Du bist zauberhaft - Isabella Anders - E-Book

Du bist zauberhaft E-Book

Isabella Anders

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Nach dem plötzlichen Tod seiner Ehefrau steht Sven De Luca neben sich. Dana Veselá kümmert sich aufopfernd um ihn und seine Kinder. Durch den Verkauf seines Unternehmens können sie sich zunächst ein Leben ohne Arbeit leisten. Nach einem Blick auf den sinkenden Kontostand bekommt Dana jedoch Zukunftsängste. Sie motiviert Sven neue Romane zu veröffentlichen, damit sie nicht aus ihrem idyllisch gelegenen Häuschen am Bodensee ausziehen müssen. Der depressive Sven ist allerdings zu keinem Satz fähig. Dana greift zu einer List und überredet ihn, einen Ghostwriter-Vertrag mit der unbekannten Autorin Josefin Blum zu unterschreiben. Widerwillig lässt er sich darauf ein, genauso wie Josefin, die nur des Geldes wegen unterschreibt. In Wahrheit kann die Alleinerziehende nur selbst Erlebtes zu Papier bringen und denkt darüber nach, wie sie aus dem erzwungenen Geschäft schadlos herauskommt. Dana lässt sich davon nicht entmutigen und verwandelt Josefins Leben in einen Alptraum, damit ihr der Stoff zum Schreiben nicht ausgeht. Danas Intrige, die ihr Leben mit Sven festigen soll, läuft aus dem Ruder. Am Ende sind alle drei in einen handfesten Kriminalfall verwickelt und nur noch orientierungslose Passagiere in stürmischer See.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 301

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



© 2025 Isabella Anders

Herausgeberin: Jasmin Süßmann

Lektorat: Christian Deuling

Cover designed by freepik

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin durch:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jegliche Verwertung ist ohne

ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im

Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung

»Impressumservice«, Heinz-Beusen-Stieg 5, D-22926 Ahrensburg.

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden

oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:

[email protected]

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Schlussworte

Du bist zauberhaft

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

Kapitel 59

Du bist zauberhaft

Cover

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

51

52

53

54

55

56

57

58

59

60

61

62

63

64

65

66

67

68

69

70

71

72

73

74

75

76

77

78

79

80

81

82

83

84

85

86

87

88

89

90

91

92

93

94

95

96

97

98

99

100

101

102

103

104

105

106

107

108

109

110

111

112

113

114

115

116

117

118

119

120

121

122

123

124

125

126

127

128

129

130

131

132

133

134

135

136

137

138

139

140

141

142

143

144

145

146

147

148

149

150

151

152

153

154

155

156

157

158

159

160

161

162

163

164

165

166

167

168

169

170

171

172

173

174

175

176

177

178

179

180

181

182

183

184

185

186

187

188

189

190

191

192

193

194

195

196

197

198

199

200

201

202

203

204

205

206

207

208

209

210

211

212

213

214

215

216

217

218

219

220

221

222

223

224

225

226

227

228

229

230

231

232

233

234

235

236

237

238

239

240

241

242

243

244

245

246

247

248

249

250

251

252

253

254

255

256

257

258

259

260

261

262

263

264

265

266

267

268

269

270

271

272

273

274

275

276

277

278

279

280

281

282

283

284

285

286

Kapitel 1

In der beschaulichen Stadt an der Ostsee roch es wie beim letzten Mal. Blümchen, wie sie von ihrem neuen Freund genannt wurde, sog mit geschlossenen Augen die würzige Seeluft ein. Wobei, Freund war nicht das richtige Wort, korrigierte sie sich in Gedanken. Sie schrieben sich seit ein paar Wochen innige Mails, als ob sie beste Freunde wären. Seine liebevollen Worte strahlten eine Wärme und Nähe aus, als ob sie sich seit Jahre kannten – ihre Antworten ebenso. In Wahrheit war er jedoch ein Fremder, dem sie bisher nie begegnet war. Er hatte sie über Social Media angeschrieben und sachlich von seinem Angebot berichtet. Inzwischen war daraus ein konkreter Vertrag entstanden. Morgen würden sie, zumindest beruflich, Partner werden. Womöglich für immer. Ein angenehmes Kribbeln durchzog ihren Körper, während sie die salzige Meeresluft tief einatmete.

»Du tust mir so gut«, rief sie den Wellen entgegen und streckte euphorisch ihre Arme dem Meer entgegen, als ob sie es umarmen wollte. Sie hatte sich seit langem nicht mehr so sehr auf eine Auszeit gefreut. Ihre zweijährige Tochter Lilly tanzte vor Freude im Sand und jauchzte mit. Hier in Warnemünde war Josefin Blum alles vertraut. Ihr Alltag, die lästigen Sorgen, waren weit weg. Konkret 236 Kilometer. Ihr schien es jedoch, als sei sie auf einem anderen Stern. Unerreichbar für das, was ihr nicht guttat. Eine wohltuende Schwerelosigkeit breitete sich in ihr aus.

»Wann kommt Lenny?«, fragte Lilly ihre Mami zum fünften Mal, seit sie aus dem Auto gestiegen waren, und schaute sie mit ihren großen blauen Augen vorwurfsvoll an.

»Dein Bruder muss zur Schule. Das weißt du doch.«

»Es soll kommen.«

»Er besucht uns am Wochenende, wenn keine Schule ist«, erklärte sie geduldig, weshalb sie ohne den Elfjährigen zur Mutter-Kind-Kur an die Ostsee gefahren waren.

