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Nach einer traumatischen Begegnung mit der Stuttgarter Unterwelt, will Sven raus aus seinem alten Leben. Beinahe wäre seine Frau Marcella gestorben, weil sie einem Immobilienbetrug im Wege stand. Dana, die Nanny von De Lucas Kindern, drängt ihn zum Verkauf der angeschlagenen Seniorenresidenz Marven und Neustart am Bodensee. Er träumt bereits vom Leben am See und begeistert seine Kinder dafür. Die endgültige Entscheidung möchte er jedoch nicht ohne Marcella treffen. Noch liegt seine Frau im Koma, weshalb er Dana lediglich mit der Anmietung eines Ferienhauses auf der Höri beauftragt. Vor dem Umzug an den See erwacht Marcella, kämpft sich zurück ins Leben und ist auf Dana eifersüchtig. Sie will zurück nach Stuttgart. Inzwischen steht die Marven jedoch vor dem Bankrott, weshalb ihr Mann verkaufen muss. Marcellas Frustration wächst von Tag zu Tag. Vom angeblich idyllischen Landleben und der fürsorglichen Dana hat sie die Nase voll. Die Stimmung im Haus kippt vollends, nachdem neue Beweise gegen Dana auftauchen, die angeblich Marcella mit einem Pflanzengift aus der Welt schaffen wollte. Dennis Richter, der tatsächlich wegen Mordversuch an Marcella im Gefängnis sitzt, beantragt das Verfahren neu aufzurollen. Sven reagiert bestürzt, Marcella verunsichert. Beide sind ahnungslos, im Gegensatz zu Anton, Privatermittler und Svens bester Freund. Ohne Sven zu informieren, versteckt er Dana auf Sizilien. Bei Santino, einem dubiosen Geschäftsmann, der in den Immobilienbetrug um die Marven verwickelt war. Spielen Anton und Dana ein falsches Spiel?
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Seitenzahl: 390
Veröffentlichungsjahr: 2025
© 2025 Isabella Anders
Herausgeberin: Jasmin Süßmann
Lektorat: Christian Deuling
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Druck und Distribution im Auftrag der Autorin durch:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland
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oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Das letzte Kapitel …
Fortsetzung folgt
Weitere Serienteile
Über den Autor
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Kapitel 1
Über den Autor
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Kapitel 1
Marcella De Luca konnte keine Nacht durchschlafen, seitdem sie im Januar die Kliniken Schmieder am Bodensee verlassen hatte und auf die Höri, zu ihrem Ehemann, in ein angemietetes Haus eingezogen war. Sie habe sich lange genug ausgeruht, versuchte er sie scherzhaft zu trösten. Sven spielte auf ihre drei Monate im Koma an, in der niemand wusste, ob sie ins Leben zurückkehren würde. Er war in dieser Zeit täglich bei ihr und hatte, um in ihrer Nähe zu sein, kurzerhand ein Ferienhaus in Moos angemietet. Nachdem sie aufgewacht war, hatte er davon geschwärmt, wie schön es werden würde, wäre sie endlich wieder zu Hause. Bei ihm, den Kindern und Dana. Sven meinte damit nicht Stuttgart, wo sie bisher mit ihrer Familie zu Hause waren und gemeinsam die Marven GmbH gegründet hatten, sondern das angebliche Paradies auf der Halbinsel Höri. Ihr Mann beschrieb das Häuschen am Wasser in den schönsten Farben. Ein Ort, an dem sie angeblich zur Ruhe komme.
Sie hatte nichts dazu gesagt. Ihr war egal, wie schnuckelig das möblierte Haus am See aussehen sollte. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits, ohne sie zu fragen, das niedliche Häuschen am See, wie er sich ausdrückte, mit den blauen Fensterläden und dem heimeligen Rieddach, mit den Kindern und der Nanny längst bezogen. Wobei sie der Alleingang weniger gestört hätte, wäre Dana nicht die treibende Kraft gewesen. Marcella sorgte sich, wie sie mit der Frau unter einem Dach wohnen sollte, der sie nicht mehr vertrauen konnte. Dana Veselá, die Nanny ihrer Kinder, die sich inzwischen auch um den Haushalt und Sven kümmerte. Wie sollte sie in dieser Situation zur Ruhe kommen?
Die 35-jährige Blondine schien nur ein Ziel zu haben: Sven. Die beiden mochten sich, vermutlich mehr als das. Marcella fühlte und sah es inzwischen jeden Tag, wie gut ihr Mann und die Angestellte miteinander harmonierten. Kein Wunder, die beiden waren ein eingespieltes Team und wohnten seit Oktober des letzten Jahres gemeinsam mit ihren Kindern, Mia und Linus, unter einem Dach. Sein neues Leben am See schien er zu genießen. Vor Weihnachten erwachte sie aus dem Koma. Ihr Mann erzählte ihr nach und nach, was zwischenzeitlich passiert war. Dennis Richter, ihr ehemaliger Arztkollege, hatte sie mutmaßlich mit dem Blauen Eisenhut vergiftet. Nur mit Glück überlebte sie.
Die Ermittlungen hatten ergeben, dass der im Indizienprozess verurteilte Richter, sie aus Rache und Habgier für einige Tage ruhig stellen wollte. Richters Motiv war eindeutig. Eigentlich musste sie der Nanny dankbar sein, schoss es ihr durch den Kopf, weil erst durch Danas unkonventionelle Detektivarbeit, der Fall gelöst wurde (Roman Wovon träumst du? tredition.com). Der Verurteilte wollte sie und ihren Mann vorübergehend aus dem Verkehr ziehen, um zwischenzeitlich die Arztpraxis in Stuttgart, die, wie die Seniorenresidenz zur Marven GmbH gehörte, aufzukaufen. Von einem der anderen Anteilseigner, den er zuvor mit Gerüchten und falschen Unterlagen zum Verkauf genötigt hatte. Richter wusste, nachdem was zwischen ihm und Marcella vorgefallen war, er auf legalem Weg niemals Anteile des Unternehmens hätte erwerben können. Er dachte vermutlich, so überheblich wie er war, die perfekte Dosierung des giftigen Wirkstoffs als Arzt berechnen zu können. Als ob jemand voraussehen konnte, wie viel sie von dem Orangensaft trinken würde, den ihr die Nanny jeden Tag frisch gepresst hatte. Marcellas Blutdruck stieg, wenn sie nur daran dachte. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Dennis Richter Gift in Danas mitgebrachtem Saft untergemischt hatte. Richters inkompetente Selbstüberschätzung löste indes Atemlähmung und Herzstillstand bei ihr aus. Sie fiel ins Koma, an dessen Folgen sie immer noch zu knabbern hatte. Die Staatsanwaltschaft wertete Richters Vorgehen als Heimtücke, was ihm eine Verurteilung wegen versuchten Mordes einbrachte. Er wollte sie mit der Tat nicht nur bereichern, sondern sich zudem an ihr rächen. Ein zuvor mit der Marven GmbH abgeschlossener Arbeitsvertrag war in der Probezeit von ihrem Mann gekündigt worden, nachdem Richter sich in vertrauliche Angelegenheiten eingemischt und sie zudem in abstoßender Weise bedrängt hatte.
