Alles nur ein Spiel, oder? - Birgit Hermsdorf - E-Book

Alles nur ein Spiel, oder? E-Book

Birgit Hermsdorf

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Beschreibung

Alles nur ein Spiel, oder? Wieder einmal bedrohen außergewöhnliche Klimaveränderungen das Leben der Menschen. Im Gegensatz zu längst vergangenen Zeiten, als Eiszeiten die Erde überzogen, Saurier infolge eines Asteroideneinschlags ausstarben oder die Sintflut riesige Landflächen bedeckten, ist nicht zu leugnen, dass die Menschen jetzt selbst einen Anteil daran haben. Cleo und Julius treffen sich regelmäßig mit Freunden, um in einem selbst gestalteten Rollenspiel in verschiedenen vergangenen Epochen zu agieren. An einem Wochenende in einem verlassenen Haus im Wald entwickeln sie drei Szenarien, die in einer von drastischen klima-tischen Veränderungen geprägten Zukunft spielen. Gerda und Klaus verbringen gemeinsam mit Ute und Jürgen wie jedes Jahr eine Urlaubswoche am Meer. Während einer Dampferfahrt entlang der Insel wird unerwartet das Fischbuffet an Bord abgesagt. Man hört, dass plötzlich massenhaft Fische verenden und sogar Menschen sterben. In den Urlaubsorten ordnet das Gesundheitsamt ein vorläufiges Badeverbot an und alle Gaststätten müssen schließen. Sind die schon immer auftretenden Algen die Ursache dafür? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Amar hingegen, dessen Name im Indischen "Der Unsterbliche" bedeutet, will ein letztes Mal versuchen, die Menschen zur Abkehr ihres sorglosen Umgangs mit Mutter Natur zu bewegen, obwohl schon vor 4000 Jahren eine Zusammenkunft im Sinai ergebnislos verlaufen war. Gemeinsam mit drei Gleichgesinnten nimmt er deshalb Kontakt zu den Spielern auf, denn eine ihrer Simulationen erscheint ihm als Lösung geeignet. Aber hätte er letztendlich nicht das Scheitern seines Planes vorhersehen müssen? Denn durch die viel zu hohen Wassertemperaturen der Ostsee bereits im Mai sind völlig neue Bedingungen für die Zucht der Meeresalgen in der GFoSoT II entstanden. Der Klimawandel ist unübersehbar. Und die Folgen werden viel weit-reichender sein, als wir uns das eingestehen wollen.

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Seitenzahl: 320

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Birgit Hermsdorf

Alles nur ein Spiel, oder?

Drei Szenarien – Eine Fiktion

Klimathriller

Impressum

Texte: © 2022 Copyright by Birgit Hermsdorf

Umschlag:© 2022 Copyright by Birgit Hermsdorf

Verantwortlich

für den Inhalt:Birgit Hermsdorf

Lauchstädter Straße 62

06246 Bad Lauchstädt

[email protected]

Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Gerda und Klaus verbringen gemeinsam mit Ute und Jürgen wie jedes Jahr eine Urlaubswoche am Meer.

Während einer Dampferfahrt entlang der Insel wird unerwartet das Fischbuffet an Bord abgesagt. In den Urlaubsorten ordnet das Gesundheitsamt ein vorläufiges Badeverbot an. Sind die schon immer auftretenden Algen die Ursache dafür, dass plötzlich massenhaft Fische verenden und Menschen sterben? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter?

Cleo und Julius treffen sich regelmäßig mit Freunden, um in einem selbst gestalteten Rollenspiel in verschiedenen vergangenen Epochen zu agieren. An einem Wochenende in einem verlassenen Haus im Wald entwickeln sie drei Szenarien, die in einer von drastischen klimatischen Veränderungen geprägten Zukunft spielen.

Amar hingegen, dessen Name im Indischen „Der Unsterbliche“ bedeutet, will ein letztes Mal versuchen, die Menschen zur Umkehr zu bewegen. Gemeinsam mit drei Gleichgesinnten nimmt er deshalb Kontakt zu den Spielern auf. Aber hätte er letztendlich nicht das Scheitern seines Planes vorhersehen müssen?

Durch die viel zu hohen Wassertemperaturen der Ostsee bereits im Mai sind völlig neue Bedingungen für die Zucht der Meeresalgen in der GFoSoT II entstanden.

Der Klimawandel ist unübersehbar. Und die Folgen werden noch weitreichender sein, als wir uns das eingestehen wollen.

Realität überholt Fantasie

An den Folgen des Klimawandels kommt niemand mehr vorbei. Dank Fridays for Future kommt das Thema 2019 immer mehr in der Mitte der Gesellschaft an.

Und plötzlich verdrängt ein Virus die Bilder von Millionen an Demos beteiligter Menschen weltweit von den Bildschirmen. Die Pandemie breitet sich aus und ist nach mehr als einem Jahr das Hauptproblem der Menschen.

Zu Beginn des zweiten Corona-Jahres nimmt die Idee dieses Buches Gestalt an.

Noch sind im Frühjahr die Dürresommer allgegenwärtig und so entwickelt sich die Grundidee. Der Klimawandel sorgt aber hier bei uns nicht nur für heißere Sommer, sondern auch für mehr Niederschläge, so wie bei den Jahrhundertfluten zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Und so, wie sich meine Geschichte im Sommer 2021 weiterentwickelt, wird sie von der Realität eingeholt.

In Kanada werden im Juli 50 °C gemessen, ab 14. Juli 2021 fallen Niederschläge im Südwesten von Deutschland, die den Vergleich mit der Sintflut nicht zu scheuen brauchen.

Anfang August brennen riesige Flächen in Griechenland und Italien.

Auch mein Gedanke, dass ein immer schneller mutierendes Virus sich der Kontrolle des Menschen entzieht, ist nicht mehr Fiktion, sondern nähert sich mit dem Corona-Delta-Virus bereits der Realität. Die nächste Mutante steht schon in den Startlöchern.

Jedes Mal, wenn die Gestalten in meiner Geschichte mit den schlimmsten Folgen des Klimawandels konfrontiert werden, holt die Realität die Fiktion mit noch schlimmeren, undenkbaren Folgen ein.

Dieses Buch ist in der Hoffnung geschrieben, dass unsere Kinder und Enkel die drei Simulationen nicht als Realität erleben müssen.

