Alles bio - logisch?! - David Spencer - E-Book

Alles bio - logisch?! E-Book

David Spencer

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Beschreibung

Pop Science zum Thema Ernährung - ein wissenschaftlicher Streifzug durch das Gemüsefach Der Pflanzen-Biologe und Science Slammer David Spencer lädt uns mit seinem Sachbuch dazu ein, gemeinsam die wunderbare Welt der Pflanzen zu entdecken und die faszinierenden und vielfältigen Seiten von unserem alltäglichen Obst und Gemüse kennenzulernen.  - Was hat das Obst und Gemüse in unserem Kühlschrank mit moderner Pflanzen-Biologie zu tun?  - Warum ist die Tomaten-Zucht auf dem Balkon ein Ringen gegen die Natur?  - Weshalb müssen auch Pflanzen geimpft werden?  - Sind Pflanzen-Zucht und Gen-Technik wirklich unnatürlich? - Und wie kann uns die Pflanzen-Forschung dabei helfen, nachhaltiger zu leben? Der Autor David Spencer ist sich sicher: Wenn wir das Hightech-Wissen aus der Forschungund moderne Methoden zur Züchtung mit Öko-Landbau kombinieren, können wir zu einer grünen Landwirtschaft und klimafreundlicher Ernährung gelangen. Dafür ist es auch nötig, einen Blick auf die landwirtschaftliche Produktion und die Züchtung unserer krautigen Freunde sowie auf die Zusammensetzung unserer Speisekarte zu werfen.  Dieses Buch ist mehr als eine nerdige Sammlung von Funfacts: Es erzählt erstaunliche und verrückte Geschichten aus der wunderbaren Welt der Pflanzen-Forschung. Wir erfahren viel Wissenswertes und Lustiges über die Herkunft und Produktion unserer pflanzlichen Lebensmittel. Ein gefundenes Fressen für Vegetarier*innen und Veganer*innen und für alle, die sich nachhaltig ernähren wollen!

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Seitenzahl: 196

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David Spencer

Alles bio – logisch?!

Die Superkräfte der Pflanzen nutzen, klimafreundliches Gemüse essen und die Welt retten

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Was hat der Inhalt unseres Gemüsefachs mit moderner Pflanzenbiologie zu tun? Warum ist die Tomatenzucht auf dem Balkon ein Ringen gegen die Natur? Und weshalb müssen auch Pflanzen geimpft werden? Der Pflanzenbiologe und Science-Slammer David Spencer erzählt ebenso unterhaltsam wie anschaulich von unserem täglichen Obst und Gemüse und dessen faszinierendem Leben. Er ist sich sicher: Mit der Kombination aus Hightech-Wissen aus der Forschung und Ökolandbau können wir zu einer grünen Landwirtschaft und klimafreundlicher Ernährung gelangen – und so zur Rettung der Welt beitragen! Ein gefundenes Fressen für alle, die sich nachhaltiger ernähren wollen.

Inhaltsübersicht

Vorwort

Kapitel 1 Alles nur in meinem Topf

Kapitel 2 Pflanzenzähmen leicht gemacht

Kapitel 3 Das Wunder von Beeren

Kapitel 4 Ein Korn im Feldbett

Kapitel 5 Natural Birn’ Killers

Kapitel 6 Walk the Lein

Kapitel 7 Eine Frage der Ähre

Kapitel 8 Die Zukunft ist bio – logisch

Lasst uns heute das Morgen säen!

Dank

Abbildungsnachweis

Für Linda

Vorwort

Pflanzen sind sessile Organismen. Das ist nicht nur der erste Satz in Hunderten von Abschlussarbeiten in der Biologie, sondern klingt auch schlauer, als es vielleicht ist. Der lateinische Ausdruck sessilis (»festsitzend«, »zum Sitzen geeignet«) deutet auf das, was uns wohl allen klar ist: Unsere grünen Freunde haben Wurzeln, sitzen fest, rühren sich nicht von der Stelle. Stell es dir einfach mal vor: Ein Mensch steht mitten auf einem großen Feld und kann nicht weglaufen. Zur besseren Visualisierung könnten die Füße in einem Betonblock stecken. Was macht Mensch dann? Na klar, aufs Smartphone schauen, ist ja sonst langweilig. Aber was, wenn der Akku plötzlich leer ist? Sie oder er beginnt die Umgebung intensiver wahrzunehmen. Die Sonne scheint vielleicht besonders heiß an diesem Tag. Vielleicht zieht aber auch ein Gewitter auf und Mensch steht im Regen. Irgendwann müffelt es mangels Körperhygiene, die Tiere fühlen sich angesprochen und krabbeln und surren und kneifen an den Beinen. Kleine Tiere locken große Tiere an – jetzt wird’s langsam unheimlich. Nach einiger Zeit machen sich nicht nur Hunger und Durst bemerkbar. Pilzgeflechte wachsen über die Füße und breiten ihre Fäden über den ganzen Körper aus …