Ein widerlicher Typ. Marcella schüttelte es, während sie sich erinnerte. Als er eingestellt wurde, herrschte Personalnot in der Marven. Sie musste fast jeden Bewerber nehmen, ob sympathisch oder nicht. Die Parkresidenz in Stuttgart, mit einer gutgehenden Hausarztpraxis, war Svens und ihr großer Traum gewesen. Bis zu dem Moment, als der Traum zerschellte, wie die Wellen am Kiesstrand, den sie tagsüber vom Fenster ihres Schlafzimmers aus sehen konnte. Bitterkeit stieg in ihr auf. Plötzlich war alles anders. Sie musste sich mühsam ins Leben zurückkämpfen. Selbst das Atmen und Schlucken fiel ihr aufgrund des Muskelschwunds schwer. Sie konnte nicht laufen oder sich anziehen. Diese Hilflosigkeit machte sie wütend. Und nicht nur das. Inzwischen war es Abend geworden und sie hörte, wie Gläser aus dem Küchenregal gezogen wurden. Sie erinnerte sich an früher, als sie die Abende mit Sven verbrachte und nicht Zaungast war. Nun musste sie hören, wie Stühle rückten und er offenbar mit ihr beisammen saß. Müde und von bitteren Gefühlen überwältig, sank sie zurück in ihre Kissen.
Kapitel 2
Im unteren Stock des putzigen Häuschens saßen Dana und Sven bei ihrem abendlichen Glas Wein und besprachen sich leise, um Marcella nicht zu stören, die abends frühzeitig ins Schlafzimmer im ersten Obergeschoss gebracht werden wollte. Das in den 70er Jahren gebaute Ferienhaus war hellhörig. Wenn die Kinder herumtobten, die ihr Zimmer neben Danas Gästezimmer und dem elterlichen Schlafzimmer hatten, dröhnte es durchs ganze Haus. Weshalb die fürsorgliche Nanny darauf achtete, die Kinder möglichst oft im Garten spielen zu lassen, um der noch angeschlagenen Mama die nötige Ruhe zu verschaffen. Auch deshalb, weil Dana überzeugt war, dass die angenehme Bodenseeluft den Kindern besonders gut tat. Hier in Moos roch es, aus Danas Sicht, angenehm würzig nach Algen und frischem Fisch, was sie mit Urlaub und Glücksgefühlen gleichsetzte.
Sven mochte den Geruch offenbar ebenso, weshalb er Dana fragte, ob sie Lust auf einen Abendspaziergang hätte, und setzte ironisch hinzu, er selbst wäre heute kaum an der frischen Luft gewesen. Sie kicherte, nickte zustimmend und schlich sich leise auf Zehenspitzen, was auf der alten, knarrenden Holztreppe unmöglich war, ins obere Stockwerk und schaute nach den Kindern und Marcella. Alle drei schienen zu schlafen. Sie schloss beruhigt die Türen, ging in ihr Zimmer, zog sich um und nahm zwei gestrickte Wollschals aus dem Regal. Nach wenigen Minuten war sie wieder im Erdgeschoss, zwinkerte ihm verschwörerisch zu, und nahm ihren Mantel vom Haken. Er hatte sich bereits seinen Anorak angezogen und sein Smartphone in die Hosentasche gesteckt, über welches ihn seine Frau und die Kinder im Notfall anrufen konnten. Dana hatte den Kindern für diese Fälle ein Notruftelefon besorgt, auf dessen zwei Tasten Svens und ihre Nummer hinterlegt war.
»Ich hätte heute nicht damit gerechnet, dass du noch Bedarf an Frischluft hast«, flüsterte Dana ihm belustigt ins Ohr, während sie ihm den mitgebrachten Schal um den Hals band und ihn fürsorglich enger zog.
»Ein anderes Thema«, wehrte Sven leise ab, nachdem sie noch vor dem Haus unterhalb des Schlafzimmers standen. Er lockerte den Schal und sie liefen Richtung Hafen. »Erzähle besser von dir. Was hast du heute erlebt?«
»Nicht viel. Heute war wieder dicke Luft«, beschrieb sie die Stimmung, nachdem sie weit genug weg vom Haus waren. Das Ferienhaus, welches Dana sofort gefallen hatte, stand in unmittelbarer Nähe zum beschaulichen Hafen des Ortes. Sie liefen den Strandweg Richtung Stein am Rhein, genossen den sauerstoffreichen Wind, der am Abend besonders würzig roch und ihnen frisch ins Gesicht blies.
»Was war?«, fragte er, der mal wieder nichts mitbekommen hatte, weil er bis zum späten Abend für seinen neuen Arbeitgeber, Alexander Ruef, unterwegs gewesen war.
»Ich hatte die Kinder am Nachmittag zum Spielen in den Garten geschickt und Marcella kanzelte mich ab, weil ich die Kleinen bei Nieselregen und den kühlen Temperaturen im Sandkasten spielen ließ.«
»Weiß sie nicht, wie warm du die Kinder anziehst? Was heißt die Kinder, mich ebenfalls«, gab er grinsend Antwort.
»Sie hatten ihre wattierten, wasserdichten Spielhosen an, Handschuhe und ihre warmen Mützen auf. Marcella hatte jedoch nichts gelten lassen. Sie lamentierte so lange, bis ich die Kinder wieder ins Warme beorderte, was mir mit langen Gesichtern belohnt wurde und in ein nicht enden wollendes Gezeter mündete.«
»Ich verstehe die beiden. Mit matschigem Sand Burgen zu bauen ist schön. Besonders Linus kann kein Wetter verschrecken. Es tut mir wirklich leid«, zeigte er Verständnis. »Marcella ist im Moment zu allen ungerecht. Auch zu sich. Wie baust du mich in solchen Situationen auf?«, fragte er sie und führte eine auffordernde Handbewegung aus.
»Es ist bald vorbei«, wiederholte sie gedehnt ihren eigenen Spruch und verdrehte dabei ihre blauen Augen.
»So sagst du es mir immer. Wir müssen Geduld mit ihr haben«, bestätigte er sie tröstend. »Sie wird bald wieder genauso lieb und nett wie früher sein. Wenn ich mir vorstelle, dass sie fast nicht schlafen kann, Medikamente nehmen muss, die kaum helfen und ihr zudem auf den Magen schlagen, und das alles nur Richters hinterlistiger Racheaktion zu verdanken ist, dann verstehe ich sie.«
»Ich doch auch. Ich wollte mich nicht beschweren, sondern nur eine Runde jammern, bevor du dran bist«, sagte sie versöhnlich und zwinkerte ihm erneut zu. » Dich kann wohl auch kein Wetter erschrecken. Stimmts? Erzähle es mir« Sie blieb stehen, strich ihm die vom Wind zerzausten Haare aus dem Gesicht und kicherte ausgelassen, nachdem sein Schmunzeln immer breiter wurde. »Wie der Sohnemann. Ständig auf Abenteuer aus. Ich kann dir nicht versprechen, ob ich die grünen und braunen Flecken aus deiner Jeans und deiner Jacke herausbekomme. Ich habe alles eingeweicht, während du dich geduscht hast. Diesmal ist der Schmutz jedoch besonders hartnäckig.«
»Danke, du bist die Beste. Schlimmer sind die klebrigen Flecken, die ich im Auto hinterlassen habe. Setze dich nicht aufs Leder, bevor ich es nicht gereinigt habe«, warnte er sie.
