Alfred Schütz - Martin Endreß - E-Book

Alfred Schütz E-Book

Martin Endreß

0,0

Beschreibung

Zwischen Soziologie und Philosophie gelingt es Alfred Schütz, eine eigenständige Theorie- und Forschungsperspektive für die Soziologie zu entwickeln. In seinem Werk verbinden sich grundlagentheoretische Überlegungen mit methodologischen Reflexionen. Anschaulich werden seine Überlegungen durch exemplarische Studien, etwa zur Wissensverteilung, zu den Phänomenen des "Fremden" und des "Heimkehrers" sowie zu wesentlichen Bezugsautoren für die verstehende Soziologie. Maßgeblichen Einfluss haben Schütz' Arbeiten deshalb auf wissenschaftstheoretische Überlegungen zur "Logik der Sozialwissenschaften" wie auf die Grundlegung einer handlungsanalytisch anSetzenden, auf die Rekonstruktion von Sinnstrukturen zielenden Soziologie. Sein Werk ist darüber hinaus für die methodische Orientierung der hermeneutisch verfahrenden qualitativen Sozialforschung von zentraler Bedeutung. Der Einführungsband von Martin Endreß legt den Schwerpunkt auf die wissenssoziologischen Perspektiven des Werkes von Alfred Schütz. Diese werden vor dem Hintergrund der für ihn wesentlichen sozialen und intellektuellen Einflüsse dargestellt. Damit bietet die vorliegende Einführung eine umfassende Orientierung über die Grundlinien der von Schütz entwickelten Konzeption einer phänomenologisch fundierten verstehenden Soziologie. Weitere Infos zur Reihe: www.uvk.de/kw

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 216

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Klassiker der Wissenssoziologie

Herausgegeben von Bernt Schnettler

Die Bände dieser Reihe wollen in das Werk von Wissenschaftlern einführen, die für die Wissenssoziologie – in einem breit verstandenen Sinne – von besonderer Relevanz sind. Dabei handelt es sich vornehmlich um Autoren, zu denen bislang keine oder kaum einführende Literatur vorliegt oder in denen die wissenssoziologische Bedeutung ihres Werkes keine angemessene Würdigung erfahren hat. Sie stellen keinesfalls einen Ersatz für die Lektüre der Originaltexte dar. Sie dienen aber dazu, die Rezeption und das Verständnis des Œuvres dieser Autoren zu erleichtern, indem sie dieses durch die notwendigen biografie- und werkgeschichtlichen Rahmungen kontextualisieren. Die Bücher der Reihe richten sich vornehmlich an eine Leserschaft, die sich zum ersten Mal mit dem Studium dieser Werke befassen will.

»Thomas Luckmann« von Bernt Schnettler

»Marcel Mauss« von Stephan Moebius

»Alfred Schütz« von Martin Endreß

»Anselm Strauss« von Jörg Strübing

»Robert E. Park« von Gabriela Christmann

»Erving Goffman« von Jürgen Raab

»Michel Foucault« von Reiner Keller

»Karl Mannheim« von Amalia Barboza

»Harold Garfinkel« von Dirk vom Lehn

»Émile Durkheim« von Daniel Šuber

»Claude Lévi-Strauss« von Michael Kauppert

»Arnold Gehlen« von Heike Delitz

»Maurice Halbwachs« von Dietmar J. Wetzel

»Peter L. Berger« von Michaela Pfadenhauer

Weitere Informationen zur Reihe unter www.uvk.de/kw

Inhalt

Einleitung

I Alfred Schütz: Leben und Werk – angesichts erzwungener Emigration

II Prägungen und intellektuelle Einflüsse

III Verstehende Wissenschaft der sozialen Wirklichkeit: Konzeptionelle und methodologische Grundlegung

IV Grundlegung verstehender Soziologie: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt

V Verstehende Soziologie als Strukturanalyse der Lebenswelt

VI Das wissenssoziologische Profil der Lebensweltanalyse

VII Elementare wissenssoziologische Typologien

VIII Schütz’ Werk: Wirkung und Aktualität

Literatur

Zeittafel

Personenindex

Sachindex

Einleitung

Die vorliegende Einführung bietet eine Orientierung über das Gesamtwerk von Alfred Schütz (1899-1959) unter besonderer Berücksichtigung des wissenssoziologischen Profils der von ihm begründeten Lebensweltanalyse.1 Deren Entwicklung und Zuschnitt stehen unter dem Eindruck eines Lebens in erzwungener Emigration sowie einer nahezu zeitlebens durchgehaltenen außerakademischen Berufstätigkeit. Diese biografischen Konstellationen werden im ersten Kapitel geschildert.