Die vier Wochen an der See hatte sie bitter nötig. Eine Auszeit von allem würde ihr guttun. Davon war ihr Hausarzt überzeugt, nachdem sie sich eine hartnäckige Bronchitis eingehandelt hatte und ihr bei der Arbeit verstärkt Flüchtigkeitsfehler unterlaufen waren. Seit dieser Fremde vom Bodensee ihr regelmäßig Mails schickte, war sie unkonzentriert. Weshalb hatte sie sich auf diesen Flirt eingelassen? Weshalb ließ sie sich von seinen Zeilen verzaubern und antwortete in einer Weise, über die sie sich selbst wunderte? Normalerweise handelte sie überlegt, achtete bei jedem Schritt, wohin er führte. Diesmal ließ sie sich mitreißen. Sein Angebot war zu verlockend, um es abzulehnen: Ein Schriftsteller mit einer Schreibblockade. Seine Briefe fühlten sich zwar nicht danach an, aber der ungewöhnliche Auftrag reizte sie. Sie würde ab morgen die Geschäftspartnerin von Sven De Luca sein. Ein Schriftsteller vom Bodensee. Sie wäre seine Ghostwriterin und zauberhafte Muse, wie es De Luca in seinem Vertrag frivol formuliert hatte. Auf Lebenszeit. Offensichtlich rechnete der Mann nicht damit, jemals wieder schreiben zu können. Dafür sollte sie künftig die Hälfte seiner Honorare bekommen.

Die Einnahmen für Lesungen kämen hinzu. Glücklicherweise war sein Pseudonym weiblich. Isabella Anders. Wonach klang der Name? Würde sie es tatsächlich wagen, ab morgen die Anders zu sein? Wenn sie an ihre neue Herausforderung dachte, zog sich ihr Magen zusammen. Auf eine angenehme, aufregende Weise. Wie unvernünftig. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus und fror gleich darauf wieder ein. Sie solle Abstand von ihm und seinem dubiosen Angebot halten, hatte ihr Maike Jansen geraten. Nicht nur einmal. Sie hatte Maikes Warnungen in den Wind geschlagen und ihre Arbeitszeit bei der Bank bereits auf ein Minimum reduziert. Obwohl sie De Lucas Vertrag noch nicht in Händen hatte. Weshalb war sie diesmal so euphorisch? Hätte sie auf ihre Freundin hören sollen? Nein. Maike war keine gute Beraterin mehr, seitdem sie von ihrem letzten Freund geghostet wurde. Er war von einem Tag auf den anderen nicht mehr erreichbar und zeigte sie, Tage später, bei der Polizei als Stalkerin an, nachdem sie vor seiner Haustür auf ihn gewartete hatte, um sich mit ihm auszusprechen. Es war Maikes letzte herbe Enttäuschung mit den Männern. Zuvor hatte sie einen, der nicht von Beziehung sprach, sondern von Situationship. Das neudeutsche Wort für exklusive Unverbindlichkeit. Maike hatte ihr damals den Sinn erklärt, obwohl es keinen gab. Man ist ein Paar, solange keiner der beiden einen besseren Partner findet. Ihre Freundin hatte sich auf diese neue Art der Beziehung eingelassen, weil sie nicht davon ausging, ihr damaliger Freund würde sie jemals verlassen. Sie waren verliebt, über beide Ohren. Dann, nachdem Maike von einem langen Arbeitstag nach Hause gekommen war und sich auf einen gemütlichen Abend mit ihm gefreut hatte, war die andere da. Die neue Freundin ihres Freundes. Ohne Vorwarnung. Sie half ihm, mit stoischem Gesichtsausdruck, seine Sachen zu packen. Maike war wütend und zugleich unglaublich traurig. Kein Wunder, hatte sie kein Vertrauen mehr und unterstellte den Männern im Allgemeinen und neuerdings dem Schwaben, wie sie Sven abfällig nannte, die schlechtesten Absichten. Zudem, so hätte sie es gehört, wären die Männer im Süden besonders schlimm. Geizig, egoistisch und unnahbar.

Josefin schüttelte den Kopf, während sie sich an Maikes pauschale Vorurteile erinnerte. Erstens mochte sie ihre Mitmenschen, bis sie ihr einen Grund gaben, es nicht zu tun. Sie war offen und neugierig, jedoch nicht kopflos. Zweitens war Sven charmant und außergewöhnlich nahbar. Seine Zeilen berührten ihr Herz, ließen es hüpfen. Aber darum ging es nicht, stoppte sie ihr Gedankenkarussell. Es ging nicht um einen Flirt, um die nächste große Liebe, sondern ihre Existenz hing auf einmal von dem Fremden ab. War er so verlässlich, wie er behauptete? Hätte sie überlegter vorgehen sollen? Wie es sonst ihre Art war? Nein, versuchte sie sich zu beruhigen. Er antwortete ihr verlässlich auf jede Mail. Hatte er mal keine Zeit, so schrieb er per WhatsApp, wann er ihr antworten würde. So eine zuverlässige Art gab es selten. Er hatte sie bisher nicht enttäuscht. Weshalb sollte sie plötzlich an ihm zweifeln?

