Alwin - Friedrich de la Motte Fouqué - E-Book

Beschreibung

Der Roman Alwin, in dem der Romantiker Fouqué das Leben eines Jünglings zur Zeit des 30jährigen Krieges darstellt, gehört zu den frühen Erfolgen des Schriftstellers.

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Alwin

Friedrich de la Motte Fouqué

Inhalt:

Erster Band.

Erster Theil.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Eilftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Zweiter Theil.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Eilftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Funfzehntes Kapitel.

Sechszehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Zweiter Band.

Erster Theil.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Eilftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Funfzehntes Kapitel.

Sechszehntes Kapitel.

Zweiter Theil.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Eilftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Alwin, F. de la Motte Fouqué

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849613921

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Friedrich Heinrich Karl Freiherr de la Motte Fouqué – Biografie und Bibliografie

Deutscher Dichter, geb. 12. Febr. 1777 in Brandenburg, gest. 23. Jan. 1843 in Berlin, erhielt eine militärische Erziehung, trat als Leutnant in das Regiment Gardedukorps, nahm am Rheinfeldzug von 1794 teil und lebte dann privatisierend seinen poetischen Neigungen. Durch A. W. v. Schlegel mit den »Dramatischen Spielen«, die unter dem Pseudonym Pellegrin (Berl. 1801) erschienen, in die Literatur eingeführt, trat er nacheinander mit den »Romanzen vom Tal Ronceval« (das. 1805), dem Roman »Historie vom edlen Ritter Galmy und einer schönen Herzogin von Bretagne« (das. 1806), dem Roman »Alwin« (das. 1808) und dem Heldenspiel »Sigurd, der Schlangentöter« (das. 1808) hervor, Werke, die in Stoff, poetischer Auffassung und Darstellungsweise seine spätere Dichtung bereits kennzeichneten. Die Sagen des Nordens und die französischen Rittergeschichten des Mittelalters regten Fouqués Phantasie gleichzeitig an und flossen ihm zu einer wunderlich phantastischen Welt zusammen. Zwischen den Jahren 1808–20 nahm Fouqués Leben und Dichten den größten Aufschwung. Patriotische Begeisterung führte ihn 1813 in die Reihen der preußischen Armee zurück; er nahm als Leutnant und Rittmeister bei den freiwilligen Jägern an den Schlachten des Befreiungskrieges teil, erhielt 1815 den Abschied als Major und lebte dann wieder auf seinem Gut Nennhausen bei Rathenow, Gastfreundschaft übend und im lebendigen Verkehr mit allen romantischen Zeitgenossen rasch produzierend. Für sein bestes Werk gilt mit Recht »Undine« (Berl. 1811, 26. Aufl. 1887), eine Erzählung, deren Frische und schlichter, nur an einigen Stellen gekünstelter Märchenton über die wenigen schatten- und spukhaften Stellen leicht hinwegsehen ließen. Dann folgten die Ritterromane: »Der Zauberring« (Nürnb. 1813; neue Ausg., Braunschw. 1865) und »Die Fahrten Thiodulfs, des Isländers« (Hamb. 1815, 2. Aufl. 1848), die neben wirklich kräftigen Szenen schon viel Manier und künstliche Reckenhaftigkeit aufwiesen. Die »Kleinen Romane« (Berl. 1814–19, 6 Bde.), »Sängerliebe« (Stuttg. 1816), »Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein« (Leipz. 1817) wurden durch »Neue Schauspiele« (»Alf und Yngwi«, »Die Irmensäule«, »Runenschrift«), ritterliche Tragödien (»Die Pilgerfahrt«, »Der Jarl der Orkneyinseln«), epische Gedichte, wie »Corona« (Stuttg. 1814), »Karls d. Gr. Geburt und Jugendjahre« (Nürnb. 1814), »Bertrand du Guesclin« (Leipz. 1821), und zahllose kleinere Erzählungen, Dramen und Abenteuer ergänzt; in allen wirkte die gleiche Mischung von »süßlicher Kraft und minniglicher Tugendhaftigkeit«. Nach 1820 ward Fouqués Produktion immer unerquicklicher und verlor alle Frische, so daß sich das Publikum von dieser Manier mehr und mehr abwendete. Nach 1830 siedelte F., der Nennhausen verkaufen mußte, nach Halle über, wo er unter anderm auch mit öffentlichen Vorlesungen über und gegen den Zeitgeist hervortrat. Seine harmlose Romantik verwandelte sich in eine gallige feudale und frömmelnde Verdammung der modernen Welt. Unter seinen spätern Schriften gehören »Ritter Elidouc«, altbretagnische Sage (Leipz. 1823), »Die Saga von Gunlaugar, genannt Drachenzunge, und Rafn dem Skalden. Eine Islandskunde des 9. Jahrhunderts« (Wien 1826), »Jakob Böhme«, ein biographischer Denkstein (Greiz 1831), »Die Weltreiche zu Anfang der Jahre 1835–1840«, Dichtungen (Halle 1835–40,6 Hefte), »Preußische Trauersprüche Und Huldigungsgrüße für das Jahr 1840« (das. 1840), »Der Pappenheimer Kürassier; Szenen aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs« (Nordh. 1842; 2. Aufl., Bautzen 1853) zu den besonders charakteristischen. Durch die Munifizenz Friedrich Wilhelms IV. von Preußen wurde F. den äußern Lebenssorgen entrückt und nach Berlin berufen, wo er in Gemeinschaft mit L. v. Alvensleben die »Zeitung für den deutschen Adel« (Leipz. 1840–42) herausgab. Seine »Lebensgeschichte« (Halle 1840) hatte er ebenso wie die Sammlung seiner »Ausgewählten Werke« (das. 1841, 12 Bde.) noch selbst veröffentlicht. Nach seinem Tod erschienen der Roman »Abfall und Buße oder die Seelenspiegel« (Berl. 1844); »Geistliche Gedichte« (das. 1846, 2. Aufl. 1858) und »Christliche Gedichte« (das. 1862). Eine Auswahl aus seinen Schriften gab M. Koch in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur« (Bd. 146), die »Undine« I. Dohmke (zusammen mit Novalis' Werken) in Meyers Klassiker-Bibliothek (Leipz. 1892) heraus.

Alwin

Erster Band.

Erster Theil.

Erstes Kapitel.