Die beiden folgenden Kapitel geben eine Orientierung über die zentrale analytische Perspektive von Schütz’ Werk sowie über die Grundlinien der Werkgenese. Dabei konzentriert sich Kapitel II auf eine Darstellung der klassischen philosophischen und sozialwissenschaftlichen Konzeptionen, die Schütz’ Werk prägen, während sich Kapitel III der methodologischen Grundlegung sowie den das gesamte Werk formierenden Problemstellungen widmet: den Phänomenen der Zeit, des Wirkens und der Intersubjektivität.

Diese Problemstellungen prägen die zentralen Gedankengänge der beiden Hauptwerke von Schütz, die in den Kapiteln IV und V vorgestellt werden: einerseits die frühe Arbeit unter dem Titel Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt aus dem Jahr 1932, andererseits die nach Schütz’ Tod von Thomas Luckmann in den 1960er- und 1970er-Jahren unternommene Ausarbeitung der nachgelassenen Vorbereitungen für ein Werk unter dem Titel Strukturen der Lebenswelt. Die Darstellung der zentralen Argumentationsgänge dieser beiden Hauptwerke zur Grundlegung einer phänomenologisch fundierten verstehenden Soziologie erschließt diese als ein kontinuierliches Projekt. Mit Bezug auf den Sinnhaften Aufbau wird besonderes Gewicht auf die Unterscheidung der Ebenen von Schütz’ Lebensweltanalyse sowie auf die Analyse des Fremdverstehens (Intersubjektivitätsproblematik) und die zeittheoretisch angelegte handlungsanalytische Konzeption gelegt. Demgegenüber stehen mit Blick auf die Strukturen die Gliederung der Lebenswelt sowie die Analysen ihrer Sinndifferenzierung und ihres Sinnzusammenhangs im Zentrum.

Diese Konturen von Schütz’ Projekt einer phänomenologisch fundierten verstehenden Soziologie bilden die Grundlage für die Erörterung des wissenssoziologischen Profils von Schütz’ Werk in den Kapiteln VI und VII. Sie bieten eine integrative Darstellung der über das Werk verstreuten Überlegungen zu diesem Kernthema und gliedern sich in eine Erörterung des Phänomens des Typischen, des hermeneutischem Grundverständnisses, der Relevanz-Thematik und der grundlegenden Strukturierungen des Wissens von der Lebenswelt. Das analytische Potenzial des wissenssoziologischen Beitrages wird schließlich anhand einiger elementarer wissenssoziologischer Typologien von Schütz dokumentiert.2

Abgerundet wird der Band durch Hinweise auf die Wirkungsgeschichte von Schütz’ Werk und dessen Bedeutung für die aktuelle soziologische Theorie und Forschung.

1 Die Ausführungen stützen sich teilweise auf eigene frühere Veröffentlichungen: Neben Endreß (1999, 2006) insbes. »Phänomenologisch angeleitete Vermittlung von verstehender Soziologie und begreifender Ökonomik: Alfred Schütz’ handlungsanalytische Perspektive«, in: M. Gabriel (Hg.), Paradigmen der akteurszentrierten Soziologie, Wiesbaden: VS 2004 sowie »Die Einheit multipler Sinnordnungen in der sozialen Wirklichkeit«, in: M. Kaufmann (Hg.), Wahn und Wirklichkeit – Multiple Realitäten, Frankfurt a. M.: Lang 2003. Vgl. auch die mit Joachim Renn (Endreß & Renn 2004) und Ilja Srubar (in: Schütz 2003a) erarbeiteten Einleitungen zu Band II. und V.1 der Alfred Schütz Werkausgabe.

2 Sämtliche Zitationsnachweise, die lediglich unter Angabe einer Jahreszahl oder von Jahres- und Seitenzahl erfolgen, verweisen auf diejenigen Werke von Schütz (engl. Schutz), auf Arbeiten in Ko-Autorenschaft oder auf publizierte Briefwechsel, die am Ende dieses Bandes in der Primärliteratur verzeichnet sind (vgl. S. 139f.). Zusätzlich zu der ausgewählten und kommentierten Sekundärliteratur (vgl. S. 140ff.), die im Text amerikanisch zitiert wird, sind in die Fußnoten weiterführende Literaturhinweise aufgenommen.

I Alfred Schütz: Leben und Werk – angesichts erzwungener Emigration

Das ›Werden‹ eines Klassikers ist selbst ein Stück Wissenssoziologie: Die Deutung eines Werkes als ›klassisch‹ und die Gewichtung seines Ranges verdanken sich immer auch veränderten Einschätzungen der Forschungslandschaft bzw. veränderten Beurteilungen der Relevanz der einem Forschungsfeld zuzuordnenden Autoren. Das gilt auch für die Soziologie. So wäre etwa in den frühen 1960er-Jahren die Aufnahme eines Bandes zu Alfred Schütz in die seinerzeit erscheinende Reihe »Masters of Sociological Thought« undenkbar gewesen. Erst in den späten 1960er-Jahren hat sich die Situation grundlegend verändert und es beginnt der Aufstieg von Schütz zu einem Klassiker der Disziplin. Die endgültige Aufnahme seines Werkes in den disziplinären Kanon ist dann wohl erst auf die 1990er-Jahre zu datieren.

