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Sven De Luca möchte von Dr. Eduard Bernard in Erfahrung bringen, ob seine Frau Marcella noch lebt. Der ehemalige Psychiater kann mit seiner empfindsamen Nase die Stimmungen und Gedanken seines Gegenübers zwar erahnen, jedoch nicht hellsehen. Fast wäre Sven enttäuscht gegangen, wenn Eduard ihm nicht doch noch eine Antwort und zudem eine spannende Geschichte versprochen hätte: Eduards Geruchssinn, der dem eines Hundes ähnelt, ist Segen und Fluch zugleich, denn einige Aromen vernebeln auf haarsträubende Weise seinen Verstand. Bei der Privatpatientin Sina Suter, die ihn um ein sedierendes Präparat bittet, um einen Mord zu begehen, kommt ihm ihr sinnliches Parfum in die Quere. Obwohl er Sinas Plan nicht unterstützen will und er eine Intrige gegen sich selbst wittert, ist er ihrem betörenden Duft hilflos ausgeliefert. Sie treibt Eduard unaufhaltsam in einen tödlichen Abgrund. Wird er sich vor Weihnachten nicht selbst umbringen, sterben alle, die ihm etwas bedeuten. »Liebens- und lesenswert: Ein emotionaler Krimi mit rabenschwarzem Humor.« G. Vinçon, Konstanz
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Seitenzahl: 260
Veröffentlichungsjahr: 2025
© 2025 Isabella Anders
Herausgeberin: Jasmin Süßmann
Lektorat: Christian Deuling
Cover designed by Freepik
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin durch:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, D-22926 Ahrensburg.
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jegliche Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Fortsetzung
Weitere Serienteile
Schlussworte
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Titelblatt
Urheberrechte
Kapitel 1
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Kapitel 1
Nachdem auf sein drängendes Klingeln an der Haustür des unscheinbaren Hauses niemand reagiert hatte, ging Sven De Luca die seitwärts verlaufende Steintreppe hinunter, die zu einer Parfümerie im Untergeschoss führte. Das entnahm er zumindest dem Emailleschild Duft deiner Träume, welches diese Richtung vorgab.
»Mein Geschäft ist heute geschlossen«, brummte ein finster dreinschauender Mann den Fremden an, der ungefragt in seinem Garten aufgetaucht war.
»Sven De Luca. Ich bin Marcellas Ehemann – eine Zeit lang war sie bei Ihnen in Behandlung.« De Lucas Nervosität war nicht zu übersehen. Über den Eigentümer der kleinsten Parfümerie der Welt, wie sie im Internet beworben wurde, hatte er bisher Fabelhaftes und gleichermaßen Unerhörtes in Erfahrung gebracht.
»Sie waren Frau De Lucas Ehemann«, korrigierte der ehemalige Psychiater ihn ungerührt, der den Eindringling offenbar sofort zuordnen konnte.
»Sie hatte mein Weihnachtsgeschenk in der Schweiz besorgt und war auf dem Rückweg tödlich verunglückt, so informierte mich zumindest die Polizei«, erklärte er betrübt. (Roman Alles auf Anfang? tredition.com)
»Na, dann wissen Sie Bescheid und sollten keine falschen Behauptungen aufstellen.«
»Das ist der Grund meines Besuches: Ich habe von Ihrem Talent gehört und möchte erfahren, ob meine Frau tatsächlich verunfallt ist oder ob sie noch lebt.«
Der Hintergrund seiner Frage waren die fehlenden Beweise für Marcellas Tod: Die Polizei ging aufgrund Indizien davon aus, dass sie in ihrem Autowrack verbrannt war. Der vom Täter eingesetzte Brandbeschleuniger verhinderte jedoch bei der verunfallten Person die forensische Untersuchung der Zähne und Knochen. Bei Temperaturen von rund 4.000 Grad im Bereich des Fahrersitzes blieb dort nur Asche und verglühtes Metall zurück. (Roman Alles auf Anfang? tredition.com)
»Ich bin kein Hellseher. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, fuhr der Hausherr ihn barsch an.
»Marcella vertraute Ihnen vor drei Jahren einiges an, weil sie viel von Ihnen hielt. Daher wollte ich …«
»Ich arbeite nicht mehr als Psychiater – zudem suchen Sie einen Therapeuten«, antwortete er unwirsch.
