Alaska Love - Sterne über Wild River - Jennifer Snow - E-Book

Alaska Love - Sterne über Wild River E-Book

Jennifer Snow

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Beschreibung

Kann sie ihr Herz noch einmal riskieren?

Die Personenschützerin Leslie Sanders braucht einen sicheren Ort, um ihre neueste Klientin vor einem Stalker zu verstecken. Also kehrt sie mit dem jungen Hollywood-Star in ihre verschlafene Heimatstadt Wild River zurück. Wieder in Alaska zu sein, weckt tief begrabene Gefühle in Leslie, und sie merkt, dass sie noch nicht über den Tod ihres Verlobten Dawson hinweg ist. Noch komplizierter wird es, als sie plötzlich Levi Grayson gegenübersteht, dem besten Freund von Dawson und ein Elite-Firefighter wie dieser. Denn Levi hat schon lange Gefühle für Leslie, die über Freundschaft hinausgehen, aber auch er setzt sein Leben jeden Tag aufs Neue aufs Spiel ...

"Herzerwärmend, sexy und absolut empfehlenswert!" MELISSA FOSTER, Bestseller-Autorin

Band 4 der romantischen und sexy Small-Town-Romance von Bestseller-Autorin Jennifer Snow

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

1

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5

6

7

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Jennifer Snow bei LYX

Leseprobe

Impressum

JENNIFER SNOW

Alaska Love

STERNE ÜBER WILD RIVER

Roman

Ins Deutsche übertragen von Hans Link

Zu diesem Buch

Die Personenschützerin Leslie Sanders braucht einen sicheren Ort, um ihre neueste Klientin vor einem Stalker zu verstecken. Also kehrt sie mit dem jungen Hollywood-Star in ihre verschlafene Heimatstadt Wild River zurück. Wieder in Alaska zu sein, weckt tief begrabene Gefühle in Leslie, und sie merkt, dass sie noch nicht über den Tod ihres Verlobten Dawson hinweg ist. Noch komplizierter wird es, als sie plötzlich Levi Grayson gegenübersteht, dem besten Freund von Dawson und ein Elite-Firefighter, der seinen Job mit der gleichen Leidenschaft ausübt wie Dawson Polizist war. Levi hat schon lange Gefühle für Leslie, die über Freundschaft hinausgehen, aber auch er setzt sein Leben jeden Tag aufs Neue aufs Spiel …

Für meine Mom, den stärksten aller Menschen, die ich kenne.

Ich danke dir für alles. XO

1

Irgendwo in der Gegend von Wild River

Siebenundfünfzig Stunden saß sie jetzt zusammen mit Selena Hudson in einem Auto, und langsam fragte sich Leslie Sanders, ob es wirklich so wichtig war, dass diese Frau am Leben blieb.

Selena hörte nicht auf, auf dem Beifahrersitz herumzuzappeln. Sie streckte ihre schlanken Beine aus und betrachtete die umliegende Landschaft – schneebedeckte Tannen, so weit das Auge reichte. »Wann sind wir da?«

Wenn Leslie diese Frage noch ein einziges Mal hörte, würden ihr vermutlich Rauchwölkchen aus den Ohren steigen. »In ein paar Minuten.« Mehr als zwanzig, aber jede Sekunde, eingepfercht im Wagen, fühlte sich an wie eine Ewigkeit.

»Aber hier draußen ist doch nichts. Ich habe seit über einer Stunde kein Haus gesehen, kein Geschäft, nicht einmal eine miese kleine Tankstelle. Dieser ganze Landstrich sieht verlassen aus.«

Das war der Punkt.

Leslie ging etwas vom Gas und suchte die Schneise zwischen den Bäumen, wo ein Weg, der gerade breit genug für ein Auto war, in den Wald führte. Es war eine Weile her, dass sie selbst hier hergefahren war, und dieses Stück verschneiter alaskischer Überlandstraße war wenig abwechslungsreich. Als sie den Abzweig in letzter Sekunde entdeckte, nahm sie die scharfe Kurve so vorsichtig wie möglich. Die Ganzjahresreifen ihres Gebrauchtwagens kamen mit den Frühlingsbedingungen Alaskas nicht besonders gut zurecht.

Hohe dicke Bäume zu beiden Seiten versperrten die Sicht auf die untergehende Sonne und warfen unheilverkündende Schatten.

»Ich dachte, Sie versuchen, mir das Leben zu retten. Hier sieht es aus wie in einem Horrorfilm.«

Selena Hudsons lebhafte Fantasie war eine Berufskrankheit, wenn man wie sie in Filmkulissen aufgewachsen war. Der Disney-Kinderstar, aus dem eine berühmte Darstellerin in Liebeskomödien geworden war, nahm die Welt nur wahr, wenn sie von Kunstlicht erhellt wurde.

»Glauben Sie mir, das hier ist der sicherste Ort für Sie.« Hoffentlich klang Leslie überzeugender, als sie sich fühlte. Je weiter sie sich von L. A. entfernt hatten, umso mehr schwand ihre Zuversicht.

»Ist das überhaupt eine Straße?«

»Ja.« Keine tolle. Ihr Kleinwagen hatte Mühe mit dem Schnee.

»Sind Sie sich sicher, dass dieses Auto hier durchkommt?«, fragte Selena.

»Ja.« Wenn ein kleines Wunder geschah jedenfalls. Es reizte sie nicht besonders, auszusteigen und den Rest des Weges zu Fuß zu gehen. »Halten Sie einfach durch. Wir sind fast da.«

Selena seufzte, lehnte sich dann aber zurück.

Einige Minuten und etliche Gebete später bremste Leslie und legte vor einer kleinen, abgeschiedenen Holzhütte den Parkgang ein.

»Sagen Sie mir, dass das nicht unser Quartier ist.« Auf Selenas wenig beeindruckten Gesichtsausdruck war Leslie vorbereitet. Nur Luxusabsteigen mit fünf Sternen fanden Gnade vor den Augen des Stars. »Der Motor ist heiß gelaufen, oder? Halten wir deshalb?«

»Nein. Wir sind am Ziel. Das ist die Hütte meiner Familie. Sie ist sicher.«

»Gibt es hier überhaupt fließendes Wasser?«

»Ja.« Hoffentlich. Wenn es nicht aus den Rohren gelassen worden war, um zu verhindern, dass sie während der Wintermonate einfroren. Die Wahrheit war, sie war seit Jahren nicht mehr hier gewesen. Leslies Entscheidung, den Filmstar in die alaskische Wildnis draußen vor ihrer Heimatstadt Wild River zu bringen, war eine impulsive gewesen. Eine, für die sie keine offizielle Zustimmung erhalten hatte und die sie durchaus ihren Job bei dem privaten Sicherheitsdienst in L. A. kosten konnte. Es war eine Entscheidung, für die sie keine Vorbereitungszeit gehabt hatte. Sie hatte sie von jetzt auf gleich treffen müssen, und das war ihr eingefallen.

Natürlich hatte sie die Wahrheit auch ein wenig schönen müssen, um den Filmstar dazu zu bewegen, ihrer irrsinnigen Idee zuzustimmen, mit dem Auto von Kalifornien nach Alaska zu fahren, und jetzt legte der Ausdruck des Entsetzens auf Selenas Zügen die Befürchtung nahe, dass sie nie wieder irgendeinem anderen Klienten zugeteilt werden würde.

Aber sie war Personenschützerin von Beruf, und das hier hatte sich wie die beste und einzige Reaktion auf den Einbruch von Selenas Stalker angefühlt.

»Sie haben gesagt, wir würden in ein Skiresort fahren.«

Leslie nickte. »Sie können hier draußen Langlauf machen.« Ihre Familie bewahrte in dem kleinen Schuppen hinter der Hütte Skier und Schneeschuhe auf. Natürlich würden sie den Weg zum Schuppen erst einmal freischaufeln müssen.

Selena starrte sie an. »Sie wissen, dass das nicht das ist, was ich erwartet habe.«

»Nun, Erwartungen sind immer so eine Sache.«

»Leslie! Sie haben mich belogen. Sogar in vielen Punkten. Sie haben mich von Unicorn getrennt – der übrigens ein emotional stabilisierendes Tier ist –, und Sie haben gesagt, diese Autofahrt würde Spaß machen. Hat sie aber nicht. Sie haben gesagt, wir könnten unterwegs anhalten und uns etwas ansehen. Haben wir nicht gemacht. Sie haben gesagt, diese gemeinsame Zeit würde uns einander näherbringen. Spoiler-Alarm – ich habe überhaupt nicht das Gefühl, Ihnen nähergekommen zu sein.«

Leslie stellte den Motor des Wagens ab. »Hören Sie, ich wusste, dass Sie nicht mitgekommen wären, wenn ich Ihnen die ganze Wahrheit gesagt hätte, und es blieb keine Zeit, Unicorn zu holen, bevor wir die Stadt verlassen mussten.« Der kaum zweieinhalb Kilo auf die Waage bringende Chihuahua des Stars war im Posh Puppy Spa gewesen, als sie Hals über Kopf aus L. A. verschwunden waren.

Selenas verkniffener Gesichtsausdruck verriet, dass sie kurz davor war, vor Ärger zu platzen, sie rutschte auf dem Sitz hin und her. »Wir bleiben nicht hier, aber ich muss wirklich pinkeln, also ist der Plan folgender. Wir gehen hinein. Ich pinkele. Dann machen wir, dass wir hier wegkommen, bevor Jason mit einem Eishockeyhelm auftaucht und uns ermordet.«

Leslie knirschte mit den Zähnen. Sie konnte die beiden ersten Schritte dieses Plans ermöglichen, aber Selena würde akzeptieren müssen, dass sie nicht weiterfahren würden. Nicht bis Leslie herausgefunden hatte, was als Nächstes passieren sollte. »Lassen Sie uns reingehen«, sagte sie. »Sie werden sich bestimmt besser fühlen, sobald Sie die Hütte von innen gesehen haben.«

»Verlassen Sie sich nicht zu fest darauf«, murrte Selena. Sie schaute aus dem Fenster. »Wie sollen wir überhaupt zur Tür kommen?«

»Ähm …« Leslie schaute auf ihre eigenen Füße und dann auf die der anderen Frau. Selenas Laufschuhe und ihre eigenen Arbeitsschuhe waren einem Marsch durch hohen Schnee nicht gewachsen.

