Maybe this Love - Und plötzlich ist es für immer - Jennifer Snow - E-Book

Maybe this Love - Und plötzlich ist es für immer E-Book

Jennifer Snow

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Beschreibung

Das Spiel seines Lebens ...

Als NHL-Star genießt Ben Westmore die Vorzüge seines Ruhms: wilde Partys und unverbindliche Affären. Doch als eine heiße Nacht in Vegas mit seiner Unterschrift auf einer Heiratsurkunde endet, werden ihm zwei Dinge klar: Zum einen sollte er eine Zeitlang die Finger von den Frauen lassen, und zweitens braucht er dringend rechtlichen Beistand. Ersteres ist jedoch schnell vergessen, als sein Blick auf die Anwältin der Gegenseite fällt. Jetzt hat Ben nur noch ein Ziel: Olivias Herz zu erobern ...

"Die perfekte Mischung aus herzerwärmend und sexy." Debbie Mason, USA-TODAY-Bestseller-Autorin

Band 2 der warmherzigen und sexy COLORADO-ICE-Serie - für alle Leserinnen von Marie Force

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Seitenzahl: 407

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmung123456789101112131415161718192021222324DanksagungLeseprobeDie AutorinDie Romane von Jennifer Snow bei LYXImpressum

JENNIFER SNOW

Maybe this Love

Und plötzlich ist es für immer

Roman

Ins Deutsche übertragenvon Wanda Martin

Zu diesem Buch

NHL-Star Ben Westmore ist ein Playboy, wie er im Buche steht: Wilde Partys und unverbindliche Affären sind sein Ding. Doch als eine Nacht in Las Vegas aus dem Ruder läuft und Ben Wochen später seine Unterschrift auf einer Heiratsurkunde sieht, ist klar, dass sich etwas ändern muss. Zum einen sollte er eine Zeit lang die Finger von den Frauen lassen, und zweitens braucht er dringend rechtlichen Beistand. Bens gute Vorsätze sind allerdings sofort vergessen, als sein Blick auf die Anwältin der Gegenseite fällt. Olivia Davis lässt sein Herz schneller schlagen und ist die erste Frau seit langer Zeit, die in ihm den Wunsch weckt, mehr als nur eine Nacht zu wollen. Doch obwohl Olivia den Eishockeyspieler attraktiv findet – welche Frau mit Augen im Kopf würde das nicht! –, muss sie sich von ihm fernhalten. Denn Olivia ist keine Frau für unverbindliche Affären, sondern wünscht sich eine Familie, ein Zuhause. Also verhält sie sich Ben gegenüber kühl und abweisend – obwohl jeder Blick und jede Berührung ihren Vorsatz gehörig ins Wanken bringen. Aber Ben hätte es als Profi nicht so weit gebracht, wenn er so einfach aufgeben würde …

Für meinen Sohn Jacob – du hast michdankenswerterweise davon überzeugt, dassTrampolinspringen die bessere Art und Weise ist,einen Nachmittag zu verbringen. Das wirddie Schreibsessions bis vier Uhr morgensimmer wert sein.

1

»Ich würde sagen, es gibt Schlimmeres, als herauszufinden, dass du verheiratet bist.«

Ben Westmore verschluckte sich fast an seinem Bier. »Merkst du nicht selbst, dass an diesem Satz etwas nicht stimmt?«

Sein Bruder Asher leerte sein eigenes Glas und stellte es auf den Tisch. »Hör zu, Mann, ich glaube, du schiebst da gerade ganz umsonst Panik. Diese Heiratsurkunde ist nie im Leben echt.« Der letzte Aufruf zum Boarding seiner Maschine wurde durchgesagt, und er gab der Kellnerin ein Zeichen und setzte seine Baseballkappe auf. An diesem Nachmittag war es ruhig im Airways, dem Restaurant im Flughafen von Colorado, und die Brüder hatten, was selten war, ihre Mahlzeit genossen, ohne von Eishockeyfans unterbrochen zu werden.

»Du glaubst, es ist nur ein Gag?« Ben betrachtete das verschwommene Bild auf seinem iPhone. Die krakelige Unterschrift darunter sah stark nach seiner aus …

»Na klar. Wir reden hier schließlich von dir.« Sein kleiner Bruder griff nach seiner Jacke.

»Asher hat recht. Man müsste dir schon eine Waffe an den Kopf halten, um dich vor den Altar zu kriegen«, meinte Mia, ihre Kellnerin, und linste über Bens Schulter hinweg auf die Heiratsurkunde. Grinsend reichte sie ihm die Rechnung. »Außerdem würdest du mir nicht dermaßen das Herz brechen.«

Ben ignorierte ihre Frotzelei und wedelte mit der Rechnung vor Ashers Nase herum. »Zahle etwa ich?«

»Das ist ja wohl das Mindeste, was du tun kannst, nachdem du mich aus den Play-offs gekegelt hast.«

Ben setzte an, seine Brieftasche herauszuholen, doch Mia schüttelte den Kopf. »Die wurde schon beglichen.« Sie verdrehte die Augen und nickte in Richtung einiger Frauen an der Bar.

Die Ladys lächelten schon zu ihm herüber, seit er mit Asher hereingekommen war. Als Kapitän der Colorado Avalanche und wertvollster Spieler der Liga in dieser Saison wurde er häufig erkannt, und er hatte den Ruf, ein Playboy zu sein – was er nicht einmal zu bestreiten versuchte. Die Aufmerksamkeit einer schönen Frau zu bekommen war für ihn leichter, als eine Runde Straßenhockey gegen Achtjährige zu gewinnen.

Er schaute erneut aufs Handy. Hatte er versehentlich geheiratet? Unwissentlich? Diese Kopie einer Heiratsurkunde, die von der Fanmail-Website der Mannschaft an seine private Mailadresse weitergeleitet worden war, behauptete es jedenfalls. Als Heiratsdatum war der 31. Dezember eingetragen, und an die Silvesternacht konnte er sich leider nicht sonderlich deutlich erinnern. Er war damals in einer üblen Verfassung gewesen. Und hatte mit viel zu viel Alkohol versucht, sein Leid zu lindern.

So viel, dass er den Verstand verloren und geheiratet hatte? Unmöglich.

Er gab Mia trotzdem mehrere Scheine. »Bitte, für deren Zeche.«

Sie schüttelte den Kopf. »Davon könnte man die Zeche aller Gäste hier zahlen.« Sie versuchte, ihm das Geld zurückzugeben, doch er nahm es nicht. Er wusste, dass sie drei Jobs hatte, um für sich und ihre zwei Kinder zu sorgen. Eines davon hatte in ein paar Tagen Geburtstag und war ein riesiger Eishockeyfan. »Und ich lasse nächste Woche Karten für das Spiel für dich hinterlegen.«

Die Wertschätzung in ihrem Blick machte ihn verlegen. »Danke, Ben. Falls du tatsächlich mal heiraten willst …«

Er grinste, gab ihr einen Kuss auf die Wange und folgte Asher aus dem Restaurant, ehe die Frauen an der Bar sie aufhalten konnten.

»Sicher, dass du nicht noch ein paar Tage bleiben kannst?«, fragte Ben.

Jetzt, wo die Saison für die New Jersey Devils offiziell zu Ende war, hatte sein Bruder frei – es sei denn, er wurde zu den Weltmeisterschaftsspielen eingeladen, die nächste Woche beginnen sollten. Wovon Ben ausging. Von den drei eishockeyverrückten Westmore-Brüdern war Asher wohl der Beste. Nicht, dass Ben das jemals zugeben würde.

»Ich komme in ein paar Tagen zurück. Ich muss nur kurz ein paar Angelegenheiten in Jersey erledigen.« Asher warf sich seine Sporttasche über die Schulter.

»Zum Beispiel diesen Wildwuchs in deinem Gesicht loswerden?« Je weiter sein Team kam und je länger sein Play-off-Bart wurde, desto mehr ähnelte sein Bruder eher einem Herumtreiber als einem Eishockeyspieler.