Die Nacht wird kalt, sagte der alte Rudolph. Von dem Wettterfähnlein kreischt es herunter, die Eichen fangen zu rauschen an. Lege mehr Holz an den Heerd, Alwin. Der schöne Jüngling that, wie ihm geheißen war, und indeß er sich über die Flamme hinbog, sagte die Mutter: lauter Gluth ist's doch, so ein Jünglingsgesicht. Man sollte denken, in den Wangen und in den Augen sei das Feuer. Das auf dem Heerde nähre sich nur davon. Du sprichst ja wie die alte, wunderliche Handschrift, erwiederte der Greis. Soll ich draus vorlesen? fragte Alwin. Die Aeltern nickten ihm zu, und er hohlte aus einem eichnen Wandschrank die Papiere hervor, daran der kleine Cirkel sich bisweilen zu ergötzen pflegte, vorzüglich zur Herbst- und Winter-Zeit, wenn die Abende lang wurden. Alwin zeigte sich alsdann besonders vergnügt, und die Mutter hatte oft ihre Bemerkungen darüber, wie ein so jugendliches Gemüth, lieber die fallenden Blätter sehen möge als die knospenden. Der Alte pflegte darauf zu erwiedern: Jedermann seine eigne Weise, und im Grunde war es der Mutter nicht unlieb. So blieb Alwin ihr gerne daheim, und wenn er sich auch einmal in das nahe Harzgebirg verstieg, pflegte er doch nicht um die gesellige Abendstunde zu fehlen, wenn es ans Lesen der alten Handschrift ging. Diese hatte man zufällig in dem alten Schlosse gefunden, in demselben Wandschrank, woraus sie Alwin jetzt hervor nahm, und zu lesen begann:

Es war aber seines Stammes Geist über den jungen Herrn Kunrath gekommen, daß er sich auch als einen der Stauffen zu erkennen gäb, die in fremden Landen umgezogen waren, und mit ihrer ritterlichen Faust viel Ehr und Gut gewonnen hatten. Manche vermeinen, daß ob allen Fürsten und Herrn Deutscher Nation ein wunderlicher Engel walte, welches die alten Griechen und Römer Dämon geheißen, der sie nach dem Mittag hinunter treibe, davon auch ehmals die Römische Weltherrschaft zerfallen. Herrn Kunraths Mutter soll den Stammgeist auch bald erkannt haben, als ihr ritterlicher Sohn sie um Vergunst zum Auszug gebeten; auf gleicher Weis' wohl verstanden, wie er spät oder nimmer heim kehren möge. Doch hat sie als eine kluge und gottesfürchtige Frau der göttlichen Lenkung nichts in den Weg legen wollen, sondern ihren viel lieben Sohn vielmehr aus ganzem Herzen geseegnet und ihn fortziehn lassen mit Rittern und Knappen in die Italienischen Länder.

Seht, lieber Vater und liebe Mutter, unterbrach sich Alwin, da nehmen sie eben Abschied. Die beiden Alten beugten sich über das Bild, welches zwischen die zierlichen Schriftzüge hinein gemahlt war, und beschauten es mit vieler Achtsamkeit.

Da hörte man an das Burgthor klopfen. Es ist der Wind, der sich erhebt, sagte Alwin, und wollte weiter lesen. Nein, nein, lieber Sohn, rief die besorgte Mutter. Ich habe es ganz eigentlich gehört. Drei Schläge, oder vier, und von der Nordseite herauf, wo die Fußpfade aus dem dicksten Harzwalde zu uns führen. Du kannst mir glauben. Wenns nur was Gutes bedeutet. Rudolph war indeß an das Bogenfenster getreten, und sah über die Schloßmauer hinab, so scharf es die finstre Sturmnacht vergönnte. Jemand ist am Thor, sprach er in's Zimmer zurück; das hat seine Richtigkeit. Und zugleich rief er dem Knechte, der eben über den Hof ging: mach nicht auf, bis wir wissen, woran wir sind. Der Krieg hat manches umirrende Raubgesindel losgelassen.

Seid unbesorgt, scholl eine männliche Stimme von aussen herauf. Ich bin ein einzelner Mann zu Pferd, und des Herzogen Christian von Braunschweig Secretarius.

Der Alte rief des Jünglings hellern Blick zu Hülfe, und als sie Beide deutlich wahrnahmen, daß wirklich nur ein Einzelner auf seinem Roße draussen halte; bekam der Knecht Befehl das Thor zu öffnen. Trau' schau' wem, sagte zwar die Mutter. Es ist schon mancher kühne Freihart ganz allein in bewohntre Burgen eingebrochen. Aber Rudolph entgegnete: da hat man ihn auch todtgeschlagen, oder hätt' es wenigstens thun sollen. Hier sind wir unser Drei, Ich, Alwin und der Knecht; Waidewuth, den braven Hund, nicht einmal mitgerechnet.

Alwin war indeß dem Fremden entgegen gegangen, und begrüßte ihn sehr höflich am Fuß der Wendelsteige, worauf er ihm über die veralterten Stufen vorleuchtete. Verargt uns nicht, sagte er, daß wir Rath hielten, eh wir Euch einließen. Man weiß jetzt nicht immer, mit wem man zu thun hat, und muß schon der bösen Zeit fröhnen. Der Fremde äusserte, wie viel lieber es ihm sei, von verständigen und vorsichtigen Menschen aufgenommen zu werden, als von einem luftigen Thoren, dessen Dach nicht viel sichrer wahre, als ein Baumgipfel im Gewitter.

Sie waren unterdeß in's Wohnzimmer getreten, und Alwin beschaute, während der Bewillkommungen des Vaters und der Mutter, den unvermutheten Gast. Eine große, hagere Gestalt, ernst und sicher in allen Bewegungen, scharfe, aber nicht blitzende Augen unter der weit vorliegenden Stirn. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein. Thorwald, sagte er, nenne man ihn, und er habe sich verirrt, indem er von Halberstadt, das sein Herr administrire, nach Braunschweig zurückreisen, und im Harz unterwegs einige Geschäfte habe abmachen wollen. Von hier gehe er nun grade auf Braunschweig. Darauf fing er an sich aufs umständlichste wegen der morgenden Tagereise zu erkundigen. Alwin empfand während all dieser weitläuftigen Unterhandlungen eine Art von Widerwillen gegen den Fremden. Er konnte es ihm nun gar nicht verzeihn, daß er die Geschichte Herrn Kunraths von Stauffen unterbrochen hatte; noch unlieber aber wär' es ihm gewesen, sie in seiner Gegenwart weiter fortzusetzen. Deshalb legte er die alte Handschrift wieder in ihren Wandschrank, und suchte dies aufs unbemerkteste zu thun, welches ihm um so leichter gelang, da der Fremde wenig oder gar keine Notiz von ihm nahm. Mit dem alten Rudolph unterhielt er sich jedoch desto fleissiger, und fragte ihn, wie es komme, daß er hier so gar abgelegen wohne, und ob die Gegend wirklich so einsam sei, als sie scheine, oder irgendwo Stadt und Dorf hinter den Abhängen und Gebüschen verborgen liege?