»Keine Sorge. Du weißt, ich nehme fast immer Marcellas VW-Bus. Ist mit den Kindern bequemer. Außer du parkst mich wieder zu, wie heute.« Dana erinnerte sich kopfschüttelnd an Svens Heimkehr am Abend, bei dem er es mit seinem Sportwagen nicht bis in die Garage geschafft, sondern ihn quer vor der Doppelgarage abgestellt hatte und verfroren, verdreckt in die warme Küche gelaufen war. Er begründete seinen Zustand mit Alexanders Auftrag und seinen Behelfsparkplatz damit, dass er weder Marcella noch die Kinder mit dem quietschenden Garagentor aufwecken wollte. »Ich dachte du bist erwachsen und kletterst nicht mehr auf Bäume, schon gar nicht in der Dunkelheit …«
»Hör mir bloß auf«, er stimmte in ihr Lachen ein, »Alex rief mich vorhin an und erzählte mir von einem neuen Auftrag. Morgen werde ich ihm …«
»Du wirst ihm morgen etwas erzählen. Habe ich recht?«, vervollständigte sie vergnügt seinen Satz und knuffte ihn liebevoll in die Seite. »Aber in Wahrheit freust du dich auf seine seltsamen Aufträge, bei denen du deinen kindlichen Spieltrieb ausleben darfst.«
»Ein bisschen«, gab er es grinsend zu. »Kann ich vor dir überhaupt nichts verbergen?«
»Ich kenne dich besser als du denkst«, bestätigte sie es vergnügt und hakte sich bei ihm unter. »Und, ich verstehe dich. Nur nicht, weshalb du die Scharniere des Garagentors nicht ölst. Wenn du den Wagen draußen stehen lässt, musst du morgen die Scheiben freikratzen, mit dem Bus nach Radolfzell fahren oder womöglich zu Alex laufen. Zudem freut sich dein Sohn, wenn du mit ihm etwas reparierst.«
»Das sind alles gute Argumente. Ich werde es morgen mit meinem Linus erledigen. Der liebt alles, was sich dreht, Geräusche macht und schmutzig ist.«
»Das hat er wohl von dir. Denke bitte mit daran, ihm den alten Anorak anzuziehen, sonst schimpft seine Mama«, erinnerte sie ihn. Er nickte ihr zu. »Bin ich froh, wie gut wir beide uns verstehen. Das macht alles so einfach.«
Kapitel 3
Marcella hatte gehört, wie die Haustür leise ins Schloss gezogen worden war und die Schritte auf der asphaltierten Straße. Sie war eingeschlummert, hatte trotz der sedierenden Medikamente einen leichten Schlaf. Zudem waren die alten Holzfenster verzogen, weshalb sie auch alles gut hören konnte, was sich vor dem Haus abspielte. Musste ihr Mann für Alex einen weiteren Auftrag erledigen? Er hatte nichts erwähnt. Sie schaute auf die Uhr: 22 Uhr. Vor zwei Stunden kam er durchgefroren nach Hause. Viel zu spät, um Mia und Linus eine Geschichte vorzulesen. Das musste erneut die Nanny übernehmen, ärgerte sie sich. Auch über sich, weil sie selbst zu erschöpft zum Vorlesen war. Ihr Mann hatte sich geduscht, umgezogen und ihr erzählt, wie kalt es draußen war und wie wenig erfolgreich sein Job gelaufen sei. Vermutlich musste er deshalb nochmals raus? Sven und sie hatten in den letzten Jahren kein Glück mehr. Weder privat noch bezogen auf ihre Firma.
Der anhaltende Krieg in Europa, die Inflation und weitere Faktoren hatten ihr Baby, die Stuttgarter Parkresidenz Marven GmbH, wie ihr Unternehmen offiziell hieß, inzwischen in finanzielle Schieflage gebracht. Der Name setzte sich aus den Vornamen von Marcella und Sven zusammen. Diese Anlage, die sie mit Investoren auf dem ehemaligen Firmengelände ihrer Eltern aufgebaut hatten, war ihr Traum, der jedoch nicht lange währte. Die Probleme begannen bereits 2020. Corona brachte die gesamten Abläufe in der Wohnanlage für Senioren und der angeschlossenen Arztpraxis durcheinander, in der Marcella bis vor Richters Anschlag auf sie, leitende Ärztin und Sven Geschäftsführer war. Die verstärkten Hygieneauflagen, der Stopp aller Ausflüge, die aufgebrachten Angehörigen, die ihre Liebsten nicht mehr besuchen durften, und der zusätzliche Verwaltungsaufwand kostete Zeit und Geld. Zudem fielen Mitarbeiter aufgrund der grippeähnlichen Krankheitssymptome aus oder kündigten, weil sie Sorge vor Ansteckung hatten. Personal war Mangelware. Dennis Richter, ein überheblicher Arzt, hatte sich beworben und sofort durchscheinen lassen, dass er sich am liebsten in die Gemeinschaftspraxis einkaufen möchte. Das hatte der stille Teilhaber, dem die Arztpraxis damals gehörte, abgelehnt. Unabhängig davon stellte ihr Mann ihn ein, was sie wenige Wochen später bereute. Richter hatte einen vertraulichen, an sie adressierten Arztbrief geöffnet, in dem ein Facharzt ihre Medikamentabhängigkeit diagnostiziert hatte.
Vor Marcellas Augen lief erneut alles wie ein Film ab. Verbitterung stieg in ihr auf. Weshalb hatte Dennis Richter ihr Leben verpfuscht? Es begann harmlos. Der neue Arztkollege spielte, nachdem er den Brief gelesen hatte, den Moralapostel und forderte sie auf, sich selbst bei der Ärztekammer anzuzeigen. Als sie darauf nicht reagierte, wollte er für sein Schweigen Zärtlichkeiten mit ihr austauschen. Nachdem sie dies empört abgelehnt hatte, begann er negativ über sie und die Marven zu sprechen. Sven hatte ihm daraufhin gekündigt und ihm ein miserables Arbeitszeugnis versprochen, welches vom Personalchef auf freundliche, jedoch unmissverständliche und unanfechtbare Art, formuliert worden war. Richter tobte und kündigte Rache an. Ihr Mann und sie würden für alles bezahlen. Er würde das Unternehmen Marven ruinieren, hatte er ihnen versprochen.