Seit dem vergangenen Sommer war niemand mehr in der Hütte gewesen; Katherine, ihre Schwester, kam gewohnheitsmäßig jedes Jahr einige Wochen her, um sich zu erholen. Sie behauptete, dass die angenehme Geräuschkulisse ihr half, sich zu entspannen, genau wie der Wald um sie herum, dann konnte sie sich von dem Stress ihres Jobs als Detective der Mordkommission der alaskischen Staatspolizei erholen. Abgesehen von diesem jährlichen Besuch benutzte eigentlich niemand aus ihrer Familie die Hütte. Jedenfalls nicht mehr seit dem Tod ihres Vaters, als die Familienatmosphäre angespannter geworden war. Und definitiv nicht während der Wintermonate, wenn der Zugang zur Hütte und zu Aktivitäten im Freien behindert war, daher war sie nicht mehr gut in Schuss.

Leslie wusste, dass die Heizung nicht eingeschaltet sein würde, und keine von ihnen war für alaskisches Wetter gekleidet; sie trugen lediglich Übergangsjacken und billige dünne Stoffhandschuhe von der letzten Tankstelle, bevor sie nach Alaska gelangt waren.

Zugegeben, sie hatte die Logistik dieser überstürzten Entscheidung nicht gründlich durchdacht … eigentlich überhaupt nicht durchdacht. Es war eine Reaktion binnen eines Herzschlags gewesen, eine Reaktion auf eine gefährliche Situation. Ihr Kämpfen-oder-Fliehen-Instinkt hatte die Kontrolle übernommen, und sie hatte sich dafür entschieden zu fliehen, unsicher, wogegen sie eigentlich kämpften. Ihre Ausbildung hatte sie gelehrt, dass es immer ein Nachteil war, unvorbereitet zu sein, und sie hatte Selena nicht noch größerer Gefahr aussetzen wollen, indem sie die Sache in L. A. abwartete.

Selenas Blick brannte sich in ihren. »Also?«

Sie würde nicht in Panik geraten oder ihrer Klientin gegenüber unvorbereitet erscheinen. Bleib cool.

Leslie bückte sich, um ihre Stiefel aufzuschnüren. Sie hatten in der Hütte zusätzliche Winterkleider und Stiefel. Sie brauchten nur dort hinzugelangen. »Wir tauschen.«

»Igitt. Auf keinen Fall.«

»Wollen Sie wirklich in diesen Schuhen durch den Schnee stapfen?« Sie deutete mit dem Kopf auf die zartgrün-hellrosafarbenen Laufschuhe.

»Nein. Also werden Sie mich wohl zur Tür tragen müssen.«

Diese Frau hatte offenbar den Verstand verloren. »Sie wollen, dass ich Sie trage?«

»Hören Sie, es war Ihre Lebensentscheidung, Bodyguard zu werden. Daher haben Sie sich verpflichtet, meinen Körper zu schützen – meinen ganzen Körper und auf jede notwendige Weise. Und wenn Sie einen traditionellen Männerberuf ausüben wollen …«

Verdammt, ging das schon wieder los. Selenas Ungläubigkeit und Enttäuschung, dass man ihr einen weiblichen Leibwächter zugeteilt hatte. Während des ersten Monats hatte sie sich nur Selenas Skepsis anhören müssen, ob Leslie sie in einer lebensbedrohlichen Situation tatsächlich beschützen könne. Leslies Referenzen – fünf Jahre als Staatspolizistin in Alaska, drittbeste Absolventin ihres Kurses an der Akademie und ihr intensives, achtundzwanzig Tage umfassendes Training in Personenschutz, zusammen mit ihren schwarzen Gürteln in Jiu Jitsu und Karate hatten nicht dazu beigetragen, den Star zu beruhigen. Leslie hatte gelernt, die leise vor sich hin gemurmelten Kommentare auszublenden, genau wie die, die nicht so leise geäußert wurden, wenn Selena schlechte Laune hatte. Wenn der Star die Zusicherung wollte, dass Leslie ihren Job erledigen konnte, war das hier ihre Chance, es zu beweisen.

»Wie viel wiegen Sie?«

»Das ist unhöflich.«

Leslie musterte sie. Einsfünfundfünfzig, aber supermodeldünn. Sie konnte nicht mehr als fünfzig Kilo wiegen. Bedauerlicherweise war Leslie selbst kein Schwergewicht, aber sie war stark und entschlossen, und das ersetzte jederzeit Größe. Zumindest hatte sie sich das im Laufe der vergangenen sieben Jahre während der rigorosen und anspruchsvollen Ausbildung wiederholt selbst gesagt, und zwar immer dann, wenn sie sich versucht gefühlt hatte, hinzuschmeißen.

Leslie öffnete die Tür – mit ziemlichem Kraftaufwand gegen den Schnee –, stieg aus und stapfte zur Beifahrerseite. Nasser Schnee rutschte ihr in die Stiefel, und die feuchte Luft ließ sie frösteln. Es begann zu schneien, und die großen, dicken Flocken bedeckten binnen Sekunden ihre dünne Jacke. Sie öffnete die Beifahrertür, drehte sich um und ging in die Hocke. »Steigen Sie auf.« Sie würde Selena Huckepack hineintragen.

»So habe ich das nicht gemeint.«

»Wollen Sie nun rein oder nicht?«

»Nicht wirklich«, sagte Selena, aber dann seufzte sie und schlang Leslie die Arme um den Hals und die Beine um die Taille.

Leslie umfasste sie mit festem Griff, stand auf und schloss dann mit einem Tritt die Tür.

Die Versuchung, Selena »versehentlich« in die Schneeverwehung zu werfen, war unglaublich verlockend, aber Leslie würde sich an jeden Strohhalm klammern, der die Hoffnung nährte, dass sie nach ihrem Fiasko ihren Job behalten konnte. Sie erwartete keine Fünf-Sterne-Bewertung ihrer Leistung, nachdem das hier vorüber war, aber wenn sie die Frau beschützte, musste das doch etwas zählen.

Hoffte sie jedenfalls.

Als ehemalige alaskische Staatspolizistin, die fünf Jahre lang bei der Highway-Patrouille gearbeitet hatte, hatte Leslie beruflich ihr Leben lang nichts anderes gekannt als eine beschützende Funktion. Es lag ihr im Blut – ihre Mutter war der zweite weibliche Staatspolizist in diesem nördlichen Staat gewesen, und ihre ältere Schwester und ihr jüngerer Bruder waren ebenfalls bei der Truppe. Leslie wollte kein Cop mehr sein, und dieser neue Weg gefiel ihr … normalerweise mochte sie ihren Job. Mochte die unterschiedlichen Herausforderungen und Hindernisse, das Element von Anspannung und Gefahr. Es hielt ihren Adrenalinspiegel hoch und erinnerte sie daher daran, dass sie lebte.

Sie war eine der Besten – eine besonders beeindruckende Leistung, wenn man bedachte, dass sie eine Frau war und kleiner als die anderen Bodyguards in der Agentur. Bisher hatte sie Herausragendes geleistet bei allen Aufträgen, die man ihr zugeteilt hatte.

Aber dieser Personenschutz war schnell zu ihrem schwierigsten geworden.

Bei den anderen hatte man sie als zusätzliches Sicherheitspersonal engagiert … vorsichtshalber während Zeiten von hohem Aktionslevel und großer Sichtbarkeit des Klienten. Aber diesmal bestand eine akute Bedrohung für die Sicherheit der Person.

Es kam nicht infrage, bei dieser ersten echten Prüfung ihrer Fähigkeiten zu scheitern.

Der Schnee war noch tiefer, als es aus dem Wagen betrachtet ausgesehen hatte, und Leslie versank bei jedem Schritt bis zu den Knien. Ihre Füße wurden taub, und sie mühte sich, tief die kalte Bergluft einzuatmen, die in dieser Höhe dünner war als bei all den Wanderungen durch die kalifornischen Gebirgszüge, die sie unternommen hatte.

Auf die alaskische Wildnis in den kälteren Monaten konnte man sich kaum vorbereiten. Über die Veranda gelangte sie zum Haus, griff auf den Türrahmen, durch die Schicht aus Schnee und Eis und fand den Ersatzschlüssel.

»Sehr sicher«, kommentierte Selena.

»Wir sind hier mitten im Nirgendwo, und außerdem gibt es in der Hütte ohnehin nichts von Wert.«

»Wow. Tolle Art, sie mir schmackhaft zu machen«, murrte Selena.

Leslie schloss die Tür auf und trat ein. Sie stellte Selena sofort wieder auf die Füße und ließ die Schultern kreisen. Mit dem wachsenden Stress und der Notwendigkeit, die andere Frau zu tragen, waren ihr Rücken und ihr Nacken vollkommen steif. Wenn all dies vorüber war, hätte sie sich eine freie Woche verdient.

Sie schaltete das Licht an, und es wurde hell im Raum. Sofort wurde Leslie flau im Magen – Erinnerungen an das Beisammensein der Familie in dieser Hütte stürmten im denkbar schlimmsten Moment auf sie ein.

