...Als die Noten laufen lernten... 1.3 Komponisten R bis Z - Karin Ploog - E-Book

...Als die Noten laufen lernten... 1.3 Komponisten R bis Z E-Book

Karin Ploog

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Beschreibung

...Als die Noten laufen lernten... bezieht sich auf eine Zeit, als sich Pop noch Unterhaltungsmusik nannte und ihre Komponisten Erfolge ohne Ende verbuchen konnten. Das ehemals große k.u.k. Österreich mit der Achse Wien-Berlin war der Nabel der Welt und ein Wegbereiter der heutigen Popmusik! Eine verrückte Zeit mit ebenso witzig verrückten Kreativen, die die Musik rocken ließen. Nun war es mir möglich, völlig neue Erkenntnisse in die Biografien der U-Musik-Komponist*innen in drei Bänden einfließen zu lassen - ihre Geschichte und Geschichten. Sie schufen die Urform der U-Musik über Operette - Revue - Kabarett - Schlager - Chanson - Song - bis zur Filmmusik. Zwei Weltkriege und besonders ein Unheilsbringer sorgten dafür, dass die meisten von ihnen nach WW2 absichtlich in Vergessenheit geraten worden sind - bitte lesen Sie selbst!

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Inhalt Band 1.3: Komponisten R-Z:

Ralton, Harry

Rathaus, Dr. Karol

Reinhardt, Heinrich

Reisfeld, Bert

Riesenfeld, Dr. Hugo

Rosen, Willy

Rosendorff, Emil

Rosenhain, Jakob

Rothstein, James Jacob

Salter, Hans Julius

Schick, Edgar

Schottländer, Leo Rudolf

Schwarz, Hermann

Senger, Rudolf

Silving, Bert

Spielmann, Fritz

Spoliansky, Mischa

Stein-Schneider, Lena

Stern, Prof. Emil

Stern, Julius Bernhard

Stolz, Robert

Stransky, Otto

Straus, Oscar

Straus, Dr. Leo

Straus, Erwin

Straus, Walter

Tauber, Richard

Translateur, Siegfried

Wachsmann/

Waxman

, Franz

Waghalter-Familie

Waghalter, Ignatz

Waghalter, Beatrice

Waghalter, Wladyslaw

Waghalter, Jolantha

Waldau, Harry

Weill, Kurt

Weinberger, Jaromir

Weinberger, Prof. Karl

Weintraub, Stefan

Weiss, Stefan

Willner, Prof. Arthur

Winterberg, Robert

Wohlauer, Dr. Adolf

Zepler, Dr. Bogumil

Zorlig, Kurt

Nachklang

Bibliografie

Kurz-Biografie Karin Ploog

Band 1.3: Komponisten R-Z:

Ralton, Harry - 02.05.1907 Breslau-08.04.1953 Großbritannien

Karl-Heinz Rosenthal, der unter seinem Ps. Harry Ralton arbeitete, lebte als Komponist laut Nazilex noch 1940 in Breslau.

Für den Berliner musikalischen Schwank „Excellent Max“ (T:Louis Taufstein/J.Bischnitzky) schrieb ein Karl-Heinz Rosenthal 1918 die Musik. Etwas ungewöhnlich für einen im Jahre 1907 geborenen gleichen Namens, zumal die Nazis nur diesen Komponisten in ihrem Lexikon angegeben hatten! Es gibt nur zwei Möglichkeiten: sein Vater oder ein Namensvetter. Vielleicht deshalb schrieb Karl-Heinz Rosenthal unter dem Ps. Harry Ralton; das macht für mich derzeit Sinn - außerdem klang dieser Name für seine U-Musik wesentlich moderner!

Harry Ralton galt als musikalisches Wunderkind und schrieb seine erste Revue sowohl für das Breslauer Lobe-Theater als auch für das Thalia-Theater; zudem war er als Komponist am Breslauer Rundfunk angestellt. Erstmals tauchte er in den Gazetten ab 1927 auf, die sich hauptsächlich auf seine Rundfunkarbeit bezogen. Neues Wiener Journal (29.06.1927): „Die Spielzeit 1926/27 der Vereinigten Theater in Breslau, Intendanz Paul Barnay, wird am 30.06. mit der letzten Aufführung der Revue des Schauspiels 'Saisonausverkauf' von Paul Barnay und Karl Behr, Musik von Harry Ralton, geschlossen.“

Dieses Ritual fand zum Ende einer jeden Theatersaison (bis 1930) statt; im Breslauer Lobe-Theater (09.06.1928) in derselben Konstellation und ein Jahr später dann mit Max Ophüls als Texter. Ophüls' Kinder-Weihnachtsrevue „Fips und Stips auf der Weltreise" (1928) wurde ein Jahr später für die Schlesische Funkstunde als Hörspiel produziert. 1929/30 erarbeitete Ophüls mit Harry Ralton Revuen zu politischen und kulturellen Themen, die von der Schlesische Funkstunde direkt übertragen wurden. Ophüls wurde ständiger Mitarbeiter als Funk-Kolumnist beim Breslauer Sender und produzierte kabarettistische Monatsmagazine mit Harry Ralton.

Mit 22 Jahren (1929) schrieb er kleine Sketsche, wie: „Fräulein Anna Fleck“ (T:F.Rotter) oder „In der kleinen Bar“ (T:F.Rotter). Da Fritz Rotter schon ab 1924 in Berlin lebte, könnte es sein, dass Harry Ralton ab 1928 zeitweilig in Berlin mit ihm zusammenkam. Er schrieb die Musik für den Berliner Kurz-Spielfilm „Ins Blaue hinein“ mit Theo Lingen; musikalische Leitung hatte Alfred Strasser. Ebenso für den 5-Minuten-Film „Eine kleine Liebelei“ (T:F.Rotter/O.Stransky, 26.02.1929) mit dem Gesang von Erich Wirl.

Seinen Wirkungskreis hatte er allerdings noch in Schlesien, wo er mit Max Ophüls in der Schlesische Funkstunde weiter zusammenarbeitete. Da Ophüls nun am Breslauer Schauspielhaus Oberspielleiter war, wurden meist seine Revue-Inszenierungen, die politische und kulturelle Themen beinhalteten, im Rundfunk übertragen. Auch für Ophüls Funkkolumne „Theaterplauderei“ schrieb Harry Ralton musikalischkabarettistische Nummern und zu seiner Radiosendung „Magazin“ mit verschiedenen Prosa-, Dialog- und Songbeiträgen (bis 1931), die sehr erfolgreich waren!

Im Breslauer Theater spielte die „Revue vom Frühling“ (T:M.Selt, 21.03.1930) und bei Radio Breslau um den 10. jedes Monats „Bilanz, die Revue des Monats“ (T:M.Ophüls). Für die Revue „Saisonverkauf 1930“ schrieb das Neues Wiener Journal (13.06.1930): „Ein ganz großer Publikumserfolg, dessen Berechtigung nicht zu leugnen ist. [...] Immerhin liegt über dem Ganzen ein unvergleichlicher Schmiß, von dem Hollaender-Spoliansky lernen könnten! Besonders von Harry Ralton, der eine ebenso graziöse wie freche und elegante Musik geschrieben hat, schlagerreich und melodiös. Ophüls Texte überraschen mitunter durch unpersönlichen Witz und Schärfe, seine Chansons tragen den Charakter einer Mischung von Kästner-Imitation und Brettlkomik, aber starkem und lebendigem Puls, sie sind frisch und gewagt und nicht zuletzt größtenteils - gelungen.“

Eine Rundfunkübertragung aus dem Breslauer Lobe-Theater gab es zum 22.06.1930; auch Radio Langenberg (Köln/Münster/Aachen, 03.08.1930): „Brettl-Lieder der Zeit“ (T:M.Ophüls), gesungen und gesagt von Max Ophüls. Im Januar 1931 zog Max Ophüls nach Berlin, wo er sowohl für das Theater (Komödienhaus) als auch für den Rundfunk (Berliner Funkstunde) arbeitete; hier fand ich die Funkrevue „Bilanz“.

Bei Radio Breslau gab es mit Raltons Musik einen Hörspielauftrag der Schlesische Funkstunde: die Funkposse „Wir haben keine Zeit“ (T:Otto Zoff, 24.04.1931), wieder mit Max Ophüls „Der Mai ist gekommen“ (14.05.1931) unter der Spielleitung von Alexander Runge. Ich nehme an, dass Harry Ralton wohl ab Mai/Juni ganz nach Berlin zog, wo er dann für das Theater komponierte. Seine politischen Chansons wurden von Ernst Busch, dem „Barrikaden-Tauber“, interpretiert. Bei Radio Breslau gab es eine Chansonfolge von Harry Ralton mit dem Titel „Sag deine Meinung mit Musik“ (18.09.1931); und wieder kam ein Hörspielauftrag der Schlesische Funkstunde: das Volksstück „Jeder ist seines Glückes Schmied“ (T:Otto Zoff, 30.03.1932).

Mit der Nazi-Machtergreifung verließ er sofort Deutschland Richtung Wien, worüber das Neues Wiener Journal (19.08.1937) berichtete. Am Theater an der Wien sollte in der neuen Spielzeit das musikalische Lustspiel „Heut abend geh' ich aus“ (T:Rudolf Eger/Leo Lenz/Kurt Schwabach) UA haben, was wohl nicht mehr zustande kam.

Entweder kurz vor- oder nach dem Anschluss hat er sich 1938 in Großbritannien niedergelassen. Dort arbeitete er als Komponist und Musiklehrer für Jazzpiano; auch gründete er seinen kleinen Musikverlag Arcadia Music in London und wurde britischer Staatsbürger. Im Jahre 1948 schien er wohl endgültig offiziell unter Harry Ralton in den Akten eingetragen worden zu sein. Harry Ralton verstarb schon am 08.04.1953 kurz vor seinem 46. Geburtstag in Großbritannien.

Hier noch eine kleine Auswahl seiner Schlager, die fast alle von namhaften Textern geschrieben wurden:

Schlager / Chanson (Auswahl):

Baby, du hast dich verändert - Das ist die Liebe auf den ersten Blick - Das Lied der Liebe ist ein Tango - Das Lied von den Murmeln - Das sang der Großpapa - Du mußt in meine Augen sehn - Eine kleine Liebelei - Gut geht's Kanada, seit die Anna da - Lied von den Murmeln - Mein Herz ist dein - Mein Kind, für dich hab' ich dies Lied gemacht - Sag mir nur einmal, daß du mich lieb hast - Schade, du warst nie allein - Schönste aller Frauen, lausch' meiner Melodie - Sechstagerennen - Was macht Herr Kraus heut' Nacht im Vorderhaus? - Wenn du mich küsst, versinkt die Welt um mich - Wenn ich Geld hab', fahr' ich nach Uruguay - Wenn wir uns später einst wiederseh'n - Wer ist die schöne Schäferin? - Wie wär's mit einer Landpartie zu zwei'n...