Sven und sie rechneten damals mit der einen oder anderen Racheaktion. Allerdings nicht damit, dass er hinterlistig Anteile der Marven erwerben und für diesen Zweck ihren Mann und sie selbst außer Gefecht setzen würde. Sein Plan ging zunächst auf. Zunächst den Ruf des Unternehmens zu schädigen, bis ein Anteilseigner zum guten Preis an ihn verkaufen würde. Um Marcella von ihrem Vorkaufsrecht abzuhalten, hatte er sich zuvor im Sanatorium Hermann-Albrecht-Klinik in Radolfzell als Arzt beworben. Er wusste von ihrem geplanten Kuraufenthalt, bei dem sie von ihrer Medikamentenabhängigkeit entgiftet werden sollte. Richter wollte sie vorübergehend in einen hilflosen Zustand bringen. Offenbar war er auch indirekt daran beteiligt, dass ihr Mann entführt worden war, der ebenfalls ein Vorkaufsrecht auf die von ihm begehrten Marven-Anteile hatte. (Roman Bist du die Eine? Gmeiner Verlag und die Fortsetzung Wovon träumst du? tredition.com)
Richters toxisches Hilfsmittel war dramatisch aus dem Ruder gelaufen. Er hatte ihr den Blauen Eisenhut in einen von Danas mitgebrachten Orangensaft gemischt. Die erste, nach Richters Berechnung, harmlose Dosis, die nur einen Kreislaufkollaps und eine Überweisung in das Hegau-Bodensee-Klinikum der Nachbarstadt ausgelöst hatte, war nur der Anfang. Nachdem es ihr wieder besser gegangen war und sie erneut von dem präparierten Saft getrunken hatte, reagierte ihr geschwächter Körper stärker als berechnet. Marcella hatte diesmal das Gift sofort bemerkt, zuerst an den Lippen, danach fühlte sich ihre Speiseröhre betäubt an, bevor sie mit der Atmung Probleme bekam.
Marcellas Blutdruck stieg, wenn sie daran dachte, wie sie aufgrund Richters heimtückischer Aktion einen herben Rückschlag erlitten hatte. Beruflich sowie privat. Sven und sie waren zuvor auf einem guten Weg gewesen. Sie hatte ihrem Ehemann seinen Seitensprung mit Dana verziehen, er verstand, weshalb sie ihn und die Familie vernachlässigt hatte und honorierte ihre Bemühung gesund zu werden. Ihrem Mann war klar geworden, wie sehr sie ihn liebte. Immer. Sie es nur nicht mehr zeigen konnte. Vor lauter Stress und den dämlichen Medikamenten, von denen sie abhängig geworden war und die zu stark in ihren Stoffwechsel und damit in ihre Psyche und ihr Verhalten eingegriffen hatten. Es hätte fast wieder sein können wie früher, wenn dieser Richter nicht vor ein paar Wochen ihr Leben ruiniert hätte.
Wenn sie ihre Augen schloss, konnte sie es noch förmlich spüren, wie sich ihre Lippen taub anfühlten, nachdem sie zum zweiten Mal mit dem Blauen Eisenhut in Berührung gekommen war. Wie sich das Gift, nach dem ersten Schluck Orangensaft, ungebremst in ihrem Körper ausbreitete. In einer beängstigenden Schnelligkeit. Sie fühlte die heiße Welle, die ihr die Kehle zuschnürte. Keinen Laut bekam sie über ihre Lippen, dann kollabierte sie, was eine zufällig anwesende Pflegekraft glücklicherweise mitbekam. Ihre Atmung war gelähmt, ihr Herz setzte aus. Sie wurde reanimierte, sofort auf die Intensivstation des Hegau-Bodensee-Klinikums in Singen verlegt und künstlich beatmet. Danach versank sie ins Koma. Die Bilder liefen vor ihrem geistigen Auge schemenhaft ab. Als ob sie bewusst dabei gewesen wäre, während Sven apathisch an ihrem Bett saß. Sie sah auch, auf welche Weise sich Dana für ihren Mann und die Kinder unentbehrlich gemacht hatte und es immer noch tat. Auf eine erschreckend fürsorgliche Weise, die sie offiziell nicht kritisieren konnte. Emilia, ihre Mutter, war die Einzige, die sie zumindest teilweise verstand. Emilia ahnte ebenso wie sie, was Dana in Wahrheit wollte.
Marcella hörte erneut die Haustür und anschließend die schnellen Schritte ihres Mannes, der nach oben lief und ins Badezimmer ging. Er war demnach nur für ein paar Minuten spazieren gewesen, überlegte sie und schaute zur Uhr, die bereits 22.43 Uhr zeigte. Hatte sie sich so lange mit diesem Richter beschäftigt, den sie für alle Ewigkeiten aus ihrem Hirn verbannen wollte? Oder war sie eingeschlafen und hatte womöglich von ihm geträumt? Unnötig. Sie ärgerte sich erneut. Völlig unnötig, auch nur eine einzige Sekunde an diesen Dreckskerl zu verschwenden. Sie musste alles hinter sich lassen. Er saß im Gefängnis in StuttgartStammheim ein und würde ihr nie wieder zu nahe kommen.
Trübsinnig schaute sie in die Nacht. Im Schein der Hafenbeleuchtung erkannte sie Segelschiffe. Auf der gegenüberliegenden Seite des Untersees, wie dieser Teil des Bodensees genannt wurde, konnte sie die beleuchtete Altstadt von Radolfzell ausmachen. Links vom Bahnhof übernachteten ihre Mutter und Anton in Saras Hotel Seeblick. Es waren drei, maximal vier Kilometer Luftlinie und doch so unerreichbar für sie. Ohne fremde Hilfe kam sie noch nicht mal in den Bus hinein. Wehmütig lauschte sie den Wellen, die sie sich, an den stoisch im Wasser stehenden Holzpfosten der Schiffsanlegestelle Moos, brachen. Genauso standhaft wie Dana, an der sie im Moment zu zerbrechen schien. Ihr fiel der Streit vom Nachmittag ein. Weshalb führte sich die Nanny wie die Mutter ihrer Kinder auf? Dana hätte sie fragen können, bevor sie die Kinder nach draußen ließ.
Kalt war es geworden. Sie fröstelte, zog die Decke bis zur Nase und stellte sich schlafend, nachdem sie das Knarzen des Türschlosses bemerkte und wusste, dass ihr Mann ins Schlafzimmer kam, um nach ihr zu schauen. Sie freute sich nicht auf ihn, genauso wenig wie auf das bevorstehende Frühjahr, weil sie nicht wusste, welche unangenehme Überraschung das neue Jahr für sie bereit halten würde.
