Danke für das Angebot.«

Viktor nickte und entfernte sich.

»Soll ich dir bei dem Rätsel helfen, Papa?« Vorsichtig streckte Kjara die Hand aus und zog das Heft an sich.

Papa rührte sich nicht. Er umklammerte weiter seinen Stift wie ein Räuber, der jeden Moment mit gezücktem Messer auf sein Opfer losgehen würde.

»Ich habe leider keinen Kugelschreiber. Was hältst du davon, wenn ich dir die Fragen vorlese und du die Antworten in das Heft schreibst?

---ENDE DER LESEPROBE---