 

Wahrscheinlich ist mein Punkt klar geworden: Unsere Pflanzen sind diesen Umweltfaktoren permanent ausgeliefert. Sie stehen vermeintlich schutzlos auf dem Acker oder im Garten und erdulden all diese Unannehmlichkeiten – jeden Tag, vierundzwanzig Stunden, ihr ganzes Leben lang auf ein und demselben Stückchen Erde. Und nach ein paar Monaten geben sie uns als Dank für die Strapazen nicht etwa einen Giftcocktail, sondern süße und gesunde Früchte. Wieso? Das haben wir in erster Linie der Evolution zu verdanken, im Zuge derer unsere krautigen Freunde die abgefahrensten Fähigkeiten entwickelt haben: Je nach Wetterlage können sie ihren eigenen Wasserhaushalt regulieren, indem sie kleine Lüftungen in ihren Blättern aktiv öffnen oder schließen. Gegen die Verdunstung cremen sie sich von oben bis unten mit einer Wachsschicht ein. Schädliche UV-Strahlung wehren sie mit selbst gebauten Filtern ab, während sie den Rest der Sonnenenergie nutzen, um aus Luft, Licht, Wasser und Liebe Zucker herzustellen. Fraßfeinde und Pilze können durch komplexe Phytochemikalien, also selbst gemachte Abwehrstoffe, in Schach gehalten werden.

Gleichzeitig produzieren Pflanzen Lockstoffe, um Bestäuber*innen in der Nähe durch Duft- und Farbkreationen zu umgarnen. Und wenn gar nichts mehr geht, rufen sie sogar um Hilfe: Pflanzen sind in der Lage miteinander und über Artgrenzen hinweg zu kommunizieren, Warnrufe auszusenden und beflügelte Verbündete zu rekrutieren. All das bewerkstelligen sie jeden Tag, bei Normaldruck und -temperatur und ohne große Mühe. Das geht schon seit Tausenden von Jahren so, und es könnte wohl für immer so weitergehen.

 

Wäre da nicht das mit der Klimakrise. Klar, Pflanzen können sich relativ gut an die unterschiedlichsten Bedingungen anpassen. Sie wachsen an den erstaunlichsten Orten – von der Balkonfliesenritze bis zum Polarkreis, von der Wüste bis zum Parkhaus. Aber mit solch einem rapiden Wandel, mit einer solchen Beschleunigung der Umweltveränderungen kommen selbst die Meisterinnen der Anpassung nicht mehr klar. Die Umweltfaktoren verändern sich einfach zu schnell. Wetterextreme und Katastrophen häufen sich, und lokale sowie globale Temperaturmaxima werden verzeichnet. Die Folgen: Dürre, erhöhter Schädlingsbefall, Missernten. Überall auf der Welt beobachten wir die Auswirkungen der atmosphärischen Erwärmung und knacken kontinuierlich die Temperaturrekorde. Die Biodiversität – also die bunte Vielfalt aller Tiere und Pflanzen – geht weltweit zurück.

Zweifellos direkt betroffen ist in unseren Breitengraden die Gemeinschaft der Landwirtinnen und Landwirte. Diese Berufsgruppe bekommt die Auswirkungen des Klimawandels wohl am stärksten zu spüren. Was aber kann man tun? Aufwendig beregnen bei Trockenheit? Viel zu teuer. Mehr Insektizide ausbringen bei Befall? Nicht wünschenswert. Weizen und Mais durch Palmen und Ananas ersetzen? So weit ist es (zum Glück) noch nicht gekommen. Außerdem lassen sich Kulturpflanzen nicht so einfach transplantieren, da sie regional an recht spezielle Bodeneigenschaften angepasst sind.

