...Als die Noten laufen lernten...Band 2 - Karin Ploog - E-Book

...Als die Noten laufen lernten...Band 2 E-Book

Karin Ploog

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Beschreibung

...Als die Noten laufen lernten...Band 2 - beinhaltet die Geschichte der deutschsprachigen Unterhaltungsmusik bis zum Jahre 1945. Es geht vom ersten deutschen Kabarett "Überbrettl" zum Theaterleben mit allem Drum und Dran. Bis zum Ersten Weltkrieg spielte die Achse Berlin - Wien - Budapest - Prag eine große Rolle; wo die Entwicklung von der Operette über die Revue zur Filmmusik vollzogen wurde. Hier spielte im wahrsten Sinne die Musik! Als der Unheilsbringer 1933 die Weltbühne betrat, mussten die meisten U-Musiker, Librettisten und Texter emigrieren! Somit sorgten die vielen Exilanten dafür, dass besonders die USA von deren Kreativität profitieren konnten und in Europa saß man dann... Lassen Sie sich in eine Zeit entführen, als die "Jungs" es hier so richtig krachen ließen und die Noten durch flotte Rhythmen das Laufen lernten...

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Inhaltsverzeichnis:

Anfänge des Kabaretts

Erste deutsche Kabarettgründung Buntes Theater (

Überbrettl

)

Zweites Buntes Theater

Erstes Schall und Rauch in Berlin

Die 11 Scharfrichter in München

Die bösen Buben

Viele Kleinkunstbühnen und Theater gründeten sich nach 1900

Roland von Berlin

Weitere Kabaretts

Chat Noir

Linden-Cabaret

Weitere Kabaretts in Deutschland bis 1914

Nachschlag

Beginn Erster Weltkrieg im Herbst 1914

Zusammenfassung

Die Wiener Kabaretts um 1900 bis zum Ersten Weltkrieg

Erster Weltkrieg und Kabarett in der Schweiz

Kabarett nach dem Ersten Weltkrieg bis 1933

Das zweite Berliner Schall und Rauch

Kabarett Rakete

Café Größenwahn

Wilde Bühne

Retorte Leipzig

Weitere interessante kleine Kabaretts

Kabarett der Komiker (

Kadeko

)

Agitprop - Antifa - Rotes Kabarett

Weitere kleine Kabaretts

Katakombe

Endzeit

Die Wiener Kabaretts nach 1918

Kabarett im Exil

Österreich

Tschechien

Niederlande

Großbritannien

Schweiz

USA

Kabarett-Theater im Konzentrationslager

KZ Buchenwald

KZ Dachau

KZ Neuengamme

KZ Theresienstadt

KZ Westerbork

Berliner Leben mit allem Drum und Dran

Einige Berliner Cafés und Lokale

Eine Berliner Komikerkarriere: Erich Carow

Berliner Musik- und Theaterausbildung

Berliner Musikvereine

Berliner Theateranfänge

Berlin wurde Weltstadt

Berliner Bühnen ab 1919

Streik der Berliner Bühnenkünstler 1922

Die organisierte Theaterclaque

Ein Finanzier der besonderen Art: Prof. Max Epstein

Die Gebrüder Rotter (

eigentlich Schaie

)

Die finanzielle Lage Berliner Bühnen

Ausklang mit der „Dreigroschenoper“ bis 1929

Kurz vor der Weltwirtschaftskrise: „Krieg der Zensur“

1930/31 Die Infiltrierung Berliner Theater durch die Nazis

So gingen Nazis mit jüdischem Eigentum um

Nachklang

Wiener Bühnen und Kabaretts

Die Wiener Theater zur zweiten Blütezeit der Operette

Ein kurzer Überblick zur Geschichte der Operette

Die Geschichte der Operette in ihrer Gesamtheit

Wie kam Offenbach nach Wien und die Folgen

1871 bis 1885 -

Goldenes Zeitalter

der Operette

Die Geschichte von Johann Strauß (

Sohn

) und Zeitgenossen

Die Zeit zwischen

Goldenem und Silbernem Zeitalter

1901 -

Silbernes Zeitalter

der Operette

Franz Lehár, einer der

Silbernen

Leo - ein Fall für sich

Eysler, Straus, Kálmán & Co. - von Wien nach Berlin

Die Entstehung der Berliner Operette

Der Übergang von der Operette zur Revue

Die Entstehung der Revue

Die Wiener Ausstattungsrevue

Die Berliner Revue

Rudolf-Nelson-Theater

James Klein - Hermann Haller

Charell-Revuen ab 1924

Friedrich Hollaender mit seinem

Tingel-Tangel-Theater

Nachklang

Der Kintopp in Deutschland

Urheberrechte und Tantiemen

Das jüdische Musikleben in der Nazizeit

1933 - Beginn der NS-Schikanen

1936 - Endzeit der deutschen Unterhaltungs-Musik

Die Künstler-Flucht vor den Nazis ins Ausland

Emigration ins Ausland

Exil in Frankreich

Exil in Großbritannien

Exil in der Schweiz

Exil in der Sowjetunion

Exil in den USA

Einzelne USA-Emigrantenschicksale

Kriegsausbruch 1941 Pearl Harbour

Fazit

Rückkehr nach Deutschland

Nachklang

Anhang:

Komponisten A-Z/Bühnenwerke

Komponisten/Autoren A-Z/Filmtitel

Librettisten/Texter A-Z/Bühnenwerke

Bibliographie

Bisher erschienene Werke und Vorausschau

Kurzbiografie Karin Ploog

Anfänge des Kabaretts

Im Jahre 1869 gab es in Berlin die Einführung der Gewerbefreiheit; es entstanden minderwertige Vergnügungslokale, die um 1870 Tingel-Tangel hießen. Ende des 19.Jahrhunderts nannte man dann eine Berliner Gaststätte mit einer Konzession für Gesangs- und Tanzvorführungen Singspielhalle, Café Chantant oder Vaudeville-Theater; sie gehörten zu den volkstümlichen Vorfahren der Varietés.

Die Bezeichnung Tingel-Tangel entstand nach dem Gesangskomiker Tange, der sein lang populäres „Triangellied“ in der Singspielhalle Triangel zum Besten gab. Es war immer eine ausgelassene Stimmung in diesen Veranstaltungsstätten, die vom kleineren Mittelstand und Studenten besucht wurden!

Auf einem kahlen Podium saßen meist 10-20 Tingel-Tangelösen (Sängerinnen), die Komiker und Tanzlatsche (Tanzkomiker) auf Stühlen. Wer dran war, erhob sich von seinem Stuhl und legte los. Die meist handfesten Vorträge wurden von einem Pianisten begleitet, der Kapelle genannt wurde. Bei Beginn und Ende wurde von allen Künstlern ein gemeinsamer Chorgesang angestimmt, unter dessen Klängen sie einen Gänsemarsch auf dem Podium veranstalteten. Die begeisterten Zuhörer spendierten ihnen Freimolle; sie sandten den Sängerinnen Porter aufs Podium, was meist durch billiges dunkles Berliner Bier vorgetäuscht wurde. Je mehr Porter eine Tingel-Tangelöse trank, desto beliebter war sie beim Tingel-Tangel-Besitzer, der mit „Herr Direktor“ angesprochen wurde. Die Tingel-Tangelösen erhielten von jedem Porter (kostete eine Mark pro Glas), den ein Verehrer spendierte, von ihrem Direktor 25 Groschen Korkengeld. Dieses System hielt sich noch bis in die 1920er Jahre hinein.

Die bekanntesten Berliner Tingel-Tangel zur Jahrhundertwende waren: Moor's Academy of Music in der Friedrichstraße, unweit der Linden, mit vornehmem Anstrich; man wetteiferte mit Paris, London und New York. Ferner die Gebirgshallen, Unter den Linden, die Silberhallen und das Elysium in der Kommandantenstraße, der Kuhstall in der Elsasser Straße; am Alexanderplatz unter den Königscolonnaden der Primas. In der Neuen Königstraße das Klosterstübl, wurde vom Berliner nur Klosterstiebel genannt, denn der leitete es vom Wort Stiefel ab. Am Köllnischer Fischmarkt existierte Franz Würfels Singspielhalle, von seinen Gästen nur Affenfranz genannt, denn er arbeitete dunnemals als Affendarsteller im Varieté. Nennen muss man noch die Tingel-Tangel Servus in der Koppenstraße und Böge's bunte Bühne in der Weinmeisterstraße.

Anfang 1900 entstand davon unabhängig das, was man heute unter Kabarett versteht. Vielleicht leisteten auch die Witzblätter ab 1829 ihren Beitrag dazu? Sie gründeten sich in Berlin, Hamburg, Leipzig und München; und viele dieser Protagonisten fanden sich später auf den Brettln wieder. Um 1900 waren auch Schlager und Gassenhauer bei der Bevölkerung beliebt, wie Paul Linckes „Schlösser, die im Monde liegen“ aus der Operette „Frau Luna“ - „Im Grunewald ist Holzauktion“ oder „Die Kirschen in Nachbars Garten“ von Victor Hollaender. Doch sollte sich gerade in Berlin ein neues Genre etablieren: das Kabarett!

Otto Julius Bierbaum (1865-1910) entwickelte 1897 in seinem Roman „Stilpe-ein Roman aus der Froschperspektive“ erstmals die Idee einer literarischen Varietébühne, die 1901 mit den beiden Wolzogen-Bühnen Buntes Theater (Überbrettl) vollzogen wurde! Das war der erste Schritt zur Kleinkunstbühne in Deutschland. Bierbaum wollte mit seinen Texten den Geschmack des Publikums niveauvoller gestalten; so gab er Ende 1800 die Sammlung „Deutsche Chansons“ (Brettl-Lieder/im ersten Jahr wurden 30.000 Exemplare verkauft) heraus, worin auch „Der lustige Ehemann“ enthalten ist. Es ist ein eher belangloser Text, der erst um die Jahrhundertwende durch Oscar Straus Musik zum Kabarettschlager wurde; auch „Der alte Lehmann“ hielt sich noch bis WW1.

Anfang 1900 waren unter den Berliner Künstlern die wohl bekanntesten Literaten-Theatertreffen:

1. Café Kaiserhof im Hotel Kaiserhof am Wilhelmplatz. Dort gab es gute Schachspieler, moderne Literaten, die Anhänger Gerhart Hauptmanns und die Verfechter der Neuen Schule. Die Gegenpartei bestand dort aus den Hofschauspielern und -dichtern.

