Alpträume aus Schwefel - Kel - E-Book

Alpträume aus Schwefel E-Book

Kel

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Beschreibung

Wie alles andere in meinem Leben war auch der Abstieg in die Hölle nicht so einfach. Als ich durch das Portal sprang, erwartete ich, die Sünden auf der anderen Seite zu treffen. Ich erwartete, von meinen Leuten, den Dämonen, empfangen zu werden. Was ich vorfand, waren Flammen, Feuer und Asche. Die Apokalypse hatte nicht auf mich gewartet. Sie hatte bereits begonnen. Die Grenzen der Hölle stürzten in sich zusammen und machten meine Aufgabe, die Sünden zu finden, unendlich viel schwieriger. Als ich mich gemeinsam mit den Reitern auf die Suche nach ihnen machte, stellten wir fest, dass nicht alles so war, wie es schien. Eine weißhaarige Mörderin hatte mir einst geraten, mich vor dem Bösen zu hüten, das sich im Offensichtlichen versteckt. Ich hätte auf sie hören sollen. Der Kampf um die Hölle hatte begonnen und die Aufgabe, sie zu retten, lag allein bei mir. Aber um zu gewinnen – und zu überleben –, musste ich die Geheimnisse der Vergangenheit lüften, um die Zukunft sehen zu können. Ich schwor mir, zu nehmen, was mir gehörte, auch wenn ich dafür bluten sollte.

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Alpträume aus Schwefel

KÖNIGIN DER VERDAMMTEN

MAGIE DER VERDAMMTEN UND GÖTTLICHE SCHICKSALE

BUCH VIER

KEL CARPENTER

Übersetzt vonTATJANA BECIJOS

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

8. *Allistair*

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

14. *Rysten*

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

22. *Julian*

Kapitel 23

Kapitel 24

25. *Allistair*

26. **Moira**

Kapitel 27

Kapitel 28

29. *Laran*

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

34. **Julian**

35. **Moira**

Kapitel 36

37. ** Moira**

Bandit

Danksagung

Alpträume aus Schwefel

Kel Carpenter

Veröffentlicht von Kel Carpenter

Copyright © 2019, Kel Carpenter

Überarbeitet von Analisa Denny

Titelbild von Clarissa Yocla

Übersetzt von Tatjana Becijos für Literary Queens

Alle Rechte sind gemäß den internationalen und panamerikanischen Urheberrechtskonventionen vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, elektronisch oder mechanisch, einschließlich Fotokopien, Aufzeichnungen oder Informationsspeicher und -abrufsystemen, ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers vervielfältigt oder übertragen werden.

Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Orte, Personen und Ereignisse sind entweder der Fantasie des Autors entsprungen oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen, Organisationen, Ereignissen oder Orten ist rein zufällig.

Warnung: Die unerlaubte Vervielfältigung oder Verbreitung dieses urheberrechtlich geschützten Werks ist illegal. Kriminelle Urheberrechtsverletzungen, auch solche ohne finanziellen Gewinn, werden vom FBI untersucht und können mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 250.000 US-Dollar geahndet werden.

Erstellt mit Vellum

Für die Menschen, die in schweren Zeiten zu dir stehen …

Denn das Beste kommt erst noch.

Wer zu Grunde gehen soll, der wird zuvor stolz; und Hochmut kommt vor dem Fall.

Sprüche 16:18

Kapitel1

Wer hätte gedacht, dass sich der Eingang zur Hölle in einem Donutladen befand?

Okay, kein Donutladen im eigentlichen Sinne. Das berüchtigte französische Café war viel stilvoller. Trotzdem waren die Puderzuckerdinger auf meinem Teller im Grunde genommen frittierte Donuts, wenn wir mal ehrlich waren. Es war zwar nicht Martha’s, aber ich würde Donuts und schwarzen Kaffee für meine letzte Mahlzeit auf Erden nicht ablehnen.

»Also, wie soll das funktionieren?« Ich biss in ein zuckersüßes Stück Teig. »Wir gehen einfach durch das Portal und schon sind wir drin?« Bandit griff über meine Schulter, stibitzte ein Beignet von meinem Teller und stopfte es in seinen Mund, bevor ich versuchen konnte, es zurückzustehlen. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, den er nicht zu bemerken schien, als er von mir auf den Tisch sprang und sich dann auf Laran stürzte. Ich schüttelte den Kopf, als Laran ihn hinter den Ohren kraulte. Schleimer!

»So ziemlich.« Rysten nickte und stocherte in seinem eigenen Frühstück herum. »Normalerweise bildet sich eine Schlange vor dem Portal, aber da du bist, wer du bist, und wir die Reiter sind, werden sie eine Ausnahme machen.«

Ich nickte zustimmend und versuchte, das alles zu begreifen.

»Ganz zu schweigen von meinen knallharten Flügeln«, meldete sich Moira zu Wort. Sie strich über die Spitze ihres blau marmorierten Flügels und zog ihn fest an sich. Sie war zwar noch nicht wieder ganz die Alte, nachdem sie im Untergrund von Le Ban Dia festgehalten worden war, aber es ging ihr besser. Sie würde Zeit brauchen, um das Geschehene zu verarbeiten. Ich respektierte ihre Entscheidung, sollte sie sich entschließen, nie zu erzählen, was an diesem dunklen Ort geschehen war – solange es ihr besser ging.

»Sie können deine Flügel nicht sehen«, erinnerte ich sie und nahm einen Schluck Kaffee. Heiß und bitter. Genau so, wie ich ihn mochte.

»Wie schade.« Ihr abfälliger Ton brachte Rysten dazu, mit den Augen zu rollen, und sie ließ es dabei bewenden. Wir schwiegen ein paar Minuten lang und aßen unser Frühstück auf, während ich überlegte, wie ich meine nächste Frage formulieren sollte.

»Also, wenn wir in der Hölle sind …« Ich hielt inne und knabberte am Rand eines Beignets. Vor lauter Aufregung verkrampfte sich mein Magen. »Wie genau wird das ablaufen?« Noch ein Schluck Kaffee. Ich zog eine Augenbraue hoch und sah mich am Tisch um, von Julian, der stoisch zu meiner Linken saß, bis hin zu Moira, die sich zu meiner Rechten platziert hatte.

»Sieh mich nicht an!« Sie hob ihre Hände. »Du weißt genauso viel wie ich.«

»Punkt für dich.« Ich ging dazu über, Rysten anzustarren. Er seufzte und schien sich plötzlich sehr für seinen Donut zu interessieren. Fast so, als würde er nach Worten ringen.

Es war Laran, der schließlich sprach.

»Als wir die Hölle verließen, war es unsere Aufgabe, dich so schnell wie möglich zurückzuholen, damit die Sünden dich beurteilen können. Es hätte weniger als eine Woche dauern sollen.«

Ich runzelte die Stirn. »Aber ich hatte ein Leben …«

Laran nickte verständnisvoll.

»Das hattest du«, stimmte er zu. »Aber du bist Luzifers Erbin. Weder die Sünden noch dein Vater haben bei ihrer Planung berücksichtigt, welches Leben du in ihrer Abwesenheit aufbauen würdest. Sie haben dich nicht in Betracht gezogen. Du wurdest geboren, um zu herrschen, so einfach war das für sie. So wie sie die auserwählten Verwalter sind, nahmen wir alle an, dass du deine Rolle ohne allzu große … Schwierigkeiten akzeptieren würdest.« Bandit bewegte sich um seine Schulter herum und setzte sich gefährlich nahe an den Durchgang. Als der Kellner mit einem Tablett in der Hand vorbeilief, schnippte er einmal mit der Pfote und ein Beignet war verschwunden, ohne dass es jemand bemerkte. Bandit stopfte es in sein Maul und drehte sich um. Seine Wangen waren merkwürdig voll, als er mich ansah.

