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Alpendoktor Daniel Ingold – Band 22
von Anna Martach
Der Umfang dieses Buchs entspricht 106 Taschenbuchseiten.
Ganz Hindelfingen fiebert dem Heimatfest entgegen, bei dem in diesem Jahr erstmalig ein Wettbewerb im Kuchenbacken ausgetragen werden soll. Auch Daniel Ingold ist als Preisrichter eingeteilt, doch hat er eine böse Vorahnung, die sich schon bald bestätigen soll ...
Cover: Steve Mayer
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Veröffentlichungsjahr: 2016
Alpendoktor Daniel Ingold – Band 22
von Anna Martach
Der Umfang dieses Buchs entspricht 106 Taschenbuchseiten.
Ganz Hindelfingen fiebert dem Heimatfest entgegen, bei dem in diesem Jahr erstmalig ein Wettbewerb im Kuchenbacken ausgetragen werden soll. Auch Daniel Ingold ist als Preisrichter eingeteilt, doch hat er eine böse Vorahnung, die sich schon bald bestätigen soll ...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Daniel Ingold warf einen Blick zur Uhr. Die Sprechstunde zog sich heute wieder in die Länge. Alle Welt schien eine „Sommergrippe“ zu haben, wie der Volksmund es nannte, eine harmlose, aber lästige Erkältung, die im Einzelfall zu heftigen Beschwerden führte.
Auch seine beiden Sprechstundenhilfen, Minchen und Maria, waren davon nicht verschont geblieben. Maria lief seit zwei Tagen mit Halsschmerzen und roten Augen umher, weigerte sich aber beharrlich, sich vom Chef untersuchen zu lassen.
„Meine Oma sagt immer, Salbei und Thymian ist gut dafür, und eine heiße Zitrone. Dann geht‘s auch wieder weg“, beharrte das fesche Madl, was den Doktor noch immer insgeheim verehrte, obwohl doch mittlerweile längst ein Herzallerliebster da war. Der befand sich jedoch irgendwo in Arabien und baute Hochhäuser, oder was auch immer. Regelmäßig gingen lange Briefe hin und her, und auch die Telefonrechnung war enorm. Doch wenn das die einzige Möglichkeit war, um engen Kontakt aufrechtzuerhalten, dann sollte das eben auch egal sein. Es war jedenfalls nicht möglich, öfter als alle sechs Monate hierherzukommen, mehr schaffte der junge Mann zeitlich nicht. So konnte Maria ihren Schatz jetzt aber auch nicht anstecken. Tapfer hielt sie durch und kümmerte sich um die Patienten.
Bei Minchen sah es sogar noch etwas schlimmer aus. Sie hatte mittlerweile Fieber dazubekommen und fühlte sich förmlich wie durch den Wolf gedreht. Die ältere Frau hatte in all den langen Jahren, die sie schon als Sprechstundenhilfe arbeitete, noch nie wegen einer Krankheit gefehlt, und sie wollte nicht ausgerechnet jetzt damit anfangen.
Hermine Walther, wie sie richtig hieß, führte den letzten Patienten ins Sprechzimmer, gab Daniel die Karteikarte und drehte sich schnell zur Seite, als sie heftig niesen musste.
„Hatschi.“ Der ganze Körper der Frau wurde geschüttelt.
„Gesundheit“, kam es gleichzeitig aus zwei Kehlen, und Minchen bedankte sich mit nasaler Stimme.
„Minchen, ich möcht‘ S‘ gleich hier noch mal sehen“, ordnete Doktor Ingold an.
„Ja, freilich, Herr Doktor.“ Sie verschwand, und Daniel kümmerte sich um seinen Patienten. Anschließend wäre eigentlich Feierabend gewesen, doch der Alpendoktor hatte nun schon drei Tage lang zugesehen, wie die treue Seele sich durch die Arbeit quälte. Das sollte doch besser ein Ende haben. Als Hermine wieder hereinkam, bot er ihr einen Platz an, und sie wirkte irritiert. Die Situation machte einen ernsten Eindruck, und die Frau wurde unruhig.
„Hab ich was falsch gemacht, gibt‘s irgendwelche Probleme?“
„Ja, ein ziemlich großes sogar“, erwiderte Daniel ernst. „Wissen S‘, Minchen, ich möcht‘ doch Ihre Meinung zu einem Fall hören.“
Sie wunderte sich. Obwohl sie natürlich fast jeden Einwohner von Hindelfingen kannte, war es doch nicht üblich, dass der Arzt um ihre Meinung fragte. Daniel war schließlich erfahren und kompetent genug in seinem Beruf, um sicher eine Diagnose zu stellen. Was also sollte diese Frage?
