Die Suche nach dem verborgenen Keller - Birgit Hermsdorf - E-Book

Die Suche nach dem verborgenen Keller E-Book

Birgit Hermsdorf

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Beschreibung

Im Jahr 1907 lernen sich beim Pfingsttanz des Dorfes das Dienstmädchen Rosa und der Student Friedrich kennen. Sie wohnt und arbeitet auf dem Gut des Schlossherrn, seinem Vater gehört einer der größten Höfe des Dorfes. Bei einer Feier am Jahresende kommt es zu einem tragischen Unglück. Mehr als hundert Jahre später suchen Kinder aus dem Dorf einen Ort für eine neue Bude. Dabei stoßen sie beim Stöbern in einer Dorfchronik auf historische Fakten über einen ehemaligen Luftschutzkeller. Ihre Neugier ist geweckt. Max und seine Freunde setzen alles daran, den Eingang zu finden. Als Wally einen neuen Geocache in diesem Gebiet veröffentlicht, treffen vier befreundete Cacher bei der Suche nach seinen Stationen mit den Kindern zusammen. Was werden sie am Ende finden?

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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Birgit Hermsdorf

Die Suche nach dem verborgenen Keller

Regionalkriminalgeschichte

Das Buch

Im Jahr 1907 lernen sich beim Pfingsttanz des Dorfes das Dienstmädchen Rosa und der Student Friedrich kennen. Sie wohnt und arbeitet auf dem Gut des Schlossherrn, seinem Vater gehört einer der größten Höfe des Dorfes. Bei einer Feier am Jahresende kommt es zu einem tragischen Unglück.

Mehr als hundert Jahre später suchen Kinder aus dem Dorf einen Ort für eine neue Bude. Dabei stoßen sie beim Stöbern in einer Dorfchronik auf historische Fakten über einen ehemaligen Luftschutzkeller. Ihre Neugier ist geweckt. Max und seine Freunde setzen alles daran, den Eingang zu finden.

Als Wally einen neuen Geocache in diesem Gebiet veröffentlicht, treffen vier befreundete Cacher bei der Suche nach seinen Stationen mit den Kindern zusammen.

Was werden sie am Ende entdecken?

Die Autorin

Birgit Hermsdorf lebt mit Mann und Miez in einem kleinen Dorf bei Halle an der Saale.

Sie unterrichtete 40 Jahre lang Kinder in Mathematik, Physik und

Astronomie. Im Berufsleben liebte sie die Klarheit der Zahlen.

Als Corona ihr plötzlich viel Zeit verschaffte, entdeckte sie ihre Begeisterung für Sprache und schreibt seit einigen Jahren Kurzgeschichten und Romane, die zwischen Realität und Fantasie angesiedelt sind.

Ihr Klimathriller „Alles nur ein Spiel, oder?“ ist bei Epubli und allen gängigen Shops

als Printbook unter der ISBN 9783756529025

und als EBook unter der ISBN 9783757626819 bestellbar.

Impressum

Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Texte: © 2024 Copyright by Birgit Hermsdorf

Umschlag:© 2024 Copyright by Karl-Heinz Hermsdorf

Verantwortlich für den Inhalt:Birgit Hermsdorf

Kontakt:[email protected]

Inhalt

1. Publish um 21 Uhr

2. 1907 Winter auf dem Dorf

3. Die Dorfkinder

4. Cachertreffen

5. Luftschutzkeller

6. 1907 Die kleine Höhle

7. Bodenlos

8. Im Gelände

9. Die Wand

10. 1907 Berta

11. Das Final

12. Der Geheimgang

13. 1907 Das Feuer

14. Zwischen den Felsen

15. Die Ahnin

16. Drei Orte

17. Winterferien

18. Anhang

Die Suche nach dem verborgenen Keller

1. Publish um 21 Uhr

Wally1892 starrt auf ihr Smartphone.

Eigentlich hatte sie bereits beim Frühstück die Benachrichtigungsmail erwartet, denn das ist die Regel.

Wenn ein neuer Cache veröffentlicht wird, geschieht das fast immer am Wochenende derart zeitig, dass sie selten die Chance hat, einen FTF zu ergattern, weil sie die wenigen Möglichkeiten liebt, nicht schon im Morgengrauen ihr Bett verlassen zu müssen.

Aber heute, wo nach langer Recherche und Vorbereitung des Versteckes vor Ort endlich ihr eigener Cache das Licht der Welt erblicken soll und sie dort die Erstfinder mit einer kleinen Urkunde überraschen will, schweigt das Teil beharrlich. Dabei neigt sich der Herbsttag bereits dem Ende entgegen.