»Was genau willst du damit sagen?«

»Er sagt«, erklärte Julian und lehnte sich zurück, während seine dunkelgrünen Augen auf mir ruhten, »dass wir in weniger als einer Woche mit dir hätten zurückkehren sollen, aber schon fast zwei Monate vergangen sind.« Ich nippte erneut an meinem Kaffee und schluckte schwer.

»Nun, ja … aber ich musste mich verwandeln, und dann war da noch die ganze Sache mit dem Kobold …«

»Die Sünden sind nicht gerade für ihre Geduld bekannt«, sagte Allistair. »Ein Tag auf der Erde ist eine Woche in der Hölle. Für sie ist es über ein Jahr her, dass Luzifer gestorben ist. Sie denken wahrscheinlich, dass wir dich entweder nicht mitbringen wollen …«

»… oder ich mich entschieden habe, nicht mitzukommen«, beendete ich den Satz für ihn.

Allistair lächelte mich an und nickte einmal. »Nun, es könnte schlimmer sein. Ich könnte tot sein.« Laran verschluckte sich an seinem Beignet.

»Das wird nicht passieren«, sagte Julian mit großer Sicherheit. Ich wollte einen Blödsinn von wegen ›Hochmut kommt vor dem Fall‹ erzählen, aber nach all den Nahtoderfahrungen, die ich hinter mir hatte, war das nicht mehr so lustig, wie es vielleicht einmal der Fall gewesen war.

»Wie auch immer«, unterbrach Moira und fuhr sich mit der Hand durch ihre dunkelgrünen Locken, »sie ist nicht tot und wir sind jetzt hier. Was war der ursprüngliche Plan?«

»Die Sünden beabsichtigen, dich zu testen. Zu testen, ob du würdig bist, zu herrschen«, antwortete Allistair. Mir entging nicht, wie Julian neben mir nachdenklich wurde, als wäre er nicht bei der Sache, aber der Muskel in seinem Unterkiefer zuckte und vermittelte mir den Eindruck, dass es nicht so einfach war. »Wenn wir durch das Portal gehen, werden wir in der Provinz der Lust landen. Dann triffst du dich mit der aktuellen Sünde der Lust und wirst aufgefordert, eine Prüfung zu absolvieren, um zu beweisen, dass du in der Lage bist, ihre Provinz zu regieren. Du weißt schon, für den Fall, dass sie stürzt und nicht schon ein anderer ihren Platz eingenommen hat, um sie zu ersetzen. Wenn du bestanden hast, gehen wir zur nächsten Sünde und zur nächsten, bis du jede Prüfung bestanden hast.«

»Ganz ehrlich, Liebes, du bist ein Halb-Sukkubus. Das sollte kein Problem für dich sein«, sagte Rysten mit einem Augenzwinkern. Irgendwie linderte das nicht die langsame Anspannung, die durch meine Brust kroch. Sorge. Dass ich nicht auf der Höhe sein würde. Dass ich versagen würde. Dass die schöne Illusion, von der sie mir erzählt hatten, genau das war. Ein Traum, der nie in Erfüllung gehen würde.

»Sollte.« Ich musste mich anstrengen, um den bitteren Ton zu unterdrücken. »Das heißt aber nicht, dass dem auch wirklich so sein wird. Was passiert, wenn ich versage?«, fragte ich. Keiner antwortete mir. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, in Gedanken miteinander zu kommunizieren, und leider – dank Sin und ihrer Schweigerune – konnte ich sie nicht mehr hören.

»Wir haben einen Ersatzplan«, sagte Julian schließlich. Meine Augen verengten sich.

»Was soll das heißen?«

»Es heißt …« Rysten lehnte sich zurück und kramte in seiner Tasche. »Es heißt, dass wir nicht zulassen werden, dass dir etwas passiert.« Er holte etwas heraus und streckte seine Hand aus. Als sich seine Finger entfalteten, runzelte ich die Stirn.

In der Mitte seiner Handfläche lag ein silberner Ring, der mit Gold gesprenkelt war.

»Ähm …« Mir fehlten die Worte. »Wenn das ein Heiratsantrag sein soll, bist du ein bisschen spät dran.« Laran warf seinen Kopf zurück und lachte. Auf das Geräusch folgte das Dröhnen des Donners und draußen frischte der Wind auf. Es war schon seltsam, ein Elementar zu sein, bei dem etwas so Einfaches wie ein Lachen eine Veränderung der Atmosphäre auslösen konnte. In New Orleans versammelten sich so viele von ihnen an einem Ort und das sorgte allzu oft für einen nicht wirklich sonnigen Himmel.

»Das ist kein Antrag, Liebes. Es ist unsere ›Du kommst aus dem Gefängnis frei‹-Karte.« Rysten ließ den Ring in meine Handfläche fallen, kramte in seiner Tasche, holte einen anderen heraus und reichte ihn Moira. Sie steckte ihn auf ihren rechten Ringfinger, und wir sahen beide zu, wie er so weit schrumpfte, dass er ihr perfekt passte. »Hast du schon mal von der Göttlichen Komödie gehört?«

Ich schnaubte. »Ist das eine Frage?«

Moira grinste in ihre Kaffeetasse.

»Du weißt also alles über die Ringe der Hölle?«, fragte Allistair. Na ja, das habe ich nicht gesagt …

Ich ließ meinen Blick zur Seite gleiten und kaute auf meiner Lippe. Ich hielt inne und meine Lippe löste sich von meinen Zähnen, als ich das amüsierte Funkeln in seinen Augen sah.

»Es gibt neun«, antwortete ich und war mir meiner Sache ziemlich sicher, bis die vier anfingen zu lachen und mir einfiel, dass das die menschliche Version war. »Ähm … sieben?« Julians großer Arm schlang sich um meine Schultern, während sein Fuß meinen Stuhl einhakte und ihn näher zu sich zog.

»Erstens: Es gibt sechs Provinzen«, sagte Julian. »Nur wegen dieses verdammten Gedichts werden sie alle als Ringe bezeichnet.« Mit seiner freien Hand nahm er mir das kleine Silberstück aus der Hand und hielt es hoch. Ich erkannte meinen eigenen Fehler, kurz, bevor er es aussprach. »Zweitens, die Ringe, auf die es sich bezogen hat, sind diese hier.« Ich spürte seine scharfen grünen Augen auf meinem Gesicht und der Abstand zwischen uns sollte viel größer sein, wenn sie wollten, dass ich klar dachte.

»Ich glaube, sie hat den Sinn verstanden«, sagte Allistair. Julian kräuselte die Lippen, als er mir den Ring wieder in die Hand legte, aber er machte keine Anstalten, mehr Abstand zwischen uns zu bringen. »Dante war der einzige bekannte Mensch, der in die Hölle verschleppt wurde und auch wieder zurückfand, aber zu diesem Zeitpunkt war sein Verstand schon völlig zerstört. Die Göttliche Komödie ist also eher mit den verschwommenen Überresten eines lebhaften Traums vergleichbar als mit der Hölle selbst. Mit den Ringen kommst du von einer Provinz in die andere. Da die Hölle so groß ist und nur ein winziger Prozentsatz eine Form der Teleportation besitzt, haben die Unseelie Ringe mit Blutmagie und Schwefel geschaffen. Die meisten Dämonen können mit ihrem Ring innerhalb der Provinz, in der sie geboren wurden, überallhin reisen. Deiner bringt dich in jede der sechs Provinzen, über die die Tödlichen Sünden wachen.«

»Sechs? Das ergibt doch keinen Sinn. Aber ich dachte, es gäbe sieben … Moment mal, hast du gerade gesagt, dass Dämonen in der Hölle nicht einfach gehen können, wohin sie wollen?«, fragte Moira und der Tonfall ihrer Stimme verriet deutlich, wie sehr sie dieser Gedanke störte.