Die beginnende Rezeption des Werkes von Schütz läuft dabei keineswegs zufällig parallel zu einer Wiederentdeckung des Werkes von Max Weber, auf dessen Arbeiten die deutschsprachige Soziologie erst nach einer Tagung anlässlich seines 100. Geburtstages im Jahr 1964 in Heidelberg wieder aufmerksam wurde. Flankiert durch Publikationen einer jüngeren Generation führte die Renaissance der Werke von Weber und Schütz einerseits zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk von Talcott Parsons, das in den 1950er- und 1960er-Jahren eine anhaltende theoretische Dominanz behauptete. Andererseits führte diese Renaissance zu einer systematischen Neuorientierung soziologischer Theorie und Forschung – in Richtung einer handlungstheoretisch-hermeneutischen Grundlegung und qualitativ-angelegten empirischen Forschung.

Als charakteristisch für diese Neuorientierung ist – über die mit ihr einhergehende alltags- und wissenssoziologische Forschungsorientierung – zumeist eine ›mikrosoziologische‹ Wende angesehen worden. Das allerdings ist eine Wahrnehmung, die nur sehr bedingt das komplexe Profil des Werkes von Alfred Schütz auf den Begriff zu bringen vermag. Denn der von Schütz’ Werk ausgehende Anstoß lässt sich keineswegs gleichsetzen mit einer Beschränkung des soziologischen Untersuchungsinteresses auf Handlungs- und Kommunikationszusammenhänge in kleinformatigen Interaktionskonstellationen. Vielmehr führt sein Werk einerseits zur Wiederbelebung der Aufmerksamkeit soziologischer Forschung auf die komplexe Wirklichkeit des Alltagslebens, andererseits zur Neuorientierung des wissenssoziologischen Forschungsinteresses auf die ganze Breite gerade auch des alltäglichen Wissens.

Die Resonanz, die Schütz’ Werk erfährt, verdankt sich insbesondere dem Umstand der Ausschöpfung des analytischen Potenzials der von Edmund Husserl seit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten phänomenologischen Philosophie für eine neuartige Analyse der Strukturen der sozialen Wirklichkeit. Im Kern geht es dieser Analyse um die Untersuchung der durch Handeln und Wissen erfolgenden Strukturierung sozialer Wirklichkeit – dafür steht der Titel einer Strukturanalyse der Lebenswelt. Eine Einführung in das Werk von Schütz als eines Klassikers der Wissenssoziologie gibt zugleich Gelegenheit, diesen für Schütz’ soziologische Perspektive zentralen Aspekt der wissensförmigen Strukturierung sozialer Wirklichkeit zum Ausgangs- und Angelpunkt einer Orientierung über sein Werk zu machen.

Für eine Rekonstruktion des konzeptionellen Potenzials von Schütz’ Werk ist vor allem eine Unterscheidung verschiedener Stufen der Analyse erforderlich: Von der sozialtheoretischen Grundlegung ist die gesellschaftsanalytische Analyse abzuheben. Schütz’ Ansatz entfaltet als Sozialtheorie – in ›proto-soziologischer‹ Optik – die als (mehr oder weniger) universell gültig unterstellten, anthropologisch konzipierten Strukturen der Lebenswelt. In dieser quasi-anthropologischen Wendung sucht Schütz formale Strukturen der Konstitution menschlicher Sinnsetzungsprozesse zu klären. Insbesondere geht es in dieser Perspektive um die räumliche, zeitliche und soziale Strukturierung der Lebenswelt. Als primären Konstitutionsmechanismus bzw. als grundlegendes ›Generierungsprinzip‹ sozialer Wirklichkeit betrachtet Schütz dabei die Form wechselseitigen sozialen Handelns in der sozialen Wirklichkeit: das Wirken und die Wirkensbeziehungen.

Demgegenüber konzentriert sich Schütz’ Ansatz – in soziologischer Perspektive – als Gesellschaftsanalyse auf die durch alltägliche, professionelle oder wissenschaftliche Typisierungen gesteuerten, also wissensbasierten Prozesse des Aufbaus institutionalisierter Handlungsmuster und sozialer Regelungsstrukturen. Den Kern seiner diesbezüglichen Analysen bildet also das Verhältnis von Handeln, Typik und Institutionalisierungsprozessen.

Die Unterscheidung dieser beiden Stufen der Theoriebildung ist für ein adäquates Verständnis des von Schütz entwickelten Theorieprogramms für die Soziologie ebenso zentral wie für den Nachweis des eigenständigen Profils seines Ansatzes gegenüber seinen wesentlichen Quellen. Dabei argumentiert Schütz im Prinzip auf beiden Reflexionsstufen in handlungsanalytischer Perspektive, auch wenn für die gesellschaftsanalytische Perspektive in seinem Werk nur wenige, wenn auch grundlegende Bausteine vorliegen.