Begonnen: 6. März 2021

Jahrhunderthochwasser: 17. Juli 2021

Prolog

Amar sitzt mit verquollenen Augen am Küchentisch. Schon lange ist der Tee kalt geworden. Die Kinder sind mit ihren Tablets im Nachbarraum verschwunden, um sich ihren heutigen Aufgaben zuzuwenden. Irgendwas ist aus dem Ruder gelaufen, er beherrscht die Sache nicht mehr. Zu viele Nebenbedingungen, zu viele unerwartete Kombinationen lassen immer neue unlösbare Hürden auftreten.

Wieder einmal.

Es ist eine andere Zeit, die Leute leben ein anderes Leben und haben andere Probleme. Aber dennoch – wenn es so weitergeht wie seit einem Jahr, dann wird er bald ein weiteres Mal von vorn beginnen müssen.

Und so verbindet er sich mit Ada und Linus. Zu dritt sollten sie den Neustart schaffen. Ganz langsam nahm letzte Nacht seine Idee Gestalt an. Einen Namen für das Projekt, das er gleich den beiden Auserwählten am anderen Ende der Welt nahebringen wird, hat er schon – wenigstens das.

Am Meer

Sanfte Wellen lassen das Minisurfbrett immer wieder auf und ab schwingen, das vergessen am Ufer liegt. Noch vor zwei Stunden drängten sich an diesem Strandabschnitt überwiegend junge Familien dicht an dicht. Kleine Wurfzelte, bunte Sonnenschirme und von Windschutzstoffbahnen eingefasste Sandburgen ließen kaum Raum, ins Wasser zu gelangen. Flip-Flops oder Badeschuhe erleichterten tagsüber den Weg durch den nahezu unerträglich heißen Sand. Obwohl erst Juni ist, kann man im 25 Grad warmen Wasser baden.

Das hat dazu geführt, dass kaum noch ein Bett an der gesamten Küste frei ist. Selbst die Campingplätze sind hoffnungslos überfüllt. Was sollte das erst werden, wenn die Schulkinder Sommerferien hätten?

Direkt hinter den Dünen ist die Terrasse eines kleinen Cafés bis auf zwei freie Plätze gut gefüllt. Leise Barmusik mischt sich mit dem sanften Rauschen der Wellen. Zwei junge Pärchen halten Händchen, die Männer mit frisch gegelter Frisur, die Frauen in wehenden dünnen Kleidchen, die mehr Haut zeigen als bedecken. An einem anderen Tisch unterhalten sich drei Männer in Bermudas und bebilderten Shirts unangemessen laut. Eine Familie mit drei kleinen Kindern tauscht die Teller reihum und alle haben offenbar viel Spaß dabei. Ein Seniorenpaar im pastellfarbigen Partnerlook schaut gemeinsam auf eine Wanderkarte. Während er scheinbar andächtig lauscht, redet sie ununterbrochen und tippt dabei auf die Karte.

An dem Vierertisch direkt neben den Stufen zum Weg sitzen zwei Männer nebeneinander und starren schweigend in das kalte Bier auf ihrem Tisch. Sie sind nicht mehr ganz jung, dennoch schlank geblieben, obwohl der Ansatz eines Wohlstandsbäuchleins nicht zu übersehen ist.

Klaus, der größere der beiden, hat die fast weißen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, den Kopf des kleineren ziert eine raspelkurze Frisur mit zwar wenigen, aber immer noch sehr dunklen Resthaaren.

Klaus hat heute seine Lieblingsjeans gegen eine kurze eingetauscht, die natürlich kein Vergleich zu den Hotpants seiner Jugend ist, aber wenigstens Luft an Waden und Knie lässt. Während er im Büro immer Hemden trägt, mag er in der Freizeit bequeme Shirts in warmen Farben. Auf dem olivgrünen, dass er jetzt anhat, wirbt ein dezentes Bildchen für das Wandern in den Bergen.

Jürgen dagegen sieht im weißen Polohemd und roter Stoffhose wie ein typischer Großstadttourist aus.

Sie warten gemeinsam auf ihre Frauen, die mit Greifer und Müllsack die Hinterlassenschaften der Urlauber einsammeln. Nicht dass sie dafür verantwortlich wären, aber Gerda und Ute wollen eben immer und überall die Umwelt retten.

Die Männer sind geschockt, wie vermüllt der Strand ist. Früher, als sie selbst hier als junge Leute zelteten, nahm am Abend gewöhnlich jeder – naja, fast jeder – seine Verpackungen wieder mit. Aber jetzt – einfach nicht zu fassen.

Vor Jürgens innerem Auge erscheint die Erinnerung an einige wenige Strandkörbe, in denen sich halbbekleidete Frauen in der Sonne räkelten und Sandburgen, die von Vätern in knappen Badehosen und nackten Kindern zu muschelgeschmückten, steinbewehrten Festungen erweitert wurden. An der Uferlinie entbrannte der Wettbewerb um die schönste Kleckerburg, am besten von einem breiten Wassergraben umgeben und von Stein- und Stöckchenkriegern bewacht. Jeden Morgen suchten die Bauherren ihre Burg, in der Hoffnung, dass nicht in der Nacht größere Wellen ganze Arbeit geleistet hatten.

Am nächsten Morgen breitete man die Decke aus, packte die Klamotten in einen Beutel und genoss Sonne und Wasser. Neuankömmlinge erkannte man leicht an der Farbe ihrer Haut. Zwei Tage lang war die weiß, nur einige hatten schon braune Arme und Gesichter. Von Tag zu Tag nahm sie zunächst einen zarten Rosaton an, später – bei den extremsten Sonnenanbetern manchmal schon nach einem Tag – wurde daraus ein immer dunkleres Rot. Nach zwei Wochen, solange dauerte gewöhnlich der Urlaub, erfreuten sich die Sonnenhungrigen einer gesund wirkenden braunen Haut. Natürlich war Sonnencreme verpönt, denn dann würde es ja länger bis zum gewünschten Ergebnis dauern und an der klebrigen Haut haftete der Sand und juckte heftig. Jürgen hatte nicht das Glück, schnell braun zu werden. Selbst am Ende des Sommers war er blass. Weil er das wusste, hatte er aufgehört, einen heftigen Sonnenbrand zu provozieren.

„Hey, Kumpel, dein Bier wird warm!“ vernimmt er Klaus‘ Stimme.