Funkposse / Revue:

Bilanz, die Revue des Monats (Funkrevue) - Der Mai ist gekommen (Funk-Posse, 1931) - Fips und Stips auf der Weltreise (Kinder-Weihnachtsrevue, 1928) - Fräulein Anna Fleck (1929) - Heut' abend geh' ich aus! (musikal. Lustspiel, 1937/38) - In der kleinen Bar (1929) - Jeder ist seines Glückes Schmied (Funk-Volksstück, 1932) - Revue vom Frühling (1930) - Saisonausverkauf (Revue, 1927/1929) - Saisonverkauf von 1930 (Posse) - Wir haben keine Zeit (Funk-Posse, 1931)

Uraufführungsdaten:

00.06.1927

„Saisonausverkauf“/

T:Paul Barnay/Carl Behr

09.06.1928

„Saisonausverkauf 1928“/

T:Paul Barnay/Carl Behr

00.00.1929

„Fräulein Anna Fleck“/

T:Fritz Rotter/Sketsch

00.00.1929

„In der kleinen Bar“/

T:Fritz Rotter/Sketsch

00.06.1929

„Saisonausverkauf“/

T:Max Ophüls

21.03.1930

„Revue vom Frühling“/

T:Martin Selt

00.06.1930

„Saisonverkauf 1930“/

T:Max Ophüls

Film:

Eine kleine Liebelei (Kurzfilm, 1929) - Ins Blaue hinein (1929)

Schlager / Chanson nach WW2 (Auswahl):

A Song was born within my Heart (1941) - I remember the Cornfields (1948) - Love in a misty Lane (1950) - Sleepy Eyes (1950) - White Wedding (1951) - You are my Destiny (M/T:Ralton/M:Sydney Baynes, 1951)

Rathaus, Dr. Karol - 16.09.1895 Tarnopol-21.11.1954 Flushing/NY

Tarnopol liegt heute in der Ukraine. Dr. Karol Rathaus soll auch unter dem Ps. Bruno Leonhard gearbeitet haben.

Karl Leonhard Bruno Rathaus wurde am 16.09.1895 im damals zu Polen gehörenden Tarnopol geboren. Derzeit gibt es über seinen Familienstammbaum keine Aufzeichnungen, aber erhalten hat sich, dass er bereits im zarten Alter von fünf Jahren nach Gehör das Klavier zu spielen begann, und mit sieben Jahren kleine Kompositionen schrieb. Er schloss das Gymnasium mit Matura ab und begann sein Studium ab Wintersemester 1913/14 mit dem Fach Komposition bei Franz Schreker an der Wiener Akademie für darstellende Kunst und Musik. 1918 zog man ihn noch zum WW1-Militärdienst ein, wo er bei Kriegsende entlassen wurde.

Bereits 1919 wurde seine erste Sonate für Piano von der renommierten Universal-Edition publiziert und er bekam einen 10-Jahres-Vertrag. Im Jahre 1920 folgte Lieblingsschüler Rathaus seinem Lehrer Franz Schreker an die Berliner Hochschule für Musik, wo er weiter bei ihm Komposition studierte. Am 10.05.1920 fand ein Kammerkonzert vom Wiener Philharmonischer Chor im mittleren Konzerthaussaal statt, wo u.a. auch Novitäten von Karol Rathaus gebracht wurden. Rathaus arbeitete ab 1921 bis 1932 in Berlin. Er war verheiratet mit Gerta und beide hatten einen Sohn namens Bernt. Rathaus war fähig, viele Beethoven-Sonaten und alle Chopin-Klaviermusiken auswendig zu spielen. 1922 erschienen von ihm zwei kleine Klavierstücke, die unter „Grotesken-Album“ liefen und schon für viel Furore sorgten! Im selben Jahr promovierte er an der Wiener Universität zum Dr. phil. und nach Abschluss seines Studiums wurde er Lehrer für Komposition und Musiktheorie an der Berliner Hochschule. Viele seinerzeit berühmte Dirigenten nahmen sich seiner Werke an, wie George Szell, Eugen Jochum, Erich Kleiber und Wilhelm Furtwängler und er feierte große Erfolge!

1924 kamen von ihm u.a. zwei Sinfonien zur UA, wobei der Kritiker der Signale für die musikalische Welt (Heft 12) nicht viel damit anfangen konnte: „Den letzten Tag eröffnete Schrekerschüler Karol Rathaus mit der zweiten Symphonie; expressionistisch aufgeblasene, innerlich hohle Musik.“ ... Nummer zwei (Heft 28) blies ins selbe Horn: „Karol Rathaus 2. Symphonie dagegen langweilte mit ihren ewig gleichen Rhythmen und ihrer bombastischen Aufdringlichkeit.“

Zum 2. Symphoniekonzert der Staatskapelle unter GMD Erich Kleiber (Heft 47, 1926): „Im zweiten Konzert stellte Kleiber vier Tanzstücke für Orchester des 1895 in Tarnopol geborenen Schrekerschülers Karol Rathaus zur Diskussion. Keine erfreuliche Musik! Ihr völliger Mangel an Eingebung, auch an Formungstalent läßt sie mit der Zeit auf die Nerven fallen. Es gab am Schluss [...] den üblichen Kampf der Meinungen.“

Über seine Sinfonie schrieb ein weiterer „berufener“ Kritiker 1927: „Es werden hier die trivialen Marschthemen aus den Sinfonien Mahlers von wahnsinnigen Rothäuten ins Kriegstanzmäßige übertragen und in gemischten Chören 'Pastorale und Tanzweise, Lieder ohne Worte' besteht der Text nur aus a (offen), o (gedeckt), la und m (mit geschlossenen Lippen), ein neuer Gedanke, den man sich eventuell als Spaß, als Spielerei denken kann, der aber als ernste Musik nicht geboten werden darf!“

Die Arbeiter Zeitung (24.04.1925) rezensierte seine fünf Klavierstücke: „Beherrschung der Kunstmittel, Buntheit des Klangbildes und fesselnde Anlage zeichnen diese Arbeit des begabten polnischen Komponisten aus. Die Hörer nahmen sie trotz harmonischer Schwierigkeiten begeistert auf.“ Signale (1927/11) über seine 2. Klaviersonate: „Die Erstaufführung von Karol Rathaus 2. Klaviersonate Op.8. - Das Werk ist, wie es sich bei einem begabten Schrekerschüler von selbst versteht, nicht ohne respektable Beherrschung des Handwerklichen geschrieben, aber es zeugt weder inhaltlich noch formal von stärkerer Gestaltungskraft. Als Ganzes ist es als ein ziemlich sprödes, um nicht zu sagen steriles Opus anzusprechen.“

Für einen Ballettabend an der Berliner Staatsoper schuf er „Der letzte Pierrot“ (T:m.Max Terpis, 1927), der vom Berliner Kritiker der Signale (Heft 20) positiver bewertet wurde: „Der Komponist schrieb die Musik nach einem vorher festgelegten, teilweise von ihm selbst stammenden Szenarium. Er besitzt für seine Aufgabe das Rüstzeug des routinierten Musikers, die leichte Hand im Orchestertechnischen, in der Gestaltung rhythmischer und klangmalerischer Kontraste. [...] Da das Ballett eine parodistische Grundnote hat, ist die moderne, polytonale Satzweise der gegebene Ausdruck für diese Musik, die vom Jazz entwicklungsfähige Elemente aufnimmt und in ernsthafter Weise einem höheren Zweck zuführt. Allenfalls könnte man gegen das interessante Werk einwenden, daß bei ihm, wie bei den meisten Produkten der Moderne, die künstlerische Intelligenz oftmals die primäre Erfindungskraft überragt.“

Doch wenn es um seine symphonischen Werke ging, wurde er meist verrissen, wie auch hier in der Neue Zeitschrift für Musik (Heft 5, 1928): „Bekämpften die Herren Radikalinsky bisher fanatisch jede gefühlshafte Musik, so bemühen sie sich - o quae mutatio rerum! - nunmehr krampfhaft, überall Spuren 'Neuer Romantik' zu entdecken. So der Verfasser der Programmeinführung zur Ouvertüre Op.22 von Karol Rathaus, die im 8. Philharmonischen Konzert unter Furtwängler zur Uraufführung kam. Diese Musik, die angeblich auf eine 'Synthese tonaler und atonaler Ausdruckselemente abzielt', erweckt durchaus den Eindruck des Konstruierten.“

Der Prager Rundfunk brachte schon zum 03.04.1929 eine Sendung mit Kompositionen von Karol Rathaus; dann berichtete das Neues Wiener Journal (26.01.1930), dass Anfang Februar unter der Leitung von GMD Erich Kleiber „Fremde Erde“ zur Premiere kommen sollte; das Libretto schrieb Kamilla Palffi-Waniek, die auch als Konzertsängerin in Wien wiederholt in Erscheinung trat. Diese Premiere wurde erst Dezember 1930 vollzogen.

