Alina und der Lichtkomplex - Joachim Hoyer - E-Book

Alina und der Lichtkomplex E-Book

Joachim Hoyer

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Beschreibung

Alina lernt über Umwege die Geheimnisse der Evolution des Universums kennen. Ihre Vorfahren haben in besonderer Weise ihr Leben geprägt, ebenso Menschen, die sie auf ihrer abenteuerlichen Reise begleiten. Sie flieht aus einer Welt, in der sie ungewollt leben musste, verliert Eltern und Freunde, erlebt zunächst Schreckliches. Sie muss gegen Feinde kämpfen, die dieser Welt schaden wollen. Jedoch bekommt sie und ihre Freunde Zugang zu einer Form, wie sich das Universum dem Menschen offenbaren und auch Schaden abwenden könnte. Diese Form ist der Lichtkomplex, der zwar schon von Anfang an existiert, aber in Alina als ersten Menschen die Wirkungen zeigt, die im Weiteren die gesamte Menschheit beeinflussen kann. Und das in einer Art die bis jetzt nicht für möglich erschien.

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Seitenzahl: 329

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Wir fragen uns oft, was geschieht mit uns, wenn wir sterben? Geht dann alles verloren, was wir erlebt haben oder bleibt noch irgendwo eine Information gespeichert? Die Wissenschaftler sagen: Tod- danach gibt’s nichts mehr, nada, Garnichts mehr da, alles weg und vorbei. Sie könnten Recht haben. Mal angenommen es ist nicht so: Alles weg, alles vorbei, alles wird zu Staub und Asche.

Wir machen uns mit Alina auf eine Reise, auf der sie auf eine Möglichkeit

stößt, die uns Hoffnung gibt, vielleicht einen Teil unseres Lebens

abzuspeichern. Wir wissen so wenig über unseren Ursprung, auch wenn es

immer darauf hinausläuft, dass alles einen Anfang und ein Ende hat. Nur

ist das wirklich so? Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen nicht

mehr vom Urknall als den absoluten Beginn dieses Universums. Es scheint

ein Davor und ein Danach zu geben. Ein Davor, indem sich jeweils ein

existierendes Universum zu einem winzigen Punkt zusammengezogen hat,

aus dem dann wieder ein neues Universum entsteht. Werden

Informationen über diese Präsentation gespeichert? Ist das mit unserem

Leben auch so? Werden Informationen über unser Leben gespeichert?

In einem Lichtkomplex?

Kann der Lichtkomplex etwas bewirken, was bis jetzt als unfassbar, unmöglich, nicht denkbar erschien?

Lichtkomplexe: Was haben die mit unserer Welt zu tun, was mit Alina? Ist das die Ewigkeit?

Nie im Leben hätte Alina geglaubt, jemals mit solchen Fragen in Berührung zu kommen. Nie hätte sie geglaubt, dahingehend einen Zugang zu bekommen. Andere Menschen hatten vielleicht schon eine Erahnung einer Möglichkeit zu der erst Alina durch ihre Reise befähigt wird.

Nebenbei muss sie dabei erkennen, wie zwiegespalten die Welt ist, und sie muss dafür gegen einen Feind kämpfen, der die Welt und gespeicherte Informationen vernichten könnte.

Alles scheint miteinander verbunden zu sein. Vergangenheit und Zukunft. Unterschiedlichste Menschen, ihre Gedanken, ihre Ziele. Gespeichert in einem gigantischen Speichermedium, für welches jedoch ein anderes Wort erfunden werden müsste, wenn wir hier vom Kleinsten des Kleinsten sprechen.

Joachim Hoyer

Alina und der Lichtkomplex

Roman

Versuch einer Zukunftsvision

1.Auflage Januar 2023

Texte: © Copyright by Joachim Hoyer

Umschlaggestaltung: © Copyright by Jannik Hoyer

Verlag:

Joachim Hoyer

Mozartstr.42

83512 Wasserburg

[email protected]

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH Berlin

Für Jannik

“Es ist absolut möglich,

dass jenseits der Wahrnehmung unserer Sinne

ungeahnte Welten verborgen sind“

Albert Einstein

ALINA UND DER LICHTKOMPLEX

Es deutete sich in dieser Welt schon lange etwas an. Ähnlich einer Frühlingsaura, die sich über die Erde entfaltete. Ein Hauch von neuen Düften, Lichtern und Gefühlen legte sich auf die Menschheit. Doch es war nicht der Frühling. Es war nur die Ähnlichkeit, denn diesen kannten die Menschen. Was in dieser Welt geschah, konnte kein Mensch kennen. Etwas unbeschreiblich Neues wirkte auf sie ein, einige spürten es. Andere ignorierten es einfach, weil sie sich nicht auf etwas Unbekanntes einlassen wollten.

1.

Ob Alina etwas Neues spürte, ist schwer zu sagen, und doch war mit ihr etwas geschehen, als sie sich entschloss wegzugehen. Sie packte jetzt urplötzlich einige Sachen in ihren Rucksack, fuhr zum Münchner Hauptbahnhof und kaufte eine Interrail Fahrkarte. Alinas Traum von einer Weltreise musste sofort beginnen. Vorbereitungen dafür hatte sie in den vergangenen Monaten getroffen. Ein schlimmer Zustand hatte ihr Leben unglücklich verändert. Nun wurde es allerhöchste Zeit zu verschwinden. Es musste jetzt schnell gehen. Sie würde bestimmt verfolgt werden. Der Mensch, oder sollte sie besser sagen, der Teufel, welchen sie jetzt verließ, würde alle zur Verfügung stehenden Mittel anwenden, um sie wieder in seine Fänge zu bekommen. Alina hatte alles in großer Eile erledigt. Sachen packen, alle Ausweise mitnehmen, schon früher hatte sie sich einen Batzen Geld vom überlassenen Konto ihrer Eltern beiseitegelegt und in einem ausgehöhlten Buch verstaut. Das alles nahm sie mit.

Die Fahrkarte war schnell gekauft. Ein Globalpass für einen Monat sollte vorerst reichen. Alles weitere würde sich ergeben. Sie stieg geschwind in einen Zug, der laut Anzeigetafel in Richtung Süden fuhr. Alina hoffte, genügend Vorsprung zu haben und die Aufmerksamkeit der Polizei noch nicht auf sich gezogen zu haben.

Ohne Plan startete sie diese Reise. Zumindest glaubte sie, keinen Plan zu haben. In ihrem tiefsten Unterbewusstsein hatte sich bereits ein Gedanke eingenistet, auf den sie im Moment keinen Zugriff hatte, der aber dennoch ihr Handeln beeinflusste.