Leben und Werk von Alfred Schütz stehen unter dem alles dominierenden Vorzeichen der erzwungenen Emigration als Folge der von den Nationalsozialisten aufgelösten staatlichen Souveränität Österreichs im Jahr 1938. Neben diesem jüdischen Schicksal ist es auch die nahezu lebenslange berufliche Doppelbelastung als Prokurist und Wissenschaftler, die der Biografie von Schütz ihre besondere Prägung verleiht:

Alfred Schütz wird am 13. April 1899 in Wien als Sohn jüdischer Eltern geboren.3 Sein Vater, Alfred Schütz (1873-1899) stirbt noch vor der Geburt seines Sohnes, so dass seine Mutter, Johanna, geb. Fialla (1873-1955), wenige Jahre später dessen Bruder Otto Schütz (1874-1942) heiratet, der als Prokurist bei einer Privatbank tätig ist. Als einziges Kind dieser Familie wächst Alfred Schütz auf in der kulturell vielschichtigen, wenn auch durch ein anti-semitisches Klima gekennzeichneten Metropole Wien, der Residenzstadt der Donaumonarchie Österreich-Ungarn.4 Im Zuge des I. Weltkriegs erwirbt Schütz Anfang 1917 vorzeitig sein Reifezeugnis (»Notmatura«) und meldet sich freiwillig zum Dienst in der k.u.k.-Armee. Als Fähnrich dient er dann zehn Monate lang bei einem »Schweren Artillerieregiment« an der italienischen Front, bevor ihm mit einem der letzten Züge wohl im November 1917 die Rückkehr nach Wien gelingt.

Diese Rückkehr ist eine Rückkehr in eine veränderte Welt. Sie ist von Stefan Zweig (1881-1942) als der Niedergang der ›Welt von Gestern‹ literarisch eindrücklich beschrieben wurde. Der Traum von einem durch ein gemeinsames Nationalgefühl getragenen Reich war verloren, Österreich mit seinem deutschsprachigen Teil auf einen kleinen Staat reduziert, Armut breitete sich in weiten Bevölkerungsteilen aus und Wien hatte den Rang einer der großen Metropolen des Kontinents verloren.

Nach Kriegsende nimmt Schütz 1918 an der Universität Wien ein rechts- und sozialwissenschaftliches Studium auf. Zu seinen Lehrern gehören u.a. die Ökonomen Friedrich von Wieser (18511926) und Ludwig von Mises (1881-1973), der Rechtstheoretiker Hans Kelsen (1881-1973) sowie der dem sog. ›Wiener Kreis‹ nahe stehende Philosoph Felix Kaufmann (1895-1949)5. Im Juni und Oktober 1921 legt Schütz die staatswissenschaftlichen und juristischen Staatsprüfungen sowie Rigorosa ab und erwirbt den akademischen Grad eines Doktors der Jurisprudenz.6 Bereits im September 1921 tritt er seine erste Stellung als »Sekretär« bei der »Bankenvereinigung« in Wien an, einem Zusammenschluss Wiener Mittelund Kleinbanken. Parallel zu dieser beruflichen Tätigkeit besucht Schütz bis zum Wintersemester 1922/23 Vorlesungen an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Wiener Universität. So beginnt in diesen Jahren Schütz’ legendäres ›Doppelleben‹: tagsüber als Finanzjurist, nachts und an den Wochenenden als Wissenschaftler.7 Diese beruflichen Belastungen, die Schütz sich kontinuierlich bis 1952 zumutet, werden nicht nur seinem Leben ein frühzeitiges Ende setzen. Der permanente Zeitmangel schränkt zudem seine wissenschaftlichen Arbeits- und Publikationsmöglichkeiten erheblich ein und führt letztlich auch dazu, dass Schütz eine geplante systematische Darstellung seines Werkes nicht abschließen kann.

In den Wiener Anfangsjahren geht Schütz seinen intellektuellen Interessen vornehmlich im Rahmen seiner regelmäßigen Teilnahme am Privatseminar von Ludwig von Mises8 sowie am sog. ›Geist-Kreis‹ nach – zwei der vielen intellektuellen Zirkel im Wien der Zwischenkriegszeit.9 Die intellektuelle Atmosphäre sowohl im ›Mises-Kreis‹ als auch im ›Geist-Kreis‹, der u. a. von Friedrich August von Hayek (1899-1992) gegründet wurde, zeichnete sich durch eine ausgeprägte interdisziplinäre Orientierung aus. So durften die Mitglieder im ›Geist-Kreis‹ ausschließlich über solche Themen referieren, die jenseits ihrer eigentlichen Profession lagen. Eine Konstellation, die es Schütz ermöglichte, beispielsweise über Musik, über den Witz oder auch über das philosophische Problem der Relevanz zu sprechen. Aus diesem Engagement resultieren für Schütz lebenslange Freundschaften vor allem zu Erich Vögelin (später: Eric Voegelin) (1901-1985; vgl. Schütz & Voegelin 2004) und Fritz Machlup (1902-1983).