Dieser Ort war der letzte, an dem sie sich ihrer Erinnerung nach glücklich gefühlt hatte – wirklich glücklich, wie es nur ein Kind ohne Sorgen sein kann. Die Hütte war nicht groß und luxuriös wie die im Besitz wohlhabender Familien, die näher am Wasser lagen, aber sie war behaglich mit ihren zum Dach hin geöffneten Schlafzimmern mit schrägen Wänden, einem richtigen Holzofen und den für die Blockhüttenbauweise so typischen, auch innen unbehandelten Baumstämmen. Sie und ihre ältere Schwester hatten sich ein Zimmer unter dem Dach geteilt, und ihrem Bruder hatte das andere gehört. Ihre Eltern hatten ihr Schlafzimmer darunter gehabt. Ein kleines Wohnzimmer öffnete sich bis zum Dach mit Oberlichtern, die die Sterne und das Nordlicht auf sie herabscheinen ließen. Es besaß einen Kamin und ein paar bequeme Sitzmöbel, die sie aus dem Haus in Wild River mitgenommen hatten, sobald man ihnen ihr Alter angemerkt hatte. An den Wänden hingen Landschaftsaufnahmen der umliegenden Pfade und Flüsse. Und mehrere Familienfotos, auf denen sie und ihre Geschwister noch jung waren – von vor Ewigkeiten.

Es roch sogar wie früher, obwohl monatelang niemand hier oben gewesen war. In der Luft lagen der Duft von Feuerholz und ein Hauch von Staub. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, und sie konnte das Schokoladen-Marschmallow-Aroma der S’Mores beinahe schmecken, die sie jeden Abend über dem offenen Feuer geschmolzen hatten.

Sie schüttelte die Regung ab. Sie war nicht im Urlaub hier oder mit ihrer Familie. Es blieb keine Zeit für Wehmut, sie musste einen klaren Kopf behalten und überlegen, was zur Hölle sie tun sollte, jetzt, da sie hier waren … mitten im Nirgendwo und ohne dass irgendjemand wusste, wo sie waren.

»Bleiben Sie hier. Ich hole die Sachen aus dem Auto.« Nicht dass sie Selena hätte sagen müssen, dass sie nicht helfen solle. Während der letzten drei Monate, seit sie den Sicherheitsleuten des Stars zugeteilt worden war, hatte sie keinen Erfolg dabei gehabt, Selena klarzumachen, dass sie, Leslie, ihr Bodyguard war, nicht aber ihre persönliche Assistentin, auch nicht ihre Zofe, wenn sie shoppen ging, nicht eine Schulter zum Ausweinen, als der letzte Schauspielerkollege Schluss gemacht hatte, und nicht ihre Freundin.

Sie stapfte zurück durch den tiefen Schnee zum Wagen. Nachdem sie den Kofferraum geöffnet hatte, holte sie die Einkaufstüten mit Lebensmitteln heraus. Sie stammten aus dem letzten Supermarkt, an dem sie vorbeigekommen waren, bevor sie den Highway verlassen hatten, und vor jedem Anzeichen von Zivilisation geflohen waren.

Es war keine frische Goldmakrele oder was immer Selenas Makro-Diät ihr als Kost vorschrieb, aber zumindest sorgte Leslie dafür, dass sie nicht verhungerte, während sie hier festsaßen.

Nervosität schnürte ihr die Brust zusammen. Wie lange genau würde das sein? »Zu Hause« zu sein oder in unmittelbarer Nähe machte ihr jetzt schon Stress, und die äußeren Umstände genügten, um eine ernsthafte Panikattacke auszulösen. Sie hatte seit über einem Jahr keine mehr gehabt, aber jetzt schien der perfekte Zeitpunkt für die Rückkehr alter nervlicher Gebrechen zu sein. Sie atmete die kühle Luft tief ein, als sie den Kofferraum schloss und zurück in die Hütte ging.

Selena stand immer noch genau dort, wo sie sie verlassen hatte. »Es ist eiskalt«, sagte sie, hüpfte von einem Fuß auf den anderen und rieb sich die Arme in ihrer dünnen Jacke. »Wo ist der Thermostat?«

Natürlich. Weil Hütten in der entlegenen alaskischen Wildnis elektrische Heizungen hatten.

Leslie brachte die Lebensmittel in die Küche, stellte die Tüten auf die Arbeitsplatte und ging dann direkt zum Schrank im Flur. Mit einem Stapel Decken kehrte sie ins Wohnzimmer zurück. »Setzen Sie sich und wickeln Sie sich in diese Decken. Ich mache sofort Feuer.«

Selena blieb stehen und sah sich in der Hütte um.

»Bringen Sie mich zurück nach L. A.«

»Damit Ihr Stalker Sie töten kann?«

Sie schnaubte. »Denken Sie, ich hätte noch nie einen Stalker gehabt?«

Als sei das etwas, worauf man stolz sein konnte. Wenn man bedachte, wie viele Follower in den Sozialen Medien diese VIPs hatten, konnte man allerdings davon ausgehen, dass sie an eine leichte Version des Dauer-Stalkens gewöhnt sein mussten. Stars wie Selena ersehnten die Aufmerksamkeit und Anerkennung, die die Gesellschaft ihnen erwies.

»Keinen wie diesen«, sagte Leslie.

»Was macht diesen einen denn so verflixt … gefährlich?« Selenas Zähne klapperten, und sie griff widerstrebend nach einer Decke, legte sie sich um die Schultern, blieb aber neben der Tür stehen.

»Er war in Ihrem Schlafzimmer, das ist gefährlich.« Das war alles, was sie ihr offenbaren würde. Selena brauchte die schmutzigen Details nicht zu wissen … jedenfalls noch nicht. Wenn sie das hier weiterhin nicht ernst nahm, würde vielleicht die Zeit kommen, ihr gegenüber brutal ehrlich zu sein. Eine Art Einschüchterungstaktik, wenn alles andere versagte.

Leslies Hände zitterten vor Kälte, als sie mehrere Holzscheite im Kamin übereinanderschichtete und ein Streichholz anzündete. Dann griff sie nach einer alten Zeitung, entzündete das Ende, warf sie hinein und schloss das metallene Schutzgitter.

»Ich sage ja nur, wenn ich in so großer Gefahr wäre, hätte man mir dann nicht einen muskulösen, kräftigen – vorzugsweise heißen – Bodyguard zugeteilt, der auf mich aufpasst, und nicht Sie?«

Leslie ignorierte die Frage, die sie bereits ein Dutzend Mal beantwortet hatte. Sie war ihr zugewiesen worden, weil sie genauso tüchtig war, wenn nicht sogar besser ausgebildet als jeder Einzelne der Männer in der Agentur, und sie war weniger auffällig. Selenas Management hatte klargestellt, dass das Erfolgsgeheimnis des Stars davon abhing, für die Fans zugänglich zu wirken. Ein stiernackiger Bodyguard passte nicht gut zu dem Image, das vermittelt werden sollte.

»Aber wir werden nur ein paar Tage hier sein, oder?«

Leslie grunzte etwas Unverständliches.

»Leslie …« Selenas Ton war eine Warnglocke. »Wie lange bleiben wir hier?«

Es wäre leichter gewesen, mit einer Dreijährigen fertigzuwerden. »Bis es sicher ist zurückzukehren.«

Selena riss die Augen auf. »Was ist mit meinen Verpflichtungen? Mein neuer Film startet in drei Wochen. Ich habe eine Promotiontour dafür, und die fängt nächste Woche an.«

Ja, die Tour würde sie höchstwahrscheinlich nicht schaffen. Der Gedanke deprimierte Leslie genauso sehr. Sie war auch nicht gerade begeistert davon, ihr Privatleben auf unbegrenzte Zeit in die Warteschleife zu schicken. Nicht dass sie außerhalb der Arbeit ein großartiges Privatleben gehabt hätte, aber trotzdem. »Hören Sie, ich werde Sie nach L. A. zurückbringen, sobald ich kann. Ich muss im Büro anrufen und mich auf den neuesten Stand bringen lassen. Hoffentlich wird man den Stalker schnell fassen und festsetzen.«

Selena kniff die Augen zusammen. »Sie sind gerade zusammengezuckt, als Sie das Büro erwähnt haben. Wissen die, dass Sie mich aus L. A. weggebracht haben?«

Verdammt. Lügen oder die Wahrheit sagen? Wenn sie erwartete, dass Selena ihr vertraute, sollte sie lieber ehrlich sein. »Nein.«

»Aber Sie haben das mit meinem Management geklärt, oder?«

»Es könnte sich um einen Insider handeln. Irgendjemand war in Ihrem Haus – die Person muss sich irgendwie Zutritt verschafft haben.« Leslie konnte im Moment nicht einmal den Menschen aus Selenas direktem Umfeld vertrauen. Dieses Haus war gut gesichert, daher war die Möglichkeit, dass jemand aus ihrem Team hinter der Sache steckte, naheliegend.

»Weiß überhaupt irgendjemand, wo wir sind?«

Scheiße. Leslie biss sich auf die Unterlippe.

Selena schüttelte den Kopf. »Verdammt! Niemand weiß, wo ich bin, und Sie haben mir mein Handy weggenommen?«

Das Handy hatte sie absichtlich zurückgelassen. Selena klebte ständig an dem Ding, und es war leicht aufzuspüren, im Gegensatz zu dem von Leslie, das eine Abschirmfunktion hatte. »Es war die einzige Möglichkeit sicherzustellen, dass Ihr Stalker nicht herausfindet, wo Sie sich aufhalten.«

»Also haben Sie mich quasi gekidnappt.«

»Seien Sie nicht so dramatisch.«

»Woher weiß ich, dass ich Ihnen vertrauen kann?«

»Meinen Sie das ernst?«

»Hundertprozentig. Sie könnten mit meinem Stalker unter einer Decke stecken. Das alles könnte eine Falle sein.« Selena sah sich hektisch im Raum um.

