Allein und frei - Vivienne de Watteville - E-Book

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Vivienne de Watteville

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Beschreibung

"Der Natur kannst du dich auf zweierlei Weise nähern. Du kannst bewaffnet und als Feind in den Urwald gehen – oder dich deiner Waffe entledigen und dich freundlich in etwas hineinbegeben, das nicht nur dir, sondern auch allen anderen Lebewesen gehört. Dazwischen gibt es nichts." 1923 bricht Vivienne de Watteville mit ihrem Vater, einem passionierten Großwildjäger, zu einer eineinhalbjährigen Safari nach Kenia auf. Sie reisen im Auftrag des Naturhistorischen Museums in Bern, das seinen Bestand an Präparaten exotischer Tiere vergrößern will. Bernhard von Wattenwyl geht sorglos zu Werke. Sogar Elefanten schießt er. Und Löwen. Der 29. Löwe, der ihm vor die Flinte kommt, fällt ihn an, er wird tödlich verletzt. Traumatisiert kehrt die Tochter nach Europa zurück – um 1928, "verzaubert von Afrika", noch einmal zurückzukehren, dieses Mal ohne Gewehr. Sie will nicht mehr jagen, sondern fotografieren, schreiben, sich mit der Natur, der Tierwelt versöhnen: "Ich ging noch einmal zurück, auf meine Weise, um Freundschaft mit der Tierwelt zu schließen." In ihrem beeindruckenden und sehr aktuellen Bericht beschreibt sie die Gefahren und Freuden einer Reise, auf der sie mit den Verhaltensmustern der Kolonialzeit bricht. Sie findet zu sich selbst, und respektvoll erkennt sie an, dass die Natur den Tieren gehört, nicht den Menschen.

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DIE KÜHNE REISENDE

Vivienne de Watteville (1900–1957) besucht nach dem frühen Tod der Mutter, einer Engländerin, 1909 in England ein Internat. Die Ferien verbringt sie mit ihrem Vater Bernhard Perceval von Wattenvyl, ein Schweizer Maler, Abenteurer und passionierter Jäger. Sie erbt seine Freude am Abenteuer, am Nervenkitzel der Jagd, vor allem aber die Liebe zur Natur. Als junge Frau reist sie zweimal nach Kenia, 1923/24 gemeinsam mit dem Vater, 1928/29 nach seinem Tod allein. Ihre Erlebnisse und Eindrücke hält sie in zwei aufsehenerregenden Büchern fest: Out in the Blue (1927), dt. In blauen Fernen, und Speak to the Earth (1935), das hiermit erstmals auf Deutsch vorliegt. 1930 heiratet sie den englischen Offizier George Goschen, bekommt zwei Töchter und lebt bis zu ihrem Tod in England.

Klaudia Ruschkowski, Autorin, Kuratorin, Dramaturgin und literarische Übersetzerin, lebt in Volterra, Italien und Berlin. Sie konzipiert Kunst- und Literaturprojekte und ist als Hörspielautorin tätig. Sie übersetzt aus dem Italienischen und Englischen, zuletzt Etel Adnan, Vincenzo Latronico, Enrico Deaglio.

Susanne Gretter studierte Anglistik, Romanistik und Politische Wissenschaft in Tübingen und Berlin. Sie lebt und arbeitet als Verlagslektorin in Berlin. Sie ist Herausgeberin der Reihe DIE KÜHNE REISENDE.

Vivienne de Watteville

Allein und frei

Rückkehr nach Kenia

Aus dem Englischen und mit einem Vorwortvon Klaudia Ruschkowski

Vivienne de Watteville(1900–1957)

Denn dein Bund wird sein mit den Steinen auf dem Felde, und die wilden Tiere werden Frieden mit dir halten … Frage doch das Vieh, das wird dich’s lehren, und die Vögel unter dem Himmel, die werden dir’s sagen, oder die Sträucher der Erde, die werden dich’s lehren, und die Fische im Meer werden dir’s erzählen.

Hiob 5.23 und 12.7/8

INHALT

EDITH WHARTON: ZUM GELEIT

VORWORTvon Klaudia Ruschkowski

TEIL I

BEI DEN ELEFANTEN

KAPITEL 1AUFBRUCH

KAPITEL 2DAS CAMP IN SELENGAI

KAPITEL 3MOMENTE, DIE WIRKLICH ZÄHLEN

KAPITEL 4KIDONGOI UND DIE MENSCHENFRESSER

KAPITEL 5OL DOINYO OROK – DER SCHWARZE BERG

KAPITEL 6LÖWEN UND ELEFANTEN

KAPITEL 7ZUHAUSE IN NAMANGA

KAPITEL 8ALLES ÜBER ELEFANTEN

KAPITEL 9REGENZEIT

TEIL II

DER BERG (MOUNT KENIA)

KAPITEL 10DIE BERGHÜTTE AUF DEM MOUNT KENIA

KAPITEL 11LAKE ELLIS UND CORYNDON PEAK

KAPITEL 12EINSAMKEIT, BERGSEEN, GIPFEL UND GLETSCHER

KAPITEL 13DAS FEUER

KAPITEL 14ARCHE NOAH

EDITH WHARTON

ZUM GELEIT

Ich erinnere mich noch daran, wie Du mir Out in the Blue gabst, liebe Vivienne, und ich nach der Lektüre ausrief: »Bitte schreib noch so ein faszinierendes Buch wie dieses, in dem aber niemand ein Tier töten will und alle für immer glücklich leben!«

Eine tollkühne Bitte, dachte ich nach genauerer Überlegung; nicht, dass ich an Deiner Fähigkeit zweifelte, noch so ein faszinierendes Buch zu schreiben, aber ich fürchtete, dass es über Großwild, das von menschlicher Gewalt nicht betroffen ist, kaum mehr zu sagen gibt als über Länder, die auch ungeschoren bleiben …

Nun, meine Befürchtungen waren unbegründet, ich hätte es wissen können. Denn schließlich (und Du hast es wohl vermutet, sonst hättest Du mich nicht um dieses Vorwort gebeten), habe auch ich dieses Leben gelebt und diese Sprache gestammelt, auch wenn es sich bei meinem Bergzelt nur um den Lampenschirm der Bibliothek, bei meiner Wildnis um einen Garten und bei meinen Gnus, die sich zum Trinken anschleichen, um zwei gerissene und hochnäsige Pekinesen handelte; und als Eingeweihte war mir bewusst, dass diejenigen, die wissen, wie man mit den Tieren spricht, auch wissen, wie man über sie spricht.

Wirklich wunderschön hast Du das auf diesen sonnendurchfluteten, winddurchwehten Seiten bewiesen. Von den Elefanten, die mit ihren Freunden toben oder Dir durch die Bäume ironisch zublinzeln bis hin zum allerkleinsten Vogel, der in Deine Hütte hüpft, alle hatten sie so viel zu erzählen, als hätten sie schon seit Ewigkeiten auf eine Vertraute wie Dich gewartet; und es wäre Dir wohl nie gelungen, all ihre Geschichten in ein einziges Buch zu packen, wenn der Engel des Feuers Dich nicht plötzlich aus dem Paradies vertrieben hätte, wo Ihr, Du und die Tiere, so glücklich um die Remington geschart lagt.

Aber, wie schade, dass er Dich so bald vertrieben hat! Ich bedaure den überstürzten Bericht dieser langsamen, schüchternen Verständigungsversuche; ich sehne mich nach einer Fortsetzung dieser Geschichte über Lebewesen, die auf Deinen dicht bevölkerten Seiten flüchtig auftauchen und wieder verschwinden wie die elektrisierenden Bekanntschaften, die man in der Hektik des Reisens macht und verliert.