2. Café Metropol am Bahnhof Friedrichstraße. Dort war die neue Richtung zu finden mit denjenigen, die über Tolstoi und Hauptmann hinaus waren, wie Maeterlinck, Strindberg und Maxim Gorki. Dazu gab es den Stammtisch der jungen Schauspieler vom Deutsches Theater, zu denen auch der 26-jährige Max Reinhardt gehörte. Genau dort begann dessen Freundschaft mit Felix Hollaender.

3. Café Westminster, Unter den Linden, der Treff der leichten Muse, jungen Talenten und Entdeckern, eine Kontaktbörse. Dort gab es einen Tisch, an dem saßen u.a. Rudolph Schanzer, Leo Fall, Oscar Straus und Rudolf Nelson! Rudolf Bernauer setzte sich einfach dazu, obwohl es sich um eine geschlossene Gesellschaft handelte. Doch stand er bald in deren Mittelpunkt, als er sich ihnen als Studiosus vorstellte. Er war wohl der erste Hochschüler, der sich ins Westminster wagte. Außer Künstlern fand man dort nur noch einige Glücksritter und Schieber, die sich aber von allen gesondert aufhielten. Rudolf Bernauer fiel dort durch seine norddeutsche Mundart auf, denn in Berlin zu jener Zeit war wienerisch gängiger.

Das Westminster befand sich im Gebäude vom 1890 eröffneten Passage-Panoptikum und die Besitzer hatten dort einen ihrer Säle als Theater eingerichtet, wo sie musikalische Einakter gegen einen geringen Aufschlag für die Besucher ihres Wachsfiguren-Kabinetts geben lassen wollten. Aus dem benachbarten Westminster engagierten sie Oscar Straus als Dirigent für ihr kleines Orchester. Bernauer erinnerte sich noch an eines seiner Singspiele, welches in China spielte, es war jedoch ein Fiasko. Die Besucher zahlten keinen Zuschlag; so lief das Singspiel zweimal täglich vor nur drei bis vier Gästen. Eines Tages war Bernauer sogar der einzige Gast, da legte Straus den Taktstock nieder. Übrigens spielte dort 1893 der zwanzigjährige Leo Fall für ein Jahr als Geiger für eine Monatsgage von 60 Mark.

4. Café Kaiserkrone, Ecke Karl-/Friedrichstraße, war keine typische Literaten- oder Künstlergaststätte. Am Tage war es dort meist leer; dafür aber durchgehend geöffnet. Am Abend erwachte dieser Treff der Schauspieler zu Leben; dort fand man Eduard von Winterstein. In diesem Hause entstand auch die Idee, den Berliner Schauspielern ein Heim zwischen den Vorstellungen zu schaffen. Hier wurde der erste deutsche Bühnenclub gegründet und die ersten tausend Mark Gründungskapital gesammelt.

Im Café Größenwahn (Ku'damm) war der Treff von langhaarigen, ungepflegten Bohemiens, die jeden Erfolg für ein Verbrechen hielten! Doch dazu schreibe ich später, denn Berlin fing zu dieser Zeit erst an, eine Theaterstadt zu werden.

Nun geht es erst einmal zur ersten Kabarettgründung Deutschlands: Ernst von Wolzogen wollte ein literarisches Kabarett auf die Bühne bringen; die Grundlage dessen war die satirische Abwandlung von Nietzsches Begriff Übermensch ergo Überbrettl! Es gab keinerlei politische Ambitionen und pünktlich zur 200-Jahr-Feier Preußens ging es in Berlin über die Brettl:

Erste deutsche Kabarettgründung Buntes Theater (Überbrettl)

Am 18.01.1901 eröffnete das erste deutsche Kabarett Buntes Theater (Überbrettl) im Berliner Theater am Alexanderplatz, Alexanderstraße 40. Ernst Ludwig Freiherr von Wolzogen hatte sehr große Schwierigkeiten, Sponsoren für die Finanzierung seines Theaters zu bekommen. Er lieh sich 10.000 Mark zum Zinssatz von 10% zusammen, sein Theater war klein und billig. Dem beliebten Romanschriftsteller schwebte ein literarisches Kabarett Überbrettl vor; und er wollte es als ein veredeltes Varieté wissen!

Zu: Ernst Ludwig Freiherr von Wolzogen(23.04.1855 Breslau-30.08.1934 München) war der Sohn von Karl August Alfred Freiherr von Wolzogen (27.05.1823 Frankfurt/Main-14.01.1883 San Remo), welcher Hoftheaterintendant in Schwerin war, und wiederum der Sohn eines preußischen Generals. Seine Werke: „Über die szenische Darstellung von Mozarts Don Giovanni“ - „Über Theater und Musik“; Neubearbeitungen von Mozarts „Schauspieldirektor“ und „Don Giovanni“.

Sein Bruder Hans Paul Freiherr von Wolzogen und Neuhaus (*13.11.1848 Potsdam) studierte in Berlin Philologie und Mythologie, lebte in Potsdam und seit 1877 in Bayreuth als treuester Wagner-Apostel. Ernst von Wolzogen war mit der Lauten-Sängerin Elsa Laura Seemann verheiratet und schrieb das erste Kabarett-Chanson „Madame Adèle“. Auch verfasste er das Libretto zur Richard Strauss Oper „Feuersnot“. Zum Ende des Lebens war der Nietzsche-Verehrer nicht frei von völkischen, rassistischen Standpunkten und ein Bewunderer des deutschen Faschismus!

Der Name Überbrettl deshalb, um sein Haus über die üblichen Tingel-Tangel-Varietés zu stellen! Nietzsches Traum vom Übermenschen aufs Kabarett übertragen. Motto: soziale Satire, politischer Witz aber fernab des Tagesgeschehens. Wolzogen wurde später beurlaubt und ging 1902 in die Pleite; danach wurde er Intendant der Berliner Komischen Oper. Von ihm gibt es den Roman „Das Kuckucksei“, erschienen bei Ullstein-Bücher, Redakteur: Dr.Bogumil Zepler, eine Sammlung moderner Romane.

Oscar Straus sollte bei Wolzogen als Pianist auf Probe fungieren und auch einige Stücke komponieren. So entstand seine Musik zu „Der lustige Ehemann“ von Otto Julius Bierbaum und „Regimentsmusik“ von Detlev von Liliencron. Neben Straus wurde zur Sicherheit noch Rudolf Nelson als zweiter Klavierspieler verpflichtet, wovon sich aber in Nelsons Erinnerungen absolut nichts findet. Beide Engagements wurden im Westminster ausgehandelt und mit „Der lustige Ehemann“ stach Oscar Straus sogar seinen Konkurrenten Victor Hollaender aus! Carl Meinhard sollte diesen Titel zuerst singen, doch er wollte seine seriöse Schauspielerkarriere am Deutsches Theater nicht aufs Spiel setzen. Robert Koppel sprang daraufhin ein, und Bozena Bradsky, die Wiener Freundin von Oscar Straus, wurde seine Partnerin im „lustigen Ehemann“. Mit dabei waren auch Elsa Laura Seemann, Olga Wohlbrück und Dr. Artur Pserhofer.

Bei Egon Jameson, der Nelsons Biografie schrieb, liest es sich etwas anders, hier von mir frei nacherzählt: Es ging das Gerücht, dass die Literatenwelt sich ganz geheim im Keller des Kaiser-Café (Café Kaiserkrone) in der Friedrichstraße traf; wie Otto Julius Bierbaum und Freiherr Ernst von Wolzogen. In diesem Zusammenhang tauchte zum ersten Mal das Wort Kleinkunst auf. Kleinkunst war zu diesem Zeitpunkt eher ein Tingel-Tangel von Jungs und leichten Mädels in anrüchigen Gegenden um die Elsässer- und Königstraße. Dann stand in der Presse, dass demnächst von Wolzogen ein kleines Theater unter dem Titel Überbrettl eröffnen würde. Wolzogen selbst wollte das Programm konferieren - O.J.Bierbaum stand als einer seiner Hausdichter im Blatte. Oscar Straus, ein aus Wien stammender Musiker, sollte als Komponist am Flügel begleiten; Marcel Salzer war der Rezitator, Bozena Bradsky die Vortragskünstlerin und sonstiger Mitwirkender Robert Koppel.

Ein intimer Saal wurde am Alex gewählt, der nur 300 Sitzplätze hatte, dahinter zwei Reihen Stehplätze und rechts und links bis zur Mitte einige Logen. Es sollte etwas ganz Neues- und eine Sensation werden! Wer sich in Berlin für Theater und Kunst interessierte, wollte zur Premiere unter den 350 Auserwählten dabei sein. Die Schwarzmarktpreise für die Karten schnellten dermaßen in die Höhe, dass Nelson keinerlei Chance sah, auf legalem Wege an die Premiere zu kommen. Doch er hatte die glorreiche Idee, sich im Premierengetümmel mit einzuschleichen, denn der Andrang des Publikums war kolossal. Erst erhielten die Sitzplatzbesucher Einlass, dann schaffte es Nelson als Stehplatzbesucher illegal hinein zu kommen.

Dieser Abend wurde für Nelson ein Wegweiser für seine künstlerische Laufbahn. Die erste Kleinkunstbühne der Welt hob ihren Vorhang in Berlin. Kleine Duette und Soli lösten sich ab, wie: „Die Musik kommt“ - „Der lustige Ehemann“ und „Die Haselnuß“. Rudolf Nelson bezeichnete Wolzogen als Conférencier, wie man ihn sich nicht besser vorstellen konnte und Marcel Salzer fiel durch Humor und Geist in seinen Rezitationen auf. Die Premiere endete in jubelndem Applaus.

Wolzogen stand hier ein reines Theater zur Verfügung; es war für ein Kabarett auch nicht zu groß. Der Unterschied zwischen Kabarett und Theater war, dass im Kabarett gegessen und getrunken wurde - im Theater, wie nun bei Wolzogen, aber nicht! Der erste Abend wurde zum Triumph und das Überbrettl eroberte Berlin und bald ganz Deutschland! Alle Akteure traten im Biedermeierfrack auf. Vor ausverkauftem Hause wurde allabendlich „Der lustige Ehemann“ viele Male wiederholt und auch die „Regimentsmusik“. Das ging dann über Jahre so und überall entstanden Konkurrenzbühnen...denn ins Kabarett zu gehen, gehörte fortan zum guten Ton.