Beruflich verändert sich Schütz 1924 durch einen Wechsel in die Rechtsabteilung des Wiener Bankhauses »Kompaß« und im September 1927 durch den Eintritt als Prokurist in das Bankhaus »Reitler & Co.«, bei dessen Nachfolge- und Partnerinstituten er bis zum Ausscheiden aus diesem Berufsleben 1952 ununterbrochen tätig ist. Nach ihrer Verlobung 1924 heiraten Alfred Schütz und Ilse Heim (1902-1990) im März 1926.10 Aus dieser Verbindung gehen zwei Kinder hervor: 1933 wird die Tochter Eva Elisabeth (Evelyn) und 1938 der Sohn Franz Georg (George) geboren. Hält man sich die wenigen biografischen Dokumente aus diesen Jahren vor Augen, dann wird man insgesamt zu dem Schluss kommen können, dass dies weitgehend unbeschwerte gemeinsame Jahre für Schütz und seine Frau waren. Durchaus im Sinne des von Stefan Zweig in seinen Erinnerungen rückblickend formulierten Eindrucks: »Von heute aus gesehen, stellt das knappe Jahrzehnt zwischen 1924 und 1933, vom Ende der deutschen Inflation bis zur Machtergreifung Hitlers trotz allem und allem eine Pause dar in der Aufeinanderfolge von Katastrophen, deren Zeuge und Opfer unsere Generation seit 1914 gewesen ist.«11

Ab Mitte der 1920er-Jahre arbeitet Schütz mit zunehmender Intensität an der Entwicklung einer eigenen theoretischen Perspektive. Im Anschluss an die grundlegende Bestimmung Max Webers (1864-1920), die verstehende Soziologie habe es mit sozialem Handeln zu tun, »insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden«, steht für Schütz die Analyse dieser sozialen Sinnsetzungsprozesse im Zentrum der Aufmerksamkeit. In den frühen Manuskripten sucht er deren Ausarbeitung zunächst im Anschluss an die pragmatisch orientierte Lebensphilosophie von Henri Bergson (1859-1941) zu realisieren.12 Später, seit Ende der 1920er-Jahre, ist es die durch Felix Kaufmann angeregte und wesentlich auch mit ihm gemeinsam bestrittene Lektüre zentraler Werke der Phänomenologie Edmund Husserls (1859-1938), die Schütz den Weg zur Konzeption und Fertigstellung seines frühen Hauptwerkes Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt eröffnet (vgl. Kap. V). Wie schon im Manuskript zu den »Lebensformen« von 1927 (Schütz 2006) sind auch in diesem zum Klassiker gewordenen Hauptwerk von 1932 (Schütz 2004a) bereits alle späteren Themen von Schütz präsent. Das gilt insbesondere für die Analyse des Handelns und die pragmatische Grundlage menschlichen Sinnverstehens, für den Aufweis der Gliederung der Lebenswelt, des sprachlich strukturierten Aufbaus der Welt, die typische Struktur des Wissens, die Bedeutung von Relevanzen, für die Analyse des Verhältnisses von Alltag und Wissenschaft sowie für den idealtypischen Charakter soziologischer Begriffe. Schütz’ Werk zeichnet sich somit in besonderem Maße durch die Kontinuität der darin behandelten Problemstellungen und die im Blick auf diese verfolgten Lösungsansätze aus.

Schütz’ Hauptwerk Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt erscheint im April 1932.13 Und bereits im Juni 1932 führt die Zusendung eines Exemplars dieser Arbeit an Edmund Husserl zu einem ersten mehrtägigen Besuch von Schütz bei diesem in Freiburg.14 In den folgenden Jahren sucht Schütz im Zuge seiner Geschäftsreisen Husserl regelmäßig auf; letztmalig am 21. Dezember 1937 nur wenige Monate vor dessen Tod.

Obwohl der Sinnhafte Aufbau unmittelbar nach seinem Erscheinen einige bemerkenswerte Besprechungen erfährt, bleibt eine nachhaltige Wirkung dieses Werkes bis in die 1960er-Jahre aus. Erst als sich seit Mitte der 1960er-Jahre eine zunehmende Kritik an der die Diskussion dominierenden Theorie von Parsons’ artikuliert, eine erste Schülergeneration von Schütz das akademische Feld betritt und 1967 eine englische Übersetzung des Sinnhaften Aufbaus erscheint, werden seine Arbeiten zum Ausgangspunkt einer handlungstheoretischen und hermeneutischen Wende in der Soziologie. Solchermaßen bildet dann bis in die Gegenwart die im Sinnhaften Aufbau entworfene Lebensweltanalyse den Bezugspunkt einer vielfältigen handlungstheoretisch-orientierten soziologischen Theoriebildung und einer qualitativ ausgerichteten empirischen Sozialforschung.