Diese Anpassungen lassen sich ganz gut untersuchen und gegebenenfalls sogar abkupfern. Unsere heimischen Pflanzen könnten Nachhilfe von Verwandten in Italien, China oder Argentinien bekommen. Sie könnten sich gegenseitig etwas beibringen und ihre Tricks verraten, mit denen sie bisher im jeweiligen Heimatland gut gefahren sind.

Und genau hier kommt die Pflanzenforschung ins Spiel: Wir verstehen heute dank Fortschritt von Wissenschaft und Technik so viel von unseren Pflanzen und ihrer Beziehung zur Umwelt wie noch nie. Wir haben erkannt, dass wir in der Züchtungsgeschichte nicht nur tolle und gesunde Früchte hervorgebracht, sondern auch wichtige Fähigkeiten unserer Pflanzen verloren – regelrecht weggezüchtet – haben. Heute schauen Forschende zurück und können nachvollziehen, wie zum Beispiel der Weizen entstanden ist, aber auch, warum er so oft von Pilzkrankheiten befallen wird.

Um die Biologie dahinter zu durchblicken, brauchte es nicht nur ein intensives Naturstudium, sondern auch die molekularen Werkzeuge, die wir erst heute zur Verfügung haben. Heute können wir ganze Genome in wenigen Stunden sequenzieren, Defekte im Erbgut am Computer sekundenschnell identifizieren und mit Genscheren beheben. Kombiniert mit altem Wissen und genauer Beobachtung sind es eben diese Werkzeuge, die vielleicht genau jetzt nützlich werden. Vielleicht können sie uns helfen, unsere Ernten zu sichern. Vielleicht können sie den Meisterinnen der Anpassung ihre verlorenen Fähigkeiten zurückbringen. Vielleicht haben wir mit ihnen sogar endlich die Chance, Nachhaltigkeit auf dem Acker zu messen und die richtigen Schrauben im Kampf gegen den Klimawandel zu drehen. Als Biologe weiß ich: Darin steckt großes Potenzial! Und mehr noch: Je mehr wir alle vom Leben der Pflanzen verstehen, desto mehr lernen wir sie schätzen und nehmen von ihrer sessilen, fast meditativen Art sogar noch etwas für unsere eigene Lebensweise mit.

 

Dieses Buch soll mehr sein als eine Sammlung von Funfacts. Es erzählt Geschichten aus der wundersamen Welt der Pflanzenforschung, die mal erstaunlich, mal verrückt erscheinen. Manche sind einfach nur absurd, während andere revolutionär und wegweisend sein können. Insgesamt wurde es in der Hoffnung verfasst, dass nicht nur die Begeisterung für das Krautige herüberschwappt. Es wurde auch als Aufschlag für kreatives Weiterdenken geschrieben:

Wie können wir von der Lebensweise der Pflanzen lernen, um unsere eigene Welt besser zu machen?

Welche Mechanismen, die wir vielleicht erst jetzt so langsam begreifen, können wir der Natur abgucken?

Wie können uns Pflanzen dabei helfen, wissenschaftlich fundiert in eine Zukunft zu steuern, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch und sozial nachhaltig ist?

Die Antworten befinden sich irgendwo da draußen und warten nur darauf, entdeckt und erforscht zu werden. Dazu muss man weder an der Uni studieren noch komplizierte Bücher wälzen: Wir alle können Pflanzenforscher*innen sein, wenn wir nur genau hinschauen. Der bewusste Kauf und Verzehr von Gemüse und Obst ist schon mal ein guter erster Schritt. Möglicherweise ist damit aber noch nicht genug getan. Fangen wir am besten vorn an – nämlich dort, wo wir Pflanzen (und ihren Fähigkeiten) im Alltag begegnen.

