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"Altlasten" - spannender Hessen-Krimi und romantische Liebesgeschichte in einem! Der Mord an der bildhübschen Maklerin Dominica Schröder sorgt im beschaulichen Lohrberg-Kreis für Aufregung. Warum musste die Mutter der kleinen Mila sterben? Dieser Frage versuchen Hauptkommissar Martin Krüger und Psychologin Martha Degenhardt gemeinsam auf den Grund zu gehen - und kommen sich dabei unverhofft auch privat immer näher. Wird es den beiden gelingen, Licht ins Dunkle dieses mysteriösen Falles mit gleich mehreren Tatverdächtigen zu bringen...?
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Seitenzahl: 351
Veröffentlichungsjahr: 2020
Martha ist Psychologin und arbeitet schon mal beratend für die Polizei. Martha hat eine Beziehung, die sie beendet und nicht grade traurig ist. Sie muss sich außerdem um ein Kind namens Mila kümmern, was in eine Pflegefamilie kommt und keine Angehörigen hat. Martin ist Hauptkommissar bei der Mordkommission und versucht den Mörder von Milas Mutter zu finden. Gleichzeitig versucht er, den Vater von Mila, ausfindig zu machen. Was ihn auf die Spur des Mörders bringt. Martha und Martin nähern sich langsam an.
Altlasten
Zur gleichen Zeit
Martha
Zur selben Zeit
Martin
Martha
Martin
Martin
Martha
Martin
Martha
Martin
Martin
Martha
Martin und Martha
Martin
Martin und Martha
Martin
Martha
Martin
Im Präsidium
Martha
Martin
Martha
Martha und Martin
Wie sie Flughäfen hasst! Ein- und auschecken. Warten, warten... Martha steht am Gepäckband und hält Ausschau nach ihrem Koffer. Na ja, der Flug dauert nur eine Stunde, besser als mit dem Auto auf Reisen zu sein. In den letzten Monaten war Martha Degenhardt unverhältnismäßig oft unterwegs. Ihr Leben hat sich verändert. Von dem Zeitpunkt an, von dem sie bei den Ermittlungen der Kripo beratend zur Seite stand. Martha sehnt sich nach ihrem eigenen Bett, nach ihrer eigenen Dusche, nach ihrem Zuhause! Endlich mal wieder ausschlafen. Hauptkommissar Frank Schira aus Berlin führt die Untersuchungen zum Tod einer älteren Dame. Ihre kleine Enkelin Mila, die seit einiger Zeit bei Ihr lebte und fünf Jahre alt ist, soll alles mit angesehen haben. Seitdem war sie stumm, stand völlig unter Schock. Der Hauptkommissar bat um ihre Unterstützung. Sie ist ihm von einem Freund der Frankfurter Kripo empfohlen worden. Dort hat sie einen Vortrag für die Ermittler der Kriminalpolizei gehalten, über Verhaltensweisen von psychisch kranken Menschen.
Hauptkommissar Frank aus Berlin brauchte ihre Hilfe. Martha Degenhardt sollte sich des Kindes annehmen, da Mila etwas gesehen haben dürfte und das der Kripo bei ihren Ermittlungen helfen würde. Nun ist sie in Frankfurt gelandet. Um schnell weite Strecken zurückzulegen, ist das Fliegen bestens geeignet. Endlich kommt der Koffer. Sie schnappt ihn und läuft durch das Flughafengebäude hinaus zum Parkplatz, wo ihr Auto steht. In Frankfurt ist um diese Zeit Berufsverkehr. Das wird dauern, bis sie endlich zu Hause ist. In Berlin ist immer Berufsverkehr und dann die vielen Ampeln, gefühlt alle paar Hundert Meter. Martha fährt raus aus der Stadt über Land in Richtung Butzbach. Am Stadtrand von Butzbach wohnt sie mit ihrem Lebensgefährten Georg in einem Teil eines alten Bauernhofs. Die ehemalige Scheune ist zu einem geräumigen Wohnhaus umgebaut worden. Ein riesiges Wohnzimmer, offene Wohnküche mit einer Terrasse, wo man einen sehr schönen Ausblick auf Wiesen und Bäume hat. Und eine Gästetoilette befindet sich im Erdgeschoss. Oben sind ein Büro, zwei Schlafzimmer und ein großes Bad untergebracht, auf das sich Martha jetzt freut. Georg weiß, dass sie heute zurückkommt. Hoffentlich hat er aufgeräumt. Zu Hause angekommen, holt sie ihren Koffer aus dem Kofferraum, sucht hektisch ihren Schlüssel in der Handtasche und öffnet endlich die Haustür. Den Koffer lässt sie in der kleinen Diele stehen und geht erst mal in die Küche, um etwas zu trinken. Martha hält vor Schreck die Luft an. »Atmen«, denkt sie, »atmen.«
Ein sauberes Glas steht bestimmt nicht mehr im Schrank, so, wie es hier aussieht, ist ihr nächster Gedanke. Zur Kontrolle öffnet sie die Schranktür. Nein, kein Glas, kein sauberer Teller mehr in den Schränken. Dafür stapelt sich das gebrauchte Geschirr auf der Ablage in ihrer schönen Küche. Martha stehen die Tränen in den Augen. Im Wohnzimmer sieht es nicht besser aus. Leere Bierflaschen, Weinflaschen, Gläser, Teller, schmutzige Handtücher, alles schön verteilt. Martha hat das Gefühl, jeden Moment in Tränen auszubrechen. Erschöpft lässt sie sich auf die bequeme Couch fallen und fängt an zu lachen. Entweder lachen oder weinen. Sie vergräbt ihr Gesicht in den Händen. »Nein, so geht es auf gar keinen Fall weiter«, flüstert sie, sucht ihr Handy und ruft Georg an. Wie so oft springt aber nur die Mailbox an.
»Wozu hat man ein Handy, wenn immer nur die verdammte Mailbox mit einem spricht.« Na gut, denkt Martha, dann eben heute Abend. In die Hände spucken und das Chaos beseitigen. Abwaschen, aufräumen und saugen. Als sie endlich alles geschafft hat, geht sie hoch ins Badezimmer und lässt sich ein Bad ein. Dann ruft sie ihre beste Freundin Ruby an. Nachdem sich ihre Freundin meldet, erhellt ein Lächeln ihr Gesicht. »Hey Martha, ich warte schon auf deinen Anruf. Warum hat es so lange gedauert? Du wolltest doch längst wieder hier sein«, überfällt Ruby sie gleich. »Frag nicht, als ich nach Hause gekommen bin, war hier das reinste Chaos. Du weißt ja, wie es hier aussieht, wenn Georg alleine ist.«
»Mensch, Martha, warum lässt du dir das immer gefallen? Dein Typ wird sich nie ändern, und du bist so blöd und räumst ständig auf. Das sollte mir mal einfallen, einem Kerl immer hinter herzuräumen«, versucht Ruby ihr die Augen zu öffnen.