Alina dachte bei sich:Ich bin unzufrieden mit meinem derzeitigen Leben und ich weiß, dass es mir früher besser ging. Aber ich wurde von einer Spirale aus Boshaftigkeit, Verrat, Missachtung und Grausamkeiten überwältigt, die mein Leben grundlegend verändert haben. Ich kann so nicht weitermachen. Ich möchte hier weggehen und dadurch mein Leben und meine Zukunft verändern.

Endlich saß sie im Zug, und fühlte sich frei wie seit Langem nicht. Was sollte jetzt noch passieren? Sie hatte nichts verbrochen. Doch sie wusste um die Bosheit der Frau, bei der sie bis jetzt gelebt hatte. Dieses Scheusal könnte der Polizei eine Geschichte erzählen, die Alina als unzurechnungsfähig darstellt. Drogensüchtig war Alina schon einmal und hatte dadurch unangenehmen Kontakt mit der Polizei. Sie hatte sich erholt und war nun einigermaßen glücklich. Diese Person hatte etwas dagegen, Alina glücklich zu sehen. Langsam hatte Alina gelernt, wenig dem Zufall zu überlassen. In der letzten Zeit gelang das jedoch immer weniger. Sie hoffte stets, die jetzige Lage überwinden zu können. Das Gegenteil stellte sich ein. Zunehmend wurde ihr bewusst: es gibt nur einen Ausweg und auf dem befand sie sich jetzt.

Alina war jung, gerade 18 Jahre alt geworden und hätte sich bis jetzt nicht vorstellen können, so schnell einen selbstgewählten Weg zu beschreiten. Sie hatte schulterlange rote Haare, die sie gern offen trug, manchmal mit zwei seitlichen Zöpfen, aber fast immer bedeckt von ihrem breitkrempigen Lieblingshut. Die blaue Augenfarbe veranlassten einige, sie in die Kategorie Meerjungfrau einzuordnen. Auch weil sie einen schlanken Körperbau hatte, und Schwimmen ihr Lieblingssport war.

Sie kaufte sich nie neue Klamotten. In Secondhandläden fand sie abgelegte Sachen. Eigenartigerweise liebte sie diesen Geruch, der in all diesen Läden gleich war. Auch fühlte sie sich in Sachen wohl, die andere Menschen schon getragen hatten, nicht weggeworfen wurden und nun auf ihrem Körper ein neues zu Hause fanden. Gern kleidete sie sich mit luftigen Hemden, die sie nach Lust vorn zusammenknotete oder locker über abgetragenen Jeans, die im Sommer auch kurze Hotpants sein konnten, fallen ließ. Und jetzt war Sommer.

Im Zug hatte sie ein ganzes Abteil für sich. Alina fläzte sich auf die Bänke und schaute aus dem Fenster. Es sah aus wie ein nie endender Film. So wie Landschaften, Bäume, Sträucher, einzelne Häuser, Dörfer, Städte, Bahnhöfe, Seen und Berge im Fenster vorbeirauschten, verblasste langsam ihre bisherige Welt.

Ein Schaffner riss sie aus ihren Träumen, und da sie allein reiste und jünger aussah, als es ihr tatsächliches Alter vermuten ließ, verlangte er neben den Tickets auch ihren Ausweis. Er nahm sich viel Zeit und schaute immer wieder verstohlen auf ihre kurzen Jeans. Alina glaubte schon an ein kurzes Ende ihrer Reise. Er gab ihr alles zurück. „Ich würde Ihnen empfehlen, so nicht allein weiterzureisen!“

Sie setzte schon an zu sagen: He, was ist denn? Doch im letzte Moment verkniff sie es sich.

Alina hatte sich in München eine Fachzeitschrift gekauft, die über neueste wissenschaftliche Entdeckungen berichtete. Sie interessierte sich neben der Genforschung für Forschungen auf allen Gebieten. In der Schweiz in Cern hatte man 2012 mit einem Teilchenbeschleuniger das letzte Elementarteilchen, das Higgs-Boson entdeckt. Für diese Entdeckung hatten die Forscher Protonenstrahlen durch einen unterirdischen Ring von 27 Kilometern Länge gejagt, um sie zum Zusammenprall zu bringen. So konnte die Zeit der Entstehung des Universums, vor rund 14 Milliarden Jahren simuliert, und dabei das Higgs-Boson Teilchen, auch Gottesteilchen genannt, entdeckt werden. Doch bis jetzt kann auch dieses Gottesteilchen nicht alle Fragen hinsichtlich der Entstehung des Universums beantworten.

Alina las, dass bei einer neuen Versuchsanordnung, es zu einer Abweichung kam, in der undefinierbare Lichtspektren gefunden wurden, die eventuell auf einige ungelöste Fragen eine Antwort geben könnten.

Doch das waren zunächst reine Vermutungen, und weiter wollte man in dem Artikel auf dieses Thema nicht eingehen. Alina fand ihn trotzdem ungewöhnlich spannend und hätte gern noch mehr darüber erfahren.

So spannend der Artikel war, irgendwann übermannte sie die Müdigkeit, und das monotone Geräusch des fahrenden Zuges tat das seine dazu.

Die Neuigkeiten, die sie gerade gelesen hatte, nahm sie mit in ihren Traum. Sie spürte etwas Eigenartiges in ihrem Kopf. Sie hatte das Gefühl, dass sie ähnlich wie in diesem Teilchenbeschleuniger von Protonen durchrast wird. Es fühlte sich an, als würde ein Bach plötzlich zum reißenden Fluss anschwellen, der dann zur nicht mehr zu bewältigenden Sturmflut wird. Alles wird durcheinandergewirbelt, und nach dem Abfließen hat sich die Landschaft komplett verwandelt.

Als sie aus dem Traum erwachte und aus dem Zug schaute, glaubte sie für einen Moment in einem Medium gefangen zu sein, welches sie nicht beschreiben konnte. Diese Eindrücke wühlten sie sehr auf. Sie wollte sich beruhigen, versuchte sich abzulenken, dachte an schöne Momente ihrer Kindheit.

Sie hatte mit ihren Eltern in einem kleinen bayrischen Dorf in einem gemütlichen Haus mit großem Garten gelebt. Der Garten hatte keinen Zaun, sodass sie auch auf den umliegenden Wiesen nach Herzenslust mit ihren vielen Freunden spielen konnte, stets die hohen Berge im Blick.

