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Alpendoktor Daniel Ingold – Band 23
von Anna Martach
Der Umfang dieses Buchs entspricht 105 Taschenbuchseiten.
Die Nachricht verbreitet sich in Hindelfingen wie ein Lauffeuer: Am Grimsteig will eine Gruppe von Studenten ein Experiment ausführen, um das Leben in früheren Zeiten nachzuempfinden. Doch schon zu Beginn ergeben sich in der Gruppe einige Probleme, und die Meinungen der Anwohner zu dem Projekt gehen weit auseinander.
Cover: STEVE MAYER
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Alpendoktor Daniel Ingold – Band 23
von Anna Martach
Der Umfang dieses Buchs entspricht 105 Taschenbuchseiten.
Die Nachricht verbreitet sich in Hindelfingen wie ein Lauffeuer: Am Grimsteig will eine Gruppe von Studenten ein Experiment ausführen, um das Leben in früheren Zeiten nachzuempfinden. Doch schon zu Beginn ergeben sich in der Gruppe einige Probleme, und die Meinungen der Anwohner zu dem Projekt gehen weit auseinander.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
„Hast schon gehört?“ Vreni Kollmannberger kam mit allen Anzeichen von Aufregung in die Poststelle, wo ihre Freundin Trudi gerade etwas lustlos damit beschäftigt war, irgendwelche Listen auszufüllen. Diese Frage war für Vreni typisch. Was sie zu verbreiten hatte, war in der Regel so neu und unbekannt, dass es außer ihr noch niemand gehört hatte.
Trudi, eine einfache Frau mittleren Alters, schaute interessiert auf.
„Hat der Doktor sich endlich entschlossen, die Bernie zu heiraten?“
„Ach, Schmarrn, ich glaub‘ fast, die beiden wollen uns alle an der Nase herumführen. Die sollten doch schon längst verheiratet sein. Glaubt denn unsere Frau Tierärztin, sie könnt‘ was Besseres bekommen als den Doktor? Nein, in diesem Punkt gibt‘s nix Neues. Aber stell dir vor, auf dem Waldstück drunten an der Theine, wo auch unsere Waldbühne ist ...“ Sie machte eine Pause und holte Luft, während Trudi mit weit geöffneten Augen an ihren Lippen hing.
„Ja, nun sag doch endlich, was gibt‘s da drunten? Tust ja grad so, als wär‘s ein Staatsgeheimnis“, forderte sie ungeduldig.
„Na, pass auf, ich hatt‘s direkt vom Dernbacher Franzl, dem Wirt vom Kreuzkrug. Da drunten an der Theine macht eine Gruppe von Studenten ein Experiment – leben wie im Altertum, oder so ähnlich. Die wollen ein paar Hütten bauen, die dann später stehenbleiben sollen, wenn sie haltbar genug sind. Naja, und ernähren wollen sie sich von dem, was es so gibt. Vom Dornhuber Wolfgang haben sie wohl die Erlaubnis, dass sie auf dem Kornfeld was von Hand ernten dürfen. Und wenn man‘s so bedenkt, Obst gibt‘s im Augenblick an den Bäumen, Pilze wachsen auch schon auf der Wiese und im Wald. Aber ob das geht? Auf jeden Fall ...“
„... ist das eine depperte Idee“, verkündete Trudi eine eigene Meinung, was sie nur selten tat. „Erst mal mogeln die ja wohl. Wenn‘s recht so leben wollten, hätten‘s anfangen müssen im Frühjahr, um das Korn und was auch immer selbst anzubauen und zu pflegen. Außerdem liegt das Lager, oder wie immer man das nennen will, viel zu nah am Ort. Was denken die sich denn dabei, ist ja wohl ein ziemlicher Schmarrn.“
Vreni schaute ihre Freundin verblüfft an. Seit wann besaß die denn eine eigene Meinung und verbreitete die auch noch so deutlich?
„Meinst also net, dass wir alle noch was daraus lernen könnten? Ich denk‘, wenn man feststellen kann, wie das damals alles gelaufen ist ...“
„Ach, Quatsch.“ Zum zweiten Mal an diesem Tag unterbrach Trudi ihre Freundin, was schon mehr als bemerkenswert war. „Schau dir doch nur mal die Geschichte an. Wie haben die Leut‘ denn damals gelebt? Eine einzige Plackerei war das, von früh bis spät. Krankheiten gab‘s zuhauf, und die Menschen waren dumm und ungebildet, weil‘s gar keine Möglichkeit besaßen, was zu lernen oder auch mal was anderes zu tun. Vor allem für die Frauen war‘s doch schlichtweg eine Hölle. Ein Kind nach dem anderen gebären, Arbeit ohne Ende, keine Hilfsmittel, wie wir sie heut‘ haben. Nein, ich halt‘s net für eine gute Idee.“
„Sag mal, hast was?“, erkundigte sich Vreni und legte der anderen Frau scheinbar besorgt die Hand auf die Stirn. „Soll ich den Doktor rufen?“
„Ach, geh, lass mich aus.“ Trudi machte eine abwehrende Bewegung, und Vreni lächelte plötzlich verständnisvoll.