Du hattest – jedenfalls scheint es mir so – genau die richtige Sprache gefunden, um uns von diesen Wüsten- und Bergfreundschaften zu erzählen; schwer zu fassende, behutsame Sätze, veränderlich und flirrend wie das Blattwerk ihres Waldes, und Worte, die sich ihnen wie Hände lockend entgegenstrecken. Seit Farrers naturhafter Sprache bin ich keiner mehr begegnet, die ihrem Gegenstand so angemessen gewesen wäre; und just in dem Moment, wo du dich dem geheimnisvollen Zentrum Deines Themas nähertest, als die Blumen und Vögel und die wilden Huftiere sich um Dich drängten, um Dir ihre letzten Geheimnisse anzuvertrauen – als Du sozusagen kurz davor warst, »das Ohr des Elefanten zu streicheln« –, kam der Absturz, der Himmel wurde schwarz, und die goldenen Tore fielen krachend zu. …

Doch glücklicherweise dank Deiner nicht für uns, Deine dankbaren Leserinnen und Leser. Da sind wir wieder, in Deinem unschuldigen Bestiarium, wir brauchen nur Dein Buch aufzuschlagen, oder auch nicht, um die nimmermüden Botschaften der Natur durch Deine Augen zu sehen und durch Deine Ohren zu hören.

Viele werden Dir das sagen, noch mehr werden es denken und hätten doch gern den Mut, Dir das auch mitzuteilen. Ich halte mich für privilegiert, denn ich durfte Dich als erste an Deine wilden Orte begleiten und erzählen, was ich dort vorfand, und andere einladen, meine Freude zu teilen.

Sainte Claire le Château, Januar 1935

VORWORT

I

Sieben Jahre hatten Bernhard von Wattenwyl und seine Tochter Vivienne für eine Expedition gespart, die sie durch Kenia, Uganda und Belgisch-Kongo führen sollte. Zwischen 1914 und 1916 war Bernhard bereits zwei Jahre in Zentralafrika gewesen, hatte eine Safari durch den Nordosten Rhodesiens unternommen und eine Sammlung von Trophäen mitgebracht, die er dem Naturhistorischen Museum Bern überließ. Bernhard von Wattenwyl beziehungsweise Bernard de Watteville, 1877 in Trélex in der französischsprachigen Schweiz geboren, stammte aus einer Berner Patrizierfamilie, war in Genf aufgewachsen und hatte in England Malerei studiert. Seine eigentliche Leidenschaft galt jedoch der Jagd, vor allem der Großwildjagd. Als das Berner Museum einen Kurator berief, der sich für die Erneuerung der Sammlung afrikanischer Tierwelt einsetzte, bot sich die lang ersehnte Gelegenheit: Die Museumsleitung erklärte ihre Bereitschaft, sich finanziell an der Expedition zu beteiligen, vor allem die Kosten für die Verpackung und den Transport von Häuten und Skelettteilen zu übernehmen. Bernard und Vivienne überschlugen ihre Ersparnisse: Aufgestockt mit einem Teil des Familienvermögens würde es reichen, um zwei Jahre unterwegs zu sein.

Am 4. Mai 1923 brachen die beiden von England aus auf und liefen einen Monat später in den Hafen von Mombasa ein. Vivienne war zweiundzwanzig Jahre alt. Sie hatte zugunsten dieses Abenteuers auf ein Studium verzichtet. Sie würde das Reisetagebuch führen und die Expedition fotografisch dokumentieren. In Nairobi kauften sie Ausrüstung und Proviant und warben mit Hilfe des Jagdaufsehers nahezu vierzig Lasten- und Waffenträger, Abbalger und Hilfskräfte an, ehe sie sich im Juni zu Fuß auf den Weg in die Wildnis machten. Selbst damals war diese Art der Safari bereits aus der Mode, man bewegte sich in speziellen Jagdwagen, die großen Safaris waren in jeder Hinsicht weit großzügiger ausgestattet. Aber Bernard und Vivienne ließen sich ihren Enthusiasmus nicht nehmen. Fußmärsche erschienen ihnen entschieden romantischer als Autofahrten.

Sie wanderten nach Norden und an den Osthängen des Mount Kenia bis zum Oberlauf des Tana, weiter nach Meru, von dort über die Isiolo-Ebenen zum Uaso-Nyiro-Fluss und den Lorian-Sumpfgebieten, eine unendliche Weite aus Gras, Schlamm und Fata Morganas, stießen dann wieder auf den Tana und fuhren in Einbäumen bis zur Küste hinunter. In Lamu wurden die bisher erbeuteten Häute – Antilopen, Zebras, Giraffen, Hyänen, einige Löwen und ein Elefant –, an deren Konservierung Vivienne im Laufe der Zeit zunehmend verantwortlich beteiligt war, in Kisten verpackt, nach Marseille verschifft und von dort nach Bern transportiert. Sieben Monate dauerte dieser erste Marsch, bei dem sie etwa zweitausend Kilometer zurücklegten, mehrmals in Todesgefahr gerieten, sich beide mit Malaria infizierten und sporadisch unter heftigen Fieberanfällen litten. Doch die Jagd war erfolgreich, und Bernards Durst nach Aktion nahm unaufhörlich zu. Er schoss, was ihm an Großwild vor die Flinte kam.

Viviennes größte Freude lag in der Beobachtung der Tiere und der Landschaft. Die afrikanische Wildnis hatte sie gefangengenommen. Sie war in sie eingezogen. Bereits in ihrem ersten Buch Out in the Blue bemerkt sie, »dass wir nicht ein unendlich kleiner, von Raum und Zeit begrenzter Funke sind, sondern ein Teil von Himmel und Erde und allen Elementen, dass unsere Seele so weit ist wie die großen Fernen …«. Schon bald begann sie, in Afrika »die wahre Freiheit« zu erfassen. Was sie trotz anfänglicher Gewissensbisse nicht daran hinderte, die »herrlichen Tiere« zu töten, fasziniert von dem Nervenkitzel, den sie bei ihrer Verfolgung empfand, »diesem Wahnsinn, wenn dir das Herz bis zum Halse schlägt, wenn du vor Angst und Aufregung keuchst, ja, dich fast Todesangst ergreift und du gleichzeitig fast gleichgültig und furchtlos bist«.

II

Vivienne de Watteville kam am 19. August 1900 in Hopesay, Shropshire, zur Welt. Bernard, kaum bei seinem Mallehrer Sir Hubert Herkomer in England eingetroffen, hatte sich in Florence Emily Beddoes verliebt, die Tochter von Henry Willoughby Beddoes, einem pensionierten Marinekapitän. Bernard und Florence heirateten am 13. Oktober 1899. Als kleines Mädchen besaß Vivienne, wie Fotos zeigen, viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, hatte deren verträumte graue Augen. Mit zunehmendem Alter ähnelte sie zusehends ihrem hochgewachsenen Vater – die gleichen auffällig geschwungenen Lippen, der gleiche ruhige, direkte Blick. Als Kind nannte sie ihren Vater »Dadboy«, als junges Mädchen »Brovie«. Beide Namen passten zu Bernhard von Wattenwyl, einem Peter Pan, der nie wirklich erwachsen geworden war und den man häufig für Viviennes älteren Bruder hielt. Er war künstlerisch, musikalisch, philosophisch, aber sein Herz hing am Abenteuer.

Weihnachten 1909 starb Florence, kaum dreißig Jahre alt, an Krebs. Für Vivienne und Brovie brach eine Welt zusammen. Viviennes Erziehung teilte Brovie nun mit seiner Mutter Blanche Eléonore de Gingins, genannt Grandminon, eine emanzipierte und eigenwillige Frau, und mit Florences unverheirateter älterer Cousine Alice Mary Blandford, Tante Semi. Drei Individualisten, die Vivienne mit Zuneigung überschütteten, aber nicht in der Lage waren, eine Harmonie herzustellen, sodass Viviennes Leben, wie sie bald bemerkte, einem »Strudel aus Widersprüchen« glich. Vorbei war auch die Zeit der Kleider, Röcke und Rüschen, Brovie machte einen Jungen aus ihr, brachte ihr Fischen, Klettern und Schießen bei. »Seit ich klein war, habe ich alles durch die Augen eines Mannes gesehen, habe mich unter Männern zuhause gefühlt, ihre Gesellschaft bevorzugt und wusste wenig über Frauen«, berichtete Vivienne, »meine Jugend war die eines abenteuerlichen Jungen … Trotz dieser eigenartigen Erziehung war ich zum Glück ganz weiblich, besaß einen großen mütterlichen Instinkt, habe mich aber nie für häusliche Kleinigkeiten interessiert …« Grandminon hatte zweimal geheiratet, konnte die Männer im Grunde genommen aber nicht ausstehen. Tante Semi scheint diejenige gewesen zu sein, die zu vermitteln suchte und in der Vivienne eine schwesterliche Freundin fand. Von Brovie wurde sie fest an die Kandare genommen, er wachte eifersüchtig über jede ihrer Regungen. Fünfzehn Jahre lang übernahm sie die schwierige Rolle von Sohn, Tochter und Lebensgefährtin in einer Person.