»Ich brauche weder einen Arzt noch einen Therapeuten – über meine Frau, ich meine, von Marcella möchte ich mehr von Ihnen erfahren. War sie in den letzten Monaten mit mir wahrhaft glücklich?«
»Sollten Sie das nicht selbst wissen?« Der Arzt, der keiner mehr sein wollte, schloss wie früher bei der Anamnese seine Augen und sog über die Nase hörbar Luft ein. Offenbar analysierte er den Körpergeruch seines Besuchers, um mehr in Erfahrung zu bringen.
»Verzichtete Marcella mir zuliebe auf ihre Karriere oder gefiel ihr zuletzt wie mir das einfache Leben am See?«, fragte De Luca weiter, um die unangenehme Stille zu überbrücken.
»Weshalb interessieren Sie sich jetzt dafür?«, stellte Bernard provokant eine Gegenfrage und musterte ihn.
»Weil wir darüber nicht mehr sprechen konnten«, gab er betreten Auskunft.
»Kein Wunder.« Dr. Bernards abschätzender Blick sprach Bände, weshalb De Luca sich angegriffen fühlte.
»Was wollen Sie mir sagen?«, fuhr er ihn an.
»Sie hatten Ihre Augen und Ohren bei Ihrer Geliebten.« Nachdem De Luca ihn erstaunt angeschaut hatte, erläuterte er es wie für einen Fremden: »Ihr Herz gehörte auch der Nanny Ihrer Kinder. Dana, wenn ich mich recht erinnere. Diese Frau liebte jedoch ebenfalls nicht nur das einfache Leben am See«, bemerkte er zynisch und genoss offenbar De Lucas verärgerte Mimik.
»So war das nicht, ich liebte meine Frau …«
»Sie lieben nur sich selbst, so wie jeder andere.«
»Es ist nicht wahr, ich liebe nur Marcella.«
»Zudem kleben Sie in der Vergangenheit, wie eine verweste Fliege im Spinnennetz«, ordnete Bernard die Lage ein, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.
»Das stimmt nicht!«
»Es wird nicht wahr, wenn Sie es lauter aussprechen. Lassen Sie mich raten – ich soll Ihnen nachträglich Ihre Fehltritte rechtfertigen?«
»Nein, natürlich nicht. Ich wollte mit Ihnen über Marcella sprechen, um ihr näher zu sein.«
»Mit der Wahrheit stehen Sie offenbar auf Kriegsfuß«, stellte es Dr. Bernard gefühllos fest.
»Sie haben keine Ahnung. Ich, ich hätte nicht herkommen sollen«, stotterte De Luca verunsichert und blieb dennoch stehen, als ob er angewachsen wäre. Der unfreundliche Mann taxierte ihn mit einem Blick, der auf ihn unheimlich wirkte. Bernards Ruf war stadtbekannt, man hatte ihn vorgewarnt: Er war ungehobelt, selbstherrlich, anmaßend, übergriffig, manipulativ …
»Angenommen, Marcella käme heute zurück. Wie würden Sie Ihr neuerliches Versagen ihr gegenüber rechtfertigen? Ihre Liaison mit Dana? Sie sind doch mit ihr zusammen?«, unterstellte es Bernard ihm forsch.
»Wie gesagt, ich hätte Sie nicht kontaktieren sollen«, reagierte De Luca verstört und wollte gehen. Er musste die Vorwürfe, die ihn blockierten, endlich aus dem Kopf bekommen. Er wollte keine neuen hinzufügen. Sie blockierten ihn ohnehin nicht nur beim Schreiben, sondern auch bei Dana, bei der er sich weiterhin nicht fallen lassen konnte. Die Gedanken, seine Frau im Stich gelassen zu haben, lasteten jeden Tag schwerer auf seiner Seele. Obwohl Marcella ihm, vor ihrem Unfall oder Verschwinden, alles verziehen hatte und vordergründig glücklich schien, zerbrach er beinahe unter der Last seiner bitteren Selbstvorwürfe. Zumal er den anderen Gedanken nicht aus dem Kopf bekam: Lebte Marcella und benötigte sie seine Hilfe? Nach den wenigen Sätzen mit Dr. Bernard fühlte er sich tatsächlich wie ein Versager.
Kapitel 2
»Sie suchen mich auf, obwohl Sie keine besonders gute Meinung von mir haben – weshalb?«, fragte Dr. Bernard unvermittelt und schloss erneut seine Augen.
»Wie arbeiten Sie?«, fragte De Luca, dem weiterhin unklar war, ob sein Gegenüber eine außergewöhnliche Begabung hatte oder ein ungehobelter Scharlatan war.
