Am Abgrund - Elsa Rieger - E-Book

Am Abgrund E-Book

Elsa Rieger

4,8

Beschreibung

Blutsbrüder sind sie. Als halbe Kinder schworen sie sich: Bis dass der Tod uns scheidet. Beide lieben die Berge, das Klettern - Schorsch, der Wiener Hauptkommissar mit dem Schlag bei Frauen, und Franz, der vom Leben angezählte Auswanderer. Sie gehen durch dick und dünn, bis Feh über die beiden Männer kommt, eine Frau wie dünnes Porzellan und mit einer gehörigen Portion Schmackes und einem sehr dunklen Fleck. Der Wirbelwind macht aus besten Freunden Rivalen. Wer wird Feh gewinnen? Ein österreichischer Roman über die Liebe gepaart mit krimineller Energie.

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Inhaltsverzeichnis

Akt. Feh und die Kerle

1. Szene – Auftritt: Feh

2. Szene – Ermittlungen

3. Szene – Der Duft der Liebe

4. Szene – Die Abfuhr

5. Szene – Kraxlers Hilfestellung

6. Szene – Abstürzende Arbeiter

7. Szene – Ein Bild zerbricht

8. Szene – Der Baumeister

9. Szene – Violette Stiefelchen

10. Szene – Mit wem treibt’s Feh?

11. Szene – Feh ante Portas

12. Szene – Der Bergretter

13. Szene – Das eiserne Sparbuch

14. Szene – Marilyns Ständchen

15. Szene – Hiebfeste Argumente

16. Szene – Warmer Cold Case

17. Szene – Im Bild tanzt Clarissa

18. Szene – Illegal – scheißegal

Akt. Schatten der Vergangenheit

19. Szene – Viecher und Dörfler

20. Szene – Blutrauschgedanken

21. Szene – Zwillingsgemurmel

22. Szene – Frust-Razzia

23. Szene – Klettern und Lernen

24. Szene – Kein Anschluss …

25. Szene – Regenwartentelefonieren

26. Szene – Anbandelungen

27. Szene – Falsche Nacht

28. Szene – Falscher Abend

29. Szene – Verdachtsmomente

30. Szene – Annäherungen

31. Szene – Überraschung im Schlamm

32. Szene – Hardrock-Rocker

33. Szene – Schlimmer als jede Wand

34. Szene – Urlaubsreif

Akt. Auf Leben und Tod

35. Szene – Vater-Tag

36. Szene – Racheschwüre

37. Szene – Abgeschnitten

38. Szene – Bis dass der Tod …

39. Szene – Die fehlende Hälfte

40. Szene – Lia spricht sich frei

41. Szene – Zwei Bodyguards

42. Szene – Arbeitstreffen

43. Szene – Geschmeidiges Anschmiegen

44. Szene – Zwei goldbraune Augen

Glossar

1. Akt. Feh und die Kerle

1. Szene – Auftritt: Feh

Franz brannte darauf, Schorsch zu treffen. Er stand vor ihrem Stammlokal, es hatte aber noch geschlossen. Fünf Uhr nachmittags, er schaute auf die Armbanduhr, da könnte er glatt noch neue Kletterschuhe im Sportladen um die Ecke in der Bäckerstraße besorgen.

Dort trödelte er herum, probierte dieses und jenes Paar, entschied sich schließlich für eines in Violett und Gelb. Die Schuhe legten sich wie eine zweite Haut um seine Füße, entsprechend teuer waren sie. Egal, dachte Franz. Er fühlte sich gerade irgendwie euphorisch.

Um achtzehn Uhr sprintete Franz in die Nebengasse. Er öffnete die Tür zur »Löwengrube« so schwungvoll, dass die Klinke gegen den Garderobenständer krachte. Im letzten Moment erwischte er noch die Holzstange, ehe das Teil zu Boden gehen konnte. Gleich würde Marvin schimpfend aus der Küche kommen. Doch nichts geschah.

Franz staunte. Schwarze Plastikmesser baumelten an blutroten Schleifen von der Decke. Sogar das Klavier war irgendwie blutrot dekoriert. Dann fiel ihm ein, dass heute auf der zusammengezimmerten Bühne ein Stück gespielt werden sollte. Da gab es kaum eine Chance, in Ruhe mit Schorsch zu reden; ob der überhaupt kam?

Franz nahm ein Programm vom Tisch. »Jack the Ripper«. Franz grinste, das passte zu Marvin. Kaum gedacht, hörte er ihn in der Küche keifen. »Was hast du wieder für einen Dreck zusammengekocht!« Marvin schien seinem Hyppolith gleich an die Gurgel zu gehen. Da hielt er sich lieber raus, wenn zwei Liebende stritten.

Er schlug das Programmheft auf. Die Miss Chloé wurde von einer Feh Hartenstein gespielt. Hartenstein hieß die Konkurrenz, deretwegen ihn sein Chef gefeuert hatte, was sich aber nach dem ersten Schock als die Chance erwiesen hatte, endlich seinen Traum wahr werden zu lassen. Manchmal brauchte es wohl einen Tritt in den Allerwertesten, um zu kapieren; Franz lachte in sich hinein.

Besagtes Bauunternehmen hatte ein dichteres Netzwerk als die Firma, die ihn gerade geschasst hatte. Außerdem Preise abgeräumt. Franz schalt sich. Es war doch jetzt vollkommen wurscht, sein Leben als Bauzeichner war beendet, ein neues hatte bereits begonnen, und es war höchste Zeit, seinen besten Freund Schorsch in die Pläne einzuweihen.