Seit dem Tod der Mutter besuchte Vivienne eine Internatsschule, die Sommer verbrachte sie mit Brovie in Norwegen. Im Sirdal in der südnorwegischen Provinz West-Agder hatte er kurzerhand einen Berghang, einen Forellenfluss und zwei Seen gepachtet und eine Holzhütte gebaut. Brovie war der Kapitän, Vivienne hieß Murray, der erste Maat. Brovie jagte Schneehühner und Rentiere und trieb Vivienne die Berge hinauf, bis sie um Gnade flehte oder sich weinend vor Wut ins Heidekraut warf. Und doch war es, wie sie erinnerte, »die schönste Zeit, die man sich nur vorstellen konnte … und ich wurde dadurch so robust wie ein kleines norwegisches Pony.« Wenn dann gar nichts mehr half, fand sie Trost bei der Natur, die ihr im Laufe der Jahre immer mehr bedeutete: »Sie trat an die Stelle der Mutter, die ich geliebt und verloren hatte.«

III

Nach kurzer Station in Nairobi machten sich Brovie und Vivienne im Sommer 1924 zum zweiten Teil ihrer Safari auf. Zwei Monate wurde im kenianischen Aberdare Gebirge gejagt, dann ging es weiter nach Uganda und an die Grenze zum Kongo. Das unberührte Seengebiet im östlichen Kongo war damals ein Paradies für wilde Tiere. Es wimmelte von Antilopen, Wasserböcken, Büffeln und auch von Löwen. Brovie konnte nicht genug bekommen. »Es schien«, schrieb Vivienne, »als hätte er jede Hemmung, jede Vorsicht über Bord geworfen.« Zwölf Löwen hatte er bereits geschossen, in einer Woche allein fünf. Manche waren nur verwundet, und er setzte ihnen nach, bis er sie – oft aus nächster Nähe – töten konnte. Mit Mwanguno, dem Chefabbalger, und einigen Helfern schabte Vivienne die Häute – vor wenigen Monaten noch den Tränen nah beim Anblick der Kadaver, war sie nun fasziniert vom Auskratzen der Nasenlöcher, dem Abziehen der Ohren und dem Säubern der Lippen, verätzte sich die Hände durch die Säuren, die zum Gerben der Häute verwendet wurden, und hatte wegen ihrer Tatkraft im Camp Anerkennung gefunden.

Südlich von Lake Edward, im Grenzgebiet zwischen dem Kongo und Uganda, erlitt Vivienne einen schweren Anfall von Spirillumfieber. Brovie machte sich daher am 30. September 1924 allein auf den Weg ans Seeufer, zur Löwenjagd. Nur Stunden später schleppte er sich ins Camp, blutüberströmt, das Gesicht leichenblass, kaum fähig zu sprechen. Einem Löwen, den er angeschossen hatte, war er unüberlegt ins dichte Schilf gefolgt. Das Tier hatte ihm aufgelauert, ihn angegriffen, ihm furchtbar zugesetzt und seine Arme und Beine bis auf die Knochen zerfleischt, ehe er es mit einem letzten Schuss töten konnte. Der Löwe brach über ihm zusammen, die Klauen so tief in sein Fleisch gebohrt, dass er sie einzeln herausziehen musste, ehe er unter dem Kadaver hervorkriechen konnte. Viviennes einziger Gedanke bestand darin, Brovie, der entsetzliche Schmerzen litt, die nächsten sechs Tage am Leben zu halten – so lange würde es dauern, bis ein Arzt einträfe. Brovie überstand die Nacht, überlebte den nächsten Tag, doch starb am Abend des 1. Oktober 1924 – nicht ohne seiner Tochter das Versprechen abzunehmen, die Haut »dieses herrlichen Löwen«, der ihm überlegen gewesen war, zu bewahren. »Wäre ich in der Zivilisation gewesen«, schrieb Vivienne an Alice Blandford, »ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, doch in der Wildnis – oh! Ich kann Dir nicht sagen, welche Kraft man aus diesen großen einsamen Weiten gewinnt …«

Vivienne präparierte den Balg, unter Schock und vom Fieber geschüttelt, ließ den Vater begraben und führte die Expedition – fünfzig Männer, die von ihr abhingen – nach Entebbe am Victoria-See.

Dann machte sie sich trotz aller Einwände noch einmal auf den Weg, um Brovies Sammlung mit einem »weißen Nashorn« zu komplettieren – das, meinte sie, war sie ihm schuldig. In ihrem dritten, posthum erschienenen Buch Seeds that the Wind May Bring heißt es: »Die Zeit, die ich nach Brovies Tod in der Wildnis verbrachte, gab mir ein so intensives Bewusstsein, dass die gewöhnliche Existenz zum Schatten verblasste. Dort draußen in der Weite des Kongo wurden die Weichen für mich gestellt … Für Brovie musste ich ein Buch über unsere Erlebnisse schreiben: Out in the Blue, der Titel stand schon fest. Dann würde ich frei sein, auch frei, um nach Afrika zurückzukehren, allein … um dem Geist zu folgen, der mich rief.«

IV

Nach allem, was sie erlebt hat, ist Vivienne de Watteville von einem Gedanken beseelt: Es muss möglich sein, dass der Mensch in Frieden mit der Natur lebt … dass er nicht als Jäger kommt, um zu töten, als Blindwütiger, um zu zerstören, sondern begreift, dass er genauso Teil der Natur ist wie jede Pflanze, jedes Tier, nicht mehr, nicht weniger.

Es wird nicht leicht, noch einmal und allein nach Afrika aufzubrechen. Vor der Welt begründet Vivienne ihre Unternehmung damit, sie wolle diesmal mit Fotoapparat und Filmkamera in die Wildnis gehen, um mit den Tieren Freundschaft zu schließen – ein Ansinnen, das bei der Mehrzahl ihrer Bekannten auf Unverständnis stößt. Nur von Grandminon kommt bedingungslose Unterstützung. Nachdem sie in Nairobi endlich die Genehmigung der Behörden erhalten hat, macht sie sich im Juni 1928 in Begleitung einiger der Träger, die bereits während der Expedition mit Brovie dabei waren, auf den Weg in das Massai-Gebiet an der Grenze zwischen Kenia und Tansania. »Ich ging zurück, auf meine eigene Art«, schreibt sie in Allein und frei. »Das erste Mal kam ich als Fremde. Ich wusste nicht, was Afrika für mich bereithielt. Jetzt kehrte ich zurück, weil ich unter seinem Bann stand. Afrika hatte mich gelehrt, dass man sich selbst nur in urwüchsigen Weiten finden, dass man nur dort die Bedeutung des Wortes Einheit erfassen kann.« Und: »Wer sein Leben finden will, muss es zuerst verlieren.«

Die Reise, die Vivienne in diesem Buch beschreibt, ist zum einen eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – alles erinnert an Brovie –, zum anderen eine Abbitte gegenüber den Tieren, die beide so hemmungslos gejagt hatten. Und schließlich begegnet man einer jungen Frau, die darum ringt, unabhängig zu sein, die lernt, auf eigenen Beinen zu stehen und den heikelsten Situationen mutig zu begegnen. Der es allmählich gelingt, den Schmerz zu akzeptieren und die Einsamkeit auszuhalten, sich in ihr zu erfahren, ohne zu zerbrechen, aus ihr schließlich Bewusstsein und Lebensfreude zu ziehen – im Einklang mit der Natur. »In der Natur lernst du, dich selbst als das zu erkennen, was dir am nächsten ist, womit du leben und arbeiten musst. Danach kannst du deine Existenz in den Millionen schöner und spannender Dinge um dich herum vergessen. Das ist die höchste Prüfung, da in der Natur nichts Falsches existieren kann.«