Fast alle von Wolzogens Hauskomponisten waren in allen Bereichen der Musik beheimatet; hatten ihre Ausbildung bei namhaften Lehrern absolviert. Sie komponierten auch auf dem Gebiet der Opern- und Konzertmusik, wie: Victor Hollaender - James Rothstein „Madame Adèle“ (T:Wolzogen) - Oscar Straus „Moderne Treue“, der Brief eines Mädchens an vier verschiedene Geliebte im Stil der Wiener Operette - Waldemar Wendland und Bogomil Zepler. Neben ihnen steuerten noch folgende Komponisten die Musik bei: Robert Eysler mit „Das Gänschen“ und „Im Schloß Mirabel“ (T:O.J.Bierbaum) - Bruno Schmidt mit „Seelenbündnis“ (T:Josef Willomitzer) - Georg Bradsky „Im Spelunkenrevier“ (T:Richard Dehmel) - Fritz Lehner „Eine kleine Strandgeschichte“ (T:L.Marco) - auch Wolzogen selbst mit „A fescher Domino“ - „Das Lied von den lieben süßen Mädeln“ und „Unsere lieben Sachsen“. Der Spitzenschlager dieses Kabaretts gab Aufschluss über den Charakter des Unternehmens: bei Wolzogen (nostalgisch, verspielt) war es der „lustige Ehemann“ (T:O.J.Bierbaum) mit der Musik von Oscar Straus! Die Kritiker schrieben: ...„Nur gelegentlich tauchte etwas locker Anmutiges auf wie manche Melodien von Leo Fall oder ein paar authentische Einfälle von Oscar Straus.“…

Zur Gruppe der Dichter der Brettlbühnen vor dem Ersten Weltkrieg gehörten: Ernst von Wolzogen (1855-1934), Detlev von Liliencron (1844-1909), Otto Julius Bierbaum (1865-1910), Arno Holz (1863-1929), Erich Mühsam (1878-1934 ermordet KZ Oranienburg), Peter Hille (18541904), Paul Scheerbart (1863-1915), Christian Morgenstern (1871-1914), Richard Dehmel (1863-1920), Ludwig Thoma (1867-1921) und Frank Wedekind (1864-1918). Arno Holz fügte in seine Dichtung immer wieder die neue soziale Thematik der Zeit mit ein (Großstadtmilieu).

Noch Anfang 1901 führte eine Tournee mit einem Teil des Ensembles nach Hamburg, Leipzig, Wien und Breslau. Am 02.05.1901 gab es auch ein Gastspiel des Buntes Theater im Wiener Carl-Theater.

Jom Kippur und seine Folgen: Es ist belegt, dass Oscar Straus am 23.09.1901 nicht auftreten durfte, denn da war Jom Kippur, das jüdische Versöhnungsfest! Sein reicher Erbonkel erlaubte ihm dies nicht, bzw. befahl es! Straus holte sich daraufhin als Vertretung Arnold Schönberg. Dieser spielte auch eine eigene Komposition vor: die Vertonung des Falkeschen Gedichtes „Rechts Luischen, links Marie und voran die Musici“. Dieses Chanson erwarb Wolzogen sofort für sein Überbrettl. Zu diesem Zeitpunkt war Schönberg noch gänzlich unbekannt. Vorspiel und Proben liefen gut, aber der Abend war für Schönberg ein einziges Fiasko! Er hatte so starkes Lampenfieber, dass er selbst die einfachsten Akkorde nicht bewältigte. Somit blamierte er Wolzogen bei seinem Vortrag derart, dass ihn der Zweite Kapellmeister Waldemar Wendland ablösen musste. Schönberg trat aber trotzdem für eine Monatsgage von 300 Mark, laut seinem Vertrag vom 16.12.1901 bis zum 31.07.1902, am Buntes Theater in Erscheinung.

Anm.:Es war wohl so, dass er zwar Gage bezog, dafür aber keine Leistung erbrachte; wie auch Ludwig Thoma zum GmbH-Zeitpunkt. Das geht aus einem Briefwechsel Schönbergs mit dem Wiener Komponisten Adalbert von Goldschmidt am 02.05.1902 hervor.

Oscar Straus liierte sich mit Bozena Bradsky bereits um 1901; es gibt da eine belegte Anekdote zwischen ihm und Wolzogen: ...„Wissen Sie, Herr Straus, es tut niemals gut, wenn der Kapellmeister die erste Sängerin [gemeint war die Bradsky] zu seiner Geliebten macht.“ Woraufhin Straus schlagfertig: „Wissen Sie, Herr Direktor, es tut noch weniger gut, wenn der Direktor seine Geliebte [gemeint war Elsa Laura Seemann] zur ersten Sängerin machen will.“ (Mitgeteilt von Robert Koppel in einem Brief an Edmund Nick/zitiert nach Heinz Greul, „Bretter, die die Zeit bedeuten“. Die Kulturgeschichte des Kabaretts).

Zum Überbrettl gehörte Oscar Straus seit der Gründung, doch schon mit Beginn Spielzeit Herbst 1901/02 wechselte Wolzogen in sein neues Haus in die Köpenicker Straße. Oscar Straus und Detlev von Liliencron übernahmen nun die alte Bühne, welche als Konkurrenzbühne Buntes Brettl weitergeführt wurde. In der Saison 1902/03 übernahm dann der Wiener Schriftsteller Dr.Artur Pserhofer (liebenswürdiger Humor/war beim Publikum beliebt) diese Bühne am Alexanderplatz und benannte sie Intimes Theater. Jede Art Überbrettl wurde von ihm verbannt, denn wertvolle humoristische Stücke der Weltliteratur sollten nun gepflegt werden; speziell „Courteline“. Dieser wurde Pserhofers Meinung nach mangels Popularität bisher übergangen. Mit dabei war ein komplettes Schauspielerensemble mit Rudolf Bernauer, dazu ein fünfköpfiges Operettenensemble, und Leo Fall als Dirigent von einem 27-Mann-Orchester. Doch hielt sich die Spielstätte nicht lange und wurde 1903 endgültig geschlossen.

Die danach genannte Secessionsbühne, wurde dann von Dr.Martin Zickel und Marcel Salzer als Operetten- und Singspieltheater mit Überbrettl-Teil weitergeführt.

Zweites Buntes Theater

28.11.1901 war die Eröffnung vom Buntes Theater in einem neu erbauten Haus in der Köpenicker Straße 67/68 und der zweite eigene Theatersitz Wolzogens. Die Lieder wurden nun mit Orchester vorgetragen; zur Spielzeit 1901/1902 begleiteten das Ensemble 22 Musiker. Nachdem diese Bühne zur Überbrettl GmbH umgewandelt worden war, wurde Oscar Straus gegen den Willen Wolzogens von den Aktionären re-engagiert. Hanns Heinz Ewers übernahm Wolzogens Position, ihm folgte Carl von Levetzow.

Hier gab es als Eröffnungsprogramm „Zur Dichtkunst abkommandiert“ (T:Ps.Peter Schlemihl=Ludwig Thoma/M:O.Straus). Es war ein Angriff auf das militante Kunstbanausentum Wilhelm II. und bezog sich auf den preußischen Artilleriemajor Joseph Lauff, der zahlreiche promonarchistische Stücke aus der Geschichte des Hohenzollernhauses verfasste, von Wilhelm II. wurde er dann als Dramaturg an das Wiesbadener Hoftheater berufen. Leider konnte das Niveau der ersten Stunde nicht mehr aufrecht erhalten werden; so ging die Blütezeit der Überbrettl-Bewegung 1902 zu Ende. Oscar Straus war dort bis zur Auflösung tätig. In Wolzogens Lebenserinnerungen liest es sich dann so: ...„und als Schlager ersten Ranges erwies sich die einzige einigermaßen politische Nummer, die uns die Zensur durchgelassen hatte, nämlich das Couplet „Zur Dichtkunst abkommandiert“...

Erstes Schall und Rauch in Berlin

Das literarische Kabarett Schall und Rauch eröffnete am 23.01.1901 um Max Reinhardt, Friedrich Kayßler und Dr.Martin Zickel mit einer vierteiligen „Don Carlos Parodie“. Schon 1898 gründete Max Reinhardt die Secessionsbühne im Deutsches Theater. Das Schall und Rauch wurde sowohl dort als auch im Künstlerhaus in der Bellevuestraße auf die Bühnenbretter gebracht. Die dritte Spielstätte im Kleines Theater Unter den Linden (in Armins Festsälen im Victoria-Hotel, Unter den Linden 44), wurde dann ab Saison 1901/02 feste Spielstätte. Zur Gruppe der Dichter des Schall und Rauch gehörten Peter Hille, Erich Mühsam, Max Reinhardt, Klabund, der Dichter der „Harfenjule“ und Dr.Alfred Kerr. Schall und Rauch- Mitbegründer Dr.Martin Zickel wurde später Dramaturg bei Wolzogen, dann Direktor im Lustspielhaus in der Friedrichstraße.

Der Dichter Christian Morgenstern soll laut dem Kabarettbuch „Sich fügen-heißt lügen“ (80 Jahre deutsches Kabarett), der eigentliche Auslöser für Reinhardts Eröffnung des Schall und Rauch gewesen sein. Die Mitglieder des Kabaretts diskutierten in ihrem Künstlerclub Die Brille und entwickelten daraus ihre Sketche und Lieder. Als sie nun erfuhren, dass ihr gemeinsamer Freund Christian Morgenstern in einem Schweizer Lungensanatorium lag, dort unter Geldnot litt, mieteten sie einen Saal und gaben zu seinen Gunsten eine Benefizveranstaltung; hier entstanden ihre Parodien auf den Theaterbetrieb.

Vor der ersten Nachtvorstellung des Schall und Rauch hatte Reinhardt ein Auge auf Rudolf Bernauer geworfen. Reinhardt und Kayßler veranstalteten die erste Vorstellung im Künstlerhaus und sie suchten Darsteller, die umsonst auftreten würden. So ging Reinhardt anstatt ins Metropol ins Westminster, wo Bernauer sich aufzuhalten pflegte. Er besah sich Bernauer von oben bis unten und zitierte ihn an seinen Tisch. Berthold Held, sein „Mädel für alles“ fädelte dann die Mitwirkung Bernauers bei der ersten Schall und Rauch-Vorstellung ein. Reinhardt und Kayßler fungierten bei dieser Vorstellung noch auf Augenhöhe, doch für Kayßler war es das erste und letzte Mal neben Reinhardt. Bernauer entschloss sich, bei der nächsten Veranstaltung nicht mehr mitzumachen.