Während des deutschen Einmarsches in Österreich im März 1938 und dessen am 11. März proklamierten »Anschlusses« an das »Dritte Reich« hält Schütz sich geschäftlich in Paris auf. Er wohnt bei Aron und Alice (Raja) Gurwitsch (1901-1973 bzw. 18991996), und beide legen ihm aufgrund seiner jüdischen Herkunft nahe, nicht nach Wien zurückzukehren. Stattdessen gelingt es seiner Frau Ilse, mit den beiden Kindern nur wenig später Österreich ebenfalls zu verlassen und nach Paris zu kommen. In dieser gemeinsamen Pariser Zeit entwickelt sich die lebenslange Freundschaft mit Aron Gurwitsch (vgl. Schütz & Gurwitsch 1985). Darüber hinaus lernt Schütz in Paris u. a. mit Paul Ludwig Landsberg, Jean Wahl, Maurice Merleau-Ponty und Raymond Aron weitere bedeutende Phänomenologen und Soziologen der Zeit kennen.

Dieses erste Exil ab März 1938 dauert sechzehn Monate. Von Beginn an nicht unmittelbar als Zwischenstation angesehen, sind es nicht zuletzt die beruflichen Notwendigkeiten, die Schütz relativ umgehend eine weitere Emigration in die Vereinigten Staaten vorsehen lassen. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges siedelt die Familie deshalb am 14. Juli 1939 in die USA nach New York über, wo sie am 22. Juli mit dem Schiff ankommt.

In den Vereinigten Staaten findet Schütz schnell Anschluss an den kleinen Kreis amerikanischer Phänomenologen um Marvin Farber (1901-1980) und Dorion Cairns (1901-1972), die er beide bereits vom Freiburger Husserl-Kreis kennt. Konsequenterweise beteiligt er sich Ende 1939 an der Gründung der International Phenomenological Society und wird Mitglied ihres Council sowie 1940 Mitglied des ›Editorial Board‹ der von der Gesellschaft neu gegründeten Zeitschrift Philosophy and Phenomenological Research.15 Zugleich arbeitet Schütz daran, sich die in den USA in jener Zeit aktuellen soziologischen und philosophischen Debatten zu erschließen.16 Neben phänomenologischen Themen, methodologischen Beiträgen und dem Pragmatismus zuzurechnenden Autoren gilt seine besondere Aufmerksamkeit hier zunächst der Theorie von Talcott Parsons (1902-1979).

Über Parsons’ große Studie The Structure of Social Action (1935) bereitet er auf Bitten des ihm seit der Wiener Zeit bekannten F. A. Hayek eine Rezension vor. Die im April 1940 zunächst mündlich anlässlich eines Vortrages von Schütz im Parsons-Schumpeter-Seminar an der Harvard University in Cambridge bei Boston aufgenommene, bis ins Jahr 1941 dann schriftlich fortgeführte Diskussion bricht jedoch unvermittelt ab (vgl. Schütz & Parsons 1977). Ein Bruch, der Schütz’ Werk vom damaligen mainstream des soziologischen Denkens ab- und die Rezeptionschancen seiner Arbeiten langfristig massiv beschnitt.

Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit gelingt es Schütz in den USA auch, im akademischen Milieu Fuß zu fassen. So kann er ab 1943 zunächst als ›Lecturer‹ für Soziologie eine Lehrtätigkeit an der 1933 von Alvin Johnson für europäische Exilanten gegründeten ›Graduate Faculty‹ der New School for Social Research in New York aufnehmen und so eine erste institutionelle Anbindung realisieren (zur Geschichte dieser Institution vgl. Rutkoff & Scott 1986). 1944 wird Schütz an der New School zum Visiting Professor und 1952 zum Full Professor für »Sociology and Social Psychology« ernannt. Ab 1956 teilt er seine Lehrtätigkeit zwischen dem ›Philosophy Department‹ und dem ›Sociology Department‹ der New School auf.

Damit schließt sich auf institutioneller Ebene ein Kreis, der durch die unmittelbare Verschränkung philosophischen Denkens mit soziologischer Forschung von Beginn an Schütz’ Weg kennzeichnet.17 Diese Verbindung von philosophischen Orientierungen mit soziologisch-theoretischen Interessen bildet eine durchaus typische Konstellation für die Gründergeneration der Soziologie.

