Alpengold 235 - Carolin Thanner - E-Book

Alpengold 235 E-Book

Carolin Thanner

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Beschreibung

Seit vielen Jahre ist Angus Stadler Pfarrer der kleinen Gemeinde Hainzenberg im Zillertal. Er kennt seine "Schäfchen" in- und auswendig, weiß um ihre Fehler und Schwächen. Die Menschen sind nun mal nicht fehlerfrei, doch wer aufrichtig seine Sünden bereut, der findet bei ihm Vergebung.

Auch jetzt sitzt Angus Stadler auf seinem Platz im Beichtstuhl, als er auf der anderen Seite der vergitterten Öffnung leise Atemzüge hört. Doch diesmal wird ihm im Flüsterton weder von Neid und Missgunst noch von Zank und Ehebruch berichtet. Die Beichte der jungen Frau beginnt mit: "Ich hab ein Leben auf dem Gewissen, Herr Pfarrer!"

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Inhalt

Cover

Impressum

Ich erzähl dir ein Geheimnis …

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock / Romrodphoto

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-4091-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Ich erzähl dir ein Geheimnis …

Packender Roman um eine mutige Tat

Von Carolin Thanner

Seit vielen Jahre ist Angus Stadler Pfarrer der kleinen Gemeinde Hainzenberg im Zillertal. Er kennt seine »Schäfchen« in- und auswendig, weiß um ihre Fehler und Schwächen. Die Menschen sind nun mal nicht fehlerfrei, doch wer aufrichtig seine Sünden bereut, der findet bei ihm Vergebung.

Auch jetzt sitzt Angus Stadler auf seinem Platz im Beichtstuhl, als er auf der anderen Seite der vergitterten Öffnung leise Atemzüge hört. Doch diesmal wird ihm im Flüsterton weder von Neid und Missgunst noch von Zank und Ehebruch berichtet. Die Beichte der jungen Frau beginnt mit: »Ich hab ein Leben auf dem Gewissen, Herr Pfarrer!«

Dös ist a Kreuz mit dem Kreuz!

Ein Stöhnen rutschte Pfarrer Angus Stadler über die Lippen, als er sich nach der Morgenzeitung bückte. Warum hatte ihm das Blatt vom Kaffeetisch rutschen müssen?

Sein Rücken protestierte mit einem heftigen Stechen gegen die Bewegung. Er stemmte eine Hand auf die schmerzende Stelle und überlegte sich: Was könnte ich noch alles erledigen, wo ich schon mal hier unten bin? Unter der Eckbank haben sich allerhand Staubmäuse angesammelt. Ich sollte der Franzi Bescheid sagen, damit sie mal wieder zum Putzen rüberkommt.

Angus Stadler richtete sich schnaufend auf und legte die Zeitung zurück auf den Frühstückstisch. Seine Wangen waren warm geworden, und sein Ischias zwackte, als würde ein Brieföffner in seinem unteren Rücken stecken.

Er sehnte sich danach, sich auszustrecken und die Beine auf einem Stapel Kissen zu lagern. Das war die einzige Position, in der sich sein Rücken nicht anfühlte, als würde jemand den besagten Brieföffner herumdrehen. Doch von der nahen Dorfkirche mahnte die Kirchglocke die achte Stunde an. Es war Zeit für seine Stunde im Beichtstuhl!

Angus leerte den Kaffeebecher – koffeinfrei, weil der Arzt ihn erst letzte Woche wegen seines hohen Blutdrucks ermahnt hatte – und stapfte aus dem Pfarrhaus hinüber zur Kirche.

Das Gotteshaus stand im Zentrum der Gemeinde Hainzenberg im Zillertal. Die weißen Mauern schienen mit den beiden roten Zwiebeltürmen in der Frühlingssonne um die Wette zu leuchten. Links und rechts des Eingangs blühten Narzissen. Sie leuchteten golden, als hätten sich pure Sonnenstrahlen zu den Blüten geformt.