Ihr Blick schweifte übers Meer, auf dem, wie an einer Perlenkette, die Containerschiffe auf ihre Einfahrt in den Hafen warteten. In Gedanken war sie bei ihm. Ja, sie vertraute ihm. Mehr als das, sie fühlte sich ihm nah und konnte es kaum erwarten, ihn endlich zu sehen. Sven hatte angeboten, sie in Warnemünde zu besuchen. Morgen, am Nachmittag, waren sie auf ein Stück Kuchen verabredet. Er nahm den weiten Weg auf sich, um sie persönlich kennenzulernen. Besser konnte er seine Ernsthaftigkeit nicht untermauern, vertrieb sie mantraartig ihre letzten Zweifel. Den Vertrag würde sie morgen unterschreiben und bekäme im Gegenzug einen Scheck von ihm. Die Hälfte seines Verlagsvorschusses hatte er ihr angeboten – bevor sie nur eine einzige Seite des Manuskripts geschrieben hatte. Geizig war das nicht, verteidigte sie ihren künftigen Geschäftspartner in Gedanken. Er kannte sie ebenso wenig und ging dasselbe Risiko ein. Was für eine verrückte Idee, murmelte sie vor sich hin. Ihre besorgten Gedanken, die leider immer wieder aufkeimten, wurden diesmal durch das Klingeln ihres Smartphones unterbrochen. Nachdem sie den Namen ihrer Freundin entdeckt hatte, nahm sie das Gespräch entgegen.

»Bist du gut angekommen? Regnet es bei euch?«, überfiel Maike sie ohne Begrüßung.

»Bin ich aus Zucker? Wir sind am Strand. Es ist herrlich, wie immer«, schwärmte Josefin, betont überzeugt, und schaute ihrer Kleinen zu, die mit ihren bunten Plastikförmchen unablässig Sterne in den feuchten Sand drückte.

»Es regnet demnach. Dich kann wohl nichts abschrecken?«, neckte Maike ihre beste Freundin.

»Es nieselt nur, zudem ist es noch warm genug, um barfuß über den Sand zu schlendern.« Sie hatte keine Lust auf Maikes Andeutung einzugehen.

»Wann kommt der verrückte Schwabe?«, wechselte Maike endgültig vom Small-Talk zum eigentlichen Thema.

»Morgen. Er ist nicht verrückt, nur …«, versuchte sie vergebens die richtigen Worte zu finden, während sie verärgert schwere Wolken am Himmel entdeckte, die nichts Gutes verhießen.

»Wer sich auf ein Stück Kuchen mit einer Unbekannten am anderen Ende Deutschlands verabredet, muss verrückt sein«, beharrte Maike auf ihre Interpretation.

»Er wollte mir den Vertrag nicht mit der Post senden. Zudem …« Sie stockte, nicht nur weil sie husten musste. Weshalb rechtfertigte sie sich in jedem Gespräch? Hatte sie das nötig? »Wir haben uns noch nie gesehen. Es ist normal, dass man sich beschnuppert, bevor man gemeinsame in eine berufliche Zukunft startet«, entschied sich Josefin für das Gegenteil und verteidigte, wie schon so oft, ihren Geschäftspartner ins spe.

»Ah ja, so weit sind wir schon. Du findest wohl alle seine Ideen gut?«, frotzelte Maike, bevor sie erneut ernst wurde. »Gegen ein Beschnuppern hätte niemand etwas. Aber du hast bereits deinen Job gekündigt. Du stehst barfuß am Strand, obwohl du Husten hast und Regen angekündigt ist. Es ist nicht deine Art. Du handelst neuerdings unüberlegt, du bist verliebt, und es wird schiefgehen.«

»Wie kommst du darauf?«

»Männern ist nicht zu trauen: Erst umschwärmt er dich, bis er dich weichgeklopft hat, dann wird er dich mit dem Vertrag reinlegen und am Ende ist er weg. Ich weiß es.«

»Weshalb? Weil du kein Glück hattest?«, forderte sie Maike heraus und hätte am liebsten das Telefonat beendet.

»Hast du die Zeitungsausschnitte über ihn, die ich dir zugeschickt habe, immer noch nicht gelesen?«

»Nein. Ich mache mir mein eigenes Bild.«

»Okay, ich helfe dir dabei. Er war beim Anwalt. Frage dich einmal weshalb. Hast du den Vertrag auch von einem Anwalt prüfen lassen? Nein? Na dann, viel Spaß mit dem Kleingedruckten, Frau von demnächst arbeitslos.«

»Was soll das?«, echauffierte sich Josefin und spürte, wie sie immer ärgerlicher wurde.

»Du willst nur noch 10 Stunden pro Woche bei der Bank arbeiten. Wovon willst du leben? Von einem ungedeckten Scheck. Hast du mir nicht zugehört? Seine Seniorenresidenz in Stuttgart ist bankrott. Zuvor hatte er einen zwielichtigen Job und man vermutet, er habe einen Konflikt mit der Unterwelt. Seine Schreibblockade ist vielleicht nur vorgeschoben, weil er dich in etwas hineinziehen will. Womöglich in seine dunklen Geschäfte. Höre mir einfachmal zu: Von so einem lässt man die Finger.«

»So ein Quatsch. Er schreibt offen über seine Gefühle, darüber, wie schlecht es ihm geht. Er hat seine Frau verloren. Ist es ein Wunder, dass er eine Schreibblockade hat?«

»Der ist wegen anderer Dinge blockiert und kann sich vermutlich in der Öffentlichkeit nicht zeigen, um nicht verhaftet zu werden«, kam es spottend.