Asher strich mit einer Hand über die Pracht. »Mach mich mal nicht blöd an, bloß weil bei mir im Gegensatz zu dir tatsächlich einer wächst.«

Ben lachte. Das stimmte. Alles, worauf er selbst sich Hoffnungen machen konnte, war eine dünne Stoppelschicht, dabei hatte er sich seit Beginn der Play-offs vor vier Wochen nicht mehr rasiert. »Wie dem auch sei, mach dich lieber ordentlich zurecht, bevor Mom dich zu sehen kriegt.«

Sein Bruder musterte ihn. »Wenn sie mitbekommt, in was für einem Schlamassel du steckst, kann ich gar nichts mehr verkehrt machen. Bis dann, Mann.« Winkend ging er Richtung Sicherheitskontrolle. »Sieh zu, dass du den Pokal holst.«

Das hatte er vor. Nachdem er bereits erfolgreich seinen eigenen Bruder aus dem Rennen um den Stanley Cup gekickt hatte, konnte ihm keiner mehr in die Quere kommen.

Mit seinen vierunddreißig Jahren war er zuvor schon zweimal in den Play-offs der NHL gewesen. Dieses Jahr war sein Siegerjahr. Das Siegerjahr für die Colorado Avalanche. Dieses Jahr würde ihn nichts davon abhalten, sein Ziel zu erreichen.

Auf dem Weg aus dem Flughafengebäude klingelte sein Handy. »Anruf von Kevin Sanders …«, vermeldete die Ansage. Der Anwalt des Teams. Endlich. Ben hatte ihm die Heiratsurkunde Anfang der Woche weitergeleitet und ihm mehrfach auf die Mailbox gesprochen. Er musste wissen, ob das Teil ein Scherz war … oder er sich deswegen Sorgen machen sollte.

»Hallo, Sanders.«

»Wie zum Henker hast du es bloß geschafft, dich so tief in die Scheiße zu reiten, Ben?«, fragte Kevin.

Offensichtlich musste er sich Sorgen machen. »Verdammt, wenn ich das mal wüsste, Mann. Ich müsste schon bewusstlos gewesen sein oder unter Drogen gestanden haben, um zu heiraten.« Punkt. Er hatte ganz sicher nicht absichtlich einfach so eine Fremde geehelicht und auch niemals vorgehabt, besoffen in einer Kapelle in Las Vegas zu heiraten. Basta. Als er aus der Drehtür trat, fröstelte er in der kühlen, frühlingshaften Bergluft und schlug den Kragen seiner Lederjacke hoch.

»Im Video siehst du ganz munter aus.«

»Welches Video?«

»Das, das ich gerade von Happy Ever After geschickt bekommen habe.«

Ben zog sich der Magen zusammen. Es gab Aufnahmen, die ihn in einer Hochzeitskapelle in Vegas zeigten?

»Und falls du unter Drogen gestanden haben solltest, lassen sich inzwischen leider keine Substanzen mehr in deinem Organismus nachweisen. Deshalb werden wir anführen, dass du wegen Trunkenheit vorübergehend nicht zurechnungsfähig warst, und direkt die Scheidung einreichen«, sagte Kevin.

Ihm war zumute, als müsse er sich jeden Moment übergeben.

»Es sei denn natürlich, du möchtest verheiratet bleiben«, bemerkte der Anwalt angesichts seines Schweigens.

»Ja, bestimmt«, grummelte Ben. Er überquerte den Flughafenparkplatz, entriegelte seinen Hummer, stieg ein und schlug die Tür zu. »Was machen wir jetzt?«

Er saß stumm da, während Kevin ihm den Ablauf der Scheidung Schritt für Schritt erklärte und sich vergewisserte, dass er auch begriff, in was für einem Schlamassel er steckte. Vier Monate lang hatte diese Kristina Sullivan – der Name der Frau sagte ihm überhaupt nichts – sich still verhalten; jetzt war sie wieder aufgetaucht, um sein Leben zu zerstören, indem sie behauptete, sie wolle eine Beziehung mit ihrem »Ehemann«.

»Das ist Bullshit. Ich kenne die Frau nicht mal.«

»Seit wann spielt das für dich denn eine Rolle?«, fragte Kevin.

Ben fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Es stimmte, er mochte Frauen. Aber verheiratet? Nein. Oder? Verdammt, er wünschte, er könnte sich klarer an den Abend erinnern – besser gesagt überhaupt erinnern.

»Ben, diese Angelegenheit wird sich nicht einfach in Luft auflösen«, sagte Kevin, als Ben nicht antwortete. »Ich reiche die erforderlichen Formulare ein, um die Scheidung in die Wege zu leiten, und dann beten wir, dass diese Sullivan-Tussi sie nicht anficht. In der Zwischenzeit sollten wir herausfinden, wer ihr juristischer Beistand ist, und einen Mediationstermin erbitten. Uns ihre Schilderung der Angelegenheit anhören. Wenn wir uns außergerichtlich einigen können, haben wir bessere Chancen, dass diese Sache nicht allzu viel Staub aufwirbelt.«

Na super. Er hätte seine neue Ehefrau nicht einmal bei einer polizeilichen Gegenüberstellung erkannt, selbst wenn es um Leben und Tod ginge, und jetzt würde er ihr gegenübersitzen und sie bitten müssen, so vernünftig zu sein, ihn ohne großes Trara aus dieser misslichen Lage entkommen zu lassen. Er hatte da so seine Zweifel, dass dieses Treffen glattlaufen würde. »In Ordnung. Lass mich wissen, wann und wo.« Er schlug auf den Startknopf, um den Wagen anzulassen. Für so was hatte er eigentlich gerade überhaupt keine Zeit. In vier Tagen, so sein Plan, wollte er sein Team in der Halbfinalrunde der Play-offs zu einem Shutout-Sieg im vierten Spiel führen; dumme Ablenkungen konnte er sich nicht leisten.

Diese Ms Sullivan machte sich besser auf eine Schlacht gefasst, denn er war ernstlich angepisst. Er hatte keine Ahnung, was für ein Spielchen sie trieb, aber er wollte nichts damit zu tun haben.

»Behalt die Nerven. Immer schön weiteratmen, wir kriegen das schon hin«, sagte sein Anwalt durch die Lautsprecheranlage.

Wo war dieser Anflug von Optimismus vor zwei Minuten gewesen, als der Mann ihm bis ins kleinste Detail geschildert hatte, in was für einen üblen Shitstorm sich Bens Leben verwandeln würde?

»Können wir das schnell regeln? So in etwa vor der nächsten Play-off-Runde?«

»Ich kann nicht zaubern, Ben. Wir sprechen uns.«

Leise fluchend legte er auf. So eine Komplikation konnte er jetzt am allerwenigsten gebrauchen. Aber eins stand mal fest: Auf keinen Fall würde er sich von einer Kleinigkeit wie einer Trauung, an die er sich nicht erinnern konnte und bei der er eine Frau geheiratet hatte, die er nicht kannte, davon abhalten lassen, diese Saison den Stanley Cup in die Luft zu recken.

Auf gar keinen Fall, verflucht.

Sie hatte gute Eizellen. Keine perfekten Eizellen. Keine jungen, idealen Eizellen, aber auch keine schlechten für ihre sechsunddreißig Jahre – jedenfalls hatte die Bestimmung ihrer ovariellen Reserve im Kinderwunschzentrum von Glenwood Falls das ergeben, und für den Moment würde Olivia Davis das als Erfolg verbuchen.