»Mit meinem gesunden Menschenverstand, der mir meine Frage selbst beantwortet: Sie kamen, weil Sie ein Getriebener Ihrer Gedanken sind. Einer, der nach jedem Strohhalm greift, ob er dienlich ist oder nicht. Sie erhoffen sich Antworten und Lösungen von mir, obwohl diese in Ihnen schlummern«, begann Bernards Monolog, der zunächst annehmbar und nicht so ruppig wie erwartet ausfiel. »Sie haben die berechtigte Sorge, alle Frauen um sich herum unglücklich zu machen«, unterstellte der Andere jedoch ihm auch Unerhörtes.
»Berechtigte Sorge? Wie soll ich das verstehen? Ach nein, ich habe es bereits verstanden. Sie arbeiten wie ein Wahrsager auf dem Jahrmarkt und versuchen mich auf billigste Weise zu beeindrucken – anhand meiner Äußerungen und Marcellas Informationen«, versuchte De Luca, sich ebenfalls seine Frage selbst zu beantworten. Ihm war endgültig klar geworden, wie nutzloser und verletzender der Gesprächsverlauf mit jedem weiteren Satz werden würde.
»Der Unterschied zwischen uns: Sie haben keine Ahnung und suchen daher bei mir die Antworten.«
»Nicht mehr …«, sagte De Luca und wollte sich verabschieden, wäre Bernard nicht mit starrem Blick auf ihn zugegangen und hätte ihn rückwärts in eine Baumlichtung im hinteren Teil des Gartens gedrängt. Der ehemalige Arzt war zwei Meter groß und kräftig, weshalb De Luca zurückgewichen wäre.
»Sie befinden sich in einer Sackgasse und können aus eigener Kraft nicht wenden. Soll ich konkreter werden?« Bernard verstellte seinem Gast den Weg. »Sie fühlen sich zwischen Ihrer verschollenen Frau Marcella und der nicht so neuen Liebe Dana hin- und hergerissen. Sie haben Angst, beide im Stich zu lassen, beide zu verlieren und meinen einerseits, ich könnte Ihnen die Lösung herbeizaubern und andererseits glauben Sie mir kein einziges Wort.« Dr. Bernard war wütend, sein irrer Blick wirkte gefährlich. Im nächsten Moment gab er jedoch den Weg frei und schien in sich gekehrt zu sein.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte De Luca. In seiner Stimme schwang ein wenig Hoffnung mit, das Gespräch würde doch noch besser werden.
»Der Beruf eines Arztes ist ein undankbarer Job«, begann Bernard unvermittelt, als ob sie beim Kaffeekränzchen beisammen säßen. »Ihrer Frau kostete es am Schluss fast das Leben, weil sie meinen Rat ignoriert hatte. Meines ging auch beinahe vor die Hunde, weil ich damals nicht auf meine Intuition geachtet hatte …«
»Fast? Lebt sie?«, forschte De Luca aufgewühlt nach und bekam keine Antwort, weshalb er erneut die Stille überbrückte. »Sie wird zurückkommen, ich spüre es. Sie war, nein, sie ist wunderbar. Viel zu lieb, immer für andere da. Daher achtete sie ihre eigenen Grenzen nicht und rutschte in diese Medikamentenabhängigkeit …« (Roman Wie du es willst! Gmeiner Verlag)
»Sie war genauso egoistisch wie Sie«, fuhr er ihm über den Mund. »Jeder denkt an sich. Sie sind gekommen, um Ihr Gewissen zu beruhigen. Ich kann es riechen, wie Sie Ihr Selbstmitleid mit gespielter Reue übertünchen. Mit Ihrer verlogenen Suche nach der Wahrheit, die erbärmlich nach Verständnis giert.«
»Was soll das?«, fuhr De Luca den wieder wütend dreinblickenden Bernard an, der ihm erneut bedrohlich nahe gekommen war, und wich einen Schritt zurück.
»Was für ein Sensibelchen. Mich wunderts, wie lange es die taffe Marcella mit Ihnen ausgehalten hat.«
»Es reicht.« De Luca wollte endgültig gehen. Der Arzt hielt ihn jedoch fest, schob ihn unsanft zu einem Gartenstuhl und zwang ihn, sich zu setzen.