Und wird sich bewusst, dass die jetzige Generation mit ihrem ganzen Sonnenschutz vielleicht doch nicht übertreibt. Zwar irritiert ihn der Anblick von Kindern, die im Neoprenanzug oder mit T-Shirts und Stoffhut baden noch immer, aber ihm ist schon klar, dass mit der Wärmestrahlung der Sonne, die die Arktis fast vom Eis befreit hat, auch deren UV-Strahlung zugenommen hat. Oder bringt er da etwas durcheinander? Klimawandel hin und her, natürlich haben die Menschen in den letzten Jahrzehnten viele Fehler gemacht, aber wird nicht die Sonne auch irgendwie heißer? Er würde das später nachlesen.

In dem Moment kommen die zwei Frauen miteinander redend an dem Tisch mit den freien Plätzen an.

Gerda verbeugt sich theatralisch vor ihrem Mann mit den Worten: „Mein Herr, wie ich sehe, haben Sie die Plätze für meine Freundin und mich freigehalten? Sie gestatten doch, dass wir uns zu euch setzen?“ Klaus deutet lächelnd auf den Stuhl gegenüber dem seinem. „Ja, mein Weib, nun setz dich“. Die so angesprochene sportlich wirkende mittelgroße Frau mit halblangen lockigen blonden Haaren, die sie seitlich mit zwei Spangen bändigt, hängt eine weiße Badetasche mit einem Fotomotiv des hiesigen Strandes über die Stuhllehne. Eine orangefarbene weite Baumwollhose, die bis auf die Füße in Jesuslatschen fällt, sowie eine bunte Tunika zeigen ihre Vorliebe für bequemen Schlabberlook.

Währenddessen hat sich Jürgen erhoben, um seiner Partnerin Ute den Stuhl anzubieten. Sie bedankt sich, denn mit dem langen weiten Sommerkleid verheddert man sich schnell. Trotz ihrer kräftigen Figur findet sie immer wieder tolle Klamotten, die ihr gut stehen und zu ihren modernen Frisuren passen. Kurz vor dem Urlaub hat sie sich zu einem schwarzen Undercut mit einer tiefroten Strähne entschlossen. Weil sie recht klein ist, trägt sie selbst hier am Strand recht hohe Keilsandalen, mit denen sie absolut sicher auf jedem Untergrund läuft.

„Und, alles erledigt?“ fragt Klaus mit einem Blick auf den Müllgreifer, der aus Gerdas Badetasche ragt.

„Ja, für heute reichte es“ antwortet diese. Den Müll haben sie schon in den Container am Dünenübergang auf der Strandpromenade entleert. Zum Glück ist die Anzahl der Behälter dieses Jahr verdoppelt worden. Die Stadtverwaltung hat endlich erkannt, dass die meisten Touristen schlicht zu faul sind, das, was sie morgens mitgebracht hatten, abends wieder mitzunehmen. Und leider haben sich Mehrwegbehälter und weniger zweifache Umverpackungen noch immer nicht durchgesetzt. Gerda schlägt gerade Ute vor, sie sollten am Abend doch einfach ein paar Plakate gestalten und bei einem nächtlichen Spaziergang an den Laternen entlang der Promenade aufhängen, auf denen auf Umweltschutz und das Gewissen der Leute hingewiesen werden sollte. Ute gibt zu bedenken, dass sie jetzt weder stabiles Papier in geeigneter Größe haben noch sicher sind, ob sie da nicht eine Genehmigung bräuchten. Gerda verdreht nur die Augen. „Die bescheuerte Bürokratie, als ob es nicht wichtigeres gäbe, als einen Stempel unter jede Initiative. Schaut euch doch nur um! Immer mehr Menschen drängen sich, wo immer man hinkommt. Wo soll das nur noch hinführen! Wir müssen eben immer wieder darauf hinweisen, dass sie sich umsichtig verhalten müssen! Die behalten einfach ihre Gewohnheiten bei, die sie in ihrer Kindheit angenommen haben. Aber wir sind so viel mehr geworden. Zu viele für die Erde.“

Klaus kennt seine Frau, er weiß, dass jetzt ein längerer Vortrag folgen würde, bei dem er kaum zu Wort käme und bestellt ihr ungefragt einen riesigen Eisbecher samt Milchkaffee. Ute winkt ab und begnügt sich mit einem Eiskaffee. So vergeht die Zeit und kurz bevor die Sonne im Meer versinkt und den horizontnahen Dunst erst golden und dann tiefrot färbt, verlassen sie das Strandcafé.

Gemeinsam durchqueren sie die Dünen an einem der Durchgänge und gehen noch ein Stück am Ufer entlang. Bald darauf sitzen die Vier einvernehmlich im Sand, jeder in seine Gedanken versunken.

Ute erinnert sich an eine Dokumentation, die sie letztlich gesehen hatte. Zum einen wurde davon berichtet, dass mehr als 10 Millionen Tonnen Abfälle jährlich in die Ozeane gelangen. Sie kosten Abertausenden Meerestieren das Leben. Seevögel verwechseln Plastik mit natürlicher Nahrung, Delfine verfangen sich in alten Fischernetzen. Und dann war da noch dieser kleine Ort auf einer Insel im Pazifik, wo Straßenkinder auf einer Müllkippe leben, sich mit dem Müll ihren Lebensunterhalt verdienen.

In knapp 100 Jahren hat das Plastik-Material, das damals vielgelobt wurde, unseren blauen Planeten unwiederbringlich verändert.

Wie kann man das nur stoppen?

Sinai, vor 4000 Jahren

Amar ist nach einer kräftezehrenden Überfahrt endlich angekommen. Im Hafen der kleinen Stadt legt seine Barke am frühen Morgen an. Am Ufer erwartet ihn schon Khepri, bekleidet mit einem langen mehrfarbig gestreiften Überwurf, mit zwei bepackten Mulis. Amars Dhoti, das klassische Männergewand seines Volkes aus leichtem Leinen, hat ihn gut vor der Sonne auf dem Meer geschützt. Ebenso findet er den weißen Turban sehr nützlich und trägt ihn nicht nur aus traditionellen Gründen. Nach einer ehrfurchtsvollen Begrüßung begeben sich die beiden Männer in eine Herberge, in der sich der Reisende erfrischen und ein leichtes Mahl zu sich nehmen kann. Dort warten sie die größte Hitze des Tages ab und beginnen dann schweigsam ihren langen, beschwerlichen Weg hinauf ins Gebirge. Vor vielen, vielen Jahren begegneten sich die beiden zum ersten Mal an ihrem jetzigen Zielort. Nun aber gehen sie gemeinsam.