„Ich glaub‘, ich versteh‘ das net ganz“, näselte sie und holte ein Taschentuch hervor, um sich zu schnäuzen.
„Na, dann mal so. Ich hab da einen Patienten, der sich gehörig was eingefangen hat, so eine richtig fiese Erkältung mit allem drum und dran. Sowas ist ja nun auch ansteckend, vor allem, da ständiger Kontakt mit anderen Leuten zur Arbeit gehört. Aber dieser Patient, der eigentlich gar kein Patient sein will, ist so unvernünftig, sich net krankschreiben lassen zu wollen, weil er glaubt, er wär‘ unersetzlich. So, und nun sagen S‘ mir, was soll ich mit dem machen, damit er Vernunft annimmt? Kann man das verantworten, den noch weiter auf seiner Arbeit zu belassen?“
„Eigentlich net“, meinte die Frau. „Schließlich ist niemand unersetzlich, und wenn der sich morgen ein Bein brechen tät‘, dann wär‘ er auch net einsatzfähig. Sowas müssen S‘ ihm sagen. Und wenn das auch nix helfen tät‘, dann müssen S‘ halt mit dem Chef reden, dass der den Mann heimschickt.“
„Sehr gut“, lobte Daniel und schmunzelte. „Jetzt müssen S‘ also nur noch feststellen, von wem ich die ganze Zeit geredet hab, ja?“
Sie lachte kurz auf. „Diese Beschreibung passt im Augenblick auf ungefähr jeden zweiten männlichen Einwohner von Hindelfingen. Das wird ein tolles Konzert aus Husten und Niesen, wenn am Wochenende das Heimatfest stattfindet.“
„Na, grenzen wir den Bereich doch ein bisserl ein“, fuhr Daniel fort und ließ nicht locker. „Die Person ist weiblich und net mehr ganz so jung.“
Minchen überlegte, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich glaub‘, jetzt kann ich net ganz folgen.“
„Oh, dann muss ich wohl doch deutlich werden. Ich red‘ nämlich die ganze Zeit von Ihnen, Hermine Walther. So wie‘s im Moment ausschaut, kann ich‘s net länger verantworten, dass S‘ mit dieser heftigen Erkältung hier weiter arbeiten. Sie könnten mir ja die Patienten erst richtig krank machen. Ich will, dass S‘ ein paar Tage daheim bleiben und sich auskurieren.“
„Aber das geht doch net“, protestierte sie empört.
„Und warum net? Die Maria ist ja auch noch da, es wird schon irgendwie gehen. Das ist doch auch in Ihrem Interesse. So können S‘ viel schneller wieder gesund werden. Schließlich sind S‘ ja auch keine achtzehn mehr. Was net heißt, dass S‘ alt sind. Da scheinen S‘ eher wie ein guter Wein, der wird mit den Jahren auch immer besser – wenn man ihn gut behandelt.“
Sie wollte etwas sagen, doch er schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. „Nix mehr, Minchen, ist mein letztes Wort.“
„Ach, und dann soll ich womöglich auch dem Heimatfest fernbleiben? Wo‘s doch den ersten Wettbewerb im Kuchenbacken gibt“, protestierte sie noch einmal.
„Dafür würd‘ wahrscheinlich jede Frau am Ort selbst vom Totenbett aufstehen“, grinste er. „Davon will ich S‘ auch bestimmt net abhalten. Ich gehöre schließlich in die Jury, und ich freu‘ mich schon drauf. Ein Stückerl Kuchen besser als das andere.“
„Nach dem fünften haben S‘ bestimmend schon genug – hatschi.“ Wieder angelte Minchen nach einem Taschentuch.
„Bis zum Wochenende wird‘s bestimmt besser gehen. Aber hier gibt‘s jetzt nix mehr zu sagen. Jetzt gehen S‘ brav heim, und die Maria wird S‘ würdig vertreten. Keine Widerrede mehr, ich mein‘s ja nur gut.“
„Na, ich werd‘s versuchen. Aber wenn mir die Decke auf den Kopf fällt, kann ich für nix mehr garantieren.“ Sie ging hinaus, wobei sie wiederum heftig nieste, und Daniel schüttelte schmunzelnd den Kopf.
Am nächsten Morgen ließ er ihr einen großen Blumenstrauß nach Hause schicken.