»Beruhigen Sie sich.«

Selena warf die Decke von sich und nahm eine Kung-Fu-Pose ein. »Ich habe einen schwarzen Gürtel.«

»Und ich habe eine Pistole.«

»Hilfe! Zu Hilfe!« Selena riss die Haustür auf und brüllte in die Leere. Ihre Stimme hallte in dem Nichts um sie herum wider.

»Hey, scht … beruhigen Sie sich!«, sagte Leslie und schloss die Tür. »Ich kidnappe Sie nicht, und ich werde Sie auch nicht umbringen.« So verführerisch der Gedanke war. »Wenn ich das vorgehabt hätte, hätte ich es längst getan und Ihren Leichnam an der verlassenen Überlandstraße aus dem Auto geworfen, statt zu warten, bis wir in der Hütte meiner Familie sind.«

Selena entspannte sich immer noch nicht. »Woher soll ich wissen, dass das die Hütte Ihrer Familie ist?«

Leslie zeigte auf das Foto von ihr und ihren Geschwistern über dem Kamin. »Die in der Mitte? Das bin ich.«

Selena spähte zu dem Foto hinüber und ließ langsam die Arme sinken. »Die mit dem Jungenhaarschnitt und der Zahnspange?«

Leslie biss die Zähne zusammen und nickte. »Ja.«

Erheiterung trat in Selenas Züge. »Oh mein Gott! So viel über ein peinliches Alter. Haben Sie noch mehr solche Fotos?«

Leslie seufzte. »Im Polsterhocker steckt ein Familienfotoalbum.« Ob es dazu diente, noch eindrucksvoller zu bestätigen, dass sie nicht log, oder dass sie noch ein wenig mehr verspottet werden konnte, war Leslie egal.

Solange der nervige Filmstar nur aufhörte, um Hilfe zu schreien.

2

Fairbanks, Alaska

Levi schaute über seinen Schreibtisch hinweg den jungen Mann an, mit dem er sich unterhielt. Tyler Forrester. Eine ironische Namenswahl für jemanden, der in der alaskischen Wildnis Feuerspringer, ein Feuerwehrmann mit einer Fallschirmspringerausbildung, werden wollte. Der Mann war gut trainiert – er war seit acht Jahren bei der freiwilligen Feuerwehr. Teamleiter der Bergwacht in Wild River. Lawinentraining. Drohnentraining. Er entsprach definitiv den höheren Anforderungen. Er sah körperlich fit aus und hatte alle erforderlichen Zeugnisse eingereicht. Aber Levi war nicht überzeugt.

»Wie ich sehe, sind Sie unlängst von Wild River nach Fairbanks übergesiedelt«, bemerkte Levi. Das war ein Punkt, den er ein wenig näher erkunden musste. Nicht viele Leute verließen einen Skiort, um in einen entlegeneren Teil von Alaska zu ziehen, es sei denn, sie liefen vor etwas davon … oder darauf zu.

»Ja, Sir.« Auf dem Gesicht des Mannes malte sich ein Lächeln ab.

Darauf zu. Leslie vermutete, dass eine Frau die treibende Kraft dahinter gewesen war. »Ihre Freundin lebt hier.« Keine Frage. Er hatte so etwas schon früher erlebt.

»Ja, Sir … quasi meine Verlobte. Na ja, hoffentlich. Ich habe vor, ihr morgen Abend einen Antrag zu machen.« Das Lächeln verblasste leicht. »Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie Ja sagen wird.« Tyler rutschte auf dem Stuhl nach vorn. »Wir sind ein Highschool-Pärchen … dann wurde es kompliziert …«

Levi lehnte sich zurück und ließ den anderen Mann über sein Beziehungsdrama schwafeln. Als Anführer des alaskischen Feuerspringer-Teams hatte er die Kunst gemeistert, sich aufmerksam die Höhen und Tiefen von Beziehungen erläutern zu lassen; er verfolgte eine Politik der offenen Tür – was die Männer in seinem Team dahingehend interpretierten, dass er als Therapeut der Gruppe fungierte. Wenn er sich die Probleme anderer anhörte, war er immer dankbar dafür, dass er aus Überzeugung ledig war.

Witzigerweise drängten alle in seinem Leben ihn dazu, mit Frauen auszugehen. Elend liebt Gesellschaft, oder? Lebensbalance, sagten alle. Er wusste, dass Beziehungen alles einfach höllisch kompliziert machten, aber niemand beachtete seine Proteste.

Das Ping seines Handys zeigte an, dass eine neue Anfrage über Tinder eingegangen war, Chad, sein Kollege, hatte das Konto für ihn eingerichtet. Was seine Haltung untermauerte.

Als Tyler verstummte, beugte Levi sich vor und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Tyler. Ich kann einfach nicht sehen, dass das gut passen würde.«

Der Mann machte ein langes Gesicht. »Was? Warum? Ich erfülle die Anforderungen, oder?«

Alle bis auf eine sehr wichtige: keine ernsten Bindungen.

Es war im Prinzip keine Erfordernis des Jobs, es war allerdings eine Bedingung, die Levi Grayson stellte. Die Männer in seinem Team gingen gern mit Frauen aus und hatten oberflächliche Beziehungen, die höchstens ein paar Wochen hielten, aber sie waren im Wesentlichen wie er – Single, keine Familie, keine Bindungen. Sie alle teilten sich in der Feuerwache glücklich einen Hund, Smokester, einen pensionierten Rettungsschäferhund, der gegenwärtig laut in seinem Hundekörbchen in der Ecke des Büros schnarchte. Davon abgesehen gab es niemand in ihrem Hinterkopf, wenn sie sich aus einem Flugzeug mitten in einen tobenden Waldbrand stürzten. Der Job mochte sie nicht das ganze Jahr lang beschäftigen, aber während der Saison waren die Arbeitsstunden lang und unberechenbar. Für gewöhnlich zogen die Männer zu stabileren regulären Positionen bei der Feuerwehr weiter, sobald sie sich häuslich niederließen und Familien gründeten. Die Anforderungen des Jobs eines Feuerspringers waren ein wenig zu viel für die meisten Männer in diesem Stadium ihres Lebens.

Tylers Gesichtsausdruck, wenn er über seine Verlobte sprach, sagte Levi, dass da definitiv jemand sein würde, der Tyler ablenkte, und die Sicherheit seiner Crew hing davon ab, dass es keine solchen Ablenkungen gab. »Tut mir leid, Tyler, aber ich finde nicht, dass das eine gute Idee wäre, für keinen von uns.«

Tyler wirkte entschlossen, als er sich vorbeugte und auf die beeindruckende Liste seiner Fähigkeiten in seinem Lebenslauf zeigte. »Kommen Sie, Mann. Ich habe sogar zusätzliche Zertifikate, die der Job gar nicht verlangt.«

Levi bemerkte eine entblößte Tätowierung auf seinem Unterarm – ein Aquarell der Aurora borealis. Er versuchte sein Glück. »Wie heißt Ihre Freundin?«

Tyler runzelte die Stirn und antwortete: »Aurora.«

Bingo.

Levi fühlte sich nicht wohl dabei, einen unglaublich qualifizierten Kandidaten abzulehnen, aber er würde versuchen, Tyler die Sache zu erklären, so gut er konnte. »In Ordnung, lassen Sie mich ein ›Was-wäre-wenn‹ präsentieren.«

Tyler nickte langsam. »Okay.«

»Was wäre, wenn wir einen Anruf wegen eines tobenden Feuers in Swan Lake bekämen und Sie gleichzeitig einen Anruf bekämen, dass bei Ihrer Frau die Wehen eingesetzt haben. Was würden Sie tun?«

Tyler riss die Augen auf. »Mensch, ich habe ihr doch noch nicht mal einen Antrag gemacht.«

»Richtig, aber Sie haben es vor, und Verlobungen führen zur Heirat und, so vermute ich, irgendwann zu Kindern?«

Tyler räusperte sich und zog an seiner Krawatte. »Ich schätze, ja … ich meine … ja, ich denke schon. Wir haben so weit noch gar nicht vorausgeplant.«

»Für Sie mag dieser Zeitpunkt in weiter Ferne liegen, aber wenn ich jemanden rekrutiere, muss ich wenigstens die nächsten fünf Jahre des Kandidaten überblicken können. Wir investieren eine Menge Training, Zeit und Mühe in neue Rekruten, und ich brauche eine Crew, die zu jeder Zeit voll konzentriert ist. Wir haben nur eine Not-Crew, weil nicht viele Rekruten mitbringen, was notwendig ist, um in diesem Beruf Erfolg zu haben.«

»Ich schon«, sagte Tyler.

»Ja, Sie schon, was es mir schwer macht, das zu sagen, aber ich kann Ihnen keinen Platz im Team anbieten.«

Tyler wirkte verärgert. »Also, Sie sagen mir, dass keiner der anderen Männer aus der Crew eine Beziehung hat?«

»Nichts Ernstes, nein.«

Tyler schien mit seinem nächsten Argument zu ringen. »Aber … sie haben andere Familienmitglieder. Sind das nicht auch Ablenkungen?«

»Okay, lassen Sie mich meine Frage anders formulieren: Was ist, wenn uns ein Feuer gemeldet wird und gleichzeitig bei Ihrer Schwester die Wehen einsetzen. Was würden Sie tun?«

»Mich natürlich um das Feuer kümmern.«

Levi lächelte. Er hatte klargemacht, was er meinte.