Dort das Thal weiter hinunter, antwortete Rudolph, giebt es ein Dörflein, nicht allzufern von hier. Die Leute sind gutmüthig, aber ich habe mit keinem eben viel zu schaffen. Selten auch, daß ein verirrter Wandrer hier herauf kommt, und so erfahre ich dann wenig von einer Welt, deren Neuigkeiten mir zum Ueberdruß geworden sind.

Das kann doch, meinte der Fremde, nicht gleiche Bewandniß mit dem rüstigen Jünglinge dort haben.

Warum nicht? sagte Rudolph. Zu den Waffen wär' er gebohren, denn wir sind untadelichen Ritterstammes, und Burgen und Städte, weitum durch's ganze Land, waren meinen Ahnen unterworfen. Die Zeiten wechseln. Wir sind arm geworden; was mag ein Knabe ohne Mittel in der Welt anfangen? Ich hab' solch keckes Treiben in meiner Jugend selbst versucht. Was half's? Aermer als ich ausritt, nur reich an Narben, mismuthig, betrübt zog ich in das verfallende Schloß zurück. Es geht nicht mehr zu wie ehedem, wo ein junger Ritter an Schwerdt und Roß genug hatte, um sich Preis und Glück zu erwerben. Heut zu Tage will man die wackern Männer nur in blanken Rüstungen und auf kostbaren Roßen sehn. und wer dergleichen nicht auftreiben kann, bleibt klüger zu Hause.

Von seinen ehemaligen Vortheilen, erwiederte der Fremde, hat der Adel freilich manches eingebüßt. Das Leben fügt sich zum sichern Gebäu in einander, man hält die wilden Thiere zahm im Hofbezirk, und schließt vor Räubern und überlästigem Besuch die wohlverwahrten Thüren. Da gilt nun das Waffenhandwerk nicht mehr in der alten Nothwendigkeit. Greife jedoch ein Jeder mit an, wie es Stimmung und Gedeihen des Ganzen erfordern, und ändre seine Weise, nach den Aendrungen seiner Zeit, so wird er nichts in der neuen Ordnung der Dinge vermissen.

Rudolph ging mit starken Schritten auf und ab, indem der Fremde fortfuhr: dem Adel sind keinesweges die Mittel zu gesetzmässigem und sicherm Fortkommen versperrt. Schon seid langer Zeit studiren junge Herren Eures Standes mit uns in die Wette, und bekleiden – Nehmt's mir nicht übel Herr Secretarius, unterbrach ihn hier Rudolph, ich bin noch in dem neuen Bau, wovon Ihr sprecht, gar nicht eingewohnt, und halt' es mit der alten Sitte. Meinen Alwin gönne ich nur den Waffen; geht das nicht, so mag er lieber bei uns alten Leuten hausen, und uns die Zeit mit seinem Citherspiel vertreiben. – Auch gut, sagte Thorwald, und lobenswürdig. Es ist eine schöne Sache um's Citherspiel. Ließt Ihr nicht auch mich etwas davon hören? Er wandte sich bei diesen Worten lächelnd zu Alwin, dem sein ganzes Thun in der Seele zuwider war, und ihm vorzüglich jetzt, nicht viel anders vorkam, als heimlicher Spott. Er hatte eine Entschuldigung auf den Lippen, als die Mutter ihn unterbrach, und ihn mit der gewohnten Freundlichkeit um ihr Lieblingslied bat. Alwin sang:

    Von dem Seegestade Stieß ein Schifferkahn Fort durch nasser Pfade, Ungewisse Bahn. Drüben auf den Auen Steht ein Klosterhaus, Schöne Nönnlein schauen Abends oft heraus.

    Eine schön vor Allen Schrieb mit weißer Hand, Ließ das Blättlein fallen Uebern Fensterrand. Knabe hat's gefunden, Nahm's in treuer Huth, Kommt in nächt'gen Stunden Durch die wilde Fluth.

    Regt die Arme kräftig, Rudert keck und kühn, Doch umsonst so heftig, Sehnendes Bemühn! Ihm zur Seite bleiben Baum und Felsen stehn. Nebel vor ihm treiben Sich im düstern Wehn.

    Sagt Ihr Meeresfeyen, Höhnt Ihr meine Gluth? Sagt was soll' ich weihen? Lieder, Gaben, Blut? Schon ist Euch verschrieben Was Eu'r Sinn begehrt. Nur daß Ihr zur Lieben Nicht den Gang mir wehrt.

    Kraft die nicht erbitten, Nicht erflehn sich läßt Hält in Wassers Mitten Ihm den Nachen fest. Da zum Venussterne Sieht er bittend auf, Ist Verliebten gerne Hülfreich ja Dein Lauf.

    Schon mit günst'gem Funkeln Blitzt der grüne Schein, Doch der Nebel Dunkeln Wirft sich zwischen ein. Nonne sah voll Sorgen Zu den Fenstern aus, Ach es kam der Morgen An das Klosterhaus,

    Kam auf die Gewässer, Wo der Schiffersmann Bänger stets und blässer Nach der Lieben sann. Heim nun mußt' er lenken Vor dem hellen Tag, Ging, sich still zu kränken, Nach dem Hüttendach.

    Und bekannte Töne Rauschen an sein Ohr: Knabe, lieb' und schöne, Richt' Dein Haupt empor, Auch nun zu gesunden Schüttle ab die Pein. Wer Dich hielt gebunden, War die Mutter Dein.

    Hat dir aufgehoben Eine andre Braut, Jene war dort oben Christo angetraut. Laß sie Gott vereinigt, Bleib von ihr getrennt, Bis Ihr zwei gereinigt Euch als Engel kennt.

    Wo die Bächlein rinnen Ew'ger Seeligkeit, Ist für all' ein Minnen Rein und fromm bereit. Holder Sohn, drum halte Rein dich für und für. Und der Klang verhallte An der Kirchhofsthür.

Thorwald hatte während des Liedes wie zerstreut vor sich hingesehen, und mit dem Schaupfennige gespielt, der ihm an einer goldenen Kette auf der Brust hing. Nun sagte er, noch ehe der letzte Vers geendigt war: der junge Mann singt recht gut. Es ist Schade, daß Ihr so fest entschlossen seid, ihn nicht von Euch zu lassen. Ich wüßte sonst wohl noch etwas für ihn, wobei er eben nicht die Feder zu führen braucht, und was ihn doch auf eine gute Laufbahn helfen möchte. Wie so? fragte Rudolph. Mein Herzog, fuhr der Geheimschreiber fort, liebt Musik, artige Sitte und Galanterie. Viel schöne und ehrbare Frauen sind an dem Braunschweiger Hofe versammelt, und obgleich der Herr jetzt abwesend ist, geht doch das heitre Leben, mit Citherspiel und Gesang durchflochten, den gewohnten Weg fort. Der junge Adel sucht von allen Seiten dort Zutritt, und ich würde Euern Sohn gern einführen, wo man ihn willkommen hieße, und er wenigstens den Winter hindurch mit, und in der Welt leben könnte.