Alina empfand ihre Eltern als die liebevollsten Eltern im Vergleich zu den einiger ihrer Freunde.

Ihre Mutter war eine begnadete Orgelspielerin und führte sie in das Reich der Musik ein. Alina genoss ihre wilde Art, Musik zu spielen, die zwar nicht so recht in das Dorf passte, dennoch unter vielen Menschen Anklang fand.

Ihr Vater war über 20 Jahre älter als ihre Mutter. Das war jedoch kein Nachteil für die innige Liebe zwischen ihnen. Alina lebte von dieser Liebe und fühlte sich aufgehoben. Ihr Vater hatte Maschinenbau studiert, übte jedoch mittlerweile den Beruf oder, wie er immer sagte, sein Hobby des Schreiners aus. Ihm gefiel es besser, mit dem in seinen Augen schönsten Naturstoff, großartige Möbel und kleine Kunstwerke mit Schnitztechniken herzustellen.

Gern nahm er Alina mit in seine Werkstatt. Der Duft von Holz faszinierte sie. Oft nahm sie selbst einen Stechbeitel oder ein Schnitzmesser zur Hand und lernte ganz nebenbei auch dieses schöne Handwerk ihres Vaters kennen. Als Alina wieder einmal schnitzte, schaute ihr der Vater über die Schulter. Sie hatte schon einige kleine, meisterlich anmutende Stücke geschnitzt. Dieses Mal hatte sie aus einem besonders schön gemaserten Wurzelholz ein wundervolles Mädchengesicht herausgearbeitet. Der Vater bemerkte dabei, wie intensiv sie sich darauf einließ und wie gekonnt sie das Schnitzmesser führte. Das Gesicht, in Holz verewigt, schien zu strahlen vor Anmut und Liebe. Überwältigt von dieser künstlerisch wertvollen Arbeit stellte er sich neben Alina und bat sie, das Stück in die Hand nehmen zu dürfen. Beim Anschauen und Befühlen dieses Meisterwerks hatte er das Gefühl, ihr jetzt endlich etwas über ihre Vorfahren erzählen zu müssen. Ihr Einfluss hat Alina höchstwahrscheinlich zu einem Mensch werden lassen, der jetzt glücklich vor ihm stehen kann. Ein Mensch, der kluge Gedanken hat, Schönheit in sich trägt und nach außen befördert. Sie setzten sich auf eine Holzbank inmitten von duftenden Holzbrettern, Spänen und Kunstwerken. Ein Werksattofen spendete angenehme Wärme.

Der Vater nahm sich viel Zeit, und Alina hörte aufmerksam zu. Stunden vergingen, doch sie spürte diese Zeit nicht, während ihr Vater sprach. Alina sollte nie vergessen, was ihr der Vater hier nahebrachte. Diese Erzählungen brannten sich in ihr Gehirn. Später wurde ihr öfters bewusst, wie wichtig diese Zeit mit ihrem Vater war.

Ihr Leben hätte so unendlich weitergehen können. Was etliche Jugendliche verabscheuen: Sie spürte Familienzugehörigkeit ohne Einmischung in ihr Leben. Sie konnte sich gar nichts Besseres vorstellen, als in dieser Freiheit zu leben. Der Garten, die unendlichen Wiesen, die im Sommer so fantastisch dufteten. Die Berge, die sie gern mit ihrem Vater erkundete und mit dem sie im Winter wilde Skiabfahrten meisterte.

Alina wuchs in einer Atmosphäre auf, in der sie mit ihren Eltern über Werte nachdachte, die ihr halfen, Menschen, Tiere, die Gesamtheit der Natur zu achten. Sie beschäftigten sich mit philosophischen und ethischen Fragen, die Alina halfen, diese Welt besser zu verstehen. Sie lernte schnell, kam auf ein Gymnasium und brachte vielen streng katholisch erzogenen Mitschülern eine andere Sichtweise nahe. Alina ging trotzdem respektvoll mit ihren Meinungen um. Dieses unbefangene Diskutieren machte Alina sehr beliebt.

Oft hatte sie eigenartige Träume. Fast immer spielte darin Licht eine Rolle. Licht, welches in wahnsinniger Geschwindigkeit durch einen Raum rauschte. Manchmal ergoss sich in ihren Träumen ein buntes Lichtermeer, dessen Intensität und Vielfalt der Farben die reale Welt scheinbar nicht überbieten konnte. Aber auch von Kerzenlicht träumte sie, welches sie beruhigend aus einem Traum entließ. Nach solchen Träumen fühlte sie sich im tiefsten Herzen seltsam berührt. Obwohl sie ihrem Vater alles anvertrauen konnte, diese Berührungen bewahrte sie sich als ihr tiefstes eigenes Geheimnis auf. Sie glaubte, falls sie darüber sprechen würde, enden diese Träume, die sie als besonderen Zauber empfand.

Später in ihrem Leben bereute sie es, ihrem Vater nichts davon erzählt zu haben.

Durch ein schreckliches Ereignis verlor Alina mit 14 Jahren ihre Eltern und verwandelte ihr Leben in Traurigkeit und Unfreiheit, weil sie an einem Ort leben musste, der ihre Selbstständigkeit maßlos einschränkte. Sie versuchte sich vorzustellen, was wäre, wenn ihre Eltern noch leben würden. Sie wäre nicht in diesem Zug, hätte nicht erleben müssen, was ihr nach dem Tod der Eltern widerfahren ist. Doch im Moment half es ihr nicht in Eventualitäten zu verweilen. Eines spürte sie jedoch immer noch: Ihre Liebe. Alina war fest überzeugt: Diese Liebe begleitet sie auf ihren neuen Weg. So nahm sie ihre Eltern mit, wo immer sie auch hingehen wird. Mit diesen Empfindungen hatte sie das Gefühl, jetzt das Richtige zu tun. Sie spürte wieder den Einfluss aus ihren Traum. Durch die Erinnerung an ihre Eltern fand sie auch neue Gedanken. Vielleicht sind wir nur im physischen Sinne tot? Leben meine Eltern in mir oder in einer uns noch unbekannten Existenzform weiter? Es wäre zu schön! Kann ich diese Existenzform auch in meinem jetzigen Leben erkennen? Werde ich das vielleicht auf meiner Reise herausfinden? Fragen, auf die sie wohl so schnell keine Antwort finden wird.

Ihr wurde bewusst, dass sie immer noch im Zug saß. Ein schon lange vermisstes Gefühl von Frieden berührte sie. Sie gab sich ganz dieser Situation hin.