Neben dem Schützenfest war das Heimatfest der alljährliche Höhepunkt in Hindelfingen. Alle Vereine kamen zusammen, im Ort herrschte eine Art Ausnahmezustand, und jedermann bereitete sich darauf vor. In diesem Jahr würde es zum ersten Mal einen Wettbewerb im Kuchenbacken geben. Teilnehmen konnte ein jeder, der in der Lage war, einen Kuchen oder eine Torte zuzubereiten, also eigentlich wirklich jedermann. Aber in Hindelfingen hatte das Backen eine lange Tradition, es gab in jedem Haushalt eigene Rezepte, die eifersüchtig gehütet wurden. Schon in normalen Zeiten übertrafen sich die Frauen bei der Zubereitung, und Daniel Ingold war schon öfter in den Genuss gekommen von der einen oder anderen Patientin als kleines Dankeschön eine Torte oder einen Kuchen geschenkt bekommen zu haben. Das war im Übrigen seine große Schwäche, er konnte solchen Köstlichkeiten einfach nicht widerstehen. Überhaupt war essen seine große Leidenschaft, was sich bisher jedoch noch nicht in Gewicht oder Figur niedergeschlagen hatte. Er konnte essen, was er wollte, ohne dass er dicker wurde. So war es auch nur natürlich, dass er zu den ausgewählten Personen gehörte, die beim Wettbewerb die Kuchen mit bewerten sollten, denn eigentlich wusste jeder über diese Leidenschaft Bescheid.
Aber es gab in Hindelfingen auch eine ganze Reihe von Leuten, die das Kochen und Backen zu einer Kunst gemacht hatten. Es gab wunderbare Rezepte, und aus einem einfachen Apfelkuchen konnte ein Genuss wie aus dem Paradies werden – auch wenn Pfarrer Feininger das Wort Paradies in diesem Zusammenhang für unpassend hielt.
Mit einem Augenzwinkern schalt er dann die „Lästermäuler“, legte ihnen ein Ave Maria als Buße auf und aß mit Genuss selbst die Köstlichkeiten, die so verführerisch waren. Irgendwie hatte es sich angeboten, dass ein solcher Wettbewerb hier am Ort ausgeschrieben wurde, auch deswegen, weil die Mannsbilder ja längst schon miteinander in Wettstreit lagen. In Rahmen des Heimatfests gab es Wettbewerbe für die verschiedenen alten handwerklichen Gewerke, Seil schlagen, schnitzen, melken, mähen mit der Sichel; aber die Frauen waren dabei meist nur Zuschauer.
Als dieser Vorschlag also eingebracht wurde, gab es keine Gegenstimme, und der Beschluss dazu erfolgte ohne Diskussion. Nur bei der Wahl der Jury tat man sich etwas schwer. Doch auch da wurde man sich schließlich einig.
Zuerst hatten sich nur Männer gemeldet, kein Wunder, denn jede Frau, die zu den Preisrichtern gehörte, konnte nicht teilnehmen. Aber Vreni Kollmannberger gab schließlich dem Drängen nach. Ihre Kuchen, wie auch die von Hermine Walther, standen eigentlich außerhalb jeder Konkurrenz, sie mussten ihr Können nicht mehr beweisen, also hatte man gleich zwei Frauen gefunden, die sehr wohl auch das Können anderer beurteilen konnten. Deshalb empfand Minchen es auch schlichtweg als Katastrophe, dass ausgerechnet jetzt eine Erkältung dafür sorgte, dass sie eigentlich das Bett hüten musste. Doch sie würde nicht einfach aufgeben, sie war sicher, dass sie bis zum Wochenende wieder auf den Beinen sein konnte, eine solche Gelegenheit wollte sie sich nicht entgehen lassen. Hauptsache, sie bekam auch diesen erbärmlichen Schnupfen in den Griff, auf jeden Fall hatte sie keine Lust andere Leute anzustecken. Außerdem konnte man mit einem handfesten Schnupfen gar nicht richtig schmecken. Wie sollte sie dann Kuchen und Torten beurteilen können?
Aber schließlich gab es ja auch noch andere Leute, die ebenfalls zur Jury gehörten. An der Summe der Anmeldungen gemessen hätte man glauben können, dass Hindelfingen mehrere Tausend Einwohner besaß. Aber keine der Frauen am Ort wollte es sich nehmen lassen, ihre Künste unter Beweis zu stellen.
So hatte der Bürgermeister zusammen mit dem Pfarrer entschieden, dass die Jury stark vergrößert werden musste. Sechzehn Männer und Frauen würden nunmehr die Qual der Wahl haben und vor allem anschließend für einige Zeit keinen Kuchen mehr sehen können.
Jetzt im Vorfeld freuten sich aber noch alle, und die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren.
Der Gesangsverein Concordia probte täglich, die Kapellen der Freiwilligen Feuerwehr und des Schützenvereins marschierten schon jetzt durch die Straßen, alle Vorgärten wurden geputzt und neu bepflanzt, Flaggen aufgehängt und Zäune frisch gestrichen. Selbst die Hecken wurden neu geschnitten – kurzum, in ganz Hindelfingen wimmelte es wie in einem Ameisenhaufen.