Kapitel 1Alles nur in meinem Topf

Über unsere täglichen Begegnungen mit Pflanzen und Pflanzenprodukten

Zutaten Süßkartoffelcurry

600 g Süßkartoffeln

400 g Tomaten

200 g Brokkoli

2 Zwiebeln

3 Knoblauchzehen

1 EL Ingwer, gerieben

1 Dose Kichererbsen

1 Dose Kokosmilch

Koriandergrün (optional)

Olivenöl

indische Gewürze nach Gusto (Kreuzkümmel, Kurkuma, Chiliflocken …)

Die wahrscheinlich tragischste Begegnung zwischen Mensch und Pflanze ereignet sich womöglich tagtäglich und millionenfach, wenn irgendwo in Deutschland ein Kühlschrank geöffnet und das Gemüsefach inspiziert wird. Meist findet sich dort ein kümmerliches Bündel labbriger Lauchzwiebeln, ein Haufen Petersilienstängel und eine matschige Paprika, die von der Zucchini eins auf den Deckel bekommen hat. Genervt versuchen wir, die vertretbaren Stücke zu retten, und fragen uns, wieso die Radieschen eigentlich genau einen Tag lang schön aussehen und warum man scheinbar nur an ungarischen Feiertagen mit der richtigen Mond-Sterne-Konstellation und nach einer Opfergabe an eine unbekannte Gottheit reife Avocados bekommt. Der blöde Basilikumstrauch auf dem Tisch sah auch schon mal besser aus. Außerdem hat es sich eine Großfamilie von kleinen, nervigen Fliegen in seinem Topf bequem gemacht. Nächstes Mal gibt es einfach wieder Pesto aus dem Glas.

Während also die Süßkartoffel für das heutige Curry fach- und mundgerecht zu Würfeln verarbeitet wird, lassen wir uns gedankenverloren von einer Dokumentation im Fernsehen berieseln. Zufälligerweise geht es auch darin um Süßkartoffeln, sie werden vor allem in China, Südafrika und den USA produziert. Warum eigentlich nicht hier? Hm, es sind wohl sehr wärmeliebende Pflanzen, die gar nicht wirklich mit den normalen Kartoffeln verwandt sind, sondern zu den Windengewächsen zählen. Interessant. Sie sehen oberirdisch ein bisschen aus wie Efeu, wachsen eher kriechend und bedecken den Boden mit ihrem Blattwerk. Unter der Erde bilden sich die sogenannten Speicherwurzeln, die wir kennen und kaufen, in denen das Gewächs Kohlenhydrate für schlechte Zeiten einlagert.

 

Noch interessanter wird es, als die säuselnde Stimme der Erzählerin etwas über die Genetik der Süßkartoffel verrät: Scheinbar wurde in unabhängigen wissenschaftlichen Studien gezeigt, dass Ipomoea batatas, so der lateinische Name, artfremde Gene enthält, die von Bakterien stammen.1 Ob das schlimm sei? Eher nicht, immerhin konsumieren wir das Gemüse schon eine geraume Zeit ohne Nebenwirkungen. Ob der Mensch diese Gene eingekreuzt habe? Auch das konnten die Studien verneinen, die Liaison von Kraut und Bazille ist evolutionsgeschichtlich wohl schon einige Tausend Jahre alt.

Was hier nun auf dem Schneidebrett in halbwegs gleichförmigen Quadern vor uns liegt, ist also im Grunde ein GVO, ein Gentechnisch Veränderter Organismus, per definitionem. Nur dass die Natur ganz von selbst darauf gekommen ist. Aha. Mal sehen, was auf den anderen Sendern läuft.

 

Ein Familienvater in Jerusalem erzählt gerade einem Reporter vom schwierigen Verhältnis zu seinem Bruder, der zum Arbeiten nach Deutschland gezogen war. Die Szene wird beim Familienessen gedreht, das wirkt authentischer. Die Mutter schenkt dem Fernsehteam Tee ein und serviert Brot und Hummus. Die Kichererbsen für den Hummus beziehen sie von einem befreundeten Bauern, sagt ihr Mann. Der mache auch die Sesampaste Tahin selbst, die für die Zubereitung der Spezialität überaus wichtig sei. Kichererbsen seien im Übrigen sehr pflegeleicht im Anbau, da sie wie Erbsen und Linsen zu den Leguminosen zählen und in Zusammenarbeit mit Bodenbakterien ihren eigenen Stickstoffdünger herstellen.2 Da könne man Zeit und Geld sparen. Bevor die Fernbedienung ein weiteres Mal erhoben wird, huscht ein schneller Blick zur Dose auf dem Küchentisch. Die aufgedruckten Kichererbsen grinsen zurück und scheinen zu flüstern: »Hättste nicht gedacht, wa?«

 