»Korrekt«, antwortete Rysten, nachdem er einen Schluck von seinem Milchkaffee genommen hatte. »Die meisten Dämonen werden in einer Provinz geboren und sterben dort auch. Es sei denn, sie haben das Geld oder die Macht, etwas anderes zu tun.«

»Das ist hart«, pfiff Moira.

»Es gibt Schlimmeres«, zuckte Rysten unverbindlich mit den Schultern.

»Zum Beispiel?«, schoss sie zurück.

»Auf der Erde geboren zu werden«, antwortete Allistair. Ein Geräusch der Unstimmigkeit ertönte.

»Was ist denn so schlimm an der Erde? Ich werde lieber hier geboren, als dass ich als Sklave lebe«, sagte Moira säuerlich.

»Die Erde raubt dir deine Magie. Die Hölle hingegen strotzt nur so davon«, sagte Allistair. »Nur die stärksten Dämonen oder Fae können hier wirklich gedeihen, weil der Boden selbst eure Kraft absorbiert.«

»In der Hölle sind wir stärker«, sagte Laran und nickte zustimmend. Sie diskutierten weiter über die Vorteile der Hölle im Vergleich zu dem kargen Planeten, der das einzige Zuhause war, das ich je gekannt hatte. Ich fragte mich vage, ob meine eigenen Fähigkeiten in der Hölle stärker sein würden, und erschauderte bei dem Gedanken. Die Flammen waren auch so schon zerstörerisch genug.

Ich drehte den Ring zwischen meinen Fingern und spürte, wie er einen Hauch von Kraft ausstrahlte, die sich nicht völlig von meiner eigenen unterschied. Bis zu einem gewissen Grad kam er mir fast bekannt vor …

»Wie funktioniert er?«, fragte ich und richtete das Silber im Licht so aus, dass die Ätzungen auf der Innenseite sichtbar wurden.

»Denk an den Ort, den du erreichen willst, und drehe den Ring einmal!«, rasselte Allistair herunter. Ein wissendes Grinsen umspielte seine Lippen, als Moira ihren Ring drehte und nichts passierte.

»Meiner ist kaputt«, beschwerte sie sich. Bandit lachte schallend.

»Nein, ist er nicht«, sagte Rysten.

»Doch, ist er.«

»Auf der Erde funktionieren sie nicht.«

»Das ist ein dummes Design«, sagte Moira scharf.

Ich rollte mit den Augen und dachte darüber nach, was er gesagt hatte. Die meisten Dämonen wurden in einer Provinz geboren und starben dort auch, aber ich war in der Hölle geboren worden und in eine neue Welt gereist. Ich könnte genauso gut eine ganz andere Gattung von Dämon sein, denn ich konnte mir nicht vorstellen, in einer Welt zu leben, in der ich nicht einmal die Wahl hatte, wo ich leben wollte.

Dies waren meine letzten Momente auf der Erde, dem Ort, an dem ich aufgewachsen war, der Welt, in der ich aufgewachsen war, und es wurde mir klar, dass ich kaum eine Ahnung davon hatte, was mich auf der anderen Seite wirklich erwartete. Sicher, die Reiter konnten mir davon erzählen, aber letztlich würde ich es nicht wissen, bis ich dort ankam. Es war fast unwirklich, in diesem klapprigen Holzstuhl zu sitzen und gleichzeitig zu wissen und nicht zu wissen, was mich erwartete.

Vor nicht einmal zwei Monaten waren diese vier Männer in mein Leben getreten, und schon damals war mir klar gewesen, dass es nie wieder dasselbe sein würde. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich buchstäblich vor den Toren der Hölle sitzen, Kaffee trinken und Donuts mit den Reitern der Apokalypse essen würde, die ich als meine Gefährten gebrandmarkt hatte … Nun, ich hätte gefragt, was er geraucht hatte und wo ich ebenfalls etwas von dem Zeug bekommen könnte. In meinen kühnsten Träumen hätte ich mir nie vorstellen können, was aus meinem Leben geworden war, aber ich würde es nicht ändern wollen.

In diesen vier, über die ich immer noch so wenig wusste, hatte ich mein Glück gefunden. Das sollte nicht heißen, dass ich nicht auch vorher glücklich war, als ich lediglich mit Moira und Bandit zusammengelebt hatte … Aber es war eine andere Art von Glück gewesen. Dieser Druck in meiner Brust fühlte sich so ganz anders an als die reinen Gefühle, die ich für meine Vertrauten empfand. Wo sie eine sanfte Brise an einem Sommertag waren, stellten meine vier Gefährten eine Katastrophe dar. Eine wunderschöne, natürliche, rücksichtslose Katastrophe, die mich nach Luft schnappen ließ und mich fragte, wie ich wohl überleben würde.

Vielleicht würde ich es nicht. Ich drehte den Ring um und ließ meine Gedanken schweifen. Sie hatten dieses winzige Stück Metall als eine Art ›Du kommst aus dem Gefängnis frei‹-Karte bezeichnet, als würde es mich auf unbekannte Weise vor dem Zorn der Sünden bewahren, sollte ich versagen. Als ich ihn im Licht betrachtete, fiel mir etwas auf.

»Wann habt ihr die machen lassen?«, fragte ich. Die blaue Farbe kam mir zu bekannt vor, als dass sie nicht von meinem eigenen Haar stammen konnte. Moiras Ring enthielt vermutlich auch eine Strähne ihres Haarschopfes.

»Wie kommst du darauf?«, fragte Laran. Ich blickte auf und bemerkte erst jetzt, dass alle fünf Augenpaare auf mich gerichtet waren.

»Nun, es gibt nicht gerade Fabriken, die diese Dinger herstellen, und selbst wenn ihr sie gemacht hättet, als ich ein Baby war …« Ich schob meinen Daumen in Moiras Richtung. »Ihr hättet sie nicht berücksichtigten können. Also musstet ihr sie nach eurer Ankunft auf der Erde anfertigen lassen. Richtig?«

Laran nickte langsam und beobachtete mich neugierig.

»Wir haben sie gestern machen lassen«, antwortete Rysten. »Nach deiner Verwandlung. Als wir wussten, dass niemand von euch teleportieren kann.« Allein die Erwähnung meiner Verwandlung brachte mein Blut ein wenig in Wallung. Ich fuhr fort und konzentrierte mich auf das Bedürfnis, mehr zu erfahren, anstatt auf das Bedürfnis in mir, das nie gestillt werden konnte.

»Blutmagie«, überlegte ich und versuchte immer noch, das unangenehme Gefühl in mir zu unterdrücken. Es war nur ein Ring. Moira hatte auch einen … Warum also hatte ich das Gefühl, dass an meinem etwas seltsam war? »Ich nehme an, ihr habt sie nicht selbst gemacht?« Ich formulierte es wie eine Frage und hoffte auf eine Bestätigung.

Allistair beobachtete mich genau.

»Nein. Ein alter Freund von mir hat sie hergestellt«, sagte er langsam. »Stimmt etwas nicht?«, fragte er und sein Blick wanderte zwischen dem Ring, den ich immer noch nicht an meiner Hand trug, und der seltsamen Richtung, die meine Frage genommen hatte, hin und her.

