Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein - Friedrich de la Motte Fouqué - E-Book

Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein E-Book

Friedrich De La Motte Fouqué

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Beschreibung

Dieser Roman voller Geister und seltsamer Erscheinungen erschien zur Hochzeit der Romantik im Deutschland im frühen 19. Jahrhundert.

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Die wunderbaren Begebenheitendes GrafenAlethes von Lindenstein

Friedrich Baron de la Motte Fouqué

Inhalt:

Friedrich Heinrich Karl Freiherr de la Motte Fouqué – Biografie und Bibliografie

Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein

Erster Theil

Vorbericht

Erstes Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zweites Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zweyter Theil

Erstes Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zweites Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Letztes Kapitel

Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein, F. de la Motte Fouqué

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849612870

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Friedrich Heinrich Karl Freiherr de la Motte Fouqué – Biografie und Bibliografie

Deutscher Dichter, geb. 12. Febr. 1777 in Brandenburg, gest. 23. Jan. 1843 in Berlin, erhielt eine militärische Erziehung, trat als Leutnant in das Regiment Gardedukorps, nahm am Rheinfeldzug von 1794 teil und lebte dann privatisierend seinen poetischen Neigungen. Durch A. W. v. Schlegel mit den »Dramatischen Spielen«, die unter dem Pseudonym Pellegrin (Berl. 1801) erschienen, in die Literatur eingeführt, trat er nacheinander mit den »Romanzen vom Tal Ronceval« (das. 1805), dem Roman »Historie vom edlen Ritter Galmy und einer schönen Herzogin von Bretagne« (das. 1806), dem Roman »Alwin« (das. 1808) und dem Heldenspiel »Sigurd, der Schlangentöter« (das. 1808) hervor, Werke, die in Stoff, poetischer Auffassung und Darstellungsweise seine spätere Dichtung bereits kennzeichneten. Die Sagen des Nordens und die französischen Rittergeschichten des Mittelalters regten Fouqués Phantasie gleichzeitig an und flossen ihm zu einer wunderlich phantastischen Welt zusammen. Zwischen den Jahren 1808–20 nahm Fouqués Leben und Dichten den größten Aufschwung. Patriotische Begeisterung führte ihn 1813 in die Reihen der preußischen Armee zurück; er nahm als Leutnant und Rittmeister bei den freiwilligen Jägern an den Schlachten des Befreiungskrieges teil, erhielt 1815 den Abschied als Major und lebte dann wieder auf seinem Gut Nennhausen bei Rathenow, Gastfreundschaft übend und im lebendigen Verkehr mit allen romantischen Zeitgenossen rasch produzierend. Für sein bestes Werk gilt mit Recht »Undine« (Berl. 1811, 26. Aufl. 1887), eine Erzählung, deren Frische und schlichter, nur an einigen Stellen gekünstelter Märchenton über die wenigen schatten- und spukhaften Stellen leicht hinwegsehen ließen. Dann folgten die Ritterromane: »Der Zauberring« (Nürnb. 1813; neue Ausg., Braunschw. 1865) und »Die Fahrten Thiodulfs, des Isländers« (Hamb. 1815, 2. Aufl. 1848), die neben wirklich kräftigen Szenen schon viel Manier und künstliche Reckenhaftigkeit aufwiesen. Die »Kleinen Romane« (Berl. 1814–19, 6 Bde.), »Sängerliebe« (Stuttg. 1816), »Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein« (Leipz. 1817) wurden durch »Neue Schauspiele« (»Alf und Yngwi«, »Die Irmensäule«, »Runenschrift«), ritterliche Tragödien (»Die Pilgerfahrt«, »Der Jarl der Orkneyinseln«), epische Gedichte, wie »Corona« (Stuttg. 1814), »Karls d. Gr. Geburt und Jugendjahre« (Nürnb. 1814), »Bertrand du Guesclin« (Leipz. 1821), und zahllose kleinere Erzählungen, Dramen und Abenteuer ergänzt; in allen wirkte die gleiche Mischung von »süßlicher Kraft und minniglicher Tugendhaftigkeit«. Nach 1820 ward Fouqués Produktion immer unerquicklicher und verlor alle Frische, so daß sich das Publikum von dieser Manier mehr und mehr abwendete. Nach 1830 siedelte F., der Nennhausen verkaufen mußte, nach Halle über, wo er unter anderm auch mit öffentlichen Vorlesungen über und gegen den Zeitgeist hervortrat. Seine harmlose Romantik verwandelte sich in eine gallige feudale und frömmelnde Verdammung der modernen Welt. Unter seinen spätern Schriften gehören »Ritter Elidouc«, altbretagnische Sage (Leipz. 1823), »Die Saga von Gunlaugar, genannt Drachenzunge, und Rafn dem Skalden. Eine Islandskunde des 9. Jahrhunderts« (Wien 1826), »Jakob Böhme«, ein biographischer Denkstein (Greiz 1831), »Die Weltreiche zu Anfang der Jahre 1835–1840«, Dichtungen (Halle 1835–40,6 Hefte), »Preußische Trauersprüche Und Huldigungsgrüße für das Jahr 1840« (das. 1840), »Der Pappenheimer Kürassier; Szenen aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs« (Nordh. 1842; 2. Aufl., Bautzen 1853) zu den besonders charakteristischen. Durch die Munifizenz Friedrich Wilhelms IV. von Preußen wurde F. den äußern Lebenssorgen entrückt und nach Berlin berufen, wo er in Gemeinschaft mit L. v. Alvensleben die »Zeitung für den deutschen Adel« (Leipz. 1840–42) herausgab. Seine »Lebensgeschichte« (Halle 1840) hatte er ebenso wie die Sammlung seiner »Ausgewählten Werke« (das. 1841, 12 Bde.) noch selbst veröffentlicht. Nach seinem Tod erschienen der Roman »Abfall und Buße oder die Seelenspiegel« (Berl. 1844); »Geistliche Gedichte« (das. 1846, 2. Aufl. 1858) und »Christliche Gedichte« (das. 1862). Eine Auswahl aus seinen Schriften gab M. Koch in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur« (Bd. 146), die »Undine« I. Dohmke (zusammen mit Novalis' Werken) in Meyers Klassiker-Bibliothek (Leipz. 1892) heraus.

Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein

Erster Theil

Vorbericht

In der trüben Zeit, wo durch Gottes damals unerforschlichen, jetzt aber wohl Allen, die Augen haben, klargewordnen Rathschluß ein dumpfzerdrückendes Band über unserm deutschen Vaterlande lag, und es mir beinahe vorkam, als seye für Männer von gesetzlichem Sinn die Bahn zu ächten Thaten durch ehrne Riegel verschlossen, – in der Zeit, wo ich die Lust und das Vertrauen für das Erdenleben nur durch die Aussicht auf beglücktere Nachkommen zu erhalten wußte, – in Mitten all dieses ängstigenden Leidens geschah es, daß ich die vorliegende Geschichte zu schreiben begann. Ich that es nicht eben für ein Publikum, ich müßte denn allenfalls das ganz kleine darunter verstehen, dem ich alle Abende etwas vorzulesen pflegte, bald von mir gedichtet, bald von Andern. Diese befreundeten Menschen sollten denn allenfalls auch den Alethes hören, und sich daran ergötzen, aber eigentlich strömte ich ihn hin, um dem Andrange des wildverstörten, bald klagenden, bald sehnenden, bald zürnenden Herzens irgend ein Genüge zu thun.

Da begannen denn nach und nach solche Zeichen der Zeit innerlich und äußerlich merkbar zu werden, daß auch ich auf ganz andre Gedanken und Bestrebungen gerieth. Die ersten drei Bücher des Alethes waren geschrieben. Ich ließ ihn liegen, und schenkte die Handschrift einem Freunde, und verordnete in meinem letzten Willen, dies Fragment solle nie gedruckt werden dürfen.

Jetzt, im Jahr 1816, kam auf einer heitern Reise mir die Kunde zu, Alethes habe in all seiner Verlassenheit sich Freunde und Freundinnen gewonnen, und zwar Freunde und Freundinnen, wie man sie sich nicht eben alle Tage zu gewinnen pflegt. Da ging er mir wieder in aller frühern Vertraulichkeit und Liebe auf; das zweite Buch des zweiten Theiles stand als Beendung des Ganzen noch immer klar und hell, obwohl kein Wort davon aufgeschrieben war, vor meinem Innern, ja wohl noch klarer und heller, als vordem, denn da der Mensch immer nur vorwärts oder rückwärts geht, und ich durch Gottes Gnade in der ganzen Zwischenzeit nicht rückwärts gekommen war, sah ich Vieles aus unendlich besseren Standpunkten, als sonst.

So entschloß ich mich denn, das letzte Buch dazu zu schreiben, – nicht ohne recht ernste, ja, recht sehr schwere Kämpfe, – und hier ist es. Finde man einen andern Geist darin, als in den ersten drei Büchern, – ich muß es mir gefallen lassen, denn man hat Recht. Daß aber die Einheit des Kunstwerkes dadurch zerstört sey, kann ich nicht glauben. Vielmehr bin ich überzeugt, daß ich grade nach Gottes wunderbarer und herrlicher Leitung nicht ehr dies letzte Buch schreiben und an das frühere Werk die vollendende und reinigende Hand legen durfte, als eben jetzt.

Nennhausen, am 5. October, 1816.

L. M. Fouqué.

Erstes Buch

Einen Nachen seh' ich schwanken, Aber ach! der Fährmann fehlt. Frisch hinein und ohne Wanken, Seine Segel sind beseelt.                                 Schiller.

Erstes Kapitel

Es war an einem sehr erquickenden Frühlingsabend, als der Graf Alethes von Lindenstein durch ein schönes Thal hinab ritt, welches seinen Ausgang nach dem Gewässer des Rheines hindrehte, und sich dorten in die weinbepflanzten Hügel, so den Strom umkränzen, verlor. Der Reisende hatte seinen Weg durch unterschiedliche Dörfer genommen, die in der Heiterkeit des wieder entblühenden Friedens (der dreißigjährige Krieg war so eben erst beendet) zu neuen Hoffnungen und Lebensgenüssen aufzuwachen begannen. Alethes sah ernsten Blickes auf all das vergnügliche Treiben um ihn her; ihm war zu Muth, wie Einem, der in die unterirdischen Gänge, darin das Centralfeuer sich ergoß, hineinzuschauen die Gabe hat, und der, einen nahen Ausbruch vorherwissend, das Anbauen zutraulicher Menschen über der gefährlichsten Stelle wahrnimmt. In der Vollkraft männlicher Jugend drückte er jedoch alle betrübten Gedanken unter sich, entschlossen, das Rechte für deutsche Freiheit und Ehre durchführen zu helfen, was auch der ungewisse Erfolg gewagter Thaten ihm für ein Antlitz entgegenstrecken möge. Seine Aufträge führten ihn zu der schönen Gräfin Yolande, welche in diesen Gegenden wohnte, und deren Schloß er noch diesen Abend zu erreichen wünschte, begierig, eine Frau kennen zu lernen, von deren himmlischen Reizen, von deren ränkevollem Geist, und seltsamer Lebensweise, darin sie als eine junge, unermeßlich reiche Wittwe verharre, er so Vieles gehört hatte.

Der Rhein hauchte bereits duftigere Kühle herauf, das Nachtdunkel lagerte sich tiefer und gewaltiger über den einsamen Weg, als die Lichter aus Yolandens Schloß von einer nahen Anhöhe herab blitzten. Im Näherkommen vernahm Alethes Musik, und alles Getümmel eines reichen Festes, sein Roß tanzte lustig unter ihm, indem er durch die Thorhallen der Burg ritt, und reich gekleidete Diener sprangen ihm freundlich entgegen, ihm vom Pferd helfend, ohne erst nach seinem Namen zu fragen, und den Schloßhof mit zahlreichen Fackeln erhellend. Er freute sich über diese Gastlichkeit, gegen einen unbekannten, die ihm einen glücklichen Erfolg seiner Entwürfe zu verheißen schien, und folgte einem schönen Edelknaben die erleuchteten Treppen hinan.