Zuvor gab es von ihm die Bühnenmusik zu Alfred Döblins „Die Ehe“; sie sollte zuerst in der Inszenierung unter Karlheinz Martin in der Berliner Volksbühne zur UA kommen, doch ging sie zur Premiere am 29.11.1930 nach München. Dann wurde im Prager Tagblatt (12.12.1930) aus Berlin berichtet, dass die Oper „Fremde Erde“ (T:Kamilla Palffi-Waniek) in der Berliner Oper Unter den Linden zur UA kam. Hier wurde das Auswanderer-Schicksal behandelt und der Kritiker Dr. Arno Huth rezensierte folgendermaßen: „Der Name Karol Rathaus hat einen guten Klang; das Buch von Kamilla Palffy-Waniek erfüllt seine Aufgabe, läßt im Musiker schöpferische Kräfte wach werden ... Seine Musik , die russisches Melodiengut und Elemente der Jazzmusik wesentlich einbezieht, ordnet sich dem dramatischen Geschehen unter; dem Kontrast zweier Welten ... die Premiere in der Linden-Oper war, obwohl ungleichwertig und in Einzelheiten anfechtbar, eine gute Leistung. Stärkster Fürsprecher war GMD Erich Kleiber, der als hervorragender Interpret der schwierigen Partitur, der ganzen Aufführung Impuls gab.“

Der Rezensent vom Neues Wiener Journal (30.12.1930): „Rückkehr zur Melodie, Rückkehr zur edlen Linie; zu harmonischen Formen. Man sieht: auch die jungen Stürmer und Dränger bekehren sich zum allein seligmachenden Glauben an die Melodie. Mitten auf diesem Wege scheint der sehr begabte Karol Rathaus zu stehen, ein in Österreich naturalisierter Pole, der in Berlin lebt und dessen Oper 'Fremde Erde' im Opernhaus Unter den Linden ihre Uraufführung erlebte. Im Ganzen scheint er mir eine ausgesprochene 'Moll-Natur' zu sein, welche diesmal unglücklicherweise an einen ausgesprochenen Dur-Text geriet. Die Musik von Rathaus paßt ganz und garnicht dazu. Mehr als ein Versprechen ist das Werk nicht. Das Publikum nahm es mit liebenswürdiger Achtung auf.“

Wieder ganz anders Signale (Nr.40, 1931) und weniger schmeichelhaft: „'Fremde Erde' von Karol Rathaus erwies sich am wenigsten glückhaft. Es war mehr ein Experiment. Für Experimente aber ist hier kein Platz. Das Werk ging nur ganze dreimal in Szene.“

Dann kam auch der Tonfilm auf ihn zu und er schrieb die Musik für den Kultfilm „Der Mörder Dimitri Karamasoff“ (OT:Dostojewski/T:Leonhard Frank, 1931) unter der Regie von Fedor Ozep; mit Fritz Kortner, Anna Stern, Fritz Rasp; die Dialogleitung hatte Erich Engel. Für das berühmte jüdische Theater Habima, was im damaligen Palästina ansässig war, und sich auf Welttournee befand, schrieben die modernen Komponisten Ernst Toch und Karol Rathaus die musikalischen Untermalungen für zwei Inszenierungen des Gastregisseurs Alexis Granowsky als neuartige Gestaltungen einer expressiven Bühnenkunst. (Neues Wiener Journal, 15.03.1931)

Die deutsch-französische Lustspielkomödie „Hallo Paris! Hallo Berlin!“ (Manuskript/R:Julien Duvivier, 30.03.1932) kam mit seiner Musik als EA in das Wiener Apollo-Kino. Dem folgte „Die Koffer des Herrn O.F.“ (D:L.Lania/A.Granowsky/R:Granowsky) zum Juni 1932, wofür Erich Kästner die Songtexte zu Rathaus Musik schrieb.

Das Prager Tagblatt (20.07.1932) berichtete, dass das Konservatorium Klindworth-Scharwenka in Berlin seine Film- und Rundfunkabteilungen zu einem Institut für Mikrofonforschung (Lehr- und Versuchsstätte für künstlerische und wissenschaftliche Ausbildung) ausgebaut und erweitert hatte. Die Lehrtätigkeit sollte zum 01.09.1932 aufgenommen werden. Der Direktor der Anstalt Robert Robitschek, ein gebürtiger Prager und Schüler Anton Dvoraks, erklärte, dass viele modernste Maschinen zur Verfügung stünden und als Dozenten Dr. Guiseppe Becce, Paul Dessau, Dr. Kurt London, Dr. Karol Rathaus, Marc Roland, Vladimir Vogel und Wolfgang Zeller berufen wurden. Der Tonfilm „König Pausole“ (R:Alexis Granowsky, 01.09.1932) nach dem Roman von Pierre Louys und mit Emil Jannings, hatte Wiener UA; daraus die Schlagerlieder: Von dir hab ich geträumt und Hörst du, wie leise der Nachtwind rauscht. Hier rezensierte die Österreichische Filmzeitung (02.09.1932): „Die lebensfrohe Atmosphäre des Films wird von der eigenwilligen, originellen Musik von Karol Rathaus wirksam unterstrichen.“

Am 16.12.1932 gab es in der Wiener Scala die Premiere der neuesten musikalischen Dolly-Haas-Filmkomödie „Großstadtnächte“ (D:F.Ozep/ H.H.Zerlett/R:F.Ozep); die Kritik: „Verbunden werden die Szenen nur durch den musikalischen Rhythmus, dem Karol Rathaus dem Film verlieh. Die Musik von Rathaus wirkte temposteigernd, treibe die Handlung vorwärts, auch die Lieder, deren Text von Walter Mehring stammt, fügen sich in den Film ein, ohne seinen Ablauf zu verzögern.“

Karol Rathaus gehörte damit zu den künstlerisch herausragenden Persönlichkeiten Deutschlands! Das endete schlagartig mit der Nazi-Machtergreifung im Januar 1933, wo sofort Blätter wie die Neue Zeitschrift für Musik ihre Verbalinjurien über die Leserschaft streuen mussten; hier nur ein kleiner Ausschnitt dessen: „Mit dem Januar begann eine auffällige Inflation jüngster Musikschöpfungen. So mussten wir einen ganzen Abend amerikanischer Musik über uns ergehen lassen, die wieder von der unzureichenden Fähigkeit zu eigenem Denken in den Werken [...] überzeugte. Die 'Internationale Gesellschaft für Neue Musik' meldete sich mit schaudererregenden Tonkonglomeraten zu Worte, darunter eine Jazzraserei von Karol Rathaus, betitelt 'Serenade'.“

Es gab noch eine Mitteilung in der Neue Zeitschrift für Musik (1933) über eine stattgefundene Premiere von Karol Rathaus „Das Glück der Flibustier“ im Kölner Schauspielhaus ... dann war endgültig Schluss. Im Dritten Reich galt seine Musik dann als „entartet“ und wurde mit einem Aufführungsverbot belegt. Ebenfalls 1933 meldete sich Nazi Hans Hinkel zu Wort: ...„Karol Rathaus zählte ehedem zu den Vertretern der 'neuen Musik'. Wie sehr er sich im Laufe der Jahre gewandelt hat, bekam man neuerdings durch die Aufführung seiner 'Suite zu Uriel Acoste' [...] zu erfahren.“ ...

So wie es aussah, emigrierte Karol Rathaus wohl zunächst nach Wien. Dort gab es ab April einige Aufführungen seiner Werke: zunächst bei Radio Wien (07.04.1933); dann schrieb die Kleine Volks-Zeitung (31.08.1933): „Heute 'Concordia'-Premiere 'König Pausole'-Premiere und die Uraufführung im Löwenkino zugunsten der Wohlfahrtseinrichtungen des Journalisten- und Schriftstellervereins 'Concordia'.“

Unter dem Titel „Polnische Musik der Gegenwart“ erschien ein großer Artikel bei Radio Wien (08.09.1933) zum Konzert der Wiener Symphoniker (10.09.1933), wo Dr. Rudolf Reti über Karol Rathaus schrieb: „Eine Eigenstellung in der Reihe der hier zu einem Programm vereinigten Komponisten [Anm.:Karol Szymanowski, Gregor Fitelberg, Witold Maliszewski] nimmt Karol Rathaus ein. [...] Er gehört schon zeitlich einer anderen Generation und daher auch künstlerisch gewissermaßen einer anderen Musikgesinnung an. Seine Hauptstudienzeit verlebte er als Schüler Schrekers in Wien und so wurzelt auch seine Kunst weniger im Musikboden seines Landes als in den Grundsätzen der radikal-modernen Musikentwicklung unserer Zeit. Indem er sich aber hütete, sein Schaffen in theoretische Konstruktionen abgleiten zu lassen, fand er bald den Weg zu breiterem Erfolg. Nach einigen gelungenen Opernwerken hat er sich letztlich auch mit Glück dem Tonfilm zugewendet. Die von ihm zur Aufführung gelangende 'Ouvertüre' ist ein wirksames, klangfeines Stück von straffer, klarer Gestaltung.“

Dann schien sein Weg nach Paris zu führen, um von 1934-1938 nach London zu emigrieren, wo seine Musik für das russische Ballett „Le lion amoureux“ (1937) in Covent Garden uraufgeführt wurde. Doch im Londoner Blitz verbrannten sowohl sein gesamter Besitz als auch viele seiner Original-Partituren! 1938 emigrierte Rathaus mit seiner Familie endgültig in die USA, wo er sich in New York niederließ. 1940 erhielt er eine Professur für Komposition am gerade drei Jahre alten Queens College. Dort war er hoch angesehen und sehr beliebt, als Komponist sehr kreativ und produktiv. Karol Rathaus komponierte Auftragswerke, aber auch für die Filmindustrie; doch war er dort nie wieder so erfolgreich wie in Europa vor 1933. Auftragswerke entstanden für die New Yorker Philharmoniker, das Louisville Orchester, St. Louis Symphonieorchester und Queens College Choralgesellschaft; auch Artur Rubinstein spielte seine Werke. Er schrieb Musik für Dokumentarfilme, wie verschiedene Filme über Palästina und einen über die Gründung der United Nations.

Wegen seiner Filmarbeit für einen Hollywood-Film, plante er zuerst an die Westküste zu ziehen, doch dann entschied er sich weiterhin für New York. 1948 hatte seine Symphonie „Vision Dramatique“ mit den New Yorker Philharmoniker unter Dirigent Dimitri Mitropulos ebenda Premiere. Rathaus war Mitglied und Präsident vom Weltpräsidium des Weltzentrums für jüdische Musik in Palästina. Im Jahre 1952 trat die Metropolitan Opera an ihn heran, um Mussorgskis Oper „Boris Godunow“ auf die Standard-Fassung von Rimsky-Korsakow zu revidieren; damit entstand eine authentische Fassung der Original-Oper. Leider verstarb Karol Rathaus schon im Alter von 59 Jahren am 21.11.1954 in New York. Freunde und Kollegen gründeten daraufhin die Karol Rathaus Memorial Association, um Rathaus Musik weiter in die Öffentlichkeit zu tragen.

Man bezeichnet ihn als Neuromantiker mit kontrapunktischem Satz. Neben der Bühnenmusik zum Drama „Uriel Acosta“ schrieb er eine konzertante Orchesterserenade, Musik für Streicher, Violinkonzerte (Suite), 5 Streichquartette, Trios, Duos, Kammermusik, Serenaden, Sonaten, Klavierwerke und drei Calderón-Lieder. Für das Habima-Theater schrieb er drei Sinfonien. Es entstanden die Ballette „Der letzte Pierrot“ (1927/Staatsoper Berlin) und „Le lion amoureux (1937/Covent Garden London), die Oper „Fremde Erde“ (1931), das Oratorium „Diapason“ (1952) und die Neufassung von Mussorgskis Oper „Boris Godunow“ (1952). Im Nazi-Index sind nur das Ballett und die beiden Tonfilme aufgelistet; dort der Kommentar: „R. ist Vertreter der atonalen Schule, seine Musik zu Tonfilmen ist gekennzeichnet durch krasseste Dissonanzwirkungen und primitive Maschinenrhythmen.“

Für heutige Kritiker gilt Karol Rathaus als einer der begabtesten polnischen Tonschöpfer seiner Generation. Er war die große Hoffnung der Musica Nova! Man verglich ihn zwar mit Mahler, Schreker und dem frühen Schönberg, doch verfolgte er einen unvergleichlichen, sehr eigenen Musikstil. Er passt glücklicherweise in keine Schublade, wie er selbst zugab! Eine Wiederentdeckung seiner Werke in Europa würde sich sicherlich mehr als lohnen!