Allein und frei erzählt von den zwei Etappen dieser Reise: Während der ersten – sie dauert fünf Monate – nähert Vivienne sich den Tieren, beobachtet und fotografiert Zebras, Gnus, Giraffen, Nashörner, die Vogelwelt und vor allem Elefanten. Sie setzt sich und ihre kleine Truppe Gewaltmärschen aus, überwindet innere wie äußere Grenzen, besteigt den Ol Doinyo Orok, den Schwarzen Berg, kämpft sich durch Wälder und Sümpfe und ist mehr und mehr durchdrungen von der unbeschreiblichen Schönheit der Wildnis. Malariaschübe, kleinere und größere Katastrophen, elende Sehnsucht, Erschöpfung, Trostlosigkeit, die Erkenntnis, dass man den wilden Tieren zwar ab und zu nahekommen kann, dass aber stets ein entscheidender Abstand bleiben wird – all dies mündet dennoch in die Sätze: »Das erste Feuer züngelte unter dem Dach der Akazie, und aus der Stille jenseits von ihr drang der tausendfache Gesang der Grillen. Alles zusammen berührte eine halbvergessene Saite, erweckte eine Schwingung, die lange geruht hatte, und ich war plötzlich so glücklich, als wäre ich nach Jahren des Umherirrens nach Hause gekommen.«

Die zweite Etappe führt Vivienne auf den Mount Kenia. Den Januar und Februar 1929 verbringt sie in einer kleinen Hütte, dreitausend Meter hoch, auf dem Berg, der dem ostafrikanischen Stamm der Kikuyu als heilig gilt. Zwei Monate der Abgeschiedenheit, zum Teil mit Hezekiah und Magadi, den beiden einheimischen Begleitern, zum Teil vollkommen allein – eine spirituelle Reise. Vivienne erkundet die Bergwelt in all ihren Nuancen, schließt Freundschaft mit Vögeln und kleinen Tieren, sammelt Samen und Blumen, meditiert und schreibt. Im Januar wird sie Zeugin der dritten Besteigung des Mount Kenia durch Eric Shipton, Percy Wyn-Harris und Gustav Sommerfelt, die sie darauf zu den Südgletschern des Berges mitnehmen. Ein Buschbrand vernichtet Meilen von Wald und Heideland. Unzählige Vögel und Kleintiere flüchten sich in den Umkreis der Hütte, die wie durch ein Wunder von den Flammen verschont bleibt. Sie wird zu einer »Arche Noah«. Vivienne teilt ihre letzten Vorräte mit den Tieren, bevor sie schließlich ins Tal und in die Zivilisation zurückkehrt.

V

Als das Buch Allein und frei (Speak to the Earth), das Vivienne zwischen 1929 und 1930 auf der Mittelmeerinsel Port-Cros wenige Kilometer vor der Côte d’Azur schrieb, im März 1935 erschien, hatte sich ihr Leben bereits entscheidend verändert. Auf der Fähre von Hyères zu der kleinen Insel, auf die sie sich nach ihrer Rückkehr aus Afrika geflüchtet hatte, war sie Captain George Gerard Goschen begegnet, von allen Freunden nur »Bunt« genannt. Fotografien zeigen, dass er Brovie bemerkenswert ähnlich sah, er muss aber, wie sein bester Freund Tommy Lascelles versicherte, »ein wahrer Sonnenschein« gewesen sein. Im Gegensatz zu Brovie, »dessen Suche nach Einfachheit«, so Vivienne, »ihn in ein immer dichteres Dickicht an Komplexität führte, war Bunt einfach … die Reinheit des Herzens«. Er teilte Viviennes Liebe zur Literatur, zu Musik und Natur. Die beiden heirateten am 23. Juli 1930 in Binsted, Hampshire – nachdem Vivienne Bunts Anträge mehrfach abgewiesen hatte, erfüllt von Panik, ihre soeben erst gefundene Freiheit gleich wieder zu verlieren. Aber: Die Ehe – Grandminon zufolge »das längste Wort, das unsere Sprache kennt« – wurde glücklich. 1933 verlor Bunt, der immer etwas zu tun hatte, aber nie einem wirklichen Beruf nachging, den größten Teil seines Vermögens an der Börse. Von da an lebte das Paar ausschließlich von Viviennes Kapital – zwischen 1932 und 1934 auf Wild Acre in Farnham, Surrey, dann mit den beiden Kindern Tana und David Bernard in Sussex, nur unterbrochen von kürzeren Reisen durch die Vereinigten Staaten, in die Schweiz und auf die Kanarischen Inseln. 1950 starb Alice Blandford und vermachte Vivienne ihr Haus in Hopesay. »Vivienne und Bunt«, schrieb ihre Tochter Tana Goschen, »lebten immer einfach und glücklich, und obwohl keiner der beiden eine professionelle Arbeit verfolgte, waren sie unentwegt beschäftigt und schrieben eine Menge, jeder in seiner ›Höhle‹.« Zwischendurch hielt Vivienne Vorträge über Afrika und verfasste Artikel für Zeitungen.

Zu Beginn des Sommers 1957, vier Jahre nach Georges Tod, wurde bei Vivienne Krebs diagnostiziert, es ging sehr schnell, sie starb am 27. Juli. Die letzten Wochen ihres Lebens nutzte sie, um alles zu regeln, ihre Augen der Augenbank zu vermachen und dafür zu sorgen, dass das Manuskript zu ihrem dritten Buch, Seeds that the Wind May Bring, in die richtigen Hände gelangte. Es sollte 1965 veröffentlicht werden.

Ihr Leben in Afrika hatte sie gelehrt, dass die höchste Botschaft der Natur in der Freundschaft Gottes liegt. Im Gegenüber mit der Natur, im Gefühl, ihr anzugehören, war Vivienne zu einem religiösen Menschen geworden, ein Prozess, den sie in Allein und frei zum Ausdruck bringt. Nicht ohne Grund setzte sie ihrem Buch einen Psalm voran, worin sich die Geisteshaltung zeigt, die sie durch ihre Erfahrungen gewonnen hatte.

So ungewöhnlich und mutig, wie Vivienne de Watteville lebte, starb sie auch, im Bewusstsein, dass das »Leben das herrliche Experiment ist und der Tod das große Abenteuer, wenn sich der Nebel endlich soweit lichtet, dass wir klar sehen können«.

Klaudia Ruschkowski

Literatur:

Vivienne de Watteville, Out in the Blue, Methuen, London 1927

Vivienne de Watteville, Seeds that the Wind May Bring, Methuen, London 1965

Alexander Maitland, Einführung zu Vivienne de Watteville, Speak to the Earth, Methuen, London 1986

Lukas Hartmann, Die Tochter des Jägers, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2004

Teil I

Bei den Elefanten

KAPITEL 1

AUFBRUCH

»Du hast also vor, schnurstracks auf einen wilden afrikanischen Elefanten loszusteuern und ihn zu streicheln?«, fragte er.

Verdrossen schnippte ich meine Zigarette ins Rote Meer. Die Leute zogen meistens solche Schlüsse, wenn ich ihnen davon erzählte. Aber von ihm hatte ich etwas anderes erwartet. Ich war enttäuscht. Warum hatte ich nicht einfach gesagt, ich würde nach Ostafrika zurückkehren, um Großwild zu fotografieren, und Schluss? Hätte ich meine Filmkamera nicht an der Flotte von kleinen, mit Waren gefüllten Booten ausprobiert, die sich in Aden auf unser Schiff stürzte, nichts hätte mir das Geständnis abgerungen, dass ich in ganz besonderer Absicht allein in die Wildnis ging. Als er aber zu bedenken gab, dass eine 16 mm Filmkamera bei wilden Tieren nicht viel ausrichten würde und hinzufügte, ein Teleobjektiv sei unerlässlich, tappte ich in die Falle.