Wenn sie natürlich den Mumm gehabt hätte, schon früher einen Termin zu machen, und dann nicht noch über ein Jahr lang auf der Warteliste von Dr. Mark Chelsey, dem Gott der Fruchtbarkeit, gestanden hätte, wären die Eizellen womöglich drei bis sechs Prozent besser gewesen …

Kopfschüttelnd klappte sie die Sonnenblende herunter. Als die Sonne zwischen den Wolken hindurchbrach, holte sie ihre Sonnenbrille hervor und setzte sie auf. Schluss damit. Sie würde jetzt nicht das Was-wäre-wenn-Spiel spielen. Es führte nur zu noch größerer Unentschlossenheit und mehr Zweifeln. Wichtig war, dass sie hier und jetzt mit sechsunddreißig die Familienplanung anging.

Für die Familie, die sie wollte.

Als sie vom Highway abbog, wärmte ihr die Aprilsonne das Gesicht, und die milde, kühle Brise flüsterte ein sommerliches Versprechen. Nur widerwillig ließ sie das Verdeck ihres BMW-Cabrios hoch, als sie auf den Parkplatz vor ihrem Büro einbog.

Das Leben war gut. Sie hatte gute Eizellen.

Sie würde eine Familie haben. Sie biss sich auf die Unterlippe.

Nein. Keine Zweifel mehr. Das war genau das, was sie wollte.

Oder zumindest so gut wie. Ihre Leidenschaft für ihren Beruf als Anwältin hatte ihr wenig Zeit gelassen, auf dem traditionellen Weg eine Familie zu gründen. Aber heutzutage standen einer alleinstehenden Karrierefrau Möglichkeiten zur Verfügung.

Sie hatte sich entschieden.

Sie atmete einige Male tief durch, schob die Gedanken an ihren morgendlichen Termin in der Kinderwunschklinik beiseite und legte den Schalter um. Sie hatte um eins eine Besprechung mit Kevin Sanders und dessen Klienten, einem Eishockeyspieler, und dabei musste sie voll auf Zack sein. Mit Sanders hatte sie schon in einem anderen Scheidungsfall zu tun gehabt, und der Mann war ein harter Brocken. Dass sie bei dem jetzigen Fall nicht richtig durchblickte, machte die Sache nicht besser. Ein Playboy heiratete in Las Vegas eine Frau, von der er behauptete, sie nicht zu kennen? Im Ernst?

Ihre Klientin schwor, sie würden einander seit Jahren kennen. Einer der beiden log, und Olivia hätte die Anzahlung für ihre Fruchtbarkeitsbehandlung darauf verwettet, dass es Ben Westmore war.

Seit zehn Jahren vertrat sie die zukünftigen Ex-Frauen von Profisportlern und hatte für ihren Teil genug Schwachsinn miterlebt. Sie nahm an, dass dieser Kerl seine spontane Entscheidung bereute und nun verzweifelt versuchte, aus der Nummer rauszukommen, ohne sein letztes Hemd zu verlieren – oder in dem Fall vielleicht eher sein Eishockeytrikot.

Tja, aber diesmal konnte er nicht einfach vor seinen Fehlern davonschlittern.

Seufzend steuerte sie auf ihren reservierten Parkplatz zu. Neben ihr stand der größte kobaltblaue Schandfleck, den sie je gesehen hatte. Das rechte Reifenpaar ihres winzigen Autos kratzte am Bordstein entlang, als sie sich vorsichtig in die enge Lücke quetschte, die noch schmaler war als sonst dank dieses benzinverschlingenden, umweltverschmutzenden Panzerwagens, der über die gelbe Markierung hinaus auf ihren Parkplatz ragte. Getönte dunkle Scheiben und silberne Felgen rundeten den »Mein Besitzer ist ein Trottel«-Look des Fahrzeugs ab, und das Nummernschild der Colorado Avalanche mit der Aufschrift MVP 1 – MVP wie most valuable player – bestätigte den Besitzer. Ben Westmore, der Klient der gegnerischen Partei, war bereits da.

Sie stellte den Motor aus und lugte durch die Scheibe, um den Abstand zwischen ihrer Wagentür und dem Trittbrett der Monstrosität, von der sie blockiert wurde, abzuschätzen.

Ihre Größe-40-Hüften würden da auf keinen Fall durchpassen. Sie hätte schon Glück, wenn sie die Tür weit genug aufbekäme, um ihre vollgestopfte Aktentasche durchzuquetschen.

Mit einem Blick auf die Beifahrerseite beschloss sie, ihr Glück lieber mit den kurz vor der Blüte stehenden Kirschbäumen auf dem Rasen vor dem Bürogebäude zu versuchen. Vielleicht holte sie sich ein paar Kratzer an den knospenbesetzten Ästen, aber die waren immer noch nachgiebiger als der Panzerwagen.

Sie löste den Gurt, zog ihren Bleistiftrock bis zu den Oberschenkeln hoch und schwang ein Bein rüber auf die Beifahrerseite. Die Gangschaltung drückte gegen ihren Po, und ihre Haare luden sich am Verdeck statisch auf. Manchmal wünschte sie sich ein größeres Auto. Sie hielt sich an der Kopfstütze des Beifahrersitzes fest und schwang umständlich auch das andere Bein herüber … da hörte sie Stoff reißen und zuckte zusammen.

Als sie hinunterschaute, stellte sie erleichtert fest, dass nur ein kleiner Riss dort entstanden war, wo der Rock ohnehin einen Schlitz hatte, damit man sich darin bewegen konnte. Seufzend ließ sie sich in den Sitz plumpsen und rückte ihren Rock zurecht. Dann klappte sie die Blende runter und strich im Spiegel ihre fliegenden Haarsträhnen wieder glatt, bevor sie naturfarbenen Lipgloss nachlegte.

Sie straffte die Schultern und hob das Kinn. »Ich bin eine erfolgreiche, starke, selbstbewusste Frau«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. Sich das selbst zu versichern, gehörte zu ihrem üblichen Ritual vor jedem Aufeinandertreffen mit einem Anwalt der Gegenseite. »Ich kann Größe beweisen. Ich kann die beste Version meiner selbst sein.« Sie lächelte und fügte dann einen neuen Satz hinzu: »Ich habe gute Eizellen.«

2

Redete die Frau etwa mit sich selbst?

Ben war gerade im Begriff gewesen, ins Anwaltsbüro zu gehen, als er sah, wie sich das winzige Cabrio in die Parklücke neben seinem Hummer zwängte. Ehe er die Frau in dem Wagen auf sich aufmerksam machen konnte, kletterte sie auch schon über die Gangschaltung. Winkend näherte er sich und blieb dann zögerlich stehen, als sie ihn vor dem Beifahrerfenster bemerkte.

Mit ihren dunklen kaffeebraunen Augen schaute die Frau ihn an, als wollte sie ihn erdolchen, und er bekam trotz des ungewöhnlich milden Wetters eine Gänsehaut. Er hatte schon andere stocksaure Frauen gesehen, allerdings waren sie sonst immer erst in einer derartigen Stimmung, nachdem er mit ihnen geschlafen hatte, nicht davor. »Tut mir leid wegen des Parkplatzes. Das Ding ist ein bisschen groß«, rief er. Vor Jahren hatte er einen Ausstattervertrag mit General Motors unterschrieben und war vertraglich dazu verpflichtet, das Monstrum zu fahren. Er hatte um einen Pick-up gebeten, aber sie hatten darauf bestanden, dass der Hummer besser zu seinem Image passe. »Geben Sie mir einen Moment, dann parke ich ihn um.«

Die Frau öffnete die Tür und quetschte sich zwischen Ästen hindurch. »Machen Sie sich keine Umstände. Sie fahren ja vor mir wieder weg«, sagte sie und duckte sich unter den spitzen Zweigen und Blättern hindurch.

»Kann ich Ihnen mit Ihren Sachen helfen?«, fragte er, als sie sich bückte, um ihre Aktentasche und einen Stapel Ordner aus dem Wagen zu holen. Gewohnheitsmäßig glitt sein Blick zu ihren langen, wohlgeformten Beinen und den sexy Knöcheln. Streng rief er sich in Erinnerung, weshalb er hier war. Seine Schwäche für heiße Frauen hatte ihm genug Ärger eingebracht.