»Sie bleiben und hören meine Geschichte an, dann wissen Sie, was ich meine, und bekommen Antworten. Sie werden alles veröffentlichen und meinen Namen dazu schreiben. Ich stehe zu meiner Vergangenheit, ohne mich in ihr zu verheddern. Das sollten Sie auch!«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil es die einzig wahre Antwort auf Ihre Frage ist: Stehen Sie zu Ihrem Verhalten, zu Ihren Schwächen und schließen Sie mit dem Alten ab!«
»Ich meine das andere.«
»Ihre Frau berichtete mir, Sie schreiben Romane aus Ihrem Leben und veröffentlichen unter einem weiblichen Pseudonym. Auch das passt zu Ihrer verlogenen Fassade – zumindest bleiben Sie sich treu«, kommentierte es Bernard mit einem gehässigen Lachen.
»Das ist der Knackpunkt: Ich kann teilweise nicht mehr schreiben. Haben Sie eine Idee, woran das liegen könnte?«, frage De Luca, ohne Bernards letzte Unverschämtheit zu kommentieren.
»Ach, eine rezidivierende Schreibblockade kommt noch hinzu. Der nächste Grund Ihres Besuches.« Bernard lachte hart auf. »Sehen Sie es ein. Egal was der Mensch macht, er macht es für sich. Es gibt lediglich bessere und schlechtere Charaktere, die sich von halbwegs guten oder grundbösen Motiven leiten lassen.«
»Ich höre mir das nicht länger an.«
»Möchten Sie jammern oder Ihre vielfältigen Blockaden überwinden?« Bernard wartete keine Antwort ab, sondern bestimmte: »Sie kommen die nächsten Wochen werktags am Nachmittag zu mir und schreiben auf, was mir eine Patientin angetan hat.«
»Das ist nicht Ihr Ernst?!«
»Denken Sie, ich scherze?«
»Ihre Geschichte interessiert mich nicht«, lehnte De Luca entschieden ab und stand auf.
»Dann werden Sie nie erfahren, was Sie brennend interessiert«, antwortete der Psychiater lauernd und ließ seinen Besuch nicht aus den Augen.
Kapitel 3
Es war bedrückend ruhig an diesem Morgen. Der über Nacht gefallene Schnee schluckte jedes Geräusch und in Eduards Gesicht zeigte sich, im Gegensatz zu seinem Innersten, keine Regung. Er lag bewegungslos in seinem nach billigem Waschmittel und Mottenpulver riechenden Bett und liebäugelte damit, nicht mehr aufzuwachen. Wobei das nicht möglich war. Er war wach. Die ganze Nacht lag er bereits hellwach auf seinem Sterbebett und zermarterte sich das fiebrige Hirn, wie es so weit hatte kommen können.
*
Mit diesem Rückblick begann Sven De Luca gezwungenermaßen, Eduards mysteriöse Geschichte aufzuschreiben. Nicht, weil ihn die morbiden Erlebnisse des Verrückten interessierten – er wollte lediglich mehr über Marcella in Erfahrung bringen und wissen, worauf der Psychiater mit seiner geheimnisvollen Andeutung angespielt hatte. Hatte sie sich nach ihrem Unfall bei Eduard gemeldet? Noch gab es keine Antworten. Er musste Geduld aufbringen und sich zuerst die ganze Geschichte anhören und versuchen, diese in einen Roman zu verwandeln. Das war Eduard Bernards Bedingung, die er ihm als kostenlose Schreibtherapie verkauft hatte. Ein Preis, der zunächst unbezahlbar erschien, weil Sven nicht wusste, worauf er sich einlassen würde. Marcella zuliebe wollte er jedoch durchhalten und kam daher wie vereinbart auch am nächsten Tag zu Eduard.
»Was war vorgefallen, weshalb lagst du im Bett und wolltest sterben?«, fragte Sven nach, der inzwischen mit Eduard per Du war und in dessen Garten saß.
»Dir fehlt es an Gelassenheit«, gab der Andere seine ungefragte Einschätzung ab und lehnte sich zurück.
»Weshalb weichst du allen meinen Fragen aus?«
»Damit du Geduld lernst. Ohne die wirst du das Geheimnis um Marcella niemals lüften.«
»Wie soll ich schreiben, wenn ich nicht weiß, um was es geht?«, erklärte es Sven genervt und wollte sein Notebook zuklappen, hätte es Eduard nicht verhindert.
»Schreibe mit, was ich dir erzähle. Wir spielen nach meinen Regeln und starten in der Zeit, in der mein Leben am ersten Tiefpunkt war. Hier drüben in diesem Zimmer. Früher war das eine verschimmelte Einliegerwohnung, ein dunkles Rattenloch«, erläuterte Eduard gedankenverloren den Ort des Geschehens und deutete auf die Parfümerie, die mit dem vielen Glas und hellem Holz vom Garten aus hübsch anzusehen war.