»Ja, ja, schon gut. Ich weiß, was du meinst. Aber so ist Georg nun mal. Dafür klappt es ja, wenn ich zu Hause bin«, nimmt Martha ihren Freund sofort in Schutz. Doch Ruby ist noch nicht fertig. »Das meinst du nicht im Ernst«, regt sie sich auf. »Martha, du bedienst ihn ständig, von allein kommt da gar nichts! Und ansonsten hält er dich aus allem raus. Ihr macht alles getrennt. Er hat seine Freunde, du hast deine Freunde. Findest du das normal? Das läuft jetzt schon zwei Jahre so, seitdem er zu dir gezogen ist …« »Das weiß ich doch«, unterbricht Martha den Redeschwall. »Das wird sich ändern, wenn er endlich sein Richteramt in der Tasche hat. Aber ich werde heute mit ihm reden, versprochen.«
»Reden, reden, handeln musst du, glaube es mir! Das interessiert Georg doch gar nicht mehr. Du hast ihm das schon so oft gesagt. Es wird höchste Zeit. Und das weißt du auch. Pass auf, was hältst du davon, wenn wir uns morgen zum Frühstück treffen, in unserem Lieblingsbistro?«, fragt Ruby.
»Ja gerne, dann könnte ich jetzt endlich in Ruhe mein Bad genießen. Bis morgen«, freut sie sich und legt auf. Ruby hat mit allem recht, das ist Martha bewusst und wenn sie ehrlich ist, dann gefällt ihr das Zusammenleben mit Georg schon lange nicht mehr. Aber sie hat sich so an ihn gewöhnt.
Normalerweise müsste Georg im Büro sitzen und Gerichtsakten durchsehen. Stattdessen läuft er durch Frankfurt und steuert eine Bäckerei an. Er betritt den Laden und grüßt die Verkäuferin mit einem kleinlauten Hallo.
»Was machst du denn hier?«, fährt ihn die junge Frau an.
,,Ich wollte noch einmal mit dir reden. Bitte hör mir zu, nur einen Augenblick«, sagt Georg.
»Es gibt nichts mehr zu bereden. Ich habe genug von dir gehört. Und jetzt habe ich keine Lust mehr zu reden. Sei froh, dass ich so friedvoll bin und nicht gleich zu deiner Freundin laufe und ihr von uns erzähle. Verschwinde endlich. Es ist alles gesagt«, versucht sie ihn abzuwimmeln. Doch Georg gibt nicht so schnell auf. Obwohl er mit Martha zusammenlebt, hat er sich Hals über Kopf in Beate verliebt. Er ist sich aber nicht sicher, ob er sich wirklich von Martha trennen kann. Martha hat einen hervorragenden Ruf, jeder begegnet Martha mit Respekt. Bei seinen Kollegen ist sie immer gern gesehen, mit ihr kann sich Georg zeigen. Mit einer Bäckereifachverkäuferin, na ja, im Angestelltenverhältnis? Das glänzt nicht so. Martha mit ihrem Beruf als Psychologin beeindruckt da schon mehr vor seinen Kollegen. »Beate, bitte, ich liebe dich, wir finden eine Lösung.«
»Verschwinde!«, ruft Beate hysterisch. Sie kämpft mit den Tränen. Dann kommt sie hinter der Theke hervor und drängt Georg zur Tür. Sie öffnet diese und schubst ihn raus auf die Straße. Dann ist die Tür geschlossen. Dass sie ihn so abserviert, hätte Georg nicht gedacht. Er dachte, es wäre leichter, sich bei ihr zu entschuldigen. Vor allem aber hatte er damit gerechnet, dass Beate ihm verzeihen würde. Vielleicht braucht sie mehr Zeit, um zu merken, was ihr fehlt. Was könnte er jetzt machen? Er merkt aber, dass er im Moment bei ihr nichts mehr erreichen wird. Also geht er zum Auto zurück und fährt nach Hause. Er wird das schon wieder hinbekommen. Welche Frau hätte nicht gerne einen Richter zum Freund? Beate würde doch eine gute Partie machen. So redet sich Georg das schön. Und das beruhigt ihn ein bisschen.
Nach einem langen Bad fühlt man sich gleich viel besser. Das sagen immer alle, aber ja, es stimmt tatsächlich. Martha hat sich umgezogen und es sich auf der Couch bequem gemacht bei lauter Musik und einer Tasse Kaffee. Sie hört die Tür, macht die Musik leiser und geht zum Eingang, da steht Georg. Sie fällt ihm um den Hals. Es ist doch schön, nach langer Zeit endlich wieder bei ihm zu sein. Georg bemüht sich zu lächeln und schaut sie überrascht an. »Was, wie, du bist wieder zu Hause? Wolltest du nicht erst nächste Woche kommen?« Verlegen löst sich Georg aus der Umarmung.
»Nein, mein Liebster, ich hatte dir gesagt, dass ich heute komme!«
»Oh, da habe ich was falsch verstanden, tut mir leid.« Georg geht in die Küche und nimmt sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Er schaut Martha an. »Das dachte ich mir schon. Du hast hier ein Schlachtfeld hinterlassen, ich war überrascht, du hattest gesagt, du hättest den Haushalt im Griff.«
»Ich wollte ja noch aufräumen. Ich habe nur nicht mit dir gerechnet. Man muss doch nicht jeden Tag aufräumen. Einmal die Woche reicht doch.« Verschmitzt lächelt Georg Martha an. Er weiß, dass er sich jetzt wieder Vorhaltungen anhören muss. Es ist immer das Gleiche.