Tagträumend schlief sie wieder ein. Glasklar sah sie etwas, was sie trotz ihrer Lichtträume vorher noch nie gesehen hatte. Sie flog hinaus ins Universum, immer schneller, immer weiter. Aber es wurde nicht dunkel, im Gegenteil. Sie wurde in Licht eingehüllt, von Licht überstrahlt. Schließlich hatte sie das Gefühl, selbst Licht zu werden. Der Traum schien nicht enden zu wollen. Er war so schön, dass sie, als sie aufwachte, zuerst nicht wusste, ob sie noch träumte oder in der Realität sei. Sie dehnte und rekelte sich und spürte in sich eine ungeahnte Kraft. Was war da eben mit ihr geschehen?

Alina schaute hinaus auf die vorbeihuschende Landschaft. Sonnenüberflutete Felder, Wald und Dörfer flogen vorüber. Sie nahm das alles kaum wahr. Was hatte sie eben im Traum erlebt? Wie war das zu erklären? Sie grübelte und grübelte, fand aber keine Begründung.

Doch nach einiger Zeit des Grübelns erinnerte sie sich an einen wissenschaftlichen Aufsatz, den sie über quantenmechanische Prozesse gelesen hatte, die auch im menschlichen Gehirn stattfinden können. Prozesse, die an verschiedenen Orten im Universum erfolgen, jedoch exakt gleich ablaufen können. Ist so eine Aktion bei ihr gerade passiert? Hat sich irgendwo oder bei irgendwem im Universum etwas verändert? Hat diese Veränderung am Ende sogar Einfluss auf sie? Hatte etwas auf sie Zugriff, dessen Tragweite sie im Moment nicht ermessen konnte? Ist diese Reise vielleicht doch nicht nur die Flucht vor jemanden? Hat dieses Licht, welches sie in ihren Träumen immer wieder sieht, etwas mit ihrem Leben zu tun? Diese Fragen ließen sie nicht mehr los, und sie wusste nicht, warum. Warum gerade jetzt? Hat ihr Gehirn jetzt endlich Zeit, Fragen abzuarbeiten, die schon lange in ihm gespeichert waren? Fragen über Fragen. Sie hatte das Gefühl, auf alle Fragen nur dann eine Antwort finden zu können, wenn sie ihre Reise fortsetzte.

So stieg sie an Bahnhöfen ohne größere Überlegung in Züge ein, die sie weiterbrachten, zunächst weiter in den Süden. Einige Stationen waren riesig groß mit gläsernem Kuppeldach. In einem dieser Haltestationen nahm Alina das geschäftige Treiben nur beiläufig wahr, sie hatte den Eindruck, etwas außer sich zu sein. Nur nebensächlich nahm sie wahr, wie große Koffer transportiert wurden, Liebespaare sich begrüßten, Transportwagen hin und her geschoben wurden. In die Waggons stiegen Putzkolonnen. So in Gedanken stand Alina auf dem Bahnsteig und sah sich ruhig um.

Doch dann wurde sie grob aus ihrer Geistesabwesenheit gerissen und war schlagartig wach. Ein hektischer Mann schubste Alina beiseite. Dabei stürzte sie fast auf die Schienen des gegenüberliegenden Gleises, auf dem gerade ein Zug einfuhr. War man ihr etwa schon auf den Fersen? War das Zufall? Sie konnte sich gerade noch an einem Pfeiler festhalten. Ihr kleines Gepäck fiel auf die Schienen. Ein Mann im mittleren Alter schrie dem Anrempler hinterher, doch der scherte sich einen Dreck um das gerade Geschehene. Im Gegenteil, Alina sah ein fieses Lächeln, welches er ihr über die Schulter zusandte. Der Mann im mittleren Alter sprang todesmutig auf die Gleise, holte den Rucksack und warf ihn Alina zu. Er bemühte sich, die Gleisanlagen zu verlassen. Alina zog ihn mit aller Kraft nach oben und so konnte er noch rechtzeitig den Bahnsteig erklimmen, als im nächsten Moment der Zug einfuhr. Er sagte einige Worte, doch Alina verstand nur das Wort Idiot, dem Anderen hinterherschauend. Alina drehte sich um, nahm ihren Rucksack auf und wollte dem Herrn noch danken. Doch so schnell, wie er erschienen war, hatte er sich auch davon gemacht. Er rannte anscheinend dem Anrempler hinterher. Einige Leute auf dem Bahnsteig hatten dem Ganzen zugeschaut und mit dem Kopf geschüttelt. Alina rannte nun auch hinterher, keiner von beiden war jedoch mehr zu sehen. Sie wäre am liebsten zur Bahnpolizei gegangen. Andererseits wollte sie nicht zu sehr auffallen. Sie hätte sich vielleicht ausweisen müssen. Wie weit jetzt schon das Polizeinetz nach ihr ausgeworfen war, wollte sie sich im Moment nicht ausmalen. Kurz wurden ihr wieder die Fragen bewusst, die sie im Zug beschäftigt hatten. Hatte sie sich auf einen Weg begeben, der von Kräften, die ihr unbekannt waren, beeinflusst wurde? Wollten diese Kräfte ihr Dasein beenden oder sie gar unschädlich machen?

Das Wort unschädlich erreichte ihr Bewusstsein, obwohl sie sich nicht erklären konnte, warum. Sie hatte niemanden etwas getan. Aber ging es am Ende gar nicht darum, wer wem etwas getan hatte? Ging es darum, was jemand in dieser Welt anrichten könnte! Durch diese merkwürdigen Gedanken glaubte sie sich auf einer anderen Ebene ihres bisherigen Lebens zu befinden. Stieg sie auf einer imaginären Leiter nach oben oder nach unten? Ihr wurde bewusst, wie schnell sie ihr Leben hätte verlieren können, und wie froh sie sein konnte, dass ihr jemand geholfen hatte. War das Zufall? Hatte sie nicht sterben sollen, hatte das Leben mit ihr noch etwas vor?

Eigentlich glaubt sie nicht an Schicksal. Aber wenn es doch ein Schicksal gab, hatte dieses es eben gut mit ihr gemeint. Trotzdem hatte Alina ein Unbehagen erfasst. Vorsichtig schaute sie sich auf den Bahnsteigen um. Sie musste weiter und wollte in einen Zug einsteigen, der nicht nach Intercity, vielmehr nach einer gewöhnlichen Regionalbahn aussah. Sie schaute vom Bahnsteig aus durch die Fensterscheiben eines Zuges, der ihrer Vorstellung entsprach. Sie entdeckte nur wenige Zuggäste. Die meisten Abteile waren leer. Genau das Richtige, um ihre Gedanken zu ordnen. Sie hoffte, dass in diesem Zug keine Kontrollen durchgeführt wurden. Die Polizei könnte ja bereits nach ihr fanden.