»Die Fotos sind unwichtig«, entfuhr es mir, »es geht mir darum, mich mit den Tieren anzufreunden!«

Ich hatte wirklich gehofft, er würde es bleiben lassen, vorschnell über das Streicheln von Elefanten zu reden. Trotzdem erwischte es mich nicht ganz unvorbereitet. Es schien sich um die übliche Antwort zu handeln, für die sich selbst meine besten Freunde nicht zu schade waren, die mir alle einhellig eine kalte Dusche verpassten. Einsamkeit sei töricht, sagten sie, und sich mit den Tieren anzufreunden reiner Wahnsinn. Aber egal, was man auch vorhat, und sei es nur eine Fahrradtour – Freunde können anscheinend nicht anders, als einen davon abzuhalten, obwohl sie ja nicht entmutigend klingen wollen.

Die wichtigste – und einzige – Unterstützung erfuhr ich durch den Menschen, an den man zuletzt denken würde. Meine abenteuerlichsten Reisepläne stießen immer auf das offene Ohr meiner Großmutter. Sie verpasste mir nie eine kalte Dusche. Im Gegenteil, sie goss das entflammbarste Öl ins Feuer, und am Ende ließ sie sich unweigerlich von meinem Enthusiasmus anstecken und seufzte: »Ach, wenn ich nur vierzig Jahre jünger wäre, dann würde ich dich begleiten!«

»Einsamkeit? Das ist das Schönste auf der Welt«, erklärte sie, »nur so lernen wir einmal etwas.«

Vermutlich ist ihr nie in den Sinn gekommen, dass es gefährlich sein könnte, sich mit wilden Tieren anzufreunden, und unwahrscheinlich dazu. Ihr Glaube an das Vorhaben war grenzenlos. Sie schwärmte für Tiere und hielt es für eine schöne Idee. »Ich bin übrigens sicher, dass es dir gelingen wird, wenn du es ernsthaft versuchst«, setzte sie hinzu.

In mir keimte der heimliche Verdacht auf, meine Großmutter wäre auch überzeugt gewesen, dass es nur zum Besten sei, wenn ich mich einer Schar hungriger Löwenjungen zum Fraß vorgeworfen hätte – wie in der Geschichte von Buddha und der Tigerin. Aber das tut hier nichts zur Sache. Was ich wollte, war ihre Ermutigung. Sie verstand nicht nur, dass Afrika mich zurückzog, sondern auch, was an Afrika diese Sehnsucht geweckt hatte, die weder gestillt noch zum Schweigen gebracht werden konnte. Ihr Verständnis war Balsam und Motivation zugleich. Auch nur einen anderen Menschen zu finden, der etwas so betrachtet und empfunden hat wie wir, wappnet uns gegen eine Welt des Unglaubens.

Das erste Mal kam ich als Fremde. Ich wusste nicht, was Afrika für mich bereithielt. Jetzt kehrte ich zurück, weil ich unter seinem Bann stand. Afrika hatte mich gelehrt, dass man sich selbst nur in urwüchsigen Weiten finden, dass man nur dort die Bedeutung des Wortes Einheit erfassen kann. Diese Entdeckung war zu kostbar, um sie in den Alltag zu tragen oder in den groben Stoff von Worten zu kleiden. Nach außen tat ich also zwangsläufig so, als wolle ich mich mit den Elefanten anfreunden.

Das erste Mal war ich mit meinem Vater losgezogen, um eine Sammlung der Tierwelt Ostafrikas für das Naturhistorische Museum Bern anzulegen. Das war sein Traum gewesen. Wir hatten ihn beide lange geteilt und dafür gespart. Mein persönlicher Traum bestand aber immer darin, unbewaffnet in die Wildnis zu gehen und die Freundschaft der Tiere zu gewinnen. Ich beneidete niemanden mehr als Androklos, der durch Zufall einem Löwen begegnet war, dem ein Dorn in der Pfote steckte. Ihm gelang es, den Dorn herauszuziehen, und er erwarb sich dadurch die lebenslange Treue des Tieres.

Jetzt kehrte ich also auf meine eigene Art zurück.

Insgeheim und mit einem Nervenkitzel, als würde ich die Schule schwänzen, stellte ich nach und nach meine Ausrüstung zusammen und wurde schließlich gerade von denjenigen beschämt, die mein Vorhaben am meisten missbilligten. Sie versorgten mich mit jeder Menge Zubehör – aufgehäuft wie glühende Kohlen. Zumindest kam es meinem schlechten Gewissen so vor. Aber niemand nahm mich ernst. Als ich stolz verkündete, ich hätte meine Überfahrt gebucht, zuckten sie die Achseln, was heißen sollte, dass Überfahrten auch leicht wieder storniert werden konnten. Ich konnte es selbst kaum glauben, bis ich mich tatsächlich an Bord des wohlbekannten B&I Liners im Hafen von Tilbury befand, mit vor Aufregung klopfendem Herzen den Schiffsgeruch einsog und die Winden über der offenen Luke ein weiteres Mal knirschen und ächzen hörte.

Ich hatte eine Deckkabine backbord. Aus Erfahrung wusste ich inzwischen, wie es sich mit der Nachmittagssonne im Roten Meer verhielt. Während alle Welt hin- und hereilte, Mitteilungen verschickte, Gepäck anwies, nach Briefen oder Cocktails fragte und sich verabschiedete, war ich damit beschäftigt, mich einzurichten. Von Natur aus unordentlich, wirkte keine Regel stärker auf mich als die von der sprichwörtlichen Ordnung in einer Kapitänskajüte. Ich hatte mir größte Mühe gegeben, ein reisetaugliches Bücherregal und andere nützliche Vorrichtungen zu konstruieren, die eine Kabine oder ein Zelt innerhalb von kürzester Zeit in ein Zuhause verwandelten. Die Leute machen sich vor der Abfahrt sinnlos unglücklich, dachte ich, als ich Reisewecker, Aneroidbarometer und Kompass sorgsam symmetrisch im Regal verteilte. Einen Arm voll Lieblingsbücher, ein oder zwei Bilder und ein paar Decken und Baumwolltücher zur Tarnung des Gepäcks – das ist schon alles. Man nimmt sein Zuhause mit, wohin man geht. Das ist Freiheit im wahrsten Sinn des Wortes.

Ich liebte jede Schraube, jeden Bolzen der alten Mantola, erstens, weil sie ein Schiff war, und zweitens, weil sie mich zu meinem Herzensziel brachte. Ich musste mir um nichts Sorgen machen, weder um familiäre Bindungen noch um den Broterwerb. Mein Los war das beneidenswerteste der Welt. Ich war ein freier Mensch und brach auf eigene Faust zu einem Abenteuer auf.

Verzaubert sah ich Port Said wieder, blickte über die regenbogenfarbene Wüste, als wir den Suezkanal hinunterfuhren und angelte in Port Sudan die ganze Nacht lang nach unbeschreiblich leuchtenden Fischen. So jung und närrisch wie ich war, änderte ich das Programm, indem ich in pechschwarzer Nacht die schwindelerregende Eisenleiter zum Hafenleuchtturm hinaufkletterte und den erstaunten alten Araber, der dort Dienst tat, bat, mir das rotierende rote Leuchtfeuer zu zeigen. Die Operettenbilder des Ostens waren für mich so real wie die Arabischen Nächte, die Basare mit ihren farbenprächtigen Teppichen, Juwelen, Seidenstoffen und Schnitzereien – alle made in Birmingham, wie meine gescheiten Mitreisenden behaupteten – so echt wie die Schätze des Aladdin.

Und dann Afrika selbst. Für fast jeden an Bord etwas, wohin man nur widerwillig zurückkehrte. Eine weitere Amtszeit, ein weiterer Kampf mit den Kaffeepflanzen, mit allen möglichen anderen Feldfrüchten gegen Heuschrecken, Krankheiten und Dürren. Hitze, Staub, Beschwerden, Fieber, Einsamkeit, Elend und Exil – für all das stand Afrika. Ein herzloser Kontinent, dem man das eigene Auskommen abringen muss. Was immer man auch dort in Angriff nahm, es gab keinen einfachen Weg. Man arbeitete bis an den Rand der Erschöpfung und kämpfte meist einen aussichtlosen Kampf.