Angus Stadler betrat die Kirche und strebte dem Beichtstuhl zu. Das schrankartige, mit Schnitzwerk verzierte Möbelstück war in zwei Innenräume geteilt: einen für ihn selbst und einen für den Beichtenden. Der Pfarrer legte sich sorgsam seine Stola um, nahm auf dem Sitz Platz, welcher der Tür zugewandt war, und schob die Abdeckung der vergitterten Öffnung zurück. Auf der anderen Seite waren Atemzüge zu hören. Anscheinend war bereits jemand hier.

»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen«, flüsterte eine Stimme auf der anderen Seite, von der unmöglich zu sagen war, zu wem sie gehörte. Es konnte jemand aus dem Dorf sein, aber auch ein Besucher von außerhalb. Das war nicht auszumachen.

»Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir Erkenntnis deiner Sünden und seine Barmherzigkeit«, sagte Angus sanft.

»Amen. Bitte vergeben Sie mir, denn ich habe gesündigt«, wisperte die Stimme.

»Erleichtere dein Herz, mein Kind. Was möchtest du beichten?«

»Ich habe ein Leben auf dem Gewissen, Herr Pfarrer!«

Das Geständnis kam unerwartet und ließ ihn zusammenzucken. Im Lauf der Jahre hatte er so manches gesehen und gehört. Im Beichtstuhl wurde von Neid und Missgunst berichtet, von Zank und Ehebruch und manchmal auch von Diebstahl. Aber ein Mord? Nein, das war ihm noch nicht untergekommen. Angus schluckte. Er wusste nicht, was er erwidern sollte, aber das schien sein Gegenüber auch nicht zu erwarten, denn der Besucher fuhr im Flüsterton fort.

»Genau genommen habe ich sogar zwei Leben genommen. Das zweite ist nur noch net erloschen.«

Angus faltete seine Hände.

»Gott, der Herr, ist Vergebung und Liebe, wenn wir ihm unser Herz öffnen und unsere Taten aufrichtig bereuen. Erzähl mir, was passiert ist.«

Auf der anderen Seite des Gitters herrschte unvermittelt Schweigen. Nur die tiefen Atemzüge waren noch zu hören. Was war passiert? Hatte den Besucher die Furcht vor möglichen Konsequenzen seines Geständnisses überkommen? Wog er ab, was er offenbaren durfte und was nicht?

»Dein Geheimnis ist bei mir sicher«, versicherte Angus ernst.

Er hatte kaum ausgesprochen, als er ein Rascheln hörte. Schritte hallten von den hohen Kirchenwänden wider. Offenbar war der Beichtende drauf und dran, sich zu entfernen. Aber was hatte es mit dem zweiten Leben auf sich, das er noch nicht genommen hatte? Wollte er etwa noch einen zweiten Mord begehen?

Dem Pfarrer rauschte das Blut in den Ohren. Wenn es in seiner Macht lag, musste er ein weiteres Unglück unbedingt verhindern!

Hastig stemmte er sich von der schmalen Bank hoch. Oh! Grundgütiger! Das Holz war so unbequem, dass sein Rücken mit einem scharfen Schmerz gegen die Unbequemlichkeit protestierte. Er kam kaum hoch!

Als er sich endlich auf die Füße gerappelt hatte, stürmte er, so schnell er konnte, aus dem Beichtstuhl, aber es war zu spät. Er sah nur noch, wie das schwere Kirchenportal zufiel. Wer auch immer hier gewesen war, war nun fort.

Doch Angus wollte nichts unversucht lassen. So schnell seine Soutane es zuließ, eilte er zur Tür, riss sie auf und spähte hinaus. Still lag die Dorfstraße im Licht der Morgensonne. Niemand war auf der Straße oder dem Bürgersteig unterwegs. Nur auf der gegenüberliegenden Seite war der Dachdecker zugange und nagelte gerade eine Schindel auf dem Dach fest.

»Grüß dich!«, rief Angus Stadler zu ihm hinauf.

»Grüß Gott, Herr Pfarrer!«, kam es zurück.