Rudolph schwieg nachdenklich, und Alwin verließ, beleidigt durch Thorwalds wenige Aufmerksamkeit auf seinen Gesang, das Zimmer.

Zweites Kapitel.

Man war still und frühzeitig auseinander gegangen. Alwin und die Mutter gefielen sich nicht in des Fremden Gesellschaft, und dieser eilte selbst zur Ruhe, weil er vor Tagesanbruch weiter zu reisen gedachte.

Aus dem tiefsten Schlafe ward Alwin durch heiße Thränen erweckt, die über sein Antliz flossen, und indem er aufsah, beugte sich seine Mutter über ihn, die Lampe in der Hand, wie um ihn recht achtsam zu beleuchten. Liebes Kind, sagte sie schmerzlich weinend, ich muß dich aufwecken, so gern ich dich auch schlafen sehe. Du kommst mir immer noch im Schlummer wie ein freundlicher Knabe vor; so frisch athmest Du, so roth glühen Deine Wangen. Ach, ich soll das nun in langer Zeit nicht sehn, vielleicht niemals wieder.

Wie ist Euch denn Mutter? fragte der noch halb schlaftrunkne Jüngling. Ich würde meinen, es sei ein Traum, wenn mir die Strahlen Eurer Lampe nicht so hell in's Auge fielen. Was ist denn begegnet?

Der Fremde, sagte die Mutter, indem sie sich auf's Bett niedersetzte, ist uns recht zum Unheil in's Haus gekommen. Ich mochte ihn gleich nicht wohl leiden, unterbrach sie Alwin. Und dennoch, erwiederte sie, sollst Du mit ihm reisen. Du hast es vielleicht gemerkt, wie still und gedankenvoll der Vater nach dem letzten Vorschlage ward, den der Secretarius gestern that. Kaum waren wir in unserm Schlafgemach, so fing er wieder davon an, und meinte, ein junger Fant müsse in die Welt hinaus. Dies sei die erste, vielleicht die einzige Gelegenheit für dich, und man dürfe dergleichen nicht von der Hand stoßen. Ich weinte, und wir haben bis jetzt darüber gesprochen. Zwischendurch hörte ich Dich immer so ruhig athmen – es wollte mir das Herz brechen.

Liebe Mutter sagte Alwin, ist das meines Vaters Wille, und bleibt er dabei, wie ich nicht zweifle, so laßt uns freudig thun was er gebietet und zu meinem Besten taugt. Wirft doch der Adler seine Kleinen aus dem Neste, sobald sie flügge sind. Laßt mich immer ein wenig zeigen, daß auch mir des Vaters Blick und Flügelschwung angebohren sind.

Du sprichst wie ein guter Sohn, antwortete die Mutter, und wie ein braver junger Edelmann. Aber eben deswegen thut es mir so weh, daß ich vielleicht nun auf immer von Dir Abschied nehmen soll. Erwiedre mir nichts, versuche nicht, mir Trost einzusprechen; es wird sich Alles finden, wie Gott will. Schlafe nun noch ein wenig, mein liebes Kind; Du hast eine starke Tagereise vor Dir. Ich packe indessen Deine Sachen zusammen, und nehme die Lampe mit hinaus, damit Dich ihr Schein nicht störe. Schlafe mir ja noch ein Stündchen; hörst Du?

Sie war mit diesen Worten aus der Thür, und Alwin vernahm nur noch, wie sie im Nebengemach die Schränke öffnete, und Kleider und Wäsche herausnahm, alles leise, um den lieben Sohn nicht zu stören. Da traf das Gefühl der Trennung und der letzten mütterlichen Sorgfalt recht wehmüthig an sein Herz. Er weinte still für sich in die Nacht hinein, und seufzte immer ganz leise in seine Kissen: ach liebe Mutter! Liebe, liebe Mutter! Stirb nur nicht, bis ich wiederkomme, und Dir sagen kann, wie traurig mir in dieser Stunde zu Muthe gewesen ist.

Er hörte bald seinen Vater in der untern Halle mit Thorwald sprechen, und besann sich, daß er nicht wie ein weichherziger Knabe vor dem fremden Manne erscheinen müsse, dessen Mitleid ihm ein brennendes Gefühl der Schaam erweckt haben würde. Er sprang aus dem Bette, weinte die letzten Thränen auf die mütterliche Hand, welche ihm Licht hinein reichte, sobald er sich regte, und suchte nun allen Stolz und alle Kraft in sich hervor, um der immer wiederkehrenden Wehmuth zu begegnen. Es war, als riefe ihm die vertraute Kammer aus allen Seiten ein Lebewohl zu, aber er strebte es zu überhören. Im Forteilen streifte er an seine Cither, die er gestern Abends mit heraufgenommen hatte, und die Saiten gaben einen klagenden Ton. Nein, nein, weine nicht, sagte er aufs freundlichste. Du wenigstens sollst mit mir. Er nahm sie unter den Arm, und eilte in die Halle.

Rudolph und Thorwald gingen mit einander im ernsten Gespräche auf und ab. Der Letztre betrachtete den Jüngling, wie er mit der Cither hereintrat, voll sichtlichen Wohlgefallens, und fragte ihn, ob er gern mit ihm gehe. Ihr seht mich reisefertig, antwortete Alwin. Ganz recht, sagte Thorwald. Ihr erinnert mich, daß ich eben eine lächerliche Frage gethan habe, die aber mit vielen andern, bedeutungslosen so gäng und gebe geworden ist, daß man sich ihresgleichen kaum abwehren kann. Auf die That kommt es an. Denn natürlich müßt ihr die Reise wenigstens lieber vornehmen, als Alles andre, was Ihr in diesem Augenblick thun könntet, sie zu vermeiden. Ihr hättet ja sonst leichte Wahl.

Mein Sohn, sagte Rudolph, Du hast Dich vielleicht gewundert, daß ich Dich so schnell fortschicke. Und doch denke ich auch wieder, es könne in diesem Entschluß nichts Neues für Dich liegen. Wir haben oft des Abends am Feuer von der Welt geplaudert und meinen ritterlichen Zügen durchhin. Da ist mir öfters aufgefallen, wie es nicht der Wiederschein von der Flamme auf dem Heerde war, wovon Dein Gesicht so wunderhell aufglühte, sondern von einer tiefern, heiligern in Deiner Brust. Zieh hin mit Gott, mache Deinem Namen Ehre, und mir und der Mutter jetzt das Herz nicht zu weich.