Am Abend, als sie im Schutze einiger Felsen an einem kleinen Lagerfeuer aus kargen dürren Zweigen vertrockneter Büsche sitzen, stärken sie sich mit einigen Datteln und getrockneten Streifen Ziegenfleisch. Der Becher mit heißem, süßem Tee wärmt ihre Hände. Nach der Hitze des Tages ist es jetzt unangenehm kühl. Vom nachtschwarzen Himmel spendet die dünne liegende Sichel des zunehmenden Mondes kaum Licht. Umso prächtiger funkeln abertausende Sterne, die meisten strahlend weiß, einige gelb, rot oder blau. Bevor Amar und sein Begleiter sich zur Ruhe legen, reden sie noch eine geraume Weile leise über ihre Erlebnisse der vergangenen Zeit. Sie stellen fest, dass sie in vielen Beziehungen ähnliches beobachtet haben, trotz der großen Entfernung, in der sie gewöhnlich leben.

Am nächsten Morgen setzen sie in aller Frühe ihren Weg fort.

Einen Tag später erreichen sie ihr Ziel. In einer Senke zwischen mehreren uralten Olivenbäumen erblicken sie ein prachtvolles Zelt, davor eine steinerne Rinne, durch die frisches Wasser fließt. Etwas abseits sind einige Last- und Reittiere angebunden. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass weitere Mitglieder des Rates aus allen Weltengegenden bereits eingetroffen sind.

Khepri bringt die Mulis zu den anderen Tieren und versorgt sie.

Neben dem Eingang des Zeltes stehen ein Krug voll Wasser und eine flache Schale. Beide Männer säubern Gesicht und Hände und betreten gemeinsam das geräumige, prachtvolle Innere.

Ringsum bedecken wertvolle Teppiche den derben Stoff, der außen genauso unscheinbar wirkt, wie bei vielen der umherziehenden Wüstenvölker. Am Boden liegen bequeme Kissen in einem weiten Kreis, neben jedem ein flaches Bänkchen. Der Raum wird von einem kleinen Feuer im Zentrum erhellt.

Einige der Alten kennt Amar. Auf einem purpurfarbenen sehr dicken Kissen sitzt Sarah, die bronzene Haut zwar faltig, aber die Augen versprühen noch immer den unbezähmbaren Lebenswillen ihrer Jugend, gehüllt in ein loses weißes Gewand aus dünnem, fließenden Stoff, die weißen Haare kunstvoll geflochten. Obwohl jeder Vertreter des Rates gleiches Stimmrecht besitzt, entscheidet ihre Erfahrung letztendlich, wenn es keine Einigung gibt.

Ihr zu Linken erblickt der Inder Amar, dessen Name nicht von ungefähr „Der Unsterbliche“ bedeutet, den gelbhäutigen Tian aus den östlichsten Landen, benannt nach dem Himmel und zugleich dem wichtigsten Nahrungsmittel der dort lebenden Völker, dem Reis. Rechts neben Sarah hat sich sein Weggefährte der letzten beiden Tage niedergelassen. Khepri vertritt als Ägypter, der nach dem Gott der Wiedergeburt und des Sonnenaufganges benannt ist, die afrikanischen Völker. Seine rötliche Haut, die tiefschwarzen Haare, der stolze Blick und nicht zuletzt der Shendyt, sein in der Taille gegürteter kurzer Wickelrock, verraten seine Herkunft.

Soeben erscheint eine weitere Frau zwischen den bunten Tüchern im Eingang des Zeltes. Ramona, eine blonde blasse Frau aus dem Norden, wo dichte Wälder und Sümpfe die Erde beherrschen, von der Statur eines kräftigen Mannes, um die Schultern ein graues Fell gelegt, strebt zielsicher dem Platz neben Khepri zu. Ihr Name bedeutet Rat und Beschluss.

Jedoch ist dieser Platz ihm, Amar, selbst vorbehalten, denn sein Name steht auch für den Mond, der sich, wie er selbst, immer wieder verjüngt und deshalb untrennbar mit Khepri verbunden ist. Also verneigt er sich vor Ramona und erinnert sie freundlich an diese Besonderheit. Sie nickt und rückt einen Platz weiter. Gemeinsam mit Ramona ist ein ihm unbekannter rothaariger Mann eingetreten, dessen Gesichtshaut fast durchscheinend wirkt, so hell ist sie. Jedoch lassen sein dichter langer Bart und das üppige schulterlange Haupthaar fast nichts davon erkennen. Seine leinene dunkelbraune, bis an die Waden reichende Tunika wird in der Taille von einem breiten Gürtel gehalten, an dem ein Lederbeutel befestigt ist, lässt jedoch kräftige Arme frei. Um die Handgelenke trägt er verschiedenfarbige lederne Bänder. Die hellblauen Augen des Hünen mustern aufmerksam, fast misstrauisch, die Runde. Ramona berührt seinen Ellbogen, spricht ihn mit seinen fremdartig klingenden Namen, der in Amars Ohren wie ein Singsang klingt an und weist ihm den Platz an ihrer Seite zu. Tyree, so hört er später, bedeutete in seiner gälischen Sprache „Inselbewohner“.

Nachdem alle sitzen, ist genau ein Platz frei geblieben. Niemand der Anwesenden außer Sarah weiß, für wen.

Zwei verschleierte Sklavinnen bringen Krüge mit Zitronenwasser und reichen Früchte auf silbernen Tabletts. Weihrauchduft benebelt ein wenig die Sinne derer, die ihn nicht gewöhnt sind. Bald darauf verebbt auch das letzte verhaltene Gespräch. Jeder der Ratsmitglieder richtet seinen Blick auf Sarah.

Sie blickt aufmerksam von einem zum anderen. Dann ergreift sie das Wort.