Zur Umgehung der Zensur gab es eine Geschlossene Veranstaltung mit Eintrittskarten zum Preis von zehn Mark, die aber jeder erwerben konnte; doch waren diese namentlich ausgestellt! Damit erst war es möglich, anti-obrigkeits-Titel in die Programme einfließen zu lassen. Hauptbestandteil war hier die Theaterparodie und berühmt wurden vier Parodien auf Schillers „Don Carlos“; weitere Titel: „Das Regie-Kollegium“ - „Diarroesteia von Persiflageles, eine Durchfalltragödie in mehreren Aktionen“ - „Der Dichter mach Maß“.

Reinhardt erwies sich schnell als der führende Kopf der Künstlerbrettl-Gemeinde. Zwischen den Theaterparodien gab es Chansons, wo der musikalische Spiritus rector Dr.Bogumil Zepler war. Er lieferte Musik zu Texten von Georg David Schulz und Georg Engel; die mit kräftigem Applaus aufgenommen wurden: „Wenn er die Willumitzer'sche ‚Neue Lorelei'“ - „Das Lied vom kühnen Kohn im Kahn“ - mit parodierten Rheingoldklängen „Wigela wie-eih-weih!“ - „König von Yvetot“ und der lustige „Rohrpostbrief“ (T:Georg Engel).

Eine Kritik aus der Zeit: …„Es kann der ganzen Sache nur von Vorteil sein, wenn ernste Künstler wie Zepler, die in Kreisen der vornehmen Musiker leider noch herrschenden Vorurteile bei Seite lassen und kräftig Hand zur Vertilgung des Gassenhauers mit anlegen.“ (Arthur Seidl, Biedermeier in Décadence? Zur Psychologie des „Überbrettl’s“ in: Die Gesellschaft, 1901 (17. Jg.), 2. Bd., S. 139 ff.).

Die 11 Scharfrichter in München

Die 11 Scharfrichter wurden am 12.04.1901 im Wirtshaus Zum Goldenen Hirschen (Studentenpaukboden/hielt bis 1904) in der Türkenstr. 28 gegründet. Es war eine Vereinigung von Varieté und ernster Kunst und der Protest gegen das geplante Zensurgesetz „Lex Heinze“; also ein reines Kabarett mit Verzehr, das Repertoire wechselte monatlich.

Die Initiatoren waren der Franzose Marc Henry (Chansonnier), seine Frau Marya Delvard (Maria Biller/Chanteuse), Leo Greiner und Willy Rath (Schriftsteller), Otto Falckenberg (Regisseur/später Gründer der Kammerspiele), Max Langheinrich (Architekt), Robert Kothe (Rechtsanwalt), die Maler Victor Frisch, Ernst Neumann und Willi Örtel, der Bildhauer Wilhelm Hüsgen, der Parodist Hanns von Gumppenberg; dazu die Komponisten Hannes Ruch und Frank Wedekind. Alle traten in der roten Robe des Scharfrichters auf und hielten Henkersbeile in ihren Händen. Das Publikum sollte provoziert werden; im Gegensatz zu Wolzogen war hier die politische Satire an der Tagesordnung.

Alle Scharfrichter hatten eigene Namen: Balthasar Starr (Marc Henry), Dionysius Tod (Leo Greiner), Willibaldus Rost (Willy Rath), Peter Lust (Otto Falckenberg), Kaspar Beil (Ernst Neumann), Serapion Grab (Willi Oertel), Gottfried Still (Victor Frisch), Max Knax (Max Langheinrich), Frigidius Strang (Robert Kothe), Till Blut (Wilhelm Hüsgen) und Hannes Ruch (Hans Richard Weinhöppel). Dieser bevorzugte als Komponist eher die Ballade und das alte Volkslied, denn zu dieser Zeit herrschte in München ein weitaus liberaleres Klima als in Berlin! Marya Delvard war die erste bedeutende Diseuse des deutschen Kabaretts. Der Dichter Frank Wedekind trug hier seine aggressiven Balladen vor; dazu gab es auch die Premiere seiner Pantomime „Die Kaiserin von Neufundland“.

Für die „Hymne der Elf Scharfrichter“ kam die Musik von Hannes Ruch, der Text von Leo Greiner; weitere Dichter waren: Hanns von Gumppenberg, Otto Julius Bierbaum, Richard Dehmel. Hier besonders hervorzuheben: „Der Arbeitsmann“ und „Erntelied“ (T:Richard Dehmel /M:Hannes Ruch). Aus dem Kreise der Dichter und Zeichner um die Zeitschrift Simplicissimus kamen Joachim Ringelnatz, Erich Mühsam, Ludwig Thoma u.a. Auch gab es Couplets, Moritaten, Chansons, Gedichte, Balladen und Songs von allgemeiner Thematik, bis hin zum Zeitgeschehen. Der Spitzenschlager dieses Kabaretts war Frank Wedekinds erotisch, bekenntnishafte „Ilse“! Allerdings scheiterte das Kabarett innerhalb von drei Jahren an den eigenwilligen Persönlichkeiten. Marc Henry ging dann nach Wien und eröffnete dort 1906/07 das literarische Kabarett Nachtlicht.

Die bösen Buben

Der mittlerweile am Deutsches Theater (DT) mit kleinen Rollen beschäftigte Schauspieler Rudolf Bernauer hatte aus Jux und Tollerei („Was die anderen können, kann ich schon lange!“) drei Couplets geschrieben. Ein Sänger fragte, der diese im Westminster von ihm hörte, ob er sie verwenden dürfe? Bernauer gab sein OK. Etwas später befand sich Bernauer mit dem DT auf Wiener Gastspielreise und hatte dann Ferien. Zurück mit dem Expresszug; gerade angekommen in Berlin, kam ihm just in dem Moment Max Reinhardt entgegen und gratulierte dem nichts Ahnenden zu seinem großen Erfolg! Heraus kam, dass im Theater des Westens (TdW) ein neues Kabarett eröffnet hatte, und fast alle Zeitungen berichteten von Bernauers Couplets „Albertine“ und „Der fidele Hauslehrer“ als die besten Couplets des Abends; das war noch vor dem 05.08.1901!

Der erste Abend der Die bösen Buben fand am 16.11.1901 (bis 1905) im Berliner Künstlerhaus statt. Die Protagonisten waren Rudolf Bernauer und Carl Meinhard (06.12.1875 Prag-März 1949 Buenos Aires); dazu kam auch Dr.Leo Wulff, ein Redakteur der Lustigen Blätter. Dieser sollte eine illustre Gesellschaft einladen, denn er verfügte über die besten Beziehungen! Bernauer und Meinhard wollten dieses Forum umsetzen, um damit einen lukrativen Nebenverdienst „in privaten Zirkeln“ anzukurbeln. Paul Schweiger und Hanns Fischer wollten ebenfalls mitmachen; und Meinhard zeigte ihnen die Parodien, die Bernauer geschrieben hatte. Dazu kam Jenny Rauch, die allzu früh verstarb; sie sollte Schweigers Partnerin in der „Ibsen-Nora-Parodie“ sein…es fehlte ihnen nur noch ein Komponist…

Oscar Straus war ihnen schon zu arriviert, so wandte sich Bernauer an Bogumil Zepler (Schall und Rauch), der lehnte mit der Begründung ab, dass er sowas Max Reinhardt nicht antun könne! Dann fragten sie Rudolf Nelson, der die Texte las, aber mit der Begründung verzichtete ...er könne zwar Schlager schreiben, aber Musik auf kabarettistische Texte, das läge ihm nicht! Rudolf Bernauers Kommentar dazu: „Seine künftige Entwicklung hat ihm recht gegeben!“

Am Westminster-Stammtisch klagte Bernauer sein Leid und als er hinausging, um sich die Hände zu waschen, folgte ihm Leo Fall. Er wollte wissen, warum er ihn nicht gefragt hätte, wo er doch der einzige sei, der für Bernauers Sachen in Frage käme?

Zu: Leo Fallhatte ein starkes Gebiss, das in der Mitte eine große natürliche Lücke hatte. Das war sehr charakteristisch für ihn, sowie sein früh erkahlter runder Schädel. Zu der Zeit war er Dritter Kapellmeister am Berliner Metropol-Theater, was nach Meinung Bernauers ein besseres Varieté war.

Bernauer machte ihm klar, dass er einen Musiker in der Art Offenbachs wolle, der Sinn für Parodie und Pointen hätte; doch Leo Fall ließ nicht locker! In der Toilette verabredeten sich beide für ein nächstes Treffen; schon in den nächsten Tagen kam es dazu. Leo Fall wollte Bernauer aus seiner Oper „Irrlicht“ vorspielen und dieser war daraufhin sehr beschämt, da Falls Darbietung „wirklich großartig war“. Fall machte ihn darauf aufmerksam, dass seine augenblickliche Stellung am Metropol-Theater wenig über sein eigentliches Können zeige. Bernauer drückte ihm gegenüber seine Bewunderung aus und wollte ihm zwei seiner Lieder „vorerst auf Probe“ mitgeben.

Am nächsten Tag kam Leo Fall wieder. „Triller-Camilla“, die ulkigtraurige Geschichte einer in einen Klavierlehrer verliebten Schülerin, hatte Fall mit virtuosem Einfall unter Liszts 2.Rhapsodie gelegt! Dafür brauchte Bernauer keine Silbe mehr zu ändern; für „Und Meyer sieht mich freundlich an“ hatte er eine geschickt pointierte Form gewählt; Meinhard war ebenso begeistert und auf seine Anregung hin entstand der Name Die bösen Buben.

Dr.Wulffs Beiträge waren nicht gerade prickelnd, Meinhard-Bernauer versuchten ihn davon zu überzeugen, 9/10-tel seiner Texte wegzulassen ...„da sie diese schauspielerisch nicht pointiert genug spielen könnten!“ Meinhard spielte aus seinem Prager Repertoire das damals sehr beliebte „Schlierseer Bauerntheater“; daraus wurde die Parodie „Die einsamen Menschen vom Schliersee“.

Dr.Leo Wulff lud zur ersten Galavorstellung der Bösen Buben alles ein, was in Berlin Rang und Namen hatte! Es war eine Nachtvorstellung lange nach Theaterschluss. Meinhard-Bernauer stockte der Atem; beide dachten eher an ein zahlungskräftiges Publikum wie Großindustrielle und Bankiers, doch nun blitzte ihnen das blanke Verderben entgegen: alle großen Namen der Kunst, die Berlin und Deutschland zu bieten hatte, waren erschienen.