Tyler seufzte. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie meine Bewerbung nicht ablehnen können, weil ich verliebt bin.«

»Es ist Ihr gutes Recht, eine Beschwerde einzureichen, aber ich bleibe bei meiner Entscheidung.«

Tyler schien bereit zu streiten, aber offensichtlich obsiegte der gesunde Menschenverstand. Hitzköpfigkeit war kein Weg zum Ziel, und Levi musste dem Mann noch mehr Anerkennung zollen, weil er so klug war, es zu wissen.

Verdammt, dieser Bursche wäre eine gute Erweiterung ihres Teams gewesen.

Tyler hielt Levi die Hand hin, und er schüttelte sie.

»Sie werden mich heute nicht zum letzten Mal gesehen haben«, sagte er, bevor er das Büro verließ.

Einerseits hoffte Levi, dass der Mann recht hatte, andererseits hoffte er, dass seine Freundin zu seinem Antrag Ja sagen würde.

Chad betrat das Büro, als die Tür der Feuerwache zugeschlagen wurde. »Du weißt, dass du aufhören musst, Kandidaten abzulehnen, weil sie ein Privatleben haben. Man wird uns noch wegen Diskriminierung verklagen.« Chad war das dienstälteste Mitglied des Teams, und seine zehnjährige Erfahrung machte ihn zu einem perfekten Talentsucher. Nur sie beide arbeiteten das ganze Jahr über in der Feuerwache, die einzigen Vollzeitangestellten, und Chad war nur allzu gern bereit, sich Levi bei den meisten Entscheidungen zu beugen, aber die Rekrutierung neuer Mitglieder für das Team war das eine Thema, über das sie sich stritten.

»Es gab noch andere Gründe«, erklärte Levi.

»Aha. Welche zum Beispiel?« Chad verschränkte die Arme vor der Brust, und die jüngste Ergänzung seines Ärmel-Tattoos war noch immer in einen Verband gehüllt.

»Er kommt aus Wild River.«

»Du auch.«

»Ich komme im Grunde von nirgendwoher. Ich habe als Kind in Wild River gewohnt, aber ich habe überall in Alaska gelebt.« Und überall auf der Welt auf verschiedenen Militärstützpunkten. »Tyler war noch nie irgendwo anders als in dem Skiort, was vom echten Alaska so weit weg ist, wie man es sich nur vorstellen kann.«

Chad lehnte sich an den Türrahmen. »Das echte Alaska?«

»Du weißt, was ich meine. Das zerklüftete, hinterwäldlerische, wilde Alaska. Außerdem ist er in Fairbanks, weil er einer Frau nachjagt. Ich gebe ihm sechs Monate, bevor er sie dazu überredet, mit ihm nach Wild River zurückzukehren.«

Chad schaute auf Levis Handy auf dem Schreibtisch, als dort mit einem Ping eine weitere Tinder-Anfrage einging. »Hör mal, nur weil du Probleme mit den Ladys hast, bedeutet das nicht, dass es uns allen genauso geht.«

Levi ignorierte die Bemerkung. Er konnte Fakten nicht bestreiten. Er hatte nie behauptet, ein Beziehungsmensch zu sein. Wie hätte das auch möglich sein sollen? Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, als er ein Kind gewesen war. Seine Mutter hatte es seinem Vater nur allzu gern überlassen, ihn großzuziehen, und Levi hatte seither nichts mehr von ihr gehört. Er war von einem Militärstützpunkt zum anderen umgezogen, bis sein Vater schweren Herzens zu dem Schluss kam, dass auch er nicht die beste Option war, um seinen Sohn großzuziehen, und er ihn nach Wild River zu seiner Großmutter zurückgeschickt hatte. Sie war zu dem Zeitpunkt bereits über sechzig gewesen und hatte ihr Bestes getan, aber sie hatte ihre Kinder bereits großgezogen und wenig Interesse oder Energie gehabt, das erneut zu tun.

Die beiden einzigen Menschen, die für ihn je wie eine Familie gewesen waren, waren seine besten Freunde gewesen, Dawson und Leslie, die ihn beide vor drei Jahren verlassen hatten – auf unterschiedliche Weise.

Sein Handywecker meldete sich, und er stand auf. »Scheiße, ich muss gehen.«

»Nun, ich weiß, dass das kein heißes Date ist«, bemerkte Chad und verdrehte die Augen, als Levi sich seine Jacke und seine Schlüssel schnappte und die Feuerwache verließ.

Chad irrte sich in einem Teil dieses Satzes. Das mit Mrs Powell war definitiv ein heißes Eisen – oder war es geworden – konnte man das sagen?

»Levi! Wie schön, dich zu sehen«, sagte sie, als er eine halbe Stunde später das Restaurant im Zentrum von Fairbanks betrat. »Danke, dass du dich hier mit mir triffst.«

Er ließ sich umarmen und zwang sich zu einem Lächeln, als er sich von ihr löste. Er freute sich nicht auf das Treffen dieses Tages. Aber sie hatte ihm in den letzten Wochen mehrere Nachrichten auf Band gesprochen, und er konnte ihr nicht ewig aus dem Weg gehen.

Die Pläne für die Gründung einer Dawson-Powell-Gedenkstiftung zur Unterstützung psychischer Gesundheit ließen ihn jedes gemischte Gefühl erleben, zu dem sein Körper fähig war.

Er fand es sehr ehrenhaft von der Familie Powell, das zu tun – eine wohltätige Einrichtung im Namen ihres Sohnes zu gründen, nachdem er bei der Verfolgungsjagd eines Mannes gestorben war, der Selbstmord begehen wollte. Vergebung zu zeigen, indem sie versuchten zu helfen, Programme zu unterstützen, die der psychischen Gesundheit von Menschen dienten, war eine außerordentlich wohltätige Weise, Dawsons Andenken zu bewahren und dabei etwas Gutes zu tun. Levi war sich einfach nicht im Klaren darüber, wie er dazu stand, eine führende Rolle dabei zu übernehmen.

Er wollte das Andenken seines Freundes ehren, und die Powells hatten ihm kaum eine Wahl gelassen, ob er etwas damit zu tun haben wollte. Sie sagten, er sei Dawsons bester Freund gewesen, daher sei es selbstverständlich, dass er das Gesicht der Stiftung werden müsse. Die Familie hatte ihn praktisch großgezogen. Sie hatten ihn wie einen Sohn behandelt, hatten ihm Kleider, Essen und Sportutensilien gegeben – die Liste war noch länger. Aber vor allem hatten sie ihm Struktur, Disziplin und Rat gegeben.

Er konnte diese Bitte jetzt kaum abschlagen.

Es war einfach so, dass er eher ein Mann war, der hinter den Kulissen agierte. Im Gegensatz zu Dawson stand er nicht gern im Rampenlicht. Er würde glücklicher sein, wenn er die Laufarbeit für Spendenkampagnen und Ähnliches übernehmen könnte, statt ganz vorn und im Zentrum zu stehen.

Aber wie brachte er das rüber, ohne dass es falsch herauskam?

»Levi, ich würde dir gern Angelica vorstellen. Sie wird uns bei der juristischen Seite der Dinge helfen – dem Papierkram und der Anerkennung als wohltätige Organisation, dergleichen Dinge«, sagte Mrs Powell und trat zurück, um den Blick auf eine hübsche rothaarige Frau preiszugeben, die ihrem Namen definitiv gerecht wurde. Blasse Haut, smaragdgrüne Augen, bekleidet mit einem hellrosa Kleid – sie sah wahrhaftig engelsgleich aus.

Er musste allerdings feststellen, dass der Ausdruck auf Mrs Powells Gesicht ziemlich hintertrieben war. Sie hatte offensichtlich für sie beide mehr im Sinn als eine Arbeitsbeziehung. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, murmelte er.

»Ganz meinerseits. Karlene spricht nur in den höchsten Tönen von Ihnen. Ein Feuerspringer – wow, das muss unglaublich aufregend sein«, sagte Angelica und musterte ihn mit unverhohlenem Interesse.

Es war kein Problem, das Interesse einer Frau zu gewinnen, es war der Mangel an Geselligkeit, der dazu führte, dass er Schwierigkeiten mit dauerhaften Beziehungen hatte. »Ja, ich meine, nein, es ist ehrlich gesagt während der Feuersaison ziemlich fordernd und außerhalb der Saison beinahe langweilig. Die Ausrüstung lässt einen schwitzen und ist unbequem, und ein Haufen stinkender, schmutziger Männer, die in Basislagern in Zelten schlafen, ist nicht direkt ein fröhliches Junggesellenleben …«

Angelica nickte höflich, während er weiterschwafelte, aber Mrs Powell warf ihm einen Blick zu, der sagte: Weniger ist mehr. Daher hielt er die Klappe.

»Lasst uns anfangen«, sagte sie. »Es gibt so viel zu tun, bevor wir das erste Wohltätigkeitsevent im späten Frühjahr ankündigen können.«

Wow, sie gab wirklich Volldampf in dieser Sache. Nur wenige Monate nach Dawsons Tod war sie zum ersten Mal mit der Idee an ihn herangetreten, und sie hatte sich darauf gestürzt, Nachforschungen über solche Wohltätigkeitsorganisationen anzustellen und sich um die Gründungsvoraussetzungen zu kümmern. Außerdem musste sie sich mit der alaskischen Gesundheitsbehörde in Verbindung setzen. Sie hatte sich Hals über Kopf hineingestürzt und es zu ihrer neuen Mission gemacht. Levi verstand, warum. Das war ihre Art, mit dem Unglück umzugehen, nicht zusammenzubrechen und hinter einer Mauer der Verzweiflung zu verschwinden. Jeder trauerte auf seine eigene Weise. Karlene Powell plante und organisierte und fühlte sich besser, wenn sie der Welt im Andenken an ihren Sohn etwas zurückgab.