Doch leider kam sie nicht dazu, ihre Gedanken vollständig zu gliedern. Immer wieder glaubte sie, einen Schleier zu spüren, der ihr das Wesentliche vernebelte. Öfters stieg sie in andere Züge um. Damit hoffte sie, ihre Spur zu verwischen.

Sie wusste nicht, dass es der letzter Bahnhof sein sollte, an dem sie in einen einfach ausgestatteten Waggon einstieg. Auch erahnte sie nicht, dass es ihre vorerst letzte Reise in einem Zug war. Die Waggons wurden von einer rostigen Diesellok gezogen. Außen las sie auf undeutlich erkennbaren Schildern etwas von Arad und Sibiu. Ihr waren die Orte nicht gänzlich unbekannt. Es ging in den Süden, was wollte sie mehr!

Nun saß sie in einem Abteil mit Holzbänken. Einige Zeit hatte Alina wieder ein Zugabteil für sich. Ein Schaffner kontrollierte ihr Ticket. Es war auch in diesem Zug gültig, obwohl Alina sich schon auf zusätzliche Kosten eingestellt hatte. Der Schaffner plapperte in Deutsch einfach auf Alina ein. „Bald sind wir an der Grenze nach Rumänien. Wollen sie da Urlaub machen? Eigentlich ein schönes Land mit seinen imposanten Bergen. Aber leider trifft man auch auf viel Armut. Na, jedenfalls schöne Weiterreise.“

Auf einem Bahnhof mit dem für Alina lustig klingenden Namen Lököshaza blieb der Zug länger stehen. Viele Menschen stiegen aus. Sie hatte das Gefühl, im gesamten Zug allein zu sein. Im Vorbeigehen teilte ihr der Schaffner mit, dass es der letzte Bahnhof vor Rumänien ist. Nach einer kurzen Weiterfahrt hielt der Zug an einem verfallenem Gebäude an. Es sah nicht nach Bahnhof aus. Trotzdem stieg ein Völkchen in den Zug, welches allerhand Gepäck dabei hatte, darunter auch in Pappkisten gefangene Hühner.

Aus Filmen kannte Alina diese Atmosphäre: Mütterchen mit großen Kopftüchern, alte Männer ohne oder mit nur wenigen Zähnen. Da Alina allein auf einer Bank saß, schauten ein paar von ihnen sie neugierig an.

Sie muss sehr eigenartig auf diese Menschen gewirkt haben. Eine Erscheinung, die in ihrer Welt selten oder gar nicht vorkam. Alina war noch so jung. Sie hatte ihre langen von Natur aus roten Haare schon seit Tagen nicht gepflegt. Wahrscheinlich wirkten sie hier besonders. Alina konnte nur Männer und Frauen mit schwarzen oder grauen Haaren entdecken. Sie versuchte so freundlich wie möglich zu schauen und so langsam wich die Verlegenheit.

Einer älteren Frau schien nicht so recht zu gefallen, dass eine so junge Frau allein reiste. Sie sprach auf den Mann neben ihr ein, der wohl ihr Ehemann war, und deutete auf Alina. Dann stand sie auf und ging auf Alina zu. Ihr gewaltiger Busen zwar, eingepfercht in ein dunkles, langes, mit Spitzen besetztes Kleid, schwappte trotzdem beim Gehen hin und her. Durch die kräftige Erscheinung dieser Frau und dem energischen Gang, mit dem sie auf Alina zukam, wollte Alina am liebsten aufstehen und sich irgendwie schützen. Sie hatte plötzlich Angst. Doch nach kurzer Einschätzung erkannte sie die Situation als nicht gefährlich. Sie reiste ja hier nicht allein, weitere Frauen waren anwesend. Aber das unlängst Erlebte war noch nicht überwunden. Diese Furcht konnte sie jetzt ausklammern, denn mit der Polizei hatte diese Frau höchstwahrscheinlich nichts zu tun. Ihr wahrscheinlich vor Aufregung gerötetes Gesicht wurde von einem schwarzen Kopftuch umhüllt. Ein Frauenbart zeichnete sich unter ihrer Nase ab. Eine kleine Warze konnte Alina am Kinn entdecken. Eher glaubte sie jetzt an eine alte Hexe, doch das änderte sich schlagartig, als diese Frau ein herzgewinnendes Lächeln aufsetzte und versuchte, mit Alina zu reden. Alina verstand kein Wort und doch zeigte die Gestik der Frau, dass sie Alina etwas Gutes tun wollte. Sie schaute Alina fast mütterlich freundlich an.

Doch nach einiger Zeit wurde sie sehr ernst. Sie legte ihre Hände um ihren Hals, als würde sie sich selbst erwürgen, dabei sagte sie weitere für Alina unverständliche Worte. Eine ebenfalls noch junge Frau bemerkte, was die Alte Alina sagen wollte. Sie kam zu den beiden Frauen, fragte Alina woher sie komme und erklärte ihr danach mit einigen deutschen Sprachbrocken: „Du nicht alleine weiterfahren, letzten Monat, Mädchen tot neben Gleis. Männer böse.“ Alina wurde es ganz anders.

Die „gutmütige Hexe“ ging zurück zu ihrem Mann und sprach mit ihm einige Worte, erklärte ihm unter anderem, dass diese junge Frau aus Deutschland kommt und schon lange unterwegs ist. Er schaute seine Gemahlin etwas verständnislos an, schüttelte den Kopf und sah Alina verächtlich an. Die „Hexe“ hatte ihrem Mann auch versucht klarzumachen, dass sie diese Frau hier nicht allein weiterfahren lassen und sie sie mit in ihr Dorf nehmen möchte. Die „Hexe“ dachte sich: „Bestimmt hat sie auch Hunger, so abgemagert, wie sie aussieht.“ Dem Mann passte das offenbar nicht. Er schaute immer wieder auf ihre kurzen Hosen und ihre langen unbekleideten Beine. Vielleicht befürchtete er, dass so ein aufreizendes junges Ding nur Unfrieden ins Dorf bringen würde. Da gab es genügend junge Männer, die schnell ihre Erziehung vergessen könnten. Alina glaubte, diese Blicke des Mannes richtig zu deuten. Holte sich aus ihrem Rucksack Berghosen und zog sie sich über die Hotpants.