Leo Fall ahnte noch nicht, was Meinhard-Bernauer schon sahen: die Bühnenleiter Otto Brahm, Paul Lindau, Neumann-Hofer, Ernst von Wolzogen; die Kritiker Fritz Mauthner, Julius und Heinrich Hart, Maximilian Harden; die Dramatiker Hermann Sudermann, Ludwig Fulda, Hermann Bahr und Oscar Blumenthal; die Schauspieler Georg Engels, Emanuel Reicher, Arthur Kraussneck, Max Pohl, Max Reinhardt; die Schauspielerinnen Else Lehmann, Luise von Pöllnitz, Anna Schramm, Paula Conrad, die Dirigenten Arthur Nikisch, Dr. Muck, Felix Weingartner; die Maler Max Slevogt, Lovis Corinth und Max Liebermann...um nur die bedeutendsten zu nennen. Leo Fall war darüber dermaßen erschrocken, dass er in der Pause in seiner Garderobe die Wäsche wechseln musste.

Die vier Bösen Buben der ersten Stunde waren: Carlchen (Meinhard) - Rudelchen (Bernauer) - Paulchen (Schweiger) - Leo (Wulff) in Kniehöschen und Etonkragen an der Rampe und der Klavierpaukende andere Leo (Fall). Sie stritten dann im Prolog über „Kinderreime“ (aus: Rudolf Bernauer „Das Theater meines Lebens“, S. 128):

„Überbrettl - Sezession,

Wolzogehn und Liliencron,

Bügeleisen - Musenstall,

Siebnter Himmel - Rauch und Schall,

Höhenkunst und Rhapsodie,

Trianon - Charivariii.

Und so geht es weiter furt

Bis zum Trautchen Hundgeburth!

Lose Blätter - Pegasus,

böser Bube macht den Schluß.“

Das kam schon einmal gut an! Es folgte eine Duett-Parodie auf den „lustigen Ehemann“ von Oscar Straus: „Ringelrein Rosenkranz, ich tanz mit meiner Frau!“ Als Conférencier tauchte aus dem Publikum der Schauspieler Iwald auf. Das war ein abgekartetes Spiel, das nicht einmal den abgefischtesten dieser Versammlung auffiel. Iwald leistete an diesem Abend seine Glanzrolle als Miesmacher; auch andere Darsteller waren im Publikum und mischten auf!

Der Vorhang fiel, Leo Fall improvisierte, um am Schluss wieder beim „lustigen Ehemann“ zu landen. Vorhang auf…dort stand in täuschend echter Maske Paul Schweiger als Maler Franz von Lembach zusammen mit der Tänzerin Saharet auf der Bühne; mit ihr hatte Lembach zu der Zeit wohl ein Verhältnis. Diese Saharet allerdings sah Carl Meinhard zu ähnlich…Lachsturm…tosender Applaus…es war in dem Sinne nicht wieder ein Kabarett sondern eine Art lebendiges Witzblatt.

Da Ibsens „Nora“ zur damaligen Zeit nur über ein „Happy End“ das Bühnenlicht erblicken durfte, machten es sich die Bösen Buben zur Aufgabe, jetzt als Parodie verschiedene Autoren zwecks „Happy End“ zu Worte kommen zu lassen: zuerst Frank Wedekind, dann Maeterlinck, im Stil von „Pelleas et Mélisande“, Gerhart Hauptmann und Alexander Bisson. Eine Umarbeitung von Josef Lauff war der Abschluss und das zurzeit von Wilhelm II.! Hier parodierten die Bösen Buben die Hofschauspieler Adalbert Matkowsky und Rosa Poppe.

Zu dieser Zeit war Rudolf Bernauer gerade einmal 21 Jahre alt und er wurde von der Presse als Autor gefeiert. Zwei Kabarettlieder stachen mit Leo Falls Musik besonders hervor: einmal das Duett mit Meinhard und der populären Geisha-Sängerin Mia Weber! Dann „Und Meyer sieht mich freundlich an“, glänzend vorgetragen von Josef Giampietro, der sich hier zum ersten Mal als Couplettenor zeigte, und damit binnen kürzester Zeit der höchstbezahlte beliebteste Berliner Revue-Darsteller am Metropol-Theater wurde. Zum Schluss gab es noch die „Schliersee-Parodie“ und das wurde dann der absolute Heuler!

Diese Vorstellung fand nur einmal statt, das sollte immer einmal im Jahr so weiter gehen. Für diese Vorstellung benötigten sie neben ihrer Arbeit am DT einige Monate der Vorbereitung. Die meisten Darbietungen wurden nicht gedruckt, denn es war immer aktuelles Zeitgeschehen. Sie waren ein literarisch-politisches „Witzblatt auf den Brettern“; schon bald kam auch der Komiker Viktor Arnold hinzu. Insgesamt waren sie sich sieben Jahre bis zur Eröffnung der Theaterdirektion ihrem Stil treu geblieben!

Allerdings verließ Dr.Leo Wulff bald darauf das Unternehmen, denn diesem war der Erfolg zu Kopf gestiegen! Er war der Meinung, dass er der „Böse-Buben-Macher“ sei, doch das war weit gefehlt! Es kam zum Streit, er gründete daraufhin „Die bösen Mädels“, was ein Flop wurde, verlor dazu seinen Job bei den Lustigen Blättern und landete irgendwo bei einer Provinzzeitung. Doch Meinhard-Bernauer wurden nun die „Aristophanasse“ von Berlin genannt. Sie gaben bis 1905 die Böse-Buben-Abende in unregelmäßigen Abständen vor geladenen Gästen; ihr Hauskomponist war immer Leo Fall. Musikalische Vorträge rangierten hinter den Theaterparodien, doch kamen hier folgende Couplets von Rudolf Bernauer mit der Musik von Leo Fall zu Gehör: „Die drei Mieter der Frau Schlüter“ - „Ballade vom verlorenen und wiedergefundenen Mops“. Das wurden nun im Unterhaltungskabarett gängige Nummern! „Und Meyer sieht mich freundlich an“ wurde später von Kurt Tucholsky zum klassischen Berliner Couplet erklärt!

1903/04 sollte es wieder ein Böse-Buben-Programm geben. Tagsüber arbeiteten Meinhard-Bernauer dafür ungestört im Café Kaiserkrone an der dann erfolgreichen „Nachtasyl-Parodie“. Diese Literaten- und Künstlergaststätte war durchgehend geöffnet! Weil es dort am Tage leer war, konnten sie ungestört arbeiten; denn erst abends erwachte dieser Schauspielertreff zu Leben.

Im Winter 1904/05 veranstalteten Meinhard-Bernauer den Erster Kinderball der bösen Buben. Er fand in der Schlaraffia statt und wurde ein so großer Erfolg, dass er alljährlich Bestandteil des Berliner Kulturlebens wurde. Dort herrschte totaler Kostümzwang, selbst der oberste Zensor musste ein Zwangskostüm anziehen. Um Mitternacht gab es dann die satirische B.Z. um Mitternacht und am nächsten Morgen druckten die Tageszeitungen Auszüge aus dieser Publikation.

Viele Kleinkunstbühnen und Theater gründeten sich nach 1900

Aus einem Künstlerstammtisch entstand das erste Berliner Bohème-Kabarett, welches sich im Weinrestaurant Dalbelli in der Königin Augustastraße 19 formierte; dort rezitierte man und gab Liedvorträge von sich. Doch dann zog die Künstlergemeinde ins Restaurant Gazzolo in die Markgrafenstraße; und ab 02.10.1901 hob Max Tilke das Cabaret zum hungrigen Pegasus aus der Taufe; dort brachten sie ihre Darbietungen jeden Sonnabend auf die Brettl. Der Dichter Georg David Schulz war eine der Stützen dieses literarischen Kabaretts; ab und zu kamen auch vorbei: Peter Hille, Hans Hyan, Hanns Heinz Ewers und Erich Mühsam. Dieses Cabaret bestand nur bis zum Frühjahr 1902!

Nach kurzer Zeit schossen die Kleinkunstbühnen wie Pilze aus dem Boden; so in kleinen Weinstuben, wo Bohemiens das Publikum zu ihren Vorführungen lockten. Sowohl das Publikum als auch die Künstler saßen an den Tischen zusammen. Dann gingen die Künstler kurz aufs Podium, um sich danach wieder unter das Publikum zu mischen. Bei solchen Anlässen gelang es Rudolf Nelson immer wieder, die Künstler begleiten zu können; zu nennen ist hier Robert Streidl, der von sieben bis eins das „Tingelingeling“ sang; dem absoluten Schlager von 1900. Er gehörte zu den populären Künstlern des Unterhaltungsfachs vor 1914 neben Max Linder, Otto Reutter, Claire Waldoff, Guido Thielscher, Martin Bendix und Littke Carlsen. Auch Victor Hollaender schrieb für das Überbrettl: „Charlotte“ (T:O.J.Bierbaum), „Rosen“ (T:O.J. Bierbaum), „Mädchenlied“ (T:Salus), „Mein Opfer und ich“, „Wenn Grete mein Schatz wär’“ (T:L.Marco).

Hier möchte ich weitere bekannte Berliner Veranstaltungsstätten um 1900 aufzählen: Apollo-Theater, dort lief 210mal „Lysistrata“ von Paul Lincke - Buntes Theater (Überbrettl) mit dem Theaterleiter Oscar Straus in der Köpenicker Straße 68 - Casino-Theater - Einödshofer-Concert - Gebrüder Herrnfeld-Theater, wo der urkomische Bendix Hauskomiker und Berliner Original war - Intimes Theater am Alex - Kleines Theater Unter den Linden (1901, Max Reinhardt Kabarett Schall und Rauch) - Luisen-Theater - Metropol-Theater; dort lief die Ausstattungsposse „Berlin bleibt Berlin“ (T:Julius Freund/M:Erik Meyer-Helmund) - unter der Direktion von Hermann Glogau Neues Concerthaus im Grand Hotel am Alexanderplatz - Wintergarten (Varieté) - Zirkus Schumann.

Das Cabaret zur silbernen Punschterrine wurde am 26.11.1901 (bis 1904) im Saal von Schröder's Restaurant in der Steglitzer Straße 18 vom Dichter Hans Hyan als Familienunternehmen gegründet. Seine Frau Käte war eine bekannte Chanteuse; sie trug zur Laute eigene Melodien à la Montmartre-Schauerballaden und komische Hofgesänge aus dem Berliner Milljöh vor, wie ihre Zugnummer „Einbruch bei Tante Klara“. Dort saß auch Rudolf Nelson am Flügel, sein Zitat: „Wohl viel begeisterter als meine Gäste!“

Mit einem Trick umgingen auch sie die Zensur: sie nahmen keinen Eintritt und die Gäste kamen „auf Einladung“, diese Einladung konnte aber jeder erhalten. Die Einkünfte erwirtschafteten sie sich durch Tellersammlungen, die …„bei dem die Vorstellungen besuchenden gut situiertem Publikum stets reichlich ausgefallen sein sollen“. (Polizeibericht 24.08.1902, Staatsarchiv Potsdam, Akte Th 1491)

Ferner war die Zensurbehörde der Meinung, dass dieses Kabarett …„einer besonders scharfen Controlle unterzogen werden muss“. Vergeblich versuchte man einen Nachweis dafür zu erbringen, dass es sich bei den Kabarettabenden um „öffentliche Veranstaltungen“ handelte. Ab November 1903 spielten sie in einem neuen Domizil im ersten Stock des Theater-Restaurants in der Charlottenstraße 58.