Ballett:

Der letzte Pierrot (1927)

Oper:

Fremde Erde (1930)

Bühnenmusik :

Die Ehe (1930) - Das Glück der Flibustier (1933)

Film (Auswahl):

Der Koffer des Herrn O.F. (1932) - Der Mörder Dimitri Karamasoff (Les frères Karamazoff/1931) - Großstadtnächte (1932) - Hallo Paris! Hallo Berlin! (1932) - König Pausole (1932)

Ballett in der Emigration:

Le lion amoureux (1937)

Film in der Emigration / USA (Auswahl):

Amok (1934) - Histadrut. Builder of a Nation (1945/USA) - Laßt uns leben (1939) - Mirages de Paris (1934) - Histadrut. Builder of a Nation (1945/USA)

Reinhardt, Heinrich - 13.04.1865 Preßburg-31.01.1922 Wien

Preßburg heißt heute Bratislava, Hauptstadt der Slowakei.

Heinrich Reinhardt wurde am 13.04.1865 unter dem Nachnamen Stern in Preßburg geboren. Sein Großonkel war der berühmte Violinvirtuose und Komponist Miska Hauser (1822 Preßburg-08.12.1887 Wien/lebte fast stets auf Reisen/schrieb „Wanderbuch eines österreichischen Virtuosen“). Über sein Elternhaus ist soweit nichts bekannt, doch konnte ich den Namen seiner Mutter Regine Stadler, geb. Fischer (1832-24.03.1905), ausfindig machen; auch hatte er einen Bruder Eduard Stern.

Zu:nicht nur seine Mutter verstarb nach langer Krankheit, auch am 22.11.1917 sein Bruder, Herr kaiserlicher Rat Eduard Stern, Vorstand der Wechselstube Alsergrund des Wiener Bankvereins. Er war in der von ihm vor 25 Jahren geschaffenen Bankniederlassung sehr erfolgreich, auch verfügte er über eine selten umfassende und hervorragende künstlerische, musikalische Begabung. Er hinterließ nach kurzer Krankheit seine Frau und vier Kinder.

Heinrich Reinhardt absolvierte das dortige Obergymnasium, studierte gleichzeitig Klavier, Violine und Musiktheorie beim Preßburger Domkapellmeister Karl Mayrberger, Instrumentation bei Viktorin und Kopetzky. Nach Absolvierung der Schule war er von seinen Eltern für den Kaufmannsstand bestimmt worden, doch widmete er sich gegen den Willen seiner Angehörigen bald ganz der Musik. Im Jahre 1881 kam er sechzehnjährig nach Wien, wo er seine Studien bei Anton Bruckner und Mocker fortsetzte. In der Wiener Fremdenpresse (06.02.1922) las ich, dass er seine Gymnasialzeit und Hochschulstudien auf der medizinischen Fakultät fortsetzte, und in Wien das Konservatorium besuchte, wo er frühzeitig mit einer Anzahl sehr beachteter Werke in die Öffentlichkeit trat. Nun, die damalige Wirklichkeit sah zunächst weniger rosig aus!

Zunächst arrangierte und orchestrierte er als Gelderwerb eine Unzahl von Amateur-Operetten, und versuchte es zunächst als Komponist auf den verschiedensten Gebieten mit Liedern, Männerchören, Tänzen und Instrumentalstücken. Im Jahre 1884 trat er erstmals als Arrangeur von Ziehrers „Wiener Bürger“ beim Wiener Verlag Lewy in Erscheinung.

Dieser Verlag gab acht neue Lieder (1890) von ihm heraus: Willkommen, du Gottes Sonne - Morgenständchen - Mädchen mit dem blonden Haar - Es wiegte der wallende Abendwind - Es ragt ins Meer der Runenstein - Herbststimmung - Abendfrieden - Curiose Geschichten. Die Kritik: „So verschieden die einzelnen Lieder in Stimmen, Charakter und Mache sind, zeichnen sie sich gleichmäßig in der Vollendung der Form und des Melodienreichtums aus.“

Im Dezember 1893 wurde die Wiener Musik- und Theatergesellschaft neu gegründet, und im Januar 1894 fand der erste Gesellschaftsabend im Großer Musikvereinssaal statt. Dabei gab es unter der Direktion von Richard Lewy und Reinhardt seine für Chor und Orchester komponierte „Carnevalhymne“. Seinen Österreichisch-ungarischen Armeemarsch (1894) widmete er dem k.k. Kriegsminister Edler von Krieghammer G.d.R. Saison 1894/95 entstanden mit dem Wiener Schriftsteller Hans Koppel folgende Werke: die Ballett-Pantomime „Kunst und Comp.“ (auch Kunst und Co.) für das Prager Theater, die Oper „Der Söldner“ für Prag und Leipzig; und „Die Minnekönigin“ (Komödie/OT:Hans von Gumppenberg) arbeiteten sie zu einer komischen Oper um; doch hatte er damit keinen Erfolg. Zumindest gab es erste Konzertabende mit seinen Liedern, wie: Der Traum - Die Mühle, die dreht ihre Flügel - Sommernacht - Noch ist die blühende goldene Zeit - Es saßen drei Kameraden - Treu bis in den Tod - Zechmotiv - Hütet Euch!

Als eine brillante Novität kündigte man sein heiteres Soloquartett „Eine kakadumme Geschichte“ an; und auch nach dem ersten erfolgreichen Armeemarsch kam sein „Vivat Austria“ (1897) auf den Markt, der sich, laut Kritik, wieder durch originelle Erfindung und zündende Rhythmik auszeichnete. Im selben Jahr arrangierte er zum Gelderwerb Werke anderer Komponisten, worüber er später zu berichten wusste! Doch musste er sich auch als Musikreferent bei Wiener Tageszeitungen mehr schlecht als recht durchschlagen. Ab 1896 wurde er Musikkritiker vom Wiener Tagblatt, war Musikreferent der Extrapost und der Musikalische Rundschau; später folgte dann für kurze Zeit das Neues Wiener Journal.

Zu einer lebhaften deutschen Kundgebung kam es zum Stiftungsfest des 55. Jubiläumskonzertes vom Wiener Männergesangsverein (07.11.1897). Ein neuer Chor „An Deutsch-Österreich“ mit Gedichten von Felix Dahn und in Musik gesetzt vom Vereinsmitglied, dem jungen Komponisten Heinrich Reinhardt. Dieses Stück musste zweimal wiederholt werden und das Publikum stand Kopf! Es wurde ein Kampflied der Deutschen in Österreich, ging danach durch sämtliche Gazetten, und viele Vereine übernahmen es. Zu der Zeit müsste Heinrich Reinhardt auch Adele (Adolfine) Rova geheiratet haben; dieser Ehe entstammten die Söhne Walter und Hans und die Töchter Grete (heiratete Heinrich Groß) und Anny (heiratete David Vaage, Enkelin Hjördis Vaage).

Zu: Hans Reinhardt(24.02.1901 Wien-05.08.1953 Berlin) war Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. Schon 1928 wurde über die Karriere des jungen Wieners in Hollywood berichtet, wo er zunächst unter Harry Reinhardt lief! Er war schon ein Jahr davor bei Erich von Stroheim in einer Rolle tätig gewesen und nun drehte er in Hollywood. Dort wurde er von der MGM als technischer Direktor verpflichtet und spielte eine Hauptrolle in deren Film „Adrienne Lecouvreur“ (27.10.1928). Aus Harry wurde John Reinhardt, Darsteller einer der Hauptrollen in „The Climax“ (Prager Tagblatt, 01.03.1929) Fotos von le Fox mit John Reinhardt (29.11.1930); Darsteller unter Wilhelm Dieterle in „Der Tanz geht weiter“ (Warner Bros./Deutschland, 03.11.1930), gefolgt von „Das Land ohne Gesetz“ (09.02.1931) - Naturaufnahmen in Alaska (28.09.1932) ab März 1934 war erstmal Schluss. Weiter ging es mit „Mr. Moto in Danger Island“ (Drehbuch/20th Century Fox/USA 07.04.1939). In Deutschland nach WW2: „Man nennt es Liebe“ (Regie/Drehbuch mit Peter Berneis/Oska-Film, München, 09.06.1953) und „Briefträger Müller“ (Vorlage: Ernst Neubach/Berolina Film, 01.10.1953 Stuttgart), wo er Regie führte und während der Dreharbeiten verstarb; Heinz Rühmann führte dann die Regie zu Ende.

Zunächst ging es im November 1897 weiter mit kleineren Stücken, wie „...die reizende fein humoristische Composition 'Heitere Serenade' (T:C.v.Reindl) von Heinrich Reinhardt, eine textlich und musikalisch gleich famose Satyre auf die 'Moderne Kunst'.“ Hier erntete das Quartett Beamt den meisten Applaus und hatte damit einen durchschlagenden Erfolg! Die Kritik: „Textlich und musikalisch eine der besten Nummern der letzten Jahre auf dem Gebiete des feinkomischen Genres.“

Dann brachte ihm seine erste Operette „Das süße Mädel“ (T:L.Stein/A. Landesberg, 25.10.1901) im Carltheater einen durchschlagenden Erfolg, mit dem er wohl so nicht gerechnet hatte: es wurden über 200 en suite Aufführungen! Dieses „Süße Mädel“ erweckte die schon tot geglaubte Wiener Operette mit einem Schlag wieder zu neuem Leben und eine neue Glanzperiode brach an! Hier eine Rezension aus Der Humorist (01.11.1901): „Bei Bühnenwerken von Journalisten ist Vorsicht geboten, denn es geht nach dem Motto: Lobst Du meine Posse, lobe ich Dein Schauspiel etc. Eine Parole, die vor der Uraufführung von Journalisten-Stücken ausgegeben wird. Am 25.10.1911 fand wieder einmal die Premiere einer Operette 'Das süße Mädel' statt, deren Autoren zu der hiesigen Tagespresse in engem Kontakt stehen: Alexander Landesberg, Redakteur der Österreichischen Volkszeitung - Leo Stein, bisher journalistisch unbemakelt, Heinrich Reinhardt, Musikkritiker des Wiener Tagblatt.“ So die erste Aussage des Kritikers, doch ihm gefiel diese Novität ungeachtet dessen sehr! Die Operette hatte einen großen und ehrlichen Erfolg: ...„noch auch die gehässigen und wüsten Schimpfereien der Koprophorsammler [Anm.: Kotfresser] von der antisemitischen Gilde, die den Autoren ihr bißchen Judentum übelnehmen. Geradezu meisterhaft ist die Instrumentierung, kurz: die Reinhardt'sche Musik singt und klingt.“