Ihr sollt hoffentlich Euern Sohn an mir nicht verkennen, erwiederte Alwin, und die Drei schritten nun schweigend neben einander her, während die Mutter ab und zu ging, dies und jenes besorgend, ihre rothgeweinten Augen unter mancherlei Vorwand abwendend. Man fühlte das Drückende des Abschiedes recht schmerzlich, und sah mit einer Art von Ungeduld nach dem Fenster, ob die Pferde der Reisenden noch nicht da seien. Demungeachtet schrack die Familie zusammen, als sie Roßhufe über den gepflasterten Hof heran kommen hörten. Schnell fort, und glückliche Wiederkehr, sagte Thorwald. Die Mutter wandte sich von ihm, und legte ihr Gesicht an Alwins Brust. Dann erhob sie sich, und indem er vor ihr niederkniete, legte sie die Hände seegnend auf sein Haupt. Rudolph trat auch heran, und es fiel dem Jüngling ein, daß sie an demselben Tische waren, wo sie gestern Abends die Geschichte vom jungen Kunrath gelesen hatten. Wer soll Euch denn nun aus der alten Handschrift vorlesen? fragte er, und die Thränen drangen unaufhaltsam in sein Auge. Ach, rief die Mutter, laut weinend, wer hätte gedacht, das Bild sollte sobald an uns selber wahr werden! Rudolph hielt die Hand vor's Gesicht, und sagte mit gebrochner Stimme: zu Roß, junger Edelmann! Zu Roß!

Als sie schon aus dem Thore waren, blickte Alwin noch einmal um, und sah, wie der alte Knecht den getreuen Waidewuth am Halsbande hielt, der sich vergeblich mühte, seinem jungen Herrn nachzukommen.

Drittes Kapitel.

Sie ritten in der Dämmerung schweigend neben einander hin, bis endlich Thorwald anfing: es ist nicht gut, daß die mehrsten Trennungen am frühen Morgen geschehn. Man hat den langen Tag vor sich, der mit jeder Viertelstunde gleichsam die Glocke zieht, uns zu erinnern, daß wir aus dem gewohnten Kreise gerückt sind, und Alles verändert und fremd auf uns zutritt. Und dann die schaurige Morgenkühle nach den Thränen des Abschieds, meist nach einer schlaflosen Nacht! Reiste man gegen Abend fort, so wäre Alles besser. Die Rückbleibenden weinten sich auf ihren Kissen ein, und der Wandersmann empfände auf dem ungewohnten Nachtpfade so viel Wunderliches, ja Erschütterndes daß ihm wenig Zeit bliebe, sich der schmerzlichen Wehmuth hinzugeben. Noch ungerechnet, daß ihm die Zeichen der verlaßnen Heimath nicht so fernher nachblickten, als wollten sie ihn wieder zu sich hin locken.

Alwin schaute unwillkürlich zurück, und die Thürme der väterlichen Burg streckten sich über die Baumwipfel hervor. Er antwortete nicht. Alles was Thorwald gesagt hatte, empfand er so eben, und es war ihm verdrießlich, daß ein Fremder und grade dieser seinen Schmerz so keck und laut in dürre Worte kleidete. Sein unbehagliches Gefühl vermehrte sich, indem er einen Seitenblick auf seinen Gefährten fallen ließ. In dem falben Morgennebeln, auf der öden Stelle, wo sie sich befanden, kam ihm die lange Gestalt auf dem großen, schwarzen Rosse äußerst fremd vor. Er mußte wider Willen an alle Mährchen denken, wo der Menschen Erbfeind leichtgläubige Thoren aus ihren Hütten lockt, um sie vom steilen Bergpfad hinunter zu schmettern. Dann warf er sich es wieder vor, daß er so häßliche Gedanken nähre gegen einen Mann, den ihm der getreue, scharfblickende Vater zum Führer gewählt hatte.

Thorwald schien nichts von seiner Unzufriedenheit zu bemerken. Er sprach von diesem und jenen, unbefangen und sehr verständig, so daß endlich Alwin mit einstimmen mußte, und seiner trüben Gedanken ziemlich Meister ward, um so mehr, da die Sonne hell über die herbstliche Waldgegend strahlte, alles mit ihren klaren Blicken vergoldend und verschönernd. Man fand gegen Mittag einen warmen, sonnigen Platz zum Mahle aus, und labte sich an den mitgenommnen Flaschen und Eßwaaren. Um Vieles vertraulicher ritten die Reisegefährten gegen Abend einen Berghang hinunter, schon nahe bei der Einsiedelei, wo sie übernachten wollten, weil jene Gegend des Harzes ziemlich leer an Bewohnern war.

Alwin freute sich über die seltsame Gestaltungen der Felsstücke, und über die steigenden Nebel im Thale. Dabei fielen ihm allerhand wunderliche Mährchen ein von verzauberten Prinzen und Damen, die er sich kaum dem ernsten Begleiter vorzusagen enthielt. Aber einzelne Strophen von alten Romanzen sang er laut in die Thäler hinein, so daß er manches schöne Echo zur Antwort reizte.

Habt Ihr Euch nie selbst mit der Poesie abgegeben? fragte Thorwald. Es sollte mich doch wundern, da Ihr so viel Freude daran findet, schöne Lieder zu singen. Ja wohl, erwiederte Alwin. Ich bin nie froher, als wenn ich über ein Gedicht sinne, und es mir vorschwebt in goldner Gestaltung wie jene Abendwolken, räthselhaft und doch lockend, daß man sich mit Seele und Leib in das himmlische Spiel verlieren möchte. Und wenn es sich nun immer sicherer bildet und formt, bis es zuletzt wie ein eignes, abgesondertes Wesen vor uns steht, uns anschaut wie aus klaren Augen, so fremd und doch so innig vertraut, – es kann wohl kein Genuß auf der Welt darüber gehn.

Wenn Euch wirklich zu Muthe ist, wie Ihr sagt, erwiederte Thorwald, so steht Ihr zu beneiden.

Hätte der Vater nur gewollt, wie ich, fuhr Alwin fort; ich wäre aller weitern Mühe überhoben geblieben. Meine eigne Welt hätte ich mir geschaffen, und blos als ein Sänger gelebt, wie die herrlichsten Menschen vor Zeiten. Aber ich durfte dergleichen gar nicht vor ihm äußern.

Weil er ein verständiger Mann ist, sagte Thorwald. Leichtes Gewölk, das sich in Liedern so ziemlich ausnimmt; weiter nichts!

Glaubt Ihr denn nicht, rief Alwin an die Wundermänner der Vorwelt? Nicht an den großen Poetenfürsten Homer? Nicht an den kunstreichen Orpheus? Ja, auch unser Vaterland wußte vor zwei, dreihundert Jahren noch von glücklichen Dichtern, die lebten, um zu singen, und von der Minne ihren Namen führten.

