Von Schatten heimgesucht - Kel - E-Book

Von Schatten heimgesucht E-Book

Kel

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Beschreibung

Einst jagte ich Hexen. Jetzt lebe ich mit ihnen. Meine Vergangenheit als Kopfgeldjägerin der Übernatürlichen macht es nicht mir leicht und mich in den neuen Kreisen, in denen ich mich bewege, nicht unbedingt beliebt. Schockierend, ich weiß! Jemand will mich tot sehen. Zu schade, denn ich bin gut darin, am Leben zu bleiben. Das hält Ronan jedoch nicht davon ab, ein Alpha-Arschloch zu sein. Er will, dass ich in Nathalies Apartment und in Sicherheit bleibe, während er sich in Gefahr begibt und mir Brees Zukunft vorhält. Aber das wird nicht passieren. Zu sagen, ich sei am Arsch, ist eine Untertreibung. Aber ich war schon in schlimmeren Situationen. Luzifer mag nicht mehr da sein, aber der Zusammenbruch der Magie ist es nicht. Meine Feinde lauern überall. Und dieses Mal werden sie wissen, was es heißt, zu brennen. Manche Dinge sind schlimmer als der Teufel. Um Bree zu retten, werde ich zu einem von denen.

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Von Schatten heimgesucht

MAGISCHE KRIEGE

DÄMONEN VON NEW CHICAGO

BUCH ZWEI

KEL CARPENTER

Übersetzt vonARIANA LAMBERT

Edited byTATJANA BECIJOS

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

3. Ronan

Kapitel 4

Kapitel 5

6. Ronan

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

11. Ronan

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

15. Ronan

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

19. Ronan

Kapitel 20

21. Lucifer

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Eine Woche

Zwei Wochen

Drei Wochen

Vier Wochen

Fünf Wochen

25. Ronan

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Anmerkung des Autors und Danksagung

Von Schatten heimgesucht

Kel Carpenter

Veröffentlicht von Kel Carpenter

Urheberrecht © 2021, Kel Carpenter LLC

Herausgegeben von Tatjana Becijos

Titelbild von Covers by Juan

Übersetzt von Literary Queens, Ariana Lambert

Alle Rechte gemäß den internationalen und panamerikanischen Urheberrechtskonventionen vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, elektronisch oder mechanisch, einschließlich Fotokopie, Aufzeichnung oder durch ein Informationsspeicher- und -abrufsystem, reproduziert oder übertragen werden. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Orte, Personen und Ereignisse sind entweder der Phantasie des Autors entsprungen oder werden fiktiv verwendet, und jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen, Organisationen, Ereignissen oder Orten ist rein zufällig. Warnung: Die unbefugte Vervielfältigung oder Verbreitung dieses urheberrechtlich geschützten Werks ist illegal. Kriminelle Verstöße gegen das Urheberrecht, einschließlich Verstöße ohne finanziellen Gewinn, werden vom FBI untersucht und können mit bis zu 5 Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 250.000 Dollar geahndet werden.

Erstellt mit Vellum

Es gibt zwei Arten von Schuld – die Art, die einen ertränkt, bis man zu nichts mehr nutzt, und die Art, die die Seele zum Handeln anregt.

Sabaa Tahir – Elias und Laia: Die Herrschaft der Masken, Band 1

Auf das zukünftige Wir.

Du, ich und alle anderen, die im Moment Probleme haben. Haltet durch!

Es wird besser werden.

Kapitel1

Das elektrische Knistern in meinem Ohr machte mich wahnsinnig. Ich schob meine Hände in die Taschen meiner neuen Lederjacke, obwohl ich Handschuhe trug. Nur um nicht nach dem Ding zu schlagen, als wäre es eine unerwünschte Fliege.

»Was auch immer du da drüben machst, du musst damit aufhören. Ich kann nicht nach Ronan Ausschau halten, wenn dieses Ding wie eine Plastiktüte in meinem Ohr knistert«, sagte ich leise.

»Tut mir leid, ich versuche nur, die richtige Frequenz zu finden. Wenn ich nur Barry fragen könnte …«

»Nein!«, sagte ich und unterbrach sie. Wir hatten dieses Gespräch in den letzten drei Tagen schon ein Dutzend Mal geführt. »Es ist schlimm genug, dass du die Technik von ihm bekommen hast. Ich will nicht, dass er sich in meine Angelegenheiten einmischt.«

Nathalie seufzte in das Mikrofon, das mit dem winzigen Lautsprecher in meinem Ohr verbunden war. »Habe ich schon mal gesagt, wie sehr mir deine Vertrauensprobleme auf den Sack gehen?«

»Nur ein bis zwanzig Mal«, antwortete ich. »Und jetzt sei still! Ich habe Ronan noch nicht gesehen, aber wenn er sieht, wie ich mit mir selbst rede, kommt er vielleicht nicht.«

»Irgendwie bezweifle ich, dass es eine Rolle spielt, ob du verrückt bist. Ihm geht es wohl eher darum, in deine Hose zu kommen«, kommentierte Nat trocken, bevor sie das Mikrofon abschaltete und damit endlich das Rauschen aufhörte, das mich so verrückt machte.

Meine Stiefel verursachten keine Geräusche, während ich den Navy Pier entlanglief. Um diese Tageszeit war es wunderschön hier. Der Himmel hatte die gleiche Farbe wie das Eis, das Bree und ich gegessen hatten, als wir Seite an Seite mit unseren Eltern hier entlang spaziert waren. Diese rosigen Erinnerungen wurden leider bis heute von den Bisswunden am Hals meiner Mutter und dem glänzenden metallenen Holster an der Hüfte meines Vaters getrübt, aber es war trotzdem eine bessere Zeit.

Eine, die lange vorbei war.

Es gab noch das eine oder andere Licht aus der Stadt, aber die meisten Straßenlaternen waren entweder kaputt oder funktionierten nicht. Der gepflasterte Gehweg war mit Graffiti und Vogelkacke übersät. Es gab keine flanierenden Paare oder Kinder, die sich dort tummelten. Jeder, dem ich um diese Uhrzeit begegnete, gehörte sicher nicht zu jenen, mit denen ich mich anfreunden wollte.

Ich drehte mich auf dem Absatz um und wollte den Pier wieder zurückgehen, als eine Gestalt am Ende des Weges meine Aufmerksamkeit erregte.

Mein Puls beschleunigte sich. Ich ging auf ihn zu und meine Finger juckten, als ich nach den beiden Pistolen griff, die an beiden Seiten meiner Hüften befestigt waren. Ein langes Jagdmesser steckte in meinem Stiefel. Meine Lederjacke hatte nicht all die raffinierten Fächer, die mein alter Trenchcoat vorzuweisen hatte, also müsste ich auf das Seil und den Haken verzichten, die mir oft aus der Klemme halfen. Nicht, dass ich mir vorstellen konnte, dass beides bei Ronan zum Einsatz käme. Außerdem gehörte das nächstgelegene Dach zu einem Museum, das schon lange geschlossen war. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich so weit kam, war nicht groß, sodass ich direkt auf Ronan zusteuerte.