*
In Eduards Zimmer roch es nach modrigem Holz und die Kälte kroch ihm unter die fahle Haut. Es fröstelte ihn, wenn er daran dachte, wie rasant er abgestürzt war. Sein Jaguar war gepfändet, sein Penthouse neu vermietet und am Briefkasten stand noch sein wertloser Doktortitel. Lina, seine Schwester, hatte darauf bestanden, dieses Relikt aus guten Tagen zu behalten. Als Ansporn, vermutete er, und ärgerte sich. Hoffte sie in ihrer Naivität, er würde erneut als Psychiater arbeiten? Wozu? So verrückt war er nicht, obschon es manche über ihn sagten. Seine Schwester hatte keine Ahnung, wozu Patienten fähig waren. Linas Einfältigkeit, die seine Genialität noch nie verstanden hatte, widerte ihn an und machte es ihm gleichzeitig leichter, zu gehen. Für immer. Bis zum 11. November hatte er Zeit, um Schlimmeres zu verhindern. Zeit, um den Rest seines elenden Lebens aufzuräumen und wohlüberlegte Weihnachtsgeschenke zu hinterlassen. Man würde sich an ihn erinnern. Ein niederträchtiges Lächeln huschte über sein eingefallenes Gesicht, während sein Blick zum Fenster wanderte. Die nebelfeuchte Novembernacht würde ihn am 11. ein letztes Mal in den Arm nehmen. Langsam umarmen, immer fester, unaufhörlich. Laut der Wettervorhersage sollte es in den nächsten Tagen Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt geben und nieseln. Der Eisregen würde seine Kleidung durchnässen, seine Schuhe aufweichen. Irgendwann würde er nichts mehr spüren. Nie wieder diesen Schmerz in seiner Brust. Nie wieder diese beklemmende Angst um Emmy. Weshalb hatte Emmy ihn so weich werden lassen. Bisher lebte er gut ohne diese Gefühlsduselei, erinnerte er sich wehmütig an seine früheren Liebschaften, die ihn nicht berührt hatten.
Mit einem Ruck stand er auf und riss das Fenster auf, um auf kühlere Gedanken zu kommen, und ließ sich sofort wieder aufs Bett fallen. Ihm war durch das abrupte Aufspringen schwarz vor Augen geworden. Entschieden sog er die frische Luft ein und hoffte vergebens sein Kreislauf würde sich rasch stabilisieren. Stattdessen fühlte er den Stich im Herzen, während er einen vertrauten Geruch wahrnahm, den ihm die kühle Brise ins Zimmer wehte. Duftete es nach Maiglöckchen? Er richtete sich unsicher auf und schaute suchend in den Garten. Seine Hoffnung zerstob, wie die Schneeflocken an den schlecht isolierten Fenstern. Eine Fata Morgana seines Geruchssinns. Da war nichts, bis auf den ersten flüchtigen Schnee diesen Winters. Wütend stieß er mit einem Bein gegen das Bettgestell. Konnte er sich auf nichts mehr verlassen? Es war vorbei. Die leise Hoffnung, noch einmal in Emmys warmherzige Augen zu schauen, musste er, wie sein geliebtes Leben, endgültig beerdigen. Mit leerem Blick nahm er hastig den letzten Schluck Wein, welchen er vor Linas großer Aufräumaktion gerettet hatte, und prostete sich zynisch zu:
»Auf das, was nicht zu halten ist, und auf das, was kommen wird.« Erfolglos wischte er sich den kalten Angstschweiß von der Stirn. Das beängstigende Gefühl haftete an ihm wie das Pech der letzten Wochen. Um der dummen Bangigkeit zu entrinnen, erforschte er weiter die winterliche Luft. Seine feine Nase, die ihn bisher nie betrogen hatte, erschnupperte eine bittersüße Wacholdernote, die duftmäßig große Schwester von Engelwurz. Es roch nach feuchtem Wald, nach vermoderten Blättern, nach dem Tod. Ja, das war es, was er hören wollte. Er analysierte mit geschlossenen Augen weiter und wurde fündig: Ein unverkennbarer Moosgeruch mischte sich darunter, der dem andächtigen Moment eine stumme Würde gab und ihm ein kaum sichtbares Lächeln ins Gesicht zauberte. Nachdenklich schloss er das Fenster, legte sich in sein ausgekühltes Bett und schloss die Augen, um diesen feierlichen Moment festzuhalten.