»Ich hab’s schon, danke«, entgegnete sie knapp und mied seinen Blick, während sie sich abmühte, die Tür zu schließen. Sie war größer, als er zuerst gedacht hatte; durch ihre Acht-Zentimeter-Absätze reichte sie ihm bis knapp zum Kinn.

Die perfekte Größe zum Küssen. Die perfekten Lippen auch … der volle Mund mit dem naturfarbenen Gloss wäre unter anderen Umständen unglaublich verführerisch gewesen.

Als sie sich laut räusperte, schoss sein Blick wieder zu ihren Augen. »Entschuldigen Sie mich«, sagte sie und ging an ihm vorbei. Doch da verfing sich ihr langes dunkles Haar in einem Zweig, und ihr Kopf ruckte nach hinten. Sie machte große Augen und bekam vor Verlegenheit feuerrote Wangen.

»Warten Sie, einfach stillhalten. Machen Sie es nicht noch schlimmer.« Er trat auf sie zu.

»Nicht«, meinte sie schnell. »Ich hab’s schon.«

Er hob die Hände. »Sorry, ich wollte nur helfen.«

»Wenn Sie in einer Lücke geparkt hätten, in die Ihr Fahrzeug hineinpasst, wäre ich gar nicht erst an einem Baum hängen geblieben«, erwiderte sie, verlagerte die Akten auf einen Arm und griff mit der anderen Hand nach hinten, um sich zu befreien.

»Ich hab Ihnen doch angeboten, dass ich umparke.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaute zu, wie sie an ihren Haaren herumfingerte. »Sie machen es noch schlimmer.«

Sie warf ihm einen bösen Blick zu und gab dann seufzend auf. »Na gut.«

»Was, na gut?«

»Sie können mir helfen«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Er war versucht zu sagen, sein Angebot sei verfallen, aber genau genommen war er ja wirklich schuld an ihrer Misere. »Okay, halten Sie still.« Um zu vermeiden, dass die kratzigen Zweige ihn piksten, stellte er sich vor sie und langte über sie hinweg. Wie vorhergesehen passte ihr Kopf genau unter sein Kinn. Seine Brust streifte ihre, aber er konzentrierte sich auf ihre verhedderten Haare, wobei es ihn jeden Funken Gentleman kostete, den er im Leib hatte, nicht nach unten in ihre Bluse zu schielen. Ihr Jasminshampoo duftete mit den Kirschblüten um die Wette, und er hielt den Atem an, während er ihre Haarsträhnen aus den Zweigen befreite. Köstlich und berauschend duftende Frauen waren noch so eine seiner Schwächen.

Sie hatte dickes, weiches Haar, die natürlichen goldblonden Strähnen darin schimmerten im Sonnenlicht. Er widerstand dem Drang, die Locken beim Entwirren zwischen seinen Fingern hindurchgleiten zu lassen.

Sie hielt vollkommen still, den Blick starr geradeaus auf seine Brust gerichtet, er spürte ihren Atem warm an seinem Hals. Dumpf hörte er ein Herz pochen, war sich jedoch nicht sicher, ob es seines war oder ihres. Mit einem Mal wurde ihm diese Nähe unangenehm, und nachdem er die letzte Haarsträhne befreit hatte, ging er schnell auf Abstand. »So.«

»Danke«, murmelte sie, doch es klang eher widerwillig als dankbar. Seinen Blick meidend, strich sie sich das Haar glatt und ging an ihm vorbei.

Er beeilte sich, mit ihr Schritt zu halten, während sie auf das Gebäude zusteuerte. »Kennen wir uns?« Sie kam ihm bekannt vor, und angesichts des Knotens in seinem Magen fragte er sich, ob er schon einmal das Vergnügen mit ihr gehabt hatte. Das würde jedenfalls erklären, warum sie sich so benahm.

»Noch nicht«, antwortete sie.

Am Eingang des Büros angelangt, wollte sie nach der Klinke greifen, aber er kam ihr zuvor, hielt ihr die Tür auf und bedeutete ihr, hineinzugehen. »Nach Ihnen.«

Mit einem Seufzen ging sie hinein.

»Hören Sie, ich habe mich doch wegen des Hummers entschuldigt.«

»Schon gut.« Sie drückte den Fahrstuhlknopf. »Wenn es Ihnen gefällt, die Umwelt zu zerstören«, murmelte sie.

»Wie bitte?«

»Nichts.« Sie sah auf ihre Uhr, als die Fahrstuhlanzeige aufleuchtete und die Türen aufglitten. Alles an ihr – von dem anthrazitgrauen Blazer und Bleistiftrock bis hin zu der roten Aktentasche aus Leder – schrie laut Anwältin, und als sie den Knopf für den neunten Stock drückte, kam ihm die Vermutung, dass sie dasselbe Ziel hatten.

»Arbeiten Sie hier?«, fragte er.

Als sie sich zu ihm umdrehte, erinnerte er sich plötzlich ganz genau daran, wo er sie schon einmal gesehen hatte – sie hatte seine zukünftige Schwägerin letztes Jahr bei ihrer Scheidung vertreten. Scheiße. Er bekam schwitzige Hände.

»Ich bin Olivia Davis, die Anwältin von Ms Sullivan – oder sollte ich besser sagen, von Ihrer Frau?«

Ihm rutschte der Magen in die Kniekehle, als ihm klar wurde, dass er so was von geliefert war. »Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich sie am Baum stehen lassen.«

Musste er denn so umwerfend sein?

Sich vor dem Klienten der Gegenseite zu blamieren war nicht gerade der Auftakt, den sie sich für diesen Fall erhofft hatte. Besonders nicht, da der Mann ihren Puls zum Rasen gebracht hatte, als er ihre Haare aus den dämlichen Zweigen befreite. Groß und muskulös, mit dunkelbraunem Haar und strahlend blauen Augen, dazu eine kantige, von einer leichten Stoppelschicht überzogene Kieferpartie – es war fast so, als wäre er ihrer Wunschliste entstiegen.

Das passte ja mal wieder hervorragend, dass sie sich ausgerechnet an dem Tag, an dem sie offiziell beschloss, sich selbst vom Markt zu nehmen – und zwar für mindestens neun Monate –, derart zu einem Mann hingezogen fühlte, den sie nicht nur nicht haben konnte, sondern gar nicht erst begehren sollte.

Profisportler standen auf ihrer »Bloß nicht daten«-Liste. Sie hatte schon mal einem Sportler ein gebrochenes Herz zu verdanken gehabt, das reichte für ein ganzes Leben. Klar, das war in der Highschool gewesen, und mittlerweile sollte sie darüber hinweg sein, dass der Kapitän des Basketballteams eine Woche vor dem Abschlussball mit ihr Schluss gemacht hatte, aber ihre Berufswahl legte nahe, dass sie immer noch einen Groll hegte. Einen klitzekleinen.

Nur hatte Ben irgendetwas irritierend Verführerisches an sich. Trotz seines schlechten Rufs. Trotz seines wenig gewissenhaften Geschmacks, was Autos betraf. Und trotz der Tatsache, dass sie bei seinem prüfenden Blick auf dem Parkplatz ein bisschen weiche Knie bekommen hatte. Es lag definitiv daran, wie unerwartet freundlich er sich für die Parksituation entschuldigt hatte. Oder eher noch an seinem Bizeps, über dem die marineblaue Anzugjacke spannte, und an dem muskulösen Hals und der ebenso muskulösen Brust, die sie unter seinem offenen Hemdkragen erahnte – aber was sie anbetraf, sollte das alles verschwendete Sexyness sein.

Je heißer der Mann, desto tiefer die Wunden.

Sie vermutete, dass es ziemlich lange dauern würde, bis die Narbe bei ihrer Klientin verblasste.

Ihrer Klientin, die noch nicht aufgetaucht war. Olivia warf einen Blick auf die Wanduhr im Besprechungszimmer. Elf Minuten nach elf. Unwillkürlich zog sich ihr die Brust zusammen.