Heute, Die SpielerRom

Endlich ist die Schicht zu Ende, wieder einmal haben sie in einer Nacht hunderte Genproben analysiert. Obwohl Michelle schon seit drei Jahren in diesem Labor arbeitet, ist sie immer wieder fasziniert, was man aus nahezu unscheinbaren Materialproben alles über ein biologisches Objekt herausfinden kann. Viel unglaublicher ist für sie immer wieder die Möglichkeit, die DNA eines Lebewesens zu verändern. Glaubte sie als Kind noch, dass dadurch Hasen Hörner wachsen könnten, erschrecken sie heute die wahren Möglichkeiten der Gentechnik. So hält sie es durchaus für möglich, dass besessene Pseudowissenschaftler davon überzeugt sind, vor allem das Genom des Menschen gezielt zu beeinflussen, sei es, um auf Wunsch perfekte Individuen zu erschaffen, sei es, mit neuen Krankheiten der Überbevölkerung entgegenzuwirken. Derartiges hat sie in einem Buch gelesen. Verstörend, wenn das tatsächlich möglich wäre. Natürlich gibt es den Ethikrat, aber eben auch immer kranke, kriminelle Gehirne, die über genug Geld und Einflüsse verfügen, um sich über jedes Recht hinweg zu setzten.

Michelle verdrängt diese Gedanken, während sie vor dem Gebäude auf Leon wartet.

Natürlich ist Michelle wie fast immer mit dem Rad zur Arbeit gefahren, das ist ihr einen Ausgleich für ihre überwiegend sitzende Tätigkeit bietet. Sie ist noch jung und schlank und das soll auch so bleiben.

Nachdem sie tagsüber im Labor in der Regel einen weißen Kittel trägt, im Sicherheitsbereich sogar Schutzanzug, Maske und Kopfbedeckung, ist sie erleichtert, sich nun in Jeans und bunt gemustertem Pulli unter der leichten Daunenjacke freier bewegen zu können. Heute hat sie ihre blonden, immer etwas widerspenstigen Haare unter ihrer Lieblingshäkelmütze versteckt, denn der frische Wind weht sie ihr immer wieder ins Gesicht, und das mag sie überhaupt nicht.

Während sie ihr Rad abschließt, hält sie nach Leon Ausschau.

Gemeinsam wollen sie noch einiges einkaufen, denn am Abend treffen sie sich in ihrer Wohnung zum wöchentlichen Spieleabend mit Freunden. Da biegt ihr Kollege auch schon auf seinem Rad um die Ecke und kommt winkend auf sie zu. Beide haben die großen Packtaschen dabei, da werden genug Getränke und die Pizzazutaten hineinpassen.

Vor etwa zwei Jahren hatte ein ehemaliger Kommilitone von Michelle eine Party veranstaltet, bei der jemand Spiele mitgebracht hatte. Zwar brauchte sie bei jedem eine Weile, bis sie den Sinn des Spieles und dessen Regeln verstand, aber es war eine lustige Runde und es wurde viel gelacht. Während des Abends beschrieb einer der Gäste sein Lieblingsspiel, ein sogenanntes Rollenspiel, das auch schnell einmal eine ganze Nacht dauern konnte.

Leon, der auch dort war, und sie selbst bekundeten ihr Interesse, bei einer solchen Nacht einmal mitzuspielen. So war es dann gekommen und es ergab sich, dass Michelle bald darauf einen neuen Mitbewohner hatte. Es zeigte sich schnell, dass der Kollege aus ihrem Institut nicht nur ein guter Koch, sondern auch ein humorvoller, fantasievoller Mann war, dem man in der Wohnung nicht nachräumen musste.

Mittlerweile trafen sie sich regelmäßig mit Freunden zum Spielen. Die hatten inzwischen eines der Spiele weiterentwickelt und für sich eigene Regeln und Szenarien aufgestellt.

Während der Heimfahrt beraten die beiden, welche Zeit dem heutigen Abend zugrunde liegen wird.

Leon meint, Rom zu Anfang des 16. Jahrhunderts böte immer viele Möglichkeiten, wohingegen wäre Michelle die industrielle Revolution in England mit ihren neuen Maschinen und Technologien interessanter findet.

Die Pizzen sind vorbereitet, das Spielzubehör auf dem Teppich bereitgestellt, es kann losgehen. Leon hat Michelle überzeugt, dass zur Pizza am besten Rom passen würde. Was für eine Logik. Natürlich hat sie als ihre Spielfigur Michelangelo gewählt. Logischerweise passt dazu als Leons Charakter am besten Leonardo da Vinci. Mit seiner markanten geraden Nase, den schmalen Lippen und den etwas buschigen Augenbrauen sieht der Gastgeber wie eine jüngere Ausgabe des Meisters auf seinem berühmten Selbstbildnis aus, nur der üppige Bart fehlt. Die langen dunklen gewellten Haare, die er sonst als Dutt trägt, fallen ihm heute weich über die schmalen Schultern.

Die beiden Universalgenies kannten sich, der jüngere Michelangelo lernte Manches vom Älteren und für kurze Zeit arbeitete er an einem Teil eines Monumentalgemäldes mit, mit dem Michelangelo von der Florentiner Regierung beauftragt worden war.

Im Spiel würden Leon und Michelle ihr Wissen über Michelangelos Malerei und Bildhauerei und natürlich die Erfindungen des Mechanikers, Ingenieurs und Universalgelehrten Leonardo benötigen und einsetzen müssen.

Letztendlich ist es das Ziel der heutigen Nacht, herauszufinden und den anderen Mitspielern zu verdeutlichen, wer von den historischen Figuren mehr zum Fortschritt in Rom beigetragen hat, der Künstler oder der Techniker? Dann gibt es natürlich noch die weiteren Charaktere, in die ihre Freunde schlüpfen würden. Der Abend versprach, spannend zu werden.

Am Meer

Ein neuer Urlaubstag beginnt. Heute trennen sich ihre Wege.

Klaus und Gerda packen nach dem Frühstück alles für ein schönes Picknick zusammen und verstauen es mit den Badesachen auf ihren Rädern. Sie planen, quer über die Insel zu fahren, unterwegs eine Ausstellung zu besuchen und sich im Wald ein schönes einsames Plätzchen für ihr Päuschen zu suchen.