»Ich habe mich entschieden und werde für ihn den nächsten Roman schreiben.«

»Kannst du das? Hast du Erfahrung?«, bohrte Maike alternativ Josefins Selbstvertrauen an, nachdem sie mit ihren Warnungen nichts hatte bewirken können.

»Wenn ich es nicht probiere, finde ich es niemals heraus«, begehrte sie mit heiserer Stimme auf.

»Noch kannst du alles abblasen.«

»Ich kann gut genug auf mich aufpassen. Zudem zieht ein Wetter auf, ich muss …«, reagierte Josefin verschnupft mit einer Hustenarie und verabschiedete sich. »Danke, dass du mir die Ankunft versaut hast«, schimpfte sie leise vor sich hin, nachdem sie ihr Handy in die Tasche zurückgesteckt hatte. Sie mochte Maike, nur nicht ihre Angstmacherei. Svens Worte wärmten ihr Herz und einen Roman für Erwachsene zu schreiben, hatte sie schon immer gereizt. Bisher waren es Kurzgeschichten und Kinderbücher, die sie jedoch nie veröffentlicht hatte. Ihr banger Blick wanderte zum dunkler werdenden Horizont. Eigentlich wollte sie ihrem Lieblingsimbiss, dem Futterkutter am Hafen einen Besuch abstatten, wie immer, wenn sie in Warnemünde ankam. Der Wind frischte jedoch auf. Sie musste zurück und ausnahmsweise auf ihr geliebtes Ritual verzichten. War es ein unheilvolles Vorzeichen? Maikes Worte waren leider nicht ohne Wirkung geblieben. Wovon sollten sie leben, wenn Sven sie nicht bezahlen könnte? Ein Risiko blieb immer, das hatte er ihr auch geschrieben. Bedrückt schaute sie ihrer Tochter zu, die verträumt im Sand spielte und nicht bemerkte, wie der Himmel dunkler wurde.

Kapitel 2

986 Kilometer südlich von Warnemünde war die Stimmung ebenfalls gedrückt. Dana Veselá, die Nanny von Svens Kindern, hatte das Abendessen vorbereitet und im Garten des ehemaligen Ferienhauses den Tisch gedeckt. Im riedgedeckten Häuschen am Bodensee, welches Sven an einen unvergesslichen Urlaub mit seiner Frau an der Ostsee erinnerte, war es still geworden. Die Trauer um Marcella war allgegenwärtig. Sven konnte nicht begreifen, dass seine große Liebe für immer gegangen sein sollte. Seit sie vor Weihnachten angeblich bei einem Verkehrsunfall aus dem Leben gerissen worden war, hatte sich sein unverwüstlicher Optimismus ins Gegenteil verkehrt. Zugleich war da ein Funken Hoffnung in ihm zurückgeblieben, dass seine Frau nicht am Steuer gesessen haben konnte – weil es nicht sein durfte. Das Gegenteil konnte man ihm nicht beweisen.

Aufgrund des Feuers waren alle Spuren restlos vernichtet worden und man ging lediglich davon aus, dass Marcella bei dem Unfall im Fahrzeugwrack gesessen haben musste. Es waren lediglich Annahmen aufgrund einer Zeugenaussage und der Auswertung ihrer Handydaten. Der vom Täter eingesetzte Brandbeschleuniger verhinderte jedoch bei der verunfallten Person die forensische Untersuchung der Zähne und Knochen. Bei Temperaturen von rund 4.000 Grad im Bereich des Fahrersitzes blieb nur Asche und verglühtes Metall zurück.

Manchmal träumte er von Marcella und hörte ihre Stimme, die ihn um Hilfe bat. Er fantasierte, sie stünde irgendwann wieder vor seiner Tür. Wurde Marcellas Auto samt ihrer Tasche und dem Handy gestohlen? Verunfallte der Täter und sie lebte? Vermutlich hatte sie, nachdem ihr das Fahrzeug mutmaßlich in Stein am Rhein entwendet wurde, vor Aufregung einen Schwächeanfall erlitten, stürzte aufgrund des niedrigen Blutdrucks, stieß sich am Kopf an und verlor vorübergehend ihr Gedächtnis, überlegte Sven fieberhaft. War sie in einer Schweizer Klinik und litt unter Amnesie? Sie würde sich erinnern, irgendwann. Sie lebte – in den hoffnungsvollen Momenten war er davon überzeugt. Allerdings glaubte niemand seine Theorie. Nicht einmal Anton, sein bester Freund und erfahrener Privatermittler, der vergeblich alle Kliniken nördlich und südlich vom Rhein abtelefoniert hatte. Möglicherweise lag sie in einer Spezialklinik in Zürich oder wurde, aufgrund ihres südländischen Aussehens, in die italienische Schweiz gebracht. Für die Anderen ergab es keinen Sinn, weshalb Marcella nicht im Auto gesessen haben sollte. Diese Ignoranz machte ihn depressiv. Ohne professionelle Therapie und Danas Hilfe wäre sein Leben vorbei gewesen, das war ihm klar und dafür schätzte er sie. Dana kümmerte sich nicht nur um seine Kinder, sondern umsorgte ihn. Mit mäßigem Erfolg, weshalb Svens Therapeut ihr geraten hatte, die Taktik zu ändern und ihn nicht mehr zu schonen.