Das Poetenbänkel im siebenten Himmel wurde im Februar 1902 (bis 1906) von Georg David Schulz in Colster's Restaurant neben dem Berliner Theater des Westens in der Kantstraße 8, gegründet. Man schielte dort eher auf die Geldscheine des Publikums. Bogumil Zepler lieferte die Musik zu den Texten von G.D.Schulz und Georg Engel; diese wurden mit kräftigem Applaus aufgenommen. Alexander Roda-Roda gab hier sein Kabarett-Debüt und Erich Mühsam trat für ein „festes Honorar von fünf Mark“ pro Abend auf.

Zu: Erich Mühsam, Schriftsteller (06.04.1878 Berlin-10.07.1934 ermordet KZ Oranienburg); 1919 Mitglied der Münchner Räteregierung, im Februar 1933 nach dem Reichstagsbrand in Haft genommen; politischer Lyriker „Es war einmal ein Revoluzzer“, Dramatiker „Judas“ (1921), „Staatsraison“ (1928) und Essayist. Herausgeber der anarchistischen Zeitschrift Fanal (mehr zu ihm in Band 1.2/Kapitel 3).

Die Chansons waren eher nach kommerziellen Gesichtspunkten gestrickt! Zitat der Zensur: „Das ziemlich harmlose Unternehmen [...] hat zu polizeilichem Einschreiten bisher noch keinen Anlass gegeben, sonstige Tendenzen, z.B. politische, antireligiöse etc. werden nicht verfolgt.“…

Zum 7. Himmel wurde am 27.11.1902 als eine Filiale zum ersten Poetenbänkel im Grand Hotel Alexanderplatz eröffnet. Es war das zweite Kabarett von Georg David Schulz (*07.10.1865 Berlin/Maler, Schriftsteller/von Kollegen Dichter Schmalz genannt). Hier holte er sich Rudolf Nelson als Klavierbegleiter in sein Unternehmen.

Auch im Kabarett Zum blauen Wunder spielte Nelson auf und im Kabarett Der Klimperkasten des bekannten Schauspielers Albert Kühne. Über Nelson schrieb die Kritik schon zu der Zeit: „Er bildet eine Spezialität für sich und ist eine nicht zu unterschätzende Stütze jedes Unternehmens. Mit überaus feinem Gefühl weiß er zu begleiten und ist überhaupt ein brillanter Pianist.“ (Quelle:O.A. Quer durch die Cabarets, in: Das kleine Journal, 18.01.1904)

Doch bald erfüllte sich Rudolf Nelsons Traum: der Leiter des Kleinkunsttheaters Zum (fröhlichen) Faun, Eugen Freiherr von Ensberg, engagierte ihn für eine Saison als Hauskomponist und Begleiter. Dort kreuzten sich seine Wege mit einem anderen, von Ehrgeiz besessenem Überbrettl-Fanatiker: Rudolf Bernauer. Er schrieb nun die Texte zu Nelsons Chansons und der Interpret war der damals gefeierte Schauspieler Albert Kühne.

Dieser nahm Nelson dann in sein Charivari, welches er in der Alten-Jakob-Straße eröffnete. Genauso hatte sich Nelson sein Leben erträumt: komponieren, begleiten und keine Sorgen mehr um Morgen; Applaus und Lachen, da „hing der Himmel voller Geigen“! Der Geldgeber war übrigens ein Rennstallbesitzer und es kam ihm nicht darauf an, ob er einmal eine Woche oder länger Geld verlor; doch Berlin war nun überfüllt mit Überbrettln und die Gäste kamen immer seltener.

Auch im Jahre 1903 eröffnete Peter Hille (1854-1904) sein Cabaret zum Peter Hille, wo er der alleinige Protagonist war. Er tagte ebenfalls im Berliner Weinrestaurant Dalbelli und konnte wohl nicht unter Kabarett eingereiht werden, da er ausschließlich aus seinen Gedichten vortrug.

Mit Rudolf Nelson und Paul Schneider-Duncker begann eine neue Ära des deutschen Kabaretts.

Roland von Berlin

Der Roland von Berlin eröffnete im Jahre 1904 in der Potsdamer Straße im Südwesten zwischen Potsdamer Brücke und Margarethenstraße. Paul Schneider-Duncker kreierte das erste repräsentative Amüsier-Kabarett mit weltstädtischer Note. Bei Wolzogen saß man noch im Parkett - im Roland an gedeckten Tischen. Die Musik lieferte Rudolf Nelson, der Co-Direktor war, und eine dominante Rolle einnahm. Es unterschied sich durch die Exklusivität seines Publikums (Hocharistokratie, mondäner Rahmen).

Nach Nelsons Ausscheiden 1907 übernahm Walter Kollo dessen Position. Hier kreierte Claire Waldoff im selben Jahr das „Schmackeduzchen“ (T:Hermann Frey/M:Walter Kollo). Schon ab dem zweiten Monat bezog Claire dort 3.000 Mark Gage und volle zwei Jahre sang sie dieses Lied allabendlich. Weitere Kollo-Schlager waren zu der Zeit „Wenn der Bräut'gam mit der Braut“ (T:F.W.Hardt) und „Was liegt bei Lehmann unterm Apfelbaum?“ (T:O.A.Albers).

Das Lokal war täglich ab 23 Uhr bis 2 Uhr morgens geöffnet, sonntags von 20-23 Uhr ohne Weinzwang, donnerstags zum 5-Uhr-Tee. Claire Waldoff war dort volle acht Monate engagiert und sie nahm sich das Recht heraus, auf der Bühne einen Hosenanzug zu tragen. 1907 war diese Bekleidung von Damen auf der Bühne abends ab 23 Uhr nicht gestattet! Nach dem acht-Monats-Engagement im Roland wechselte Claire Waldoff dann zu Rudolf Nelson.

Weitere Kabaretts:

Zwischen 1901 bis 1905 entstanden in Berlin rund 42 Kabaretts; dazu gab es 1905 gut 18 Theater, die sich folgendermaßen einteilten: einmal in Schauspiel- und Lustspieltheater; dazu elf Volkstheater, und dann Spezialitätenbühnen für Possen, Burlesken, zwölf Singspielhallen und über dreihundert Lokale mit Konzessionen für Aufführungen, darunter fielen dann rund 50 Kabaretts, wie: Weimanns Volksgarten - Huths Sommertheater - im Berliner Prater direkt gegenüber bei Puhlmanns oder Schweizergarten am Königstor; zur Sommerunterhaltung gab es für das Bier- und Kabarettpublikum Theaterstücke. Auch ein Varieté-Sommerlokal war das Dinda in der Blücherstraße/Hasenheide, wo Walter Kollo ein bescheidener Kapellmeister war.

Die Österreicherin Olga Wohlbrück gastierte 1905 im Charlottenburger Schiller-Theater. Diese Schauspielerin, einst zu Wolzogens Ensemble gehörend, war zu der Zeit schon bekannt und hatte eigenes Chanson-Repertoire, welches sogar in Verlagen erschien. Sie war eine Pionierin des literarischen Kabaretts. Im Jahre 1906/07 gründete sie als Theaterdirektorin das Figaro-Theater im Hause der Berliner Künstler-Sezession am Ku'damm; der Vorstellungsbeginn war 20.30 Uhr. Im Figaro-Theater wurde am Tisch konsumiert und geraucht. Die Kabarettistin Claire Waldoff (21.10.1884 Gelsenkirchen-22.01.1957 Bad Reichenhall) war bei ihr engagiert. Doch das Figaro-Theater musste im Laufe des Jahres 1907 den Spielbetrieb einstellen.

Im Berliner Neues Schauspielhaus wurden unter der Direktion von Alfred Halm nur Possen gespielt. Doch gab es dort am 11.05.1907 das erste Quodlibet im Kabarett in „Hofrats Erben“ (T:Hans Brennet/ M:Bogumil Zepler) mit einer „Salome-Parodie“ als Einlage, in der Johann-Strauß-Melodien mit alten Volksliedern als Parodien verwoben worden sind.

Chat Noir

Chat Noir hieß das eigene Kabarett, welches Rudolf Nelson nach der Trennung von Schmidt-Duncker 1907 im 1.Stock des Hauses von Castans Panoptikum Unter den Linden in der Passage Ecke Friedrich-/Behrensstraße gründete.

Dort ging es noch exklusiver zu als im Roland von Berlin. Es war ein langer, fast schmaler Raum für gut 200 Personen. Man schrieb dort noch Cabaret (das Pariser „Chat Noir“ wurde 18.11.1881 von Rudolphe Salis in Paris gegründet und war ein reines Verzehrkabarett). Es wurde d a s Kabarett Deutschlands unter deutschlandweit fünf bis sechs Kabaretts dieser Art. Dort zahlte man 6,20 Mark Eintritt für einen Terrassenplatz inklusive Programm; es war der höchste Eintrittspreis für ein Berliner Kabarett. Nelsons Bruder Hugo Leonhard begleitete am Flügel und zu der Zeit war O.A.Albers Nelsons aktivster Textautor. Das Chat Noir lief bei den Behörden unter Tingel-Tangel (10.12.1911 kostete der Eintritt 1,20 Mark bis 5,20 Mark); und es lief ab 23:30 Uhr bis 2 Uhr morgens; dann war Schluss!

Otto Bellmann und auch Fritz Grünbaum waren bei Nelson als Conférenciers tätig. Hier kamen die Künstler meist nicht mit eigenem Repertoire sondern das ganze Unternehmen wurde auf Nelsons Musik gebaut. Diese verband Wiener Sentimentalität mit Berliner Schuss, gepflegten Salonton mit populärer Unmittelbarkeit. Es gab einen musikalischen Faden, der vom Überbrettl Wolzogens zum Kabarett des Rudolf Nelson führte.