»Ich bin nur neugierig«, antwortete ich mit einem Lächeln.

»Du solltest ihn anprobieren«, sagte Julian plötzlich.

Ich schluckte schwer und wusste nicht, warum ich überhaupt so nervös war. Keiner von ihnen würde etwas tun, um mir zu schaden. Zumindest nichts, was mir wirklich schaden könnte. Ein paar blaue Flecken oder Blut … Ich hielt den Ring mit einer Hand hoch und steckte ihn über meinen rechten Ringfinger. Allistairs intensiver goldener Blick bohrte sich in mich und beobachtete, wie ich ihn langsam aufsteckte.

Er setzte sich an der Basis meines Fingers fest und schrumpfte auf seine Größe. Ich hielt den Atem an und wartete, aber nichts geschah. Die leiseste Spur von Magie berührte mich, aber sie war so gering im Vergleich zu dem, was bereits in mir wohnte, dass ich nicht einmal erschauderte. Die Magie in diesem Ring war mir fremd und vertraut zugleich, und ich wusste, wer ihn gemacht hatte, aber es schien, dass meine Ängste – zumindest in diesem Fall – umsonst gewesen waren.

Meine Reaktion war der Grund, warum Sin mich überhaupt mit einem Zauber belegt hatte, und jetzt dachten sie, ich würde mich grundlos seltsam verhalten. Ich legte meine Hände auf meinen Schoß und zwang mich, mich zu entspannen.

Julian rieb meine Schulter und knetete sanft das Gewebe. Ich erstarrte und vergaß mich für einen Moment selbst, weil diese Geste für ihn sehr ungewohnt war. Julian hielt inne. »Stimmt etwas nicht?« Seine Lippen streiften die Vertiefung meines Ohrs und meine Augenlider flatterten. Ich kämpfte gegen den Drang an, in ihm zu versinken. Das Einzige, was mich davon abhielt, waren die zusammengekniffenen Augen meiner anderen drei Gefährten.

»Nein …«

»Bereit?« In der fremden Stimme lag ein schwerer Unterton. Sie klang ein wenig so, als trüge sie die alten Südstaaten Amerikas in sich. Der Dämon stand mit angewinkelten, rechten Arm – wie ein Kellner – und hatte dunkle Haut, lange, mit Gold durchwirkte Dreadlocks und leuchtend lila Cheshire-Augen.

Enigma. Chaosdämonen.

Ihre Art war auf der Erde nicht sehr verbreitet, auch weil sie sich nicht so gut anpassen konnten wie die meisten anderen Arten. Enigmas waren nicht in der Lage, sich selbst zu verschleiern, weil das Chaos in ihnen lebte. Es strömte in die Atmosphäre aus und verursachte Unglück, wohin immer sie kamen – meistens in Form von kaputten Dingen. Zwei Tische weiter stolperte ein Kellner. Drei Tassen Kaffee kippten vom Tablett direkt in den Schoß eines Rubrums. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Fäuste flogen und das Café in den Wahnsinn stürzte.

Ich schluckte schwer und Julians Arm löste sich von meinen Schultern.

»Wir sollten gehen, solange sie abgelenkt sind«, sagte der Enigma. Mein Blick schweifte über die Szene, als mehrere Dämonen auf den Rubrum losgehen mussten, um ihn zu bändigen. Die meisten anderen Dämonen zuckten bei diesem Ausbruch nicht einmal mit der Wimper.

Als könnten sie mein Zögern spüren, strichen kühle Finger über meine Wange. Ich drehte mich zu Julian um, als er mein Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen festhielt. »Wir werden dich beschützen.« Seine dunklen Augen wanderten noch einen Sekundenbruchteil länger über mein Gesicht, bevor er mein Kinn fallenließ und seinen Stuhl zurückschob. Er stand auf, streckte seine Hand aus und wartete darauf, dass ich ihm folgte und sie ergriff.

Normalerweise wäre ich aufgestanden und losgestürmt, aber heute fühlte ich mich nicht besonders frech oder wagemutig.

Ich nahm seine Hand und er zog mich auf meine Füße. Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Enigma um und wies uns den Weg durch das Café. Meine Handflächen begannen zu schwitzen, als wir vor einer schwarzen, an einigen Stellen zerkratzten Metalltür zum Stehen kamen. Die Farbe war verblasst und schimmerte silbern unter den Kratzspuren. Der Enigma grinste uns über die Schulter an, bevor er die Tür aufstieß.

Meine Füße erstarrten und mein Mund blieb offen stehen.

Ich war mir nicht sicher, was ich erwartet hatte, aber ein drei Meter breites Loch, das direkt in die Tiefe führte, ohne dass ein Ende in Sicht war, gehörte nicht dazu. Der verwitterte Betonboden wich einer Art zerklüftetem schwarzem Stein, als er sich dem Abgrund näherte.

»Was zum Teufel machst du hier, Jax?«

»Ich habe einen Auftrag«, schaltete sich der Enigma ein. In seinen violettfarbenen Augen blitzte etwas Schelmisches auf.

»Das geht nicht«, meldete sich derselbe Wachmann, der ihn angesprochen hatte. »Wir haben strikte Anweisungen. Niemand darf durch das Portal gehen.« Er reckte sein Kinn in Richtung des Portals und stellte sich Jax auf Augenhöhe gegenüber. Der Enigma lächelte den anderen Dämon an, der sich offensichtlich keine Sorgen machte.

»Wenn das so ist, kannst du derjenige sein, der den Sünden erklärt, warum ich Luzifers Erbin und die vier Reiter nicht zurück in die Hölle begleiten konnte«, sagte Jax. Der bleiche Dämon hob die Augenbrauen und ließ seinen Blick zu mir schweifen. Die Bestie drängte sich vor und lächelte den Dämon hämisch an, woraufhin dieser errötete.

»Siehst du etwas, das dir gefällt?«, fragte sie mit einer flachen, toten Stimme. Rysten stellte sich vor mich und versperrte dem Mann die Sicht. Ein leises Knurren ertönte aus seinem Mund. Das schien ihr zu gefallen. Ich schob mich nach vorn und rollte mit den Augen, als sie sich mit einem Grinsen zurückzog.

»Das ist seine Tochter?«, fragte der Wachmann mit gedämpfter Stimme. »Ich dachte, es wäre nur ein Gerücht, dass sie in New Orleans ist …«

»Lässt du uns jetzt durch oder bleibst du da stehen und glotzt weiterhin meine Gefährtin an?«, fragte Rysten leise. Es war nicht die Zärtlichkeit, die mich aus meinen Alpträumen weckte, sondern das Flüstern von Tod und Verfall. »Wenn du dich für Letzteres entscheidest, wirst du nicht mehr lange stehen.«

Moira schnaubte und der Schleier um sie herum fiel ab. Die anderen Wachen, die das Portal umgaben, warfen ihr misstrauische Blicke zu, während sie unbarmherzig lächelte und ihre Flügel schwang, wie ein stolzer Hengst stolzieren würde. Die Spitze eines Flügels traf Rysten am Hinterkopf. Sie klappte sie fest zur Seite und pfiff vor sich hin, als er zu ihr hinübersah. Was hätte ich dafür gegeben, sein Gesicht zu sehen.

»Wer ist sie?« Der Wachmann, der mich eben noch angestarrt hatte, betrachtete nun Moira mit Interesse. Sie hob eine dunkelgrüne Augenbraue und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, sodass das Brandzeichen auf ihrer Stirn leuchtete. Der gehörnte Helm mit den schwarzen Flügeln.

»Niemand«, knurrte Rysten.