Das behagliche Gefühl verschwand, nachdem er Linas aufdringliche Schritte gehört hatte, die sich über die Außentreppe der Einliegerwohnung im Parterre näherten. Für seine Schwester musste er sich etwas überlegen, damit sie in ihrer Naivität nicht an seinem Abschied zerbrach. Nur was? Sie behutsam auf seinen Plan einstimmen? Behutsam. Er lachte bitter auf. Das war noch nie seine Art gewesen. Weshalb war sie so überzogen anhänglich und fürsorglich – trotz seines Widerstandes? Wie mies musste er sie noch behandeln, um endlich in Ruhe gelassen zu werden?
»Eduard, bist du schon wach?«, rief sie mit ihrer hellen Stimme durch die geschlossene Tür.
»Verschwinde«, brüllte er wie ein wildgewordenes Tier und spürte seinen wiedererwachten Puls.
»Dein Frühstück stelle ich dir auf die Bank. Der Kaffee ist im Moment noch sehr heiß«, warnte sie ihn unbeeindruckt und stellte das Tablett auf der schneebedeckten Holzbank ab.
Kapitel 4
Zweieinhalb Jahre zuvor
Exakt sieben Minuten vor acht parkte Dr. Eduard Bernard wie an jedem Wochentag seinen Sportwagen vor der psychiatrischen Gemeinschaftspraxis in Singen am Hohentwiel. Eine Industriestadt mit Charme, deren Wahrzeichen im Westen aus einer imposanten Felsformation bestand. Gekrönt von einer mächtigen Festungsruine. Stolz und ruhig bewachte die Burgruine Hohentwiel die süddeutsche Stadt zwischen Bodensee und Schwarzwald. Man sah ihr an, wie wichtig sie sich seit tausend Jahren da droben fühlte. Fast genauso wichtig wie Eduard. Er war ein Glücksfall für die 50.000 Einwohner der Stadt. Er, ein begnadeter Diagnostiker. Unentbehrlich und unglaublich gutaussehend für seinen Geschmack. Ein prüfender Blick in den Seitenspiegel bestätigte ihm seine exakte Parkposition. Akkurat stand sein auffälliger Wagen parallel zur eingezeichneten Linie. Für den einzigen Parkplatz innerhalb der Fußgängerzone hatte er lange mit dem Stadtrat gerungen und sich nebenbei den Beinamen Sturkopf eingehandelt. Eine Ablehnung hätte er niemals akzeptiert. Vor dem Aussteigen kontrollierte er sein Markenzeichen auf Staubfreiheit. Seine handgenähten Lederschuhe, von denen er ein Dutzend hatte und die er nur zum Duschen und Schlafen auszog. Sein kontrollierender Blick ging über die Hose, das Hemd und das Sakko nach oben und endete mit einem prüfenden Blick in den innenliegenden Spiegel der Sonnenblende. Zufrieden strich er über seine Ledersitze, die wöchentlich mit einem nach Moschus duftenden Öl gepflegt wurden, stieg aus und lief mit großen Schritten in die Praxis.
»Guten Morgen, geht es allen gut?«, begrüßte er aufgesetzt freundlich die fünf Mitarbeiterinnen am Empfang, gab seinen Autoschlüssel ab und hastete, ohne eine Antwort abzuwarten, in sein Zimmer. Ein schlichter Schreibtisch aus gebogenem Glas, der zweimal am Tag geputzt werden musste, um perfekt auszusehen, war das augenfälligste im Raum. Dazu ein weißer Chefsessel für ihn, handgefertigt aus weichem Anilinleder. Vor dem Schreibtisch stand ein kleiner, weißer Hocker für die Patienten, auf dem sein aufgebügelter Arztkittel auf ihn wartete. Ein weißes Notebook auf dem Tisch rundete das Bild ab. Mehr gab es nicht. Abgesehen von der weißen Kaffee- samt Untertasse, deren Inhalt köstlich roch. Einen Löffel brauchte er nicht, ebenso wenig wie Bücher oder einen Schrank. Er selbst war das Dominierende im Raum. Das sah jeder, der zu ihm kam. Sein außergewöhnlicher Geruchssinn war sein Talent, wovon jedoch nur die wenigsten etwas ahnten. Beruhigt atmete er den vertrauten Duft seiner Mitarbeiterin ein, der ihn auf seinen Tag einstimmte, während er seinen dunkles Sakko mit dem weißen Arztkittel tauschte.