Als sie aufbrechen, sitzen Ute und Jürgen noch beim Frühstück auf der Terrasse. Die beiden wollen es heute langsam angehen, sich einfach treiben lassen, um allmählich den Druck, den es im Job gerade in den letzten Wochen immer gab, abzubauen. Und so räumen sie nach einer Weile das Geschirr in den Spüler, nehmen sich Wasserflaschen und Sonnenhüte, verschließen das geräumige Ferienhaus und gehen den kurzen Weg bis zum Strand. Obwohl es sich für sie, so kurz nach dem Frühstück, noch fast wie mitten in der Nacht anfühlt – was natürlich nicht stimmte, denn es geht bereits auf 11 Uhr – tobt hier schon wieder das Leben. Natürlich vor allem in Gestalt vieler kleiner Kinder, die am Ufer umhertollten, Bälle und allerlei Wurfgeräte einander zuwerfen und das alles mit lauten Rufen, Gekreisch und Gejuchze kommentieren. Die stillen Baumeister hingegen erneuern, oft gemeinsam mit den eifrigen Papas, ihre Burgen vom vergangenen Tag und verteidigen sie gegen freche Möwen, neugierige Hunde und achtlos marschierende Walker-Gruppen. Ein Eiswagen rollt heran, der Verkäufer preist lautstark seine Ware an, irgendwo hat ein Alt-Hippie seine Musik auf Strandbeschallungslautstärke gedreht.

Ute und Jürgen schauen einander an, fragen sich, ob dieses Gedränge und Gelärme wirklich der Inbegriff von Erholung sei. Aber immerhin, sie sind nicht stundenlang mit dem Flieger an ein fernes Meer geflogen, sondern mit ihrem E-Auto an die heimische Küste. Der Sand kann es allemal mit dem anderer Urlaubsziele aufnehmen und seit einigen Jahren ist es ja auch beizeiten im Jahr warm. Allerdings – über die Gründe dafür wollten sie jetzt lieber nicht nachdenken.

Auch heute steigt die Temperatur schneller an, als ihnen lieb ist. Und so nehmen sie die Sandalen in die Hand und beginnen ihre Strandwanderung Richtung Osten. Die sanften Wellen überspülen immer wieder ihre Füße. Aber dennoch läuft es sich hier leichter als im trockenen Sand.

Nachdem sie eine halbe Stunde gegangen sind, bevölkern deutlich weniger Menschen den Strand. Offensichtlich haben sie den Ort mit seinen Ferienwohnungen hinter sich gelassen und sind nun im Bereich des Zeltplatzes, der hinter den Dünen im Strandwald liegt, angekommen, denn hier fehlen Strandkörbe, dafür springen einige Hunde umher, zwei große zottelige haben, wie nicht zu übersehen ist, große Freude daran, ihrem Herrchen immer wieder die Wurfscheibe aus dem Wasser zu holen und sich dabei gegenseitig in ihrem Eifer zu übertreffen.

Danach schließt sich der FKK-Bereich an, wo wieder eine Reihe von Familien im Wasser tobt und sogar ein Volleyballnetz zur Bewegung einlädt.

Interessanterweise ist hier nichts zu entdecken, was nicht hergehört. Liegt das daran, dass es noch Vormittag ist oder die Camper ein besseres Umweltbewusstsein haben? Es mochte durchaus von beidem etwas sein.

Schon sind sie über eine Stunde am Wasser entlang geschlendert und treffen jetzt nur noch vereinzelt Spaziergänger wie sie selbst, manche mit Hunden, manche mit ihren Kindern, den Blick zu Boden gerichtet, auf der Suche nach Schätzen. Ute hat auch schon einige Muscheln in einer Tüte gesammelt, von denen sie immer mehrere im Rucksack dabeihat und sogar einen Hühnergott gefunden. Viele Worte haben sie nicht gewechselt. Beide genießen sie das Meeresrauschen und den schwachen Wind, der es dennoch vermag, die Haare der Frau zu zerzausen. Jürgen trägt wegen seines spärlichen Haarwuchses seinen Stoffhut schon von Beginn an, um sich vor der Sonne zu schützen, deren Strahlung sonst fast ungehindert die Kopfhaut verbrannt hätte. Ute mag eigentlich keine Kopfbedeckung, aber nun, da sie ihren Strohhut schon so lange nutzlos in der Hand hält, beschließt sie, ihn dann doch dafür nutzen, wofür sie ihn mitgenommen hat.

Mittlerweile ist es menschenleer, dafür liegen hier eine Menge verschiedener Steine am Ufer. Mit Geologie kennt sie sich nicht aus, aber Jürgen vermutet, dass die gelben unförmigen direkt aus dem Abhang neben ihnen stammen könnten. Hier laufen sie gerade entlang eines Stückes einer nicht allzu hohen Steilküste, wo unter Sand und Erde ähnliches Material hindurch schimmert.

Dann liegen aber auch einige recht große Brocken herum, die ihn an Basalt oder Granit erinnern. Ob die noch aus der letzten Eiszeit stammen?

Letztendlich spielt das keine Rolle, als sie einen großen Stein entdecken, der auf der Oberseite nahezu eben ist. Auf den lassen sie sich Rücken an Rücken nieder, trinken einen gehörigen Schluck Wasser und dösen eine Zeit lang mit geschlossenen Augen.

Ute fällt in einen leichten Tagtraum, in dem sie ähnlich wie die jungen Mädchen mit ihren Meerjungfrauenflossen durchs Wasser gleitet. Unterschiedliche Algenblätter streichen über ihre Arme und kleine Fische starren sie an. Das Wasser ist unglaublich klar und so kann sie weit voraus schauen. Plötzlich erkennt sie in der Ferne ein großes unförmiges Gebilde. Neugierig schwimmt sie näher. Entsetzt erblickt sie so etwas wie ein altes Fischernetz. Darin befindet sich eine Unmenge leerer Colaflaschen zwischen Chipstüten und alten Babywindeln. Aus einigen Wasserflaschen schauen sie große Augen aus körperlosen Fischköpfen an. In dem Moment schreckt sie aus ihrem Traum hoch und kippt beinahe vom Stein.

Derart um seinen Halt gebracht strauchelt nun auch Jürgen und greift erschreckt in die Luft. Beide müssen darüber lachen, obwohl Ute wegen des bösen Endes des Traumes regelrecht Herzklopfen hat.

Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit gewesen, etwas zu essen, denn die Sonne hat ihren Höchststand bereits überschritten. Beide bedauern, dass sie außer Wasser nichts eingepackt haben.

Wenigstens ein Handtuch liegt zuunterst im Rucksack und so entledigen sich Ute und Jürgen ihrer Bekleidung und rennen um die Wette ins Wasser.

Das ist auf den ersten 20 Metern sehr flach und bildet eine kleine Senke. Da das hier fast überall so ist, lieben Eltern kleiner Kinder diesen Strand, auch weil das Wasser in dem Bereich beizeiten im Frühling immer schon fast Badewannentemperatur besitzt.