»Ich hätte mir gewünscht, es wäre aufgeräumter gewesen. Aber gut, lassen wir das. Ich habe keine Lust, mich mit dir zu streiten«, lenkt Martha ein. »Wollen wir etwas essen? Der Kühlschrank ist leer. Und ich habe einen Bärenhunger. Wir könnten zum Italiener gehen? Und danach ins Irish Pub, Musik hören und dann mal schauen, was wir sonst so machen. Biiitte. Martha schaut ihn verlangend an.«
»Martha, es tut mir echt leid, dass ich vergessen habe, dass du heute kommst. Ich muss noch mal ins Büro, wichtige Unterlagen durchsehen. Sei mir nicht böse, aber im Moment komme ich mit meinem Fall nicht wirklich weiter. Ich warte noch auf Ergebnisse vom Labor, die ich mir unbedingt anschauen muss.«
Georg dreht sich um, geht ins Bad, um sich frisch zu machen. Martha steht da wie angewurzelt und kann es nicht glauben, so abserviert zu werden. Georg verhält sich merkwürdig. Warum? Liegt es wirklich an der Arbeit? Sie hat mit ein bisschen mehr Freude von seiner Seite aus gerechnet.
Martha zieht sich eine Jacke über, nimmt ihren Schlüssel und geht aus dem Haus. »Das werde ich mir nicht geben. Ich komme nach Hause, alles sieht aus wie Sau, und Georg hat nicht mal eine Stunde Zeit für mich.« Martha steigt ins Auto und fährt zu ihrem Lieblingsitaliener. »Dann werde ich mir eben alleine einen schönen Abend gönnen. Jetzt nur nicht heulen. Das wird wieder«, versucht sie, sich selbst aufzumuntern. Es besteht die Möglichkeit, dass Ruby ja Recht hat. Beim Italiener bestellt sie sich eine scharfe Pizza und einen Wein. Das Auto lässt sie einfach mal stehen. Sie kann sich zurück ja ein Taxi nehmen. Auf einmal hält ihr jemand von hinten die Augen zu. Wie sie wieder etwas sieht, steht Peter hinter ihr.
»Hallo Martha, dich mal wiederzusehen«, lacht Peter. Martha freut sich und nimmt ihn in den Arm.
»Ja endlich wieder zu Hause. Was machst du hier? Ich dachte, du hast sooo viel Arbeit«, erwidert Martha.
»Das habe ich auch, aber ich musste mal mit meiner Lieblingsfreundin Nummer zwei ausgehen. Du weißt schon, ein bisschen quatschen, Ablenkung und so weiter«, lacht Peter.
»Hallo, ich bin Beate, Lieblingsfreundin Nummer zwei«, stellt sie sich vor und schaut Martha lachend an, »dann bist du Lieblingsfreundin Nummer eins?«
»Ja, das ist sie«, lächelt Peter. »Bist du alleine hier oder wartest du auf deinen Traummann?«
»Ich bin allein, ihr könnt euch gerne dazusetzen. Mein Traummann ist im Büro. Du weißt schon, egal, sag, wie geht es dir?« Peter und Beate setzen sich dazu.
»Bei mir läuft alles wie immer. Heute hatte ich mal vor, Beate einen Freundschaftsdienst zu erweisen. Sie ist an einen Kerl geraten, der ihr nur Kummer bereitet. Sie hat mit ihm Schluss gemacht. Du kennst das ja. Ihr Frauen leidet ja immer so, da dachte ich, sie mal rauszuholen aus ihrer Dachwohnung, um sie wieder etwas aufzuheitern«, lacht Peter und nimmt Beate in den Arm. Die beiden bestellen sich jeder einen Wein und Pizza.
»Ich weiß auch nicht«, beginnt Beate von ihrem Kummer zu erzählen. »Immer gerate ich an die größten Spinner, die rumlaufen. Aber man lernt dazu. Ich bin seit einem halben Jahr mit einem echt tollen Mann zusammen, und dachte, dann kennt man sich. Vor einer Woche habe ich erfahren, dass er in einer festen Beziehung lebt. Reiner Zufall, wie so oft im Leben.«
»Na klasse, nach einem halben Jahr erwartet man, dass einem die Männer zu Füßen liegen. Aber glaub mir, dann schleichen sich Macken und Kanten ein. Die bemerkst du auch erst nach zwei Jahren. Ich finde, du hast Glück, oder lebt ihr zusammen?«
»Nein, er wohnt bei seiner FREUNDIN! Und er kann sie jetzt nicht verlassen. Sie sei sensibel, behauptet er. Das ist aber gelogen. Hört sich doch an wie aus Filmen. Der Mann geht fremd und die Frau ist so sensibel, suizidgefährdet, krank und was weiß ich nicht alles. Aber ich lasse mich nicht mehr anlügen, ich glaube ihm kein Wort. Ich denke, er will mich nur hinhalten. Aber er versucht es immer wieder, mir zu erklären, warum er mir nichts sagen konnte.«
»Nicht alle Männer sind so, sieh mich an«, Peter strahlt Beate an. »Eine ehrliche Haut durch und durch. Vielleicht sollte ich nicht mehr so nett sein. Dann finde ich auch endlich eine Frau«, stöhnt Peter.
»Nein, Peter, bleib so ehrlich, das steht dir besser.« Martha schaut die beiden an.
Endlich kommt die Pizza. Während des Essens wird über Männer und Frauen gelästert und es wird viel gelacht. Beate taut langsam auf und fängt an, sich wohlzufühlen.
»Wie konnte dein Freund dir so lange eine Beziehung mit einer anderen Frau verheimlichen?«, wundert sich Martha. »Das stelle ich mir schwierig vor, hast du nichts gemerkt?«
»Nein, kein bisschen. Am Anfang schob er immer seinen Beruf vor, keine Zeit und so weiter. Dann war er fast drei Monate täglich bei mir. Ich habe ihn gefragt, ob wir nicht mal zu ihm gehen könnten. Ich wollte mir so gerne ansehen, wie er wohnt.« Beate schaut traurig aus und trinkt verlegen ihren Wein. Der Kellner kommt, räumt die Teller ab und jeder bestellt noch etwas zu trinken.
»Dann kam er wieder gar nicht mehr. Nur am Abend für ein paar Stunden, immer dieselben Ausreden. Er müsste dringend Büroarbeiten erledigen. Da brauche er seine Ruhe, das könne er bei mir nicht. Weißt du, er ist Richter und da braucht er Zeit, um seine Fälle vorzubereiten. Ich habe lange gedacht, na gut, aber er vertröstete mich immer wieder und hatte an den Wochenenden gar keine Zeit mehr, das war schon komisch.« Martha sieht Peter an und lächelt.