Oben befand sich eine zahlreiche und sehr zierlich geschmückte Gesellschaft von Frauen und Männern, meistens in einem fröhlichen Tanze begriffen, dessen Lebhaftigkeit die Wangen der Damen mit höherm Roth schmückte, während seine Windungen deren schlanke Gestalten in den lieblichsten Verschränkungen darstellten. Alethes nannte seinen Namen Einem der ihm zunächst stehenden jungen Männer, mit der Bitte, ihn der Wirthin des Festes vorstellen zu wollen. Der Angeredete, ein schöner, goldhaariger Jüngling in reichem Anzug, erwiederte: Ihr werdet erstaunen, mein vielgeehrter Graf, wenn ich Euch sage, daß bei diesem Feste, welches die Gräfin Yolande giebt, zwar alles nahwohnende Schöne und Vornehme gegenwärtig ist, aber mit Ausnahme der Gräfin Yolande selbst. Sie ist auch nicht etwa krank, auch nicht etwa durch eine wichtige Angelegenheit abgehalten; – sie ist nicht erschienen, weil ihr vermuthlich eben eine ihrer wunderlichen Launen durch den Sinn zog. Und weil diese Launen nicht etwa Kinder des Hochmuths oder der Geringschätzung Andrer, oder sonst aus einer widerwärtigen Quelle entsprungen sind, sondern sich vielmehr unendlich liebreizend in Yolandens schöner Gestalt darstellen, indem es nun einmal, scheint es, nicht anders seyn könnte, – eine Zugabe mehr anlockend, als verdrießlich, – so findet sich auch Niemand dadurch beleidigt, und es bleibt uns nur die Sehnsucht nach Yolandens erfreulichem Anblick im Gemüth. Vielleicht indeß erscheint sie noch Heut Abend; es wäre nicht das erstemal, daß sie überraschend, wie ein plötzlich aufleuchtendes Meteor durch die Nacht unter uns träte. –

Alethes hatte diesen Reden mit Verwunderung zugehört, um so mehr, da der, welcher sie aussprach, auf keine Weise gewöhnt schien, sich unterzuordnen, vielmehr durch Anstand und Schmuck hohe Gesinnung und hohe Herkunft verrieth.

Indessen war ein Flüstern durch den Saal gelaufen: Graf Alethes von Lindenstein befinde sich in der Gesellschaft. Manche kühne Waffenthat, manche wichtige Sendung hatte diesen Namen während der letztvergangnen Kriegsjahre für die damalige Zeit berühmt gemacht, und ihn mit noch erhabnern und herrlichern Namen in nahe Verbindung gestellt.

Es richteten sich daher viele Augen auf den Ankömmling, so jedoch, daß die Art und Weise, welche vornehme Gesellschaften in solchen Fällen als Sitte bestimmen, unverletzt blieb. Also geschah' es auch, daß Alethes, schon durch sein Nichtannähern dahin gelangte, in Mitten der reichen Umgebung dem Gespräch auszuweichen, ja sich auch gänzlich von dem jungen Manne losmachte, den er zuerst angeredet hatte, und der, wie er aus den Worten der Umstehenden vernahm, ein Edelmann war, Berthold geheißen. Diesen, und fast die ganze Gesellschaft, verschlang nach der kurzen Pause das Fest alsbald wieder in seine zierlichen Wirbel, aus denen nur hin und wieder ein neugieriger Blick auf den gedankenvollen Alethes traf, in dessen Gemüth sich Yolandens wunderliches Betragen und seine Aufträge an sie zu gestaltungsreichen Vermuthungen bildeten. Er ging schweigend die vielen, prächtigen Zimmer durch, an deren Ende ihn ein minderbeleuchtetes Kabinet anzog, wo er Einsamkeit zu finden hoffte, und außerdem weiterhin eine sanfte Illumination wahrnahm, die mit ihren silbernen Bäumen, hochbunten Blumen und zierlichen Springbrunnen seinen Sinnen auf das liebreichste schmeichelte. In das Kabinet tretend, bemerkte er, wie die vermeinte Illumination der mondbeschienene Schloßgarten selbst sey, der mit so vielfachen Reizen zu einer hohen Glasthüre herein blicke. Alethes schritt in die warme, duftige Nacht hinaus, auf eine weite Terrasse, von deren Höhe er ein reiches und doch sehr mildes Gewirr verschiedener Pflanzungen überschaute. Wie auf leisen Flügeln des nächtigen Frühlingsothems gelangte er die Stufen hinab in schattige Irrgänge, auf hellgrüne Rasenplätze, über zierliche Brücken hin, silberne Teiche entlängst, immer tiefer in das duftende Gartenleben hinein, welches eine holde Feenhand zur Feier ihrer lieblichsten und heimlichsten Feste bereitet zu haben schien.

Von jenseit eines klaren Weihers glaubte er ein leises Singen zu vernehmen, die Töne einer Zither zwischendurch. Eingeladen durch so gefälligen Ruf, sprang er in eine Barke, die sich zu seinen Füßen in den kühlen Gewässern wiegte. Er lenkte sein Fahrzeug (doch behutsamen Ruderschlag's, um keinen der schmeichelnden Klänge zu verlieren) nach dem umzweigten Ufer hin, von wo der süße Laut immer vernehmlicher herdrang. Endlich gewahrte er im hellen Mondglanze ein wunderschönes Frauenbild. Es saß zu den Wurzeln einer hohen Linde, welche jedoch ihre Blätter geflissentlich auseinander zu beugen schien, um den Strahlen des blauen Nachthimmels ihr Spiel auf einem so himmlischen Antlitze zu vergönnen, als Alethes nur jemals eines erblickt hatte. Der Jugend linde Freudigkeit regte sich auf diesen regelmäßigen Zügen, doch wie umschleiert von jungfräulich holder Scheu, welche auch die ganze schlanke Gestalt umschwamm, das weiße weite Gewand in vielen sittigen Falten um sie her lagernd. Alethes ließ das Ruder sinken, und sein Nachen stand auf dem unbewegten Weiher still, während die schöne Frau, auf der Zither spielend, ein schon angefangnes Lied in folgenden Worten weiter sang, die so eben einen Vers beschlossen:

Das sind die lieben Quellen Aus heißer Wüste Sand. – Komm Wandrer, fromm und traurig, Komm Wandrer, treu und weich! Sie duften wohl was schaurig, Doch bester Labung reich. Was du aus ihnen trinkest, Trinkt man im Himmel auch; Wenn Du in sie versinkest, Thust Du nach Himmels Brauch.

Tief, tief nach innen grabe, Weil Dir ihr Licht entquillt, Befrein aus ird'schem Grabe Dein eignes Engelsbild. Dein Herz aus hartem Steine,Sie schwelgen's lieb und lind; In ihrem Dämmerscheine Wirst für die Welt Du blind;

Nicht blind dem –

Ein Lüftlein, über den See hinspielend, trieb den kleinen Nachen, worin Alethes wie verzaubert stand, eben jetzt dem Ufer näher. Die Sängerin schaute empor, blickte, sich aufrichtend, nach dem Fremden auf dem Gewässer, und verschwand unmittelbar darauf in's Gebüsch.