Genau wie er es wollte.

»Du bist gekommen«, sagte er, seine Stimme war wie das Grollen des Donners in der Nacht. Allein der Klang streichelte meine Haut und verursachte eine Gänsehaut auf meinen Armen.

»Du hast mir nicht gerade eine Wahl gelassen.«

Seine Hände lösten sich vom Geländer, von wo aus man auf den Michigansee blickte, als er sich zu mir umdrehte. Seine silbernen Augen waren umrandet von schwarzem Feuer und streiften hungrig über meine Gestalt. Während es in New Chicago eiskalt war, berührte mich in diesem Moment die Hitze.

Ich hasste sie.

»Doch, habe ich. Du hast gesagt, wenn ich so weitermachte, wie ich es getan habe, würde es nicht mit uns funktionieren. Du hattest keine Wahl, also habe ich dir eine gegeben. Du bist aus freien Stücken hier, obwohl du am liebsten weglaufen würdest.« Seine Augen konzentrierten sich auf den Ausschnitt meines langärmeligen Shirts. Ich trug ausnahmsweise keinen Rollkragenpullover. Die Ränder eines meiner Brandzeichen lugten aus dem verblichenen schwarzen Stoff hervor.

»Gut. Du hast mich dazu gezwungen. Wie auch immer, ich bin nur wegen Bree hier. Wo ist sie?« Ich tat so, als würde ich mich umsehen, obwohl ich mir verdammt sicher war, dass sie nicht in der Nähe war.

»In Sicherheit«, sagte Ronan, und in seinen Augen blitzte ein Hauch von Wut auf. Er streckte eine Hand nach mir aus.

Ich ergriff sie nicht.

»Komm! Wir unterhalten uns beim Essen.«

Ich stolperte zurück und meine Hand griff instinktiv nach der Pistole an meiner Seite. Ich hatte schon einmal auf ihn geschossen und er war wieder auferstanden. Vielleicht würde er, wenn ich einfach immer und immer wieder auf ihn schoss, lange genug am Boden bleiben, damit ich einen Weg finden konnte, ihn für immer außer Gefecht zu setzen. Ein Knistern in meinem Ohr ließ mich innehalten. »Wenn du nach deiner Waffe greifst, wäre das dumm.« Die Tatsache, dass sie genau wusste, was ich vorhatte, mich aber nicht sehen konnte, war ärgerlich. »Du musst mehr Informationen aus ihm herausbekommen, wenn wir Bree finden wollen. Geh mit ihm zu Abend essen! Sprich mit ihm!«

Ronan wartete geduldig, während ich unentschlossen war. »Ein Abendessen«, beharrte ich. »Das war’s. Wir essen und du sagst mir, wo Bree ist.«

Seine Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln, als er mich ansah. »Wir werden sehen. Wir haben viel zu besprechen.«

Diese Antwort gefiel mir nicht, aber welche Wahl hatte ich denn? Entweder ich ging und unsere Chancen, Bree zu finden, standen gleich null, oder ich begleitete ihn.

Ich streckte meinen Rücken durch und nahm seine Hand. Anstatt seine Finger durch meine zu führen, wie ich es erwartet hatte, schob er mich leicht vor sich, ließ meine Hand los und legte seine besitzergreifend auf meinen Rücken. Ich zog eine Augenbraue hoch, und er ahmte die Bewegung spöttisch nach, während er mich um den Pier herumführte.

»Für jemanden, der sagt, wir hätten so viel zu besprechen, sagst du nicht viel.«

Seine Mundwinkel zogen sich nach oben. »Ich staune nur, dass meine Atma endlich bereitwillig zu mir gekommen ist. Was soll ich sagen? Nachdem ich dich wochenlang gejagt habe, genieße ich meinen Sieg.«

Und das wird das letzte Mal sein, wenn es nach mir geht. »Gewöhne dich nicht daran!«, sagte ich stattdessen.

Er brummte. »Du bist mir gegenüber sehr misstrauisch. In gewissem Maße verständlich, nach dem, was du durchgemacht hast …«

»Du hast keine Ahnung, was ich durchgemacht habe«, sagte ich scharf. Ronan hielt inne und seine Hand verschwand. Ich drehte mich um, nachdem ich ein paar Meter gegangen war.

»Oh, aber die habe ich«, sagte er leise. In seiner Stimme lag ein dunkler Klang. Ein gefährlicher Klang. »Was glaubst du, was ich tue, wenn ich dich nicht gerade jage? Claude Lewis’ Erinnerungen haben mir einen Anhaltspunkt gegeben. Ich bin diesen Informationen wie einer Spur von Brotkrumen gefolgt und habe Leute gefunden, mit denen oder für die du gearbeitet hast. Ich habe Orte gefunden, an denen du gewesen bist. Menschen, die dir wehgetan haben. In den letzten Wochen bin ich für dich in deine Welt getaucht.« Er trat einen Schritt vor und ich blieb stehen. »Ich weiß, dass die Magischen Kriege dich und deine Familie verletzt haben. Das hat dich machthungrig gemacht. Verzweifelt. Du würdest alles tun, um sie und dich selbst zu retten. Du warst schon immer so initiativ, und das hat dich auf den Weg geführt, auf dem du jetzt bist.«

»Rede nicht, als würdest du mich kennen!«, spuckte ich aus. »Du hast Leute gejagt, die nichts über mich wissen. Was sie gesehen haben, war eine Phase meines Lebens. Eine Maske. Ein Kind. Du bist in meine Privatsphäre eingedrungen …«

»Das müsste ich nicht, wenn du nicht so stur wärst«, sagte er leise, aber nicht schroff. Ronan hob eine Hand und fuhr mit einem Finger über meine Wange.