Es folgte ebenda „Der liebe Schatz“ (T:A.Landesberg/L.Stein, 30.10.1902), die auch am Berliner Central-Theater angenommen wurde; bereits im Jahre 1903 übernahmen 55 deutsche und österreichische Bühnen diese Operette. Der Humorist (01.11.1902): „Dieses Jahr ist es 'Der liebe Schatz' im Carltheater: sollte es mit dem liebenswürdigen, stets frohgelaunten und fidelen Heinrich Reinhardt so weitergehn, dann erreichte er den höchsten Rekord unter sämtlichen Operettenkomponisten der Welt - der verstorbenen und der noch lebenden - dann ist er der Richard Wagner der Wiener Operette. Er komponiert zwar keine Zukunftsmusik, sondern populäre Musik aus der schönsten Vergangenheit. Eine Uraufführung mit durchschlagendem Erfolg.“

Das Neues Wiener Journal (17.01.1903) schrieb unter der Überschrift „Hinter den Kulissen“ um Ghostwriter! Dort berichtete man, dass Heinrich Reinhardt der stille Kompagnon von so manchem Komponisten gewesen war, bis er selbst mit seinem „Süßen Mädel“ Erfolg hatte. Es ging ihm davor schlecht, sehr schlecht und er suchte zu verdienen, wo er nur konnte. Als Musiker vom Fach warf er sich auf's Instrumentieren; dazu musste er auch mitkomponieren nach dem Motto: „Ich bitte Sie, diesen Walzer, den ich soeben entworfen habe, zu vollenden und in der Instrumentation gleich einzubeziehen!“ Reinhardt setzte nun die ihm geschickten vier Takte zu einem schönen Walzer zusammen. Der andere zahlte 100 Gulden für einen Akt; ein karger Verdienst! Zudem wurde er auch noch säumig bezahlt, sodass er klagen musste und dann dem Komponisten das Pferd gepfändet wurde. Sehr viel Kurioses kam dabei heraus: so spielte dann eines Tages ein Komponist seinem Ghostwriter den Walzer vor und meinte dazu, dass ihm der letzte Teil doch mehr als gelungen war - klar, den hatte Reinhardt geschrieben!

Dann war Heinrich Reinhardt selber dran: Das Neues Wiener Tagblatt (21.07.1903) berichtete unter „Das besteuerte Süße Mädel“: Reinhardt wurde von der Finanzbehörde aufgefordert, sein Einkommen für das Jahr 1901 anzugeben, wobei er dann schrieb, dass er als Schriftsteller 2.800 Kronen vereinnahmt hatte, sonst kein weiteres Einkommen bezog; demzufolge wurde seine Steuer auf 32 Kronen festgesetzt. Eines Tages erhielt er dann ein Schreiben der Steueradministration, laut welcher er nach §239 des Gesetzes vom 25.10.1896 wegen „Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 12.352 Kronen verurteilt wurde“, außerdem habe er noch 1.428 Kronen ordentliche Steuer nachzutragen.

Es ging darum, dass die Tantiemen zum „Süßen Mädel“ schon ab Oktober 1901 aus dem Carltheater flossen und er hätte seit dieser Zeit für das Jahr 1901 die „mutmaßliche Tantiemeneinnahme für ein Jahr“ zu fakturieren! Weil er dieses verschwieg, läge nun eine strafbare Steuerhinterziehung vor. Dazu stellte der Steuersachverständige fest, dass Reinhardt in einem Jahr mindestens 30.000 Kronen Tantiemen Einkommen beziehen würde, aus den Provinzaufführungen 5.000 Kronen, 6.000 Kronen aus dem Verkauf des Verlagsrechtes, damit hätte er 41.000 Kronen Jahreseinkommen erzielt und ungesetzlicherweise verschwiegen, wofür er 1.428 Kronen Steuern nachzuzahlen habe; außerdem würde er selbst mit dem neunfachen dieses Betrages - gleich 12.852 Kronen - bestraft. In der Verschweigung der Einnahmen ab Oktober läge die strafbare Steuerhinterziehung! Reinhardt bestritt, ein Einkommen aus seiner Operette von Oktober bis Dezember 1901 gehabt zu haben, da er zwar in diesem Zeitraum 5.825,62 Kronen Tantiemen erhalten-, dem gegenüber aber 6.679,90 Kronen Ausgaben (Drucklegung, Partituren, Honorare für Librettisten, sowie Geschenke für Blumen und Kränze) hatte. Das ließ das Finanzamt nicht gelten, welches auf Fakturierung bestand; zudem seien diese Ausgaben wohl nicht unbedingt notwendig gewesen! Und die Unkenntnis des Steuergesetzes rechtfertigte nicht sein Handeln.

Das führte nun dazu, dass Reinhardt durch Regierungsrat Dr. Steger Einspruch erhob und dieser darauf hinwies, dass die angegebenen Ausgaben durchaus erforderlich waren; somit das Defizit rechtens war. Man wies nach, dass ein Defizit/Auslagen notwendig gewesen waren - eine mutmaßliche Berechnung sei also ausgeschlossen. Zudem wäre ein Künstler nicht in der Lage, gleich einem Geschäftsmann, einen mutmaßlichen Jahresbetrag seines Werkes vorauszubestimmen; es könnte nämlich auch sein, dass das Werk durchfiele, was schon vielen Kollegen passiert war. Die Steuerbehörde erkannte „dem Rekurs wird dahin Folge gegeben, dass von der mit 12.852 Kronen bemessenen Strafe 12.792 Kronen abgeschrieben werden, so daß eine Geldstrafe von 60 Kronen verbleibt, da wohl ein Rechtsirrtum vorlag.“ Da es keine weiteren Instanzen gab, wurde diese Schuld vom Komponisten beglichen.

Dann machte der Schriftsteller Heinrich Reinhardt ab 14.08.1903, aus Wien kommend, im Ischler Hôtel zur Post Station; um dieselbe Zeit war auch Leo Stein anwesend. Zum Oktober 1903 wurde Reinhardt in den Direktionsrat der Autoren-Gesellschaft, einer Vereinigung zum Schutz der Autoren und Komponisten, gewählt. Nun zeigte auch das Theater an der Wien Interesse an ihm, und so kam dort „Der Generalkonsul“ (T:A.Landesberg/L.Stein, 29.01.1904) zur Premiere. Für Der Humorist (21.03.1904) war diese Operette der Schlager der Saison und wurde da schon über 50mal gespielt. Zum August 1904 machten diesmal der Komponist Heinrich Reinhardt plus Frau, Kindern und Dienern in Bad Ischl Ferien. Im Dezember 1904 wurde in den Gazetten darüber berichtet, dass Reinhardt an einer neuen Operette schrieb: das von Franz von Schönthan bearbeitete Lustspiel von Moser „Krieg im Frieden“ (T:J.Wilhelm) sollte bei Gabor Steiner im Mai 1905 im Venedig in Wien über die Bühne gehen! Doch im April teilte Der Humorist mit, dass Direktor Steiner sein Sommertheater im Englischen Garten mit einem anderen Stück eröffnen müsse, denn diese Operette sei von den Autoren zurückgezogen worden.

Am 24.03.1905 verstarb seine Mutter nach langer Krankheit im Alter von 73 Jahren, was ihn und seinen Bruder Eduard Stern wohl sehr getroffen hatte. Dann gab es eine Homestory in Sport und Salon (15.04.1905), wo er an seinem großen Flügel saß: „Heinrich Reinhardt, der bekannte Komponist hat seine, in unmittelbarer Nachbarschaft der Sternwarte gelegene Villa zu einer Sehenswürdigkeit für Kunst- und Antiquitätenfreunde ausgestattet. Fast sämtliche Räume des Hauses sind antik möbliert. In kunstfertig gestalteten Vitrinen findet man alles an Nippes und Porzellan, was berühmt und teuer ist. Zudem prachtvolle Empire-Bronzen, mächtige figurale Uhren, Kandelaber etc. An den Wänden glänzen rare Appliken zwischen berühmten Miniaturgemälden und andere berühmte Maler. Die größte Rarität der Sammlung ist der als beispiellos berühmte Napoleon-I-Salon, der ein Museum für sich bildet. Vom Kronleuchter bis Enterieur ist alles Napoleon I.: seltene Stücke, Begebenheiten aus Napoleons Leben und ein Orgelwerk, welches Stücke aus der Empire-Epoche wiedergibt. Ein besonderes Glanzstück: das in Rotbronze ausgeführte Originalmodell des auf dem äußeren Burgplatz aufgestellten Erzherzog-Karl-Monument von Anton Fernkorn - es ist fast ein Meter hoch und dreiviertel Meter breit. Fernkorns Original-Figur wurde ohne Fahne in der Rechten geschaffen. Dieselbe wurde erst später gegen den Willen Fernkorns angebracht.“

Der Humorist (01.08.1905) berichtete über das Theater in der Josefstadt, wo das Volksstück mit Gesang „Bürgersleut“ (T:Rudolf Hawel/Hans Koppel) im Januar 1906 mit Reinhardts Musik und den Protagonisten Hansi Niese und Girardi aufgeführt werden sollte; leider fand ich nichts davon im Theater-Almanach! Dann kam es auf den Proben am Carl-theater zu „Krieg im Frieden“ mit dem Chorpersonal und Orchester, was in der Arbeiter-Zeitung (25.01.1906) unter „Umgangsformen eines Librettisten“ zu Papier gebracht wurde. Im Bezirksgericht Leopoldstadt wurde eine Massenklage verhandelt: 48 Leute des Chorpersonals vom Carltheater gegen Julius Wilhelm wegen Ehrenbeleidigung! Der Grund: Reinhardt hatte in der Weihnachtsausgabe des Neues Wiener Journal einen Artikel veröffentlicht, wodurch sich das Chorpersonal beleidigt fühlte. Danach kam es bei Proben zu „Krieg im Frieden“ zu einer Demo gegen ihn; Librettist Julius Wilhelm rief daraufhin dem Chorpersonal zu: „Das ist eine Gemeinheit, Frechheit, Büberei, Lumperei, Schweinerei!“, und was desgleichen zarte Ausdrücke mehr waren; und deshalb klagte nun das Chorpersonal. Julius Wilhelm bedauerte gegenüber dem Chor sein „Schimpflibretto“ und bat um Verzeihung, die der Chor dann auch annahm!