Levi folgte den beiden Frauen zu einem Tisch am Fenster. Er rückte für sie beide Stühle zurecht und setzte sich zwischen sie, während er gleichzeitig sein Bestes tat, um engagiert zu wirken, ganz bei der Sache, aber insgeheim hoffte er auf einen Notruf, der ihn von hier fortbrachte und zurück zu seiner eigenen Methode, das Andenken seines besten Freundes aufrechtzuerhalten.

Indem er sich erinnerte …

Dieser Junge wird sich gleich das Genick brechen, aber er scheint unsterblich zu sein, der König des Spielplatzes.

An seinem ersten Tag in der Grundschule von Wild River hatte Levi am Rand des Spielplatzes gestanden und all die anderen Kinder beim Spielen beobachtet. Er kannte diese Nummer, der »Neue« zu sein, da er zehn Jahre lang mit seinem Vater von einem Militärstützpunkt zum nächsten gezogen war. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, viele Freunde zu finden oder tiefe Verbindungen zu den anderen Kindern einzugehen, denn er hatte gewusst, dass er nicht lange dort sein würde.

Diesmal war es anders. Oder zumindest hatte sein Dad das gesagt. Diesmal würde er in dem kleinen Skiort bleiben und bei seiner Großmutter wohnen, der eine Buchhandlung auf der Main Street gehörte. Ständiges Unterwegssein quer durchs Land war nicht gut für ein Kind, hatte sein Vater gesagt.

Levi wusste, wie schwer es seinem Vater gefallen war, ihn dort zurückzulassen, daher hatte er die Schultern durchgedrückt, eine tapfere Miene aufgesetzt und seinem Vater die Hand geschüttelt, als der zu einem weiteren Auslandseinsatz aufgebrochen war.

Dann hatte er verzweifelt versucht, die tapfere Fassade aufrechtzuerhalten, hatte sich einer weiteren neuen Schule gestellt, einer weiteren Gruppe von Kindern. In diesem Moment auf dem Spielplatz hatte er den Blick nicht von dem Jungen loslösen können, der auf der Hangelleiter balancierte – drei Meter hoch, dick mit Eis überzogen, sodass sie im alaskischen Wintersonnenschein glitzerte. Der Junge sah aus, als sei er ungefähr in seinem Alter, aber er war kleiner als Levi. Er hatte seinen Wintermantel und seine Handschuhe ausgezogen und lief Schritt für Schritt über die Stäbe, die Arme ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu bewahren. Keine große Sache während wärmerer Monate, aber im Moment waren die Stangen spiegelglatt.

Der Junge war fast auf der anderen Seite angelangt, als sein Fuß gegen den Rand einer Sprosse stieß und er den Halt verlor.

Instinktiv sprang Levi los und fing den anderen Jungen zwar nicht richtig auf, aber sein Körper diente als Sicherheitsmatte unter ihm.

»Hey, Mann, danke«, sagte der Junge.

»Ja … keine Ursache.« Seine Rippen fühlten sich an, als seien sie gebrochen, und alle Luft war aus seinen Lungen gewichen, aber es war eine einfachere Methode, Freunde zu gewinnen, als tatsächlich zu einer Gruppe zu gehen und sich hineinzufinden.

»Du bist der Neue, stimmt’s?«, fragte der Junge, stand auf und streckte eine Hand aus, um Levi vom Boden aufzuhelfen.

»Levi«, stellte er sich vor.

»Freut mich, dich kennenzulernen, Levi. Ich bin Dawson«, sagte er genau in dem Moment, als ein Mädchen, hochgewachsen und dünn, mit kurzem blonden Haar, das unter einer violetten Mütze hervorragte, auf sie zukam. Sie war das Hübscheste, was Levi je gesehen hatte, und er hatte das Gefühl, als sei seine Zunge in seinem Mund angeschwollen.

»Ich hab’s«, sagte sie und hielt Dawson eine kleine tragbare Kamera hin. Sie beäugte Levi, und ihr durchdringender Blick, der sagte, hier ist mein Revier, trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. »Wer bist du?«

»Das ist Levi. Er hat mir gerade das Leben gerettet«, sagte Dawson, während er sich die Aufnahme ansah.

Das Mädchen lachte spöttisch. »Du hättest die Landung in jedem Fall geschafft.« Sie zuckte die Achseln. »Aber egal. Ich werde ihn rausschneiden.«

Klang halbwegs vertraut. Wurde er nicht immer rausgeschnitten?

»Man sieht sich«, sagte er zu Dawson und zog sich wieder an den Rand des Spielplatzes zurück. Er verstand einen Wink mit dem Zaunpfahl. Es war überall das Gleiche. Bis zur vierten Klasse hatten sich Freundschaften gebildet, Gruppen hatten zusammengefunden, und niemand öffnete seinen Kreis gern dem Neuen.

»Warte! Komm zurück!«, rief Dawson ihm nach.

»Was machst du da?«, hörte er das Mädchen zischen.

»Wir könnten ihn in dem Film benutzen.«

Sie machten einen Film?

»Hey, wir drehen einen Film über einen Stuntman, der herausfindet, dass er tatsächlich Superkräfte besitzt und …«

»Scht«, sagte das Mädchen.

»Komm schon, Leslie. Er wäre toll«, verteidigte Dawson seine Entscheidung.

Ihre Wangen erröteten unter Dawsons Blick, und sie drehte sich seufzend zu Levi um. »Hör mal, die einzige andere Rolle in dem Film ist die des Schurken. Wir wollten meinen Bruder fragen.«

Dawson berührte sie an der Schulter. »Versteh mich nicht falsch, aber Eddie ist nicht der Richtige, um den Schurken zu spielen. Er ist eine zu große Plaudertasche. Er wird zu deiner Mom laufen und uns jedes Mal verpetzen, wenn wir versuchen, etwas zu tun, das auch nur ein klein wenig gefährlich ist. Und außerdem ist Levi riesig.«

Leslie dachte einen Moment lang nach und musterte ihn eingehend.

Levi, der ein stämmiger und für sein Alter großer Junge war und der normalerweise den Kopf einzog, um nicht aufzufallen, richtete sich noch höher auf. Ausnahmsweise einmal würde seine Größe vielleicht von Vorteil sein. Oder zumindest nichts, das ihm peinlich sein musste.

»Na schön«, sagte Leslie widerstrebend. »Du kannst bei dem Film mitmachen, aber Dawson ist der Star.«

Sein Kumpel war immer der Star gewesen, und Levi hatte nie ein Problem damit gehabt, ihm das Rampenlicht zu überlassen.

Mrs Powell berührte seinen Arm auf dem Tisch. »Levi, bist du noch bei uns?«

Er blinzelte und nickte. »Ja, Entschuldigung … meine Gedanken sind kurz abgeschweift, aber ich bin wieder da. Voll konzentriert«, beteuerte er.

Angelica lächelte ihn an, und verdammt, das sollte ihn doch irgendetwas fühlen lassen.

3

Sie waren seit sechs Stunden in der Hütte, und Leslie verlor langsam den Verstand. Sie hatte keine Strategie und brauchte einen Rat, was sie als Nächstes tun sollte. Sie war noch nie in einer Situation wie dieser gewesen. Schließlich zog sie ihre Stiefel und einen schweren Mantel aus dem Schrank an.

»Wohin gehen Sie?«, fragte Selena, die gerade aus dem Badezimmer kam, wo sie die längste Dusche in der Geschichte genommen hatte, trotz Leslies Warnung, dass der Wassertank nur eine begrenzte Menge Wasser gleichzeitig aufheizen konnte.

»Nur nach draußen, um ein wenig Luft zu schnappen. Ich bin gleich wieder da«, sagte sie, schlüpfte zur Tür hinaus und zog sie hinter sich zu. Sie ging zum anderen Ende der Veranda, die sich um die ganze Hütte zog, und holte ihr Handy aus der Tasche. Einen Moment lang zögerte sie und schaute zu den schweren Schneewolken an dem sich verdunkelnden Himmel empor. Normalerweise hatte sie die Erfahrung gemacht, dass die ruhige Stille ihr Klarheit schenkte, aber an diesem Abend machte sie ihr umso bewusster, dass sie vollkommen allein in dieser Sache steckte.

Da ihre nächsten Schritte ihr immer noch unklar waren, wählte sie die Nummer, bevor sie die Sache völlig zerdenken konnte. Sie musste zumindest irgendjemandem mitteilen, dass es ihnen gut ging.

Ihr Kollege und – hin und wieder Sexpartner – meldete sich beim ersten Klingeln. »Oh mein Gott – ich bin schon fast verrückt geworden. Wo bist du?«

Eoghans Sorge machte sie noch unsicherer. Sie hatte bereits sechzehn Anrufe von ihm versäumt und ein Dutzend von der Agentur. Alle versuchten sie zu erreichen, aber sie wusste nicht, wem sie trauen konnte. »Das kann ich nicht sagen.«

»Ist Selena bei dir? Seid ihr beide in Sicherheit?«, fragte er. Sein starker australischer Akzent entlockte ihr normalerweise ein Lächeln, aber im Moment hörte sie nur den Ernst der Lage heraus, in der sie sich befand.

»Ja. Wir sind weg aus L. A.« Das war alles, was sie im Moment verraten würde. »Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Ihr Schlafzimmer …« Leslie hatte bei ihrer Arbeit zuerst als Gesetzeshüterin und jetzt bei dem hochkarätigen Sicherheitsdienst schon so manchen verkorksten Bullshit gesehen, aber die vulgäre, abstoßende Nachricht, die jemand vor einigen Tagen Selena hinterlassen hatte, hatte sie erschüttert wie sonst nichts. Gott sei Dank hatte Selena es nicht gesehen. Andererseits – wenn sie es gesehen hätte, würde sie die Gefahr begreifen, in der sie sich befand.