»Das kenne ich, mein Mann ist auch Richter, auch er hat nie wirklich Zeit für mich. Was für ein Zufall«, stellt Martha fest, lächelt und fragt: »Wie heißt denn dein Mann? Eventuell kenne ich ihn.«
»Georg Maisbach.«
Peter und Martha schauen sich entsetzt an. »Wie bitte?« Beate, die den Blickkontakt zwischen Peter und Martha nicht versteht, schaut verlegen drein und wiederholt den Namen
» Georg Maisbach!«
»Hast du das gewusst?«, wendet sich Martha an Peter. »Das ist doch ein schlechter Scherz, oder?« Peter schaut Martha an und versichert ihr, es nicht gewusst zu haben. Er hat Beate nach langer Zeit mal wieder besucht und das war es! Vorher haben sie über ihren Freund geredet, aber er hat nicht gedacht, dass es DER Georg ist, der Nachname war auch nie gefallen. Über seinen Beruf haben sie nie gesprochen. Deswegen ist er nicht auf die Idee gekommen, dass es sich um Marthas Georg handeln könnte. Beate schaut von einem zum anderen, und so langsam ahnt sie etwas. Aber sie kann nicht glauben, dass sie hier über ein und dieselbe Person reden. Beate dreht ihr Glas nervös in den Händen.
»Der Mann, mit dem ich zusammen bin, heißt Georg Maisbach. Und er ist Richter.« Martha ist blass geworden, »Das gibt es doch nicht. Meinst du etwa meinen Mann?« Sie starrt Beate ungläubig an.
»Ich denke…, nein…, das kann nicht sein«, stottert Beate. »Es hört sich aber alles danach an. Nur ich kann es nicht glauben. Kann es nicht sein, dass es verschiedene Männer sind mit zufällig demselben Namen?«
Peter schüttelt betroffen den Kopf. »Ich glaube nicht an so einen Zufall. Dann hätte sie schon etwas davon gehört, dass es noch einen Georg Maisbach beim Amtsgericht gibt.«
»Warte«, Martha kramt in ihrer Tasche, holt das Handy heraus und sucht ein Bild von Georg. Das hält sie Beate dann vor die Nase. »Ist das dein Georg?«
Beate nimmt das Handy und schaut sich das Bild an. Ihr laufen die Tränen übers Gesicht. Dann nickt sie nur stumm. Sie kann nichts dazu sagen, ihr ist es alles so peinlich. Martha ist entsetzt. Sie kann es nicht fassen, und dann steigt eine unsagbare Wut in ihr auf.
»Dieses, dieses…, was soll das? Warum habe ich nichts gemerkt? Bin ich so blöd? Der hat mich doch nach Strich und Faden verarscht. Wie lange wart ihr zusammen?« Martha ist entsetzt.
»Ein halbes Jahr.«
»Ein HALBES Jahr! Davon war ich drei Monate beruflich in Berlin. Das war dann in der Zeit, wo er so oft bei dir war. Und an den Wochenenden war er entweder bei mir in Berlin oder ich war zu Hause. Da konnte er sich dann nicht mit dir treffen. Oh Gott, was bin ich doch blöd.« Erst schwiegen alle einen Moment, jeder hing seinen Gedanken nach. Beate weinte immer noch leise vor sich hin.
»Ich habe nichts, aber auch gar nichts gemerkt. Er war wie immer.« Peter sprach als Erster.
»Martha, was willst du jetzt machen? Wie gehst du mit der Situation um?« Doch bevor Martha antworten konnte, ging Beate dazwischen.
»Wenn ich gewusst hätte, wer du bist, ich hätte nichts erzählt, wahrscheinlich wäre ich gleich wieder gegangen. Es tut mir alles so leid. Aber er hat uns beide betrogen. Ich habe von einer Kundin in der Bäckerei, wo ich arbeite, erfahren, dass er eine Freundin hat. Die Kundin arbeitet auch bei Gericht, daher kannte sie Georg. Ich stellte ihn dann zur Rede. Er hat alles zugegeben und hat mir immer wieder erklärt, er wolle dich verlassen. Aber ich habe sofort die Beziehung zu ihm abgebrochen. Mein letzter Partner hat mich schon betrogen und das wollte ich nicht noch einmal.« Sie schaut Martha total verweint an.
»Ich kann es gar nicht begreifen. Wir treffen uns zufällig und dann sitze ich nichts ahnend mit der Geliebten meines Freundes an einem Tisch, verstehe mich gut mit ihr und … und du kannst ihn gerne haben. Ich werde ihn vor die Tür setzen. Aber wo ist er jetzt, er sagte mir, er müsse dringend ins Büro? Ob das stimmt. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Ob er noch eine dritte Frau hat?«
»Vorhin war er bei mir im Laden, ich habe ihn rausgeschmissen. Danach war ich so fertig, dass ich Peter angerufen habe. Als ich aus dem Haus ging, kam Georg um die Ecke, er hat mich aber nicht gesehen. Ich bin schnell zu Peter ins Auto und wir sind hierher. Hierher kommt Georg nie. Er mag den Laden nicht. Das Essen schmeckt ihm hier nicht. Ich war mir sicher, hier kreuzt er nicht auf.«
»Das glaube ich nicht, denn hierher gehen wir oft zum Essen. So ein erbärmlicher Lügner. Da hat er dir ja ein schönes Märchen aufgetischt«, meint Martha wütend, und kleinlaut fügt sie hinzu, »…und mir.«
»Ich glaube«, sagt Peter, »du solltest dir überlegen, ob du ihm das verzeihen kannst. Denn er wird jetzt bestimmt zu Hause auf dich warten und nur noch Augen und Ohren für dich haben, da er von Beate abserviert wurde. Er ahnt ja nicht, dass du von dem Verhältnis weißt.«
»Ich werde ihm bestimmt nicht verzeihen. Und nicht nur deswegen. Aber das erzähle ich dir ein anderes Mal. Ich glaube, jetzt werde ich nach Hause gehen. Ich bin gerade richtig in Stimmung, um ihm das alles vor die Füße zu werfen.« Martha winkt den Kellner, um zu bezahlen. An Beate gewandt bekennt sie: »Es tut mir leid, dass wir uns so kennengelernt haben. Aber weißt du was? Ich bin froh, dass es so gekommen ist. Ich kann es dir nicht erklären. Nur vielleicht habe ich schon so etwas geahnt. Irgendwo tief in mir.« Martha überlegt und sagt dann: »Ich glaube, ich bin erleichtert, dass ich jetzt weiß, was ich zu tun habe.« Sie lächelt sogar ein bisschen dabei, doch ihre Augen blicken sehr traurig. Der Kellner kommt, Peter begleicht die Rechnung.