Die Premiere von „Krieg im Frieden“ (T:J.Wilhelm, 24.01.1906) war im Carltheater ein voller Erfolg und erhielt sehr gute Rezensionen; kurz darauf wurde sein Walzer „Erste Liebe“ auf allen Faschingsbällen gespielt. In den Jahren 1906/07 fand ich sehr viele Musik-Rezensionen von Reinhardt im Neues Wiener Journal; auch unter „Passionsweg des Komponisten“ (30.12.1906) die Beschreibung seines Musikerdaseins: „Der die Freuden des Tonkünstlers behandelnde Teil würde wohl kaum allzu breitspurig ausfallen; umso mehr Platz müsste jedoch die Beschreibung der zahlreichen Lebensstationen mit ihren mannigfaltigen Bitternissen und Enttäuschungen beanspruchen.“ Reinhardt beschrieb, wie dornenvoll der Weg eines Komponisten sei, denn er hätte ein wahres Riesengebirge von Hindernissen zu nehmen, bevor es überhaupt gelänge, endlich eine Bühne für sein Erstwerk gefunden zu haben. Danach hätte er sich gegen etwaige Allianzen und Feindseligkeiten durchzusetzen! Man sei in vielen Kreisen förmlich aufgebracht gegen neue Leute und hätte für sie nur Gleichgültigkeit oder Geringschätzung und ungünstige Vorurteile. Gelänge ihm dann ein Erfolg, dann bekäme er so viel Widersacher wie Sand am Meer. Der Komponist müsse sich mit jedem Werk neu beweisen. Zweidrittel eines Komponistenlebens verrännen unter aufreibenden, verzehrenden Vorkämpfen für einen Erfolg und das dritte und letzte Lebensdrittel würde das Bemühen absorbieren, den mühevoll und sauer erworbenen Platz zu behaupten und sich von einer etwas just herrschenden Eintagsströmung nicht fortreißen zu lassen. Nur ein großer Erfolg vermöge den Komponisten für alles zu entschädigen; dieser verlangte: neben einer tauglichen Musik - 1. ein gutes Libretto - 2. eine gnädige Presse - 3. ein empfindliches Publikum. Doch jeder neue Erfolg hieße: Sich selbst übertreffen! ... so Heinrich Reinhardt.

Durch diese-in einem Nekrolog(!) über Josef Hellmesberger(!!) vorkommende, förmlich bei den Haaren herbeigezogene Auslassung-habe ich mich-begreiflicherweise-persönlich beleidigt gefühlt und zu Herrn Dr.J.Korngold zwei Freunde, einen k.u.k. Ulanenrittmeister und einen hohen Beamten, mit dem Auftrage entsendet, entweder eine mich vollständig befriedigende schriftliche Erklärung des Herrn Dr.Korngold zu veranlassen oder ihm mitzuteilen, daß ich unbedingt eine ritterliche Austragung dieser Angelegenheit wünsche und erwarte. Herr Dr.Korngold erklärte meinen in seiner Wohnung erschienenen Freunden, daß er die von mir beanstandeten provozierten Ausfälle nicht als eine Überschreitung seines Rechtes als Kritiker betrachte, 'daß er über seine Haltung in dieser Angelegenheit erst seine Redaktion befragen müsse (!) und daß er seine Vertreter namhaft machen werde.' Gestern früh erhielten meine Vertreter das nachfolgende Schreiben:

'Euer Wohlgeboren! In Vertretung des Herrn Dr.Julius Korngold teile ich Ihnen mit, daß mein Herr Klient nach der-wie in Aussicht gestellt-mit der Redaktion des Blattes, dem er anzugehören die Ehre hat, gepflogenen Rücksprache nicht in der Lage ist, von dem Standpunkte abzugehen, Auseinandersetzungen und Erklärungen bezüglich Veröffentlichungen kunstkritischer Natur (!) abzulehnen. Es ist dies der Standpunkt, den in dieser Frage die gesamte Publizistik einnimmt und der auch Ihrem Herrn Mandanten bekannt sein müßte. Ich zeichne hochachtungsvoll Dr. Eduard Conmont, Hof- und Gerichtsadvokat. Wien den 30. April 1907'.“

Heinrich Reinhardt schrieb, dass nachdem seine beiden Vertreter dieses Schreiben erhielten, über eine lange Zeit berieten, aus dem sie dann ein Protokoll verfassten, woraus Reinhardt dann das Wichtigste und Charakteristischste mitteilte. Wie schon erwähnt, fühlte er sich durch diesen Artikel persönlich verletzt, da er der Öffentlichkeit gegenüber als minder gebildeter Musiker dargestellt wurde. Reinhardt wollte eine ritterliche Austragung herbeiführen (sprich:Duell), weswegen er seine zwei Freunde zu Dr. Korngold schickte. Fazit seiner Sekundanten: Dr. Korngold war weder bereit zu einer Ehrenerklärung noch zu einer ritterlichen Austragung dieser Angelegenheit. Nun erhielten seine Freunde das Schreiben von Dr. Conmont, Vertreter oder Zeugen des Herrn Dr. Korngold waren nicht erschienen. Worauf die Gefertigten hiermit erklärten ...„daß Herr Heinrich Reinhardt bemüht war, die ihm zugefügte, respektive von ihm als solche aufgefaßte Beleidigung auf ritterliche Weise auszutragen, daß dieses Bemühen jedoch an der Haltung des Dr. Korngold gescheitert ist, da derselbe weder eine Erklärung abgegeben, noch Zeugen nominiert hat, sondern die Angelegenheit durch seinen Advokaten finalisieren zu lassen für gut befand.“ Reinhardt: „Ich habe nunmehr die Wahl zwischen zwei Annahmen: Erstens: Entweder Herr Dr.J.Korngold wollte mich nicht beleidigen, dann hätte er ganz ruhig eine entsprechende gentlemanlike Erklärung in diesem Sinne abgeben können. Oder zweitens: Herr Dr.J.Korngold hat mich absichtlich beleidigt, dann wäre er verpflichtet gewesen, die Folgen seiner Auslassungen zu tragen. Herr Dr.Korngold hat es aber für angezeigt gehalten, eine so delikate Angelegenheit durch seinen Rechtsfreund zur Austragung bringen zu lassen und diese merkwürdige Tatsache soll der Öffentlichkeit nicht vorenthalten bleiben. Ich erkläre hiermit ausdrücklich, daß diese Angelegenheit für mich endgültig erledigt ist und überlasse es nunmehr weitesten Gesellschaftskreisen, sich über dieselbe ihre eigene Meinung zu bilden. Mit vorzüglicher Hochachtung Heinrich Reinhardt Musikreferent des Neues Wiener Journal.“ Kommentar vom Neues Wiener Journal: „Wir haben diesen Ausführungen nichts hinzuzufügen“. - -

Anm.:Bei Dr. Julius Korngold handelte es sich um den Vater von Hans Robert Korngold und Erich Wolfgang Korngold.

Im Juli 1907 machten der Komponist Reinhardt und seine Familie Sommerferien in Gmunden. In die Hölle kam „Die süßen Grisetten“ (T:J.Wilhelm, 01.12.1907), die ans Berliner Apollo-Theater (01.05.1908) gingen. Am Münchner Gärtnerplatztheater gab es „Das Mädchen für Alles“ (T:A.M.Willner/H.v.Waldberg, 08.02.1908). Dann berichtete das Prager Tagblatt, dass Reinhardt vom Eigentümer des Theater und Kabaretts Fledermaus als alleiniger künstlerischer Leiter gewonnen worden sei; dieser übernahm ab 23.04.1908 sein Amt. Im Mai ging durch die Gazetten, dass in der Fledermaus eine sich dort produzierende indische Tänzerin als ein junger Münchner Maler entpuppte. Am 15.05.1908 beschloss Reinhardt seine erste erfolgreiche Spielzeit als Fledermaus-Direktor, und ab 01.10.1908 sollte das Theater unter seiner neuen künstlerischen Leitung mit wesentlich erweitertem Programm wiedereröffnet werden. Direktor Reinhardt plante neben der bisher vorwiegend gepflegten Kabarett-Einrichtung die Darstellung von Einaktern ernsten und heiteren Genres, sowie einaktige musikalische Werke. In den Sommerferien wurde die Bühne erheblich vergrößert, Verträge mit Komponisten, Librettisten, sowie neuen Bühnenkräften waren bereits abgeschlossen. Der Wiener Schriftsteller Dr. Oskar Bendiner wurde als Dramaturg und literarischer Beirat verpflichtet.

Ende Juli 1908 weilte Heinrich Reinhardt mit seiner Frau wieder in Ischl, genau wie Dr.A.M.Willner und Leo Stein. Dann wechselte er in die Sommerfrische nach Gmunden, von dort berichtete die Linzer Post (19.08.1908) unter „Ein fingiertes Attentat“ Folgendes: „Aus Gmunden, der Sommerfrische von Heinrich Reinhardt, wurde berichtet, dass dieser in Begleitung zweier Damen in einer schmalen Gasse einen sehr verdächtigen Mann habe herumlungern sehen. Reinhardt sprach ihn an und dieser gab ihm keine Antwort, daraufhin versetzte Reinhardt ihm eine Ohrfeige, woraufhin der Geohrfeigte auf ihn geschossen haben soll. Diese Version erzählte Heinrich Reinhardt einem Wiener Herrn, der sofort darauf die Sicherheitswache verständigte. Reinhardt wollte aber keine polizeiliche Anzeige erstatten. Danach brodelte die Gerüchteküche im Ort und mittlerweile hieß es, dass Reinhardt angeschossen wurde. Die Polizei ging der Sache nach, doch konnte sie nichts Konkretes ausfindig machen; selbst ein Schuss wurde nicht gehört! Auch nicht von den beiden Begleiterinnen, zudem konnte man auch keinen Geohrfeigten ausfindig machen. Fazit: an der Sache war nichts Wahres und Heinrich Reinhardt wird sich wohl dem hiesigen Bezirksgericht verantworten müssen, dem die Angelegenheit zur Anzeige gebracht wurde. Man vermutete, dass es sich um Reklame für den Komponisten handelte, die aber sehr plump arrangiert wurde.“

Aus Gmunden (18.08.1908): „Von Heinrich Reinhardt, Komponist aus Wien, wurde diese Story untermauert, wobei ein Dr. Reiß aus der Begleitung angab, daß gegen Reinhardt ein Revolverschuß gefallen war, doch konnte man diesen Herrn nicht mehr befragen, da dieser nach Wien abgereist war. Reinhardt und seine Begleiterinnen hatten nichts von einem Schuß gehört.“

Im Jahre 1909 gab es zwei Uraufführungen: einmal im Raimundtheater „Die Sprudelfee“ (T:A.M.Willner/J.Wilhelm, 23.01.1909); hierüber schrieb das Neues Wiener Journal (24.01.1909): „Als vor einigen Jahren die Operette totgesagt wurde, trat Heinrich Reinhardt als neuer Komponist auf den Plan. Damit begann eine neue Blütezeit. Dieser Erfolg ging aber einher mit der Übersiedelung der Heurigenmusik in die Nachtlokale der Inneren Stadt. Man ist für die 'wienerische Note' nicht mehr so empfänglich wie einst. Reinhardt ist der Erfolg auch nicht treu geblieben, was er säte, ernteten dann andere und er wurde überholt. Gestern ist sein Werk 'Die Sprudelfee' in Szene gegangen und Reinhardt ist sich selbst treu geblieben. Die Leute klatschten stürmisch. Die Texter A.M.Willner und J.Wilhelm erschienen nicht zum Applaus auf der Bühne.“

„Die Sprudelfee“ ging als „The Spring Maid“ (T:Harry B.Smith/Robert B. Smith, 26.12.1910) ans New Yorker Liberty Theatre und hatte dort 192 Aufführungen zu vermelden. Danach gab es in der Hölle „Die siamesischen Zwillinge“ (T:E.Reß/L.Windhopp, 16.03.1909), u.a. mit Mela Mars und Natzler. Dort wurden auch sogenannte „Schönheitsabende“ mit nackten Frauen veranstaltet!