„Hast dich mal wieder mit dem Berti gehabt? Was hat er denn nun wieder zu lamentieren?“
Trudi stieß mit einem Ruck die Luft aus den Lungen.
„Wenn ich das nur wüsst‘. Er jammert über alles, dabei hat er doch eine gute Arbeit, und außerdem einen reizenden Chef. Daheim kann ich ihm nix recht machen, mal sind die Semmeln zu hart, oder er findet ein Staubkorn auf dem Schrank, die Kinder sind ihm zu laut oder zu leise – Himmel, manchmal wünscht‘ ich, wir wären net verheiratet, auch wenn er dann wieder ganz ungeheuer lieb sein kann. Aber weißt, da lob‘ ich mir doch ein Mannsbild wie unseren Doktor. Der tät‘ bestimmt net an allen herummäkeln.“
„Ach, der hat bestimmt auch seine Macken, da mach‘ dir mal nix vor. Und eigentlich hängst ja auch sehr an deinem Berti. Wirst halt damit leben müssen, dass er manchmal mit sich und der Welt unzufrieden ist.“
„Naja, man wird sich doch wohl noch was wünschen dürfen, oder net?“, seufzte Trudi. „Und ich wünsch‘ mir halt manchmal, dass ich ein Mannsbild an meiner Seite hätt‘ wie den Daniel Ingold, auch wenn ich meinen Berti net so einfach hergeben tät‘. Aber lassen wir das. Jetzt erzähl‘ mir mehr von diesen Studenten. Wie kommen die nur auf eine so narrische Idee? Und noch dazu ausgerechnet hier in Hindelfingen?“
Vreni fühlte sich in ihrem Element. Jetzt konnte sie endlich loslegen.
Der Mann, der offensichtlich das Objekt einiger Träume war, saß gerade in seinem Sprechzimmer und erklärte einer älteren reizenden Dame, dass sie mit der Psoriasis, der gemeinen Schuppenflechte, keine größeren Probleme haben würde, dass sie aber auf ihr angegriffenes Herz zu achten hätte.
Agatha Müller sah diese Notwendigkeit aber nicht so recht ein, was vielleicht daran lag, dass die Schuppenflechte sich deutlich sichtbar an den Ellenbogen und hinter den Ohren breit machte, während sie ihr Herz natürlich nicht sehen konnte und auch kaum Beschwerden daran verspürte.
Agatha war in mancher Hinsicht bemerkenswert. Die alte Dame würde in ein paar Tagen ihren neunzigsten Geburtstag feiern. Sie bewohnte und bewirtschaftete noch immer allein ein kleines Haus, arbeitete recht fleißig im Garten und verwöhnte mittlerweile vierzehn Ur-Ur-Enkel. Eine stolze Leistung, wie nicht nur Daniel fand. Doch im mancher Beziehung konnte sie ausgesprochen dickköpfig sein, was der Doktor mal unter vier Augen der Bernie gegenüber als Altersstarrsinn bezeichnet hatte. Trotzdem fand er Agatha liebenswert, wenn auch manchmal etwas schwierig.
„Und wie krieg‘ ich das Zeugs nun wieder weg?“, forschte sie nun wohl schon zum vierten Mal. Daniel seufzte auf und begann noch einmal von vorn.
„Hier hab ich Ihnen eine leichte Hydrocortison-Salbe aufgeschrieben, mehr braucht‘s bei diesen einfachen Symptomen noch net. Die tragen S‘ ein- bis zweimal täglich auf, da wo die Schuppen sich zeigen. Dann bleibt die Haut zwar noch ein bisserl gerötet, aber nach und nach wird‘s besser werden, und auch der Juckreiz wird nachlassen. Haben S‘ denn jetzt verstanden, was ich gesagt hab über Ihr Herz?“
Verschmitzt lächelnd schaute die alte Frau ihn an. „Da übertreiben S‘ doch wohl ein bisserl, Herr Doktor. Was sollt‘ mir das denn bringen, wenn ich tu, was S‘ da vorschlagen? Net aufregen, weniger arbeiten – mein ganzes Leben lang hab ich gearbeitet. Was glauben S‘ denn wohl, was passieren tät‘, würd‘ ich mich jetzt auf die faule Haut legen? Nein, nein, damit brauchen S‘ mir erst gar net zu kommen.“
„So geht‘s aber net“, widersprach Daniel. „Wenn S‘ net ein bisserl mehr auf sich Acht geben, dann können S‘ net alt werden.“ Im gleichen Moment, da er die Worte ausgesprochen hatte, sah er ein, welchen Unsinn er gerade geredet hatte.