»Passt auf, Mädels, ich bin hier ja in eine Beziehungskrise reingerutscht, Martha, soll ich dich nach Hause begleiten? Wer weiß, was du in der Aufregung alles machst, auch wenn du Psychologin bist.«
»Nein, lass mal, das mache ich allein. Ich komme schon klar. Entschuldigt mich, aber ich möchte erst mal weg.« Martha steht auf und lässt sich von Peter drücken. Sie verspricht, sich bald zu melden. Beate schaut sie an, beide merken, dass sie dieselbe Traurigkeit verspüren.
»Sag Georg, er soll sich von mir fernhalten. Ich möchte nichts mehr mit ihm zu tun haben.« Martha lächelt.
»Ich werde es ausrichten.« Dann nimmt sie Beate in den Arm und wünscht ihr alles Gute. Wie Martha das Restaurant verlässt, schlägt ihr auf der Straße die frische Abendluft ins Gesicht, aber es ist angenehm. Sie spürt sich wieder. Schnell entscheidet sie, ihr Auto stehen zu lassen, um zu Fuß zu gehen. Sie braucht jetzt Bewegung und frische Luft. Außerdem hat es noch ein bisschen Zeit, ehe sie Georg gegenübertritt. Sie war so wütend auf ihn, wie sie aus Berlin zurückkam. Die Wut und auch die Enttäuschung, die sie spürte, als sie das Chaos zu Hause sah. Und jetzt zu hören, dass er sie seit einem halben Jahr betrog, das setzte dem Ganzen die Krone auf.
»Was mache ich jetzt? Soll ich ihn gleich rausschmeißen oder ihm noch eine Chance geben? Er wird mir alles erklären und mir sagen, wie sehr er mich liebt. Ich gehe noch nicht nach Hause«, entscheidet sie spontan. »Ich gehe in den neuen Laden und werde mir ein paar köstliche Cocktails gönnen. Mir Gedanken machen, mich stärken und dann, dann werde ich nach Hause gehen.«
Im neuen Irish Pub bestellt sich Martha erst einmal einen »Sex on the Beach«. Beim Trinken merkt sie, wie gut ihr das tut. Wenn sie Georg rauswirft, wäre sie wieder allein. Das ist genau das, wovor sie Angst hat, das Alleinsein. Die vertraute Person ist nicht mehr da. Einfach weg! Will sie das? Jedem anderen würde Martha raten, sich seiner Angst vor dem Alleinsein zu stellen, das ist erwachsen. »Vielleicht höre ich mir erst mal an, was er dazu sagt?«, sinniert sie, »vielleicht liegt es ja an mir?« Dann merkt sie, dass sie nur nach einer Entschuldigung für Georgs Verrat sucht, und stoppt ihren Gedankengang. Schnell trinkt sie ihren Cocktail aus, bezahlt und macht sich auf den Heimweg.
Zu Hause sitzt Georg vor dem Fernseher. Eine ganz normale Situation, wie sie oft war. Und doch, heute ist alles anders. Er steht auf, nimmt Martha in den Arm »Endlich bist du da. Wo warst du so lange?«
»Ich war beim Italiener, dort habe ich Peter mit einer Bekannten getroffen. Ich habe echt viele Neuigkeiten erfahren.« Martha geht und schaltet den Fernseher aus. Sie schaut Georg verzweifelt an.
»Dann hattest du ja Spaß, aber lass uns morgen darüber reden, ich bin müde. Es war ein langer Tag heute«, meint Georg.
Doch Martha denkt nicht daran, ihn davonkommen zu lassen. Sie will es wissen. »Ich soll dich von Beate grüßen, sagt dir der Name was?« Georg dreht sich um und schaut Martha an.
»Das ist eine Bekannte. Sie arbeitet in dem Bäckerladen, wo ich immer vorbeigehe.«
»Stimmt, das sagte sie. Und dass du dich nicht mehr bei ihr sehen lassen sollst. Sie will nichts mehr von dir wissen.«
»Martha, bitte lass dir das erklären. Ich weiß nicht, was das soll.«
»Nein! Ganz bestimmt nicht, Georg! Du hast ein Verhältnis mit ihr, betrügst mich und willst jetzt mit mir ins Bett? Das ist nicht dein Ernst.«
»Ich wollte es nicht, bitte glaube mir, ich, ich, es ist einfach so passiert.« Georg schaut Martha treuherzig an und will sie umarmen. Doch sie weicht zurück und endlich kann sie weinen. Martha flüchtet ins Bad und lässt sich kaltes Wasser über Gesicht und Arme laufen. Danach geht es ihr besser. Jetzt weiß sie, was sie möchte. Martha öffnet selbstsicher die Tür und sagt entschlossen zu Georg: »Gib mir den Haustürschlüssel, pack deine Sachen zusammen und verschwinde! Ich möchte nichts mehr mit dir zu tun haben.«
»Bitte, Martha, ich möchte dir das...«
»Spar dir das. Ich will nichts hören. Geh einfach. Du machst mich nur wütend.« »Bitte gib uns doch die Chance, miteinander zu reden. Ich liebe dich, ich brauche dich.« Martha dreht sich um, läuft ins Schlafzimmer und sucht die Reisetasche, wirft Georg ein paar Sachen hinein und läuft zur Eingangstür. Georg folgt ihr wild gestikulierend. Martha öffnet die Tür und hält ihm die Tasche hin. »Meinen Schlüssel«, fordert sie. Georg macht den Hausschlüssel ab und reicht ihn Martha. Dann geht er. Hier kann er heute nichts mehr erreichen. Martha wirft die Tür zu und fängt an zu weinen. Sie geht in die Küche, holt sich einen Weißwein und setzt sich auf die Couch. Ihre Gedanken überschlagen sich. Sie ist völlig ausgebrannt und weiß nicht weiter. Nachdem ihr Weinglas geleert ist, lässt sie den Tränen freien Lauf und schenkt sich gleich mal nach. Heute steht ihr das zu, dann geht sie nach oben und packt die restlichen Sachen von Georg zusammen. Die Tasche stellt sie in die Garage, damit Georg die Wohnung nicht mehr betreten muss, denn sie könnte seinen Anblick im Moment nicht ertragen. Martha bezieht das Bett und legt sich dann endlich schlafen. Nach einer nicht enden wollenden Nacht, Martha hat kaum geschlafen, steht sie auf, um sich mit Ruby zum Kaffee zu treffen. Ein Blick in den Spiegel reicht, um zu sehen, dass heute Schminke nötig ist. Auf dem Weg zum Auto schaut sie auf ihr Handy und sieht, dass ein Anruf von Peter und fünf Anrufe von Georg eingegangen sind. Schnell ruft sie Peter zurück.