März 1909 wurde seine Wohnadresse mit Wien XVIII., Kohlergasse 20, angegeben. Im Juni 1909 gab es eine Mitteilung um den Verkauf des Grabsteins von Josef Strauß vom St. Marxer Friedhof an eine Witwe aus Hernals. Sie wollte diesen Stein abschleifen lassen und auf das Grab ihres verstorbenen Gatten setzen. Heinrich Reinhardt hörte von der Geschichte und bat die Witwe, ihm den Grabstein zu überlassen. Er wollte diesen im Garten seiner Villa aufstellen, um weiterhin als Andenken an Josef Strauß zu ehren. Der Witwe wollte er einen gleichwertigen Grabstein durch einen Steinmetz erarbeiten lassen. Doch dann erfuhr er, dass sie den Grabstein von Josef Strauß nicht hergeben wollte...

Aus dem Gerichtssaal: Der Zeichner und Maler Josef Walter hatte sich am 30.05.1910 beim Strafgerichtsbezirk Josefstadt wegen Übertretung und Veruntreuung auf Anzeige von Heinrich Reinhardt zu verantworten. Dieser bot dem Angeklagten wiederholt Antiquitäten zum Kauf an. Der verkaufte auch in Kommission für einen Betrag von 80 Kronen, lieferte aber das Geld nicht ab. Nach diversen Mahnungen Reinhardts gab ihm dieser als Entschädigung zwei moderne Vasen, die für Reinhardt, der Antikes liebte, wertlos waren. Der Angeklagte gab an, nicht betrügen zu wollen, denn die beiden Vasen hätten den Wert von 80 Kronen gehabt. Der Richter sprach den Angeklagten frei.

Ende Juni 1910 weilte Heinrich Reinhardt zur Sommerfrische in Zell am Moos. Im Oktober gab es in der Hölle die einaktige Operette „Die Studentenhochzeit“ (T:H.Reinhardt, 01.10.1910); dazu die Kritik (Wiener Abendpost, 02.11.1910): „Am 01.10.1910 erstmals das November-Programm: die einaktige Operette 'Studenten-Hochzeit' gefällt wegen ihrer graziösen Musik ungemein. Witzig und flott sind die 'Wiener Schattenspiele' von Theo Zasche zu den Versen von Alfred Deutsch-German. Fritz Grünbaum ist als Conférencier eine Spezialität: seine Pointen sind Blüten der Spitzfindigkeit.“

Anschließend kam ins Apollo „Miß Excentric“ (T:A.Engel/A.Friedmann, 31.10.1910). Im selben Jahr gab es auch seine Operette „The Darling of Diane“ in London, über die ich sonst aber keine weiteren Daten finden konnte. Saison 1910/11 soll auch die Operette „Der Apollo von Jena“ (T:H.Reinhardt) Premiere gehabt haben, doch auch da konnte ich keine weiteren Einzelheiten finden! Wohl von Juni bis September 1911 machte die Familie Reinhardt Sommerferien in Bad Ischl und ließ es sich im Hôtel zur Post gut gehen; danach gab es aber keinerlei Ischler Aufenthalte mehr.

Am 01.05.1912 hatte Reinhardts Operettenzyklus mit eigenem Libretto „Napoleon und die Frauen“ in der Volksoper Premiere; dieser bestand aus: 1. Die Frau Oberst - 2. Die Putzmacherin - 3. Die Wienerin. Sie ging zum 07.04.1913 ans New Yorker Liberty Theatre als „The Purple Road“ (T:Fred de Grésac/William C.Duncan); dann transferierte man es am 16.06.1913 ins Casino Theatre, wo insgesamt 136 Aufführungen zu vermelden waren. Im September 1912 traten neben Heinrich Reinhardt auch Leo Ascher, Henry Berényi, Emmerich Kálmán, Franz Lehár und Carl Michael Ziehrer der russischen Union dramatischer Autoren und Komponisten in St. Petersburg bei; sie übertrugen ihr den Schutz ihrer Werke in den Sprachen für die in Russland deutsch spielenden Gastspielensembles und Bühnen. Seine Operette „Prinzeß Gretl“ (T:R.Bodanzky/A.M.Willner) gab es am 31.01.1913 im Theater an der Wien.

Am 09.05.1913 erschien ein Artikel: „Der Niedergang der Operette-musikalische Aussprache mit Heinrich Reinhardt.“ Auf dem Semmering, wo Familie Reinhardt Urlaub machte, interviewte ihn ein Vertreter der Österreichische Pressezentrale und Reinhardt nannte seine Gründe: „1. das unerhörte Jobbertum, das sich sowohl auf dem Gebiete der Librettistik als auch Komposition breit machte. Keiner der bekannten Herren nimmt sich die Mühe ein Werk ordentlich ausreifen zu lassen, es durchdenken, durchzuarbeiten. Der wilde Tanz um das Tantiemen-Kalb hat in den letzten Jahren derart extatische Formen angenommen, dass die Quantität des Erzeugten die Qualität vollständig erdrückt hat. Librettisten von Rang und Namen entblöden sich nicht, 9,12,15 sogar 18 Bücher binnen weniger Monate zu fabrizieren. Dabei arbeiten die Herren an zwei oder mehr Büchern gleichzeitig. Der Komponist kommt weniger in die Lage, ein fertiges Buch zu erhalten. Meist sind es Gesangstexte, die dann, wenn das Buch fertig gestellt wurde erst erahnen lassen, was dort vorgeht oder nicht vorgeht. Meist ist es dann für Abänderungen zu spät, weil die Direktion auf Termineinhaltung pocht.

'Einträgliche Misserfolge': Unter dieser 'Machart' hat vor allen Dingen der Komponist zu leiden; nicht aber die Librettisten, die weiter lustig produzieren, denn viele Bücher bringen trotz Misserfolge doch einige Erträge und Einkommen. Bedauerlicherweise hat dieses Übel nun auch eine Reihe erstklassiger Komponisten erfasst, die sich in die Massenfabrikation hineingerissen haben. Wir haben den traurigen 'Fall' erlebt, und andere Fälle und Unfälle. Harlekinmäßig mutete es an, wenn ein Komponist mit drei Werken in einer Saison herauskam und diese auch noch fast zur selben Zeit. Das Publikum wurde kopfscheu! Es dachte sich wohl dabei, dass es garnicht so schwer sei, Operetten zu schreiben, bei solch einer Fülle?

'Direktor und Verleger': Der Erfolg blieb aber mancher erfolgten Arbeit junger, unbekannter Autoren aus, während Werke, denen von vornherein die Schlagkraft fehlte, durch Starwirtschaft zu schwindelnder Höhe empor gescheuchte Aufführungsziffern erlaubten. So wurden neben offenkundigen Nieten sehr mäßige Achtungserfolge zu sogenannter Schlagerwirkung freundschaftlich hinaufgeschraubt. Gute Kräfte mussten für 'Qualität' herhalten, der Radau der Claque und die Suggestion der hohen Aufführungsziffern taten ihr übriges. Früher hatte die Direktion ein schlecht gehendes Stück abgesetzt. Heute ist der Direktor auch Verleger und bringt durch sein Marketing (hohe Aufführungszahlen durch Vertriebsprovisionen), und durch das Verlagsgeschäft mit Zinseszins herein; was er dem Theater eventuell zusetzt.

Der Niedergang der Operette kann nur aufgehalten werden, wenn allen diesen ungesunden Zuständen schleunigst ein Ende gemacht wird. Wir bitten anstatt drei Werke alle Jahr, um ein Werk alle drei Jahre.“ Heinrich Reinhardt

Am Hamburger Ernst-Drucker-Theater hatte die Posse mit Gesang „Jette vom Ebräergang“ mit seinem Text und der Musik von Rudolf Hartmann am 02.08.1913 Premiere. Heinrich Reinhardt erhielt das Ehrenzeichen 2. Klasse vom Roten Kreuz ( 27.10.1914). Am 04.02.1915 fand die Generalversammlung des österreichischen Komponistenklubs statt, wo Heinrich Reinhardt als Nachfolger Eduard Kremsers zum Präsidenten gewählt wurde, zu Vizepräsidenten C.M.Ziehrer und Elias Samet. Ins Carltheater kam „Die erste Frau“ (T:R.Oesterreicher/A.M. Willner, 22.10.1915); Arbeitstitel waren „Die Frau von gestern“ und „Die Nebenbuhlerin“; sie sollte schon Anfang September 1915 Premiere haben. Der Humorist (01.11.1915): ...„ist sicherlich kein Meisterwerk. Weder textlich noch musikalisch. In der Musik erkennt man hier den gemütvollen Musiker, der die Vertonung der Verse mit Geschmack und Feingefühl durchführt.“ Am 16.11.1915 konnte man die 25.Vorstellung vermelden!