»Eine Nummer zu groß für dich«, sagte Moira zur gleichen Zeit. Sie verzog die Lippen zu einem Grinsen angesichts Rystens Gesichtsausdruck und bemerkte nicht einmal, wie die Wachen sie beobachteten.

»Spielt keine Rolle«, antwortete Jax und verschränkte seine Arme vor der Brust. Er nickte in Richtung des Portals und sagte: »Was soll es sein, Levi?«

Der Wachmann sah uns alle an und schien seine Entscheidung abzuwägen. Die Reiter schienen sich vollkommen wohlzufühlen und ich hatte das Gefühl, dass es keine Rolle spielen würde, wenn er uns den Zutritt verweigerte. Er würde diese Entscheidung wahrscheinlich nicht überleben. Levi schien das auch zu erkennen, denn er trat ein paar Schritte zurück und bewegte seinen Arm in Richtung der Öffnung, um uns vorwärtszuschicken. Ein unangenehmer Knoten bildete sich in meinem Magen, als wir uns dem Abgrund näherten.

»Nur so aus Neugier«, überlegte Levi, »welche Sünde hat euch geschickt?«

Der Enigma hielt am Rande des Felsens inne. Seine hellvioletten Augen leuchteten schwach im gedämpften Licht, als er in das anscheinend unendliche Loch hinabstarrte. »Was denkst du wohl?« Er ließ ein dunkles Schmunzeln verlauten. »Die einzige, mit der ich dumm genug war, einen Deal zu machen.«

Er trat über den Vorsprung, ohne einen Funken Angst zu zeigen. Ich wünschte, ich könnte dasselbe von mir behaupten, aber selbst die Bestie konnte mich nicht so mutig machen. Eine warme Hand legte sich um meine und ich schaute zu Moira auf.

»Es wird alles gut, Rubes.«

»Das sagst du bei allem«, spottete ich. In mir stieg langsam die Panik auf. Das war es also. Mein letzter Moment auf der Erde. Und ich war wie gelähmt vor Angst. Scharfe Krallen bohrten sich in mein Bein, als Bandit versuchte, meine Jeans zu packen, um sich hochzuziehen. Ich beugte mich vor und hob ihn mit einem Arm auf. Er klammerte sich an mich, während sich seine winzigen Pfoten um meinen Hals legten, als würde er verstehen, was passierte.

»Ich sage das, weil ich es weiß.« Sie tippte sich mit der freien Hand an die Schläfe und ließ ihren Blick in Richtung Abgrund schweifen. »Wir werden das durchstehen und du wirst die Prüfungen meistern und deine Krone bekommen. Dafür wurdest du geboren.«

Ich erschauderte. Wenn es doch nur so einfach wäre.

Die subtile Hitze, die von dem Portal ausging, verursachte eine Gänsehaut auf meinen Armen. Die Energie fühlte sich vertraut an. Fast wie … zu Hause.

Ohne darüber nachzudenken, ergriff ich Moiras Hand und drückte Bandit fester an mich – und dann trat ich über die Kante in meine Zukunft.

Mein Leben auf der Erde war vorbei.

Mein Leben in der Hölle … Es fing gerade erst an.

Kapitel2

Das Rauschen des Windes erschütterte meine Knochen, als sich ein Schrei aus meiner Kehle löste.

Seit dem Tag, an dem Allistair mich von einer Klippe gestoßen hatte, schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, und ich hatte schon das als schlimm empfunden. Ich hatte ja nicht geahnt, wie viel schlimmer es werden könnte. Wenigstens waren auf dem See unter mir Sterne zu sehen gewesen, als ich geglaubt hatte, meinem Tod entgegenzustürzen. In dem Abgrund war einfach … nichts.

Es gab kein Licht. Keine Sterne. Kein Ende.

Soweit ich wusste, konnten wir im freien Fall in den Tod stürzen. Nicht, dass ich das glaubte. Jax war ohne Angst gesprungen, als hätte er das schon hundertmal gemacht. Und obwohl ich mich nicht umdrehen konnte, um nachzusehen, spürte ich, dass die Reiter hinter uns waren.

Eine leichte Berührung auf meinem Rücken ließ mich zusammenzucken, als eine warme Hand mein Shirt packte. Ich drehte meinen Hals zur Seite, als Flammen in meinen Händen aufloderten. Goldblondes, blau gefärbtes Haar glänzte in dem schwachen Licht und mein Entsetzen verflog ein wenig. Rystens tröstliche Dunkelheit legte sich um mich wie eine Sicherheitsdecke. Moira drückte die Hand, die sie hielt, fest an sich, ihre Handfläche glitschig von der erdrückenden Hitze des Portals.

Winzige Schweißperlen flogen hinter ihr her, als die Kraft, die uns nach unten zog, immer stärker wurde. Moira öffnete den Mund und schrie unbekümmert, als hätte sie den Spaß ihres Lebens, ohne die Kraft zu bemerken, die ich spürte, und ohne die erdrückende Hitze zu beachten.

Der Druck stieg an und ließ meine Ohren schmerzen. Rysten brüllte etwas, das in der Kammer verloren ging und von der steinigen Felswand um uns herum widerhallte. Bandit ließ ein wildes Knurren vernehmen und seine Klauen bissen sich in meinen Rücken wie Teufelskrallen, gerade als die Hitze und die Anstrengung unerträglich wurden.

Als würde ich eine Schallmauer durchbrechen, ertönte ein Knall in meinen Ohren, und plötzlich stürzten wir nicht mehr nach unten, sondern nach oben. Es begann mit einem winzigen blauen Flackern in einer endlosen Dunkelheit. Ein Licht, wo keins war. Und dieser Fleck wurde immer größer. Ein Loch erschien über uns, ein unmögliches Azur, fast wie der Himmel, aber irgendwie heller. Ich blinzelte mit den Augen, um zu erkennen, was es war, als Wassertropfen gegen mein Gesicht klatschten. Mein Mund blieb offen stehen. Erst als wir die Schwelle erreichten, erkannte ich, dass der blaue Fleck das andere Ende des Portals war. Wir schossen mehrere Meter geradeaus durch die Gischt des rauschenden Wassers und ins Freie.

Eine kühle Brise mit dem Aroma von Rauch und Asche schlug mir entgegen. Ich erreichte den Höhepunkt meines Aufstiegs und wurde für den Bruchteil einer Sekunde schwerelos, bevor die Schwerkraft zuschlug. Rystens Finger rutschten von meinem lockeren T-Shirt, als eine plötzliche Kraft mich vor dem Sturz bewahrte. Er wurde weggeschleudert. Ich ließ meinen Blick wild umherschweifen und atmete beim Anblick der flammenden Flügel unbehaglich aus. Moira schwebte über mir und hielt meine Hand mit einer Kraft fest, von der ich nicht gewusst habe, dass sie sie besaß, während sie mit ihren Flügeln pumpte, um unseren Abstieg zu verlangsamen.

Verdammt!, dachte ich bei mir. Das ist die Hölle.

Der Himmel war ein Juwel aus Saphirblau, intensiven Amethysten und dem tiefsten Rot. Rubinrot. Über mir hingen graue Wolkenfetzen, die meinen Blick auf die Bergkette und die dunklen Rauchschwaden in der Ferne lenkten. Doch das war weit weg, und zwischen hier und dort lag ein Stück brennender Wald. Bäume, die so hoch waren, dass sie bestimmt dreißig Meter vom Boden entfernt sein mussten, streckten ihre spindeldürren Äste in den Himmel. Diejenigen, die noch nicht von den Flammen verzehrt worden waren, hatten ihre ursprüngliche Farbe verloren, und glitzernde schwarze Asche bedeckte jeden Zentimeter vom Stamm bis zur äußersten Spitze eines Astes. Die Flammen, die so dunkel und verheerend waren, züngelten dort, wo nur noch Asche übrig war, und griffen auf die gespenstisch schönen Bäume über.