»Hallo Peter.«
»Martha, endlich meldest du dich. Wie geht es dir?«
»Es ist alles gut, ich habe Georg letzte Nacht rausgeschmissen. Ich habe zwar kein Auge zugetan, aber es geht mir besser.«
»Das hast du gemacht? Es tut mir leid, dass ich Beate mitgebracht habe, aber ich konnte ja nicht ahnen, wie das endet.«
»Das glaube ich dir. Allerdings bin ich froh, dass es so gekommen ist. Beates Geständnis hat mir die Entscheidung leichter gemacht. Es brodelte schon länger bei uns. Ich war nicht bereit, Georg gehen zu lassen, aber durch das Treffen gestern hat sich alles gefügt.«
»Komm doch bei mir vorbei. Oder ich komme zu dir? Wir könnten uns zum Brunch im Hotel Schäfer treffen, was hältst du davon?«
»Peter, das ist lieb gemeint, ein anderes Mal. Ich bin schon mit Ruby zum Frühstück verabredet. Ich muss jetzt auch los.« Martha verabschiedet sich von Peter, greift nach ihrer Tasche, steigt in ihr Auto und fährt zum Bistro, wo ihre Freundin auf sie wartet.
»Hallo.« Ruby umarmt Martha und freut sich wirklich, ihre beste Freundin endlich wiederzusehen.
»Oh, mir kommt es wie eine Ewigkeit vor, wir haben uns so lange nicht gesehen«, lacht Ruby, doch dann vergeht ihr bei Marthas Anblick das Lachen. »Du meine Güte. Du siehst ja scheiße aus. Was ist los mit dir? Hast du Georg…«
»Ja, habe ich! Wenn du mich mal zu Wort kommen lassen könntest?«
Nachdem sie ein deftiges Frühstück bestellt haben, erzählt Martha, was passiert ist. Ruby hört aufmerksam zu. Dann schweigen sie. Ruby meint: »Endlich hat er mal was getan, dass du nicht verzeihen kannst. Hätte ich nicht gedacht von Georg, aber dass du dich zufällig mit der Frau getroffen hast, ist ja unglaublich, ich bin sprachlos. Warum hast du mich nicht angerufen? Ich wäre doch sofort zu dir gekommen.«
»Das weiß ich, aber ich dachte, ich überrasche dich mal mit einer Neuigkeit, die dich freuen wird.« Martha versucht zu lachen.
»Ich weiß nicht, ich finde es gut, dass es so weit gekommen ist. Und mutig von dir, ihn gleich vor die Tür zu setzen. Aber nicht gleich so eine krasse Sache, die so wehtut. Das hätte ja nicht sein müssen. Was willst du jetzt machen?«
»Nichts, warten, dass der Schmerz aufhört. Ich habe genug Arbeit. Ich werde schon nicht an gebrochenem Herzen sterben.«
»Mann, du gehst aber locker damit um«, staunt Ruby.
»Ich habe schon öfter daran gedacht, mich von Georg zu trennen. Nur hatte ich vor dem Alleinsein Schiss. Das war gestern echt keine gute Nachricht, aber ich wusste endlich, ich muss die Beziehung beenden. Gleich werde ich in die Praxis gehen und mich in die Arbeit stürzen.«
Martha und Ruby unterhalten sich weiterhin eine Weile und verabreden sich für den Abend bei Martha zu Hause. Ruby hat sich nicht davon abbringen lassen, am Abend für Martha da zu sein. Vielleicht ja auch ganz gut.
Sie hält vor ihrer Praxis in der Stadt. Schließt auf und betritt ihr Büro. Hier fühlt sie sich sofort wohl und heimisch. Dagegen erinnert in ihrer schönen Wohnung alles an Georg. Hier aber ist neutrales Gebiet. Erst einmal die Blumen gießen und den Computer hochfahren. Dann mal schauen, welche Patienten heute angemeldet sind. Es sind nur zwei Termine. Wie gut, genug Zeit, um in die Stadt zu gehen und Mittag zu essen. Ihr erster Termin ist in zwanzig Minuten. Schnell noch ein Wasser holen und dann kann es losgehen. Martha schaut noch in die Akte, um zu sehen, wo sie letztes Mal waren. Eine junge Frau mit Kind, von ihrem Freund körperlich misshandelt und ständig unter Druck gesetzt. Na ja, der sitzt jetzt in der Justizvollzugsanstalt in Butzbach. Dort hat Martha fast zwei Jahre gearbeitet, bis sie sich nicht mehr mit den Tätern, sondern lieber mit den Opfern beschäftigen wollte. Durch ihre damalige Tätigkeit steht sie hin und wieder der Polizei mit Rat und Tat zur Seite. Ihre Arbeit macht ihr Spaß. Es gibt auch Täter, die etwas ändern wollen, und das ist für Martha eine Herausforderung, wie der zweite Fall. Der Mann ist vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden, wegen guter Führung, er hat aber Bewährung. Während sie auf ihre Patienten wartet, klingelt das Telefon. Martin Krüger von der Mordkommission in Frankfurt ist am Apparat.