„Alt bin ich schon, Herr Doktor“, lachte die Frau. „Aber wollen S‘ mir tatsächlich auf meine alten Tage jeden Spaß verderben? So geht‘s nun aber wirklich net. Ich weiß net, wie viel Zeit der Herrgott mir noch schenkt. Aber das wenige werd‘ ich nutzen, um zu leben, jeden Tag aufs Neue. Also kommen S‘ mir net mit einem kranken Herzen. Das einzige, was mich stört, sind diese Schuppen.“
Daniel hatte der resoluten Rede lächelnd zugehört. Er konnte sich recht gut vorstellen, wie Agatha im Verlauf ihres Lebens alle Schwierigkeiten gemeistert hatte. Mit Mut, Freundlichkeit, und wo‘s nötig war, auch mit Strenge, hatte sie alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt. Sicher war es ein langer Lernprozess gewesen und oftmals schwierig. Aber die Lebensweisheit, über die Agatha verfügte, war nicht mit Gold aufzuwiegen. Da machte es nicht viel aus, dass sie manchmal ein bisschen dickköpfig war. Daniel kannte die alte Dame seit seinem ersten Tag in Hindelfingen und wusste sie mittlerweile zu nehmen. Also übte er sich in Geduld.
„Das tät‘ net lang dauern, bis die Schuppen zurückgehen. Und bei Ihnen ist die Psoriasis ja net stark ausgeprägt. Da tät‘s schon Menschen geben, die das überall am ganzen Körper haben, und da weiß man dann auch eine andere Therapie einzusetzen. Nur ist bis heut‘ noch niemandem so recht bekannt, wodurch das ausgelöst wird, und wie man das dauerhaft heilen kann. Also kann ich Ihnen nur raten ...“
„Ach, Schmarrn, so was hat‘s alle Zeiten lang gegeben, und früher hat auch kein Doktor gewusst, was zu tun war. Da bin ich ja schon froh, dass es jetzt besser werden kann. Wir werden sehen. Und mein Herz lassen S‘ mal meine Sorge sein. Dem tät‘s in den nächsten Tagen wieder besser gehen. Einer meiner Enkel wird hier bei dem Experiment unten an der Theine dabei sein, und ich freu‘ mich drauf.“
„Was denn für einen Experiment?“, fragte Daniel verblüfft.
„Ach, hat die Vreni das noch net überall herumerzählt? Oder haben S‘ das vielleicht überhört?“ Sie berichtete von dem Plan, für einige Zeit das Leben in der Vergangenheit nachzustellen.
„Und da wollen die jungen Leut‘ schon mal nachfragen, wenn‘s net weiter wissen.“
„Dann passen S‘ nur gut auf sich auf. Net, das S‘ täglich da hinunterlaufen. Ich wollt schon noch ein bisserl länger was haben von meiner ältesten und liebsten Patientin“, mahnte der Arzt.
„Ja, was hör‘ ich denn da, Schmeicheleien? Sie sind ja ein ganz Durchtriebener. Nein, solche Worte heben S‘ sich besser für Ihre Bernie auf. – Wann, haben S‘ gesagt, ist Verlobung? Mein Gedächtnis lässt doch langsam nach.“
Daniel lachte herzhaft auf. Das Gedächtnis von Agatha Müller war vermutlich um Längen besser als das der meisten anderen Leute hier am Ort. Und eine Verlobung stand nun mal nicht an, was aber nicht so sehr an ihm lag. Darüber brauchte er jetzt aber kein Wort zu verlieren, sämtliche Tatsachen aus seiner Beziehung zur Bernie waren eigentlich gut bekannt.
Agatha tätschelte ihm gutmütig den Arm und stand auf.
„Das wird schon was werden, Herr Doktor, die Bernie ist ein kluges Madl, die wird so ein fesches Mannsbild net einfach davonlaufen lassen.“ Sie ging hinaus, und Daniel dachte an die bildhübsche Tierärztin, Bernhardine Brunnsteiner. Ob er wohl heute einen neuen Versuch machen sollte, sie um ihre Hand zu bitten? Er liebte die Frau von Herzen, und auch sie empfand nicht anders für ihn, wie er sehr wohl wusste. Nun, er sollte auf jeden Fall durch Minchen oder Maria, seine getreuen Arzthelferinnen, einen Blumenstrauß besorgen lassen. Mehr als wieder einmal um Zeit zu bitten würde Bernie wohl nicht tun.