»Richtig! Ich bin starrköpfig. Eigensinnig. Ich mag keine Veränderungen, und Magie mag ich noch weniger. Sie hat mein Leben ruiniert, und das kannst du nicht ändern. Du kannst mich nicht dazu bringen, Magie oder dich zu lieben. Deshalb verstehe ich nicht, warum du es immer wieder versuchst.«

»Es geht nicht um Liebe. Darum ging es nie. Liebe ist für Menschen.«

»Worum geht es dann?«

»Du gehörst mir«, sagte er, als ob es so einfach wäre. »Ich existiere schon seit sehr langer Zeit, Piper. Die Welt, aus der ich komme, ist anders, und das bis heute, nachdem ich aufgehört habe, mich darum zu scheren. Es hat keine Rolle gespielt, wo ich war oder mit wem ich zusammen war. Aber als du die Tür geöffnet und nach mir gerufen hast, war ich wie betäubt. Ich spürte deine Magie, und zum ersten Mal seit langer Zeit war ich wieder lebendig. Ich habe dich gerochen und wusste, dass dieser Duft mich berauschen konnte. Du bist ein Rätsel und das finde ich faszinierend. Ich will dich kennenlernen. Ich will dich besitzen. Nicht aus unsinniger Liebe, sondern weil ich vom ersten Moment an wusste, dass es kein Zurück mehr gibt. Ich könnte nicht, selbst wenn ich es wollte – und das tue ich nicht.«

Meine Lippen öffneten sich schockiert, denn er hatte nicht gelogen. Er glaubte wirklich daran, und ich wusste in diesem Moment, dass es auch für mich kein Zurück mehr gab. Ronan würde mich niemals in Frieden lassen.

»Habe ich dich überrascht?«, sinnierte er und ein grausames Grinsen umspielte seine Lippen. Dann griff er um meine Taille, legte seine Hand auf meinen Rücken und führte mich Richtung Wasser. »Komm! Lass uns essen!«

Ich lief mechanisch an seiner Seite, als er mich auf ein Boot führte. Es war das einzige, das im Hafen lag. Ein Holzbrett führte vom Steg über das Wasser bis zum Schiff. In meinem Ohr knisterte es wieder und das erinnerte mich daran, dass Nathalie immer noch da war und jedes Wort gehört hatte.

»Verdammt, bist du sicher, dass du diese Sache mit der Verbindung nicht noch einmal überdenken willst?«, fragte Nathalie. »Er ist vielleicht ein Dämon und ein Klammeraffe der Stufe fünf, aber …«

Ich griff nach oben und drückte auf den Knopf in meinem Ohr, weil ich wusste, dass ich damit meinen Standpunkt klarstellen würde.

Nathalie stöhnte in mein Ohr und Ronan warf mir einen Blick zu. Ich machte mir nicht die Mühe, einem von ihnen eine Antwort zu geben.

Das Schiff war eines der Luxusklasse. Auf dem Deck gab es nur ein halbes Dutzend Zweiertische. Blinkende Lichter liefen am Rand der Reling entlang. An einem der Tische stand bereits eine Kellnerin, die eine neutrale Miene aufsetzte. Sie war ein paar Zentimeter kleiner als ich, aber sie hatte spitze Ohren. Halb-Fee, wenn ich raten müsste. Das würde erklären, wie sie es geschafft hatte, einen Job in einem Lokal wie diesem zu bekommen.

Ronan und ich saßen uns gegenüber und hatten nur einen halben Meter Tisch zwischen uns.

Ich straffte die Schultern, als sie die Speisekarten auf den Tisch stellte und jedem von uns ein Glas Wasser einschenkte. Der Wind peitschte über den See und schlug gegen die dicke Verkleidung des Decks, die das Schlimmste der Kälte abhalten sollte.

»Willkommen, Mr. Fallon«, begann sie. Den Rest ihrer Rede hörte ich nicht mehr.

Meine Augen verengten sich und Ronan grinste breit. Als ob er meinen aufkommenden Zorn spürte, hob er eine Hand und sagte: »Danke, aber wir brauchen einen Moment, um die Speisekarte durchzusehen.«

Die Kellnerin neigte höflich den Kopf und ging.

»Du hast meinen Nachnamen angenommen«, sagte ich. Meine Hände waren auf dem Tisch zu Fäusten geballt, damit sie nicht nach meinen Waffen griffen.

»Ich hatte keinen«, erklärte er achselzuckend. »Wo ich herkomme, nennt man uns den Sohn oder die Tochter unserer Eltern. In deiner Welt ist das aber nicht so, also habe ich mich angepasst.«

»Wie gnädig von dir.«

»Das fand ich auch.«

Meine Finger zuckten, und es war, als wüsste er, was ich tun wollte, auch wenn ich mich dagegen wehrte. »Wenn ich glauben würde, dass ich dich oft genug erschießen könnte, um dich am Boden zu halten, würde ich es tun.«

Er legte den Kopf schief, ohne sich an meiner Todesdrohung zu stören. »Aber dann würdest du Bree nie finden, vorausgesetzt, es funktioniert – was nicht der Fall ist.«

»Leider.«

Die Kellnerin wählte diesen Moment, um wieder aufzutauchen. »Hatten Sie bereits Gelegenheit, sich die …«

»Ich nehme das Teuerste, was auf der Karte steht«, sagte ich. »Da Mr. Fallon zahlt.«

Die Kellnerin öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. Ronan lächelte einfach weiter. Ich fragte mich, ob er wusste, dass mich das verärgerte.

»Zweimal«, sagte er, »und eine Flasche Ihres besten Rotweins.«

Sie nickte einmal, ging, um unsere Bestellung aufzugeben, und ließ uns allein.

Ich rollte mit den Schultern, als würden wir gleichen in einen Kampf geraten und nicht beim Abendessen sein.

Wenn ich daran dachte, dass er meine Schwester als Geisel hielt, um mich zu ihr zu locken, war die Annahme nicht so weit hergeholt.

Deshalb rechnete ich auch nicht mit seiner nächsten Aussage.

»Erzähl mir von deinem Leben!« Er verlangte es. Erwartete es. Es war überhaupt keine Frage.

»Wenn du schon alles weißt, sehe ich keinen Sinn darin.«

»Ich kenne Teile. Dinge, die ich aufgeschnappt habe und mit denen ich dann die Lücken gefüllt habe. Ich möchte es von dir hören. Ich möchte dich kennenlernen.«

»Du willst mich besitzen«, korrigierte ich. »Ich verstehe nicht, was es bringen soll, mich kennenzulernen.«

Er lachte. »In diesem Fall ist es ein und dasselbe. Das hast du mir gezeigt. Ich kann dich nur besitzen, wenn du es auch willst. Also sei nachsichtig mit mir! Ich will alles wissen.« Er lehnte sich zurück und legte einen Arm locker auf den Tisch, den anderen auf seinen Schoß. Drei Zentimeter rechts von meiner linken Hand lag ein silbernes Messer. Ich könnte es ihm in die Hand stoßen, wenn ich wollte. Es würde ihn nicht umbringen, aber es würde höllisch wehtun. Vielleicht könnte ich seine Hingabe testen, von der er behauptete, sie zu besitzen.

Das einzige Problem: Wenn sie nicht so stark war, wie er behauptete, war ich am Arsch. Schon wieder.

»Alles ist wohl zu viel verlangt«, sagte ich und griff stattdessen nach meinem Glas Wasser. Ich nahm einen Schluck; die knackige Kälte traf meine Kehle und erdete mich.