Im Januar des Vorjahres waren die Eheleute De Luca, ihre beiden Kinder und Dana in das kleine Haus in Moos eingezogen. Es lag verträumt am Ufer des Bodensees. Vom Garten aus hörte man das Plätschern der Wellen und das Knarren der Leinen, wenn der Wind mit den Booten spielte. Ein idealer Ort, um anzukommen. Es war Svens Traum gewesen, mit der Familie, zu der schon damals die Nanny gehörte, in dieser Urlaubsregion glücklich zu werden. Marcella und er hatten alle Krisen gemeistert, ihre Liebe war stärker als jemals zuvor. Über den Sommer hatten sie sich ein Segelboot mit Kajüte gemietet und waren auf dem See in eine andere Welt eingetaucht. Sie genossen den Herbst zusammen, die Zweisamkeit der Winterabende, bis die Idylle ein jähes Ende fand. Am 12. Dezember kam seine Ehefrau nicht mehr nach Hause. Der Verlust lähmte ihn. Inzwischen hatte er seine verbliebenen Anteile der Parkresidenz Marven in Stuttgart aufgegeben. Marcellas Traum. Viel war davon nicht mehr übriggeblieben, nachdem das Unternehmen zuvor erfolgreich sabotiert worden war. (Roman Alles auf Anfang? tredition.com) Dana war die treibende Kraft: Sie organisierte sein Leben, hatte den Verkauf über ihre sizilianischen Kontakte abgewickelt und hielt ihm den Rücken frei. Sie hatte auch den Mietvertrag für das heimelige Ferienhäuschen mit den blauen Fensterläden zuerst verlängert und später den Besitzer zum Verkaufen überredet. Sie war schon immer seine rechte Hand gewesen. Er vertraute ihr und sie ihm. Zumindest bemühte er sich ihr weiterhin zu vertrauen. Irgendetwas störte ihn jedoch neuerdings an Dana. Er konnte es nur nicht benennen, lediglich fühlen. Obwohl sie immer für ihn da war und ihm auch ausreichend Zeit für seine Trauer gelassen hatte, warnte ihn auf einmal eine innere Stimme vor Dana. Vielleicht war es auch nur die veränderte Stimmung im Haus, die er seit ein paar Wochen spürte? Offenbar funktionierte seine innere Stimme: Denn Dana hatte sich vorgenommen, ihm heute den entscheidenden Schupps zu geben – den Schupps ins Leben zurück. Nicht behutsam, wie es ihr der Therapeut geraten hatte, sondern auf ihre spezielle Weise.

Kapitel 3

»Mia, legst du bitte die Servietten auf den Tisch?«, rief Dana betont fröhlich in Svens Arbeitszimmer, in dem er auf seinen Bildschirm starrte und seine siebenjährige Tochter, neben seinem Schreibtisch, sich mit einem Puppenhaus beschäftigte. Seit Marcellas Tod wich seine Tochter ihm nicht mehr von der Seite. »Machst du das wieder so schön wie beim letzten Mal?«, forderte sie Mia auf, die vertieft in ihr Spiel war. Mia nickte, nahm die Servietten aus Danas Hand und rannte in den Garten. Die rotkarierte Tischdecke leuchtete in der Abendsonne, die fünf buntlackierten Stühle strahlten eine längst vergessene Fröhlichkeit aus, obwohl einer nicht mehr genutzt wurde. Mia faltete sorgfältig die Servietten. Auf die Weise, wie sie es von ihrer Mama gelernt hatte. Dana brachte die Teller, Gläser und das Besteck. Nachdem sie alles verteilt und, wie jeden Abend, in Erinnerung an ihre Freundin Marcella ein Windlicht angezündet hatte, suchte sie Linus. Mias zwei Jahre jüngerer Bruder bohrte im hinteren Teil des Gartens mit einem Stock Löcher in den feuchten Rasen.

»Was machst du?«, fragte Dana interessiert, nachdem sie ihn unter dem Birnbaum entdeckt hatte.

»Da sind Ameisen, ich will sehen, wo sie wohnen«, erklärte er, ohne einen Blick vom Rasen abzuwenden.

»Siehst du etwas?«

»Nein.«

»Ich denke, sie arbeiten hier und wohnen woanders.«

»Weißt du wo?«, fragte er wissbegierig.

»Ich habe eine Vermutung. Ich zeige sie dir ein anderes Mal, sobald wir von unserer Überraschungsreise zurück sind«, antwortete sie und strich ihm liebevoll über den Schopf. »Komm. Zieh deine Buddelhose aus und wasch dir die Hände. Das Abendessen ist fertig.«

»Okay«, sagte er und ließ sich von ihr ohne Murren die Stiefel und die Hose ausziehen und ins Badezimmer bugsieren. Er brauchte fürs Händewaschen nur zwei Sekunden und war schnell wieder im Garten.

Dana hatte einen Bohneneintopf gekocht und verteilte ihn, während Linus ihr mehr von den Ameisen erzählte und heute schon in Erfahrung bringen wollte, wo sie wohnten. Mia saß schweigend neben ihrem Papa. Nachdem die Kinder gegessen hatten und von der Nanny ins Bett gebracht worden waren, ging Dana zu Sven, der sich erneut in sein Arbeitszimmer verkrochen hatte.

»Mia und Linus warten auf dich, auf deine Gute-Nacht-Geschichte«, erinnerte sie ihn.