Es ging auf den Nachmittag zu. Die „gutmütige Hexe“ wusste zu gut, welche Gefahren auf dieses junge Ding warten, falls sie hier allein bleiben würde. Sie dachte: Diese Fremde fährt sicher bis in die Nacht hinein. Mir kann das zwar egal sein, aber sie hat eine Ausstrahlung, die mir gefällt. Ich kann sie hier einfach nicht allein lassen. Sie wurde, nachdem sie bei ihrem Manne auf Granit zu beißen schien, etwas lauter. Der Mann rutschte tatsächlich auf seiner Bank in sich zusammen und widersprach seiner Frau nicht mehr. Alina ahnte, wer von beiden wirklich die Hosen anhatte. Normalerweise hatte in dieser Region der Ehemann das alleinige Sagen. Hier schien eine Ausnahme vorzuliegen. Alina sollte bald erfahren, welche Position der Mann in der Familienhierarchie hatte.

Die „gutmütige Hexe“ stand auf, deutete auf den Ausgang des Zuges und ahmte eine Essende nach. Alina hatte seit Tagen nicht richtig gegessen. Gelegentlich fastete Alina, deshalb hatte sie das auch nicht so schlimm empfunden. Doch jetzt spürte sie ein langsam nicht mehr zu ignorierendes Hungergefühl. Sie hätte sich durchaus, auf einem der größeren Bahnhöfe einen Snack kaufen können. Aber sie war von den neuen Eindrücken so abgelenkt, dass sie gar nicht daran gedacht hatte oder durch ihre Fastenerfahrung auch nicht musste.

Als der Zug hielt, stieg Alina unsicher mit aus. Wohl war ihr nicht. Aber nach den Warnungen der beiden Frauen war es sicher besser, mitzugehen. Sie hatte sich mit solchen Gedanken bis jetzt nicht befasst. Sie war zwar auch einige Nächte durchgefahren, aber bis auf den ersten Zug, der auch nicht in der Nacht fuhr, waren immer noch andere Frauen im Abteil gewesen. Hier würde sie ganz allein auf sich gestellt sein.

Die Gruppe schlug einen schmalen Pfad ein, der vom Bahnhof wegführte. Ihr war immer noch unbehaglich. Wo würden diese Menschen sie jetzt hinführen? Die Frau machte zwar einen vertrauenserweckenden Eindruck, aber ihr Mann schaute Alina immer wieder kritisch an. Alina wäre am liebsten nur mit der Frau weitergegangen. Als hätte sie die Gedanken von Alina gelesen, schickte sie ihren Mann vor. Den lauten Worten und dem nun schnellen Gang des Mannes entnahm Alina, dass er sich beeilen soll. Sie hatte etwas Französisch gelernt, und glaubte einige ähnlich klingende rumänische Worte zu verstehen, die sie ihrem Mann hinterherschrie. Es ging wohl um Essen und entsprechend schnelle Vorbereitung. Alina fühlte sich in der Nähe dieser Frau zunehmend besser. Auch, weil sie Alina wieder freundlich anlächelte. Sie legte beide Hände auf ihre Brust. „Dakaria.“ Alina verstand und sagte ebenfalls ihren Namen. Sie zeigte noch auf ihren davoneilenden Mann. „Konstantin.“

Sie liefen langsam weiter. Die Frau blieb ab und zu stehen, zeigte auf Kräuter und murmelte Namen, die Alina nicht verstand. Einmal deutete sie einen Schnitt auf ihren Arm an, und legte ein Kraut auf diese Stelle. Bei einem anderen hielt sie sich mit schmerzlicher Miene den Kopf. Das würde wohl gegen Kopfschmerzen helfen. Sie zeigte ihr noch einige Gewächse, dabei schlenderten sie ruhig den Weg entlang. Alina nahm die großartige Landschaft in sich auf. Zu beiden Seiten begrenzten lose aufgeschichtete Steinmauern, den trockenen, sandigen Weg, begleitet von einer Duftkombination aus Tannen- Pinien- und Eichenbäumen. Lavendelsträucher versprühten ihren angenehmen Geruch. Nach einer gemütlichen Wanderung erblickte Alina hinter einer Wegbiegung ein kleines Dorf, eingebettet in eine grandiose Bergkulisse. Alina blieb stehen. Mit weit geöffneten Augen und einer Hand vor dem Mund ließ sie dieses Bild auf sich wirken. Dann breitete sie ihre Arme aus und sagte: „Ist das großartig.“ Ein überwältigendes Glücksgefühl durchzog ihren Körper.

Dakaria, zwar ihre Worte nicht verstehend, blieb ebenfalls stehen, und war schon wieder über die Ausstrahlung dieser jungen Frau entzückt. Der Älteren war dieser Anblick nicht neu, war zur Gewohnheit geworden, aber vielleicht wurde ihr in diesem Moment bewusst, dass nicht alle Menschen dieses Glück haben, in so einem Paradies zu leben. Sicher, hier hatte man mit einigen Strapazen zu kämpfen. Mal gab es Überschwemmungen. Dann blieb über Wochen das Wasser völlig weg. Die Zisternen wurden immer leerer. Das Vieh musste versorgt werden, und zuweilen musste man Tiere sogar notschlachten. Die Winter konnten über Wochen eiskalt werden. Der Schnee war vorübergehend so hoch, dass man nicht einmal mit Schneefräsen einen Zugang von der Außenwelt graben konnte. Im Sommer musste für solche Situationen vorgesorgt werden. Vorräte wurden eingekocht und eingelagert.

Doch davon wollte Dakaria im Moment nichts erzählen, diese beseligte Stimmung, die sich von Alina auf sie übertrug, nicht zerstören. So betrachtete sie das strahlende Gesicht von Alina und nahm ihre Hand, um sie in das Dorf zu führen.