Seltsam, wo immer man auch hinschaltet, läuft Gemüse. Scheint ein großes Thema zu sein. Ein letzter Versuch, der Nachrichtenkanal. Ist hier vielleicht etwas anderes dabei? Irgendein Bundestagsmitglied fachsimpelt gerade über die Chancen und Risiken der neu verkündeten »Nationalen Bioökonomiestrategie« der Bundesregierung.3 Das zweite Wort könnte man sich für die nächste Runde Scrabble merken, gibt bestimmt massig Punkte bei doppeltem Wortwert. Das Ziel der Politiker*innen, so heißt es, sei die Entwicklung eines Konzepts zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs auf ein ökologisch verträgliches Maß. Dabei solle Deutschland seine Vorreiterposition in Sachen Bioökonomie (dieser mysteriöse Begriff wird in einem späteren Kapitel noch wichtig werden) weiter stärken und gleichzeitig eine Transformation der Wirtschaft unter verstärkter Nutzung nachwachsender Rohstoffe fördern – hin zu mehr Nachhaltigkeit für zukünftige Generationen.

Wow, was für Schlagwörter. Vielleicht etwas hoch gegriffen für ein Land, in dem noch immer mehr als die Hälfte aller Lebensmittel weggeworfen wird.

Zwiebeln und Knoblauch wandern fein gehackt in eine kleine Schüssel, das gewohnte Brennen und Tränen der Augen setzt ungefähr gleichzeitig ein. »Das liegt an den schwefelhaltigen Verbindungen in den Zellen der Zwiebel«, murmelt ein Professor mit britischem Akzent im nächsten Programm. »Diese werden erst dann freigesetzt, wenn das Gewebe verletzt wird und Enzym und Substrat zusammenkommen. Das dient zur Abwehr von Schädlingen.«4 – Verdammt! Gibt es denn nirgendwo eine Schutzzone vor diesen Pflanzenfreaks?! Ah, gut, Werbung.

»Husten, Schnupfen, trockener Hals? Kaufen Sie jetzt Gingimed forte mit den wohltuenden Inhaltsstoffen des Ingwers mit erwiesener entzündungshemmender und antikarzinogener Wirkung!«5

Klick.

»… kommt hier Frage drei für dich, Joko: Was bezeichnet man als Epiphyt6? Ist es A: ein griechischer Dichter oder B: eine Pflanze, die auf anderen Pflanzen wächst, oder …«

Klick.

Die schwefligen Gemüsehäcksel werden kurz in heißem Öl angebraten, mit Ingwer und den Gewürzen vermischt und dann mit Kokosmilch abgelöscht. Alle restlichen Zutaten gesellen sich dazu und dürfen bei mittlerer Hitze in fünfzehn bis zwanzig Minuten durchgaren. Fertig ist das Curry! Moment, was sagt der »Experte« mit unnatürlich weißen Zähnen und Föhnfrisur da gerade?

»… hat unser Marktcheck ergeben, dass Bambuszahnbürsten nur bedingt nachhaltiger sind als herkömmliche Produkte, wenn sie nicht richtig weiterverwertet werden …«

Klick. Stille. Das war’s, genug gelernt für heute. Das Curry schmeckt ganz gut.

Noch dabei? Okay, dann steigen wir mal ein.

In dieser fiktiven Küche (Gemüsefach plus Küchentisch) allein lassen sich über zehn verschiedene Pflanzenfamilien mit so schönen Namen wie Solanaceae (Nachtschattengewächse, zum Beispiel Paprika und Tomate), Brassicaceae (Kreuzblütler, etwa Radieschen und Brokkoli) oder Convolvulaceae (Windengewächse, beispielsweise Süßkartoffel) finden. Außerdem waren auch folgende anzutreffen: Alliaceae (Lauchgewächse, unter anderem Zwiebel und Knoblauch), Zingiberaceae (Ingwergewächse), Fabaceae (Hülsenfrüchtler, zum Beispiel Kichererbsen), Arecaceae (Palmengewächse, etwa Kokosnuss), Apiaceae (Doldenblütler, unter anderem Petersilie und Koriander), Cucurbitaceae (Kürbisgewächse, beispielsweise Zucchini), Lamiaceae (Lippenblütler wie Basilikum), Lauraceae (Lorbeergewächse, zu denen auch der Avocadobaum zählt). Abbildung 1 zeigt charakteristische Blütenmerkmale, anhand derer du die Pflanzenfamilien gut erkennen und identifizieren kannst.