Kapitel 4
»Guten Morgen, Alex. Alles gut bei dir?«, begrüßte der 48-jährige Sven am nächsten Morgen freudig seinen sieben Jahre älteren Arbeitgeber Alexander Ruef, für den er seit kurzem Aufträge übernahm. Den Geschäftsführerposten, in der Stuttgarter Marven GmbH, hatte er im Oktober vergangenen Jahres seinem Stellvertreter übergeben, um in der Nähe seiner Frau zu sein, die bis Mitte Januar in den Kliniken Schmieder in Allensbach behandelt wurde. Dana hatte ein möbliertes Ferienhaus gefunden und in seinem Namen angemietet. Seiner Marcella gegenüber hatte er behauptet, es selbst ausgesucht zu haben. Dana hatte ihm dazu geraten, um nicht die Eifersucht seiner Frau zu füttern. Marcella hatte ihm diese Schwindelei nicht abgenommen. Sie kannte ihn und wusste instinktiv, wer in Wahrheit alles organisiert hatte. Dana war wesentlich mehr als nur die Nanny seiner Kinder. Sie war sein Anker in der schweren Zeit, wie er es Marcella gegenüber zugegeben hatte. Sie brachte ihn auch auf die glorreiche Idee in Alexander Ruefs Ermittlungsbüro tätig zu werden. Die Arbeit brachte Abwechslung in seinen Alltag, auch wenn dessen Aufträge mitunter grenzwertig waren. Behauptete zumindest seine Ehefrau.
»Alles bestens, und bei dir?«, fragte Alex zurück, der vor zwei Jahren Anton Bergers Detektei in Radolfzell übernommen hatte, und nickte ihm zur Begrüßung zu.
»Wie immer«, antwortete Sven ausweichend und blieb gedankenverloren im Eingangsbereich stehen. Einerseits war er glücklich darüber, dass Marcella wieder aufgewacht war und endlich im idyllischen Ferienhaus mit ihm und den Kindern wohnte. Andererseits war es nicht einfach mit ihr. Um hin und wieder seinem Alltag zu entkommen, waren die Außendiensttermine perfekt. Seit seine Frau aus dem Krankenhaus entlassen worden war, konnte er es ihr nicht recht machen. Sie war überempfindlich geworden. Jedes Wort und jeden Blick musste man ihr gegenüber auf die Goldwaage legen. Mitunter erwischte er sich bei dem Gedanken, dass es für ihn angenehmer war, als sie noch im Koma lag. Dana beschwichtigte ihn jedes Mal, wenn er sich solchen dummen Gedanken hingab. Sie versprach ihm, es wäre bald vorbei. Sie meinte damit, er hätte in kurzer Zeit seine geliebte Marcella wieder zurück. Wenn er Dana nicht an seiner Seite hätte, er wäre untergegangen. Er nannte sie nicht umsonst seinen Ankerplatz. Das war sie … er riss sich zusammen und schaute erwartungsvoll Alex an, der inzwischen aufgestanden und zur Eingangstür der Detektei gelaufen war. »Was liegt an? Du hast mich angerufen und mir von einem neuen Fall erzählt, den ich übernehmen darf.«
»Es geht um Antons Fall. Setz dich«, gab Alex schwammig Auskunft, während er aufstand und die Tür hinter Sven zuzog, damit der kalte Wind nicht sein Büro auskühlte.
Anton und Sven kannten sich ebenfalls. Die beiden hatten sich in der Parkresidenz Marven kennengelernt und befreundet. Nachdem Anton damals fluchtartig Radolfzell verlassen, seine Detektei verkauft und bei Sven in Stuttgart seinen Alterssitz gefunden hatte, war er zu Svens bestem Freund geworden. Anton flüchtete damals wegen Doris Ganter vom See. Er hatte sich in die Hauptverdächtige, in die verheiratete Doris verliebt, und wollte ihr, zu dieser Zeit, vorsorglich aus dem Weg gehen. Zudem wollte Anton sich sowieso in den Ruhestand verabschieden, was ihm jedoch bis heute nicht gelang. Sven schmunzelte, wenn er daran dachte. Er mochte ihn. Mehr als das. Er liebte ihn wie einen Vater, überlegte er. Anton und Dana gehörten zu seiner Familie, neben Marcella, ihrer Mama und den Kindern.
Die kleine Detektei am nördlichen Rande der Radolfzeller Altstadt war immer noch wie zu Antons Zeiten eingerichtet. Ein altertümlicher Holztisch aus dunklem Eichenholz, eine niedere Kommode, auf der zur Zierde eine schwarze Schreibmaschine aus dem letzten Jahrtausend stand, ein schmaler Aktenschrank und eine Wendeltreppe, die in den ersten Stock führte. In der kleinen Wohnung, oberhalb der Detektei, wohnte anfangs Alexander Ruef, bis er zu Sara in die Einliegerwohnung ihres Hotels Seeblick am Ufer des Bodensees zog. Mit der antiken Adler-Schreibmaschine hatte Alex, so wusste es Sven, bei seinem ersten Fall mit Anton Akten gefälscht, mit denen Alex seine spätere Frau Sara und deren Mutter Doris in eine listige Falle lockte. In der Zeit, als Alex Saras Mama noch gehasst und niemals damit gerechnet hätte, dass sie eines Tages seine Schwiegermutter werden würde. (Roman Verzeihst du mir? Gmeiner Verlag)
»Ein Fall von Anton?«, fragte Sven ungeduldig, nachdem Alex sich wieder an seinen Schreibtisch gesetzt hatte und schweigend über seinen Papieren saß.
»Ist das nicht gut?«, murmelte der Angesprochene.
»Es ist wunderbar. Für ihn muss ich sicher keine untreuen und, vor allem, unpünktlichen Ehemänner überwachen, wie gestern«, seufzte Sven und setzte sich mit einem wehleidigen Gesichtsausdruck auf den Besucherstuhl, der gegenüber des Schreibtisches stand. Er wollte, wie Dana am Vortag, sich nicht beschweren, sondern lediglich eine Runde jammern. Alex reagierte nicht und schrieb stoisch Notizen auf einen Zettel, weshalb er herausfordernd erwähnte: »Mir reicht es für diese Woche, hörst du?«
»Was meinst du? Was war diese Woche?«, erkundigte sich Alex endlich und schob seine Papiere zusammen.
»Geht es bei Antons Fall um den Mafiaboss, Piede di Porco? So was Aufregendes liegt mir besser«, hakte Sven interessiert nach, der endlich Alex‘ Aufmerksamkeit hatte.
»Du denkst, du kennst Antons Anliegen? Lass mich raten, du träumst davon sein Bodyguard zu werden?« Alex schaute ihn belustigt an, während er Svens Gedanken interpretierte. Sven nickte begierig und Alex grinste, der mit seinen schwarzen Locken und den muskulösen Oberarmen, selbst wie ein Bodyguard eines Mafiabosses aussah. Zumindest wenn er zornig schaute, was hin und wieder vorkam. Nur nicht heute. Heute schaute Alex freundlich und, das befremdete Sven, permanent auf die Uhr. Er wirkte angespannt, als ob er gleich einen wichtigen Termin hätte.
»Er will Piede di Porcos Drogenhandel das Wasser abgraben. Er hat mir alles erzählt«, erklärte Sven geschäftig, um Alexanders Auftrag endlich in Erfahrung zu bringen.