»Hallo Martin. Wie geht es dir?«
»Danke, es geht mir gut. Aber deswegen rufe ich nicht an. Du warst doch in Berlin?«
»Ja, ich bin gestern erst wiedergekommen. Hat sich das schon bis zu euch herumgesprochen?«
»Na ja, mir bleibt nichts verborgen«, lacht Martin. »Aber Spaß beiseite, es geht um ein kleines Mädchen namens Mila. Du kennst sie schon. Du hast sie doch psychologisch betreut, nachdem ihre Oma gewaltsam zu Tode gekommen ist.«
»Ja das stimmt, das arme Mädchen hatte einen schweren Schock. Ihre Mutter hat das Kind dann zu sich genommen. Um was geht es?«
»Es haben sich ein paar Dinge regelrecht überschlagen. Milas Mutter wurde vom Tod der Oma unterrichtet. Sie hatte Ihre Tochter bei der Oma gelassen, weil sie alleinerziehend ist und ein Maklerbüro leitet. Du weißt schon, wegen der vielen Arbeit ist das Mädchen die letzte Zeit bei der Großmutter gewesen. Nach dem Unglück hat die Mutter das Kind wieder zu sich nach Frankfurt geholt. Wie du ja weißt. Leider ist auch sie eines gewaltsamen Todes gestorben. Du kannst dir vorstellen, wie es dem Kind jetzt geht.«
Das ist ja schrecklich. Martha ist erschrocken. »Das tut mir leid. Wo ist die Kleine jetzt?«
»Wir konnten bis jetzt keine Verwandten ausfindig machen. Was ich aus den Akten weiß, gibt es nur den Vater. Der ist aber unauffindbar. Wir bleiben dran, ihn zu finden. Im Moment ist sie in einer Pflegefamilie. Dort hat sie es gut.«
»Und jetzt, was habt ihr vor?«
»Wir denken, dass die beiden Morde miteinander zu tun haben«, legt Hauptkommissar Krüger ihr den Sachverhalt dar. Die Kripo benötige Informationen von der kleinen Mila. Nur rede sie nicht, wie auch in Berlin. Sie nicke höchstens mit dem Kopf. Martin Krüger hegt die Hoffnung, dass sie sich Martha gegenüber öffnen würde, da sie ihr schon aus Berlin bekannt ist.
»Kannst du uns dabei behilflich sein, etwas Licht ins Dunkel zu bringen?«, bittet er Martha um Unterstützung.
»Sicher werde ich mich der Kleinen annehmen, aber ich muss heute noch zwei Termine wahrnehmen. Für morgen kann ich die Termine absagen. Wollen wir uns dann morgen bei dir im Büro verabreden, um alles Weitere zu besprechen?«
»Nein, wie wäre es, wenn wir uns bei dir treffen. In deiner Praxis? Mila ist nicht weit davon entfernt untergebracht. Ich stelle heute die Akte für dich zusammen und bringe sie dir morgen mit.«
»Ja, das geht in Ordnung. Wann bist du hier?«
»Ich versuche, um neun Uhr da zu sein.«
»Okay, Martin, dann bis morgen.«
»Ja, bis morgen, und Martha, ich freue mich, dich wiederzusehen.«
Dass Martha mal wieder etwas von Martin gehört hat, freut sie. Sie hatte ihn während ihrer Arbeit in der Justizvollzugsanstalt kennengelernt. Schon damals war er ihr sehr sympathisch gewesen. Seitdem hatten sie nichts mehr voneinander gehört. Martha erschrickt und stellt fest, dass sie sich für einen anderen Mann außer für Georg interessiert. Sie lächelt, die Trennung ist richtig, sie tut nicht mehr so weh. Jetzt kann sie sich wieder mit anderen Männern treffen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.
Es klingelt und Martha wird aus ihren Gedanken gerissen. Ihr erster Patient betritt das Wartezimmer und setzt sich. Martha geht vom Büro in den kleinen Raum, wo vier Stühle um einen Tisch stehen. »Guten Tag, Herr Kölbe«, lächelt Martha und reicht ihm die Hand. »Kommen Sie, gut, dass wir uns sehen. Wie geht es Ihnen denn?« Martha ist jetzt wieder voll in ihrer Tätigkeit und denkt an nichts anderes mehr. Sie geht voran ins Besprechungszimmer.
»Nennen Sie mich doch endlich Jens, ich komme schon so lange zu Ihnen«, lacht Herr Kölbe.
»Nein, wie oft noch?« Martha bleibt stehen und schaut ihm ins Gesicht, sodass er fast in sie hineingelaufen wäre.
»Ich bin für Sie Frau Degenhardt, und Sie sind für mich Herr Kölbe. Und nein, wir bleiben beim Sie.« Martha dreht sich wieder um und geht ins Besprechungszimmer. »Was macht Ihr Antiaggressionstraining?« Sie setzt sich und bedeutet ihrem Patienten mit einem Handzeichen, sich auch zu setzen.
»Interessiert Sie das wirklich? Sie erfahren es ja doch. Ich war ein paarmal nicht da. Das ist Psychoscheiße.«
»Ihr Trainer hat mich davon in Kenntnis gesetzt. Sie waren die letzten drei Wochen nicht da. Sie wissen schon, dass er das melden müsste? Das wird Ihren Bewährungshelfer nicht freuen.«
»Ja, aber er muss es ja nicht erfahren.«
»Ihr Trainer hat gesagt, wenn Sie das nächste Mal nicht kommen, muss er leider eine Fehlmeldung weitergeben. Wollen Sie das?«
»Nein, natürlich nicht. Aber das ist was für Frauen! Was soll ich mit autogenem Training? Muskelpartien kennenlernen und Entspannungsübungen. Muskeln anspannen und entspannen.« Jens macht ein verachtendes Gesicht.
»Ich denke, Sie werden auch noch andere Konfrontationsübungen erlernen. Aber alles der Reihe nach.«
Nach eineinhalb Stunden ist die Sitzung beendet, und Martha hat etwas Zeit, bis der nächste Patient kommt. Herr Kölbe ist gegangen, ihr Telefon klingelt. Es klingelt nicht, es spielt eine Melodie. Georg hat ihr den Klingelton eingestellt, eine schöne Idee.
»Degenhardt.«
»Hey, da habe ich ja die richtige Nummer gewählt«, lacht Ruby am Telefon.
»Ich habe mit Peter gesprochen. Ist es okay, wenn Peter heute Abend mitkommt? Das wird dann bestimmt lustig. Wir könnten uns Pizza bestellen?«
»Eigentlich wollte ich etwas entspannen. Hm, aber gut, ist in Ordnung.« Martha ist einverstanden.
»Super, bis dann. Schaff noch schön.«
Martha legt auf und ärgert sich, dass sie zugesagt hat. Aber der Abend kann ja nett werden. Rubys Helfersyndrom ist ihr fast schon zu viel, andererseits freut sie sich, eine so gute Freundin zu haben.
Sie geht alle Termine für die nächste Woche durch und ruft ihre Kollegin Marlene an, die sie in dringenden Fällen vertritt.