»So spät schon? Kannst du …«

»Nein«, unterbrach sie ihn, wie in letzter Zeit jeden Abend. »Ich werde den Tisch aufräumen und du liest ihnen vor. Sie warten auf dich.« Abgeschlagen erhob er sich aus seinem Bürostuhl und ging nach oben zu den Kindern. Danas Blick ruhte besorgt auf Svens Bildschirm. Bis auf die Überschrift Du bist zauberhaft, war nichts zu sehen. Sie klappte das Notebook zu, löschte das Licht und lief in den Garten, um das Geschirr in die Küche zu bringen.

Zehn Minuten später hörte sie ihn bereits wieder die Treppe nach unten laufen. Verwundert vertrat sie ihm den Weg, bevor er sich an der Küche vorbei in sein Zimmer schleichen konnte.

»Sind die Kinder so schnell eingeschlafen?« Er nickte und sie wusste, dass er schwindelte. »Kannst du mir in der Küche helfen?«, erinnerte sie ihn auch daran und erntete einen leeren Blick. »Die Sachen in den Geschirrspüler einräumen«, forderte sie ihn auf, nachdem er offenbar schon wieder vergessen hatte, was alles zu seinen Aufgaben gehörte. »Danach möchte ich mit dir etwas besprechen.«

»Ich habe heute keinen Kopf für Gespräche«, antwortete er verhalten.

»Das hast du seit Wochen nicht«, warf sie ihm vor und nahm seine Hand. »Wir können es nicht länger aufschieben. Lass von mir aus das Geschirr stehen. Das mach ich später. Wir setzen uns unter den Baum. Nimmst du zwei Gläser und die Karaffe mit dem Orangensaft? Ich schaue nochmals nach den Kindern und bin gleich bei dir.«

Widerwillig nahm er ein Tablett, auf dem sie ihm noch ein Stück Apfelkuchen gelegt hatte, und lief zur Gartenbank, die nur wenige Meter vom Holztisch entfernt unter einem Walnussbaum stand. Sie brachte zehn Minuten später zwei Sitzkissen und eine kuschelige Wolldecke. Wortlos forderte sie ihn auf, sich zu setzen.

»Was hast du vor?«, fragte er vorwurfsvoll.

»Ich muss mit dir sprechen«, antwortete sie, setzte sich neben ihn und deckte ihn mit der einen Hälfte der Decke fürsorglich zu.

»Ich rede von den Kindern. Sie sprechen aufgedreht von einer Überraschung. Ihre kleinen Koffer sind gepackt.«

»Genau darüber möchte ich mir dir sprechen. Seit drei Wochen. Morgen machen wir einen Familienausflug«, begann sie von ihrem Plan zu berichten.

»Morgen?«

»Wir fliegen nach Rostock.«

»Wie bitte?«, fragte er erschreckt nach.

»Du hast mich schon verstanden.«

»Ich habe keine Zeit«, stammelte er und fuhr sich fahrig durch die Haare. »Ich habe nur noch acht Wochen Zeit, bis ich mein neues Manuskript beim Verlag abgeben muss. Sonst muss ich den Vorschuss zurück …«

»Wir fliegen ab Friedrichshafen«, fiel sie ihm ins Wort.

»Friedrichshafen? Seit wann gibt es von dort eine Flugverbindung nach Rostock? Und was ist mit den Kindern?«

»Es sind Ferien – schon vergessen? Übrigens habe ich beim Verkauf der Marven noch einen Flug mit Santinos Privatmaschine herausgehandelt«, grinste sie ihn schelmisch an. »Sag es schon. Bin ich gut oder sehr gut?«, forderte sie ihn auf etwas Nettes zu sagen, nachdem er verstummt war.

»Wie gesagt, ich kann nicht verreisen. Weder morgen noch übermorgen«, erklärte er verstimmt, während er sich aus der Decke befreien wollte, was sie verhinderte.

»Du bleibst hier«, bestimmte sie, drückte ihm ein Glas in die Hand und schaute ihn ernst an. »Siehst du nicht, wie Mia leidet? Sie spürt deinen Schmerz. Sie kann ihre eigene Trauer nicht verarbeiten, weil sie dich beschützen will. Du musst dich aufraffen. Für Mia, für Linus.«

Kapitel 4

Josefin betrat mit ihrer Tochter Lilly das ehemaligen Strandhotel Warnemünde. Sie kannte es von früher. Als sie vor zwölf Jahren mit ihrem Mann Olaf eine Woche an der Ostsee verbracht hatte, verliebte sie sich sofort in diese Gegend. Sie war zu der Zeit mit Lenny im vierten Monat schwanger und lief so oft es ging den fünfzehn Kilometer langen Sandstrand entlang. Ihr Mann konnte es kaum erwarten, bis sein Sohn auf die Welt kam. Seitdem waren sie jedes Jahr einmal hier oben an der See. Bis auf die letzten zwei Sommer. In der Zwischenzeit hatte sich viel verändert und auch das Hotel war verkauft worden. Gemischte Gefühle überkamen sie, als sie an der Rezeption stand und wartete, bis man Zeit für sie hatte. Der Eingangsbereich war renoviert worden und erinnerte nicht mehr an früher. Die Heizung lief auf vollen Touren; die Wärme tat ihr gut. Sie fühlte sich umarmt und gleichzeitig verlassen. Sie schüttelte die unguten Gedanken ab und versuchte sich an die schönen Momente mit Olaf zu erinnern. Im Gegensatz zu Maike, war sie ein positiver Mensch und schaute immer nach vorne. Die Trennung von ihrem Mann kam überraschend und war schmerzhaft gewesen. Dennoch hatte ihr die Ehe das Schönste geschenkt, was man im Leben haben konnte: zwei Wunschkinder. Zudem kümmerte sich ihr Ex-Mann so oft es ging um die Kinder und bemühte sich auch ihr gegenüber um ein gutes Miteinander.