Abbildung 1: Sag’s mir durch die Blume

Gemüse und Obst lassen sich in verschiedene Familien einteilen. Dabei sind es vor allem charakteristische Blütenmerkmale, die eine leichte Zuordnung möglich machen.

Sie fristen ein geheimes Dasein in unseren Kühlschränken und Vorratskammern. Sie leben mit uns in einer Wohngemeinschaft, bis sie entweder verderben oder doch verarbeitet werden. Sie verraten uns wenig von sich. Aber wenn wir fragen könnten, würde uns das Gemüse spannende Geschichten erzählen. Anekdoten aus seinem Leben, angefangen als kleiner Setzling irgendwo in Südafrika oder auf dem Betrieb in der Nähe. Wie es zum ersten Mal seine Keimblätter geöffnet und das Licht der Welt erblickt hat. Wie es das erste Mal den Fotosyntheseapparat in Gang warf, um Zucker zu produzieren. Wie es in einer Reihe von Gleichgesinnten Tag um Tag dem Wetter und den Plagegeistern trotzte – oder die Plane eines Folientunnels studierte. Wie es irgendwann auf eine Reise ging, erst in Kisten, dann auf Rädern und schließlich hoch hinaus und über große Ozeane. Dort ging es wieder über Straßen und Lagerhallen weiter, bis in einen merkwürdigen Ort namens Supermarkt. Hier traf es auf Verwandte in allen Formen und Farben, wurde von vielen Händen betatscht, geworfen, gequetscht und gewogen. Dann kam der Moment, als sich irgendjemand erbarmte und das Gemüse mit nach Hause nahm, wo endlich etwas Ruhe einkehrte. Am Ende verbrachte es ein paar Tage im angenehm kühlen Unterdeck unserer Küchenzeile und machte uns mit leicht vorwurfsvoller Gebärde deutlich, dass es nun an der Zeit wäre. Ich bin nicht auf diese große Reise gegangen, um jetzt so zu enden, scheint die labbrige Lauchzwiebel zu rufen.

 

Ähnlich ist es auch mit den Zimmerpflanzen, die wohl weniger als Lebewesen denn als Style-Element angesehen werden. Aber wer ahnt schon, was sich hinter Gummibaum, Yuccapalme und Orchidee verbirgt? Sie gehören in den Hintergrund jedes hippen Beauty-Kanals, werden als Raumlufterfrischer oder gar Giftstofffilter angepriesen, zu Geburtstagen und Umzügen verschenkt – aber wehe, sie bekommen Milben oder Fliegen! Das könnte sie ja als lebende Organismen entlarven, die im Verborgenen ihren ganz eigenen Kampf ums Überleben führen, still und heimlich, in der nur ein bisschen zu dunklen Ecke des Wohnzimmers. Dekoratives Grünzeug, ja, aber bitte nicht mit zu viel Eigenleben. Wir wollen keine Fliegen in der Bude, die sich in unseren Kuchenteig stürzen.

Dass aber die Vanilleschote, die in selbigem gelandet ist, aus einer solchen Zierpflanze gewonnen wurde, findet selten Anerkennung. Vanilla planifolia ist eine bemerkenswerte Pflanze aus der Familie der Orchideen, die eine beeindruckende Historie hat: Ursprünglich aus Mexiko stammend, galt die Gewürzvanille schon lange vor europäischem Kolonialgehabe als wertvolles Gut. Der Aztekenherrscher Itzcóatl soll von seinen Untergebenen im 15.  Jahrhundert Tribut in Form von Vanille gefordert haben. Als dann Ableger der Orchideenart in die europäischen Gärtnereien kamen, merkte man schnell, dass zwei Dinge ungünstig waren: Erstens war das Klima ungeeignet für die Kultivierung dieser exotischen Pflanze. Zweitens funktionierte die Bestäubung nicht so richtig gut.