Alles zu seiner Zeit, sagte Thorwald. Ihr glaubt doch auch an den starken Herkules, an Ritter Roland und andre Paladins Karl des Großen, ob Ihr es gleich ziemlich seltsam finden würdet, wenn heut zu Tage Jemand sein Leben damit zubrächte, den Harz von Wölfen zu säubern, und über See zu fahren, um hülfsbedürftige Damen aufzusuchen.

Und wäre das denn etwas so gar Verkehrtes? fragte Alwin. Ich wüßte nächst dem Leben eines Sängers nichts Schönres, als über die Erde zu reisen, ein Rächer aller Unbilden. Wenn es auch nicht eben auf Wölfe ginge, oder allein für wandernde Damen, so bliebe doch mancherlei Herrliches in dieser Art zu thun.

Wollte Gott, rief Thorwald, Ihr wärt der Einzige und der Mächtigste, dem ich solche Grillen auszureden hätte! Mich dünkt immer, wir Beide würden noch einig. Ihr gesteht mir doch zu, daß gegenwärtig ein Verfechter der Tugend und Schönheit andre Thaten vollbringen müßte und auf eine andre Weise als jene fabelhaften Ritter. Nicht wahr? Statt Eines Schwerdtes müßte er nun schon wenigstens ein Paar hundert lenken können, für täglich neue und wechselnde Abentheuer, bestimmt die Seite Einer religiösen und politischen Parthei in unserm angefangnen Bürgerkriege erwählen. –

Das Letztre möchte nicht so unbedingt nothwendig seyn, sagte Alwin; wenn man nur die Gefährten darnach fände.

Zugegeben Euer und Eurer Spießgesellen abentheuerliches Glück, erwiederte Thorwald, bleiben Eure Wege doch immer anders gestaltet als die vor hundert und tausend Jahren.

Würde daraus etwas gegen mich folgen, und gegen meine Hoffnungen auf ein poetisches Leben? fragte Alwin.

Allerdings, antwortete Thorwald. Eins greift unaufhaltsam in das Andre. Keine fahrenden Ritter, keine Heldensänger. Aus den Waffen schallt der Klang hervor, der erweckend über die Cithersaiten dahin streift.

Nur, sagte Alwin, daß uns keinesweges die Aussicht in die herrliche Vergangenheit abgeschnitten ist, noch abgeschnitten werden kann.

Wenn sich doch Niemand mit solchen Rückblicken täuschen wollte! rief Thorwald. Hin ist hin. Die Zeit reißt uns unaufhaltsam vorwärts, wie jämmerlich wir uns dagegen auch sperren mögen. Weisheit ist es allein, der Mächtigen willig zu folgen, und unter die Wissenden ihres Rathes zu gehören. Ihr wollt doch verstanden seyn, wenn ihr dichtet. Das besagt die Stimme, welcher Ihr die lustigen Gebilde anvertraut. So redet denn zu Euern Mitmenschen, wie sie es hören wollen und können, singt aber keine Minneliedchen in einer bedächtigen Staatsversammlung, sondern höchstens einmal zur Erholung etwas Bekanntes, wenn sich die ganze Gesellschaft darnach sehnt. Schon ist es mit der mündlichen Mittheilung beschränkter geworden: man druckt Bücher, und was sollte daraus für Eure Kunst entstehn?

Vielleicht wieder ein ganz neues Sängerleben, erwiederte Alwin, davon wir jetzt noch keinen rechten Begriff haben. Denkt Euch, daß man mit einem Gedichte ganz Deutschland anregen könnte, tausend niegesehne Freunde gewinnen, da man bei dem Gesange doch immer auf den zufälligen Kreis der Hörer beschränkt bleibt.

Ein drolliger Gedanke, sagte Thorwald. Das Reisen der Minne- und Meistersänger hätte alsdann billig aufgehört, und der ächte Poet machte hinter seinem Ofen hervor, spirituelle Reisen um die Welt. Der ächte Poet, sage ich, denn vergeßt bei solcher Schiffahrt nicht die gefährlichste Klippe, daß nämlich Niemand weiß, wie er mit sich selber daran ist.

Das gilt von jeder Unternehmung, wandte Alwin ein.

Von einer poetischen ganz vorzüglich, sagte Thorwald. Ihr sehnt Euch vielleicht nur ein gutes Lied zu hören, und bildet Euch darüber ein, es wandle Euch die Begeisterung an, selbst eins zu dichten. Bei andern Arbeiten tritt Gefahr oder Schwierigkeit sichtbar in den Weg, uns befragend, wie viel wir der Kräfte mitbringen, sie zu besiegen. Hier aber geht Alles aus Luft in Luft, und ist daher auch bald mit ein Paar lustigen Worten wo nicht abgemacht, doch verkleidet.

Und doch, sagte Alwin, wollt Ihr auf diese Lust das Gebäude meines Glückes gründen, oder ich habe Euch Gestern Abends unrecht verstanden.

Allerdings habt Ihr das, sagte Thorwald. Die Welt ist so beschaffen, daß man sich durch irgend eine Spielerei darin einführen muß, um für eine Person gehalten zu werden. Dazu kann Euch das zufällige Talent, was Ihr jetzt so hoch anschlagt, wohl dienen, wie dichtrisch oder undichtrisch es auch in Euerm Innern aussehn mag. Glaubt mir aber, daß ich bei Euch etwas Höheres spüre, und auch dem Gemäßes mit Euch im Sinne habe.

Unter solcherlei Gesprächen waren sie bis zur Einsiedelei gekommen.

Viertes Kapitel.

Der Eremit hatte kaum Zeit gehabt, den beiden Reisenden mit freundlicher Bewillkommung ihre Pferde abzunehmen, und diese unter eine Bedachung, welche für diesen Behuf erbaut schien, zu bringen, als schon wieder Hufschläge, den Bergpfad herab, neue Gäste ankündigten. Wirklich sah man auch bald darauf einen Kriegsmann nebst einer Dame, beide zu Roß, aus dem Walde hervor kommen. Das verschleierte Frauenzimmer, ihrem Wuchse nach jung und zart, schien sehr ermattet. Ihr Begleiter unterstützte sie mit einer Hand, während der geduldige Zelter sie im sichern Schritte fort trug, und hob sie vor der Thüre der Einsiedelei mit vieler Sorgsamkeit vom Sattel. Beim Eintrit in das kleine Gemach, schien die Dame vor großer Erschöpfung nichts zu bemerken. Sie war in Schwarz und Weiß fast wie geistlich gekleidet, wogegen der Anzug des Kriegsmann seltsam abstach. Dieser trug ein ledernes Koller, drüber ein prächtiges Wehrgehäng, die Schärpe purpurfarb und reich mit Golde gestickt, vielfarbige Federn auf dem Hute, große Schlaghandschuh, bis an den Ellenbogen hinaufgehend. Er grüßte die beiden Reisenden freundlich, und rief dem Einsiedel zu: die Sorge wegen der Pferde möge er nur ihm überlassen, lieber aber einen Trunk Wein für die ermattete Dame bringen. Sobald er seinen Wirth hereintreten sah, verließ er die Hütte, um nach den Pferden zu gehn. Die Dame blieb wie in halber Ohnmacht sitzen. Unterdeß der Einsiedel aus einem Wandschränkchen Flasche und Becher hervor suchte, betrachtete Alwin die Fremde mit großer Neugierde, ja mit inn'rer Bewegung, so wunderbar erschien ihm das Edle ihrer Gestalt, welche aus Mattigkeit und Furcht unverkennbar hervorleuchtete. Als der Einsiedel mit dem gefüllten Becher zu ihr ging, schien sie den Schleier aufheben zu wollen, ließ ihn aber gleich wieder fallen, mit dem lauten Ausruf: Jesus Maria! Ein Mönch!