»Hast du gesehen, wer kurz vor mir aus der Kirche gekommen ist?«

»Na. Ich war mit der Arbeit beschäftigt. Tut mir leid.«

»Schon gut.« Ein Seufzen entfuhr ihm. Er hatte keine Möglichkeit mehr, herauszufinden, wer ihm gebeichtet hatte und um wen es dabei gegangen war. Grüblerisch rieb er sich das bärtige Kinn. Er hatte in den vergangenen Tagen von keinem Unglücksfall im Dorf gehört. War die Tat also im Verborgenen geschehen? Oder frisch und noch nicht entdeckt?

Ich werde die Augen und Ohren offenhalten, nahm er sich vor. Vielleicht gelang es ihm, das zweite Leben zu beschützen, von dem der Besucher gesprochen hatte.

Er verschränkte seine Hände ineinander, während er nachdachte. Wer mochte noch in Gefahr sein? Und warum?

Ratlos warf er einen Blick zum blauen Morgenhimmel.

Ach, Herr, was soll ich denn jetzt machen? Wie kann ich helfen, weiteres Leid zu verhindern?

***

Drei Wochen zuvor …

Pia Walser fuhr die Serpentinenstraße hinauf. Ihr Kleinwagen protestierte mit einem hörbaren Röhren gegen den steilen Anstieg. Die engen Kurven trieben ihr den Schweiß auf die Stirn, denn sie stellte sich unwillkürlich vor, was geschehen würde, wenn sie von der Fahrbahn abkam und den Abhang hinunterstürzte. Steil ging es da hinunter! Sie konnte gar nicht hinsehen!

Links und rechts der Fahrbahn blühten üppig die Frühlingswiesen. Hunderte Krokusse reckten ihre Blüten in den Himmel, aber sie würden einen Absturz ebenso wenig bremsen wie die spärlich wachsenden Fichten zu ihrer Rechten. Pia grub die Zähne in die Unterlippe und konzentrierte sich. Besser, sie hielt sich in der Fahrbahnmitte …

So weit war sie gerade mit ihren Gedanken gekommen, als vor ihr ein Bus auftauchte und ihr entgegenkam. Geistesgegenwärtig bremste sie und lenkte ihr Auto so weit nach rechts, wie es ging, ohne von der Straße abzukommen. Der Bus rauschte nur wenige Millimeter an ihrem Seitenspiegel vorbei! Ein tiefer Atemzug entfuhr ihr. Das war knapp!

Pias Ziel war Hainzenberg, eine Gemeinde südöstlich von Zell am Ziller und rund zwölf Kilometer von Mayrhofen entfernt. Der Frühling ließ die Wiesen und Hänge erblühen, und die Sonne erwärmte die Luft auf angenehme achtzehn Grad. Auf den Gipfeln leuchtete noch Schnee in der Sonne. Er würde sich gewiss bis in den Sommer halten, denn die Berge ragten hier zweitausend Meter auf – und noch mehr!

Das Herz der jungen Wildbiologin wurde weit. Für die nächsten Wochen würde das Tal ihr Zuhause sein. Sie wusste noch nicht genau, wie lange ihr Auftrag sie festhalten würde, aber sie war sich sicher, dass sie sich in den Bergen wie zu Hause fühlen würde.

Das Navigationsgerät lotste Pia zum alten Forsthaus. Es stand am Rand des Dorfes: ein zweigeschossiges Alpenhaus, über dessen Eingang ein mächtiges Geweih befestigt war. Über der Haustür stand mit Kreide geschrieben: C+M+B. Dahinter war die Jahreszahl notiert. Ein prächtiger Garten umgab das Haus. Es blühte und grünte, dass das Auge die Pracht kaum erfassen konnte. Schmetterlinge und wilde Bienen bevölkerten die Blüten.

Pia stellte ihr Auto vor dem Haus ab und war noch nicht ganz ausgestiegen, als die Haustür aufging und eine kleine, rundliche Frau herauskam. Ihre grauen Haare waren zu einem praktischen Knoten aufgesteckt, und in ihrem faltigen Gesicht leuchteten die türkisfarbenen Augen so lebhaft, als würden sie mit der Sonne um die Wette funkeln.