 

Heute ist bekannt, dass die Vanillepflanze nur durch einige bestimmte Kolibriarten und durch spezialisierte Bienen der Gattung Melipona bestäubt werden kann. Diese besondere Partnerschaft, die in Mexiko wunderbar funktioniert, war eben in Europa gar nicht möglich – das ist genau mein Humor, liebe Evolution! Das Problem mit der Klimaanpassung löste das damalige Vanillekartell durch eine Auslagerung der Produktion auf die Inseln des Indischen Ozeans. Noch heute werden über 80 Prozent der Vanilleschoten auf Madagaskar geerntet, und der Name Bourbon-Vanille erinnert an den alten Namen des Spitzenproduzenten La Réunion (ehemals Île de Bourbon). Nur Vanilleschoten, die aus Madagaskar, von den Komoren, Mauritius oder Réunion stammen, dürfen diesen renommierten Titel tragen.

Das Problem der Bestäubung ließ sich zunächst nicht wirklich lösen. Als dann aber im Jahr 1841 der zwölfjährige Sklave Edmond Albius eine manuelle Technik erfand, wurde Réunion quasi über Nacht zum größten Vanilleexporteur der Welt. Anstatt heimische Kolibris zu dressieren, erfolgt die Bestäubung der Orchideen heute noch größtenteils (und nach Albius’ Vorbild) mit Stäbchen und Fingerfertigkeit.7 Man kann also davon ausgehen, dass die Bestäubung von Hand sowie die aufwendige Produktion (die Schoten müssen nach der Ernte noch blanchiert, getrocknet und fermentiert werden, aber dazu später mehr) wohl die hauptsächlichen Gründe für den hohen Preis in unserer Backabteilung sind. Außerdem schwankt der Vanille-Preisindex deutlich im Zusammenhang mit Taifunen oder anderen Naturkatastrophen. Na ja, so viel zu einer einzelnen Art aus der Familie der Orchideen, von denen es »nur« etwa 30000 da draußen gibt.

 

Das Basilikum (Ocimum basilicum) ist auch so ein verkanntes Genie. Mit seinen ätherischen Ölen, die man schon riecht, wenn man nur in die Nähe des Krauts kommt, will es uns eigentlich überhaupt nicht umgarnen. Auch wurde der betörende Duft von der Natur nicht so konzipiert, damit er perfekt zu Tomaten und Mozzarella passt. Vielmehr gibt es zahlreiche knabbernde Insekten, die von dem Geruch ganz und gar nicht angetan sind. Basilikumkraut gilt als biologischer Schädlingsbekämpfer und kann als sogenannter Mischkulturpartner bei der Kultivierung von Tomaten oder Paprikas dienen. Dabei wird es einfach in die freien Lücken gepflanzt, von wo aus es die Plagegeister auf Abstand hält. Das funktioniert übrigens auch mit anderen wohlriechenden Küchenkräutern. So können genauso Lavendel, Thymian, Salbei oder Oregano als Geheimwaffen gegen Blattlaus und Milbe verwendet werden.

Aber zurück zum Basilikum (oder Königskraut, wie es in vielen Kulturen genannt wurde): Wieso sieht es auf unserer Küchenzeile so schnell kümmerlich aus? Die meisten Discounter bieten uns das Kraut in kleinen Töpfen an. Und wenn man genau nachzählt, sind es meist bis zu zwanzig einzelne Pflanzen, die dort dicht gedrängt stehen. Sieht zwar schön aus, aber die Konkurrenz um Licht, Wasser und Nährstoffe ist enorm. Bricht man den Wurzelballen vorsichtig auf, vereinzelt die Pflanzen in vier bis sechs Töpfe mit frischer Gartenerde und stellt sie auf ein mehr oder weniger helles Fensterbrett, danken sie es einem mit kräftigem Wachstum und einer längeren Lebensdauer (generell gilt das Basilikum als einjähriges Kraut, es gibt aber auch einzelne Berichte von mehrjährigen, überwinterten Exemplaren).