»Dann fang einfach am Anfang an. Was ist deine früheste Erinnerung?«

Ich versteifte mich und Ronan hob eine Augenbraue.

Ich könnte es zwar verdrängen und stur sein, aber das hätte nicht viel Sinn. Er wusste es bereits, zumindest bis zu einem gewissen Grad.

»Der Tag, an dem wir erfuhren, dass es Magie gibt.«

»›Wir‹ – das sind die Menschen?«

»Ja«, antwortete ich leise. Ronan sah aus, als wollte er etwas dazu sagen, tat es aber nicht. »Ich saß neben meiner Schwester auf dem Boden in unserem Wohnzimmer und spielte mit Barbies. Wir sahen uns gerade Zeichentrickfilme an, als der Fernseher anfing zu dröhnen. Meine Eltern rannten ins Wohnzimmer, als der Ton ausfiel und der Bildschirm wechselte. Die dreiundvierzig Sekunden, die danach abliefen, veränderten die Welt.«

Ich sagte ihm nicht, was ich gesehen hatte. Wenn er in meine Vergangenheit geschaut hat, hatte er es sicher selbst gesehen. Jeder hatte es an diesem Tag gesehen. Nie zuvor hatte ein solches Massaker im öffentlichen Fernsehen stattgefunden. Verdammt, ich war noch ein Kind gewesen. Ich wusste kaum etwas über solche Dinge. Meine Eltern waren von der Art, die nicht einmal vor uns fluchte. Sie hatten uns nicht unbedingt behütet erzogen, aber wir waren den dunklen Seiten der Welt nie ausgesetzt worden. Wir waren ja schließlich Kinder.

»Du sprichst von der öffentlichen Hinrichtung eures Anführers und seiner Wachen.« So könnte man es auch formulieren. Obwohl ich vermutete, dass es vielleicht keine Präsidenten gab, wo er herkam.

»Ja«, sagte ich, obwohl das eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Er hatte es verstanden.

»Ich habe gehört, dass er es sich selbst eingebrockt hatte, indem er ein Sklavenlager für Magier eröffnet hatte«, fuhr Ronan fort. Vor Jahren hätte ich ihm vielleicht widersprochen. Die Andeutung, dass wir das, was danach gekommen war, irgendwie verdient hätten, war für mich … Ich hatte keine Worte, nur Wut.

Aber ich war kein Kind mehr, und ich hatte diese Rechtfertigungen oft genug gehört, um mich nicht in der Wut zu verlieren.

»Gerüchte«, sagte ich steif und zuckte mit einer Schulter. »Die Beweise waren dürftig, und so oder so, die Verbrechen an ein paar Hunderten rechtfertigen niemals die Verbrechen an Millionen.«

Er legte den Kopf schief. »Das habe ich nie behauptet.«

Ich öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass er es wenigstens angedeutet hatte, aber die Kellnerin kam mit zwei Tellern in den Händen zurück.

»Confit von der Ente auf einem Gemüsebett«, sagte sie – nicht gerade kurz und knackig, aber doch höflich. Sie stellte die Teller vor uns ab, und Ronan entließ sie mit einer Handbewegung, bevor sie fragen konnte, ob wir noch etwas brauchten. Ich griff nach meiner Gabel und war dankbar für die Gelegenheit, nicht mehr reden zu müssen.

»Du fühlst dich wegen der Ereignisse auf einer sehr persönlichen Ebene benachteiligt, aber es klingt, als ob beide Seiten letztlich benachteiligt wurden. Magische Wesen haben sich hunderte Jahre versteckt, weil die Menschen versucht haben, sie bis zur Ausrottung zu jagen. Erst als sie es vergaßen, hatten sie genug Zeit, um zu wachsen. Der Angriff auf ihre Existenz lebte erneut auf, und sie rächten sich an dem Mann, den sie für verantwortlich hielten.«

Ich stach härter als nötig in meine Ente und der Teller klirrte, als die Metallzinken meiner Gabel darauf trafen.

»Vielleicht war er verantwortlich. Vielleicht wurde ihnen ein Unrecht getan, in gewisser Weise. Aber danach haben sie die Menschheit getötet oder versklavt.«

»Haben sie das?«, fragte er und meine Wut entfachte. »Es überlebte der Stärkere, und das waren die Menschen einfach nicht. Ist das so viel anders als das, was die Menschen noch vor nicht allzu langer Zeit mit anderen Lebewesen angestellt haben?«

Ich knirschte mit den Zähnen, weil ich Appetit darauf bekam, ihn zu erstechen. »Auf wessen Seite stehst du?«

»Auf keiner.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht betroffen. Das macht es einfacher, die Sache unvoreingenommen zu betrachten, und so wie ich das sehe, habt ihr alle Verbrechen gegen den jeweils anderen begangen. Diese Hexe war hinter jemandem her, von dem sie glaubte, dass er sie und ihre Familie verletzt hat. Das ist nicht viel anders als bei dir und deiner Jagd auf Claude. Ihre Art hat einen Hass auf die Menschen entwickelt, weil man ihnen etwas aufgezwungen hat, und in der Unwissenheit deiner Art wiederum wurden sie verletzt. Und dann schlugen sie in ihrer Wut um sich und du wurdest verletzt.«

»Du hast Mitleid mit ihnen«, warf ich ein.

»Nein, nicht wirklich. Ich verstehe sie einfach, so wie ich dich verstehe. Deine Vorurteile sind aus rationaler und irrationaler Wut aus der Kindheit entstanden. Es sagt viel aus, dass es deine früheste Erinnerung ist. Das hat dich geprägt.«

Ich nahm einen Bissen, um eine Chance zu haben, mir eine gute Antwort zu überlegen. Ich war nicht scharf darauf, auf diese Weise psychoanalysiert zu werden. Nathalie war schon schlimm genug.

Als hätte sie mich gehört, knisterte das Rauschen in meinem Ohr. »Er hat recht, weißt du?«

Die wahrscheinlich köstlichste Mahlzeit, die ich je gegessen hatte, wurde in meinem Mund zu Asche.

Ich legte meine Gabel ab und bemerkte, dass Ronan sein Essen nicht einmal angerührt hatte.

»Du hast recht. Es hat mich geprägt. Ich bin ein wütender Mensch. Ich bin voreingenommen. Speziesistisch. Ich bin nicht nett …«

»Du bist auch über alle Maßen loyal. Du stellst andere über dich selbst, wenn du glaubst, dass sie es wert sind. Dein Vertrauen musst man sich hart erarbeiten, aber wenn man es einmal hat, würdest du alles für sie tun.«

Mir entglitt mein Gesicht, und ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu stottern. »Woher weißt …«

»Du sitzt jetzt hier und isst mit mir zu Abend. Ich musste nicht in deine Vergangenheit schauen, um das zu erraten. Du bist wegen Bree hier, und das sagt mir alles, was ich wissen muss.«

Ich schaute auf meinen Teller und atmete tief ein. »Du wirst mich nicht verändern«, sagte ich schließlich. »Mich retten. Mich heilen. Das wird nicht geschehen. Das wird es nicht.«

Ich wartete darauf, dass er das abstreiten würde. Dass er mir sagte, dass ich falschliege. Aber als er nicht sprach, hob ich meinen Blick, und er grinste.