Wohl empfand Alethes, wie sein bestes Daseyn, von diesem Augenblick an, derjenigen verknüpft sey, welche so eben vor seinen Augen unsichtbar geworden war. Auch machte er einige Versuche, den Nachen vorwärts zu treiben, zu Erreichung des Liebsten, was er auf der Welt hatte kennen lernen. Aber es war, als lähme ein geheimes Beben seinen Arm, – Gedanken an die schauerliche Geisterwelt, dem rüstigen Kriegs- und Geschäftsmann bis dahin wenig bekannt, zogen durch seinen aufgeregten Sinn, und er wandte die Barke zur Rückfahrt; im Umschau'n, wie es ihm dünkte, noch bemerkend, daß sich ein feuchter Nebel zwischen ihn und das Ufer, wo die Schöne saß, zu lagern beginne.

An den Strand zurückgelangt, von dem er abgefahren war, schalt er beim Aussteigen sich selbst über sein thörichtes und höchst unsichres Betragen. Es könne wohl Yolande selbst gewesen seyn, meinte er; und welche bess're Gelegenheit habe er denn abwarten wollen, sich ihr darzustellen, sie vielleicht alsbald für die Entwürfe, welche sein ganzes Herz erfüllten, gewinnend? – Und doch, indem er unter solchen, halb laut gesprochnen Worten, durch die Gebüsche hinging, kam es ihm bisweilen vor, die holde Gestalt, welche unter der Linde gesessen, streife gespenstisch um seine Pfade her, davor ihn ein kaltes Grauen zu erfassen begonnte.

Er schritt eiliger nach dem Schlosse hinauf; die Terrassen, welche er vorhin im süßen Traum hinabgewandelt war, thürmten sich nun dunkel, unsicher, hoch, wie Berge vor ihm empor, es war, als verlegten Lüfte, von schlimmen Geheimnissen flüsternd, ihm seinen Weg. Mit einiger Anstrengung seiner Kräfte gelangte er in das Kabinet zurück, und dort die behaglichen, weiblich zierlichen Umgebungen beschauend, die süßen Gedüfte einathmend, welche zwischen den geschmückten Wänden auf und nieder wogten, entlastete er sich alsbald der schauervollen Ahnungen, die ihn vorher verfolgt hatten; nur eine unendliche Sehnsucht nach dem schönen Frauenbild unter der Linde blieb wach in seinem Herzen, und trieb ihn eilig in den Tanzsaal, um dorten vielleicht zu erfragen, ob diese Zauberin Yolande, oder wer sie wohl sonst gewesen seyn könne.

Gleich beim Eingange kam ihm Berthold wieder entgegen, sichtlich erfreut, daß Alethes das Gespräch mit ihm abermals anknüpfe. Nach einigen Wendungen der Worte, wie sie Alethes, geübt in höfischer Geschicklichkeit, leicht zu lenken wußte, kam man alsbald auf die liebliche Erscheinung im Garten zu sprechen. – Es war ohne Zweifel Yolande, sagte Berthold. Eben wie Ihr sie beschreibt, diese Reinheit in den regelmäßigen Gesichtszügen, dieses kraus und doch so mild sich ringelnde Haar, diese siegende Anmuth in allen Bewegungen, – es kann keine andre Schöne gewesen seyn, die Euch, dem vielgereisten, weltkundigen Mann, auf eine so ausgezeichnete Weise bemerklich geworden wär'. – Aber Yolande so allein im Gebüsch? sagte Alethes; – so fern dem heitern Prunk ihres eignen Festes, und ein Entsagung athmendes, wehmüthiges Lied auf den Lippen? – Alle Gestalten sind ihr eigen, antwortete Berthold. Warum sollte ihr nun diese Eine nicht auch angehören, gleich den übrigen? – Habt Ihr sie bereits so gesehn? fragte Alethes; – habt Ihr sie demüthig, still und sehnsuchtsvoll gesehn, wie Ich Euch sage, daß sie mir am Weiher erschien? – Keineswegs; entgegnete Berthold. Aber das beweist nichts dagegen, daß sie nicht auch eine Solche seyn könne, und es vielleicht schon vieltausendmal gewesen sey.

Alethes wollte weiter fragen, aber eine Bewegung, die sich in der ganzen Gesellschaft mit einem Male kund gab, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Musik schwieg, die Tänzer und Tänzerinnen näherten sich insgesammt der einen Hauptthüre des Saales, und ohne daß es ihm Berthold erst zu sagen brauchte, verstand Alethes aus allen diesen Anzeigen, Yolande sey erschienen.

Er gesellte sich mit Berthold zu der Menge, welche sich eben um die Königin des Festes sammelte, jedoch dem vornehmen Fremden auf eine sittige und ehrerbietige Weise Raum ließ. Die Erscheinung vom Weiher strahlte in sein geblendetes Antlitz: eine ganz andre zwar in diesen reichen Lichtern der kostbarsten Juwelen, in diesen sie üppig umschmiegenden Gewändern aus fremden, hellfarbigen Zeugen, von goldnen Spangen und anderm edeln Geschmeide wunderlich, aber unendlich reizend umgürtet. Dennoch erkannte er sowohl die holden Züge ihres Gesichts, als auch die Anmuth ihrer, wenn gleich hier ganz veränderten Bewegungen. Sie hingegen heftete alsbald einen festen, durchdringenden Blick auf ihn, worauf sie, noch bevor Berthold dahin gelangen konnte, seinen neuen Bekannten vorzustellen, sagte: ich müßte mich sehr irren, oder der Graf Alethes von Lindenstein steht vor mir. – Alethes erwiederte ihre Anrede mit verbindlichen Worten, worauf sie sagte: Ihr kommt nicht unerwartet, mein edler Graf, und was wir von Geschäften abzumachen haben, soll gleich vorgenommen werden, damit es nachher unsre festliche Lust nicht unterbreche. – Damit wandte sie sich zu der übrigen Gesellschaft, die Damen und Herr'n mit einigen sehr lieblichen Reden bittend, ihren Tanz nicht zu unterbrechen, und eilte sodann, Alethes Hand fassend, mit ihm in das Kabinet, aus welchem er vorhin in den Garten getreten war. Er hoffte aus solchem Empfang mit voller Sicherheit auf einen günstigen Erfolg seiner Sendung bei ihr, nur einzig misbilligend, daß sie ein Geschäft, welches so viele Verschwiegenheit erfordre, so offen vor den Augen möglicher Laurer behandle.