Es war jeden Morgen dasselbe Ritual. Seine persönliche Assistentin hatte ihm bereits das Notebook hochgefahren, fünf Minuten zuvor einen Kaffee mit einem halben Stück Zucker auf den Schreibtisch gestellt und vor einer halben Minute umgerührt. Zweimal links und sechsmal rechts, damit er sich nicht die Zunge verbrannte und der aufgelöste Zucker sich gleichmäßig im braunen Elixier seiner Tasse verteilte. Ohne dieses Ritual am Morgen konnte er nicht arbeiten. Das hatte er seiner Assistentin eingebläut, ebenso wonach sie zu duften hatte. Ihr süßliches, nach frühlingshaften Maiglöckchen und lebhafter Orangenblüte wohlriechendes Parfum lag noch im Raum. Die Mischung erinnerte ihn an seine letzte Beziehung vor sieben Jahren, die zwar nur kurz hielt, ihm jedoch in Erinnerung geblieben war. Seiner jugendlichen Partnerin hatte er damals Candy Kiss von Prada geschenkt. Er liebte seit seiner Kindheit diese Art von reinen, hellen Düften, deren betörende Vanillenote ihn an seine Lieblingsnachspeise erinnerte.
Er trank die Tasse Kaffee, wie immer, in einem Zug leer und überflog dabei auf seinem Notebook den Bericht zu seinem ersten Patienten. Nach der ersten Zeile wusste er bereits, was er ihm verschreiben könnte. Er würde den Patienten nebenbei über die Nebenwirkungen aufklären, ihn pflichtbewusst fragen, ob er suizidal sei, und dann aufgrund des Körpergeruchs entscheiden, ob er ihn nach Hause entlassen könne oder er stattdessen eine Überweisung in die Psychiatrie veranlassen müsse. Ihn widerten die teilweise abgestandenen, nach Verfall beißenden Gerüche seiner Patienten an. Unwillkürlich brachte er sie mit Leichengeruch in Verbindung, was ihn bis in die letzte Faser ekelte. Zudem langweilten ihn die Geschichten. Patienten, die ihm alle dasselbe erzählten und keinen Mumm mehr in ihren morbiden Knochen verspürten. Abstoßend. Allein bei dem Gedanken schüttelte es ihn.
»Herr Doktor, darf ich Ihnen den ersten Patienten bringen?«, fragte seine Assistentin mit einem zauberhaften Lächeln, nachdem sie eingetreten war und sein abgelegtes Sakko über ihren Arm gelegt hatte. Sie nahm, wie jeden Morgen um Punkt 8 Uhr, sein Sakko samt leerer Kaffeetasse mit und holte den ersten Patienten im Wartezimmer ab. Er nickte jovial, genoss vorbeugend einen letzten Atemzug Vanille mit Orange und Maiglöckchen, und lehnte sich zufrieden zurück.
Kapitel 5
»Guten Morgen, Herr Dr. Bernard. Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich haben«, begrüßte ihn Patient Wenger devot, streckte ihm die Hand, mit der Innenfläche nach oben, entgegen und blieb stehen. Bernard nickte ihm herablassend zu, während er die Patientenakte ein zweites Mal überflog. Eine Taktik von ihm, um keinem die Hand geben zu müssen.
»Setzen Sie sich«, wies er ihn an. »Sie leiden unter häuslicher Gewalt, lese ich. Ihre Frau schlägt Sie?«
»So stimmt das nicht«, wich Wenger bedrückt aus, während er schützend seine Arme vor dem Körper verschränkte und sich setzte. Nachdem Bernard nicht reagierte, nur etwas eintippte, fühlte sich der Patient offenbar genötigt, mehr zu erzählen. Ebenfalls eine Taktik von Bernard: nichts zu sagen, um mehr zu erfahren. »Sie sagt, ich sei nicht zu gebrauchen und ein elender Jammerlappen. Sie würde sich für mich schämen.«
»Weshalb?«
»Vor kurzem war ich ungeschickt und hatte mir eine Rippe gebrochen. Und den Arm«, ergänzte er weinerlich und wollte bereits die nächste Geschichte erzählen.
»Ihre Frau hatte sie mutmaßlich die Treppe hinabgestoßen, steht hier«, bemerkte Bernard gefühllos.