Das Wienerische Element war nur eine Farbe. Es zeigte auch Gemeinsamkeiten mit der Berliner Operette; wie bei Paul Lincke mit Marsch- und Polkaintonationen. Doch Rudolf Nelson, im Gegensatz zu Paul Lincke, schrieb immer eine Musik von vorbildlicher Eleganz. Der Spitzenschlager war sein pikantes „Das Ladenmädel“ (T:Willi Wolff); welches als eine Glorifizierung des kurzlebigen sexuellen Abenteuers zu verstehen war, und als ein Prototyp des Kabarettchansons vor dem Ersten Weltkrieg angesehen werden kann.

Hier entstand auch 1908 Claire Waldoffs erster Text von insgesamt fünf bis acht Liedern; wie unter der Assistenz von Willy Prager das „Schusterjungen-Lied“. Weitere Spitzenschlager dieser Zeit waren: „Fischerin, du kleine, zeig mir deine Beine“ mit dem Text von F.W.Hardt, der im Ersten Weltkrieg fiel; er war auch der Kompagnon von Hermann Frey („Immer an der Wand lang“). Weitere Gassenhauer vor 1910 waren: „An dem Baume, da hängt 'ne Pflaume“ - „Hab'n Se nich den kleinen Cohn geseh'n?“ und das Bernauer Couplet „Man ist nur einmal jung“ (M:Walter Kollo). Wilhelm Lindemann war ein äußerst produktiver Musiker des Genres „Soubretten-Album“; er schrieb das „Schnuppquadrat“ - „Knoll, der stramme Grenadier“ und später „Trink, trink, Brüderlein trink“.

Der rundliche Nelson mit dem Napoleon-Hinterkopf war sein eigener Direktor und Produzent. Die Texte für seine Chansons und Künstler geschrieben, gab er bei namhaften Schriftstellern in Auftrag; er legte Wert auf Stil und Eleganz. Nachts um 23:30 Uhr kamen Diplomaten und Herren aus den Ministerien von ihren offiziellen Diners in Frack und großer Toilette. Sie ließen sich in Nelsons Chat Noir bei Sekt in bequemen Sesseln noch zwei Stunden unterhalten. Nelson hatte dann neben dem Chat Noir noch das Metropol-Kabarett, doch saß er meist im Chat Noir am Flügel. Nelsons Kabarett war 1914 schon ein Begriff für den weltstädtischen Schlagerton. Trotz starker Konkurrenz zum Linden-Cabaret war das Chat Noir ein immer gut besuchtes Etablissement. Es ging dort intimer zu als im großräumigen Linden-Cabaret. Nelson organisierte dazu immer alles selbst, während das Programm vom Linden-Cabaret von Agenten zusammengestellt wurde.

Linden-Cabaret

Das Cabaret Unter den Linden wurde kurz Linden-Cabaret genannt. Unter der Direktion der Gebrüder Karl und Theodor Rosenfeld lag es über dem Panoptikum Ecke Friedrich-/Behrensstraße. Die Auftritte fanden nachts ab 01:30 Uhr statt und ein Billet kostete 2 Mark; künstlerischer Leiter war hier Jo Steiner.

Hier ein kleiner Überblick, was dort ein Conférencier um diese Zeit verdienen konnte: die Gebrüder Karl und Theodor Rosenfeld boten Willi Schaeffers eine Gage von 1.200 Mark monatlich und eine Monatsgage Vorschuss.

Als er noch bei Martin Zickel war, bekam er 250 Mark Gage und Nelson bot 500 Mark. Ab dem Jahre 1912 arbeitete auch Claire Waldoff bei Linde. Dort sang sie dann ihre Gassenhauer „Nach meine Beene ist ja janz Berlin verrückt“ (T:F.W.Hardt/M:Walter Kollo) - „Er ist nach mir verrückt“ (Ludwig Mendelsohn) und „Hermann heeßt er“ (1913).

Weitere Kabaretts in Deutschland bis 1914

Kabaretts in Hamburg:

Im Jahre 1910 waren im Kleines Theater um die Ecke der Großen Bleichen Walter Kollo mit seinem Sohn Willi mit schönen Kabarett-Revuen zu bewundern. Dort gastierte auch Rudolf Nelson im Jahre 1912.

1911 gab es im Hamburger Hof, dessen Festsaal zum Theater an der Alster umgebaut wurde, den berühmten Einakter „Goethe“ von Alfred Polgar und Egon Friedell.

Die Hamburger Hölle war ein kleines Kellerlokal, dort conférierte Willi Schaeffers im Jahre 1912; und es gab das Kabarett Bronzekeller in der Neustädter Straße.

Kabaretts in Köln

Simplicissimus - Rosenhof später der Kaiserhof mit den zahlreichen Blatzheim-Betrieben; dazu unter Direktor Bruck das Varieté Reichshallentheater. Dieser wollte neben dem Simplicissimus ein weiteres kleines Kabarett aufziehen: für seine Kölner Fledermaus verpflichtete er den damaligen Geigen- und Walzerkönig Ernst Stern aus Wien mit einer Riesenkapelle. Bruck eröffnete 14 Tage vor dem festgesetzten Termin und startete mit einem Gastspiel der Wiener Fledermaus.

Wir schreiben das Jahr 1911: Schaeffers, der zu der Zeit bei Rudolf Nelson engagiert war, sollte nach Köln verpflichtet werden, doch Nelson war nur bereit, Schaeffers vorzeitig wegzugeben, wenn er daran etwas nebenbei verdienen könnte…so engagierte Bruck Schaeffers hinter Nelsons Rücken in dessen spielfreien zwei Monaten.

In diesem Kabarett wurden auch Nelsons Schlager gespielt, die super ankamen; doch gab es nur einen kleinen Teil des Publikums, was sich fürs Kabarett interessierte. Der Andrang ließ nach, die Fledermaus ging langsam, aber sicher zugrunde, und Direktor Bruck musste schließen. Sein Kabarett, schräg gegenüber dem Dom-Hotel, verwandelte sich später in ein Bankhaus; was übrigens auch 1914 mit Nelsons Berliner Chat Noir bei Ausbruch des Krieges geschah. In Groß-Köln gastierten dann noch die populäre Grete Fluss und die Dynastie Millowitsch.

In Düsseldorf gab es das Apollo-Theater und das Corso-Theater, in dem auch Willi Schaeffers gastierte.

Kabaretts in München

In München gab es Papa Benz und die Kabaretts Bonbonniere in der Nähe vom Hofbräuhaus und Simplicissimus der Kathi Kobus, kurz Simpl genannt; dazu das Kleines Theater. In diesem wurde Ralph Benatzky 1910/11 musikalischer Leiter; und dort gab es im April die Uraufführung seines Stückes „Der Komet kommt“. Das Münchener Künstlertheater, eine Stilbühne, eröffnete im Jahre 1908 und ein Jahr darauf pachtete es Max Reinhardt für den Sommer.

Die Bonbonniere in der Nähe vom Hofbräuhaus (sie wurde im 2.Weltkrieg von den Bomben ausgelöscht) war ein frühes Caféhaus und wurde zum kleinen Theater mit roten Kachelwänden umgebaut. Man konnte es mit einer Art „Sauna-Bad“ vergleichen. Der runde Vorhang funktionierte nie, weil er immer Widerstand an der Decke hatte.

Die Bonbonniere wurde im Jahre 1911 von Hans Meßthaler gegründet, der bereits in Nürnberg ein avantgardistisches Theater führte. 1912 war die dortige Direktorin Gussy Holl, für die Meßthaler extra diese Veranstaltungsstätte geschaffen hatte. Er verstarb kurz darauf, Gussy Holl schied aus und ging nach Berlin. Im Juni 1912 leitete das Kabarett ein Herr Spannagel, der davon nicht viel verstand und einen Agenten die Engagements machen ließ. So wurden Willy Prager und Willi Schaeffers im selben Jahr von der Hamburger Hölle aus in die Münchener Bonbonniere engagiert.

In dem Etablissement wurde zunächst gespeist; erst ab 21:30 Uhr konnte man mit einigermaßen Aufmerksamkeit rechnen. Der Gastronom war ein Herr Fellbach und sein Geschäftsführer Hans Gruß. Die Künstler erhielten ihr Abendessen auf ihren Garderoben. Dort gab es auch eine strenge Ordnung: getrennte Räume für Herren und für Damen; gegenseitige Besuche wurden nicht gestattet. Willi Schaeffers erhielt dort für den Monat eine Gage von 1.200 Mark.

Nach dem Tode von Fellbach Juli 1912, übernahm der Geschäftsführer Hans Gruß das Kabarett von den Erben auf eigene Rechnung; und Gruß war ein richtiger „Selfmademan“. Der Zahnarzt und Textdichter Willi Wolff („Das Ladenmädel“/Nelson) schrieb 1914 für die Bonbonniere das Melodram „Bohème“ zur Musik von Puccini. Dann kam die Bonbonniere im Jahre 1920 zu Hans Gruß und ab 1930 leitete sie Adolf Gondrehl. Zu der Zeit übernahm Hans Gruß das Münchener Deutsches Theater mit seinem Theater, den Sälen und dem berühmten Pavillon Gruß.

Der Simpl entstand in Schwabing aus der Münchener Bohème mit Ludwig Scharf, der eigene Gedichte vortrug, auch die 11 Scharfrichter waren dort zu Hause. Dazu stellten Maler ihre Bilder zum Verkauf aus, dort erschien ebenfalls Joachim Ringelnatz erster Gedichtband unter seinem bürgerlichen Namen Hans Bötticher. Der Chansonnier Peter von der Osten und der Conférencier Theo Prosel übernahmen die Leitung des Simpl bis zum Bombentod.

Nachschlag:

Texte zur Wilhelminischen Zeit lieferten noch auf Anfrage: Elly Bamberger in der Uhlandstraße 130 in Wilmersdorf und das „älteste Repertoire-Bureau Berlins“, welches Hugo Leonhard (Bruder von Rudolf Nelson/Kapellmeister im Linden-Cabaret) betrieb. Er war ein jovialer und ganz ergebener Mann, half vielen Künstlern mit einem witzigen und zündenden Lied aus seiner Feder.

1910 bis 1914 war der Zenit einer 40-jährigen Friedensepoche, wie sie Deutschland und die Welt nie vorher erlebt hatten. Die Reichshauptstadt Berlin nannte man den „Wasserkopf des Reiches“. Es gab eine wirtschaftliche Blüte und große Hotels schossen aus dem Boden wie das Adlon - Bristol - Esplanade und Kaiserhof.

