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Der Fall:
Teil 1
Als eine Tote am Rande Moskaus gefunden wird, sieht es zunächst wie ein Routinefall aus. Doch als sich herausstellt, dass das Model Swetlana Popowa auch die Geliebte des Moskauer Businessman und Oligarchen Viktor Rjabow war, nimmt der Fall eine ungeahnte Wendung. Rjabow scheint mit der Miliz zu kooperieren. Alle Indizien weisen allerdings auf ihn als Täter hin. Welche Rolle spielt seine Lebensgefährtin, die Modedesignerin Anna Poljakowa?
Ein ehemaliger Kollege Michail Sokolows vom FSB trifft den „Falken“ scheinbar zufällig vor der Petrowka. Oder agiert er im Auftrag ihres früheren gemeinsamen Chefs Gleb Morosow, einem hohen Tier bei einer Spezialeinheit des Geheimdienstes? Und welches Interesse hat der FSB an dem Fall Rjabow? Morosow spielt sein eigenes Spiel, das wird nicht nur Michail Sokolow klar.
Die Reihe:
Rau ist das Moskauer Pflaster, rau ist auch die Schale, die Michail Sokolow, genannt „Der Falke“, umgibt. Gemeinsam mit seinem Team und unter Leitung von Oberst Boris Kusnezow von der Abteilung für schwere Gewaltkriminalität kämpft Hauptmann Michail Sokolow für etwas mehr Sicherheit in Russlands Hauptstadt in den frühen 2000er Jahren.
Seine Fälle führen den „Falken“ in alle Teile der Gesellschaft: er ermittelt im Rotlicht-Milieu oder unter Obdachlosen genauso wie in scheinbar gutbürgerlichen Verhältnissen oder unter Neureichen und Mafia-Paten. Was er dabei sieht, geht oft unter die Haut.
Der russische Autor Mitri Suchoj (vermutlich das Pseudonym eines ranghohen Mitarbeiters im Moskauer Innenministerium) beschreibt spannende und aufsehenerregende Kriminalfälle aus Putins Russland.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Der Mann legte den Telefonhörer auf die Gabel und schloss die Augen. Trotz der geschlossenen Fenster hörte er den starken Verkehr, dessen unentwegtes Brummen scheinbar ruhelos von morgens bis abends herauf bis an seine Fenster im vierten Stock brandete.
Der Anruf hatte ihn verstimmt. Warum konnte sich dieser vertrottelte Alte nicht an die Absprachen halten, die sie zu ihrer eigenen Sicherheit getroffen hatten? Warum rief der hier an? Nicht genug, dass auch er sich dadurch gezwungen sah, zu handeln.
Der Mann öffnete die Augen wieder. Er wusste, was zu tun war und zog ein nicht registriertes Mobiltelefon aus der Tasche. Er drückte auf eine Nummer des Kurzwahlspeichers und lauschte dem Rufton. Als sich am anderen Ende jemand meldete, sagte der Mann nur: „Adler? Heute Abend um acht in der Bar!“ Sofort legte er auf. Auf den „Adler“ war Verlass, das wusste er.
Sein Blick glitt durch das Fenster hinaus über den vielbefahrenen Platz. Gegenüber lag das Gebäude des Sportklubs „Dynamo“, in dessen Fenster sich die Mittagssonne spiegelte. Vielleicht sollte ich wieder mal zu einem Spiel gehen, überlegte er. Das letzte Spiel hatte er gesehen, als sie mit Beskow den russischen Pokal geholt hatten. Irgendwo musste noch die Gedenkmünze sein, die nach dem Tod des alten Mannes ausgegeben worden war. Ein sentimentales Lächeln legte sich auf sein ansonsten hartes Gesicht.
Entschlossen erhob er sich aus seinem Sessel und schloss die Schublade ab. Dann verließ er sein Büro, ohne der Sekretärin Bescheid zu geben, wo er zu erreichen war.