Schütz’ Lehrtätigkeit an der New School in New York ist jenseits der Notwendigkeit, unter extrem beschränkten zeitlichen Ressourcen ein turnusmäßiges Pflichtprogramm zu entwickeln, geprägt von Veranstaltungen, in denen er sich systematisch Themenfelder widmet, die sich als Verlängerung von im Zuge des Sinnhaften Aufbaus entwickelten Fragestellungen deuten lassen.18 Auch wenn Schütz im engeren Sinne an einer Schulenbildung keinerlei Interesse hat, so bildet sich doch ein seine Veranstaltungen regelmäßig besuchender und über diese hinaus mit ihm intensiv diskutierender Kreis, zum dem auch Thomas Luckmann (*1927), Peter L. Berger (*1929) und Maurice Natanson (19241994) gehören. Maurice Natanson bekennt in einem im Jahr 1993, also bereits lange nach Schütz’ Tod geführten Interview: »I wouldn’t be, in a sense, who I am, without the experience of the New School – and that means, centrally, the experience of Schutz.

I took all his courses; the courses I couldn’t take I audited. Everything he ever gave.« Und er fährt fort: »My meeting with Schutz [strikes me]: it was something that has made me myself. […] Schutz […] had a lasting, absolute influence on me.«19

Hält man sich die geschilderten Konstellationen vor Augen, so wird ungeachtet der in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzenden Emigrationserfahrung mit allen ihren Folgen doch zugleich deutlich, dass Schütz unter den europäischen Emigranten eher eine Ausnahme bildet. Er verfügt nicht nur über eine außerakademische berufliche Position, die es ihm ermöglicht, seinen angestammten Tätigkeitsbereich im Bankbereich im Exil beizubehalten, sondern es gelingt ihm zudem der im damaligen deutschsprachigen Raum aufgrund seiner jüdischen Herkunft im Prinzip ausgeschlossene Aufstieg in einem zweiten beruflichen, dem akademischen Feld. Darüber hinaus ziehen sich zwei weitere, angesichts der erzwungenen Emigration keineswegs selbstverständliche Kontinuitätslinien durch Schütz’ Leben. Denn neben den in der Emigration fortbestehenden Freundschaften zu anderen Emigranten wie Eric Voegelin, Aaron Gurwitsch, Gottfried Haberler, Fritz Machlup und Emmanuel Winternitz, gibt es für Schütz noch einen wichtigen Brückenschlag. Haben für ihn in Europa Autoren vorrangige Bedeutung, die einer von der Philosophie des Pragmatismus beeinflussten Grundorientierung zuzurechnen sind, (wie Henri Bergson und Max Scheler), so findet er in den USA unmittelbaren Anschluss an die ausgeprägte pragmatistische Tradition der amerikanischen Philosophie der 1940er-Jahre bei William James (1842-1910) und John Dewey (1859-1952) sowie an entsprechende Orientierungen in der Soziologie bei George Herbert Mead (1863-1931), Charles H. Cooley (1864-1929) und William I. Thomas (1863-1947).

Hinsichtlich des Schütz’ Analyse des sinnhaften Aufbau der sozialen Welt leitenden Motivs einer pragmatischen Grundorientierung lässt sich somit ohne Frage – entgegen einer in der Schütz-Rezeption immer wieder behaupteten Aufspaltung des kognitiven Profils seines Ansatzes in eine Wiener und eine New Yorker Periode (so jüngst erneut Hanke 2002: 12) – von der Kontinuitätslinie seines Werkes sprechen. Folgerichtig kann von einer Zweiteilung des Werkes in eine europäische und eine amerikanische Phase keine Rede sein. Vielmehr tritt umgekehrt die erstaunliche Kontinuität der Werkentwicklung vor Augen.

Schütz’ letzte Lebensjahre sind von einer Ausweitung seines Engagements an der New School ebenso geprägt wie von der intensiven interdisziplinären und politisch orientierten Arbeit im Rahmen des organisatorischen Rahmens des Institute of Ethics.20 Eine Europareise vom 18. April bis 4. Mai 1957 findet ihren intellektuellen Höhepunkt in der Teilnahme am international besetzten ›Colloque de Royament‹ bei Paris vom 23-30. April. Hier hält Schütz seinen bahnbrechenden Vortrag zur Kritik von Husserls Lösung des Intersubjektivitätsproblems (vgl. 1971b: 86126), über dessen persönliche Bedeutung seine Formulierung in einem Brief an Gurwitsch vom 15. März beredten Ausdruck gibt: »Ich musste mir zwanzig Jahre Nachdenken von der Seele schreiben« (Schütz & Gurwitsch 1985: 400).

Unmittelbar nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten wird Schütz erstmals mit ernsten Anzeichen seiner Erkrankung konfrontiert. »Ich habe mich«, schreibt er an Gurwitsch am 6. Juni 1957, »einer anstrengenden Injektionskur zu unterziehen, weil mein Blut nicht rot genug ist« (Schütz & Gurwitsch 1985: 405). Seine letzte Europareise unternimmt Schütz gemeinsam mit seiner Frau Ilse von Anfang Juni bis Mitte September 1958 zu einem Sommerurlaub in der Steiermark mit abschließender Teilnahme am Internationalen Philosophie Kongress in Venedig vom 8.-11. September. Die Erkrankung schränkt Schütz’ Arbeitsmöglichkeiten nunmehr bereits soweit ein, dass er seine für den ›Fall Term‹ angekündigten Lehrveranstaltungen an der New School nicht mehr abhalten kann.