»Ich weiß«, antwortete Eoghan, und sein Ton wurde weicher. »Das war heftig. Alles okay bei dir?«

»Ja, natürlich.« Wenn irgendjemand spüren konnte, dass sie log, wäre es Eoghan. Sie arbeiteten seit einem Jahr zusammen und schliefen fast genauso lange miteinander, sie waren Freunde, Kollegen und gingen bisweilen miteinander aus. Aber sie hütete sich, ihn zu nah an sich heranzulassen. Nach dem tragischen Tod ihres Verlobten, der wie sie Staatspolizist gewesen war und sein Leben bei einer Verfolgungsjagd verloren hatte, war Leslie weit davon entfernt, für eine neue Beziehung bereit zu sein.

Sie hatte getrauert. Sie hatte ihr Leben weitergelebt, aber sie war nicht bereit, sich erneut zu öffnen.

Glücklicherweise kannte Eoghan sie gut genug, um sie nicht zu verhätscheln. »Hast du dich bei der Agentur gemeldet?«

Sie fing den warnenden Unterton in seiner Stimme auf. »Nein. Ich war mir nicht sicher, ob ich das jetzt schon tun soll.« Sie würde ihren Verdacht nicht eingestehen, dass dort vielleicht jemand war, dem sie nicht vertrauen konnte. Eoghan würde sie für paranoid halten.

Oder auch nicht. »Gut«, sagte er. »Ich werde den Kollegen Bescheid geben, dass ihr in Sicherheit seid und dass du sie über mich auf dem Laufenden halten wirst«, fügte er hinzu.

»Danke.« Es war eine kleine Erleichterung, zumindest jemanden zu haben, der in dieser Sache auf ihrer Seite stand.

»Natürlich. Also, was hast du für einen Plan?«, fragte er.

»Ich werde es dich wissen lassen, sobald ich einen Plan habe.« Sie schaute auf die Uhrzeit auf ihrem Handy und beendete das Gespräch. Weniger als eine Minute würde das Limit ihrer Kontakte zur Außenwelt sein, bis Selenas Stalker geschnappt worden war.

Sie lehnte sich an das Geländer und betrachtete die dunklen Berge in der Ferne. Dieser Ort hatte sie immer geerdet. Die Stille hatte ihr geholfen, den Lärm auszublenden, und sie sehnte sich verzweifelt nach ihren heilenden Kräften. Eine kalte Abendbrise wehte ihr das Haar übers Gesicht, als ihr Telefon summte. Es war eine Nachricht von Eoghan.

Pass auf dich auf. Wir werden eine Lösung finden.

Nachdem sie wieder hineingegangen war, zog sie die Tür hinter sich zu und schloss ab. Zumindest fürs Erste waren sie hier sicher. Das war alles, was zählte.

»Was für ein Sternzeichen sind Sie?«, fragte Selena, während sie in den Seiten einer Zeitschrift blätterte, die Katherine zurückgelassen hatte. Kitschige Schundzeitschriften waren Katherines heimliches Laster. Offensichtlich waren die hier versehentlich in der Hütte geblieben. Oder ihre Schwester dachte, dass niemand sonst herkommen würde, der sie finden könnte.

»Keine Ahnung.« Es war nicht die ganze Wahrheit. Sie wusste, dass ihr Sternzeichen Krebs war, aber sie hatte nie viel auf Horoskope gegeben und glaubte nicht, dass astrologische Vorhersagen ihr helfen würden, aus diesem Schlamassel herauszufinden.

»Nun, wann haben Sie Geburtstag?«, fragte Selena.

Tja, das würde sie nicht preisgeben. Ihre Klienten erfuhren nur, was sie erfahren mussten, und Selena brauchte diese Information nicht wirklich, aber die Schauspielerin war gnadenlos in ihrer Penetranz. Sie seufzte. »Ich bin Krebs.«

»Das hätte ich mir denken können.«

Es war Leslie gleichgültig, was das bedeutete, daher fragte sie nicht nach.

»Da steht: Dieser Monat bringt Veränderungen für Sie mit sich. Sie werden entscheiden müssen, ob Sie Ihrem Herzen folgen wollen oder Ihrem Kopf. Lassen Sie sich bei Ihrer Entscheidung von Ihrer Leidenschaft leiten.«

Wow. Wie scharfsinnig.

»Natürlich ist das Horoskop eine Million Jahre alt.« Selena warf die Zeitschrift beiseite und griff nach der nächsten. »Hey, lassen Sie uns dieses Quiz machen. Welche Figur aus Friends sind Sie?«

Leslie rieb sich die Schläfen. »Ich habe keine Lust. Können Sie mich einfach nachdenken lassen?«

Selena zuckte die Achseln und schnappte sich einen Stift, um das Quiz zu machen.

Leslie ging im Raum auf und ab. Sie wusste, dass es richtig gewesen war, Selena aus der unmittelbaren Gefahrenzone wegzubringen, aber möglicherweise hatte sie damit dem Stalker in die Hände gespielt. Anders als Serienmörder, die jagten und töteten, genossen Stalker die Verfolgung – sie spielten gern so lange wie möglich mit ihren Opfern. Jagten ihnen Angst ein. Es war für sie Teil des Rausches, zu beobachten, wie ihre Zielperson immer paranoider wurde, immer mehr Schutz suchte. Dass sie Selena weggebracht hatte, würde den Stalker vielleicht nicht beirren, sondern die Herausforderung für ihn nur umso interessanter machen.

»Sie sind Chandler«, verkündete Selena.

»Was?«

»Sie sind Chandler aus Friends. Sehen Sie?« Selena hielt die Zeitschrift hoch.

Leslie stieß sie weg. »Ich habe nicht einmal irgendwelche Fragen beantwortet.« Sie lehnte es ab, die törichten Quizfragen in den Zeitschriften zu beantworten. Sie hatte im Moment Probleme, die eine Spur dringlicher waren.

Aber Chandler? Wirklich? Nicht eine der witzigen, kessen weiblichen Figuren? Selena hatte die Fragen in Bezug auf sie offensichtlich nicht richtig beantwortet.

»Ich habe sie für Sie beantwortet, und Sie kommen auf Chandler. Da steht: Sie sind freimütig und sarkastisch. Sie konzentrieren sich auf die Zukunft und meiden Ihre Vergangenheit und Ihr Familienleben. Sie treffen vernünftige Entscheidungen und haben eine geringe emotionale Stabilität, und Sie sind oft unreif, wenn es darum geht, neue Beziehungen zu entwickeln. Sie suchen Zuflucht bei Humor, um sich nicht realen Gefühlen auszusetzen.«

Leslie konnte praktisch gegen keinen einzigen dieser Punkte etwas sagen. »Ich geh duschen.«

Selena zuckte die Achseln, aber Leslie entging ihr schneller Blick in Richtung Leslies Handy keineswegs. Leslie schnappte es sich vom Tisch. Nur für alle Fälle.

Mann, es fühlte sich wirklich so an, als hätte sie die Frau entführt, aber sie konnte nicht darauf vertrauen, dass sie ihr Leben nicht in noch größere Gefahr brachte. Als Selena herausgefunden hatte, dass Leslie ihr Handy und ihre Handtasche bewusst in ihrem Haus zurückgelassen hatte, hatte sie einen der schlimmsten Wutanfälle hingelegt, die Leslie je erlebt hatte. Es war wie eine Gefängnisstrafe für den Filmstar, nicht pünktlich zu jeder vollen Stunde Selfies posten zu können, aber Leslie konnte das Risiko nicht eingehen, dass der Stalker das Handy oder Kreditkarten aufspürte oder dass Selena ihre Regeln vielleicht nicht befolgen würde.

Im Bad schloss sie die Tür ab, seufzte und lehnte sich an das Waschbecken.

Draußen vor dem Badezimmerfenster konnte sie in der Ferne durch die Bäume den dunklen See sehen. Erinnerungen an Sommer, die sie mit ihrer Familie hier verbracht hatte, führten dazu, dass sie diese ganze Sache noch einmal ernsthaft überdachte. Es würde schwer genug sein zu entscheiden, was als Nächstes passieren sollte, auch ohne dass ihre Vergangenheit sie verfolgte. Warum hatte sie Selena nicht nach Tijuana gebracht oder sonst wohin?

Während sie den See betrachtete, sah sie die schönsten Tage ihres Lebens vor ihrem inneren Auge aufblitzen wie eine schlechte Filmmontage aus den Achtzigern. Wie sie Ende Juni vom Anleger in das eisige Wasser gesprungen war, wie sie den Football hin und her geworfen und das Jetboot genommen hatten. Feuer am Ufer spät in der Nacht, schmelzende Marshmallows, langes, leidenschaftliches Rummachen mit Dawson, während sie, wenn alle anderen im Bett waren, unter den Sternen gelauscht hatten, wie das Wasser über die Steine plätscherte. Dawson, wie er sie vor allen anderen weckte und sie im Kanu auf den See hinausschleppte, um sich den Sonnenaufgang anzusehen, sie zwischen seine Knie gekuschelt, eine Decke um sie beide geschlungen, während sie beobachteten, wie die Sonne über den Bergen in der Ferne auftauchte. Dort draußen auf dem See hatte er ihr zum ersten Mal gesagt, dass er sie liebte.

Sie zog sich schnell aus und stieg in die Dusche. Erschöpfung traf sie wie das heiße Wasser, das ihr über den Rücken rann. Es kostete sie ihre ganze Energie, sich mit einem Stück Seife zu waschen, das wer weiß wie lange dort gelegen hatte.

Zweieinhalb Tage lang war sie in höchster Alarmbereitschaft gewesen und hatte nie mehr als einige wenige Stunden auf einmal geschlafen. Das war es, worauf ihr Körper trainiert war, aber jetzt, da sie sicher waren – oder zumindest sicherer –, würde sie unausweichlich zusammenbrechen.