Meine Füße hatten kaum den aschebedeckten Strandabschnitt berührt, als ich fragte: »Was ist hier passiert?«

»Du bist gegangen«, antwortete Jax, bevor Rysten es tun konnte. »Luzifer ist gestorben, und ohne die Macht, die Grenzen zu halten, begann unsere Welt zu zerfallen.«

»Es ist ja nicht so, dass ich eine Wahl gehabt hätte«, sagte ich schroff. Die Bestie wurde wütend angesichts seiner Andeutungen. Als wäre das unsere Schuld gewesen. Es waren Lola, Luzifer und die Reiter gewesen, die uns aus unserer Heimatwelt gerissen und dreiundzwanzig Jahre lang auf der Erde deponiert hatten.

»Du hast gefragt, was passiert ist. Wenn dir die Wahrheit nicht gefällt, dann ändere sie!«

»Sie kann nicht in der Zeit zurückgehen, Arschloch«, schnauzte Moira. Mit ausgebreiteten Flügeln trat sie neben mich und fletschte dem Chaosdämon die Zähne mit einer Schärfe entgegen, die nicht einmal ein Höllenhund aufbringen konnte.

»Das habe ich nicht gemeint.« Er wedelte mit der Hand herum und deutete auf die brennenden Bereiche der Hölle. Wenn sie nicht brennen würde, wäre sie womöglich wunderschön. In gewisser Weise war sie das immer noch. »Sie ist die Einzige, die verhindern kann, dass die Grenzen der Hölle weiter zusammenbrechen. Wenn es ihr nicht gefällt, wie unsere Welt aussieht, dann ist sie diejenige, die das ändern kann.«

»Was denkst du, was ich hier mache?«

Jax beäugte mich scharfsinnig. »Es gehört Mut dazu, die Hölle zu betreten, wenn man nicht gerade in der Gunst der Sünden steht. Das muss ich dir lassen. Ob du das alles in Ordnung bringst, wird sich zeigen.« Ich schluckte schwer und verkniff mir meine Worte. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu streiten, wenn er nicht derjenige war, den ich überzeugen musste. Jax war nur ein Laufbursche. Die richtigen Leute, die das Sagen hatten, waren irgendwo da draußen – in den feurigen Tiefen der Hölle.

Ich drehte der brennenden Landschaft den Rücken zu und blickte auf den Sandstrand, an dem wir gelandet waren. Der Strand erstreckte sich kilometerweit in die entgegengesetzte Richtung. Der Sand vermischte sich mit der Asche, sodass ein marmorierter Effekt von Schwarz auf Weiß entstand. Die Flut griff nach meinen Stiefeln, aber sie kam nie näher als zehn Zentimeter an mich heran.

»Was ist das?« Ich zeigte auf eine Ansammlung von Felsen. Das Wasser prallte dagegen und erzeugte eine neblige Gischt, die gut zehn Meter weiter im Meer Regenbögen reflektierte. Dieser Ozean hatte das klarste Wasser, das ich je gesehen hatte. Umso beunruhigender war es, wie es in der Sonne glitzerte und Aschepartikel darin tanzten.

»Das Portal«, antwortete Rysten, als Julian aus den Felsen auftauchte. Ein Blasloch erkannte ich, als er in den Himmel schoss und aussah wie ein Gott aus einer Legende. Sein weißes Haar funkelte mit der gleichen Asche, die die Luft und das Meer und jeden Teil dieses teuflischen Landes durchdrungen hatte. Als er mitten im Sprung war, schlug er mit den Beinen nach vorn aus und landete auf dem Boden, weitaus graziöser als der Sturz und die Rolle, die Rysten im Sand hingelegt hatte.

»Hast du schon vergessen, wie man landet, Bruder?«, fragte Julian, als er zum Stillstand kam. Rysten verdrehte die Augen, als Allistair und Laran aus dem Portal traten und ein paar Meter von uns entfernt einen Schwall aus glitzerndem Wasser entstand. Bandit entwand sich in diesem Moment meinen Armen und stürzte sich in die kristallinen Wellen, wenn man sie so nennen konnte. So nah am Land stieg das Wasser nicht höher als ein paar Zentimeter, aber das hielt Bandit nicht davon ab, sich darin zu wälzen und sein Fell mit Sand und Salz zu beschmieren.

»Ich würde mich hüten, deinen Vertrauten zu weit weglaufen zu lassen«, sagte Jax hinter uns. Bandit watschelte etwas weiter zu der Stelle, an der ihm die Flut bis zur Brust reichte.

»Warum?«, fragte ich und überlegte, ob ich meine Schuhe ausziehen und mich ihm anschließen sollte. Kaum war der Gedanke da, schlängelte sich ein dunkler Tentakel um Bandits ganzen Körper und zog ihn unter Wasser. Ich stürzte nach vorn, um ihn zu packen, während Bandit einen verzerrten Schrei des Entsetzens ausstieß, der abrupt von den Wellen unterbrochen wurde.

»Der Krake.«

»Was?« Ich kreischte. »Willst du mir sagen, dass ein verdammter Krake einfach …«

Ich brachte meinen Satz nicht zu Ende. Eine riesige Masse erhob sich aus dem Wasser und verspritzte literweise Meerwasser. Die Tentakel – alle acht – waren so lang wie ein Bus und an der Unterseite mit riesigen Saugnäpfen versehen, die so groß waren wie mein Kopf. Und eine von ihnen hielt Bandit an den Füßen fest.

Ich biss die Zähne zusammen, um nicht nach ihm zu schreien, und wandte mich stattdessen an die Flammen der Hölle. Der Tintenfisch würde gleich zu Calamari werden.

Eine brennende, blaue Kugel erschien in meiner Hand, als Moira mich am Handgelenk packte.

»Was machst du da?«

»Das Ding ist riesig und die Wellen sind rau. Wenn du es tötest, könnte es auf Bandit landen und er ertrinken«, sagte Moira.

»Wenn ich es nicht töte, könnte er sein Abendessen sein.« Bandit stieß einen wimmernden Schrei aus, als sich das Maul des Seeungeheuers öffnete und ein Brüllen ausstieß. Eine Zunge, so dick und fett wie ein Tentakel, drehte sich grob in der Luft, spitze Zähne, so groß wie mein Waschbär, bedeckten jeden Zentimeter davon. Ich riss meinen Arm von Moira weg, das Adrenalin brachte mich zur Weißglut. Feuer leckte meinen rechten Arm hinauf, als ich einen blauen Feuerball schleuderte. Er bohrte sich direkt durch den fleischigen Teil des Tentakels, der Bandit festhielt. Das Monster zuckte vor Schmerz, als sich das Feuer ausbreitete und seine Haut auffraß. Bandit ging zu Boden. Der Windstoß von Moiras schnellen Flügelschlägen traf mich, als sie in die Luft sprang und nach vorn stürzte, um ihn aufzufangen. Ein weiterer Tentakel schlug nach ihr und in dem Bruchteil einer Sekunde, den sie benötigte, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, stürzte Bandit in die Tiefen des schwarz glitzernden Ozeans darunter.

»Nein«, schrie ich, aber gerade als meine Stimme über die Wellen schallte, geschah etwas Verrücktes.

Eine zweite Masse erhob sich aus dem Wasser, wo Bandit gerade gesunken war. Eine mit eigenen Zähnen und Klauen. Sie war über zehn Meter groß und das Wasser ergoss sich über ihren Körper, während ihr schwarz und blau gefärbter Schwanz hin und her zuckte.