»Dann weißt du mehr als ich. Eigentlich wollte ich …«
»Hat er dazu nicht bereits mit dessen Sohn Santino verhandelt?«, unterbrach ihn Sven engagiert.
»Ach, das meinst du«, reagierte Alex, aus Svens Sicht, viel zu desinteressiert. »Die Geschichte, dass er die Namen seiner Dealer nur dann nicht der Polizei übergibt, wenn die Sizilianer sich aus dem Drogengeschäft zurückziehen?«
»Ja. Ich liebe Antons Ideen«, bestätigte er es euphorisch und seine Augen blitzten voller Tatendrang. »Soll ich kontrollieren, ob Santino Wort hält? Ich schaue ihm gerne auf die Finger. Sizilien wäre genau nach meinem Geschmack.«
»Santino wird in dem Fall sicherlich wortbrüchig. Zum einen ist sein Vater dagegen, der immer noch patriarchisch die Zügel in der Hand hält, zum anderen wird er selbst niemals auf den lukrativen Drogenhandel verzichten wollen. Eher räumt er Anton und alle, die ihm quer kommen, aus dem Weg«, entgegnete Alex nüchtern und schien nicht besonders interessiert zu sein, was Sven nicht weiter störte.
»Santino ist klug, der geht subtiler vor und bringt nicht gleich alle um. Ist das nun Antons Auftrag?« Kein Wunder, dachte Sven, während er beinahe unmerklich den Kopf schüttelte, würde Anton ihn und keinen anderen mit dieser heiklen Mission beauftragen. Alex hatte offenbar keinen Biss sich mit der Mafia anzulegen. Seinem neuen Chef genügten offenbar die langweiligen Ehedramen in Radolfzell und Umgebung. Ihm hingegen würde diese sizilianische Abwechslung gut tun. Zufrieden lehnte er sich zurück.
»Anton will sicher nicht, dass du erneut mit dem Milieu in Kontakt kommst. Deine Familie braucht dich«, beendete Alex mit einem Satz seine verträumten Spekulationen.
»Welchen Fall hast du für mich?«, fragte Sven enttäuscht nach, der gerne in Italiens Süden gefahren wäre und nebenbei dort unten die ersten Frühlingsstrahlen genossen hätte. Er war im letzten Jahr eine Stunde in Santinos herrlichem Anwesen in Erice gewesen. Eindeutig zu kurz, um alle Annehmlichkeiten genießen zu können. Dana hatte ihm vorgeschwärmt, was für ein herausragender Gastgeber Santino war. Solange man sich aus seinen Angelegenheiten raushalten würde, hatte sie ihm berichtet. Er grinste, als er sich an Danas Erlebnisse erinnerte, wie sie ihn vergeblich in dem alten Gefängnisturm gesucht hatte und bei ihrer nächtlichen Aktion versehentlich in Santinos Hände gelaufen war. Svens Grinsen verzog sich jedoch wieder, während er Alex beobachtete, der eine dünne Aktenmappe aus der Schublade zog. Deren gräulich langweilige Farbe verhieß nichts Gutes. »Nicht schon wieder solche Langweiler beobachten«, murmelte er in seinen Dreitagebart.«
»Die ist nicht für dich. Die wirklich langweiligen Fälle übernehme ich selbst«, antwortete Alex lachend, der seine missbilligenden Worte gehört hatte, und schob seinen gefalteten Notizzettel in die geöffnete Mappe.
Kapitel 5
Marcella hatte sich im Bett aufgesetzt und schaute besorgt hinaus. Die Sonne war längst aufgegangen und spiegelte sich in den Wellen. Vom Schlafzimmer aus konnte sie aufs Wasser sehen. Um diese Jahreszeit ging die Sonne über der Insel Reichenau auf, die heute im Dunst lag. Dana war wie jeden Morgen einkaufen, nachdem sie die Kinder in die Schule und den Kindergarten begleitet hatte. Ihr Mann war bei Alexander. Es war beängstigend. Wenn Dennis Richter wüsste, wie wehrlos sie im Moment war … Ihr Herz raste. Sie hatte sich vorgenommen nie wieder an diesen Richter zu denken. Sie bekam ihn einfach nicht aus dem Kopf. Als ob er sie ständig verfolgen würde. Sie war am Morgen eingeschlummert und hatte erneut Albträume von ihm gehabt.
Sie erinnerte sich wieder an den Moment, als sie aus dem Koma erwachte. Sie hatte Angst, wie jetzt. Das war damals ihr erstes Gefühl. Sie fühlte sich verunsichert, ausgeliefert und bedroht. Von der Leere in ihrem Kopf und den fremden Menschen an ihrem Bett. In den ersten Tagen war ihr Erinnerungsvermögen auf dem Tiefpunkt. Sie konnte die Worte, die sie hörte, nicht zuordnen. Sie bekam Panik, weil sie nicht sprechen konnte und driftete wieder ins Nichts. Der Vorgang musste sich, so hatte man es ihr erzählt, mehrfach wiederholt haben. Zwischenzeitlich saß Sven an ihrem Bett und hielt ihre Hand. Glücklicherweise erkannte sie ihn, ihr Gedächtnis schien teilweise zu funktionieren. Mit ihm sprechen konnte sie nicht, weil sie zu der Zeit noch beatmet wurde. Ihr Zeitgefühl fehlte, sie wusste nicht, ob sie noch ein Ehepaar waren oder ob er inzwischen mit Laura, seiner Exfreundin oder der Nanny ihrer Kinder liiert war. Sie hätte fiebrige Alpträume gehabt, beruhigte Sven, nachdem sie ihm Tage später von ihren Sorgen erzählen konnte. Konnte sie ihm glauben, dass nur die Lungenentzündung und das Fieber schuld an ihren unguten Gedanken waren oder wollte ihr Mann sie schonen? Durch die maschinelle Beatmung hatte sich nicht nur ihre Atemmuskulatur abgebaut, weshalb sie anfangs das Atmen trainieren musste, sondern sie hatte sich zudem einen Infekt zugezogen, der eine Lungenentzündung auslöste. Ihre Genesung schritt zügig voran, weshalb die Ärzte zufrieden mit ihr waren. Sie hörte die Glückwünsche, einer sprach von einem Wunder, wie schnell sie in ihr altes Leben zurückkehrte. Wovon sprach der Arzt, der keine Ahnung zu haben schien, wie es ihr wirklich ging? Er hatte im medizinischen Sinn möglicherweise recht. Es war ein Wunder, dass sie nach einer kurzen Zeit im Delirium und dem ohnmächtigen Gefühl des Ausgeliefertseins, bereits jetzt wieder klar denken, sprechen und selbstständig atmen konnte. Die Medikamente wirkten, das Fieber war weg und sie musste sich keiner langwierigen Rehabilitation unterziehen, wie man es hätte vermuten können. Aber sonst? Durch das Liegen waren ihre Muskeln geschwächt, die Sehnen verkürzt. Überall, selbst ihr Herz hatte weniger Leistung, was sie bei der kleinsten Anstrengung fühlte. Sie trainierte so gut es ging, ihr Drang ins Leben zurück war einerseits groß. Andererseits wusste sie nicht, ob sie dieses Leben noch wollte. Ohne Sven. Der sich möglicherweise für jemand anderes entschieden hatte und nur darauf wartete, bis sie, für die bittere Wahrheit, wieder vollständig hergestellt sein würde.