Dann kam „Klein Dorrit“ ins Spiel, deren Premiere schon im Februar 1913 stattfinden sollte; auch war das Werk bereits im Manuskript von Amerika und Großbritannien erworben worden. Dieses Lustspiel von Franz von Schönthan nach Charles Dickens berühmtem Roman wurde von Armin Friedmann zu einem Singspiel umgearbeitet. Wegen des Krieges mit England wurde der Stoff nach Dänemark verlegt und der Titel verändert in „Der Gast des Königs“; die Premiere in der Volksoper war am 09.01.1916. Das Neues 8 Uhr Blatt rezensierte (12.01.1916): ...„eine Oper in der Volksoper! Allein die harmonische Fassung, die klangvolle Instrumentation und die Ansätze melodramatischer Musik erheben sein neues Werk weit über die Operette. Vielleicht ist es noch keine Oper-am ehesten kennzeichnet man es wohl mit der Benennung eines lyrischen Singspiels.“ Das Werk hat sich anscheinend wohl nicht lange halten können! Im Jahre 1916 war Heinrich Reinhard in Wien XVIII., Köhlergasse 20, ansässig und es wurde still um ihn! 1917 kaufte er das Schloss Gneissenau in Kleinzell bei Neufelden/Mühlkreis, wo er samt Familie jährlich über Monate weilte. Seine Anwesenheit gab er immer aller Umgebung durch machtvolles Klavierspiel kund, dessen Klänge aus allen Schlossfenstern drangen. Am 22.11.1917 starb nach kurzem Leiden sein Bruder, der kaiserliche Rat Eduard Stern, Vorstand der Wechselstube Alsergrund des Wiener Bankvereins.

Das Prager Tagblatt berichtete von einer Premiere im dortigen Theater Varieté, wo das einaktige Singspiel „Bohème-Glück“ (T:H.Reinhardt, 02.01.1918) Premiere hatte, welches Karl Hasler für die tschechische Bühne bearbeitete. Noch eine Kuriosität am Rande - eine Zeitungsente, der alle Gazetten aufsaßen: man berichtete am 24.03.1920 von „Heinrich Reinhardt mit Flugzeug: Im Aeroplan zur Probe. Eine Luftfahrt des Komponisten Reinhardt.“ An der Wiener Renaissancebühne wurde eine Novität Reinhardts geprobt. Der Direktor wollte etwas von Reinhardt wissen und telefonierte nach Schloss Gneissenau. Dieser war der Meinung, er müsse persönlich nach Wien und erklärte, dass er binnen 70 Minuten da sei! Tatsächlich traf er in 69 Minuten ein; des Rätsels Lösung: Reinhardt hatte in der Nähe von Linz einen norwegischen Doppeldecker bestiegen und so per Luft das Wiener Ziel pünktlich erreicht ... dem folgte am nächsten Tag die Richtigstellung: Reinhardt flog nicht, sondern reiste mit der Mühleisenbahn von Neufelden bis Linz, danach mit dem Nachtpersonenzug nach Wien, was mehr als 69 Minuten dauerte! Fazit: er erschien pünktlich zur Probe. Somit endete die im Fluge erfundene Reklame...

In der Wiener Fremdenpresse las ich, dass ihm durch das Wohnungsamt die Beschlagnahme seines Häuschens drohte; so musste er den ihm liebgewordenen Wohnsitz schließlich verkaufen, um den ewigen Schikanen zu entgehen! Diese schweren Aufregungen hatten sicherlich den Verlauf seiner Krankheit beschleunigt. Dann wurde Reinhardt auch noch in einem Theaterfeuilleton des Regierungsrates Julius Stern in der Volkszeitung als „längst verstorben“ angeführt. Der Komponist kränkte sich über diesen Missgriff sehr und ersuchte den Autor um eine Berichtigung. Im Sommer und Herbst des Jahres 1921 litt er unter großer Schweratmigkeit, was Anlass zu mancherlei Besorgnis gab. Heinrich Reinhardt verstarb am 31.01.1922 in Wien an den Folgen einer Herzmuskelentartung; er wurde am 03.02.1922 auf dem Döblinger Friedhof beigesetzt.

Heinrich Reinhardt hatte durch seine früheren Erfolge ein ziemlich ansehnliches Vermögen erworben. Schon da betätigte er sich als Kunstsammler. Er besaß eine ansehnliche Uhrensammlung, kostbare Teppiche und altes Porzellan. In den letzten Jahren lebte er meist auf seinem Gut in Oberösterreich. „Mit ihm ist ein gediegenes Talent, ein stiller, feiner, guter Mensch und ein edler Charakter heimgegangen. Seine Freunde und Verehrer werden sich nicht nehmen lassen, nach dem Tode des Meisters zu seiner bleibenden Ehrung und zum Troste seiner Familie zu erfüllen, was Kurzsichtigkeit und Neide dem Lebenden verweigerten.“ (Wiener Fremdenpresse, 06.02.1922)

„Kein Großer im Reiche der Töne ist mit ihm dahingegangen, aber ein liebenswürdiges, echt wienerisches Talent, das durch seine Kunst Tausenden und wieder Tausenden frohe Stunden bereitet hat. Sein Süßes Mädel hat die schon tot geglaubte Wiener Operette mit einem Schlag wieder zu neuem Leben erweckt.“ (Kleine Volkszeitung, 01.02.1922)

Im Neues Wiener Journal (01.02.1922) schrieb man, bezogen auf das „Süße Mädel“: ...„dessen populäre Weisen richtunggebend für ein bestimmtes wienerisches Operettengenre waren. Diesen großen, auch nach dem Auslande auswirkenden Erfolg aber hat Reinhardt nie mehr erreicht. [...] Als dann vor 15 Jahren stärkere schöpferische Talente, mit höherem musikalischen Schliff und Streben auftauchten, wie Lehár, Oskar Straus, Fall, Kalman usw. geriet Reinhardt mit seiner mehr aufs Populäre und Gassenhauerische gestellten, künstlerisch nicht sehr hochstehenden Musik ins Hintertreffen. In den letzten Jahren schaltete er als Theaterkomponist fast ganz aus. Sein Name wird durch das Süße Mädel in der Wiener Operettengeschichte dauernd erhalten bleiben. Als er mit diesem Werke vor die Öffentlichkeit trat, war die Operette gerade wieder einmal totgesagt und die Stagnation machte einem neuen Aufschwung Platz.“

„Heinrich Reinhardt trat frühzeitig mit einer Anzahl sehr beachteter Werke in die Öffentlichkeit. Im Auslande hoch geschätzt und unzählige Male aufgeführt, vermochte sich dieser echt wienerische Melodienkönig in der Stadt seines Schaffens nicht recht durchzusetzen, besonders nicht in den letzten Jahren. Dies erscheint umso unverständlicher, als Reinhardt in der Tat den Anstoß zur Wiedergeburt der Wiener Operette gab, da mit seinem 'Süßen Mädel' eine neue Epoche der Wiener Operette begann. [...] Heinrich Reinhardt, der niemals nach äußeren Ehren geizte und eine für hiesige Verhältnisse allzu bescheidene und zurückgezogene Natur war, litt, obwohl er es sich nicht anmerken ließ, unter dem Schicksale, das ihm die Wiener Theaterdirektoren bereiteten, zumal im weitesten Auslande seine Kompositionen steigenden Beifall genossen.“ (Wiener Fremdenpresse, 06.02.1922)

Am 11.04.1922 erschien im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 83 zum Nachlass Heinrich Reinhardt: „Heinrich Reinhardt, Komponist, Wien, 9.Bez., Kolingasse 13, wohnhaft gewesen, zuständig nach Preßburg, Tschechoslowakei, tschechoslowakischer Staatsbürger, ist am 31. Jänner 1922 gestorben. Eine letztwillige Anordnung wurde vorgefunden. Alle Erben, Vermächtnisnehmer und Gläubiger, die österreichische Staatsbürger oder hierlande sich aufhaltende Fremde sind, werden aufgefordert, ihre Ansprüche an die Verlassenschaft bis zum 28. Mai 1922 beim gefertigten Gerichte anzumelden. Sonst kann die Verlassenschaft ohne Rücksicht auf diese Ansprüche an die ausländische Behörde oder eine von ihr bezeichnete Person ausgefolgt werden. Die im Inlande wohnenden Erben haben um die Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung durch das österreichische Gericht angesucht. Die auswärtigen Erben und Vermächtnisnehmer werden aufgefordert, ihre Ansprüche in der angegebenen Frist anzumelden und bekanntzugeben, ob sie die Abtretung an die ausländische Behörde verlangen. Sonst wird, wenn nicht die ausländische Behörde selbst die Abtretung verlangt, die Abhandlung hier, und zwar bloß mit den sich hier meldenden Erben gepflogen werden. Bezirksgericht Josefstadt, Abt. 8, Wien am 28. März 1922 12106=321“

Das Linzer Volksblatt (02.02.1923) berichtete ein Jahr danach: „Schloß Gneissenau. Aus Kleinzell, 30. Jänner wird uns geschrieben: Nachdem der letzte Besitzer Heinrich Reinhardt, voriges Jahr gestorben, ging dieser Besitz in den letzten Tagen käuflich an die Familie Witeheand, zurzeit in Wien, über. Man wird erst später hierher übersiedeln.“

Der Montag (23.10.1922) berichtete über eine Nachlass-Operette „Der Jüngling vom Apollosaal“, die zur UA auf eine Wiener Bühne kommen sollte. Der Humorist (10.11.1922) schrieb von der Operettenneuheit im Komödienhaus „Liebesgeheimnis“ (T:G.Beer/A.Friedmann), daraus wurde „Der Liebestrompeter“ (20.11.1922) und letztendlich „Der Glückstrompeter“ (07.12.1922), dann gab es eine Neubearbeitung von „Prinzeß Gretl“ als „Die Studentenprinzessin“ (13.11.1926). Auf die Rolandbühne kam seine „Grisettenliebe“ (T:J.Wilhelm, 23.03.1928) und im Berliner Rose-Theater „Pariser Blut“ (T:J.Wilhelm, 23.11.1929).

Heinrich Reinhardt verstand sein Handwerk und hatte schon vorher so manchen seiner berühmten Kollegen bei der Instrumentation ausgeholfen. Mit den Libretti und Texten von Alexander Landesberg und Leo Stein hatte er wunderbare Vorlagen für seine Melodien, die eher dem wienerischen Lokalkolorit entsprachen. Kritiker Otto Keller bemängelte, dass er von der ersten bis zur letzten Operette immer derselbe geblieben war ...„nach Wiener Art gefirnisste Tanzoperette“. Seine Operette „Der Generalkonsul“ hatte jedoch nur mit Girardi in der Hauptpartie stärkeren Beifall gefunden, während „Der liebe Schatz“ und „Krieg im Frieden“ dahinter zurückblieben. Musikhistoriker P. Bekker (Allgemeine Musikzeitung, 20.04.1907) bezeichnete ihn als ...„den faden Volkssänger, den einseitigen Vorstadtbarden“...

Dr. Max Graf (