»Was in Teufels Namen …?«, begann Rysten zu fluchen. Das Knurren, das aus Bandits Brust drang, unterbrach ihn, als mein Waschbär sich auf zwei Hinterbeine stellte, seine Arme in die Luft hob und ein Brüllen ausstieß, das mein Herz erschütterte. Feuer schoss aus seinem Maul und verfehlte Moira nur um Zentimeter, als sie zur Seite sprang. Die Muskeln in ihren Flügeln bewegten sich im Wind, als sie versuchte, so schnell wie möglich aus dem Weg zu gehen. Feuer regnete auf den Kraken herab und sprengte ihn in Stücke, während seine Klauen wild um sich schlugen. Der Krake versuchte, einen dicken Tentakel um Bandits kurze Schnauze zu wickeln, um sein Maul zu schließen und die Flammen zu stoppen, die er ausspuckte.

Das war ein schlechter Zug für das Monster. Bandit stürzte sich auf das fleischige Körperteil und seine Kiefer schnappten zu. Die Flammen fraßen sich durch das feuchte Fleisch und hinterließen einen fischigen und verkohlten Geruch in der Luft, während die Tentakel einer nach dem anderen von dem Körper abfielen.

Innerhalb weniger Augenblicke waren die einzigen Überreste des großen Seeungeheuers Asche in den Wellen.

Moira drehte sich um und landete neben mir am Strand, wobei sie genauso geschockt aussah wie ich.

»Erinnere mich daran, dass er mich fressen kann, wenn ich ihn das nächste Mal einen Müllpanda nenne!«, murmelte sie. Ich rannte im Eiltempo ins Wasser.

»Warte, Ruby!«, rief Rysten.

»Verdammt!«, knurrte Julian.

Das Wasser spritzte hinter mir auf, aber ich beachtete es nicht, denn Bandit streckte die Hand aus und griff nach mir. Er schnurrte und setzte mich auf seine Schulter, während er uns zum Land zurückbrachte. Oh, wie sich das Blatt gewendet hatte. Ich schlang meine beiden Hände in sein nasses Fell und hielt mich fest, während mein Körper vom Wind und seinem Getrampel hin und her schwankte. Er trottete immer noch herum, als würde er dreißig Pfund und nicht dreißigtausend wiegen.

»Seht euch an, was er gemacht hat …«, fing Rysten an. Moira stieß ihn mit dem Ellbogen an und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

»Sei still! Vielleicht gibt er sie dir sonst nicht zurück, nur um dich zu ärgern«, sagte sie spitz. Rysten schloss den Mund und starrte meinen besten Freund von der Seite an.

»Ruby, er soll dich runterlassen«, forderte Julian.

»Warum? Ich kann ihn doch einfach zur ersten Tödlichen Sünde reiten.« Das war nicht ernst gemeint, aber der finstere Blick in seinen Augen brachte mich zum Kichern. Bandits massive Schultern bebten, als er ein dröhnendes Geräusch ausstieß und zur Seite fiel. Ich merkte zu spät, dass er lachte, und verlor das Gleichgewicht. Nur eine Sekunde lang schwebte ich in der Luft und mein Hintern schlug hart auf dem nassen Sand auf, wenige Zentimeter vor der einlaufenden Flut. »Aaah!«, stöhnte ich.

»Ihr habt es gesehen. Das Ungeziefer hat sie fast verletzt«, sagte Rysten. Er reichte mir die Hand, um mir aufzuhelfen. Ich ignorierte die Geste und stemmte mich mit meinen eigenen Händen und Füßen hoch.

»Weichei!«, sagte Moira leise und ich musste mir ein Lachen verkneifen.

»Ihr seid manchmal echt lächerlich«, sagte ich und klopfte mir die Hände ab, um die Sandklumpen loszuwerden. Bandit warf sich zur Seite und der Boden bebte kurz, als er sich wieder im Sand wälzte und seine neun Meter große Gestalt immer kleiner wurde. Ich schüttelte den Kopf und murmelte: »Völlig lächerlich.«

»Du tust gut daran, die Warnungen deiner Gefährten zu beherzigen, Kind«, sagte eine andere Stimme hinter ihnen. Jax kam zum Ufer geschlendert, die Hände in den Taschen und mit gelangweilter Miene.

»Bandit hat gerade den Kraken getötet. Ich denke, ich kann getrost behaupten, dass ich bei ihm in Sicherheit bin«, antwortete ich ziemlich spitz. Bandit strahlte unter meinem Lob und setzte sich ordentlich hin, während er vollends auf seine normale Größe schrumpfte. Ich lächelte und nahm ihn in die Arme, während er fröhlich gluckste. »Und wenn ich es aus irgendeinem Grund nicht bin, kann ich auf mich selbst aufpassen. Aber danke für den Tipp.«

»Hüte dich vor deinem Stolz, Baby Morningstar! Die Sünden sind nicht die größten Fans dieses speziellen Lasters.« Meine Lippen öffneten sich und mein Kiefer klappte zu.

»Apropos Sünden, wolltest du uns nicht zu einer von ihnen bringen?«, fragte Moira spitz. Sie lächelte verbittert und deutete auf den brennenden Wald.

»Willst du vorangehen?« Jax’ Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wusste er nicht, dass Moira gegen die Flammen immun war.

Trotzdem sagte sie: »Mir gefällt die Einstellung dieses Typen nicht. Können wir ihn loswerden?«

Jax blickte über seine Schulter und stieß ein schallendes Lachen aus.

»Warum lachst du?«, fragte ich völlig entnervt, dabei waren wir gerade erst angekommen.

»Denkst du, ich will das hier machen? Ich wurde von einer der Sechs Sünden geschickt. Ich hatte keine Wahl«, sagte Jax. Ich sah zu den Reitern hinüber, die den Wert des Enigmas abzuwägen schienen.

»Welche Sünde hat dich geschickt?«, fragte Allistair schließlich.

»Lust.«

Die Sünde meiner Mutter.

»Fuck!«, sagte Allistair. Ja, das brachte es auf den Punkt.

»Ein Geschenk der Lust lehnt man nicht ab. Sie reagiert nicht gut darauf«, erklärte Rysten.

»Natürlich nicht«, grummelte Moira. »Denn das wäre ja praktisch oder so.«

»Ich schulde Lust etwas und das ist es, was sie von mir verlangt, um es zu bezahlen. Euch nach Inferna zu eskortieren, ist das Einfachste, was sie zu bieten hat …«

»Inferna?«, fragte Laran mit einem Stirnrunzeln.

»Stottere ich?«, erwiderte der Enigma, was Moira ein Lachen entlockte.

»Lust mag dich geschickt haben, Dämon, aber du vergisst, mit wem du sprichst«, knurrte Laran.

»Inferna war nicht der Ort, an dem wir anfangen sollten, oder?«, fragte ich, während sich ein bleiernes Gewicht in meinem Magen festsetzte.

»Nein«, sagte Julian und strich sich mit der Hand übers Kinn. »Das war es nicht. Andererseits hätte die Hölle auch nicht anfangen sollen zu brennen.«

»Warum hat sie es dann getan?«, fragte ich.

Auch darauf schien niemand eine Antwort zu haben.

»Besteht eine Möglichkeit, den Chaosdämon zu testen und zu sehen, ob Lust ihn wirklich geschickt hat?«, meldete sich Moira zu Wort.

»Wir könnten ihm die Fingernägel einzeln ausreißen …«, begann Laran vollkommen ernst.

»Oder auch nicht«, mischte ich mich ein, denn ich war hier eindeutig die einzige Stimme der Vernunft.