Die Caritas hatte das Hotel zweckmäßig umgebaut und bot Mutter-Kind-Kuren an. Seitdem sie die Zusage für diesen Aufenthalt an der See bekommen hatte, war die Vorfreude groß. Obwohl sie damals nicht geahnt hatte, welche Überraschung auf sie wartete. Morgen, um 15 Uhr, würde sie ihn zum ersten Mal sehen, den Vertrag unterschreiben und in das Abenteuer ihres Lebens starten. Aufgeregt fühlte sie in der Tasche und ertastete ihr Notebook. Es war noch da. Sie strich über das kühle Metall, als ob sie es beruhigen wollte. Sobald sie den Plot ihres Vertragspartners kannte, würde sie mit dem Romanschreiben beginnen.

»Möchten Sie einchecken?«, riss sie eine freundliche Stimme aus ihren Gedanken.

»Gerne. Josefin und Lilly Blum«, stellte sie sich der Rezeptionistin vor, presste mit der einen Hand ihre große Tasche mit dem wichtigsten Utensil des Urlaubs an sich, mit der anderen hielt sie den Buggy ihrer Tochter fest und mit dem Fuß bugsierte sie den schweren Koffer in Position.

»Willkommen in Warnemünde. Ich bin Anja Petersen.« Die junge Frau, ungefähr in ihrem Alter, begrüßte sie freundlich, während sie eine weiße Schlüsselkarte in ein Lesegerät steckte. »Waren Sie schon einmal hier?«

»Früher, als es noch ein Hotel war«, gab sie verhalten Auskunft, ließ den Buggy los und unterschrieb die Anmeldeunterlagen, die vorausgefüllt vor ihr lagen.

»Wunderbar. Dann kennen Sie sich aus?«

»Wenn nicht alles umgebaut wurde, dann ja.«

»Sie haben das Zimmer 311.« Josefins Lächeln fror ein, während Anja Petersen ihr die Karte gab. »Ihr Zimmer ist im dritten Stock, hier links sind die Aufzüge. Den Speisesaal finden Sie im ersten Stock. Wie früher. Wir haben Ihnen ein Abendessen vorbestellt, ab morgen können Sie sich auf dem Plan selbst ankreuzen, auf was Sie und Ihre Tochter Appetit haben.«

»Danke«, stammelte sie entgeistert. »Ja, fast wie früher.« Vor Schreck hätte sie beinahe ihre Tasche mit dem Notebook fallen lassen. Weshalb dieses Zimmer, fragte sie sich in Gedanken. War es das nächste schlechte Vorzeichen? Sie atmete durch, verabschiedete sich und fragte ihre Tochter: »Wollen wir zuerst den großen Koffer auf unser Zimmer bringen und anschließend zum Abendessen gehen?« Sie bekam keine Antwort. Weder auf ihre Frage noch auf ihre ängstlichen Gedanken.

»Einen Moment bitte«, rief Petersen ihr hinterher.

»Ja?« Sie kehrte um und schaute sie fragend an.

»Ich darf Ihnen Ihre Mappe mitgeben, mit allen Terminen. Bitte lesen Sie alles sorgfältig durch und halten die Termine pünktlich ein«, erklärte die Rezeptionistin bestimmt.

Das Schwimmbad im Hotel war noch in Betrieb ebenso der Fitnessraum, mit Blick auf die See, wie sie es dem Plakat im Aufzug entnehmen konnte. Ihr Zimmer war kindgerecht eingerichtet. Das Kinderbett und die Spielecke gab es früher nicht. Auch im Badezimmer fand sie alle Utensilien für kleine Kinder. Im Flur stellte sie ihren Koffer ab, packte das Notebook aus ihrer Tasche, legte es auf ihr Bett, nahm die übermüdete Lilly auf den Arm und ließ hinter sich die Tür ins Schloss fallen. Die Mappe, mit den Terminen, würde sie erst am Abend lesen. Zuerst musste sie die vielen Eindrücke sacken lassen. In Gedanken versunken fuhr sie mit dem Aufzug in die erste Etage.

Im Speisesaal erinnerte nichts mehr an die alten Zeiten. Ein zweckmäßiger Linoleumboden war offenbar über den hübschen Dielenboden gelegt worden, welcher früher die Heimeligkeit alter Schiffe ausstrahlte. Vor der Drehtür zur Küche, die früher ständig in Bewegung war, stand eine Tafel, auf der mit Kreide die Aktivitäten des Tages notiert waren. Ein überschaubares Salatbuffet, daneben Getränke und eine Theke, an der man sich das Hauptgericht abholen konnte. Eine Frau Anfang 60, die auf sie gewartet hatte, schob ihr mit einem vorwurfsvollen Blick das Tablett zu, auf welchem Käsebrote und halbierte Birnen lagen, die mit Rosinen dekoriert waren und Mäuschen darstellen sollten.

»Haben Sie auch Fisch?«, fragte Josefin, die immer noch ihrem ausgelassenen Besuch am Futterkutter nachtrauerte.

»Nein. Sie sind zu spät und haben nicht vorbestellt.« »Wo kann ich vorbestellen?«

»Haben Sie keine Informationsmappe erhalten?«

»Ja, gerade eben.«

»Lesen Sie, dann wissen Sie Bescheid.«

»Wir sind erst angekommen«, erklärte sie sich und musste wieder husten.