Aber heute kostet es sie beide einige Überwindung, bis ins tiefere klare Wasser zu laufen, wo man, solange man steht, normalerweise bis zum Grund schauen kann, denn in der Senke hat sich allerhand angesammelt. Maritimes Treibgut ist ja ganz schön, die hiesigen Quallen sind harmlos, aber leere Flaschen, Zigarettenkippen, Plastetüten vom Gemüsehändler und sogar ein Kondom wabern an genau der Stelle auf und ab, die sie sich zum Baden ausgesucht haben.

Ute erschaudert beim Gedanken an ihren Traum. Sollte das etwa ein Zeichen sein? Sie schüttelt den Kopf und taucht im tiefen sauberen Wasser direkt hinter Jürgen unter.

Später, als sie ihren Weg fortsetzen, lässt ihr das Thema doch keine Ruhe und so verwickelt sie den Mann an ihrer Seite in eine Diskussion über verschmutzte Meere, Plastemüll, Nanopartikel, die die Fische aufnehmen und wie das noch alles enden solle. Irgendwie besteht das Dilemma ja wohl darin, dass für immer mehr Menschen immer mehr produziert wird und damit auch immer mehr Abfälle entstehen. Egal, wie eifrig viele Bürger zuhause ihren Müll auch trennen, aber im großen weltweiten Maßstab ist die Flut des Abfalls wohl kaum noch einzudämmen. Und das macht Ute Angst.

Währenddessen haben die beiden anderen auf ihren Rädern schon eine lange Strecke zurückgelegt und sind unterwegs nicht sehr vielen Leuten begegnet. Es ist eben Badewetter und im Wald sieht man vorwiegend Rentner und einige Menschen, die abseits der Wege etwas zu suchen scheinen. Pilze wohl eher nicht, dafür ist es noch zu früh im Jahr. Ob hier Heidelbeersträucher wachsen? Vom Radweg aus können sie nichts dergleichen entdecken. Dieser war auf den ersten Kilometern bis zum Zeltplatzende noch asphaltiert und ging dann in einen breiten Waldweg über, der recht eben und fest ist. Hier scheint die Welt noch in Ordnung, denn die Bäume – überwiegend Kiefern und Eiben – sehen gesund aus. Abgestorbene Äste liegen nur wenige auf dem von Moos und Sträuchern bedeckten Boden. Auffällig ist jedoch, dass die winzigen Fliegen und Mücken fehlen, die ihnen sonst oft beim Wandern zusetzen.

Als sie zum ersten Mal rasten und sich auf den Boden setzen, fehlen auch die bunten Käfer. Das verheißt nichts Gutes, überlegt sich Gerda. Später, wenn sie zwischen den Feldern und Wiesen entlangfahren werden, würde sie auf Bienen und Hummeln achten.

Gegen Mittag erreichen Gerda und Klaus das Ausstellungsgelände. Künstler aus verschiedenen Ländern haben aus Sand teils riesige Skulpturen geschaffen. Klaus entdeckt Filmmotive, Gerda begeistert der Bug einer aus der Wand herausgearbeiteten Kogge. Einfach toll, wenn man überlegte, dass der Baustoff Sand ist und die Figuren über Wochen halten.

Am Imbiss beim Ausgang kaufen sie nichts, steht doch noch das Picknick im Wald bevor. Allerdings stellen sie enttäuscht fest, dass auch hier das Umweltbewusstsein der Urlauber an letzter Stelle steht – Pappteller, Pappbecher, Senf und Ketchup für Pommes und Würste – alles in kleinen Plastikverpackungen.

Wäre bei den vielen Touristen nicht richtiges Geschirr eine gute Alternative?

Da die Speisenauswahl sehr begrenzt ist, sitzen viele Menschen außerhalb auf einigen wenigen Bänken, auf der kleinen Wiese nebenan oder gleich auf dem riesigen Parkplatz im Auto und verspeisen Mitgebrachtes oder Eis aus der Tiefkühltruhe des Imbisses. Natürlich sieht man einige Papierkörbe, aber für diese Mengen reichen sie eben nicht aus und so türmen sich Berge von Verpackungen darauf oder liegen daneben.

Gerdas und Klaus‘ Bild vom idyllischen Urlaub am Meer, wo die Welt noch in Ordnung ist, bekommt schon am zweiten Tag immer größere Risse. Tatsächlich existieren hier genau die gleichen Probleme wie in den anonymen Großstädten.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass das Thema Umweltverschmutzung auch an diesem Abend, als sie gemeinsam in einer Bar an der Strandpromenade beim Wein sitzen, sie alle eine Zeit lang beschäftigt.

Sinai, vor 4000 Jahren

Sarah begrüßt alle Ratsmitglieder, nennt jeden beim Namen und benennt dessen Bedeutung. Dabei erhebt sie sich und verneigt sich in deren Richtung. Die so Geehrten tun es ihr gleich und zeigen auch der Ältesten dadurch ihre Ehrerbietung.

„Vereint sind in diesem Rund die Vertreter von Sonne und Mond, des Himmels und der Erde, die uns Reis, unsere Nahrung, liefert, Gesandte der Götter und aus den Tiefen der Zeit. Heute ist der Tag, Rat zu halten und einen Beschluss zu fassen. Sogleich wird Yara erscheinen, und mit ihr bekommt nun auch das Element Wasser eine Stimme.“

Genau in diesem Augenblick scheint ein kühler Hauch über den Boden des Zeltes zu streichen, der Eingang öffnet sich und ein zartes, in hauchdünne wehende Gewänder gekleidetes, scheinbar altersloses Wesen mit wasserblauen Augen und fast weißem Haar erscheint im Raum. Sarah bedeutet ihr, den letzten freien Platz in der Runde der Sieben einzunehmen.

„Yara, du kennst jede und jeden von uns, ebenso die Welt fast von Anbeginn der Zeit und hast die unsrige geschaffen. Deinen Bericht erwarten wir voller Neugier. Aber als erster soll Amar zu uns sprechen.“

Yara betrachtet jeden der hier Versammelten und wirkt jetzt auf ihrem Platz sitzend nahezu unscheinbar, so, dass man kaum erahnen kann, welche Macht ihr tatsächlich innewohnt.

Amar hat sich indessen erhoben, sammelt sich einen Augenblick lang und beginnt dann mit geneigtem Kopf zu sprechen.