Sie wollte besser nicht darüber nachdenken, überlegte sie, wenn sie bis zum Mittag aus der täglichen Melancholie des Morgens ausbrechen wollte. Bis zum Mittag musste sie sich in den Tag hineingekämpft haben, so schwer es ihr auch fiel. Bis dahin musste sie stark sein, zumindest so wirken. Dana holte Mia aus der Grundschule ab und Linus vom Kindergarten. Zuvor kochte sie, wärmte es am Mittag auf, damit niemand aufs Essen warten mussten. Sie würde ihr, wie jeden Tag, in den Rollstuhl und Treppenlift helfen, damit sie bei ihren Kindern sein konnte. Es war schön in die fröhlichen Gesichtchen zu schauen und sie nach ihren Erlebnissen zu fragen. Und es fühlte sich gleichzeitig befremdlich an, wenn sie mitansehen musste, wie sehr ihre Kinder bereits Dana ins Herz geschlossen hatten und wie wenig sie sich selbst um die beiden kümmern konnte.
Erschöpft sank ihr schwerer Kopf in die Kissen. Wären die Kinder nicht, sie würde den Kampf mit dem Tag erst am Abend gewinnen, wenn es zu spät war aufzustehen. Die Kleinen waren ihr Glück und gleichzeitig auch ihre tägliche Sorge. Wobei, nicht die Kinder waren ihre Sorge, sondern die Nanny. Ihre Mutter wollte den engen Kontakt zwischen Dana und den Kindern auflösen. Emilia bot Sven an, nachdem er ihr von seinen Umzugsplänen an den Bodensee berichtet hatte, sich selbst um die Kinder zu kümmern. Dana könnte in Stuttgart bleiben und sich dort nützlich machen, hatte sie vorgeschlagen. Oder er könnte ihr kündigen, um ein Gehalt einzusparen. Sven hatte Emilias Ideen alle abgelehnt. Ohne Dana könnte er sein aktuelles Leben nicht organisieren. Ihre Mutter wollte zumindest in das kleine Ferienhaus in Moos einziehen, was aus seiner Sicht ebenfalls nicht machbar war. Das einzige Gästezimmer nutzte Dana. Natürlich nutzte Dana jede Gelegenheit. Diese Frau hatte sich bereits in Stuttgart im Gästezimmer ihres Wohnhauses eingenistet, nachdem Sven und die Kinder kurzzeitig zurück mussten, während sie im Koma lag. Sie wollte sich nicht ausmalen, wie gut sich die Angestellte im Kreis ihrer Familie und auf ihrem Platz gefühlt haben muss.
Marcella versuchte auf andere Gedanken zu kommen und dachte an ihre Mutter. Emilia pendelte, nachdem sie in Svens Ferienhaus keine Bleibe gefunden hatte, zwischen Stuttgart und Moos, bevor sie in Saras Hotel langfristig ein Zimmer anmieten konnte. Auch Anton Berger verbrachte dort den Winter. Ihre Mutter war mit ihm befreundet. Seit Emilias Bruder, der in Italien gelebt hatte, zu Jahresbeginn verstorben war, fühlte sich ihre Mutter doppelt verloren. Heimatlos. Ihr schossen Tränen in die Augen. Aus Empathie, aus Selbstmitleid und weil sie an ihren geliebten Onkel Giuseppe dachte. Er hatte sie und ihre Mutter immer unterstützt. Von einer Sekunde zur anderen war er nicht mehr da. Sein Herz blieb stehen. Sie konnte sich nicht von ihm verabschieden. Es war Weihnachten, sie kämpfte sich selbst ins Leben zurück. Ihre Mutter war mit Sven Ende Dezember auf der Beerdigung in Italien. Dana blieb mit den Kindern in Moos, während sie noch in der Klinik lag. Jetzt hatte sie nur noch ihre Mama, Sven und die Kinder, überlegte sie resigniert. Wie ausgelassen sie sich vor acht Jahren fühlte, als sie gemeinsam mit Sven ihrem Onkel Giuseppe eine kurze WhatsApp geschickt hatten, um ihr Glück zu verkünden. Ihre Mutter hatte ihren Verlobten gemahnt, keine Romane zu schreiben. Sie erinnerte sich an die Worte, welche sie damals geschrieben hatten: »Auftrag erledigt: Job gekündigt, Heiratsantrag ausgeführt/ angenommen, Marcella und Sven glücklich.« Fünf Minuten später kam es im selben Telegrammstil zurück: »Nichts anderes erwartet, gut gemacht, mein Junge. Giuseppe.« (Roman Bleibst du für immer? Gmeiner Verlag)
Eine warme Woge des Glücks ergoss sich in ihr verletztes Herz. Für einen Moment, bevor sie es erneut fröstelte und sie die Decke hochzog. Onkel Giuseppe hatte an ihre Liebe geglaubt. Er wusste, dass Sven der Richtige für sie war. Von Anfang an. Was würde er ihr nun raten? Marcella wusste es nicht. Sie fühlte sich verraten und verlassen.
Kapitel 6
»Anton, was machst du hier?«, rief Sven erfreut aus, nachdem er ihn erblickte. Alex war bereits zur Tür gelaufen, um ihn hereinzulassen und ihm den Mantel abzunehmen.
»Hat dir Alexander nichts gesagt?«, fragte Anton, begrüßte ihn ebenfalls wie Alexander mit einem Handschlag und blieb abwartend stehen.
»Natürlich. Ich habe ihm mitgeteilt, dass du einen Fall für ihn hast. Mehr wolltest du mir nicht verraten«, verteidigte sich Alex, während er seine Winterjacke überzog und Anton seinen Schreibtischstuhl anbot.
»Mehr brauchst du auch nicht zu wissen«, murmelte Anton mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck vor sich hin. »Danke«, setzte er vernehmlich hinzu.
»Dann wünsche ich euch eine angenehme Besprechung. Sven, ich hoffe für dich, dass Antons Auftrag keine Enttäuschung für dich werden wird«, frotzelte Alex.
»Was willst du damit sagen?«, fragte ihn Anton.
»Mein neuer Mitarbeiter fühlt sich bei mir unterfordert«, antwortete er grinsend, verabschiedete sich eilig und zog von außen die Tür hinter sich zu.
»Was hast du für mich?«, fragte Sven erwartungsvoll den über 70-jährigen, der mit seinem vollen, weißgrauen, gewellten Haaren, dem gebräunten Teint und seinen wachen Augen zehn, fünfzehn Jahre jünger aussah. Seine Hoffnung sank, nachdem er erschrocken beobachtete, wie der Andere schweigend eine dünne Mappe, aus seiner Ledertasche zog. Der Umschlag war in derselben langweiligen grauen Farbe, wie die von Alex. »Ist die für mich?«, fragte er bestürzt.