Beginn Erster Weltkrieg Herbst 1914

Der Erste Weltkrieg begann im Herbst 1914 und ausländische Worte wurden aus dem Sprachgebrauch entfernt. So wurde aus Café Piccadilly am Potsdamer Platz das Café Vaterland - aus Chat Noir ein Schwarzer Kater.

Das Metropol-Theater schloss die Türen und auch Nelsons Chat Noir war am Ende. Er zog zunächst über die Behrensstraße in einen großen Parterresaal im Metropol-Theater; doch die Friedrichstadt war tot. Nelson schloss sich dem Zug 'gen Westen an. Im ehemaligen Café Kutschera eröffnete er dann seine Nelson Künstlerspiele, wo Nelson Kammerspielrevuen gab, für die er gute Autoren finden konnte. Damit startete er im Winter 1914 mit der Kriegsrevue „Wolff'sches Telegrafen Büro“. Es waren lose aneinander gereihte Kleinkunstbilder.

Nelsons Textdichter Willy Prager empfahl ihm eine junge, unbekannte, doch sehr elegante Chansonniere mit Namen Trude Hesterberg. Diese erzählte in ihrem Buch „Was ich noch sagen wollte“: ...„da gab es so einen blutjungen, verhungert aussehenden Musiker, der Werner Richard Heymann hieß“…und sie bat ihn um zwei Liedchen nach dem Motto: „Ich sage auch Ihren Namen, wenn ich auftrete und wenn ich Erfolg habe, zahle ich Ihnen auch was. Nur jetzt im Moment bin ich pleite“... Heymann stimmte dem zu und so begann Hesterbergs Karriere als Kabarettistin. Erste Auftritte in einem Café des Italieners Formiggini am Ku'damm und kurz darauf wurde sie von Rudolf Nelson in sein neues Ensemble engagiert.

Beim 5-Uhr-Tee am Nollendorfplatz entdeckte Rudolf Nelson auch den Nachfolger für Fritz Grünbaum: Willi Schaeffers! Er arbeitete sich erstaunlich schnell ein und blieb fast zwei Jahrzehnte bei ihm. Wegen der strengen Zensur gab es nur ein sehr zahmes Programm. Die Theater lagen darnieder und so beschäftigte Nelson viele Theatergrößen als Gäste. Willy Pragers Text „Alles kommt einmal wieder, wie es gewesen war“ wurde zum Lied der Kampfflieger.

Im November 1918 musste Nelson schließen, da ihn die Räteregierung als Monarchisten verdächtigte, weil er angeblich seine Girls dem Kronprinzen zugeführt haben soll. Beim Polizeiverhör stellte sich heraus, dass dies ein Racheakt eines lieben Konkurrenten war. Doch auch Nelson war nicht zimperlich!

Zusammenfassung

In den Jahren von 1901 bis 1914 gab es viele Bohemekabaretts abseits vom Berliner Überbrettl-Betrieb. Das Kabarett war zu der Zeit ein wirtschaftlicher und kultureller Mittelpunkt des deutschen Kaiserreiches und Berlin eine der großen Weltstädte im Unterhaltungs- und Vergnügungsgeschäft. In allen Berliner Kabaretts wurde während der Vorstellung gegessen, geraucht und getrunken.

Am Bahnhof Friedrichstraße befand sich das Centralhotel mit dem Wintergarten, Berlins Weltstadtvarieté! Die Friedrichstraße war das Zentrum der Berliner Vergnügungsindustrie mit Passage, Panoptikum, Linden-Cabaret, Chat Noir, Bier-, Weinlokalen, Andenkengeschäften, und anderen vielfältigen Verlockungen. Die Passage verband die Ecke Friedrichstraße/Behrensstraße mit den Linden. Das Linden-Cabaret war vor dem Ersten Weltkrieg eine Unterhaltungsstätte mit typischer Berliner Note und bestand aus einem großen Saal mit weiß gedeckten Tischen. Dort trat Claire Waldoff (bürgerlich: Clara Wortmann) auf, die einen Hang zum weiblichen Geschlecht hatte. Die „dolle Bolle“ sang 1913 einen neuen Schlager, der ihr Standardlied werden sollte: „Hermann heeßt er“.

Die Diseusen des Berliner Kabaretts waren neben Claire Waldoff Nelsons Frau Käthe Erlholz und Gussy Holl, eine vortreffliche Parodistin, die eine amerikanische Mutter hatte. Später wurde sie in zweiter Ehe die Frau von Emil Jannings.

Das Metropol-Theater mit der unvergleichlichen Fritzi Massary befand sich in der Behrensstraße; und Nelsons Chat Noir war 1914 schon ein Begriff für den weltstädtischen Schlagerton. Trotz starker Konkurrenz zum Linden-Cabaret war das Chat Noir ein immer gut besuchtes Etablissement.

Die Wiener Kabaretts um 1900 bis zum Ersten Weltkrieg

Das erste Wiener Kabarett eröffnete 1901 im Keller des Theater an der Wien: das Jung-Wiener Theater zum lieben Augustin. Es wurde vom Autor und Theaterkritiker Felix Salten nach Vorbild von Wolzogens Überbrettl gegründet, doch es bestand nur einige Vorstellungen.

Die 11 Scharfrichter kamen nach ihrer Tournee durch die Niederlande, Norwegen und der Schweiz nach Wien, wo sie sich auflösten. Marc Henry und Marya Delvard ließen sich dort nieder, und gründeten am 05.01.1906 (bis Ende 1907) in der Ballgasse ihr Cabaret Nachtlicht. Hannes Ruch (Hans Richard Weinköppel, 29.09.1867-11.07.1928) war daran ebenfalls beteiligt, doch es fand bei den Wienern keine Sympathie.

Das Cabaret Fledermaus wurde ursprünglich von Josef Hoffmann als Jugendstil-Kleinkunstbühne errichtet. An der Ausstattung im Souterrain Kärntnerstraße 33/Ecke Johannesgasse 1 beteiligten sich Größen wie Oskar Kokoschka, Emil Orlik und Gustav Klimmt. Dort zogen Henry-Delvard mit einem kleinen Ensemble ein, und eröffneten ihr Cabaret Fledermaus am 19.10.1907 als neues Domizil; wo diesmal mehr die „wienerische Note“ des Programms betont wurde und Marya Delvard als Diseuse brillierte. Peter Altenberg schrieb den Prolog; weitere Autoren im Laufe der Zeit waren: Hermann Bahr, Franz Blei, Felix Dörmann, Hans Heinz Ewers, Egon Friedell, Erich Mühsam, Alfred Polgar, Alexander Roda Roda, Frank Wedekind u.a.; auch gab Karl Krauss (28.04.1874-12.06.1936) ab und zu einige Ratschläge.

Alexander Roda Roda trat mit roter Weste und Monokel auf, um seine Militäranekdoten zu lesen. Am Klavier saß der noch unbekannte Oscar Straus. Nach Ausscheiden von Marc Henry und Marya Delvard führte Egon Friedell als künstlerischer Leiter das Haus 1908 bis 1910 weiter.

Die Wienerin Mella Mars avancierte zur großen Konkurrentin von Marya Delvard, sie wurde am Flügel von Béla Laszky begleitet! Nach wechselnden glücklosen Direktionen wurde aus der Fledermaus 1913 das Revuetheater Femina.

Die Hölle wurde von Leopold und Siegmund Natzler im Souterrain des Theater an der Wien am 07.10.1906 eröffnet. Auch hier war der Star Mella Mars mit ihrem Ehemann Béla Laszky am Klavier; erstmals gab man Operetteneinaktern einen Platz! Dort erschienen auch die ersten Chansons von Ralph Benatzky (der Chansonnier Theo Körner entdeckte diesen für das Kabarett und viele seiner ersten Chansons widmete Benatzky ihm). Hier feierte übrigens der Conférencier Fritz Grünbaum seine ersten Erfolge. Die Hölle existierte bis in die Mitte der 1920er Jahre.

Im Oktober 1912 (bis 1924) wurde vom Lübecker Schauspieler Egon Dorn das Speiselokal mit Vergnügungsprogramm Simplicissimus (Simpl) in der Wollzeile eröffnet. Hier gab es für Künstler ein Monatsengagement, das bei Erfolg verlängert wurde; und dazwischen kamen Schnellzeichner, Parodisten und Zauberkünstler zum Zuge. Klavier spielte Gustav Winhopp, dazu der Geiger Willy Boskowsky. Die einzelnen Nummern wurden dann durch Conférenciers wie Fritz Grünbaum, Richard Hutter oder Paul Morgan verbunden.

Auch hier traten mit eigenem Repertoire die Duos Mella Mars und Béla Laszky - Josma Selim und Ralph Benatzky - Franzi Ressel und Robert Stolz auf. Neben Armin Berg und Egon Friedell feierte hier auch Hermann Leopoldi große Erfolge.

Erster Weltkrieg und Kabarett in der Schweiz

Cabaret Voltaire war eine Gesellschaft junger Künstler und Literaten wie Tristan Tzara, Hans Arp, Marcel Janco, Richard Huelsenbeck, Hugo Ball und Emmy Hennings. Sie gründeten am 05.02.1916 (bis 1917) in der Holländischen Meierei in der Züricher Spiegelgasse ihr erstes Schweizer Kabarett.

Ball und Huelsenbeck kamen aus Deutschland, Tzara und Janco aus Rumänien, Hans Arp aus Frankreich. Hugo Ball hatte mit seiner Freundin Emmy Hennings zuvor eine Varieté-Miniatur gegründet. Die Energie und der Ehrgeiz der Mitarbeiter des Cabaret Voltaire waren von Beginn an rein künstlerisch! Der Brennpunkt jüngster Kunst sozusagen und das bedeutete für sie abstrakte Kunst.

Es war das erste Emigrantenkabarett!

Unweit davon, einige Häuser weiter oben rechterhand, wohnte der Genosse Lenin. Einige Künstler meinten, ihn im Cabaret Voltaire gesehen zu haben. Die Schweizer hatten nichts gegen Lenin wohl aber etwas gegen die Kunstform Dada, diese verärgerte sie zutiefst.

Richard Huelsenbeck (1892 Frankenau/Hessen-lebte 1965 als Arzt in New York) ging 1916 von Berlin nach Zürich. Er wurde mit Hugo Ball, Tristan Tzara, Hans Arp und Marcel Janco zum Mitbegründer des Züricher Dada (bedeutet im Französischen Holzpferdchen - Dada wurde wegen seiner Kürze und Suggestivität als Schlagwort gebraucht).

Zu dieser Dadaisten-Gruppe gehörte als Zentrum modernistischabstrakter Kunst das Cabaret Voltaire