Wenn er jedoch wegen Yolandens Gesinnung über diese Angelegenheit im Irrthum stand, ward er sehr bald aus demselben gezogen, indem sie ihn neben sich auf ein Sopha des Kabinet's nieder sitzen ließ, und folgendergestalt zu reden begann: Wie ich Euch vor meinen Augen sehe, so jung, und männlich, und vieler freudigen Gaben reich, wird es mir ganz verständlich, mein edler Graf, daß Ihr nichts lieber und inniger wünschen dürft, als ein Leben voll mannigfacher Anklänge im Guten und Bösen, die aus Euch das herrliche Feuerwerk, nur zum Theil noch erst entwickelt, zu seiner vollkommnen Pracht und weitstrahlenden Heiterkeit herausrufen. Vor Allem müßt Ihr dem freudigen Kriegsgott nachstreben, der schon oftmals gern und stolz von Euern Brauen, von Eurer Stirne herabgebot, über Eure Lippen hin seine Schlachtendonner versandte. –

Alethes blickte die Rednerin mit einiger Verwirrung an. Er war gewarnt worden, den Ergüssen ihres reichen Gemüthes nicht allzufrüh treuen Glauben zu schenken, indem es damit eben so oft auf Hohn als auf Ernst angesehn sey, und eben jetzt ließ ihn die schwache Erleuchtung des Kabinettes in großer Ungewißheit, ob das Blitzen der schönen Augen dem neckenden Witz oder der Begeisterung angehöre.

Yolande aber fuhr fort: ich selbst möchte Euch gern in einer Schlacht sehn, wenigstens in einem Gefechte; und wer weiß, wie bald sich das herbei führt. Ihr seyd gewiß, all' Eurer artigen Gewandtheit zum Trotz, in zierlichen Gesellschaften nur halb zu Haus. Dem Feind gegenüber ist nur der Mann erst recht von seiner vollen Glorie umstrahlt, und daß auch Ihr Euch dessen bewußt seyd, zeigt die Sorgfalt, mit welcher Ihr Euch dieses schöne Schwerdt an einem so herrlichen Wehrgehänge umgegürtet habt. Euer übriger Schmuck erscheint im Verhältnisse nur als entbehrliche Nebensache dazu. Ja, der Krieg ist Euer Leben, tapfrer Graf, und Ihr thut Recht, ihm nachzujagen auf einer so ritterlichen Jagd, als Ihr treibt, ja, ihn wieder aufzujagen, wo er sich einmal unter des Friedens Palmengebüsche versteckt haben sollte.

Lustiger Trompetenklang wirbelte während dieser Worte aus dem Tanzsaal herüber, und erschloß des Grafen kriegerisches Gemüth in Verbindung mit den Reden der schönen Frau für alle begeisternde Erinnerungen seiner edlen Bahn, und für alle noch begeisterndern Hoffnungen derselben. Yolande aber sagte plötzlich mit einem fast schmerzhaften Seufzer und leise lispelnder Stimme: o die häßlichen Trompeten! Sie lassen mich sagen, was ich eigentlich gar nicht will. Lenkt Ihr den Tanz doch, Ihr lieben, begütigenden Flöten. – Mit den letzten Worten trat sie in die Thür, den wunderschönen Arm zu einer halb schmeichelnden, halb gebieterischen Bewegung ausstreckend, und plötzlich verstummte das jubelnde Geschmetter, die weichsten Blasinstrumente führten die Melodie des Reigens in zärtlichen Schwingungen fort.

Zurückkommend, und sich wieder neben Alethes niederlassend, sagte Yolande: Gottlob! Nun ist es doch vergönnt, zu reden, wie es ein weibliches, leicht zagendes Gemüth gebeut. Ach, lieber Alethes, ich will keinen Krieg. Ist es nicht so hübsch im Leben? Wir könnten allesammt eine rechte Fülle von schönen Blumen pflükken, (denn an schönen Blumen für alle Menschen fehlt es nicht), nur daß wir so zänkisch sind, und uns gar nicht genügen lassen, Einer den Andern ungezogen gegen den Arm anrennend, welcher eben die holde Erndte trägt, so, daß diese alsdann in wilder Zerstreuung auf die Erde hinflattern muß.

Der Vorwurf trifft aber nur den ungezognen Angreifer, sagte Alethes. Daß sich der arme Verletzte nach allen Kräften wehrt, ist doch wohl recht.

Ja, wer verletzt ist, entgegnete Yolande. Ich aber bin reich, jung, geistvoll und sehr schön. Mir kann nichts daran liegen, daß meine Güter zerstört werden, meine blühende Jugend festlos unter mannigfachem Gewirr dahin flieht, mein Geist sich erschöpft in schlauen Anordnungen gegen von allen Seiten drohendes Uebel, und endlich die Rosen dieser Wangen, die Lichter dieser Augen in Schrecken erbleichen und ersinken.

Ihr, schöne Gräfin, sagte Alethes, habt zwiefach Unrecht, dem Kriege so schonungslos Krieg zu erklären. Mir ist bekannt, wie, zwischen allen den Unruhen der letztern Jahre, Ihr Euer heitres Leben ungestört zu erhalten wußtet, siegreich, unverletzlich sogar, durch die Gewalt Eurer Schönheit und Eures Verstandes.

Das sind doch immer nur Nothbehelfe, seufzte Yolande. Besser lebt sich's in den Armen des Friedens, wo Lieblichkeit und Erfindsamkeit einzig im Dienste des Vergnügens stehn. Ueberhaupt, lieber Graf, wollte ich Euch mit diesem Gerede nur begreiflich machen, daß Ihr vielleicht nicht Unrecht habt, den Krieg zu wünschen, daß man aber sehr Unrecht hatte, Euch hierherzusenden, damit ich Euerm Geschäfte Vorschub thun solle. Es ist wahr, ich habe viele Verbindungen am französischen Hofe, wo Ihr hinwollt, und reise vielleicht selbst in Kurzem nach Paris, aber grau und schielend mögen diese meine leuchtenden Augen werden, welk und alt meine zarten, runden Arme, eingeschrumpft meine blühenden Lippen, zusammengekrümmt und schief meine ganze Nymphengestalt, wofern ich irgend etwas zum Besten Eurer unruhigen Pläne thue. Ihr seht, ich weiß Alles, auch die hochtönenden Worte, dahinter Ihr Eure Kriegslust versteckt, als da sind: Selbstständigkeit der deutschen Lande, – und doch sucht Ihr Hülfe in Paris – Sicherstellung der Glaubensfreiheit, – eignes, politisches Leben der ganzen Nation, welches dieser Friede gefährde, – und wie es weiter heißt. Wenn Ihr gescheut wär't, bliebt Ihr hier.