Unter dem Eindruck seines Gesundheitszustandes konzentriert Schütz seine verbleibenden Kräfte auf den Versuch, die ihn im Zuge seiner dreißigjährigen Forschungstätigkeit bewegenden Problemstellungen in systematischer Weise zu bearbeiten. Auf diese Weise entstehen zwischen August und November 1958 umfangreiche Skizzen und Notizen zu den Aspekten seines Werkes, von denen Schütz angesichts seiner Erkrankung überzeugt ist, sie nicht mehr selbst in geschlossener Form beenden zu können.21 So hinterlässt Schütz in Gestalt einer Kompositionspartitur die Gliederungssystematik für ein abschließend geplantes Hauptwerk, das den Titel Strukturen der Lebenswelt tragen soll sowie fünf insgesamt ca. 400 Seiten starke Notizbücher mit Stichworten und ausformulierten Passagen unterschiedlichster Bearbeitungsintensität (1984: 213ff.). Deren Ausarbeitung zu einer geschlossenen Darstellung wird auf Bitten von Ilse Schütz nach dem Tod ihres Mannes in einem langjährigen Arbeitsprozess von Thomas Luckmann22 übernommen (vgl. 2003c). Alfred Schütz selbst stirbt am 20. Mai 1959 in New York.

Leben und Werk eines Autors stehen zumeist in intimen Verbindungen zueinander, die sich typischerweise erst aufgrund einer vertieften Kenntnis biografischer Konstellationen, des familiären Hintergrundes, der Freundschafts- und Bekanntschaftsnetzwerke sowie der beruflichen Rahmenbedingungen erschließen lassen. Auch wenn sich also selbstverständlich weder die analytische Perspektive eines Werkes noch dessen inhaltliche Schwerpunkte aus der Lebenserfahrung des Autors einfach ableiten lassen, so ist umgekehrt doch ebenso selbstverständlich davon auszugehen, dass die Lebenserfahrung eines Autors ihren Niederschlag in den Themen und Problemstellungen seines Werkes findet. Mit Blick auf Schütz’ Werk sind es insbesondere einige seiner kleineren materialen soziologischen Studien, die einen Zusammenhang zwischen biografisch-historischen Konstellationen und theoretisch-systematischen Argumentationen zu erkennen geben. Fünf Aspekte sind hier von besonderer Bedeutung:

(1) Die von Schütz in seinem Aufsatz über den »Fremden« aus dem Jahr 1944 (1972: 53-69) skizzierte Situation reflektiert seine zweifache Erfahrung der Emigration – zunächst von Österreich nach Frankreich, dann von dort in die USA.23 In gewisser Weise bleibt eine solche Erfahrung für Schütz über viele Jahr für das wissenschaftliche Milieu prägend, dem er aufgrund seiner jüdischen Abstammung in Wien grundsätzlich nur als Außenseiter angehörte und in das er in den Vereinigten Staaten dann über einen kontinuierlich sich vertiefenden institutionellen Anbindungsprozess erst mehr und mehr hineinwächst. Die für die Situation des Fremden charakteristische Situation eines auf Dauer gestellten interaktiven Annäherungsprozesses an die für das jeweils fremde Milieu typische selbstverständliche Welterfahrung und -deutung war für Schütz somit jahrelang eine seinen Alltag markant prägende Erfahrung.

(2) In seiner Studie über den »Heimkehrer« von 1945 (1972: 70-84) kann Schütz unmittelbar an seine Erfahrung der Rückkehr von der oberitalienischen Front nach Wien gegen Ende des I. Weltkrieges anknüpfen wie er zugleich als Zeitgenosse die Eingliederungsschwierigkeiten der von ihren Einsätzen im II. Weltkrieg in Europa und Asien zurückkehrenden US-Soldaten erlebt. Die wissenssoziologisch angelegte Analyse des Annäherungsprozesses des Heimkehrers nach einer (längeren) Interaktionspause mit den Daheimgebliebenen dokumentiert anschaulich Schütz’ soziale Sensibilität, die er nicht zuletzt dem Aufwachsen in einem multikulturellen Staat, der k.u.k.-Monarchie, mit ihren gravierenden sozialen Problemen, politischen Friktionen und ihrem anti-semitischen Klima verdankt (vgl. Barber 2004: 10f.). Vergleichbare Erfahrungen macht Schütz nicht zuletzt im Rahmen seiner zahlreichen beruflich bedingten Europareisen nach Ende des II. Weltkrieges.