Auch ich hatte Afrika für unversöhnlich gehalten. Der Name beschwor endlose Märsche durch dornige Wüsten, Durst und Elend. Und wie all die anderen wurde auch ich so unwiderstehlich von ihm angezogen wie eine Nadel vom Magneten. War es nur, weil Afrika einen so viel erdulden ließ, einen aus einer allzu bequemen Zivilisation herausriss, um sich elementaren Schwierigkeiten und Gefahren zu stellen, einen den vitalen Problemen von Leben und Tod näherbrachte? Wer weiß. Jäger, Siedler, Regierungsbeamter – sie alle verfluchten Afrika, sie alle kehrten dahin zurück. Afrika erzeugt eine der stärksten Bindungen der Welt. Diejenigen, die es verlassen haben, werden meilenweit gehen, um jemanden zu treffen, der gerade von dort zurückgekommen ist, genau aus ihrem Gebiet. Hitze, Staub, Moskitos – banale Kleinigkeiten … im Nachhinein bedeutungslos. Was aber noch lange im Gedächtnis bleibt, ist jenes schwer fassbare Etwas, nach dem alle mehr oder weniger suchen und auf das Afrika, in seltenen Momenten an einsamen Orten, einen einzigartigen, unvergesslichen Blick gewährt.

Wir liefen in den Hafen von Kilindini ein, wo Palmen so grün und üppig an der Küste wehten, dass man meinte, eine Oase vor sich zu sehen, nach fast einem Monat auf See. Das Wasser lag still und blau wie in einer Lagune. Dann brach sich die spiegelgleiche Fläche vor den Kräuseln unserer Bugwelle, unsere Ankunft ließ etwa zwanzig leuchtendbunte Boote ausschwärmen – Kanus, Segelschiffe, einheimische Boote aller Art –, und kurz darauf war der Hafen ein Ort fröhlicher Lebendigkeit. Scharen schreiender, erwartungsvoller Einheimischer säumten den Kai, hier und da bahnte sich ein Inder, den man an seiner westlichen Kleidung und dem Tropenhelm erkannte, den Weg durch das Gedränge, und eine Handvoll Europäer wartete auf Freunde, die sich an Bord befanden. Überstürzt oder langatmig nahm man von Freundschaften Abschied, die im Laufe eines Monats entstanden waren, eilte zur Gangway und traf sich im Zollamt prompt wieder.

Dies erstreckte sich über eine halbe Meile, unter seinem Wellblechdach herrschte sengende Hitze, das Identifizieren und Zusammensuchen des Gepäcks dauerte lange und erforderte die ganze Aufmerksamkeit. Der Zoll auf Kameras und Schallplatten war horrend. Ich bildete mir auf meine Ehrlichkeit in solchen Angelegenheiten etwas ein, leider ein großer Fehler.

Aber selbst die Zollabfertigung kann nicht ewig dauern. Ich rief mir ins Bewusstsein, dass ich auf der geliebten, roten afrikanischen Erde stand und dass die Scharen schreiender, schwitzender Einheimischer in langen, weißen Kanzus oder khakifarbenen Shorts, das Hemd möglichst darüber, alle zum Bild gehörten.

Der Zug Nairobi – Kisumu – Entebbe war genauso voll mit grobkörnigem, rotem Staub und missmutigen, schwarzgekleideten amerikanischen Geistlichen, wie die Tradition es wollte. Vier Jahre hatten aber leider die Gewohnheiten verändert. Er war jetzt so unerhört modern, dass er einen Speisewagen besaß. Der Schaffner strahlte.

»Wir brauchen jetzt sechs Stunden weniger von hier bis nach Nairobi«, informierte er mich stolz. Ich hätte gern die sechs zusätzlichen Stunden in Kauf genommen und wäre, wie in den geruhsamen alten Tagen, zu den Mahlzeiten auf ein Nebengleis hinabgeklettert. Damals saß man mit den Mitreisenden an einem langen Tisch in der Bahnstation und wurde von einem Heer fieberhaft umherschwirrender Inder bedient. Es ging dort viel zu bunt zu, als dass man allzu große Neugier auf das verschwendet hätte, was vor einem auf dem Teller lag, und zwischen den Bissen schaute man sich nach den perlengeschmückten und in Decken gehüllten Afrikanern um, die ihren Kopf zur Tür hereinsteckten. Hinter ihnen zeichneten sich die Konturen der Palmen und flachen Schirmakazien ab, schwarz vor dem hellen tropischen Mond. Zum Nachtisch gab es Papaya, vielleicht eine Grenadille oder einen Zimtapfel, und falls noch Zeit blieb, konnte man draußen mehr davon kaufen, malerisch von einem noch malerischen Einheimischen auf Matten drapiert. Damals hatte es der Zug nie eilig. Er stieß ein oder zwei ungeduldige Pfiffe aus, reine Formsache, worauf die Uneingeweihten ihren Kaffee in qualvoller Hast hinunterstürzten. Aber er wartete immer. Waren dann alle sicher an Bord, setzte er sich nach vielem Pfeifen und Schnauben, begleitet vom entzückten Geschrei der Zuschauer wieder in Bewegung, stieß Dampf aus und hinterließ einen Schweif aus Funken und roter Glut in der silbrigen Nacht.

Das waren die Tage der Romantik – mit einem großen R. Die menschenfressenden Löwen vom Tsavo, die während der Brückenarbeiten am Tsavo River zahlreiche Arbeiter der Kenia-Uganda Eisenbahnlinie getötet hatten, gehörten zur jüngsten Geschichte, und selbst eine einfache Zugfahrt besaß abenteuerliche Aspekte.

Der neue Speisewagen unterschied sich nicht wesentlich von anderen Speisewagen, nur das Essen war vielleicht ein wenig schlechter. Er sparte natürlich Zeit, es hieß aber auch, dass man am nächsten Morgen viel zu früh in Nairobi eintraf.

Bei Sonnenaufgang beobachtete ich Herden von Zebras und Gnus, die über die Athi-Ebene zogen. Ich hätte mir gewünscht, der Zug würde mitten unter ihnen stehenbleiben. Zugleich schaute ich ungeduldig auf die Uhr. Wir näherten uns Nairobi, und ich zitterte vor Aufregung. Ob es sich verändert hatte? Wie bald könnte ich auf Tour gehen? Würde ich einige unserer alten Boys wiederfinden?1 Fragen über Fragen, die mir durch den Kopf gingen. Endlich fuhr der Zug in den Bahnhof ein. Ich ließ das Fenster herunter und streckte den Kopf hinaus, um nach einem Träger zu rufen.

Ehe ich noch recht begriffen hatte, was geschah, drängten sich zwanzig Träger unter dem Fenster und begrüßten mich mit hektischem Geschrei. Ich erkannte Bokari, Jim, Asani, Mwanguno und die meisten der alten Truppe mit ihren hinreißenden, wüsten Gesichtern, die zum Willkommen von einem Ohr bis zum anderen strahlten. Vier Jahre waren vergangen, seit ich mit meinem Vater die Safari durch Kenia, Uganda und den Kongo unternommen und sie dabei zuletzt gesehen hatte. Ich traute meinen Augen kaum. Es war ergreifend, dass sie sich an mich erinnerten – wahrscheinlich hatten sie im Jagddepartment von meiner Rückkehr gehört. Ich war so überwältigt durch dieses Willkommen, mir fiel kein einziges Wort Swahili mehr ein.

Dann stand ich mitten in der aufgeregten Menge, schüttelte reihum Hände und sagte wahllos Hurra! und Jambo!, als plötzlich einer der Adjutanten des Government House auftauchte, sich vorstellte und mir mitteilte – leicht ironisch, wie mir schien –, er sei gekommen, um mich abzuholen. Ich dankte ihm und fühlte mich unversehens wie ein Kind, das man beim Raufen mit den Dorfjungs erwischt hat.

Während die Boys das Gepäck zügig ins Auto luden, versuchte ich ihm zu erklären, dass es sich um unsere alten Träger handelte. War es nicht großartig von ihnen, zum Zug zu kommen? Großartig oder nicht, es ließ ihn kalt, und wahrscheinlich ging ihm durch den Kopf, dass er sich die Mühe hätte sparen können, höchstpersönlich zu diesem schrecklich frühen Zug zu kommen, wenn er geahnt hätte, wie viele Menschen mich abholten. Jedenfalls vergab er mir, und kurze Zeit darauf fuhren wir durch die langen Eukalyptusalleen, Nairobis größte und vielleicht einzige Schönheit. Sie führten aus der Stadt hinaus, vorbei an Bungalows mit breiten Veranden und an noch taufeuchten Gärten im frühen Sonnenschein.