Alethes staunte schweigend vor sich hin, wie sie so Alles erfahren habe, was ihm und vielen edeln Deutschen sonst das Herz bewege, und war fest entschlossen, hier kein Wort mehr zu verlieren, vielmehr wo möglich durch ein anscheinend leichtsinniges und sorgloses Betragen die Wahrheit zur Lüge zu verkleiden. Bevor er noch aber ganz mit sich einig war, sagte Yolande: Ihr tanzt gewiß sehr gut, und ich möchte gern walzen.

Er umschlang den schöngeformten Leib, und beide traten als ein herrliches Paar in den Saal. Ihr habt ja den bösen Degen noch um, sprach Yolande, und indem sie ihm Schwerdt und Wehrgehäng sehr geschickt von der Hüfte gürtete, fuhr sie fort: eine gute Vorbedeutung! Da lieg', du schlimme Geräthschaft! – Die Waffe floh auf einen reichen Sopha hin, und Alethes, sich zum leichten Scherz umstimmend, und bald von Yolandens, ihm so nahen Reizen in ein Meer der süßesten Trunkenheit gewiegt, schwebte mit ihr durch den hell tönenden und hell erleuchteten Saal.

Zweites Kapitel

Yolande wußte dem einförmigen Tanze durch unterschiedliche sinnreiche und dennoch leicht zu fassende Wendungen mannigfachen Reiz einzuhauchen, daher sich seine Schwingungen auch immerfort erneuerten und auf's freudigste fortwährten, ohne daß Alethes nöthig gehabt hätte, seine schöne Tänzerin vom Arme zu lassen. Er fühlte wohl, daß jenseit dieses Tanzes vielerlei liege, das ihn auf lange, ja, für alle Zeit von Yolanden entfernen könne, und doch war ihm diese holde Gestalt bereits unendlich lieb geworden, und ward es ihm in jedem Augenblick mehr, daher er sich gern, wie in geflissentliche Vergessenheit, in die üppig spielenden Wogen des Reigens untertauchte.

Er stand eben in süßer Umschlingung mit Yolanden in Mitten des Saales still, die andern Paare wanden sich reich verschränkend um die zwei hohen Gestalten her, – da sprangen die Thüren auseinander, eine bleiche, ganz verstörte Jünglingsgestalt flog herein, und lag im Augenblick vor Yolandens Knieen, sie wie zu ängstlicher Bitte umfassend. Erstaunt hielten die Tanzenden umher in ihrem Fluge, die seltsame Gruppe zu beschauen.

O nun, o nun, meine Schutzgottheit, rief der zitternde Jüngling, nun ist es an der Zeit! Sie entführen sie mir, die Wagen sollen im Hofe stehn, der alte treue Kurt, vorgestern von dort entsprungen, sagte mir es an. Nun hilf'! Denn es giebt viele Klöster den Strom hinunter, und ich habe nichts, als diesen Arm und diesen Degen allein. Dazu sind die Mauern der Veste stark, der gehässigen Geleiter Viele. Nun hilf!

Yolande sah mit einem flammenden Blicke im Saal umher. – Ein rühmliches Heer von jungen Rittern! sagte sie. Und dieser ihr Führer, der tapfre Graf Alethes von Lindenstein! – Nur getrost, mein armer Eugenius, fuhr sie fort, dem Knieenden die Hand reichend, und ihn aufrichtend. Hier wird Euch zweifelsohn geholfen. – Ihr andern, jungen Männer kennt ja diesen Euern ehemaligen lieben Gefährten wie auch das Unheil, so ihn bedroht. Euerm Anführer, – dazu ernenn' ich ihn für diese That, – dem edeln Grafen hier bin ich allein noch Rechenschaft schuldig über das, was durch seinen Heldensinn und Heldenarm um so sichrer gelingen soll.

Sie lehnte sich vertraulich und höchst anmuthig auf Alethes Schulter, und indem sie den fremden Jüngling, welchen sie noch an der Hand hielt, dicht vor den Grafen hinstellte, sprach sie folgendergestalt weiter:

Dieser edle Ritter ging (ein Knabe noch damals) in den Wald, sein leichtes Geschoß auf der Schulter. Da kommt ihm ein kleines Jungfräulein entgegen, um Hülfe schreiend, – der böse Wolf sey ihr im Nacken. Aus dem Tannendickicht kommt Wolf, der Knabe schießt, und stürzt das Unthier in sein Blut. Nun geht es Frag' um Frage; das Jungfräulein heiße Bertha, erfährt er, ein Ritterskind, zerstört vom Feind der Eltern Burgen, die Eltern todt, und sie durch Kurt, einen vielgetreuen Diener, verpflegt; dessen Mooshütte stehe hier nahe bei. Die zwei artigen Kinder wandeln in süßer Eintracht alsbald dahin, Kurt freut sich, und dankt; nach kurzen Tagen hat Eugenius mit seinen Eltern gesprochen, und Bertha und Kurt wohnen fortan in deren kleiner Burg. Sie müssen miteinander wie die Engel gelebt haben, die beiden Kinder, nach dem, was mir Eugenius davon erzählt hat. Späterhin aber kommt ein alter Oheim auf Bertha's Spur, er reclamirt – so heißt man's ja wohl? – die Güter in ihrem Namen, gewinnt sie für die holde Waise, die holde Waise leider sich selbst für seine Vormundschaft. Nun nimmt er sie von Eugenius Eltern fort, mit in diese Gegend, Eugenius folgt ihr, dienend der Schönen mit so anmuthigen Rittersitten, daß er sich ihr holdes Herz bewahrt, und sich zugleich das Herz aller hiesigen Burg- und Landbewohner mit jedem Tage mehr zu eigen gewinnt. Des zürnen die Alten, der Ohm und die Base zugleich. Sie drohen, Bertha in's Kloster zu sperren, und die Erfüllung ihres Drohens – Ihr hört es so eben, mein edler Graf Alethes, – steht vor der Thür. Der Hauptmann des Zuges für Bertha's und Eugenius Rettung seyd Ihr; und ohne Widerrede doch? – Alethes verbeugte sich einwilligend vor Yolanden, und alsdann nach den jungen Edelleuten, die sich ihm in einem dichten Kreis nahe gedrängt hatten, umschauend, sagte er: ich bin stolz auf die Ehre, mich Euern Commandanten nennen zu dürfen, Ihr Herr'n. Eile scheint unserm Geschäft das nöthigste. Rüstet Euch schnell zu der ritterlichen Fahrt, Ihr braven Söhne braver Väter; wer mir folgen will, findet mich in der nächsten Viertelstunde bereit. – Damit neigte er das Haupt freundlich und doch wie gebietend gegen die edle Schaar, die plötzlich auseinander flog, sich für den verheißnen Zug fertig zu machen.