»Siehst du außer uns beiden noch jemanden im Raum?« Obwohl die Frage rhetorisch gemeint war, schaute sich Anton aufmerksam in seinem ehemaligen Büro um und sprach leise, als ob es niemand hören durfte: »Salvatore Massino. Es geht um ihn.«
»Perfekt. Weshalb sagte Alex mir nicht gleich, dass es um seinen Vater geht?«
»Alexander weiß nichts davon. Das muss so bleiben. Ausnahmsweise solltest du auch Marcella nichts davon erzählen. Es darf keine Mitwisser geben.«
»Meine Frau? Ich dachte, ich soll ihr gegenüber ehr …«
» Es ist unser Geheimnis. Versprochen?«
»Versprochen.«
»Vielleicht weißt du, dass Salvatore seinen Landmarkt samt Haus in Brienz Laura Lumatti vererben möchte.«
»Weshalb will Alexanders Vater seinen Besitz meiner Ex-Freundin vermachen?«
»Er mag sie.«
»Das muss ich nicht verstehen. «
»Sie ist sympathisch, klug und mutig. Was ist daran nicht zu verstehen?«
»So meine ich das nicht. Du weißt wie chaotisch und freiheitsliebend Laura ist?«
»Was hat das mit Salvatores Zuneigung zu tun?«
»Sie wird mit dem Erbe wenig anfangen«, begründete er seine These.
»Zerbrich dir nicht den Kopf anderer«, tadelte er ihn.
»Weiß Alex davon?«
»Alexander weiß es und ist einverstanden«, gab Anton bedächtig Auskunft. »Salvatore hat es ihm erklärt. Er hat ihm und seiner Frau Sara bereits das Haus in Konstanz zur Hochzeit geschenkt. Zudem bekamen die beiden von Saras Eltern das Hotel in Radolfzell und das kleine Holzhäuschen oberhalb von Brienz überschrieben. Das ist wirklich genug.
»Ich weiß, du hast es mir erzählt.«
»Alexander ist finanziell abgesichert. Nur Laura steht ohne alles da. Bevor Salvatore ihr alles überschreiben wird, will er sie adoptieren«, erläuterte der ehemalige Ermittler sachlich Salvatores Plan.
»Aus steuerlichen Gründen?«, fragte Sven nicht mehr so engagiert nach. Wie langweilig. Musste er einen Termin mit einem Notar vereinbaren? Texte korrigieren? Als Sekretär wollte er ungern arbeiten. Seine Stärke lag woanders.
»Sicher auch um Laura Steuern zu ersparen. Vor allem will er ihr jedoch einen Neustart ermöglichen. Mit neuem Nachnamen und einem Ankerplatz im Berner Oberland«, gab Anton bereitwillig Auskunft.
»Ankerplatz«, wiederholte Sven betrübt und erinnerte sich, wer sein Ankerplatz war und es dennoch nicht sein durfte. Wann wäre Marcella wieder sein Heimathafen?
»Woran denkst du?«
»An nichts.« Er lachte, um seine Wehmut zu überspielen. »Einen Ankerplatz braucht jeder. Besonders Laura. Bei ihrer Reiselust. Ob sie hingegen ihr Schiffchen dauerhaft in der Schweiz, am wunderschönen Brienzersee festmachen möchte, bezweifle ich weiterhin. Ich soll demnach die Papiere vorbereiten? Das reißt mich echt vom Hocker.«
»Damit hat Salvatore einen Anwalt in der Schweiz beauftragt. Dein Job ist wesentlich spannender und hat damit nichts zu tun. Ich kenne dich und würde dich niemals mit so langweiligen Dingen beauftragen.« Anton schmunzelte. Er wusste, was in seinem tatendurstigen Freund vorging.
»Dann bin ich beruhigt.« Svens Miene hellte sich auf. Sein Mienenspiel glich dem unbeständigen Februarwetter, welches sich zeitgleich am Radolfzeller Himmel austobte. Dunkle Schneewolken verdunkelten die Sonne, ließen ein paar Flocken fallen, wurden anschließend vom Wind zerrissen und eilig fortgefegt, bis die nächsten Wolken das Versteckspiel mit den Sonnenstrahlen fortsetzten. »Spann mich nicht auf die Folter, was ist zu tun?« Er hoffte inständig, dass er diesmal einen spannenden Auftrag bekommen würde. Bei Alex‘ letztem Auftrag, hatte er stundenlang im Auto ausgeharrt, bis abends der mutmaßlich untreue Ehemann endlich an der Adresse seiner Geliebten aufgetaucht war. Nachdem sich das Pärchen in der Wohnung gemütlich gemacht hatte, war er in einen regennassen Baum geklettert, um Fotos zu schießen. Während er sich einen halbwegs bequemen Standort suchte, schloss die Frau mit einem lauten Ratsch den Rollladen. Er wäre beinahe vor Schreck vom Baum gefallen, so rutschig war der Stamm. Dana hatte ihn ausgelacht, als sie seine verschmutzte Kleidung sah, tadelte ihn, während sie seine Schrammen zählte und bevor sie ihn ausführlich bemitleidete. Auf noch so einen dämlichen Ausflug in die Botanik hatte er heute wirklich keine Lust mehr. Zumal es einige Grad kühler geworden war.
»Salvatore will über deine Firma in Stuttgart Geld in den Verkehr bringen«, riss Anton ihn aus seinen Gedanken.
»Schwarzgeld? Dann fahre ich zu unseren Freunden nach Sizilien. Santino hilft mir, er macht das jeden Tag«, spottete Sven, der genau wusste, dass Anton niemals mit dem Sizilianer in der Weise zusammenarbeiten würde.
»Du bist beinahe auf der richtigen Fährte«, bestätigte es Anton. »Santino hatte dich letztes Jahr mit einer Bürgschaft unterstützt, nachdem die Anteilsverkäufe an den Betrüger Dennis Richter rückgängig gemacht worden waren.«
»Korrekt. Die Konstanzer Privatbank Fürst von Sayn-Wittgenstein gewährt mir für sechs Monate einen Übergangskredit, nachdem Santino mir die Bürgschaft hinterlegt hat, weil ich keine Sicherheiten mehr habe«, führte er den Sachverhalt emotionslos aus, während er überlegte, wohin sein Auftrag ihn führen würde.
»Bei dem Firmenanteil handelt es sich um die Arztpraxis, die Marcella bisher als Ärztin geleitet hatte und an der ihr Herz hängt«, führte der ehemalige Ermittler stoisch aus.
»Das ist mir bekannt. Was hat das mit dem Fall zu tun?«, fragte er verblüfft.
»Marcella möchte die Praxis, erst recht nach dem Vorfall mit Richter, ungern in fremde Hände geben. Am liebsten würde sie selbst dort wieder arbeiten und mit dir …«