Bald ist es 21 Uhr. Das Tageslicht schwindet merklich.

Wer weiß, warum ihr Wunschtermin vom Reviewer, der ihr die Korrektheit ihrer Vorbereitungen bereits vor einigen Tagen bestätigte, nicht eingehalten werden konnte.

Uns so beschließt Wally, den Sonntagabend eben mit ihrem Lieblingsschriftsteller zu verbringen. Nun ja, nicht direkt mit ihm, sondern mit dem neuesten Fall seines ebenso genialen wie eigenbrötlerischen Agenten.

Gerade als sie es sich in ihrem Lesesessel am Kamin gemütlich gemacht hat, daneben auf dem kleinen Tischchen ein Glas Rotwein, schlägt ihre alte Standuhr neunmal.

In den angenehm tiefen Klang des Läutewerks drängt sich ein nicht im Geringsten dazu passendes, immer lauter werdendes „Pling… Pling… Pling“.

„Nicht zu fassen!“ – mit diesen Worten greift Wally in einem Zuge das Handy, schließt ihr Buch ungelesen und wirft beim Aufspringen fast das Glas aus böhmischem Waldglas um.

Tatsächlich – der Publish! Um 21 Uhr!

Aber was solls, vermutlich werden die üblichen Verdächtigen, also einige Cacher aus der Region, es ihr gleichtun, schauen, welche Art von Geocache da gerade veröffentlicht wurde und wo dessen Koordinaten liegen.

Nun, so einfach ist es allerdings nicht, sie hat in ihren Multi Rätsel eingebaut, und um an den Start der Suche zu gelangen, muss man zuallererst ein nicht übermäßig großes Puzzle am Bildschirm zusammensetzen. 300 Teile, das sollte reichen, dass Wally selbst in aller Ruhe zu ihrem Versteck fahren kann. Wobei, selbst wenn jemand schnell ist, eine halbe Stunde braucht man sicherlich, dann noch der Weg – Wally fragt sich, ob abends um 22 Uhr, wo es ja um diese Jahreszeit dunkel ist, überhaupt noch jemand aufbrechen würde. Egal, eine kleine Runde Frischluft kann ihr nicht schaden.

Es ist schon recht kühl draußen, also steigt sie in ihre grüne, warme Spieljeans, die sie bei ihrem Hobby meist trägt, zieht über einen bunten, selbstgestrickten Pullover eine nicht mehr ganz neue dunkelblaue Softshelljacke. Die braunen gewellten halblangen Haare stopft sie unter eine Mütze, die sie im letzten Winter gehäkelt hat, und die tatsächlich die erste ist, die sie seit Kindertagen freiwillig trägt.

Zwar ist Wally nicht eitel, aber ein kurzer Blick in den Spiegel bestätigt sie wieder einmal in der Gewissheit, dass sie mit knapp 60 Jahren doch mit ihrer Figur zufrieden ist. Naja, und die Falten im Gesicht wurden im Laufe der Zeit vom vielen Lächeln immer stärker gezeichnet.

Der Startpunkt zum Finden ihres Verstecks befindet sich etwa 4 Kilometer von ihrem Haus entfernt, viel hat sie nicht zu transportieren, also holt sie das Fahrrad aus der Garage, macht das Licht an und startet.

Wer mag wohl der Erste am Ziel sein?

Kurz darauf hoppelt Wally die letzten 200 Meter über Kopfsteinpflaster, schließt ihr Gefährt an einen durch Gebüsche verborgenen Zaun an und steht zunächst etwas unentschlossen daneben. Käme jetzt zufällig hier jemand vorbei, würde sie sich durchaus unbehaglich fühlen. Sie schaut nach oben in den bereits dunklen, aber klaren Himmel, erkennt im Südwesten noch den Schwan weit oben und im Süden das Pegasusquadrat. Bald wird der Mond aufgehen, am Horizont im Osten neben dem Kraftwerk erscheint ein heller Schein, das Kunstlicht zu überstrahlen beginnt.

Zwanzig Minuten später hat der fast volle Mond bereits wieder die Horizontlinie verlassen und macht sich auf seine allabendliche Runde.