Wo ist denn Euer getreuer Kurt? fragte hierauf Alethes, sich gegen Eugenius wendend.

Ich denke, er ist mir nachgerannt, entgegnete dieser, als ich in wilder Verzweiflung hierher lief, Hülfe bei meinem Heiligenbilde zu erflehn.

Was das für Ausdrücke sind! sagte Yolande. – Rufe doch wer den Kurt herein, wofern er im Vorgemache steht! – Was das nur wieder für Ausdrücke von Euch sind, Eugenius! Ich freue mich Eures Vertrauens, aber unbegreiflich ist mir seine Quelle.

Ach, rief Eugenius, wenn Euch eine ganze Gegend als Heilige verehrt, wie sollt' ich nicht –

Yolande legte ihre Hand auf seinen Mund, und sagte: Ihr kommt schon wieder in das unverständliche Geplauder, das mir Grauen erweckt, und in dessen Schlünde ihr mich mit Euern Erklärungen nur noch labyrinthischer hineinführt. Schweigt, wofern ich Euch nicht für wahnwitzig halten soll, und laßt uns Beide damit froh seyn, saß Ihr mir traut, und ich Euch wohl will.

Kurt war indessen hereingetreten, und erzählte auf Alethes Befragen, wie er seiner jungen Dame auf des Oheims Schloß gefolgt sey, streng bewacht in den letzten Zeiten, damit er den armen Eugenius keine Bothschaft bringen dürfe. Erst vorgestern habe er sich los gemacht, und erst Heute gegen Abend den jungen Herrn auf dessen hoffnungslosen Irrfahrten durch Wald und Bergesschluft angetroffen.

Die Pferde stampften bereits und wieherten lustig auf dem Schloßhofe, viele junge Edelleute, glänzend bewaffnet, füllten den Saal. – Marsch, Ihr braven Kriegskameraden! rief Alethes, und sah sich vergeblich nach Yolanden um, die, während seines Gesprächs mit Kurt, zu den versammelten Damen geredet hatte, und gleich darauf verschwunden war. Unsre schöne Wirthin fehlt, sagte Alethes. Wir wollen ihr die Kunde der ausgeführten That zurückbringen. Bis dahin Lebewohl den andern schönen Frauen; und folgt mir, Ihr Herrn'n.

Die Damen standen überrascht umher, in manchem holden Auge funkelten Thränen um die Gefahr, der sich irgend ein geliebter Freund so unerwartet dahin gab; Grüße und Winke, offenbar und heimlich, wurden gewechselt, und die junge Ritterschaft eilte bereits nach des Saales Pforten, als Yolande plötzlich herein trat –

Alethes hätte sie fast nicht wieder erkannt; ein Barett, mit vielfarbigen Federn prangend, deckte ihr Haupt, um den schönen Leib schmiegte sich ein dunkelsammtnes Reitkleid, mit vielem Golde geschmackvoll gestickt, goldfarbige, zierlich geschnürte Halbstiefeln zeichneten den kleinen Fuß, in der Hand trug sie einen glänzenden Jagdspieß. Doch auch diese Verkleidung ließ ihr den süßen Liebreiz zu eigen, der sie, meinte Alethes, vor allen Frauen der Welt auszeichnete, wie Elfen, auch wenn sie in verstellender Bildung vor den Leuten umhergehn, oftmals durch ein spielendes Licht aus ihren Augen verrathen werden.

Ich will mit Euch auf die Fahrt, Ihr edeln Ritter, sagte Yolande. Die andern Damen erwarten hier unsre hoffentlich baldige Heimkehr, und werden die Tapfersten und Glücklichsten mit Kränzen schmücken. Auf dann! Hinaus!

Einige junge Männer bemerkten, Yolande setze sich unnöthig in Gefahr; auch könne sie der Schaar in mancher kecken Bewegung hinderlich werden durch die Sorgfalt, mit der man ein so edles Pfand bewachen müsse. Sie aber wandte sich zu den Sprechenden, und sagte: Ihr Herr'n, es hat noch nie ein tapfrer Heerhaufen seine Standarte zurückgelassen, aus Furcht, sie zu verlieren. – Die Zweifler schwiegen erröthend, und Alethes erwiederte: er getraue sich wohl das holde, begeisternde Bild zu schützen, welches sich wie ein himmlisches Palladium in seine Schaar herabsenken wolle.

Man fand im mondhellen Schloßhofe die Rosse gesattelt, und nachdem Alethes Yolanden auf ihren weißen Zelter gehoben hatte, ordnete er einige junge Edelleute zu ihrem besondern Schutz, und bestimmte alsdann den ganzen Marsch des Zuges, den Berichten gemäß, die er durch Kurt eingezogen hatte. Diesen und Eugenius behielt er zu seiner Seiten, damit ihm der alte erfahrne Mann die erforderlichen Fragen beantworte, und auch zugleich der ungestüme Liebhaber an jedem zu früh unternommnen Wagestreich verhindert werde.

Man ritt anfangs den im Mondlicht dahin gleitenden Rhein entlängst, in froher, erwartungsvoller Stille. Allen war die Fahrt, wie eine kühnere Wendung des Tanzes, und die jungen, kampflustigen Herzen schlugen hoch gegen die goldnen Ketten und Wehrgehänge. Alethes sprengte oftmals den Zug auf und ab; wo Thäler seitwärts hinein gingen, sandte er kleine Partheien zu Absuchung des Weges, und zu Umlagerung der bezielten Burg aus, und erhielt durch sein stetes Aufmerken den Marsch in Ruhe und Ordnung. Jedesmal, wenn er an Yolanden vorüber flog, gewann er einen freundlichen Gruß oder sonst ein deutungsvolles Zeichen ihrer Aufmerksamkeit.