»Sind Sie krank?«, fragte die unfreundliche Mitarbeiterin und musterte sie. »Dann dürfen Sie hier nicht bleiben.«

»Es ist bereits am Abklingen und nicht mehr ansteckend«, beteuerte sie. Weshalb rechtfertigte sie sich? Wäre es nicht besser, wenn sie in ein Hotel umziehen würde?

»Wie es Ihnen geht, entscheiden nicht Sie, sondern unser Hausarzt. Lesen Sie Ihre Unterlagen durch, dort steht, wann sie morgen früh ihren Termin bei Dr. Schlüter haben«, antwortete die Dame mit strenger Miene.

»Danke, das werde ich machen«, sagte sie verschnupft, nahm das graue Tablett entgegen und stellte es an der Getränketheke ab.

»Pünktlichkeit ist das halbe Leben: 7 Uhr Frühstück, 12 Uhr Mittagessen, 17 Uhr ist Abendessen und jetzt habe ich Feierabend«, ratterte die Frau ihren Text herunter, den Josefin an die Regeln eines Mädcheninternats erinnerte, und ließ anschließend einen silbernen Rollladen nach unten fahren. Frustriert drehte Josefin sich um, setzte Lilly in einen der Kinderstühle am Fenster und lief zurück, um ihr Tablett zu holen. Die kalten Getränke ließ sie stehen. Sie fröstelte, nicht nur wegen der kühlen Atomsphäre. Wie schade, dass ausgerechnet das Restaurant nicht mehr an früher erinnerte. Sie bedauerte allein zu sein. Maike hätte der Küchenhilfe die Meinung gegeigt. Anschließend hätten sie sich über die Situation amüsiert. Lilly fühlte sich ebenfalls unwohl und quengelte. Am liebsten hätte sie eine Runde mitgejammert und wäre in ein Hotel gezogen, wenn sie dafür das nötige Geld gehabt hätte. Zweifel und Vorfreude spazierten in ihrem Kopf auf und ab. Sie entschied sich nach langem Ringen für die Vorfreude auf diesen Schriftsteller, wickelte die zweite Birne, die als Nachttisch auf das Servierbrett gelegt worden war, in eine Serviette und fuhr mit ihrer Tochter erneut in den dritten Stock.

Nachdem Josefin das Wichtigste ausgepackt und Lilly bettfertig gemacht hatte, setzte sie sich auf den breiten Fenstersims und schaute auf die Hafeneinfahrt. Erinnerungen zogen wie Kurzfilme an ihrem geistigen Auge vorüber: Wie glücklich sie war, als sie da unten stand und mit Lenny schwanger war. Später, als er größer wurde und sie mit ihm die Schiffe beobachtete, die sich von dem grünen und roten Molenfeuer in den Hafen leiten ließen und Olaf, ihr Mann, voller Stolz seinem Sohn alles erklärte, wie die Molenfeuer angeordnet waren und was der Unterschied zu einem Leuchtturm war. Damals war ihre Welt noch heil. Sie erinnerte sich an ihre damaligen Gefühle, neun Jahre später, am selben Ort. Mit Lilly unter ihrem Herzen. Es gab ein Foto aus dieser Zeit, sie stand nachdenklich am Strand. In der Abendsonne. Allein. Damals spürte sie bereits die Veränderung bei ihrem Mann. Auf diesem Hotelbalkon hatte sie Olaf und Lenny die Neuigkeit überbracht. Lenny freute sich, im Gegensatz zu ihrem Mann. Er war damals wortlos aus dem Zimmer 311 gelaufen und erst spät in der Nacht wieder zurückgekommen. Sie stand in dieser Nacht zum letzten Mal auf diesem Balkon und fühlte sich verloren. Was im Kopf ihres Mannes vor sich gegangen war, hatte sie erst Wochen später erfahren, nachdem seine Affäre mit der Nachbarin in Berlin ans Tageslicht gekommen war. Sie hätte ihm verziehen, wäre er einmal ehrlich gewesen. Aber seine beharrlichen Lügen, seine Ausreden und am Ende seine verletzende Art, machten ihr den Abschied leichter.

»Warte«, flüsterte Josefin in ihr Handy und legte es beiseite. Leise schlüpfte sie in ihre warme Jacke, öffnete die Balkontür und ging hinaus, an den Platz, an den sie sich ungern erinnerte. Ein kalter Wind schlug ihr entgegen, der sie erneut zum Husten reizte. »Jetzt können wir sprechen.«

»Habe ich die Kleine mit meinem Anruf geweckt«, fragte Maike besorgt.

»Ich hatte es auf lautlos«, beruhigte Josefin ihre Freundin. »Stell dir vor. Ich bin im selben Zimmer, wie beim letzten Mal«, begann sie zu berichten. »Nachdem mir die Zimmernummer genannt worden war, fühlte ich mich für einen Moment wie in einem schlechten Film. Zuerst wollte ich nicht auf den Balkon hinaus.«

»Ich habe es dir gesagt. Es ist keine gute Idee.«

»Der Balkon kann nichts dafür. Viel schlimmer war das Abendessen, ich saß allein in dem großen Saal, der früher so hübsch hergerichtet war, und kam mir deplatziert vor.«

»Willst du abreisen und morgen deine überstürzte Kündigung zurück nehmen?«