»Du hast bis zu einem bestimmten Punkt recht, aber zu meinem Glück muss ich das nicht«, sagte er. »Zumindest nicht restlos. Du hast dich bereits verändert. Die Tatsache, dass du mit einer Hexe zusammenlebst und sie gerade jedes Wort hört, das ich sage, spricht für sich. Du veränderst dich, Piper, aber du veränderst dich durch deine Entscheidung. Nicht durch meine.«

»Oh Mann«, sagte Nathalie in mein Ohr. »Dieser Kerl weiß wirklich, wie er dich zu nehmen hat, nicht wahr?«

Ich ruckte zurück, um aufzuspringen, aber seine Hand packte mein Handgelenk und zog mich zurück auf den Stuhl.

»Dieses Abendessen ist vorbei«, zischte ich.

»Aber wir hatten noch nicht einmal den Nachtisch.« Er grinste. »Ich hatte gehofft, dich zu bekommen, aber ich glaube, das muss bis zum nächsten Mal warten.«

Mein Gesicht flammte vor Wut und … Verlegenheit? Was dachte er, wer er ist? Nö! Ich würde ihn nicht einmal mit einer drei Meter langen Kneifzange anfassen.

»Lass … mich … gehen!«

»Aber dann würdest du nie etwas von deiner Schwester erfahren.«

Ich erstarrte.

»Was ist mit ihr?«

Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht und sein Blick wurde ernster. »Ich weiß, was mit ihr ist. Ich weiß, warum sie nicht aufwacht.«

Diese Worte klingelten in meinen Ohren. Die Erlösung war zum Greifen nah und die Verdammnis gleich daneben, denn ich wusste, dass die Wahrheit nicht umsonst zu haben war. Nicht von einem Dämon. Und schon gar nicht von Ronan.

Bevor ich ihn etwas fragen konnte, knarrten die Bretter unter meinen Füßen und brachen auseinander. Ein Knacken, als ob ein Knochen zerspringen würde, war zu hören.

Dann explodierte das Restaurantschiff.

Kapitel2

Zersplittertes Holz und Feuer erfüllten meinen Blick.

Zuerst war es nur die Hitze. Der Schmerz. Mein Kopf schwirrte, und ich wusste nicht, wo oben und unten war.

Dann kam die Kälte. Mein Körper stürzte in das eisige Wasser des Michigansees, und ich sank, bevor ich überhaupt ans Schwimmen denken konnte. Die Magie sang in meinen Adern, während mein Herzschlag in die Höhe schnellte, bis er fast aufhörte. Ich klammerte mich an das Wasser und strampelte mit den Füßen. Mein Brustkorb krampfte sich schmerzhaft zusammen, als die Kälte die Luft aus meiner Lunge drückte.

Ich ertrank.

Nach allem, was ich durchgemacht hatte, war es das verdammte Wasser, das mich erwischen sollte?

Nein! Ich beruhigte mich innerlich und entspannte meine Bewegungen, um mich umzusehen. Es war beunruhigend. Das Wasser war klar, aber schattig durch die einbrechende Nacht. Ich trat gegen den Widerstand des Wassers und in Richtung des orangefarbenen Glühens über mir. Das musste Feuer sein, was bedeutete, dass es dort Luft gab.

Dann kam mein Körper ruckartig zum Stillstand.

Ich verengte meine Augen und spähte durch die Dunkelheit.

Irgendetwas zerrte an meiner Jacke und damit auch an mir.

Mit gefühllosen Fingern griff ich nach dem Reißverschluss und strampelte weiter, um nicht noch tiefer zu sinken.

Das Pochen in meinen Ohren mahnte mich.

Na los! Mach schon! Meine Finger waren langsam – träge. Sie hatten Mühe, sich an dem glatten Metall des Reißverschlusses festzuhalten. Ich zog fester, aber er bewegte sich nur ein paar Zentimeter, stockte dann und ich verlor den Halt daran.

Verdammt noch mal! Ich würde wiederkommen und jeden einzelnen Wichser verfolgen, der an der Explosion des Bootes beteiligt war.

Ich griff wieder nach dem Reißverschluss, aber meine Füße ließen mich im Stich. Meine Lunge ließ mich im Stich. Mein Körper war zu schwach, und was auch immer meine Jacke herunterzog, war zu stark.

Die Dunkelheit kam näher, und ich ballte eine Faust, bereit, mein Herz stehenbleiben zu lassen, wenn das die Chance zur Flucht bedeutete.

Starke Arme packten mich.

Ich versuchte, mich zu wehren, als sich die Hände auf beiden Seiten meiner Jacke und meines Shirts festkrallten und dann daran zogen. Das Material gab nach.

Bloße Hände halfen mir aus den Klamotten, raue Schwielen streiften über meine Haut. Mein Kopf stützte sich gegen etwas Hartes und Warmes. Die Ränder meines Sichtfeldes begannen zu verschwimmen und meine Brust brannte wegen des Sauerstoffmangels.

Ich wusste nicht, dass wir uns überhaupt bewegt hatten, bis mir der kalte Wind ins Gesicht schlug. Wasser tropfte von meinen Lippen, und die warmen Hände hielten mich fest und meinen Kopf über Wasser. Ich atmete wild und keuchend, atmete so viel wie möglich ein und animierte mein Herz, langsamer zu schlagen.

Es war so knapp …

Zu knapp. Eine falsche Bewegung und alles wäre vorbei.

»Atme langsamer! Du willst doch nicht, dass dein Herz aufhört zu schlagen«, grollte eine dunkle Stimme. Ich riss meine Augen auf.

Ronan schwebte neben mir, sein Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt. Sein Gesichtsausdruck war wütend. Etwas Kaltes und Tödliches glitzerte in seinen Augen. Ich wusste ohne Zweifel, dass ich nicht die Einzige war, die denjenigen jagen würde, der das getan hatte.

»Du hast mich gerettet«, sagte ich verblüfft. Es war dasselbe, was ich zu Nathalie gesagt hatte, nur dass sie es immer abtat, während Ronan mich näher an sich zog. Die Augen wie Winterwinde und Stahl – sie zogen mich an, als wir im dunklen Wasser trieben. Über uns warf der Mond ein fahles Licht auf uns. Brennende Trümmerteile schwammen an der Oberfläche des Sees, weit genug entfernt, um uns nicht zu streifen, aber nah genug, um uns in ein gedämpftes Licht zu tauchen.