»Das kann man so nicht sagen.«
»Ich bin weder Chirurg noch Scheidungsanwalt. Was erwarten Sie von mir?«
»Dass Sie mir helfen«, antwortete Wenger niedergeschlagen und starrte die weißen Fugen im makellosen Steinboden an. »Ich kann so nicht weiterleben, ich kann nicht schlafen, ich fühle mich wertlos.«
»Sie möchten Ihrem Leben ein Ende setzen?« Dr. Bernard schloss für einen Moment die Augen, um sich auf den Körpergeruch seines Patienten zu konzentrieren. Der Mann roch dezent nach brennendem, jedoch nicht komplett verzweifeltem Angstschweiß, der mit einem zitronigen Rasierwasser übertüncht worden war. Wenger war es gewohnt in die Zitrone zu beißen, überlegte der Psychiater spöttisch und konnte den Mann nicht ernst nehmen, der offensichtlich nichts an seiner Situation ändern wollte. Sich auch genau aus diesem Grund nichts antun würde. Für eine Kehrtwende roch er zu mutlos – nach Hasenstall. Der typische Ammoniakgeruch, der durch Bakterien im Urin verursacht wurde, verbreitete sich unangenehm im Raum, bemerkte Bernard. Es könnte eine Harnwegsinfektion sein, was er jedoch eher ausschloss. Er öffnete nach seiner Kurzdiagnose die Augen und erkannte an der erstarrten Mimik seines Gegenübers, wie recht er hatte. »Sie wollen sich nichts antun.«
»Nein, auf keinen Fall«, bestätigte es der Patient erschrocken. »Beim letzten Mal hatte man mich so verstanden und ich wurde eingewiesen. Ein Missverständnis. Ich leide lediglich unter einer Angststörung und habe einen weiten Weg vor mir, sagt mein Therapeut und schickt mich daher zu Ihnen. Bitte geben Sie mir ein Medikament, damit ich wieder glücklich werde.«
»Die kann ich Ihnen verschreiben«, antwortete Bernard gelangweilt und tippte den Namen des Präparats, welchen er bereits zuvor im Kopf hatte, in die elektronische Patientenakte. »Sie nehmen eine halbe Tablette vor dem Schlafen. Nach einer Woche verdoppeln wir die Dosis. Im nächsten Quartal sehen wir uns.«
»Wird es mir dann besser gehen, Herr Doktor?«
»Das wird sich zeigen.« Er musterte ihn und zuckte teilnahmslos mit der Schulter. »Es kann sein, dass sich Ihre depressive Stimmung zunächst verschlimmert. Das ist normal. Die Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme, Schwindel, anormale Träume bis hin zu Albträumen und suizidale Gedanken. Sollten diese auftreten, dann melden Sie sich sofort in der Praxis.«
»Das hört sich gefährlich an«, monierte Wenger leise. Seine Ängstlichkeit roch intensiver als zuvor und vermischte sich mit einer Prise Feigheit. »Haben Sie mir kein anderes Medikament?«, fragte er unterwürfig und wischte sich hektisch den nach Stallhasen riechenden Schweiß von der Stirn.
»Ich habe Ihnen einen besseren Vorschlag«, antwortete Bernard knapp, dessen feine Nase die furchtsamen Absonderungen seines Patienten nicht mehr ertragen konnte. »Trennen Sie sich von Ihrer Frau.«
»Das kann ich nicht. Ich liebe sie.« Verzagtheit lag für eine Sekunde als Kopfnote in der Luft und wurde von der dumpfen Basisnote Besorgnis abgelöst, die Bernard als bitteren, metallischen Geruch wahrnahm. Seine Studienkollegen hatten sich früher über seine Begabung lustig gemacht, bis er dem Professor Beweise erbringen konnte, wie treffend seine Duftanalysen waren. Am Ende schrieb er seine Doktorarbeit darüber, wie körpereigene Ausdünstungen in der Diagnostik zu nutzen sind. Weil sein Talent niemand besaß und daher nicht nachzuvollziehen war, wich er mit seiner Dissertation auf Hunde aus, die beispielsweise mit hoher Trefferquote Krebsarten erschnüffeln konnten.
»Na dann.« Er drückte auf eine Taste und wartete, bis seine Assistentin hereinkam. »Einen neuen Termin in vier Wochen und ein Rezept.« Während er sich kontaktlos von seinem Patienten verabschiedete und ihn mit einer ungeduldigen Geste zur Tür schob, rief seine Assistentin ihm am Notebook die nächste Patientenakte auf und nahm den verzweifelten Wenger mit.
Kapitel 6