»Hallo Marlene, ich bin’s, Martha. Ich brauche dich mal wieder als Vertretung für meine Praxis. Hättest du Zeit?«
»Oh, hallo Martha. Das mache ich gerne, ab wann denn?«
»Wenn es für dich in Ordnung wäre, ab morgen. Ich schicke dir eine E-Mail mit den Terminen. Ich kann mir vorstellen, dass es jetzt zu kurzfristig sein wird.«
»Nein das schaffe ich. Hast du endlich mal vor, mit Georg in Urlaub zu fahren?«
»Leider nicht, Marlene. Georg gibt es nicht mehr in meinem Leben. Ich habe ihn gestern Nacht rausgeschmissen, nachdem ich erfahren habe, dass er fremdgegangen ist«, erzählt Martha. »Hauptkommissar Krüger hat mich um Hilfe bei einem Fall gebeten. Schaffst du das mit deinen Kindern zu organisieren?«
»Was, das ist ja schrecklich. Das hätte ich nicht von Georg gedacht. Das mit meinen Kleinen bekomme ich schon hin. Wofür hat man denn Omas. Und sie haben ja auch noch einen Papa«, lacht Marlene. »Aber willst du dir nicht lieber mal freinehmen?«
»Nein, ich glaube, Arbeit ist die beste Medizin. Außerdem würde ich den Fall gerne übernehmen. Es geht um das kleine Mädchen, wegen dem ich in Berlin war.«
»Na gut, du musst es wissen. Ich bin dann ab morgen in deiner Praxis. Schick mir die Termine einfach zu.«
»Danke, Marlene, du bist spitze. Ich lade dich dann mal zum Essen ein als kleines Dankeschön.«
Nachdem Martha aufgelegt hat, klingelt es an der Tür und sie betätigt den elektrischen Türöffner. Die Patientin Doris Saint erscheint und Martha führt sie in das Besprechungszimmer, wo sie ihr einen Tee anbietet, um eine entspannte Atmosphäre zu schaffen.
Martha nimmt sich immer Zeit und das wissen ihre Patienten zu schätzen. Heute beendet Martha die Sitzung pünktlich, um die Termine für Marlene fertigzumachen. Als Doris Saint gegangen ist, geht sie gleich wieder an ihren Schreibtisch, im selben Moment klingelt es an der Tür. Da sie keinen Patienten mehr erwartet, betätigt sie gespannt den Türöffner. Nach ein paar Sekunden steht Georg im Flur.
»Was willst du hier?«
»Martha, ich möchte nur fünf Minuten mit dir reden. Bitte gib mir die Zeit.«
»Okay, fünf Minuten«, Martha nickt und deutet mit der Hand auf einen Sessel vor ihrem Schreibtisch.
»Danke. Ich weiß, ich habe echt Mist gebaut. Ich möchte mich dafür entschuldigen. Aber ich kann dich nicht verlieren. Ich liebe dich. Deswegen hoffe ich, du kannst mir verzeihen und gibst uns noch eine Chance.«
»Weißt du, Georg, ich bin so enttäuscht. Es war zwischen uns schon seit Längerem nicht mehr in Ordnung. Wir haben ja kaum etwas zusammen unternommen. Immer hattest du irgendwelche Ausreden. Und dann betrügst du mich und ich bekomme es raus. Was für ein Zufall!« Martha merkt, wie wütend sie wird. Nur nicht ausrasten jetzt. »Ich glaube, wir sind beide nicht mehr glücklich miteinander. Und nun ist die Trennung schneller gekommen als ich dachte. Ich habe schon öfter überlegt, mich von dir zu trennen.«
»Wie wäre es, wenn wir uns Zeit lassen? Uns langsam wieder annähern? Ich richte mich nach deinem Tempo«, gibt Georg nicht auf.
»Versteh doch, ich will das alles nicht mehr. Hol deine Sachen ab, ich habe alles in die Garage gestellt, und dann lass mich in Ruhe.« Martha steht auf und öffnet vielsagend die Tür.
»Jetzt geh bitte, ich habe zu arbeiten. Du musst sicherlich auch noch ins Büro?«, lächelt Martha Georg süffisant an.
»Das ist jetzt etwas ironisch, oder? Martha denke noch mal darüber nach.«
»Nein, für mich gibt es nichts mehr nachzudenken«.
Georg geht aus der Praxis ohne ein Wort an Martha. Martha schließt erleichtert die Tür und lehnt sich dagegen. Geschafft. Was bildet der sich ein! Nach dem, was er sich geleistet hat? Traurig über diese ganze verworrene Situation setzt sich an ihren Schreibtisch. Martha regelt die restlichen Termine für Marlene, schickt ihr eine E-Mail. Ordnet ihren Schreibtisch und verlässt dann ihre Praxis. Um die Ecke ist ein kleines Café. Da gönnt Martha sich einen Espresso, bevor sie nach Hause geht. Sie beobachtet die Menschen und fragt sich, wie viele von denen wirklich glücklich sind, mit Georg gab es Momente, in denen sich Martha glücklich gefühlt hat. Aber so das richtige vertraute Gefühl zum Partner hatte Martha nie. Sie hatte sich Mühe gegeben, ihm zu gefallen. Um glücklich zu sein. Oft war das echt anstrengend. Genug Trübsal geblasen! Jetzt geht es in eine partnerfreie Zeit und die werde ich mir richtig schön machen! Und vielleicht werde ich mein Glück, wie ich es mir wünsche, ja finden. Ohne mir Mühe geben zu müssen, um glücklich zu sein. Zu Hause schaut Martha zuerst in die Garage, die Kartons von Georg stehen noch da. Also war er noch nicht da. Auch gut. In der Wohnung ist es endlich mal aufgeräumt! Es fühlt sich ungewohnt an. Sonst muss sie erst mal hier mal da was wegräumen. Martha macht Musik an. Und nun erst mal durchatmen und sich vorstellen, es wird jetzt immer so sein. Da muss sie sich erst noch dran gewöhnen. Gerade wie Martha es sich gemütlich machen möchte, klingelt es. Ruby und Peter. Eigentlich ganz gut, dass die beiden kommen. Martha geht zur Tür und ist froh, dass sie jetzt nicht im ruhigen Zuhause alleine ist. Vor der Tür stehen nicht Ruby und Peter, sondern Georg.
»Was willst du denn schon wieder?«
»Ich wollte meine Sachen holen.«
»Dann nimm Sie dir und gehe. Sie stehen in der Garage.«
»Hast du Lust auf einen Wein?«
»Nein!!«
»Komm, ich werde dir nicht zu nahetreten. Nur einen Wein.«
»Es reicht Georg, verstehst du nicht, ich möchte meine Ruhe, ich will dich nicht mehr sehen.«