Weitere Gründe für eine geringe Halbwertszeit des Küchenkrauts können Nährstoffmangel und Temperaturschwankungen sein. Auch ein laues Lüftchen tut dem Basilikum nicht schlecht. Tatsächlich wird bei der Anzucht einiger Kräuter die Fähigkeit zur Thigmomorphogenese (noch so ein Scrabble-Wort) ausgenutzt.8 Durch die simple Berührung (griechisch thigmo) der Pflanze durch Wind, Regen, Hindernisse oder benachbarte Artgenossen kann die Wuchsform (genesis, »Erschaffung«, beziehungsweise morphê, »Gestalt«) verändert werden. Pflanzen, die im Freien angebaut werden, wachsen kompakter, gehen mehr in die Breite und bilden mehr Blätter aus – so die Kurzfassung. Das, was draußen einfach nur dazu dient, nicht umzuknicken oder Artgenossen »aus dem Weg zu wachsen«, kann im Gewächshaus zum Beispiel durch regelmäßiges »Streicheln« realisiert werden. Dazu gibt es in manchen Betrieben eigens Maschinen, die gleichmäßig und sanft über die Basilikumtöpfchen fahren.9 Die muss man sich vorstellen wie ein Auto auf Stelzen, das mit Gummifransen behangen ist und durch die Überfahrt den Windhauch im Kräuterwald simuliert. Wirklich wahr! Auch die Bildung der leckeren und wohltuenden ätherischen Öle soll so gefördert werden. Es sind ja vor allem diese starken Duftstoffe, die es uns angetan haben und etwa aus der italienischen Küche nicht mehr wegzudenken sind. Gesunde, frische Kräuter bereichern doch jedes Essen, oder?

Dass Kräuter im Topf immer frisch sind, steht außer Frage, aber gesund sind sie in vielen Fällen wohl nur in Maßen. Schon Paracelsus sagte vor fast fünfhundert Jahren: »Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift sei.« So wurde unser schönes Basilikumkraut ein halbes Jahrtausend später vom Bundesinstitut für Risikobewertung unter die Lupe genommen und aufgrund seiner nachweislich krebserregenden Inhaltsstoffe Estragol und Methyleugenol als »für die therapeutische Anwendung nicht vertretbar« eingestuft (siehe auch Kapitel 3, Abbildung 3).10

Es ist zwar mehr eine Formsache – wer isst schon ein halbes Pfund pures Basilikum? –, aber wer weiß, auf welche verrückten Ideen Menschen kommen können. Wie schon gesagt, die Dosis macht das Gift. Wenn man sich vorstellt, dass man fünfzig superscharfe Chilischoten eindampft und ihre Inhaltsstoffe in eine kleine Tablette presst, bekommt man eine ungefähre Vorstellung dieses Satzes. Auf die Bedeutung des Paracelsus-Zitats für einige unserer heutigen Wirkstoffdebatten und die Beantwortung der Frage »Was ist eigentlich Risiko?« werde ich in kommenden Kapiteln noch des Öfteren zu sprechen kommen. An dieser Stelle sei nur noch einmal darauf hingewiesen, dass Pflanzen diese Stoffe nicht zum Spaß herstellen oder gar, um uns zu gefallen oder qualvoll hinzurichten. Die allermeisten dieser Substanzen sind einzig und allein zum Fraßschutz da (oder in sonstige pflanzeneigene Abwehrmechanismen involviert).

 

Und das bringt uns zurück zum Anfang: Pflanzen können (im Gegensatz zu uns und den meisten Tieren) nicht weglaufen. Sie müssen es irgendwie hinbekommen, Attacken von außen im vermeintlichen Stillstand abzuwehren und gleichzeitig bestäubende Verbündete anzulocken. Sie müssen farblich attraktiv für die einen, zugleich unscheinbar für die anderen sein. Nicht zuletzt müssen sie dann doch, zum richtigen Zeitpunkt, schmackhaftes Fruchtfleisch um ihre Samen herum ausbilden, die gegessen und möglichst weit weg wieder schön verpackt ausgeworfen werden sollen – zur Erschließung neuer Lebensräume. Dazu ist es hilfreich, wenn die Früchte vor allem den Fleißigen und Vielreisenden schmecken.

All das verwirklichen Pflanzen durch eine gewisse chemische Kreativität. Und wie meisterhaft sie das tun! Tatsächlich produzieren Pflanzen in ihren Wurzeln, Blättern und Früchten Substanzen, die wir in unseren besten Labors nur unter großer Anstrengung nachbasteln können. Man könnte meinen, sie hätten ihre Genetik aus der simplen Sesshaftigkeit heraus so sehr ausgebaut, dass sie für alle Eventualitäten gewappnet sind. Und wir profitieren auch noch davon. Ein Hoch auf die grünen Chemikerinnen! Legt gern kurz das Buch beiseite und verbeugt euch vor der Efeutute oder singt der Palme in der Ecke ein Ständchen. Vielleicht streichelt ihr auch kurz über das Basilikumkraut auf der Fensterbank.