Elf Uhr elf, du kannst dir was wünschen, hallte die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf wider.

Sie schluckte schwer. Jetzt gerade wünschte sie sich, Ben Westmore würde aufhören, sie anzustarren. Sein nervöser Gesichtsausdruck weckte in ihr das Bedürfnis, ihm zu versichern, dass alles gut werden würde. Was zum Teufel stimmte denn nicht mit ihr? Sie räusperte sich. »Lassen Sie uns anfangen. Ich bin mir sicher, meine Klientin wird in Kürze erscheinen«, sagte sie, klappte ihre Aktentasche auf und nahm die Unterlagen heraus.

Gegenüber von ihr legte Kevin Sanders sein Handy beiseite und klappte seinen Laptop auf. »Zunächst einmal« – er drehte den Bildschirm zu ihr herum – »sind diese Videoaufnahmen von meinem Klienten als Beweismittel unzureichend …«

Sie unterbrach ihn, indem sie den Kopf schieflegte. »Es mag auf diesen Aufzeichnungen von der Überwachungskamera der Kapelle kein gestochen scharfes Bild vom Gesicht ihres Klienten geben, aber den Mann in diesem Video würde jeder x-beliebige Eishockeyfan als Mr Westmore identifizieren.« Westmore. Sogar sein Name kam ihr geschmeidig wie Honig über die Lippen.

»Es ist unzureichend«, wiederholte Kevin.

»Das ist eindeutig er.« Sie griff nach der Liste mit Bens Mannschaftskameraden. »Aber wenn Sie darauf bestehen, lade ich sehr gern alle Jungs aus seinem Team vor, die in der Nacht bei ihm waren. Ich bin mir sicher, dass einer von ihnen die Echtheit der Aufnahmen bestätigen wird.«

»Nicht nötig – ich bin es«, sagte Ben. »Ziehen Sie die Jungs da nicht mit rein.«

Anbetungswürdig und ehrlich. Dass er der Pro-Spalte noch mehr Punkte hinzufügte, konnte sie wirklich nicht gebrauchen. Ihr Job gestaltete sich um einiges leichter, wenn der zukünftige Ex-Ehemann ein Arschloch war.

»Ben, als dein Anwalt …«

Der Spieler wandte sich seinem Rechtsbeistand zu. »Ich möchte nicht, dass sich diese Geschichte auf das Team auswirkt oder der Trainer davon erfährt«, erklärte er. »Kurz vor den Halbfinals haben alle schon genug Stress.«

Wenn Ben glaubte, er könnte diese Scheidung aus der Öffentlichkeit raushalten, machte er sich etwas vor. Es überraschte sie, dass sich die Medien nicht schon längst darauf gestürzt hatten. Aber sie würden es noch tun. Besonders jetzt, wo die Avalanche es in die Halbfinalrunde der Play-offs geschafft hatten. Olivia verfolgte zwar nicht, was im Eishockey passierte, aber ihr Chef war ein riesengroßer Sportfan. Letzte Woche war er in seinem Avalanche-Trikot und mit einem großen Schaumstoff-Winkefinger ins Büro gekommen, weil er nach dem Sieg im Divisionsfinale die Nacht durchgefeiert und es nicht zum Umziehen nach Hause geschafft hatte. Er würde stinksauer sein, wenn er erfuhr, wer in ihrem aktuellen Fall die Gegenseite war.

Sie hatte sich vor zehn Monaten auf diese Stelle in der Kanzlei beworben, als ihre Tante krank geworden und sie nach Colorado gezogen war, um sie zu pflegen. Ihr Chef, Lyle Kingsley, hatte sie in der Erwartung eingestellt, dass sie die Liste ihrer Klienten auf der Gegenseite der Verfahren ausbauen würde – indem sie die Sportler vertrat. Aber bis jetzt zeigten nur deren Ehefrauen Interesse an ihren Dienstleistungen. Und Kingsley hatte ihr widerwillig erlaubt, die Fälle anzunehmen, von denen sie wusste, wie sie zu gewinnen waren. Aber das hier bei ihm durchzudrücken würde eine Herausforderung werden.

»Ich gebe zu, dass ich das in dem Video bin«, unterbrach Ben ihre Gedanken. »Aber ich würde gern Stillschweigen über diese Angelegenheit bewahren.«

»Das ist weder meine Aufgabe, noch kümmert es mich«, setzte sie an.

»Bitte, Ms Davis.« In seinem festen Blick lag keine Spur Heuchelei oder Dreistigkeit, sondern nur Verzweiflung. Das kam so unerwartet und war so anders als bei den meisten arroganten, großspurigen Sportlern, denen sie bisher gegenübergesessen hatte, dass sie ein bisschen aus dem Konzept geriet. Schnell schaute sie weg und blätterte ihre Akte durch. »Ich werde keine Informationen durchsickern lassen, aber ich kann nicht versprechen, dass meine Klientin während des gesamten Prozesses Stillschweigen bewahrt.«

Er nickte. »Okay.«

»Also, machen wir weiter«, sagte Kevin, ohne die leichte Erderschütterung wahrzunehmen, die sie eben in diesem seltsamen Moment mit seinem Klienten verspürt hatte.

Es musste an den Hormonspritzen liegen, die man ihr in der Kinderwunschklinik verpasst hatte. Das war die einzig logische Erklärung für diese ungesunde, gefährliche Anziehungskraft, die sie für einen Mann empfand, der aus diversen Gründen absolut tabu war.

»Wie mein Klient bereits schriftlich erklärte, hat er Ms Sullivan vor dem Abend des 31. Dezembers noch nie getroffen. Somit ist ihre Behauptung, sie würden einander schon seit über zwanzig Jahren kennen, lächerlich.«

Olivia wandte ihre Aufmerksamkeit widerstrebend Ben zu. »Also haben Sie diese Frau vor dem Abend, an dem Sie sie geheiratet haben, noch nie gesehen?« Das Zittern ihrer Hand unterdrückend, schob sie ihm ein Foto ihrer Klientin über den Tisch.

Er schaute es sich an und schüttelte den Kopf. »Noch nie.«

Wow. Das klang beinahe ehrlich. Doch es konnte nur gelogen sein. Wie betrunken musste man sein, um jemanden zu heiraten, den man gerade erst kennengelernt hatte? Der Gedanke half, seine Anziehungskraft zu dämpfen.

Gut. Konzentrier dich auf seine offensichtlichen Schwächen – er hat ein schlechtes Urteilsvermögen und trinkt zu viel.

»Sie gibt an, Sie beide hätten sich in der Highschool kennengelernt.«

Er sprach ihren Namen ein paarmal laut aus und schüttelte dann den Kopf. »Wir waren nur eine kleine Klasse in Glenwood – vielleicht zwölf Schüler. Ich erinnere mich nicht an sie, weil ich sie noch nie zuvor getroffen habe.« Seine Stimme klang jetzt selbstsicherer. »Offensichtlich hat sie mich erkannt, gemerkt, dass ich sturzbesoffen war, und die Situation ausgenutzt.«

»Genau«, hakte Kevin ein. »Und wenn sie eine Beziehung mit meinem Klienten wollte, warum hat sie dann vier Monate gewartet, bevor sie sich gemeldet hat?«

»Das ist nicht ganz richtig. Ms Sullivan« … die immer noch nicht aufgetaucht war … »hat in den letzten Monaten mehrfach versucht, Kontakt mit Mr Westmore aufzunehmen.« Sie zog die Telefon- und E-Mail-Nachweise ihrer Klientin hervor und ließ sie über den Besprechungstisch rutschen.