Ihr Heim bestand aus einer bescheidenen, mit Holzschindeln bedeckten Hütte. Als sie die beiden Frauen betraten, schnupperte Alina. „Das riecht hier aber gut“, sagte sie impulsiv, obwohl sie ja niemand verstehen konnte. Im Kamin knisterte ein Feuer, auf dem Konstantin mit verbissenem Gesicht, Fleisch grillte. Alina sah schmunzelnd zu Dakaria. Auf dem Tisch standen neben Obst und Gemüse mehrere Flaschen Wein. Dakaria ging noch einmal in das Dorf und war eine Zeit lang nicht anwesend. Konstantin stand am Grill und wendete immer wieder grob das Fleisch. Alina kam es gespenstisch vor, wie er mit einem großen Messer vor dem Feuer hantierte. Sie sah jetzt nur noch seine Silhouette umringt vom Feuerschein. Alina war sehr erfreut, als Dakaria endlich mit einer anderen Frau zurückkam. Diese hatte in Deutschland bei einer vornehmen Familie geputzt und dabei etwas Deutsch gelernt. Mittlerweile waren die Dorfbewohner über ihren Gast informiert. Mehr und mehr fanden sich ein und versuchten, mit Alina Kontakt aufzunehmen. Die „Dolmetscherin“ reichte Alina die Hand und stellte sich als Ella vor. Alina hatte nun zusammen mit Ella viele Fragen zu beantworten. Alina fand es lustig, wie interessiert durcheinander ausgefragt wurde, wie sie sich gegenseitig maßregelten, wer nun reden darf und wer zu schweigen hatte. Auf einer Karte zeigte sie ihren Heimatort. Hier kannte man „Bayern München“ und das Oktoberfest und diese Art Vertrautheit machte es ihnen leicht, fröhlich miteinander umzugehen.

Konstantin schaute immer noch griesgrämig, bis er von einem anderen Mann, später erfuhr Alina, dass er Fabia heißt, erkennbar gefoppt wurde. Er hatte jedoch Schnaps dabei, und als er mit Konstantin einige getrunken hatte und ihm half, das Fleisch zu servieren, entspannten sich Konstantins Gesichtszüge. Nach all dieser Fragerei konnte sich Alina endlich den Speisen zuwenden, die aus frisch gebackenem, duftenden Brot, selbst hergestelltem Käse, Schinken und unzähligen Früchten bestand. Alle setzten sich um sie herum, und es wurde ein fröhliches Festmahl. Alina genoss dieses Essen und bedankte sich für die Gaben. Sie aß sehr langsam. Besonders der Käse, schmeckte ihr außerordentlich gut. Als sie sich eine Scheibe von einem Käse, der mit Kräutern hergestellt wurden war, abschnitt, kam ihr ein Duft entgegen, der sie an die Wanderung mit Dakaria erinnerte.

Die Blicke der Dorfbewohner wärmten ihre Seele. Ein jüngerer Bursche schaute sie besonders intensiv an. Alina nahm diese Blicke in sich auf. Sie war leicht verwirrt und versuchte, nicht zu oft zu ihm zu schauen. Doch dieses Gesicht, dieses Lächeln gefiel ihr. Sie konnte sich kaum noch konzentrieren.

Ella sagte ihr, dass selten Fremde hierherkommen. Umso mehr freuen sich die Meisten über eine willkommene Abwechslung. Ella sagte ihr aber auch, dass Konstantin nicht gerade erfreut war, als Dakaria entschied, dich mitzunehmen, weil er vermutete, dass du Unfrieden in dieses Dorf bringen könntest. Auch, dass sie vorsichtig sein müsse. So ein hübsches Mädchen könnte hier leicht einen Streit heraufbeschwören. Das veranlasste Alina nun bewusst nicht mehr zu dem Jungen zu schauen, obwohl sie seinen Blick weiterhin spürte.

Alina beruhigte Ella; Sie werde hier nicht lange bleiben. Sie wolle so schnell wie möglich in diese Bergwelt einsteigen. Ella sah ihr kleines Gepäck und konnte nicht fassen, dass sie damit in das Gebirge gehen möchte. Alina erklärte ihr, dass sie sich schon länger auf eine Weltreise vorbereitet hat. Dafür hatte sie sich zwar teureres, aber leichtes Wanderzubehör gekauft.

Als Alina sich mit Ella unterhielt, setzte sich plötzlich Konstantin zu ihnen. Mit einer Alkoholfahne sagte er Worte zu Alina, die Ella als Entschuldigung für sein ihr gegenüber ablehnendes Verhalten übersetzte. Konstantin rückte immer näher. Dakaria war im Moment nicht in der Nähe. Sie wäre Alina mit ihrer freundlichen Art bedeutend lieber gewesen. Alina war es zunehmend unangenehmer, denn er blies ihr seine Alkoholfahne direkt ins Gesicht. Das fiel auch einem Mann auf, und der redete auf Konstantin ein. Doch Konstantin wischte die Einwände mit einer unsicheren Armbewegung weg und wäre fast von der Bank gefallen. Nun wurde der Mann lauter. Ella zog Alina jetzt von Konstantin weg. Ella meinte, dass es jetzt ernst wird, denn seine Frau Dakaria kam schon forsch am Tisch entlang und ging auf Konstantin zu. Dakaria zog ihn an den Ohren hoch und deutete ihm an, er möge schnell verschwinden. Wie ein begossener Pudel ging er unter dem Gelächter der anderen weg.

Alina tat er leid. Eigentlich, so glaubte sie, war sie ja der Anlass. Sie hätte wohl doch nicht mitgehen dürfen. Seine Frau und er wären in ihr Dorf gegangen und alles hätte seinen gewohnten Gang genommen. Nun gab es für ihn Probleme. Genau das hatte er wohl schon geahnt. Sie sprach darüber mit Ella. Doch sie sagte, dass es immer wieder mit Konstantin Probleme gibt, wenn er etwas getrunken hat. Es hätte sie sowieso gewundert, dass Dakaria nicht eingeschritten war, als ihm Fabia schließlich nicht nur einen Schnaps gegeben hatte. Aber sie glaube, Dakaria hatte die Hoffnung, dass er sich in der Anwesenheit eines Gastes besser benimmt. Ella fand es allerdings auch von Fabia fies: „Er weiß genau, was er damit anrichtet, und nun hat er Konstantin wieder der Lächerlichkeit ausgesetzt.“

Alina bat Ella, mit ihr nach Konstantin zu suchen. Sie hörten ihn hinter einem Misthaufen schluchzen. Alina sagte ihm mit der Hilfe von Ella, dass es ihr Leid tut. Sie wollte nicht durch ihre Anwesenheit Unfrieden stiften. Im Gegenteil, seit sie ihre Reise begonnen hat, fühle sie eine Aufgabe in sich, für Menschen etwas Gutes zu tun, eine Kraft, die sie selbst nicht benennen kann, die sie aber tief in sich spürt. Es täte ihr deshalb jetzt so unsäglich weh, ihn hier so vorzufinden. Sie wäre ihm und seiner Frau sehr dankbar. Nochmals bat sie Konstantin um Verzeihung. Er sah sie plötzlich mit anderen Augen an. Alina sah in ein ruhiges, Wärme ausstrahlendes Gesicht. „Auch er möchte keinen Streit, aber der Alkohol lässt ihn schnell über die Stränge schlagen, und wenn man einmal einen Ruf als Säufer hat, bleibt man es hier für immer.“ Alina nahm seine Hände, drückte sie und versuchte, ihm mit dieser Geste Kraft zu geben.