Nach der Hitze auf dem Roten Meer, den engen Quartieren auf dem Schiff, dem groben Staub und der Schwüle während der Zugfahrt erschien mir die kühle, dämmrige Weitläufigkeit des Government House wie ein Traum. Die Mitarbeiter bemerken es vielleicht nicht mehr, sie sind daran gewöhnt, aber ich war nur eine Besucherin, und der Zauber überdauerte den Besuch. Gegenüber dem sengenden Himmel und dem Staubgeruch strahlten die hohen, weißen Säulen mit ihren leuchtend kobaltblauen Schatten eine fast alpine Frische aus, und in einem Land, wo das Gras fast immer braun ist, hatte der weiche, tiefgrüne Rasen im Hof etwas von der verträumten Freude des Omar Chayyam2.

Die Tage vergingen wie im Flug, und das einzige, was mich beunruhigte, war meine Tour. Hier herrschte wieder England. Und da stand ich, auf der Schwelle, zum Aufbruch bereit, und konnte niemanden dazu bringen, mein Vorhaben ernst zu nehmen. Wann immer ich davon sprach, lachten alle gutmütig und schlugen eine Tennispartie oder einen Ausritt auf der Athi-Ebene vor, als sei ich von einer unseligen Idee besessen, die man durch gutes, hartes Training loswerden könne. Außerdem war der oberste Wildhüter auf Safari, was die Dinge am meisten verzögerte. Kaum kam er zurück, stürzte ich zu ihm. Er war ein alter Freund, und ich zählte darauf, dass er mir helfen würde. Ich brauchte seine Genehmigung, um in das südliche Massai-Wildreservat an der Grenze zu Tansania zu gehen. Man hatte mir gesagt, dies sei bei Weitem das beste Gebiet, voller Wild und, ein besonderer Vorteil, ganz unberührt, denn Jagdgesellschaften hatten keinen Zutritt. Die heißbegehrte Genehmigung war aber auch schon Fotografen verweigert worden.

»Und woher weiß ich«, fragte mich der Wildhüter, »dass du nichts in sogenannter Selbstverteidigung schießt? Fotografen sind oft die schlimmsten Sünder.«

Ich versicherte ihm, das würde nicht geschehen. »Außerdem«, setzte ich hinzu, um meiner Aussage Gewicht zu verleihen, »geht es mir vor allem darum, mich mit dem Wild anzufreunden.«

»Was?«, stieß er hervor. »Mit wilden Tieren Freundschaft schließen, sie vielleicht streicheln, was? Unsinn! Solch eine Dummheit werden sie nie erlauben.«

Ich versuchte, die Sache geradezurücken. »Nicht gerade Freundschaft schließen«, beschwichtigte ich. »Es geht um eine Geisteshaltung. Ich will sie nicht schießen, das ist alles.«

Wie alle, die wirklich etwas von wilden Tieren verstehen, sah er bei diesen kindischen Theorien rot. Aber er schrieb mir die Genehmigung, segnete auch die Träger ab, die ich brauchte, und sagte zum Abschied: »Wenn du wirklich gehen willst, komm zum Essen, wir planen deine Route.«

Über alle Maßen beschwingt, stieß ich im Government House als erstes mit dem Privatsekretär zusammen.

»Das will gar nichts heißen«, versicherte er mir mit unverhohlener Lust, »und ich persönlich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um den Gouverneur zu einem Rückzieher zu bewegen.«

»Wenn das so ist, kann ich ja gleich das erste Schiff nach Hause nehmen«, konterte ich fröhlich, doch innerlich niedergeschlagen. Mir wurde langsam klar, dass es nicht so einfach sein würde, eine Handvoll Träger zu sammeln und auf eigene Faust in die Wildnis zu ziehen, wie ich erwartet hatte. Durch besondere Umstände war ich schon einmal allein mitten in Afrika gewesen, und ich wäre nie darauf gekommen, jetzt beim zweiten Mal solchen Schwierigkeiten zu begegnen.

Der Sekretär führte mir klar und deutlich die andere Perspektive vor Augen: Sollte mir etwas zustoßen, dann gäbe das schrecklichen Ärger, und mit Sicherheit würden all die falschen Leute zur Rechenschaft gezogen.

Hier wurde die Debatte abgebrochen, Zeit, sich zum Essen umzuziehen. Nachdenklich ging ich hinauf, und das erste, worauf mein Blick fiel, war die Barrikade aus feinsäuberlich geschichteten Proviantkisten, Tornistern, Kameras und Gepäckstücken, die eindrucksvoll wie die Chinesische Mauer quer durch mein Zimmer verlief. Tagtäglich war ich durch die Stadt und den indischen Basar gezogen, hatte Vorräte und Windlichter, Seile, Messer, Wasserflaschen, Töpfe, Pfannen und all die aufregenden, für eine Safari unabdinglichen Requisiten besorgt, und jetzt war alles da, bis hin zum kleinsten Detail. Der Startschuss könnte in diesem Moment fallen, der Ausrüstung blieb nichts hinzuzufügen.

Als der Essensgong ertönte, hatte ich meinen Schlachtplan entworfen. Ich würde an diesem Abend alles auf eine Karte setzen. Man muss den Stier bei den Hörnern packen, dachte ich, und brachte mich geistig für das riskante Unternehmen in Stellung. Alles, selbst ein klares, eindeutiges Nein, schien mir besser als diese unerträgliche Ungewissheit. Ich fühlte, dass meine einzige Chance darin bestand, direkt mit dem Gouverneur zu sprechen, ehe mein selbsternannter Gegenspieler mir zuvorkam.

Am späteren Abend ergab sich eine hervorragende Gelegenheit, die ich beim Schopf ergriff. Alles hing von den nächsten fünf Minuten ab, es war extrem wichtig. Meine Kehle wurde vor Aufregung trocken, in meinem Kopf herrschte plötzliche Leere. Als ich den Sprung wagte, war mein Lampenfieber jedoch wie weggeblasen. Ich stand der Sache fast unpersönlich gegenüber, als handele es sich um das Schicksal irgendeines anderen und nicht um mein eigenes, das gerade auf dem Spiel stand. Ich achtete darauf, keine Bitte zu äußern und sagte nur, wie leid es mir tue, solche Umstände bereitet zu haben und dass ich natürlich bereit sei, mein Vorhaben sofort aufzugeben und ohne großes Aufheben nach Europa zurückzukehren.

Seine Exzellenz meinte, das wäre doch sehr schade und setzte wohlwollend hinzu, es könne sicherlich etwas arrangiert werden. Ob ich nicht einen weißen Jäger mitnehmen oder mich einer anderen Expedition anschließen wollte? Nein? Nun, alles nicht so gravierend, ich solle mir keine Sorgen machen.

Ich strahlte vor Dankbarkeit. Um sicherzugehen, dass dem Privatsekretär neue Anzeichen von Euphorie verborgen blieben, zog ich mich früh auf mein Zimmer zurück. Jim, mein persönlicher Boy, breitete gerade das Moskitonetz aus, als ich die Tür öffnete, und beim Hinausgehen hielt er kurz inne, um vielleicht zum fünfzehnten Mal die heikle und gefürchtete Frage zu stellen: »Wann gehen wir auf Safari, Memsahib?«

Diesmal sah ich seiner Frage gelassen entgegen, denn ich konnte annähernd wahrheitsgemäß erwidern: »Wahrscheinlich übermorgen!«

Unerklärlicherweise war der Kampf nach jenem Abend gewonnen. Jeder, der zuvor Sand ins Getriebe gestreut hatte, zeigte sich plötzlich hilfsbereit, selbst der Privatsekretär war alles in allem bemerkenswert liebenswürdig. Ich fragte ihn später, warum er meinen Aufbruch verhindern wollte.