„Im Osten geht die Sonne auf, nach Süden nimmt sie ihren Lauf, im Westen wird sie untergehn, im Norden ist sie nie zu sehn.“ Diesen Satz hat Wally in der Schule im Astronomieunterricht gelernt, vielleicht sogar schon in der Grundschule im Sachunterricht. Dass diese Aussage allerdings nur exakt zur Herbst- und Frühjahrs-Tag-und-Nacht-Gleiche zutrifft, hat sie erst später festgestellt und nachgelesen. Viel interessanter erscheint ihr jedoch, dass der Mond der Sonne auf diesem Wege folgt. Wobei auch das wissenschaftlich gesehen Unfug ist, aber um sich im Gelände zu orientieren, sind die durch die tägliche Erdrotation verursachten scheinbaren Bewegungen beider Himmelskörper durchaus hilfreich.

Das helle Mondlicht erleuchtet den holprigen Feldweg, der von der Landstraßen vorbei an einem einzeln stehenden Wohnhaus und nach einer langgestreckten Kurve in das nächste Dorf führt, so dass Wally1892 sich nähernde Personen mühelos von weitem sehen würde, Pkw-Scheinwerfer sowieso.

Aber nichts geschieht. Nach einem Blick auf die Uhr ist sich Wally1892, die Ownerin des neuen Caches, sicher, dass da heute wohl niemand mehr auftauchen wird und entschließt sich, den Ort wieder zu verlassen. Ein wenig ist sie enttäuscht, ihre Urkunde nicht persönlich an den Erstfinder übergeben zu können. Andererseits, hier befindet sich ja lediglich der Einstieg und die Sucher sind noch lange nicht am Ziel ihrer Wünsche. Morgen beginnt eine neue Woche, vormittags sind da nur die Senioren unterwegs oder der eine Typ, der immer schon in den Startlöchern zu stehen scheint, wenn neue Caches herauskommen. Und der Nachmittag ist lang. Da wird sie wohl nicht vor Ort sein.

Also nimmt sie ihr Rad und fährt wieder nach Hause.

Ihr Buch weiterlesen mag Wally jetzt nicht mehr, sie stellt stattdessen das Radio an, deckt den Tisch für das morgige Frühstück und daddelt noch eine Weile, bevor sie zu Bett geht.

… Mit bloßen Füßen schleicht sie sich aus dem winzigen Raum neben dem Keller. Ihr ist kalt, das gehäkelte Dreiecktuch bedeckt ihre Schultern, nebenan hüstelt jemand im Schlaf. Eine einzelne Kerze steht auf einem Fass und spendet genügend Licht, um nirgends dagegen zu stoßen. Nur umfallen darf sie nicht. In dem Moment, wo die Frau die Tür behutsam öffnet, damit diese nicht knarrt, fegt ein eisiger Windstoß, der spitze Schneenadeln vor sich hertreibt, hinein und …

Wally wacht schweißgebadet auf. Wie immer an der gleichen Stelle dieses mysteriösen Traumes. Das muss doch etwas bedeuten, denkt sie sich. Sie weiß, dass es keine reale Erinnerung ist und glaubt, dass die Szene nicht in der jetzigen Zeit spielt. Aber wann und wo? Eigentlich kann es nur so sein, dass der Traum mit ihrem Cache zu tun hat.

Zufällig hörte sie vor längerer Zeit bei einem Gespräch mit Gleichgesinnten davon, dass es hier in der Gegend, in der einst ihre Großmutter geboren wurde, noch etliche alte Bunker, teils sogar begehbare, gibt. Das wäre doch mal etwas Besonderes. Und so suchte Wally nach Literatur, Sachbücher genauso wie Dorfchroniken oder Sagen, die über dergleichen berichten. Eines Tages wurde sie fündig. Luftschutzbunker aus dem II. Weltkrieg, teils verschüttet, kleine Höhlen aus der Zeit des Braunkohlebergbaus, winzige Vorratskeller der Bauern der Güter ringsum – da müsste sich doch etwas finden lassen, wo sie einen Cache, also einen „Schatz“ verstecken könnte. Sie nahm Kontakt zu einer im Buch genannten Quelle auf, um Genaueres zu erfahren und sich zu vergewissern, ob es erlaubt wäre, das entsprechende Bauwerk überhaupt zu betreten und keine Gefahr für potentielle Besucher bestünde. Dem war so. Und so hatte Wally begonnen, eine kleine Geschichte zu ersinnen, die im Listing, also in der Beschreibung des Caches, stehen sollte und in die sie die zu lösenden Aufgaben einbinden würde.