Zusammen gingen sie wieder zurück. Als sie ankamen, schwiegen plötzlich alle. Ella übersetzte Alinas an die Gemeinschaft gerichteten Worte. „Sie hätte nicht das Recht, sich hier einzumischen, aber sie möchte allen danken und besonders Konstantin, der sie mit Dakaria zusammen einfach mitgenommen hat. Sie wäre sehr dankbar, dass die beiden sie nicht allein gelassen haben.“

Es setzte ein leichtes Gemurmel ein. Konstantins Frau Dakaria schien sich plötzlich zu schämen, dass sie ihn so grob behandelt hatte. Dakaria ging auf ihn zu und nahm Konstantin, für ihn scheinbar ungewöhnlich, in ihre Arme. Auch Fabia kam zu Konstantin und wollte ihm schon wieder ein Schnaps anbieten. Doch Konstantin lehnte ab und sah ihn aufgebracht an. In diesem Moment wurde schließlich auch Fabia bewusst, dass er einen erheblichen Teil dazu beigetragen hatte, Konstantin der Lächerlichkeit ausgesetzt zu haben.

Alina setzte sich noch einmal, und erzählte einige Geschichten aus ihrer Kindheit und dem Leben in dem kleinen bayrischen Dorf. Dass sie sich hier in diesen Bergen gleich so wohl fühlt, liegt sicher an dieser Vergangenheit. Nach all diesen Geschichten empfanden einige schon, dass Alina hierhergehört. Doch dann äußerte Alina die Bitte, nun schlafen zu wollen.

Dakaria stand auf und ging zügig zu einem jungen, schlanken Mädchen. Wie Alina aus der Tonlage zu erkennen glaubte, gab sie dem Mädchen anweisende Worte. Kurz darauf kam das Kind schüchtern auf Alina zu und lächelte sie an. Mit einer Handbewegung und die Schüchternheit verlierend, forderte sie Alina auf, ihr zu folgen. Sie sagte tatsächlich auf Deutsch: „Komm! Komm!“

Als Alina und das Mädchen einigermaßen von den anderen Dorfbewohnern entfernt waren, standen plötzlich Konstantin und Ella vor ihnen. Konstantin bat die kleine „Lea“, sich abseits auf einen Stein zu setzten und dort zu warten. Das sagte er ihr in einer liebenswürdigen Art, und deshalb folgte Lea seiner Anweisung. Konstantin, Alina und Ella gingen wenige Schritte und setzen sich an einen freistehenden Holztisch auf gegenüberliegende Bänke. Konstantin hatte das Messer dabei, mit dem er am Feuer hantiert hatte, und legte es andächtig auf den Tisch. Alina empfand dabei ein merkwürdiges Gefühl. Es sah aus wie ein ihr unbekanntes Ritual. Konstantin schaute sie sonderbar an und drückte wärmend ihre Hände. Ella saß daneben und freute sich, dass sich in Konstantins Wesen wohl etwas verändert hatte. „Stimmt es, dass du allein in die Berge gehen möchtest? Ich wäre sehr erleichtert und würde mich freuen“, dabei legte er ehrfurchtsvoll sein Messer wie einen wertvollen Gegenstand auf seine beiden Hände, “wenn du dieses Messer in die Bergwelt mitnimmst. Es kann dir gute Dienste leisten, Glück bringen und soll eine kleine Wiedergutmachung für mein Verhalten dir gegenüber sein.“ Dieses Messer, welches Alina vor Kurzem noch Angst eingeflößt hatte, sollte nun ihr gehören? Was sie seit Langem vermisst hatte, spürte sie in diesem Moment. Dankbarkeit zeigen zu dürfen und zu können. Alina nahm dieses Messer ebenfalls ehrfurchtsvoll entgegen. Sie sah die Freude in Konstantins Gesicht und spürte, wie wichtig es ihm war, diesen Akt zu vollziehen. Er sagte ihr, er habe nach dem Gespräch am Misthaufen eine Energie gespürt, die von Alina ausging. Noch nie im Leben hätte er so etwas empfunden: Seine Unzufriedenheit, und sein Gram auf andere Menschen verblasste augenblicklich. Ihm sei bewusst geworden, dass der Alkohol sein Leben bis jetzt verdunkelt habe. Die Begegnung und die Worte von Alina hätten die Dunkelheit vertrieben. Mit der Wärme, die Alina ihm gebracht hat, wird er hier weiterleben und dem Alkohol entsagen. Alina überraschte dieser Gefühlausbruch, aber gleichzeitig freute sie sich. Es war nicht nur Freude. Wie von einem Funken, wurde ihr Herz kurz angeregt, und ließ es schneller schlagen.

Sie befestigte das Messer an ihren Gürtel und fühlte eine neue Sicherheit und eine geheimnisvolle Kraft. Sie bedankte sich überschwänglich, ging zu Konstantin und nahm ihn in ihre Arme. Danach verabschiedeten sich Konstantin und Ella. Konstantins Ausdruck in seinem Gesicht für Glück und Freude war nun auch von Ella nicht mehr zu übersehen. Sie riefen die schon ungeduldig wartende Lea zu sich und entfernten sich.

Sofort nahm das Mädchen Alina an die Hand. Die Abendsonne strahlte über die Berggipfel und verabschiedete sich langsam. Barfuß rannte Lea glückstrahlend über eine Bergkräuterwiese. Als Alina sah, wie dieses Mädchen das genoss, stoppte sie das aufgebrachte Kind, und zog auch sich ihre Schuhe aus. Sie spürte die weiche und immer noch warme Wiese.

Mehrere um einen Stock aufgestapelte Heuhaufen, auch Heuheinzen genannt, verströmten einen würzigen Duft. Das Mädchen führte Alina an einer kleinen, mit Holzschindeln verkleideten Kapelle vorbei. Alina hielt inne und schaute in das Innere. Einige Heiligenbilder waren neben einer Marienstatue aufgestellt, unter der Blumensträuße liebevoll drapiert waren. Darunter lag ein Stein, welcher eigenartig leuchtete.