Ben überflog sie schnell. »Diese E-Mail-Adresse wird vom Team abgerufen. Zuerst werden die Spinner aussortiert, bevor die echte Fanpost an die Spieler oder deren Fanclub-Manager weitergeleitet wird«, erklärte er, während er die E-Mails las, angeblich zum ersten Mal. »Ich habe die noch nie zuvor gesehen und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die ohnehin nicht an mich weitergeleitet worden wären.«

Leider ergab das alles einen Sinn. »Was ist mit den Anrufen und Textnachrichten?«

Er warf einen Blick auf die Liste der Telefonverbindungen. »Kurz nach Las Vegas musste ich meine Telefonnummer ändern.« Er rutschte auf seinem Sitz umher.

»Um den Anrufen meiner Klientin zu entgehen?«

»Nein. Weil eine wütende Frau nach einem One-Night-Stand meine Handynummer getwittert hatte.«

Wow. »Können Sie das beweisen? Kann Ihr Telefonanbieter bestätigen, dass die Nummer geändert wurde?«

Er nickte.

Neben ihm machte Kevin sich eine Notiz, den Beweis dafür zu besorgen.

Sie seufzte. Das hier lief nicht gerade so, wie sie es geplant oder gehofft hatte. Dass er nachweisen konnte, warum er nicht auf die Kontaktversuche ihrer Klientin reagiert hatte, war nicht günstig für ihren Fall. Aber sie glaubte immer noch, dass die beiden eine gemeinsame Vergangenheit hatten, wie ihre Klientin so beharrlich behauptete.

Wieder schaute sie zur Tür des Besprechungsraums. Wo zum Teufel steckte Kristina?

»Okay, Ihnen zufolge war also der Alkohol schuld an den Geschehnissen in dieser Nacht? Sie haben keinerlei Erinnerung an die Ereignisse des Abends, und Sie hatten, abgesehen von einem One-Night-Stand am 31. Dezember letzten Jahres, keinerlei andere frühere Verbindung zu Ms Sullivan?« Es war reine Zeitschinderei, aber solange ihre Klientin nicht auftauchte, hatte sie kaum Möglichkeiten, ihn festzunageln und den Fall voranzutreiben.

Ihn festnageln. Als ihr ihre gedankliche Wortwahl auffiel, lief sie rot an.

Unter Bens intensivem Blick fühlte es sich an, als würden ihre Wangen in Flammen stehen. »Ich kenne diese Frau nicht.«

Verdammt. Hatte jemand hier drinnen die Heizung hochgedreht? Sie widerstand dem Drang, ihren Blazer auszuziehen. »Also …«

»Anruf von Rebecca, Rotschopf, lange Beine … Anruf von Rebecca …«

Hastig drückte Ben den Anruf auf seinem Handy weg.

Offensichtlich hatte er es inzwischen schon wieder gewagt, seine neue Nummer herauszugeben. »Im Gegensatz zu Rebecca mit den kurzen Beinen?«

»Was denn? Er kennt eben mehr als eine Rebecca – das ist wohl kaum ein Verbrechen«, kommentierte Sanders.

Ben stieß den Atem aus. »Sie hat ihre Nummer selbst so auf meinem Handy abgespeichert … es sollte ein Witz sein.«

Die Tür ging auf, und ihre Assistentin Madison steckte den Kopf herein. »Ms Sullivan ist hier.«

Gott sei Dank.

Sie sah, wie Ben sich aufrechter hinsetzte und die vor sich auf dem Tisch verschränkten Hände zusammenpresste. »Schicken Sie sie bitte herein.«

Kristina wirkte genauso nervös wie Ben, als sie den Raum betrat. Den Riemen ihrer Handtasche fest umklammernd, trat sie an den Tisch. »Entschuldigung für die Verspätung«, sagte sie. »Ich musste meinen Sohn zur Schule fahren.«

»Sie haben ein Kind?«, fragte Kevin.

Bens Fingerknöchel wurden weiß.

Normalerweise liebte Olivia Überraschungsmomente, aber heute drehte sich ihr der Magen um. Dass ein Kind mit in diesem Schlamassel steckte, machte alles nur komplizierter. »Ja. Ihr Klient hat jetzt ein Stiefkind«, sagte sie, und die Worte hinterließen einen bitteren Geschmack auf ihrer Zunge.

»Scheiße«, murmelte Ben, aber nicht leise genug. Dann beugte er sich über den Tisch und starrte Kristina zornig an. »Hören Sie zu, ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Aber ich kenne Sie nicht. Was für ein Spielchen Sie auch immer hier treiben – Schluss damit.«

Mit verlegener Miene zog Kristina ein altes Grundschulklassenfoto aus ihrer überdimensionalen Handtasche. Sie schob es ihm über den Tisch zu. »Doofe Kristina, dicke Tina?«

Bei der Erwähnung dieser gemeinen Spitznamen klappte Ben die Kinnlade herunter. Ein Ausdruck des Wiedererkennens flackerte über sein Gesicht.

»Möchten Sie Ihre letzte Aussage zurücknehmen, Mr Westmore?«, fragte Olivia.

3

Drei Stunden später stieß Ben die Tür zum Haus seiner Familie in Glenwood Falls auf. Ihm schlug der vertraute Geruch nach selbst gebackenem Brot entgegen, das frisch aus dem Ofen kam, aber heute vermittelte er ihm nicht das übliche Gefühl von Geborgenheit. Mit den Jahren hatte sich im Haus kaum etwas verändert, alles war wie immer – angefangen bei den Spitzengardinen vor den Wohnzimmerfenstern, die seine Großmutter genäht hatte, bis hin zu den Familienfotos, die sie jeden Herbst gemacht hatten und die sich im Flur an der Wand aneinanderreihten. Der Dielenboden wies immer noch die Spuren der Hockeymatches auf, die sie hier drinnen gespielt hatten, wenn ihre Eltern nicht zu Hause gewesen waren, und die Sitzmöbel waren so oft neu bespannt worden, dass ihre Mutter für das Geld, das sie für das Festhalten an dem alten Kram ausgab, längst das ganze Haus hätte neu einrichten können. Er schaute viel zu selten zu Hause vorbei, und normalerweise freute er sich immer darauf, aber heute war er nicht einfach nur zu Besuch.

»Mom!«, rief er, während er auf die Küche zusteuerte.

Sie bog um die Ecke und stieß prompt mit ihm zusammen. »Ben? Was machst du denn hier?« Sie wischte sich die nassen Hände an der Schürze ab und zog ihn in eine Umarmung.

Als sie ihn einen Moment zu lange festhielt, machte er sich von ihr los. »Hallo, Mom.«

»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du noch mal vorbeischauen würdest vor dem Familienessen am …«

Letzten Sonntag des Monats. Der eine Tag, an dem Asher und er sich beide bemühten, in der Stadt zu sein, damit die ganze Familie zusammenkam. »Ich weiß. Ich brauche nur etwas.«

Seine Mutter durchbohrte ihn mit einem scharfsinnigen Blick. »Was ist los?«

»Nichts.« Zu schnell geantwortet.

»Sicher. Weil du in der Zeit der Play-offs ja immer extra hier rausfährst, nur um mal vorbeizuschauen.«

»Freust du dich etwa nicht, mich zu sehen?« Okay, jetzt schindete er Zeit.

Sie holte mit ihrem Geschirrhandtuch aus und traf ihn am Arm.

»Au! Das gibt einen blauen Fleck«, beschwerte er sich und massierte die Stelle.

»Ich werde mich umso mehr freuen, dich zu sehen, wenn du einen großen Silberpokal dabeihast«, sagte sie mit einem vielsagenden Blick.

»Das tut sogar noch mehr weh«, grummelte er. Seine Familie sorgte definitiv dafür, dass er bescheiden blieb. Schon zwei Mal war er kurz davor gewesen, den Pokal zu gewinnen, und hatte ihn am Ende doch nicht in die Luft recken können – das würde er nicht noch ein drittes Mal überleben. Komischerweise machte seine Familie Asher nicht solchen Druck. Der Fluch des ältesten Sohns.

»Du weißt doch, dass ich mich immer über einen Besuch meines Lieblingssohns freue …«

Er lachte spöttisch. Seinen Brüdern erzählte sie dasselbe. Um den Titel Lieblingssohn zu bekommen, brauchte man lediglich derjenige zu sein, der gerade vor ihr stand.