„Nun, da die Zeit gekommen ist, abzuschätzen und zu entscheiden, will ich euch berichten, was ich gesehen und gehört habe. Während meiner Reisen durch die östliche Welt erblickte ich Gelehrte, die das Wissen der Menschen bewahren und vermehren und war geblendet vom unendlichen Reichtum derer, die sich zu Herrschern berufen fühlen. Gleichermaßen litt ich mit deren Untergebenen, die in entsetzlicher Armut nur mit Lumpen bekleidet kurz vorm Verhungern waren und musste fassungslos erkennen, dass große Teile der Völker in Unkenntnis der einfachsten Zusammenhänge zwischen den Dingen gelassen worden waren. Ich sah prunkvolle Paläste, betrat riesige Bibliotheken und schlief an Tümpeln aus modernden Wasserresten, welches sich Bauern mit ihren Tieren teilten. Den Wohlhabenden standen Heiler mit all ihren Künsten für jedes Gebrechen bei und gleichzeitig starben viele Menschen an Bissen von allerlei Getier oder einem langanhaltenden Husten. All das sah ich.“

Er hebt den Kopf und schaut Sarah direkt in deren Augen.

„Amar, du kennst ebenso wie ich auch die Alte Welt. Haben die Menschen denn nichts gelernt?“

Diese Frage stellt die Ratsälteste mit Sorge im Blick.

„Genau das befürchte ich“ ist seine Antwort.

Ramona und Tyree schauen erstaunt zu den beiden. Ihre Blicke lassen vermuten, dass sie nicht genau wissen, welche alte Welt gemeint ist, hat doch jedes Volk seine eigenen Ahnen. Sie kennen die Legenden, von denen an ihren Lagerfeuern erzählt wird. Andererseits sind beide noch niemals so weit von ihrer Heimat entfernt gewesen und wissen nicht sehr viel über das Leben im Osten und auf dem heißen Kontinent im Süden.

Und so lauschen sie umso neugieriger den Worten von Yara, die gerade darüber zu berichten beginnt, warum sie vor Zeiten mit ihren Wassern die Alte Welt reinigen sollte und ob das ihrer Meinung nach gelungen ist.

„Es war zu der Zeit vor dieser Zeit. Die Menschen waren zufrieden mit dem, was Boden und Wasser hergaben und sie lebten dankbar und ohne Gebrechen miteinander. Sie sprachen alle eine Sprache und verehrten die gleichen Götter. Doch eines Tages geschah es, dass ein Fremder an einem der vielen Lagerfeuer erschien und Gegenstände verschenkte, die noch niemand je zuvor gesehen hatte. Dabei sollten diese nicht allen gehören, sondern immer genau demjenigen, der es ausgewählt hatte. Schöne Dinge waren dabei – bunt schillernde Stoffe aus glänzenden Fasern, ebenmäßige Krüge voller Abbildungen von Tieren – aber auch Äxte aus einem glänzenden sehr festen Material und manches andere, dessen Nutzen unbekannt war.

Es stellte sich bald heraus, dass die neuen Äxte den Boden besser lockerten und die Krüge die Nahrung darin länger vorm Verderben bewahrte als die alten.

So kam Zwietracht unter die Menschen, denn einige hatten Vorteile gegenüber den anderen, aber tauschen durften sie nicht. Bisher hatte in jedem Stamm und in jeder Gruppe immer alles allen gehört, nun war dem nicht mehr so.

Auch um die Stoffe entbrannte Streit, denn für nur einen oder eine war das Geschenk viel zu viel und das weckte Begehrlichkeiten, bei Frauen und Männern gleichermaßen.

Viele Jahre waren ins Land gegangen, seit der Fremde mit seinen Geschenken das Böse in die Welt gebracht hatte. Die Stämme betrachteten inzwischen das Land, dass ihnen Nahrung gab, als ihr Eigentum und umfriedeten es. Andere Stämme interessierten sich für ihre Nachbarn und deren anscheinende Vorteile. Und dann kam es eines Tages dazu, dass eine Gruppe des einen Stammes den anderen aufsuchte, um zu handeln. Sie hatten es auf deren Besitz abgesehen und der Anführer meinte, er könne bei der Gelegenheit eine der schönen Frauen für sich gewinnen.

Zunächst wurden die vermeintlichen Besucher freundlich empfangen und bewirtet. Dann aber wollten die Einheimischen nichts von ihrem Besitz abgeben und alle Frauen hatten sich bereits einem Mann versprochen.

Voller Unmut zogen die Besucher von dannen, aber nur, um im Schutze der Dunkelheit zurückzukehren und sich das zu holen, wonach es ihnen gelüstete.

Die Menschen hatten ihre Unschuld verloren, Neid und Missgunst waren mit den Geschenken in die Welt gekommen. Nun war Besitztum wichtiger als die Gemeinschaft und schon bald wurden die ersten Kriege geführt.

Wie jeder, der genau beobachtete und darüber nachdachte, erkennen konnte, veränderte sich das Zusammenleben der Menschen immer mehr. Eines Tages sprachen sie nicht einmal mehr die gleiche Sprache und die Missverständnisse wurden immer größer. Einer begehrte des Anderen Haus und Weib, das Land verdorrte, die Fische in den Flüssen verendeten.

Die Menschen hatten versagt.

Da trat der Rat zusammen, genau wie wir es heute wieder tun.

Die Zeit war gekommen, abzuschätzen und zu entscheiden, wie es weitergehen sollte mit den Menschen auf dieser Welt, die wir unsere Erde nennen.

Amar und Khepri, ihr gehörtet auch damals schon zum Rat der Sieben. Stimmt ihr dem zu, was ich berichtet habe?“

Alle haben Yara aufmerksam zugehört und vermeinen, sie habe die jetzige Zeit geschildert. Nicht nur einer fragt sich jedoch, was mit „der Zeit vor der Zeit“ gemeint wäre.

Nach einigen Augenblicken der Besinnung ist es dieses Mal Khepri, der das Wort ergreift.

„Wie ihr wisst, ist durch mich schon abertausende Male die Sonne am Morgen aus der Unterwelt aufgetaucht. Und so, wie der Mond sich immer wieder verjüngt, um eines Tages ganz aus der Welt zu verschwinden, nur um am nächsten Morgen erneut als zarte Sichel am Himmel zu stehen, bis sein volles helles Rund die Nacht zu erhellen vermag, konnte ich das Gedeihen und Verderben der Natur und des Menschen mehr als einmal selbst erleben.

Ich stimme Yara in allem zu.