»Ja, natürlich. Du gehörst mir. Ich beschütze, was mir gehört.«

Seine Worte rissen mich aus meiner Träumerei. Ich blinzelte, dann strampelte ich mit den Beinen und versuchte, wegzuschwimmen. Seine Arme hätten genauso gut aus Eisen sein können, denn sie bewegten sich keinen Zentimeter.

»Du musst dich beruhigen. Wenn dein Herz stehenbleibt, bist du nur einen kurzen Augenblick lang stark, bevor dein Absturz dich auffrisst.«

Seine Worte waren … richtig.

Ich hasste es, aber ich blieb ruhig und hörte auf zu kämpfen, so sehr es mich auch umbrachte.

»Weißt du, was die Explosion ausgelöst hat?«, fragte ich und zwang mich, alle Gefühle zu unterdrücken und logisch zu denken. Seine bloßen Hände, die meinen Rücken umklammerten, erschwerten das ungemein.

»Magie«, sagte er und bestätigte meinen Verdacht. »Ich kann sie in der Luft riechen. Das war kein natürliches Feuer. Schiffe explodieren nicht ohne Vorwarnung.«

Etwa zwanzig Meter von uns entfernt hörte ich stampfende Schritte auf dem Beton. Ich blickte zum Pier hinauf, als Nat an der Kante, an der das Boot angedockt war, zum Stehen kam. Sie beugte sich zu uns, die Hände auf die Hüften gestützt, und atmete schwer.

»Was ist passiert? Ich habe die Explosion gesehen und dein Mikrofon ist ausgefallen …«, sagte sie und ließ ihren Blick über die Trümmer schweifen, die uns umgaben, bevor sie ihn wieder auf mich richtete.

»Ich bin mir nicht sicher. Hast du da oben jemanden gesehen? Hat jemand versucht zu fliehen?«

Sie schüttelte den Kopf und ich fluchte. Der Daumen, der in langsamen, rhythmischen Kreisen über meinen Rücken strich, machte mir überdeutlich bewusst, wie nah Ronan und ich uns waren.

»Komm schon!«, sagte er, während er mit ein paar kräftigen Zügen im Wasser in Richtung Steg glitt. »Deine Lippen werden blau.«

»Wenn mich jemand schwimmen lassen würde, wenn ich es will, wären sie es vielleicht nicht mehr«, sagte ich steif.

Er hievte mich kommentarlos aus dem Wasser und auf die halbe Höhe der Leiter. Meine Arme zitterten vor Anstrengung, während ich mich mit tauben Fingern an den glatten Metallstangen festhielt. Das Wasser glitt in Strömen an allen möglichen Stellen aus mir, als ich ein Bein nach dem anderen auf den Steg hinaufzog. Winzige Härchen klebten an meinen Armen und mein Pferdeschwanz hing über meinen Rücken und klebte an meiner bloßen Haut.

Kälte schlug mir entgegen, als ich dort in Jeans und BH stand. Meine Markierungen waren für jedermann sichtbar, auch für Ronan.

Ich stiefelte los, und Nathalie kam mir auf halbem Weg entgegen, ein labbriges Sweatshirt in der Hand. Sie streckte es mir schweigend entgegen und zuckte mit den Schultern, als ich sie fragend ansah.

»Du hast die Tendenz, in Flammen aufzugehen. Ich dachte, es wäre klug, zusätzliche Kleidung dabeizuhaben. Allerdings habe ich kein Handtuch mitgebracht, weil ich nicht erwartet habe, dass du schwimmen gehst.«

Ich schnaubte und schob meine Arme durch die Ärmel. Es klebte unangenehm an mir, aber linderte die Kälte.

»Warst das Ziel du?«, fragte ich Ronan, ohne mich umzudrehen. Ich spürte seine Augen auf meinem Rücken, was mir Unbehagen bereitete. Allerdings hatte er mich gerade vor dem Ertrinken gerettet, also musste ich mich damit abfinden, dass er mich nicht töten würde. Ich war zwar kein Freund von Magie und wollte mich schon gar nicht mit ihm verbünden, aber es wäre dumm, ständig auf der Hut zu sein und zu erwarten, dass er mich tötet, wenn er mir nie einen Hinweis darauf gegeben hatte.

»Keine Ahnung. Ich bin noch nicht lange genug hier, um mir viele Feinde zu machen, aber es ist möglich …« Er stockte, als ob es noch mehr zu sagen gäbe. Ich drehte mich um und verschränkte meine Arme vor der Brust.

»Was ist möglich?«

»Lucifer war nicht der einzige Dämon, der im Laufe der Zeitalter hinübergegangen ist. Es ist möglich, dass andere von meiner Ankunft gehört haben und meine Macht testen wollten. Vielleicht dachten sie, dass ich durch die Überquerung geschwächt und es das Risiko wert sei, ihren Coup jetzt zu versuchen, bevor ich von ihrer Anwesenheit erfahre.« Er fuhr sich mit der Hand durch seine glatten schwarzen Locken, und seine silbernen Augen blitzten auf mit einem Versprechen auf Rache.

»Warum sollten andere Dämonen dich töten wollen?«

»Wegen dem, was ich bin – wer ich bin.«

»Wer bist du denn?«, fragte ich spitz.

»Das ist nicht wichtig«, sagte er abweisend. »Wichtig ist, herauszufinden, ob es ein anderer Dämon war, und wenn ja, wer. Wenn ich das Ziel war, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch du in Gefahr bist.« Ich kniff die Augen zusammen, denn mir entging nicht, wie er um meine Frage herumtanzte. Was auch immer er genau war, er wollte nicht, dass ich es wusste.

»Ich würde sagen, sie ist bereits in Gefahr, denn das Boot ist gerade explodiert«, sagte Nathalie.

»Ja, aber es ist ein Unterschied, ob ich aktiv das Ziel bin und sie nur, weil sie zufällig hier bei mir ist«, sagte Ronan, ohne Nat anzusehen. Ein langsames Grinsen breitete sich auf seinen verruchten Lippen aus, als wüsste er, warum ich ihn anstarrte.

»Wenn du weißt, wer sie ist, ist es dann möglich, dass dieser Angriff tatsächlich ihr gegolten hat? Nicht dir?«, fragte Nathalie scharfsinnig wie immer. Ronan legte den Kopf schief und dachte darüber nach.

»Wir sollten es nicht ausschließen. Diese Explosion hätte mich nicht töten können, selbst wenn der Übergang in die Welt mich geschwächt hat. Es würde mich nicht wundern, wenn ein anderer Dämon es trotzdem versucht hätte, aber wenn sie wussten, dass Piper meine Atma ist, dann ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass sie sie verletzen wollen, um an mich heranzukommen.«

»Wer bist du?«, wiederholte ich.