Laran zuckte mit den Schultern.

»Ich kann euch hören«, rief Jax laut.

»Gut«, rief Moira zurück. »Vielleicht bist du dann nicht mehr so ein Arschloch, weil sie die Einzige ist, die die Jungs davon abhält, dir die Nägel abzuziehen.« Sie wandte sich ab und stieß ein leises Schnauben aus. »Arschloch!« Ich ignorierte sie völlig.

»Können wir nicht einfach nach Inferna pyroportieren und fertig?«, fragte ich und sah Laran an.

»Nein«, sagte Julian. Er blickte in den Wald und starrte auf etwas, das weit weg war und keiner von uns sehen konnte. »Wenn die Hölle in Flammen steht, bedeutet das, dass die Grenzen instabil werden und die Landschaft selbst in Bewegung ist. Ab jetzt können wir uns nicht mehr per Teleportation fortbewegen.«

Ich schloss meine Finger zu einer festen Faust und presste meine Lippen frustriert dagegen, das kalte Metall des Rings bohrte sich in mein Kinn. »Ich nehme an, dass die Ringe auch nicht funktionieren werden?« Es war eine aussichtslose Frage, aber ich musste sie trotzdem stellen.

Rysten schüttelte den Kopf. »Die Ringe können dich nirgendwohin bringen, wo sie noch nicht waren, und da wir sie auf der Erde hergestellt haben, können sie hier noch nirgendwohin gelangen.«

»Selbst wenn sie es täten, könnten wir beim jetzigen Stand der Dinge an jeden erdenklichen Ort gelangen, auch in den Bauch eines Monsters«, antwortete Laran.

»Das ist doch scheiße«, erklärte Moira. Sie hatte nicht unrecht. Jede Form der magischen Teleportation war vom Tisch, was bedeutete, dass wir es auf die altmodische Art machen mussten.

»Dann wandern wir wohl nach Inferna.« Ich zuckte mit den Schultern und wippte auf meinen Fersen zurück in den matschigen Sand. Julian starrte weiter in die Ferne, aber die anderen drei tauschten unruhige Blicke aus. »Es sei denn, ihr habt eine bessere Idee …« Ich verstummte und hob erwartungsvoll eine Augenbraue.

»Das ist es nicht«, seufzte Allistair. »Abgesehen von den vielen Dingen, die uns auf dem Landweg begegnen könnten, führt der einzige Weg nach Inferna durch das Kolosseum.«

»Kolosseum?« Moira trat vor und klang dabei viel zu interessiert. Allistair nickte.

»Helas Idee der ›Bevölkerungskontrolle‹«, sagte Rysten. Seine Finger krümmten sich zu Anführungszeichen, während seine Wangen vor Abscheu angespannt waren.

»Existiert eine andere Möglichkeit?«, fragte ich.

Niemand sprach. Niemand wollte es aussprechen, aber die Wahrheit war: Nein, es gab keine. Wenn wir nicht auf magische Weise dorthin gelangen konnten, mussten wir andere Wege finden, was bedeutete, durch den Wald zu wandern.

»Glaubt ihr wirklich, ich wäre hier, wenn es eine Alternative gäbe?«, fragte uns Jax; seine Stimme triefte vor Sarkasmus.

»Darum geht es nicht«, sagte ich und konzentrierte mich auf die Reiter. Ein warmer Wind wehte an der Küste entlang und peitschte mir die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Bandit quietschte vor Vergnügen und seine winzigen Pfoten schnappten nach den Strähnen, die durch die Luft tanzten.

»Ich glaube …«, begann Rysten, »dass wir tatsächlich keine andere Wahl haben. Lust wird ihre Provinz bereits verlassen haben, wenn sie ihn geschickt hat, um dich zu eskortieren.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Moira plötzlich. »Ihr vier seid ungefähr eine Billion Jahre alt. Ihr solltet genauso gut wissen, wie man dorthin kommt, wie dieser Kerl.« Sie winkte mit der Hand in Jax’ Richtung.

»Nicht, wenn wir tot sind«, sagte Laran leise. Meine Muskeln verkrampften sich bei diesem Gedanken. »Die Hölle ist sehr gefährlich und Luzifer hatte viele Feinde. Die Sünden werden kein Risiko eingehen wollen, dass sie es zurückschafft, mit oder ohne uns.« Er schaute weg und in seinem Blick lag etwas verborgen. Eine Sorge, von der er nicht wollte, dass ich sie sah.

»Niemand wird sterben«, sagte ich streng. Nicht, dass mein Herz auf mich gehört hätte. Mein Puls beschleunigte sich und meine Handflächen wurden heiß bei dem bloßen Gedanken, einen von ihnen zu verlieren … Feuer schoss über den Himmel und ich erstarrte. »Was war das?«

Jax schaute direkt nach oben und verengte seine Augen. »Wenn ich raten müsste: Du.«

»Ich?« Ich presste eine Hand auf meine Brust, während Bandit seine kleinen Arme fest um mich schlang.

»Wahrscheinlich«, nickte Allistair. »Wenn das Feuer in der Hölle brennt, liegt das daran, dass die Magie, die die Grenzen aufrecht erhalten hat, versagt hat, und das ist dieselbe Magie, die auch in deinen Adern fließt. Es würde mich nicht wundern, wenn das alles mit dir zu tun hat.« Er streckte seinen Arm weit in Richtung des Waldes.

»Meinst du, ich kann das Feuer löschen?«, fragte ich.

»Möglicherweise. Allerdings müsste man es sehr gut unter Kontrolle haben, um es zu löschen und eine schnellere Ausbreitung zu verhindern«, antwortete er. Ich schluckte schwer.

»Wenn es passiert, weil ich zu lange gebraucht habe, ist es wirklich meine Verantwortung, es wenigstens zu versuchen.« Allistair legte den Kopf schief.

»Einen Versuch ist es wert«, sagte Laran und seine Axt tauchte aus dem Nichts auf. Er schwang sie mit Leichtigkeit.

»Es ist ja nicht so, dass wir eine andere Wahl hätten«, fügte Rysten hinzu. »Der Wald brennt und wir müssen durch ihn hindurch, um dorthin zu gelangen.«

»Also, sind wir uns einig? Wir gehen zu Fuß nach Inferna?« Die vier brachen in Gelächter aus.

»Zu Fuß?« Julian drehte sich zu mir um, nur ein Bruchteil seines Gesichtsausdrucks war sichtbar. »Du weißt schon, dass wir nicht umsonst die Reiter genannt werden, oder?«

»Nun, ja«, lachte ich nervös. »Ich dachte mir, es ist, weil … na ja, egal.«

Ich verstummte, als vier riesige Pferde aus dem Nichts auftauchten. Moira stieß einen kleinen Schrei aus, der den Wald erbeben ließ. »Sind das die, für die ich sie halte?«, fragte sie atemlos.

»Siehst du sie auch?« Sie nickte. »Dem Teufel sei Dank, dass ich nicht allein bin. Die Verwandlung war verrückt genug für ein ganzes Leben, vielen Dank.«

Eines der Pferde, ein dunkler Fuchs, stolzierte vorwärts und wedelte liebevoll mit dem Schweif. Ohne darauf zu warten, dass ich meine Hand ausstreckte, beugte er sich vor und stieß mich mit seiner Nase an.

»Hallo!«, murmelte ich, während ich Bandit mit einer Hand festhielt und mit der anderen das Pferd streichelte. Ich hatte erwartet, dass mein Waschbär sich auf ihn stürzen und zubeißen würde, aber er war ausnahmsweise erstaunlich fügsam.