Wally geht zur Toilette, lässt sich Wasser über Gesicht, Nacken und Arme laufen und legt sich wieder hin. Weil sie nicht sofort einschlafen kann, trinkt sie einen Schluck Wasser aus der Flasche, die immer neben ihrem Bett steht und starrt die Zahl auf dem Wecker an. 2:22 Uhr.

Sie versinkt wieder in der Dunkelheit.

2. 1907 Winter auf dem Dorf

Karl sitzt über den Büchern. Als Dorfschulze vermerkt er alles Wichtige, was im und ums Dorf geschieht. Ob es neue Gesetze, Streitigkeiten von Bürgern, Krankheiten von Tier und Mensch oder skurrile Vorfälle sind, all das findet Eingang in seiner Chronik.

Soeben hat er die Gaslampe über seinem Schreibtisch angezündet, es ist spät und draußen, wo schon seit Stunden der Himmel bedeckt ist, bereits dunkel. Er öffnet die Seiten mit den Wetteraufzeichnungen der letzten Wochen und liest noch einmal, was er seit Jahresbeginn geschrieben hat.

„1. Februar 1907:

Der Winter des Jahres 1906 zu 1907 war so ziemlich kalt. Wir haben 2 Tage mit 18 Grad Kälte gehabt und es scheint, als ob der Weizen erfroren wäre. Doch läßt sich noch nichts sagen, weil wir sehr starken Frost in der Erde haben. Auch haben wir bloß eine ganz leichte Schneedecke.“

Wenn er jetzt im Juni zurückblickt, haben sich die Befürchtungen der Bauern bewahrheitet. Am 2. Mai hatte er geschrieben, „dass der Weizen vollends erfroren war, der späte Roggen umgepflügt werden musste und auch Klee und Luzerne erfroren waren. Das lag mit Sicherheit daran, dass der ganze April sehr kalt gewesen war, jeden Tag hatte es Frost gegeben.

Auch blühten noch kein Baum und Strauch und die Kornfelder sahen noch ganz grau aus. Gestern und heute war schon wieder Frost und am Tag war es so kalt, daß man fast nicht ohne Handschuhe arbeiten konnte.“

Heute am 11. Juni schrieb er: „Aber nun trat doch ein sehr schönes Wetter ein und die Feldfrüchte erholten sich sehr rasch. Doch es blieb bis heute sehr naß. Auf dem Felde wird es jetzt nicht trocken.“

Auf seinem eigenen Hof sind die Folgen des schlechten Wetters nicht so gravierend, er betreibt eine Schweinezucht und die Tiere sind trotz allem gut genährt und bis jetzt von Krankheiten verschont geblieben. Bei einem Dutzend anderer Bauern, alle mit verschieden großen Höfen, sieht das teilweise anders aus. Die meisten arbeiten für das Gut von Heinrich von Mühlbach, denn die Felder in ihrer Gemarkung liegen auf seinem Besitz. Alle hoffen auf einen guten Sommer, damit die kommende Ernte die Verluste ausgleichen könne.

Vor gut drei Wochen, beim Umtrunk am Pfingstfest, hatte Karl mit dem Verein der Pfingstburschen zusammengesessen und den Bierkrug mehrfach geleert. Derbe Sprüche machten die Runde, den Mädels, die ihre Festtracht trugen, wurde hinterhergepfiffen und mancher der jungen Kerle konnte es nicht lassen, seine Liebste auf seinen Schoß zu ziehen. Besonders Wilhelm tat sich da hervor, er war der lauteste von allen und stieg jedem Rock nach. Schon öfter war es deshalb zu Beschimpfungen, Rangeleien und auch ersthaften Prügeleien gekommen. Nicht nur zukünftige Verlobte, vor allem die Väter unbescholtener Mädels achteten auf deren guten Ruf. Auch an jenem Tag musste letztendlich Karl als Dorfschulze und einer der ältesten Bauern des Dorfes dazwischengehen und Wilhelm mit strengen Worten nach Hause schicken.

Ganz anders verhielt sich da der junge Friedrich, Sohn einer alteingesessenen Familie. Der wollte Tierarzt werden, studierte in der nahen Stadt Halle an der Universität. Schon seit Kinderzeiten war er immer dabei, wenn irgendwo Jungtiere geboren wurden oder kranke Tiere behandelt werden mussten. So hatte er viele Einblicke bekommen und kannte sich aus, durfte beim Schlachten der Schweine oder der Fleischbeschau dabei sein. Er wusste sich zu benehmen, war gepflegt und kleidete sich geschmackvoll, wenn er nicht gerade in einem der Ställe zu tun hatte. Friedrich hatte schon seit einer Weile ein Auge auf Rosa, ein Dienstmädchen des Gutsherrn, geworfen. Als am Abend zum Tanz aufgespielt wurde, sah er sie mit weiteren jungen Frauen an einem Tisch am Rande des Tanzbodens sitzen. Ihre dicken blonden Zöpfe hatte sie seitlich am Kopf zu Schnecken aufgerollt, der Pony reichte fast bis an die Augenbrauen. Sie trug ein hübsches langes dunkelblaues Kleid, welches am Saum, am Stehkragen und an den Handgelenken von kleinen Rüschen begrenzt wurde.