»Aber ich weiß, dass du eigentlich gerade beim Training sein müsstest, also, was treibst du hier?« Sie stützte die Hände in die Hüften und wartete ab.

Sie hatte es immer noch drauf, ihm mit einem einzigen Blick Schuldgefühle einzujagen, weil er das Training schwänzte. Diesem Blick, der sagte: Ich bin nicht sauer, ich bin nur enttäuscht. Enttäuschung war immer so viel fieser … und für seine neuesten Eskapaden würde er mit Sicherheit noch so einen missbilligenden Blick ernten. »Ich wollte bloß einige der Kisten auf dem Dachboden durchsehen.« Er wusste, dass seine Mutter der einzige Mensch auf der Welt war, dem er den Schlamassel, in dem er gerade steckte, anvertrauen konnte – abgesehen von seinem Anwalt –, allerdings wusste er auch, dass sie der eine Mensch auf diesem Planeten war, der ihm sein »Ich werd mich niemals fest binden«-Gerede nicht abnahm. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war, dass seine Mutter wegen nichts und wieder nichts aus dem Häuschen geriet. Er hatte schließlich nicht vor, mit Kristina Sullivan verheiratet zu bleiben.

Er konnte es immer noch nicht fassen, dass die Frau, die ihm vor einigen Stunden im Besprechungszimmer gegenübergesessen hatte, die doofe Kristina war, die dicke Tina. Es gab noch zahllose andere fiese Namen, unter denen er sie kannte – ein Mädchen, mit dem er zur Schule gegangen war, als seine Familie noch in Denver gelebt hatte. Er war von der Vorschule bis zur dritten Klasse auf der Red-Oak-Grundschule gewesen, bevor seine Eltern mit ihnen nach Glenwood Falls umgezogen waren und er die Schule gewechselt hatte.

Als die Anwältin sagte, er und Kristina Sullivan seien vor Jahren Klassenkameraden gewesen, hatte er nicht so weit zurückgedacht.

»Wer zum Teufel ist sie?«, hatte sein Anwalt wissen wollen, als sie die Anwaltskanzlei verließen.

»Wir waren in derselben Grundschule. Sie war still und schüchtern, und alle haben sie geärgert …«

»Lass mich raten – sie kam im Unterricht nicht mit und war ein bisschen pummelig?« Sogar sein Anwalt wirkte angewidert von der kindlichen Grausamkeit.

Er nickte.

»Also was? Geht’s um Rache?«, fragte Kevin und kam damit zu demselben Schluss, den auch Ben gezogen hatte.

»Ich schätze schon.«

Und leider war er sich nicht sicher, ob er diese Rache nicht vielleicht verdient hatte.

Deshalb musste er die Kisten mit seinen Andenken aus Schulzeiten finden und abschätzen, wie viel Ärger er tatsächlich am Hals haben mochte.

»Die alten Kisten?«, fragte seine Mutter jetzt und zog eine Augenbraue hoch. »Seit wann hast du denn eine sentimentale Ader?«

Gar nicht. Dieser Ausflug in die Vergangenheit diente nur dazu, ihm den Arsch zu retten. Er musste ehrlich zu seiner Mutter sein. »Erinnerst du dich an ein Mädchen, mit dem ich in Denver zur Schule gegangen bin – Kristina Sullivan?«

Der altmodische Teekessel auf dem Herd fing an zu pfeifen, und seine Mutter wedelte mit einer Hand, um ihm zu bedeuten, er solle ihr den Flur entlang folgen. »Kristina Sullivan aus Denver«, widerholte sie. »Kommt mir nicht bekannt vor.«

Ihm anfangs auch nicht, aber als Kristina vorhin Geschichten aus ihrer beider Vergangenheit erzählt hatte, waren frühe Erinnerungen an Schulhof-Hänseleien zurückgekehrt, bei denen sich sein Magen verkrampfte. Die Kinder waren nicht nett zu ihr gewesen. Aber er tröstete sich damit, dass er sich nicht daran erinnern konnte, bei Spott und Piesackerei mitgemacht zu haben. Hatte sie da andere Erinnerungen?

Sie hatte heute Vormittag weder wütend noch rachsüchtig gewirkt, aber das lag vielleicht an der Aussicht, dass ihre Anwältin dafür sorgen würde, dass er für jeden längst vergessenen Fehler seiner Vergangenheit bezahlte – finanziell und mit seinem Ruf.

Ein Bild von Olivias stechendem Blick aus braunen Augen tauchte vor seinem geistigen Auge auf, gefolgt von demselben flattrigen Gefühl im Bauch, das er auch verspürt hatte, als er ihre in den Zweigen verfangenen Haare entwirrte.

Seine Mutter schnipste mit den Fingern. »War das nicht das kleine Mädchen, das in der Wohnwagensiedlung kurz vor der Stadt gewohnt hat?«

Er erinnerte sich an den Anblick ihres abgewohnten Zuhauses und nickte. Jedes Jahr zu Weihnachten hatte ihre Gemeinde weniger gut bemittelte Familien in der Nachbarschaft unterstützt, und die meisten davon lebten in der Wohnwagensiedlung Pine Oaks. Kristinas Familie lehnte die Spendenkörbe mit Essen und Spielzeug immer ab, deshalb ließ seine Familie sie auf der kaputten Vordertreppe stehen. Er erinnerte sich daran, wie er einmal in den Seitenspiegel geschaut hatte, als sie weggefahren waren, und gesehen hatte, wie Kristina und ihr Bruder die Sachen hineintrugen.

Diese Lektion, Nächstenliebe zu zeigen und etwas an die Gemeinde zurückzugeben, hatte bei ihm Früchte getragen. Die drei Kinderhilfsorganisationen, die er heute unterstützte, bezeugten das.

»Woher kommt dein plötzliches Interesse? Hast du sie kürzlich mal gesehen?«, erkundigte sich seine Mutter und goss sich eine Tasse Kamillentee ein. Wohltuender Duft erfüllte die Küche, vermochte seine angespannten Nerven aber kein bisschen zu beruhigen.

»Könnte man so sagen«, murmelte er und schaute zu Boden, als sie sich zu ihm umdrehte und ihn ansah.

»Oh, Ben – was hast du angestellt?«, fragte sie und warf ihm ihren besten »Ich bin deine Mutter und kann dich immer noch zur Schnecke machen«-Blick zu.

»Eventuell habe ich sie geheiratet.«

Zum Glück war sein Instinkt genauso gut wie seine Reflexe, sonst hätte er seine in Ohnmacht fallende Mutter niemals rechtzeitig aufgefangen.

»Verdammt«, murmelte Olivia, als der Stapel Heftordner, den die Klinik ihr per Kurier zugestellt hatte, auf den Fliesenboden im Büro fiel. Sie hoffte, dass sich keine losen Blätter darin befanden. Wenn der Inhalt dieser Mappen durcheinandergeriet, wurde die Auswahl eines Samenspenders noch ein bisschen schwieriger.

Sie stellte ihren Kaffee auf dem Empfangstresen ab, rückte ihre Handtasche zurecht und bückte sich, um die Mappen aufzuheben.

Madison kam ihr zu Hilfe.

»Schon okay, ich hab’s schon«, sagte Olivia schnell und sammelte hastig weitere Mappen ein. Sie arbeitete erst seit zehn Monaten in der Firma und hatte nicht vor, alle in ihre Pläne einzuweihen, bevor sie einen Babybauch hatte, den man nicht mehr hinter einem großen Aktenkarton verstecken konnte.

Obwohl sie sich sehr beeilte, die weit verstreuten Mappen rasch an sich zu raffen, war sie leider nicht schnell genug.

Sie hätte darum bitten sollen, dass man ihr die Akten nach Hause schickte, aber heute Nachmittag hatte sie zwischen zwei Terminen zwei Stunden Zeit, und sie war versessen darauf, mit der Auswahl loszulegen.