»Teilweise aus Neid«, erwiderte er unbefangen. »Weißt du, ich hätte alles darum gegeben, so eine Möglichkeit zu haben.«

Kein anderer hätte jedoch großherzigere Wiedergutmachung leisten können, und die besten Freundschaften beginnen oft unerwartet und alles andere als vielversprechend. Er dachte nicht nur daran, mir Bücherpakete zu schicken, mitten in der dürstenden Wüste trafen auch überraschend Proviantkörbe ein, aus denen wie durch ein Wunder frisches Obst und Gemüse, Butter und Eier zum Vorschein kamen.

Jetzt, da die Hauptsache geklärt war, musste ich mich nur noch für die Route entscheiden. Ich rief den Wildhüter an und fragte, ob die Einladung zum Essen noch gelte. »Komm sofort ins Büro«, lautete seine Antwort. »Denys ist gerade hier, keiner kennt sich im Grenzland von Tansania besser aus als er.«

Ich legte den Hörer auf, sprang ins Auto – wie die Filmdetektive sind Besucher hier immer privilegiert, was Fahrzeuge betrifft – und fuhr zum Jagddepartment.

Oft ist das Beste an der Reise, sie auf dem Papier zu entwerfen und sich über Landkarten zu beugen. Als ich eintraf, lagen die Karten schon über den Schreibtisch gebreitet, und beide Männer waren gänzlich in sie vertieft. Zwar würde ich es sein, die diese Pläne in die Tat umsetzte, aber sie hatten zumindest ihren Spaß daran, sich alles auszudenken. Zeit war kein Thema. Das gab ihnen einen ungewöhnlichen Spielraum. Die meisten Jagdgesellschaften wollten in allerkürzester Zeit so viele Meilen zurücklegen wie nur menschenmöglich. Es war Mitte Juni, der Regen würde nicht ernsthaft vor November einsetzen. Sie hatten also fünf ganze Monate, die sie nach Lust und Laune verplanen konnten – eine große Herausforderung. Kaum einer kann es sich leisten, fünf Monate lang in der Wildnis zu sitzen und darauf zu warten, dass irgendetwas passiert. Und doch ist bei jeder Form von Naturstudie – und besonders bei der Fotografie – Zeit das einzig unverzichtbare Element.

Der Wildhüter war der Meinung, ich müsse unbedingt mit einem mindestens dreiwöchigen Aufenthalt in Selengai beginnen, einem dreißig Meilen von Kiu entfernt gelegenen Wasserloch, auf halbem Weg nach Mombasa. Er machte mir gleich eine Skizze. Denys unterbrach ihn: »Was ist mit Magadi? Das kann sie nicht auslassen. Nicht so viel Wild, aber den Natronsee muss man gesehen haben, unbeschreiblich, die Farbeffekte.« Sie kamen überein, Selengai und Magadi zu kombinieren und fuhren in einem abenteuerlichen Zickzack die Karte entlang.

Ich erinnerte sie so taktvoll wie möglich daran, dass Zeit zwar keine Rolle spielte, Geld unglücklicherweise doch. Da die Massai noch nie Lasten getragen haben und es vermutlich auch nie tun werden, war ich für die Transporte auf einen indischen Lastwagen angewiesen, neben den Imperial Airways wohl die kostspieligste Art zu reisen, die man sich vorstellen kann. Sie wischten das Argument beiseite, zu unbedeutend, um darüber zu reden, und nahmen mich an die Kandare.

»Also, nach Magadi«, hieß es, »sieh mal, hier ist es, nur dreißig Meilen westlich von Kajiado, von dort sind es nur sechzig Meilen bis Selengai, von Selengai gerade mal dreißig bis Kiu – also, nach Magadi wieder zurück nach Südosten – ein weiteres Zick, wie ich bemerkte – zum Ol Doinyo Orok, dem Schwarzen Berg, so nennen ihn die Massai. Da solltest du Elefanten finden, am besten, du kampierst ein paar Wochen in der Gegend. Dann quer hinüber nach Amboseli – ein trockener Salzsee, das Wild liebt ihn –, über El Kinunet nach Loitokitok, direkt an den Hängen des Kilimandscharo. Von dort aus kommst du gut in die Gegend um Rombo und zum Quellgebiet des Tsavo. Aber es gibt keine Straße, da brauchst du Träger. Das können wir regeln, wenn es soweit ist. Am Tsavo entlang nach Süden – großartiges Wildreservat, noch immer voller Löwen – bis zum Lake Chala, ein ungewöhnlicher Ort: Die Einheimischen schwören, dass in diesem Kratersee ein Ungeheuer haust, am Ufer soll es auch einen Baum geben, aus dem Wasser rinnt. Übrigens einer der schönsten Plätze des ganzen Landes, um Vögel zu beobachten. Wenn du genug hast, kannst du nach Taveta marschieren, von dort aus nimmst du den Zug nach Nairobi.«

Ich verübelte ihnen dieses zahme Ende.

»Wenn ich schon bis zum Kilimandscharo komme«, meldete ich mich das erste Mal zu Wort, »werde ich mich bemühen, auf den Gipfel zu klettern, bevor ich mir eine Fahrkarte kaufe.«

Bis zum heutigen Tag, das muss ich gleich gestehen, ist Lake Chala für mich nichts als ein geheimnisvoller Name, den Natronsee von Magadi mit seinen prismatischen Farbschimmern kenne ich nur vom Hörensagen, ich habe den Kilimandscharo nicht bestiegen, ich bin nicht einmal bis zu seinen Ausläufern gelangt. Stattdessen geschahen andere Dinge.

Schließlich kam der große Tag. Der Gouverneur musste für einige Zeit nach Mombasa, und seine Mitarbeiter fuhren mit dem Zug voraus, um Vorbereitungen zu treffen. Ich begleitete sie bis nach Kiu, eine schöne Reise, und war fast traurig, als ich mich von ihnen verabschiedete, selbst vom Privatsekretär, der mir im letzten Moment ein Exemplar von Kinglakes Eothen3 in die Hand drückte und meinen Dank so unwirsch wie immer zurückwies. Als ich in Kiu ausstieg, war das Abendrot vom Himmel verschwunden, und über die weiten, sanften Ebenen brach die Nacht herein. Meine Ausrüstung wurde ausgeladen und auf dem Bahnsteig abgestellt, und die sechs Boys standen zitternd daneben im Wind, der unaufhörlich über alle afrikanischen Gleise weht. Der indische Stationsvorsteher kam auf uns zu und schwenkte eine Sturmlaterne. Meine Freunde schärften ihm ein, sich um mich zu kümmern, und der Zug setzte sich langsam wieder in Bewegung. Sie winkten zum Abschied, und ihre letzten Worte waren, wie sollte es anders sein: »Pass auf dich auf und streichele nicht zu viele Löwen und Elefanten!« Und schon wurde der Zug mit seinen Lichtern und seinem freundlichen Getöse von der Dunkelheit verschluckt.

Kiu verwandelte sich sofort in eine schwarze Wüste, dem Heulen des Windes, der heimischen Hunde und der hellbraunen Sprösslinge des Stationsvorstehers preisgegeben. Ich schlug mein Nachtlager im Warteraum auf. Er war zugig und düster, der Boden knarzte, und das einzige Fenster ging zum Hinterhof des Stationsvorstehers. Einheimische schrien heiser und unnötigerweise, wie mir schien, über die Gleise hinweg, Jim begann bedrückt mit dem Auspacken, und selbst den Koch deprimierte die Lage, umso mehr als ich die Schlüssel zu sämtlichen Proviantkisten verlegt hatte. Was mich betrifft, ich war endlich frei und um mit Robert Louis Stevensons Vagabunden zu sprechen:

Mit dem heiteren Himmel über mir

Und der Straße vor Augen.

Aber es ließ sich nicht leugnen: Mein Hochgefühl war zerplatzt wie eine Seifenblase. Von allen Orten eignete sich Kiu am allerwenigsten für die Eröffnungsszene eines großen Abenteuers. Wie hatte ich mich gesehnt, hatte geplant, die Stunden gezählt, und jetzt, wo ich gestartet war, überkam mich das Heimweh, und ich fühlte mich, so absurd das auch klingen mag, jämmerlich allein. Vielleicht hatten sie ja doch alle Recht, und es war wirklich nichts als eine fixe Idee.