Er grinste unverhohlen, fast spöttisch.

»Spielt das eine Rolle?«, fragte er mich, ein Echo der Frage, die ich ihm selbst oft stellte.

»Vielleicht. Kommt drauf an.« Ich zuckte mit den Schultern.

»Lügnerin! Du würdest mich so oder so hassen, nur weil ich ein Dämon bin«, sagte er. Ich konnte nicht sagen, ob es ihn ärgerte oder nicht.

»Warum willst du es mir dann nicht sagen?«

Ronan machte einen Schritt auf mich zu und lehnte sich näher zu mir. »Weil man sich manche Wahrheiten verdienen muss.«

»Auch wenn ich deine Atma bin?«

»Vor allem, weil du meine Atma bist«, sagte er.

Nathalie tat so, als bemerke sie die Spannung zwischen uns nicht, obwohl ich wusste, dass dies der Fall war, und ging auf und ab. »Bis letzte Woche wusste nicht einmal Lucifer, dass sie deine Atma ist. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es ein Dämon weiß. Denn ihm gehört praktisch New Chicago. Ihm entgeht nur sehr wenig. Und nach dem, was ich über deine Art weiß, können sie besitzergreifend sein …«

»Das sind wir«, sagte Ronan und sah mich an.

»Ganz genau. Damit ein anderer Dämon weiß, wo du dich aufhältst, und einen Angriff koordinieren kann, müsste er eine Menge Spione haben, die in deiner Nähe sind. Das halte ich für unwahrscheinlich.«

»Es könnte Lucifer selbst sein«, sagte ich.

»Auch nicht wahrscheinlich«, sagte Nathalie. »Er würde dich nicht auf diese Weise gefährden.«

Ich wollte ihr widersprechen, aber ich wusste, dass sie recht hatte. Vor allem wegen der offensichtlichen Tatsache, dass ich seit der Nacht in der Gasse nichts mehr von ihm gesehen oder gehört hatte.

»So sehr ich es hasse, für ihn zu sprechen, halte ich es auch für unwahrscheinlich, dass mein Bruder dahintersteckt. Außerdem habe ich ihn oder seine Kraft schon lange nicht mehr gespürt, sodass ich mich langsam frage, ob er in dieser Nacht vielleicht doch gestorben ist oder einfach nur in Stasis gegangen ist.«

»Stasis?«

»Der Absturz«, erklärte er. »Jeder von uns erlebt ihn in irgendeiner Form. Aber keiner so wie du.«

Er kannte mich nicht und doch kannte er alle meine Geheimnisse. Es war ein seltsames Gefühl, bestenfalls unangenehm.

»Um aufs Thema zurückzukommen«, sagte ich und trat einen Schritt von Ronan zurück. »Wenn es nicht Lucifer war, wer dann? Du kannst Magie spüren. Hast du etwas gespürt, das stark genug war, um ein Dämon in der Nähe zu sein?«

»Nein«, seufzte Ronan, die Spannung ließ nach, wenn auch nicht ganz. »Es ist möglich, dass ein Dämon durch jemanden arbeitet, genauso wie es möglich ist, dass es gar kein Dämon ist. Obwohl ich keine Ahnung hätte, wer, wenn nicht ein Dämon. Wie gesagt, ich bin noch nicht lange genug dabei, um mir Feinde gemacht zu haben.«

»Nein«, stimmte Nathalie zu. »Aber es hat definitiv mit dir zu tun. Piper wusste nicht, dass du sie herbringen würdest. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, wusste es. Entweder das, oder sie haben dich beschattet und sind hergekommen, bevor jemand von uns etwas mitbekommen konnte …« Nathalies Lippen verzogen sich zu einer unzufriedenen Grimasse. »Ehrlich gesagt, das scheint auch nicht sehr wahrscheinlich zu sein. Piper ist paranoid und ich habe die Umgebung beobachtet.«

»Ich weiß«, sagte er auf eine Art und Weise, die mich zuversichtlich stimmte. »Ich kann euch beide spüren. Es waren nur vier weitere Leute auf dem Schiff, und keiner von ihnen hatte die Macht, ein Schiff in die Luft zu jagen.«

»Jemand hat es getan«, sagte Nathalie. »Jemand, der offensichtlich weiß, wie man uns alle drei umgehen kann.«

Ich schaute auf den Pier hinaus, obwohl ich wusste, dass dort niemand war, aber ich tat es trotzdem. »Wenn sie niemanden gesehen, gehört oder gespürt hat, kommen wir hier nicht weiter, und ich friere.«

»Ich werde der Sache nachgehen. Wer auch immer das getan hat, hat seine Spuren gut verwischt, aber wenn sie wirklich so darauf aus sind, dir oder mir weh zu tun, wird es nicht das letzte Mal sein. Du musst bis dahin bei Nathalie bleiben und nach Möglichkeit ihr Apartment nicht verlassen.«

Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder, als ich hörte, was er sagte. »Woher weißt du, wo ich gerade wohne?«

»Ich habe dich beschattet, als ich von der Hütte zurückkam«, sagte Ronan, ohne sich zu schämen.

»Aber das war vor drei Tagen.«

»Ja.« Er hob eine dunkle Augenbraue.

»Du hast die ganze Zeit gewusst, wo ich war?«

»Du hast deutlich gemacht, dass es nicht funktionieren würde, dich zu verfolgen. Also habe ich es nicht getan.« Aber er hatte immer noch jemanden, der mich verfolgte. Selbst wenn er die Kontrolle aufgab, fand er immer noch Wege, sie sich zu nehmen, ohne mir eine Wahl zu lassen. Nicht, dass ich jemals Ja gesagt hätte.

Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte mich wirklich nicht mit ihm einlassen. Nicht jetzt und auch sonst nicht. »Hör zu, ich habe dich hier getroffen, wie du es wolltest. Es wird Zeit, dass du deinen Teil der Abmachung einhältst. Ich will Bree zurück, und ich will wissen, was mit ihr los ist.«

»Nein.«

Ich verstummte, die Wut ließ meine Magie in meinen Handflächen kribbeln, während mein Herz lauter zu schlagen begann und das Geräusch meine Ohren erfüllte. »Wir hatten eine Abmachung.«

»Hatten wir?«, fragte er und legte den Kopf schief. »Daran kann ich mich nicht erinnern.«

»Aber du … du …« Ich suchte nach Worten und dachte daran, was er gesagt hatte.

»Ich habe nie versprochen, Bree zurückzugeben. Ich habe nur gesagt, dass ich sie habe und dich hier treffen will. Was die Frage angeht, was mit ihr los ist – ich habe dir gesagt, dass man sich manche Wahrheiten verdienen muss. Dies ist eine davon.« Er trat zurück, und ich erinnerte mich an meine Träume. Er würde gehen, und mit ihm alle Hoffnung, Bree zu finden und zu heilen.