Die Leiche war übel zugerichtet und lag bereits ein paar Tage im Wald. Der kleine Mann im weißen Schutzanzug verstaute seine Utensilien in der Arzttasche und drehte sich zu Michail Sokolow, genannt „Der Falke“, um, der schweigend auf das sah, was von der Frau übrig geblieben war. „Der Leichnam weist zu viele Verletzungen auf, um schon jetzt eine mögliche Todesursache zu benennen“, erklärte Dr. Taras „Bulba“ Polian schließlich und strich sich über die Glatze. „Zahlreiche Schnitte und Wunden sind am ganzen Körper zu finden. Lediglich das Gesicht ist weitgehend verschont.“
„Schon was zum Todeszeitpunkt, Bulba?“, hakte der Hauptmann nach.
Der Kosake wiegte den kahlen Schädel hin und her. „Ich vermute, der Tod dürfte so vor etwa zwei oder drei Tagen eingetreten sein. Abgelegt wurde sie hier sicher erst später. Mehr nach der Untersuchung.“ Der Mediziner, in Anbetracht der wirklich übel zugerichteten Frauenleiche einsilbiger als sonst, wandte sich ab und verließ die kleine Lichtung in Richtung seines Autos.
Hauptmann Sokolow trat einen Schritt zur Seite, um die Männer mit der Trage vorbeizulassen. Schweigsam verfolgte er, wie das, was bis vor wenigen Tagen eine wunderschöne, junge Frau gewesen war, in den Sarg gehoben wurde.
„Die Tote kommt mir irgendwie bekannt vor“, raunte ihm sein Kollege Wladimir Koroljow zu. Der fünfundzwanzigjährige Ermittler im Rang eines Leutnants stellte sich neben seinen Vorgesetzten und betrachtete nachdenklich den Abtransport der Leiche.
„Veranlasse alles Nötige, insbesondere die Befragungen der Umgebung und an den Ausfallstrassen und so weiter. Wir sehen uns nachher in der Petrowka“, meinte „Der Falke“ zu Koroljow gewandt. Dann drehte er sich um und stapfte durch das Unterholz zum blauen Moskwitsch der Abteilung. Mit einem lauten Quietschen öffnet er die Autotür.
Etwa vier Stunden später saß das Kollektiv der Abteilung für schwere Gewaltkriminalität im Konferenzraum beisammen. Oberleutnant Wera Belajewa hatte für Tee und Kaffee gesorgt und einen Papierstapel vor sich abgelegt. Die Auswerterin, das „Gedächtnis“ der Abteilung, schaute in die kleine Runde. Neben Mischa Sokolow waren Leutnant Wladimir Koroljow und Hauptmann Pjotr Denissow anwesend.
Wera verteilte die Kopien der ersten Untersuchungsergebnisse. Sie schenkte die Getränke ein, als die Tür ohne Klopfen geöffnet wurde und eine massige Gestalt mit knappem Gruß eintrat. Der „Alte“, wie der Abteilungsleiter Oberst Boris Kusnezow in seiner Abwesenheit tituliert wurde, nahm am Stirnende des Tisches Platz und schaute in die Runde.
„Ich habe die zuständige Untersuchungsführerin, die verehrte Tatjana Antonowna, hergebeten.“ Er starrte demonstrativ auf seine klobige Wostock-Armbanduhr und anschließend zur Tür. Wie auf Befehl wurde diese geöffnet und Tatjana Schirajewa, bekleidet mit einem schicken roten Kostüm, trat lächelnd ein.
„Da wir nun vollzählig sind, Genossen, können wir beginnen: Das weibliche Opfer, welches wir bei Lipki gefunden haben, konnte identifiziert werden. Es handelt sich um das anscheinend bekannte Model Swetlana Popowa, 23 Jahre alt. Wegen einer Jugendstrafe waren ihre Fingerabdrücke in der Kartei.“
„Wusst´ ich’s doch!“, zischte Koroljow. „Sie kam mir gleich bekannt vor.“
„Setzen Sie uns über das Mädchen ins Bild“, forderte Kusnezow den jungen Ermittler auf. „Wir sind mit diesen Modedingen nicht so vertraut.“ Wie selbstverständlich bezog er alle anderen Anwesenden in diese Behauptung ein.