Auf ihr Geschrei trat der Kriegsmann sogleich in die Thür, und als errathe er schon Alles, sprach er: beruhige dich, Emilie. Wir sind bei einem stillen Klausner, der alle Fremde ohne Unterschied willig beherbergt. Wie Du zitterst, fuhr er fort, indem er sich an ihre Seite setzte, Sieh' doch, ich bin ja bei Dir. Sie schmiegte sich ihm mit vieler Anmuth näher an, und nahm den Becher aus seiner Hand. Indem sie den Schleier zum Trinken lüftete, bemerkte Alwin zwei schwellende Rosenlippen, die sich äußerst lieblich in das Gold des Weines tauchten. Der Kriegsmann nahm den Becher, welchen sie ihm zurück gab, und trank den Rest, sorgfältig den Mund an der Stelle ansetzend, wo seine liebliche Gefährtin getrunken hatte. Darauf wandte er sich zu Thorwald und Alwin, gleichsam als wollte er nun erst sehn, mit wem er denn eigentlich zu thun habe, und ließ die gewöhnlichen Fragen der Reisenden ergehn nach Richtung und Ziel der Fahrt. Kaum nannte ihm Thorwald Braunschweig und seine Stelle als Secretarius bei'm Herzog, so fragte er mit vieler Lebhaftigkeit, ob man wohl den tapfern Christian jetzt in seiner Residenz finde. Auf Thorwalds verneinende Antwort wandte er sich wie tröstend zu der Dame: Sei nur ruhig, Kriegsleute finden sich immer zusammen, denn Ehre ist der Magnet, der von allen Weltenden her solch Eisen anzieht. Man schließt aneinander, eh' man's gedacht. Und schreckt Dich die weitre Reise, so bleibst Du in Braunschweig unter dem Schutze irgend einer ehrbaren Frau. Um Gotteswillen lispelte die Dame halbweinend, mit einer unendlich süßen Stimme, um Gotteswillen, denke nicht daran, mich zu verlassen. Wie Du meinst, sagte der Kriegsmann. Mir ist es willkommen, und sichrer kannst Du nirgends seyn, als unter meinem Schutz, und dem meiner wackern Gefährten. Horch' auf; sie melden sich schon.

Man vernahm schnaubende Rosse, und Geklirr von Rüstungen. Ein Geharnischter trat herein. Hats viel gekostet? fragte ihn der Kriegsmann. Nein, war die Antwort. Ein Paar Fleischwunden. Der Kurd blutet ein wenig stark, kann aber doch immer noch zu Rosse sitzen. Gut, sagte der Kriegsmann. Dafür bin ich's ein andermal wieder, der Euch den Rücken frei hält. Lagert Euch im Walde. Ein zwei bis drei können zu Pferd bleiben.

Wollen wir denn nicht weiter? sagte die Dame. Mir drückt's hier das Herz ab, und was Du von Erholungen ausbrächtest, würde mir zu Gift in diesen Wänden.

Vermaledeite Zelle! rief der Kriegsmann. Warum nicht ein ehrlich Wirthshaus, wenn's einmal bewirthet sein soll! Aufgesessen, Veit! Er warf dem Einsiedel einige Goldstücke hin, der sie mit den Worten annahm; zum Frommen der Armen. Schon gut sagte der Kriegsmann, grüßte Thorwald und Alwin freundlich, und führte die Dame hinaus. Bald darauf hörte man ihn rasch durch den Forst traben.

Habt Ihr nicht bemerkt, daß die Dame eine entführte Nonne war? fragte Thorwald den Einsiedel.

Mir schien es so, antwortete dieser. Auch eräugnet dergleichen Unheil und Gottlosigkeit sich öfter in diesen Gegenden, seitdem die lutherische Secte darin Wurzel gefaßt hat. Mönche lassen ihr Haar wachsen und leben wie Verehlichte, Klosterjungfrauen treten freiwillig aus dem geheiligten Ring, oder werden gewaltsam entführt.

Diese schien zur erstern Klasse zu gehören, sagte Thorwald mit einem halb spötischen Gesicht, worüber sich Alwin in der Seele gekränkt fühlte. Ihm hatte die schöne Flüchtige das Gefühl der innigsten Sehnsucht zurückgelassen. So durch Feld und Wald mit ihr zu traben, ihr Schutz und ihre Liebe! Beneidenswerther Kriegsmann! Und aus den schwellenden Rosenlippen die süsse Bitte zu vernehmen: um Gotteswillen, denk' nicht daran, mich zu verlassen!

Warum schärftet Ihr dem verirrten Schäflein nicht das Gewissen? fragte Thorwald den Einsiedel weiter.

Die Welthändel gehn mich nichts an, erwiederte dieser.

Und doch, sagte Thorwald, habt Ihr Euch beinah mitten zwischen sie hin gelagert. Ihr seid ordentlich zum Beherbergen eingerichtet, und was in alten Legenden Epoche für das Leben eines Klausners macht, ja, öfters nur durch ein Wunder herbeigeführt wird, der Besuch eines Fremdlings, gehört bei Euch zur täglichen Ordnung, ohne daß es Eurer Andacht Eintrag zu thun scheint. Ihr seid noch um die Hälfte demüthiger, als ein gewöhnlicher Einsiedler; Ihr seid nur ein Halbsiedler.

Ihr sprecht, als ein Lutheraner, sagte der Eremit, und ich muß Euern Spott dulden.

Nicht das, erwiederte Thorwald. Ich bin ziemlich gut in Eurer Kirchengeschichte bewandert, und finde desto mehr Stoff zum Nachdenken über die Ursache, welche einen frommen Büßer Eures Gleichen so nahe an die Straße gezogen hat.