Doch was zur Hölle hatte sie getan? Es könnte ein Riesenfehler gewesen sein, hierherzukommen.

Nein. Sie musste Vertrauen in ihre Entscheidung haben. Sie hatte sich wochenlang an das vorgegebene Protokoll gehalten. Sie hatte der Firma detaillierte Verhaltensberichte über den Stalker gegeben, und die Überwachung hatte klar gezeigt, dass Selena in Gefahr war. Niemand hatte auf sie gehört.

Die kleineren Zwischenfälle hatten alle vorsichtiger sein lassen, aber nicht vorsichtig genug.

Dann war dieser Mistkerl in Selenas Haus eingedrungen … in ihr Schlafzimmer.

Leslie schauderte und fror trotz der Hitze des Wassers.

Wer immer Selena stalkte, war offensichtlich gestört. Er wurde angetrieben von einer Obsession und dem Verlangen, den Star zu »besitzen«. Leslie wusste, dass es nicht die Absicht des Stalkers war zu töten, sondern einzufangen und zu foltern, Selena dazu zu zwingen, sein Besitz zu sein. Schlimmer als der Tod.

Als sie für den Job nach L. A. umgezogen war, hatte sie angenommen, dass man ihr einige schwer zu handhabende Klienten zuweisen würde, da sie sich dafür entschieden hatte, sich auf den Schutz von Prominenten zu spezialisieren, aber dieser Auftrag hatte sie an die Grenze ihrer Fähigkeiten getrieben.

Sich anpassen oder kündigen war das Motto, das sie im Lauf der vergangenen drei Monate sich selbst gegenüber bis zum Erbrechen heruntergebetet hatte.

Jetzt lag die Entscheidung vielleicht nicht mehr in ihrer Hand. Man würde sie wahrscheinlich feuern.

Aber sie musste auf Kurs bleiben. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen – ob richtig oder falsch. In diesem Moment war Selena am Leben und in Sicherheit, und das war alles, was zählte.

Das Heulen des Rauchmelders ließ sie zusammenzucken.

Stand jetzt auch noch die Hütte in Flammen?

Leslie blinzelte, plötzlich wieder hellwach, als sie aus der Dusche sprang, sich ein Handtuch schnappte und ins Wohnzimmer rannte.

Sie musste in der Dusche eingeschlafen sein. Das hier musste ein Albtraum sein. Die Flammen, die im Wohnzimmer züngelten, konnten nicht real sein.

Selenas Schrei machte jede Vorstellung zunichte, dass sie vielleicht nur träumte.

Flammen umgaben den ganzen Raum, nachdem sie die Vorhänge am Fenster und den in der Nähe stehenden Sessel erreicht hatten. Der Geruch von dickem schwarzen Qualm, der durch den Raum wehte, ließ sie sofort husten und blinzeln und durch den Rauch spähen.

Selena stand wie erstarrt in der Mitte des Ganzen. »Das Feuer ist fast ausgegangen. Ich habe versucht, mehr Papier in den Kamin zu legen«, sagte sie.

Leslie sah die zerrissenen Seiten der Zeitschrift, an denen mehrere Parfumproben befestigt waren. »Diese Seiten enthalten hochbrennbare Substanzen«, antwortete sie und hielt Ausschau nach einer Möglichkeit, die Flammen zu löschen.

»Woher zur Hölle sollte ich das wissen?«, sagte Selena und wich in Richtung Tür zurück.

Leslie schnappte sich den Feuerlöscher und versuchte, die wilden Flammen damit zu besprühen, aber das Ding funktionierte nicht. Verdammt! Wann hatte das letzte Mal irgendjemand die Tauglichkeit überprüft?

Sie mussten raus aus der Hütte. Sie warf den Feuerlöscher beiseite, schnappte sich ihre Autoschlüssel und ihr Portemonnaie vom Tisch und eilte auf Selena zu. Flammen züngelten am Rand ihres Handtuchs, und sie schlug sie hastig aus. Die Hitze brannte bereits auf ihrer Haut. »Au! Verdammt!«

Sie schlüpfte in ein Paar übergroßer Gummistiefel neben der Tür, öffnete sie und schob Selena nach draußen und durch den tiefen Schnee zum Wagen, weg von der Hütte, und das so schnell wie möglich. Die Fenster würden bersten, das Gebäude konnte jede Sekunde einstürzen.

Sie glitt auf den Fahrersitz und legte ruckartig den Rückwärtsgang ein, gerade als die Fenster zersplitterten und der erste der hölzernen Tragbalken einknickte. Sie starrte in den Spiegel, als die ganze Hütte von Flammen verschlungen wurde. Ihr Herz raste, und ihre Brust schnürte sich zusammen. Gott sei Dank waren sie rechtzeitig rausgekommen.

»Was jetzt?«, fragte Selena mit bebender Stimme. Sie saß auf dem Beifahrersitz und zitterte, ob vor Kälte oder vor Angst, konnte Leslie nicht beurteilen.

Leslie wollte sie beruhigen oder etwas Vernünftiges sagen, aber die Wahrheit war, dass sie keine Ahnung hatte.

Ihr absolut einziger Plan ging gerade zusammen mit der Hütte ihrer Familie in Flammen auf.

Alle dachten, der schwerste Teil der Arbeit eines Feuerspringers sei es, sich aus einem Flugzeug mitten in einen brennenden Wald zu stürzen, aber für Levi war die Inspektion der Fallschirme – die Sicherheit seiner Crew in den Händen zu halten – der Punkt, von dem der wahre Druck ausging.

Er stand auf dem Dachboden, wo die Fallschirme gelagert wurden, und ließ sich Zeit bei der Untersuchung der Ausrüstung. Die Fallschirme, die Reparaturen benötigten, mussten in die Wache gebracht werden, bevor sie gebrauchsfertig neu zusammengepackt wurden. Glücklicherweise waren anscheinend alle in guter Verfassung. Einige Risse in den Kappen und Netzen, aber nichts Schwerwiegendes.

Sein Handy klingelte und hallte laut durch den Dachboden. Als er auf das Display schaute und die Nummer der Feuerwache sah, nahm er den Anruf mit einem Kopfschütteln entgegen. »Was ist los? Konntest du die zehn Schritte nicht gehen, um mich zu holen?«

»Es ist ein Feuer in der Gegend des Mason County gemeldet worden, eine Holzhütte«, sagte Chad.

Levis Grinsen verschwand, und er war sofort in höchster Alarmbereitschaft. »Das ist die Hütte der Sanders«, sagte er und rannte auch schon los. Es war die einzige Hütte in diesem Gebiet. Das Land war seit Generationen im Besitz der Familie Sanders. Auf einer Seite lag der See, auf der anderen Wald, in den die Familie eine Schneise geschlagen hatte, um während der milderen Monate des Jahres mit ihren Autos zur Hütte zu gelangen, aber sie hatten sonst kaum in die Natur eingegriffen.

Großartig für die Umwelt. Nicht so großartig in diesem Fall, wenn ein Hüttenbrand sich schnell auf die Bäume in der Nähe ausbreiten konnte und würde. Und um die Hütte zu erreichen, würden sie die Hilfe von Feuerspringern brauchen.

»Ich habe das Bereitschaftsteam verständigt und lasse bereits das Flugzeug startklar machen«, sagte Chad.

Außerhalb der Saison hatten sie nur die Notmannschaft zur Verfügung. Nur zwei Aufsichtspersonen waren ganzjährig angestellt. Glücklicherweise wohnten alle ihre Leute, die Rufbereitschaft hatten, in der Nähe. »Ich bin unterwegs.« Er beendete das Gespräch, drückte dann auf die Kurzwahl für die Polizeiwache in Wild River und fragte nach Eddie Sanders.

Einen Moment später war Eddie am Apparat. »Hey, Levi, was liegt an?«

Seine Hütte. Die gerade in Flammen aufging. »Hey, ist irgendjemand von deiner Familie in dieser Woche in der Hütte?« Das war das Wichtigste – herauszufinden, ob jemand in Gefahr sein könnte.

»Soweit ich weiß, nein. Katherine fährt nur im Sommer hin.«

»Deine Mom oder deine Grandma?«

»Nein. Sie würden zu dieser Jahreszeit nicht versuchen, dort hinzufahren. Stimmt irgendetwas nicht?«

»Ich hasse es, dir das zu sagen, Kumpel, aber die Hütte steht in Flammen.«

»Verflucht. Lass mich rumtelefonieren, um mich davon zu überzeugen, dass niemand dort ist, dann melde ich mich wieder bei dir. Danke für die Information«, fügte Eddie hinzu.

Levi ging in die Hütte, schnappte sich seine Ausrüstung von der Wand in seinem Zimmer und zog sich in Rekordzeit um.

Eddies schneller Rückruf ergab, dass niemand aus der Familie Sanders in dieser Woche dort war, was eine Erleichterung war, aber es war nichts Ungewöhnliches, wenn Obdachlose in verlassene Hütten einbrachen und dort überwinterten. Levi nahm an, dass das Feuer ein Unfall war und keine Brandstiftung, und er hoffte, dass sich niemand mehr in der Hütte aufhielt.

Als er fertig war, eilte er zurück nach draußen und kletterte mit den anderen in die C-212. Ein Notfall war nie angenehm, aber dieser war besonders beunruhigend.

Er kannte die Familie Sanders gut. Insbesondere ein Mitglied der Familie zu gut. Seine beste Freundin aus Kindheitstagen … und auch noch als Erwachsene. Bis vor einigen Jahren. Leslie. Glücklicherweise wusste er, dass sie auf keinen Fall in der Hütte gewesen sein konnte. Sie lebte seit drei Jahren in L. A., und es bedurfte kleiner Wunder, um sie nach Alaska zurückzuholen.