Da nahm er all seinen Mut zusammen, fasste sich ein Herz und bat Rosa um einen Tanz. Mit gesenktem Blick hatte sie schüchtern genickt und den dargebotenen Arm ergriffen. Sie war gerade 17 Jahre alt geworden und hatte sich bisher noch nicht mit jungen Männern abgegeben. Aber zu Friedrich hatte sie Vertrauen, er schaute sie mit offenem Blick an und wirkte ehrlich auf sie. Karl hatte die beiden wohlwollend beim Tanzen betrachtet. Ja, solche jungen Leute mochte er.

Beinahe wäre Karl über seinen Erinnerungen eingedöst, als die Hauskatze mit einem langgezogenen Mauuuu die Treppe hochgepoltert kommt, seine Zimmertür mit der Pfote aufdrückt und fordernd zu ihm aufschaut. „Du hast ja recht“ sagt er zu dem Tier, schließt sein Notizbuch und streckt sich gerade. „Bald ist Mittsommer, vielleicht haben wir dann auch entsprechendes Wetter, aber auf jeden Fall müssen wir darüber beraten, wie wir alle uns auf den Winter vorbereiten können. Aber nicht mehr heute.“ Mit diesen Worten löscht er das Licht der Gaslampe, greift einen schönen alten Leuchter mit zwei Kerzen darin und begibt sich nach unten. Die Katze ist vor ihm an der Haustür und entweicht in die Nacht. Bald darauf liegt auch der Dorfschulze im Bett neben seiner Gattin.

Klärchen hat ein Einsehen, endlich scheint der Sommer Einzug zu halten. Die kleinen Kinder, die noch nicht in Haus und Garten helfen müssen, toben in den Höfen und am Rande des Dorfes herum. Diejenigen, die die Schule besuchen, dürfen an manchen Tagen eine Zeitlang im Dorfteich planschen.

Das Getreide reift. Langsam wird es gelb, an den Abenden versammeln sich die alten Männer im Gasthof, in manchen Höfen sitzen einige verwandte Familien zusammen. Es wird Bier getrunken und gelacht.

Wilhelm schleicht am Gut umher, ist wieder einmal betrunken. Seine Mutter Martha hat ihn heute Mittag hinausgeworfen und war wütend auf ihren missratenen Sohn. Bei der Arbeit stellt er sich ungeschickt an, früher in der Schule stand er mehr vor der Tür oder musste Strafarbeiten verrichten, denn, weil er nicht der Hellste war und bei den Rechen- und Schreibaufgaben einfach nicht hinterherkam, trieb er ständig irgendwelchen Schabernack mit den Mitschülern, am liebsten jedoch mit dem Lehrer. Der war demzufolge froh, als Wilhelms Mutter beschloss, ihn mit 13 Jahren von der Schule zu nehmen und lieber arbeiten zu lassen. Zu tun gibt es genug.

Inzwischen ist Wilhelm bereits 19 Jahre, wohnt immer noch bei seiner Mutter, drückt sich aber vor jeder sinnvollen Aufgabe. Wie es scheint, interessieren ihn nur noch Alkohol und Mädchen. So ist er langsam zum Dorfschreck geworden.

Aber heute hat er kein Glück, kein Rock läuft ihm über den Weg. Als er begreift, dass offenbar alle Mädchen auf geheimnisvolle Weise verschwunden sind, trollt er sich. Betrunken, wie er ist, taumelt er auf dem schmalen Weg entlang des kleinen Baches, der quer durch das Dorf fliest, strauchelt und schlägt der Länge nach hin, mit dem Gesicht voran in den Schlamm an der Böschung. Fluchend rappelt er sich auf, ist schlagartig nüchtern und stellt fest, dass ihm der Tag genug Ärger eingebracht hatte. Bald darauf verschwindet er hinter der Tür des Hauses, in dem er mit seiner Mutter in einer winzigen Wohnung lebt.