Madison betrachtete die Mappen, die sie eben eingesammelt hatte, und sah Olivia mit großen Augen an.

Tief durchatmen. Die junge Anwaltsgehilfin Mitte zwanzig würde nie im Leben das Logo der Kinderwunschklinik unten in der Ecke bemerken …

»Sie haben vor, ein Baby zu bekommen?«

Oh Gott. »Schhhh …« Sie seufzte, nahm die restlichen Mappen von Madison entgegen und stand auf. »Nehmen Sie bitte meinen Kaffee und folgen Sie mir.«

In ihrem Büro legte sie Akten und Handtasche auf den Fußboden und nahm Madison den Kaffee ab. »Danke. Ähm … Als Sie eingestellt wurden, haben Sie eine Vertraulichkeitserklärung unterschrieben, richtig?«

Ihre Assistentin nickte, wobei Strähnen ihres asymmetrisch geschnittenen Pixie-Cuts ihr über die Augen fielen. »Ja. Und glauben Sie mir, es ist wahnsinnig schwer, Stillschweigen zu bewahren über einige der …«

Olivia hob eine Hand. »Das sollten Sie niemandem so offen eingestehen.« Auch wenn sie es verstehen konnte. Die hochkarätigen Klienten und die oft heiklen Situationen, in denen sie sich befanden, gaben ziemlich saftigen Klatsch ab … nicht, dass sie viele Freundinnen gehabt hätte, mit denen sie lästern könnte. Da sie in ihrer Kindheit nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrer Tante untergekommen und gemeinsam mit ihr häufig umgezogen war, hatte Olivia sich nie die Mühe gemacht, langfristige Freundschaften zu schließen – eine Eigenschaft, die sie ins Erwachsenenleben mitgenommen hatte. Und allmählich bereute. Jetzt, da ihre Tante nicht mehr da war, fühlte sie sich noch einsamer.

Hoffte sie, ein Baby würde diese Leerstelle füllen?

Madisons perfekt aufgeklebte falsche Wimpern streiften die dünnen, aufgemalten Augenbrauen. »Oh, ich schwöre, dass ich niemals etwas ausplaudern würde.«

»Gut. Also, diese Information müssen Sie ebenfalls für sich behalten, okay?«

Madison nickte erneut. »Niemand weiß davon?«

»Noch nicht.« Und das würde hoffentlich auch noch eine Weile so bleiben. Sie wollte sich noch in einigen weiteren Fällen vor Gericht beweisen, ehe sie Mutterschaftsurlaub beantragte. Sie war sich noch gar nicht sicher, was sie vorhatte, wenn das Baby geboren war – jetzt, wo ihre Tante nicht mehr lebte, war die Versuchung groß, nach L. A. zurückzugehen. Genau genommen hätte sie das vielleicht sogar schon getan, wenn sie nicht diese Kinderwunschklinik in Glenwood Falls entdeckt hätte.

Sie setzte sich und ruckelte an ihrer Computermaus, bis der Bildschirmschoner von einem Sonnenuntergang auf Hawaii verschwand. Der war bei dem Computer voreingestellt, und anders als die meisten ihrer Kollegen hatte sie ihn nie durch ein persönliches Bild ersetzt. Kein Selfie mit dem Partner, kein aktuelles Urlaubsfoto. Die Chronik ihrer Dates war lächerlich, die Karriere nahm ihre ganze Zeit in Anspruch, und sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt Urlaub genommen hatte. Und selbst wenn sie ein Haustier hätte, würde sie sich weigern, überall Fotos davon zu posten. Sie trennte Berufs- und Privatleben strikt voneinander – auch wenn sie sich in letzter Zeit fragte, wohin sie das gebracht hatte.

Statt zu gehen, setzte Madison sich. »Das waren Unterlagen von Samenspendern, stimmt’s?«

Woher wusste sie so viel darüber? Olivia nickte bloß und öffnete ihr E-Mail-Postfach.

»Haben Sie schon einen ausgesucht?«

»Noch nicht«, sagte sie und überflog die Liste der hundertvierundsechzig E-Mails, die in ihrem Posteingang aufpoppten. Angesichts der ganzen Dringlichkeitsmarkierungen würde sie wahrscheinlich vor Mitternacht nicht dazu kommen, die Akten zu lesen, die sie so brennend interessierten.

»Haben die schon Eizellen entnommen?« Offenkundige Aufregung lag in Madisons Stimme. »Wann werden sie eingesetzt?«

Wow. War das Mädchen etwa Expertin auf diesem Gebiet? »Ich muss wirklich dringend E-Mails beantworten.«

Madison wirkte enttäuscht, aber sie nickte. »Sie haben recht, Sie haben viel zu tun. Tut mir leid. Ich finde das nur faszinierend.«

Was war daran faszinierend? Dass sie ihr Zeitfenster, auf natürlichem Weg schwanger zu werden, hatte verstreichen lassen und jetzt die Verzweiflung spürte, die eine tickende biologische Uhr mit sich brachte? »Ist schon okay«, sagte sie knapp und fügte dann schnell hinzu: »Aber das bleibt unter uns.« Auch wenn es sich seltsam tröstlich anfühlte, das Geheimnis nicht mehr ganz für sich zu behalten.

Madison stand auf, um zu gehen. »Ich bin durch künstliche Befruchtung entstanden.«

Olivia riss den Kopf hoch. »Sie?«

Madison nickte. »Meine Eltern waren schon etwas älter, als sie beschlossen, eine Familie zu gründen.«

Älter. Richtig. Mit sechsunddreißig war sie nicht gerade eine Spätgebärende, aber auch nicht mehr weit davon entfernt.

»Ich finde das wirklich toll. Wenn Sie mit jemandem darüber reden wollen …«

Wollte sie nicht. »Alles gut. Danke. Denken Sie nur daran, nichts davon zu erwähnen.«

Madison tat so, als würde sie einen Reißverschluss zwischen ihren Lippen schließen, dann verließ sie das Büro und schloss die Tür hinter sich.

Olivia sackte auf ihrem Stuhl nach hinten und seufzte. Als sie die Akte zum Fall Sullivan gegen Westmore auf ihrem Schreibtisch sah, tauchte ein Bild von Ben vor ihrem geistigen Auge auf. Dieser Mann würde wunderschöne Babys zeugen. Und weil er eine Frau geheiratet hatte, die er kaum kannte, fragte sie sich plötzlich, ob er dann vielleicht auch einer anderen fremden Frau Samen spenden würde.

Angesichts der asthmaverdächtigen Staubschicht auf den Kisten zögerte Ben. Wollte er diese dicke Schmutzschicht wirklich aufwirbeln? Er wurde doch bereits von einem Geist aus der Vergangenheit heimgesucht, und er war nicht sicher, ob er noch mehr davon ertragen könnte.

Suchend sah er sich in dem kleinen Raum über der Garage um. Weihnachtsdeko, alte Steppdecken aus ihren Kindheitstagen, Schachteln mit Familienfotos aus drei Generationen, einige der alten Werkzeuge seines Vaters.

Als er beim Weitergehen die Wand streifte, blieb Isoliermaterial an Hose und Hemd hängen. Er war nicht gerade passend gekleidet für diese Aktion.

Er rollte die Hemdsärmel hoch. Als er die Kisten mit seinem Namen darauf in einer Ecke entdeckte, zog sich ihm der Magen zusammen. Die Erinnerungen an seine Grundschulzeit kamen langsam zurück, und auch wenn sie verblasst waren, beruhigten sie ihn kein Stück.

Genauso wenig wie die Worte seiner Mutter es getan hatten, als sie wieder zu Bewusstsein gekommen war, nur um ihm augenblicklich einen Klaps gegen den Kopf zu verpassen. »Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?«, fragte sie jetzt und folgte ihm auf den Dachboden.

Er hatte überhaupt nicht