Der Klausner ging stillschweigend nach dem Fenster, öffnete es, und zeigte in die kalte Sturmnacht hinaus, dann zurück auf das behagliche Feuer des Heerdes.

Ihr antwortet gut, und ich verstehe Eure Sprache, sagte Thorwald. Aber dann möchte ich beinah die Frage jenes rüstigen Kriegsmannes wiederholen: warum nicht lieber ein ehrliches Wirthshaus, wenn's einmal bewirthet sein soll?

Nein, ich ertrag' es nicht länger, brach Alwin los, und Schmach mir, wenn ich's vermöchte! Was höhnt Ihr einen guten Mann, unsern Wirth, ohne dessen Milde Ihr draussen lägt unter den blätterlosen Eichen, auf dem unwirthbaren Schnee! Wohl hat er Recht, das er, verschmähend Euch zu antworten, seine gastliche Flamme für sich sprechen läßt, und den Sturm, welcher dem Giebel vorbei tobt! Und vergeßt Eure sichre Behaglichkeit, die sein Werk ist, rechnet sie dem Zufall an, oder Eurer eignen Klugheit, was reizt Euch dennoch auf gegen sein stilles Waldleben, nur von den Gestalten vorbeiziehender Wandrer gefärbt, wie das weisse Tuch von den Bildern der magischen Laternen, nach jeder Erscheinung die Fläche wieder klar und still im lichten Rund! Bei Gott, ich kenne mir kein schöneres Leben, als das eines frommen Einsiedlers. Lächelt nur; sei es nun über meine Jugend, oder weil ich vorhin ein Sängerleben als das schönste gepriesen habe. Hier waltet eine ganz andre Heiligkeit, wir stehn gleichsam auf einer höhern Stufe, wo alle weltliche Bahnen gar nicht in Betrachtung kommen. Die ernsten Gestalten der Berge rund umher, das Rauschen unbekannter Waldwasser, die Baumriesen über das Dach hinsäuselnd und von den Höhen herunterwinkend, oder wie jetzt starr und herbstlich ihre Arme ausstreckend – giebt es einen erhabnern Schauplatz für die Seele, die ihr ganzes Erdenheil vorüberziehen sah, und nun still ergeben zurück bleibt?

Wenn auch nur eine schöne flüchtige Nonne vorüberzog, antwortete Thorwald lächelnd, und man nicht an des glücklichen Kriegsmannes Stelle mit ihr durch die Wälder reiten kann. Da bleibt freilich ein Eremitenleben das beste Mittel. Uebrigens, junger Mensch, fuhr er ernsthafter fort, hättet Ihr Eure Philippica sparen können, wenn sie dahin gerichtet war; das Thun und Lassen frommer Anachoreten vor mir zu rechtfertigen; auch bedurfte es dazu nicht der Baumwipfel und Gestaltungen der Berge. In der Thebaischen Wüste fand man nichts dergleichen, und. doch sind dort die Urbilder aller nachherigen Eremiten in ihrer schauderhaften Größe aufgestiegen. Thut wie ich, nähert Euch den älteren Urkunden von Ausbreitung unsrer Christlichen Religion, beschaut jene Helden des Glaubens, wie sie auf den pfadlosen, ja quellenarmen Steppen wohnen, jedes Hütte weit aus dem Gesichtskreise der andern, nur durch mühevolle Tagereisen zu erreichen, und doch Jeder seelig in seiner innern Verzückung, froh in täglicher Bezwingung des Irdischen, die Bande siegreich lösend, die ihn von der intellectuellen Welt zurücke halten. Beschaut das, und Ihr werdet ein wenig besser verstehen, was es mit einem Einsiedlerleben sey, wovon Ihr in Eurer Unbewußtheit ganz recht sagtet, es stehe auf einer höhern Stufe und komme mit nichts Weltlichen in Vergleichung. Welcher allgewaltige Sinn, sich in Kriegsstand zu setzen wider Alles, was uns am Mehrsten freut; nicht etwa zum Behuf einer vorübergehenden Bußübung, oder einer scharfen Speculation, nein für immer, und aus ganzem vollem Herzen! Wer fühlt es nicht, wie Gold und Silber und andrer Erdentand, Staub werden mußte vor den Blicken jener Kräftigen!

Ich habe noch niemals einen Protestanten so reden hören, sagte der Einsiedel.

Und doch bin ich Einer, antwortete Thorwald, und ein recht eifriger. Worin aber der junge Mann Recht hatte, fuhr er fort, daß war in seinem Tadel über meine Neckereien gegen Euch, frommer Vater. Verzeiht mir; ich verletzte Euch, wie ein scharfes Messer, unabsichtlich.

Der Einsiedler war bald und gern versöhnt, und man setzte sich vergnügt zum Abendbrod, auch Alwin, den Thorwalds ernste Zurechtweisung mehr gefreut, als gedemüthigt hatte. Es war ihm, als sei er seinen Gefährten näher gerückt, und er suchte es ihm durch Blick und Rede darzuthun, worauf jener aber wiederum gar nicht zu achten schien.

Fünftes Kapitel.

Die beiden Reisegefährten zogen gegen Abend in Braunschweig ein. Der milde Herbsttag hatte viele Menschen in's Freie gelockt, und sie begegneten daher mannichfaltigen Gruppen. Die Fußgänger grüßten den Geheimschreiber ehrerbietig, viele der Reiter und Fahrenden winkten ihn vertraut und freundlich zu. Oefters sahen schöne Frauen aus den vorbeirollenden Wagen, und Alwin beneidete jeglichen Jüngling, den er mit darin erblickte, oder zu Rosse daneben. Er dachte es sich als das höchste Glück, recht einheimisch und wohlvertraut in dieser glänzenden Welt zu leben, von all den herrlichen Sonnenblicken freundlich bestrahlt, günstige Zeichen von zweien der schönsten Augen gewinnend. Diesen gelobte er im Voraus Treue, Verschwiegenheit, und alle Tugenden, die seine Romanzen an verliebten Rittern priesen; doch schien er sich selbst allzu fremd und unbeholfen, um je auf ein so großes Heil Anspruch machen zu dürfen. Er nahm sich aber vor, alle seine gegenwärtigen Wünsche und Träume in ein Gedicht zu bringen, auf eignen Boden herüberrettend, was ihm die unbekannte Welt vermuthlich höhnisch in Trümmer schlagen würde, wenn er so ungeschickt und unerfahren darnach griffe, als er sich in seinem Innern fühlte. Einzelne Lieder ähnlichen Inhalts, erinnerte er sich gehört zu haben, und verstand nun erst ihre ganze Süssigkeit, so daß er Verse daraus zu seinem eignen Troste in Gedanken hersagte.