Eine ziemlich wegsame Felsschluft führte zur Linken aufwärts. Dort ging es nach der Burg, und der Zug wandte sich hinein. Große Schatten lagerten sich oftmals von den buschigen Höhen her über die Bahn, dann streckte sie in einer andern Wendung sich wieder hell und weiß vor den Reitenden fort. Von den nächsten Thälern herüber vernahm man als verabredete Signale der ausgesandten Partheien jetzt den Laut eines Hornes, jetzt einen kecken Waidmannsruf, alles vom Haupttrupp aus beantwortet, um die Richtung anzugeben, in welcher sich der Zug fortbewege.

Dort, o dorten! rief Eugenius plötzlich, und deutete nach den Zinnen der Burg, welche so eben über den Baumwipfeln gegen den blauen Nachthimmel sichtbar wurden. Alethes erzählte dem ungeduldigen Jüngling, wie nun durch die ausgesandten Posten alle Wege bereits umstellt seyen, und machte ihm begreiflich, daß nichts mehr aus dem Schlosse fortschleichen könne, ohne Einem der Ihrigen in die Hände zu laufen. Kurt hörte diesen Reden mit freundlichem Gesicht und billigendem Kopfnicken noch zu, als ihn Alethes beorderte, mit zwei bis drei Andern auf Kundschaft den Schloßberg hinauf zu reiten, und Nachricht zu bringen, ob man sich bereits zur Abfahrt rüste, und ob wohl gar ein dreistes Beginnen schon früher zum glücklichen Ende gedeihen könne. Kurt that, wie ihm geheißen war, und indeß er abwesend blieb, trafen Berichte von den andern Partheien ein, die nichts Fremdes angetroffen, auch keine Bewegung in der Burg bemerkt hatten, alle Zugänge indeß wohl umstellt hielten.

Yolande erzählte zwischendurch wunderliche Mährchen, die so lieblich von ihren zarten Lippen durch Haindunkel und Wiesenduft hinglitten, daß Aller Sinnen sich gern von den lieblichen Banden umstricken ließen, und selbst Eugenius in seiner bangen Ungeduld nicht ohne Wohlgefallen auf ihre Reden zu hören vermochte.

Noch ehe man es gemeint hatte, vernahm man den Hufschlag der Rosse Kurts und seiner Gefährten. Der alte Diener kam sehr freudigen Angesichts, und sagte: wir können vielleicht die schöne Bertha mit guter Bothschaft aus ihrem Morgenschlaf wecken, ohne sie erst die Angst des Einsteigens in den traurigen Wagen und des Fechtens auf der Straße überstehn zu lassen. Man scheint im Vertrauen auf die nahe Reise nachlässig geworden zu seyn; die Zugbrücke ist nieder, die Thorflügel nur angelehnt.

Auch so gut, und besser; sagte Alethes, und seinen Befehlen zufolge rückte man von allen Seiten leise den Schloßberg hinauf, bis alle Ausgänge der Burg dicht von der ritterlichen Schaar besetzt waren. Vor dem nur angelehnten Thor, die Brücke hinter sich, stand Alethes, Yolande an seiner Seite; doch mußte sie auf sein Bitten etwas rückwärts treten, zu denen, welche die Brücke hüteten: es könne, meinte er, eine Nachstellung hinter dieser scheinbaren Sorglosigkeit lauern.

Der alte Kurt faßte nun, so gebot es ihm Alethes, die wohlbekannten Thorflügel, und bog sie leise auseinander, daß man nach und nach die volle Ansicht des Schloßhofes gewann, auf dem man nichts wahrnahm, als einige hohe Linden, die im feuchten Nachthauche ihre Zweige auf und nieder wiegten. – Daß Gott! rief Kurt, die Hände zusammenschlagend; wir sind zu spät gekommen! Da sieht man nicht Wagen, nicht Gepäcke mehr; sie sind fort!

Eugenius starrte wild über den Burgplatz hin, alsdann nach einem Fenster hinauf, und seufzte: Fort! Ach ja freilich! Dort oben waren ihre Zimmer, und ein schöner Vogel hing in seinem blanken Bauer davor. Fort! –

Das Alles beweist noch nichts, sagte Alethes. Wählt Euch Eure Begleitung, Eugenius und Kurt, und sucht im Schloß. Auf allen Fall treffen wir doch wohl Jemand, der uns über die Richtung der Reise Auskunft geben kann.

Nach ihren Zimmern hinauf! den ganzen Flügel dort hindurch! rief Eugenius, und winkte einigen jungen Männern, die auf's bereitwilligste folgten, und bald mit ihm in eine Thür des Gebäues verschwanden. Kurt und Berthold, dessen Meinung von Allen sehr geachtet ward, und der hier schon öfters gewesen war, theilten unter sich die zwei andern Abtheilungen des Schlosses, während Alethes außerhalb eine Runde um die Mauern ging, wobei er die geordneten Posten wachsam, und alle Ausgänge vortrefflich besetzt fand.

Beim Zurückkommen in den Schloßhof traf er Yolanden an, die sich herein gewagt hatte, und auf einer verwitterten Steinbank saß, um sich her die zu ihrem Schutze bestellten Jünglinge. Wir scheinen hier vollkommen sicher, sagte sie zu dem nähertretenden Alethes, sichrer als mir lieb ist, und das Warten auf der luftigen Brücke draußen, ohne auch nur einen halberträglichen Sitz, ward mir gar zu widrig. Hier ist es nun freilich auch nicht besonders angenehm. Ich wollte, die ganze Geschichte wäre zu Ende, und wir schon wieder daheim.

Eure Begeistrung, entgegnete Alethes, weckte die unsrige. Ihr müßt nicht mit heiterm Lichte geizen, o schöner Stern, wenn wir bleiben sollen, wie Ihr uns wolltet.

Ach was hilft Einem das Alles, sagte Yolande, wenn man friert, und anfängt, müde zu werden, und das Abentheuer, um dessentwillen man auszog, sich in den allerlangweiligsten Gang von der Welt einzuleiern beginnt.

Eugenius trat aus dem Schlosse, langsam, gesenkten Hauptes. Keine Spur! sagte er, und setzte sich still zu Yolandens Füßen nieder. – Die jungen Männer, welche ihm gefolgt waren, wollten ihn mit Berthold's und Kurt's Nachforschungen trösten; er aber entgegnete nur immer: ihr Gemach hab' ich gesehn, so öde, ach, so öde! Da hat es mir mein Herz gesagt, und log mit Nichten! – Indessen bemerkte man ein schwaches Licht, das sich an einigen Fenstern vorübergleitend wahrnehmen ließ, und gleich darauf in einem gewölbten Gange,