Ich trat auf ihn zu und packte seinen Unterarm. Er blieb stehen, obwohl ich sicher nicht die Kraft hätte, ihn dazu zu zwingen. Etwas Ursprüngliches zog über sein Gesicht, als er mich dann anstarrte. Ich spürte sein Verlangen, sein Bedürfnis, seinen Hunger … und ich hielt dagegen, auch wenn meine Knie nachzugeben drohten. »Wie kann ich es mir verdienen?«

Ronan betrachtete mich und verharrte einen Moment zu lange an meinen Lippen.

»Der zweite Blutaustausch – ich will ihn.«

Ich ließ mir keine Zeit zum Nachdenken. Zu überlegen. Zu fürchten oder zu hassen.

»Erledigt.«

Er blinzelte und seine vollen Lippen spitzten sich vor Überraschung. Er hatte nicht gedacht, dass es so einfach sein würde. So gut kannte er mich nicht, denn wenn er mich kennen würde, wüsste er, dass ich alles geben würde.

Sogar mich selbst.

Ich war schon einmal dazu bereit gewesen, und ich würde es wieder sein. Nur dieses Mal gab es keine anderen Möglichkeiten.

Dafür hatte er gesorgt.

»Sie ist bei mir in Sicherheit. Ich melde mich.« Seine Lippen streiften meine für eine der kürzesten Sekunden und dann war er weg. Schatten verzehrten seinen Körper, verblassten und hinterließen nichts mehr an der Stelle, an der er noch kurz zuvor gestanden hatte.

Ich starrte sie an und spürte dieses Kribbeln der Wut. Nathalie fächelte sich trotz der eisigen Temperatur übertrieben das Gesicht.

»Ich kann nicht glauben, dass er das gerade getan hat. Was für ein …«

»Arschloch!«, warf sie ein und kicherte leise. »Mensch, es ist fast so, als wärt ihr füreinander geschaffen.«

Ich blickte in ihre Richtung und sie lachte nur noch mehr. »Ich habe Ja gesagt. Ich habe ihm gegeben, was er wollte. Ich dachte irgendwie, er würde – ich weiß nicht – es tun? Uff!« Frustriert fuhr ich mir mit der Hand durch mein verworrenes Haar.

»Es tun?«, wiederholte sie. »Hier draußen? Wo es unter dem Gefrierpunkt ist und du fast gestorben wärst … oh, und vergessen wir nicht, dass jemand darauf aus ist, einen von euch oder euch beide zu töten!« Sie schnaubte erneut, als ich den Blick abwandte. Vielleicht hatte sie ja recht.

Nicht, dass ich ihr das sagen würde. Nein!

Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging in die entgegengesetzte Richtung.

Das schien sie nur noch mehr zum Lachen zu bringen.

»Bist du jetzt ernsthaft sauer auf mich?«, fragte sie und joggte neben mir her, um Schritt zu halten.

»Nein.«

»Nein? Du bist nicht böse?«

»Ich bin nicht böse.«

»Du scheinst wütend zu sein«, sagte sie, als wir zwei Blocks die Straße hinuntergingen, wo sie parkte.

»Wenn ich wütend wäre, würdest du es wissen.«

»Weil du mich erschießen würdest?«, spottete sie.

»Ja.«

Als wir zu ihrem Auto kamen, zitterte ich vor Kälte. Das Sweatshirt half zwar, aber nur ein bisschen. Meine Finger liefen schon blau an, als die Heizung in Gang kam. Nathalie hielt inne, bevor sie auf die Straße fuhr. »Ich weiß, dass du gerade damit beschäftigt bist, nicht böse zu sein«, begann sie. »Aber ich wollte dir nur sagen, dass ich wirklich froh bin, dass du heute Abend nicht ertrunken bist.«

Ich schaute sie von der Seite an und wartete auf den Rest.

»Was?«, fragte sie.

»Ich warte auf den Teil, in dem du einen dummen Witz reißt und dann unausstehlich lachst, weil du ihn lustig findest.«

Sie rollte mit den Augen. »So kann man einen Moment ruinieren.«

»Das war kein Moment«, sagte ich scherzhaft. »Wir hatten keinen Moment.«

»Das hatten wir wohl«, sagte sie und schaute auf die Straße, als sie losfuhr. »Und du und Ronan auch, um das festzuhalten. Er mag ein Dämon sein und dieses ganze Alphamännchen-Getue haben, aber er sieht dich.«

»Was ist daraus geworden, dass du dich da raushältst?«, schnauzte ich zurück. Sie hob die Hände vom Lenkrad, um ihre Kapitulation vorzutäuschen, und das Auto schlenkerte. Ich funkelte sie an und sie korrigierte den Wagen kichernd.

»Das tue ich. Meistens. Es ist ja nicht so, dass ich dir sage, du sollst dich an ihn binden – das hast du ganz allein getan.«

»Er hat meine Schwester«, erinnerte ich sie.

Nathalie zuckte mit den Schultern. »Du hast mich entführt und ich bin immer noch da«, sagte sie.

Ich war nicht annähernd so amüsiert, wie sie es zu sein schien.

»Ich sage nur, wenn es dich juckt, ist er derjenige, der dich gerne kratzen würde.«

Ich seufzte. »Ich will nur meine Schwester zurück und einen Weg finden, sie aufzuwecken. Das ist alles. Was auch immer sonst passiert, ist alles nur ein Mittel zum Zweck.«

Ich hoffte es. Die Wahrheit war, dass ich alles für Bree tun würde. Aber wenn das alles vorbei war … Ich wusste, dass Ronan auf keinen Fall verschwinden würde, und jedes Mal, wenn ich ihn sah, war ich mehr davon überzeugt.

Aber das waren die Karten, die ich in der Hand hielt. Die Entscheidungen, die ich treffen konnte, um sie zu retten. Solange das geschah, konnte ich mir den Rest später überlegen.

Oder vielmehr herausfinden, wie man mit ihm umgehen konnte.

Kapitel3

Ronan

Mein Blut summte. Mein Fleisch kribbelte.

Sie hatte Ja gesagt.

Der zweite Blutaustausch war in Sicht und leichter zu erreichen gewesen, als ich gedacht hatte – aber zuerst musste ich herausfinden, wer das Restaurantschiff in die Luft gesprengt hatte und was seine Absichten waren.

Wenn Pipers Leben in Gefahr war …, musste ich die Bedrohung beseitigen.

Wenn derjenige es nur auf mich abgesehen hatte, würde mein geheimnisvoller Angreifer eine herbe Enttäuschung erleben. Dämonen und Monster, die diese Welt in Stücke reißen könnten, hatten es bereits versucht und waren gescheitert. Dieses Mal würde es nicht anders sein.