»Grüß Gott!«, rief sie munter und umarmte Pia ohne lange Umstände. »Ich bin die Prankl-Ida. Herzlich willkommen bei uns. Dein Zimmer ist schon bereit. Wo hast du dein Gepäck? Ich helfe dir beim Tragen.«

»Vielen Dank, aber das müssen Sie net.«

»Das mache ich gern. Und sag ruhig Ida und Du zu mir. Hier in den Bergen sind wir net so förmlich.« Ihre Vermieterin wartete, bis Pia den Kofferraum geöffnet hatte, dann nahm sie eine der beiden Reisetaschen und ging voraus ins Haus.

Pia lud sich die zweite Tasche sowie den Koffer mit ihrer Ausrüstung auf und folgte ihrer Vermieterin ins Haus. Das Innere war genauso gemütlich eingerichtet, wie sie es sich vorgestellt hatte. Holz und warme Farben dominierten die Einrichtung. Es duftete nach frisch gebackenem Kuchen. Und auf den Fensterbrettern blühten Zimmerpflanzen.

Ida führte sie die Treppe nach oben und stieß die Tür zu einem hübschen Gästezimmer auf.

»Das Badezimmer ist am Ende des Flurs. Ich habe frische Handtücher hingelegt. Der Raum steht dir allein zur Verfügung. Mein Mann und ich benutzen das Bad im Erdgeschoss. Du kannst also in aller Ruhe baden oder duschen, ganz wie du magst.«

»Das ist schön.« Pia stellte ihr Gepäck neben dem Bett ab, das mit karierter Wäsche bezogen war, trat ans Fenster und stieß es auf. Ihr Blick schweifte über die steilen Berggipfel und grünen Hänge, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Wow! Die Aussicht ist traumhaft. Daheim in München schaue ich in einen Hinterhof. Das ist net zu vergleichen.«

»Wir möchten, dass du dich wohl bei uns fühlst, also sag ruhig Bescheid, wenn du etwas brauchst. Du kannst die Küche mit uns benutzen. Ich habe dir Platz im Kühlschrank gemacht. Und heute Abend würden mein Mann und ich dich gern zum Essen einladen, wenn du noch nichts anderes vorhast. Ich habe einen Tafelspitz vorbereitet.«

»Sehr gern. Vielen Dank, Ida.«

Ihre Vermieterin nickte zufrieden und strich die weiße Schürze glatt, die sie über ihr Dirndl gezogen hatte.

»Ich lasse dich jetzt in Ruhe auspacken. Ich bin unten, wenn du Fragen hast oder einen Plausch halten möchtest.« Sie zwinkerte Pia zu und wirbelte herum. Wenig später fiel die Tür hinter ihr zu.

Pia drehte sich einmal um die eigene Achse.

Ihr Zimmer verfügte über einen Schreibtisch, eine Leseecke und einen Kamin, den sie abends gewiss ausprobieren würde, denn die Abende waren im Frühling noch empfindlich kühl. Der Holzfußboden war mit einem bunten Flickenteppich ausgestattet und ebenso blitzsauber wie der Rest des Raumes.

An den Wänden hingen hübsche Aquarelle mit Bergansichten und einige Geweihe, die Pia zum Stirnrunzeln veranlassten. Sie mochte die Geweihe lieber an den Tieren selbst, aber die Zierde gehörte in einem ehemaligen Forsthaus wohl dazu.

Sie machte sich daran, alles auszupacken. Ihre Garderobe kam in den hohen Zirbenschrank, der Laptop und ihre Unterlagen auf den Schreibtisch.

Pia hatte gerade ihre Waschsachen ins Badezimmer gebracht und sich die Hände gewaschen, als ihr Handy klingelte. Auf dem Display wurde die Nummer ihrer besten Freundin angezeigt. Sie hob es ans Ohr.

»Hallo, Cora!«

»Hey, du Weltenbummlerin«, sagte eine Frauenstimme am anderen Ende der Verbindung. »Bist du gut angekommen?«

»Bin ich. Die Fahrt war allerdings ein Abenteuer. Es führt nur eine steile Straße hier herauf. Unterwegs dachte ich mehr als einmal, dass ich gleich abstürze.«

»So ist das eben, wenn man ans Ende der Welt reist. Und hast du deine Schützlinge schon kennengelernt?«

»Noch net. Ich habe gerade erst ausgepackt, aber ich möchte sie nachher unbedingt noch besuchen. Ich freue mich so unbändig, dass es geklappt hat und ich den Auftrag bekommen habe, die Auswilderung der Steinböcke zu leiten.«

»Du bist eben die Beste auf dem Gebiet. Und du hast es verdient. Immerhin warst du verrückt genug, mitten im Winter und bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt zwei Wochen in einem Zelt zu hausen, um Steinböcke in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten.«

»Das war Teil meiner Studienabschlussarbeit.«

»Trotzdem war es verrückt.« Ein Lächeln schwang in der Stimme der Freundin mit und verriet, dass sie stolz auf Pia war. »Und? Hast du schon einen netten Dorfbewohner kennengelernt?«

»Bisher nur meine Vermieterin. Warum fragst du?«

»Weil du dir auf keinen Fall den Kopf verdrehen lassen sollst. Ich brauche meine beste Freundin hier in München, sobald dein Auftrag erledigt ist. Also komm bloß wieder!«

»Das werde ich. Keine Sorge. Ich bin zum Arbeiten hier, net zum Ausgehen. Ich werde also gar keine Zeit haben, mich zu verabreden. Außerdem ist das so ziemlich das Letzte, woran ich denke.«

Pia presste die Lippen zusammen. Der Tod ihres Verlobten war drei Jahre her, aber es tat noch immer furchtbar weh zu wissen, dass er nie wieder zu ihr zurückkehren würde. Der Schmerz war zu ihrem ständigen Begleiter geworden, wie ein Schatten, der ihr überallhin folgte.

Im Hörer war plötzlich ein Wehlaut zu hören. Alarmiert fuhr sie zusammen.

»Cora? Was ist denn passiert?«

»Ich habe mir den Fingernagel an der Limo-Dose abgebrochen. Ausgerechnet jetzt! In einer halben Stunde treffe ich mich mit Björn. Das ist eine Katastrophe.«

Pia sah unwillkürlich ihre Hände an. Die Nägel waren kurz geschnitten und nicht lackiert. Ihre langen hellblonden Haare waren locker aufgesteckt. Und ihre Garderobe musste vor allem eines sein: praktisch. Ihr einziger Schmuck war eine Silberkette mit einem Medaillon, das Geschenk ihres Verlobten zu ihrem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest.

»Ich muss Schluss machen und sehen, ob ich den Schaden reparieren kann«, sagte ihre Freundin seufzend. »Wir telefonieren bald wieder, ja?«

»Ist gut. Bis dann!« Pia legte ihr Handy zurück auf den Nachttisch und beschloss, einen Spaziergang zu machen. Sie wollte den fünf Steinböcken einen Besuch abstatten, die auf einer Weide hinter dem Dorf untergebracht waren und sich dort akklimatisieren sollten, ehe sie ausgewildert wurden.

Sie nahm eine Strickjacke mit und verließ ihr Quartier.

Das Dorf lag hoch über dem Talboden. Unten floss der Ziller, ein rechter Nebenfluss des Inn. Die Bundesstraße führte an seinem Ufer entlang. Von hier oben aus wirkten die Fahrzeuge wie Spielzeuge.

Pia kam an gepflegten Alpenhäusern vorbei, vor deren Fenstern Geranien blühten. Sie passierte eine Kirche mit zwei Zwiebeltürmen und gelangte zu einem Gemischtwarenladen, vor dem frisches Obst zum Kauf einlud. Sie überlegte gerade, eine Schale Erdbeeren zu kaufen, als die Ladentür aufgerissen wurde und ein Kind herausgestürmt kam.

Der Bub mochte etwa neun oder zehn Jahre zählen und hatte ein sommersprossiges Gesicht und zerzauste blonde Haare. Er stieß sie an und rannte sie beinahe um!