Die Plastikmesser am Bühnenvorhang klirrten leise, Franz blickte auf, der Vorhang teilte sich und eine kleine, schlanke Person trat hervor; sie sah sich um. Von ihrem Gesicht konnte Franz unter der Schminke kaum etwas erkennen – aber der Körper in dem kurzen Kleid war echt. Das Mädchen sah ihn aus grünblauen Augen an, wischte das schwarze Kunsthaar beiseite.

»Sie sind zu früh!« Sie sprach leise.

»Sind Sie Miss Chloé?« Er lachte.

Das Mädchen schwieg.

»Bestimmt, so wie Ihre Augen funkeln.« Was redete er da?

Sie durchwühlte ihre Perücke mit den rot lackierten Fingern. »Ja. Ich bin das leichte Mädchen, das den Bösewicht killt.«

»Und Ihr Vater ist nicht zufällig der bekannteste Baumeister von Wien?«

Miss Chloé schaute, als hätte sie einen Wurm verschluckt, und verschwand hinterm Vorhang.

Franz nahm seinen Einkaufssack mit den Schuhen und betrat durch die Schwingtür neben dem Ausschank die Küche.

»Servus«, sagte er.

Hyppolith lehnte am Gasherd. Mit verschränkten Armen glich er dem jungen Belmondo, und er schaute Franz genauso verkniffen an. Hinter seinem Rücken brodelte es in einem großen Topf, vor ihm stand Marvin, dicklich und einen Kopf kleiner als sein Lebensgefährte; er umklammerte Hyppoliths Unterarme.

»Was hast du wieder für einen Dreck zusammengekocht!«, wiederholte er erschüttert. Sein runder Körper zitterte vor Ärger.

»Hey, so schlimm kanns doch nicht sein?« Franz fürchtete, dass seinen Freund irgendwann der Schlag treffen würde. Cholerisch war er schon mit elf gewesen, jetzt, um einiges älter geworden, schwoll Marvins Gesicht allmählich zu einem Ballon an.

»Der bildet sich ein, für heute Abend einen englischen Fraß kochen zu müssen, ich könnte kotzen.«

Franz lachte. »Der arme Hyppo hats doch nur nett gemeint.« Er schlenderte auf den Herd zu und lüftete den Deckel des Topfes. Was ihm da entgegenduftete, roch wirklich nicht besonders.

»Du Banause, brauchst nicht so gucken, das ist ein Stew«, pfiff Hyppolith ihn an, riss sich die Schürze vom Leib und stürmte davon.

Marvin öffnete den Kühlschrank, studierte den Inhalt.

»Es gibt Cucumber-Sandwiches zu ›Jack the Ripper‹. Basta.«

Franz schnappte sich eine Cocktailtomate. »Ein gutes Stück?«

»Geht so. Aber die Kleine, die den Jack schließlich killt, die ist richtig süß.«

»Das habe ich schon bemerkt.« Franz lachte.

»Was machst du eigentlich schon hier?«, fragte Marvin.

»Ich war in der Gegend. Hab mir Kletterpatschen gekauft, Superangebot. Weißt eh, gegenüber vom Klettergarten, wo Schorsch und ich trainieren.«

»Apropos Schorsch, er hat angerufen, dass er knapp kommen wird heut, weil die irgendeine Einschulung am Kommissariat haben, wo er dozieren muss, der Herr Hauptkommissar.«

Eine Stunde später füllte sich das Lokal, bald waren alle Tische besetzt und Marvin musste allein bedienen. Vermutlich saß Hyppolith daheim und schmollte. Franz übernahm die Theke. Marvins rotes Gesicht glänzte. »Wer zum Teufel holt die Gurkenbrötchen aus der Küche?«

»Ich.« Kriminalkommissar Georg Kirchner hatte im Trubel unbemerkt die »Löwengrube« betreten, jetzt zupfte er sich den fahlblonden Zopf zurecht. Er war ein wilder Hund, der Schorsch, für einen, der bei der Polizei arbeitete, würde man ihn nie halten. Der lange Zopf, das bunte Hemd, als wäre er gerade aus Hawaii gekommen, und die Sonnenbrille mitten in der Nacht, die wohl seinen Blick nach feschen Miezen verbergen sollte. Er, Franz und Marvin, der damals mit seinen Eltern aus Irland eingewandert war, hatten im Gymnasium ihre Freundschaft durch Blutsbruderschaft besiegelt.

»Na, du schaust ja wieder aus!« Franz lachte. »Nach der Vorstellung muss ich dir was erzählen. Gut, dass du da bist.«

»Na hörst, ein Mordstück, das lass ich mir net entgehen.« Schorsch bleckte die strahlend weißen, leicht vorstehenden Zähne und bewegte sich im Wildkatzengang zur Küche, um mit einem großen Tablett voller Gurkenbrötchen wiederzukehren.

Schließlich waren alle Gäste versorgt, Marvin dimmte das Licht im Zuschauerraum und schaltete die Spots für die Bühne ein, worauf ein irres Lachen ertönte, das durch Mark und Bein ging. Der Vorhang rutschte zur Seite, das Spektakel begann mit einem Erzähler im Cut, der vom erschröcklichen Tod des Hurenmörders Jack the Ripper berichtete, herbeigeführt von Miss Chloé, die dafür am Galgen baumeln würde.

»Na servas«, sagte Schorsch und zapfte sich ein Bier.

»Wieder einmal ein Blödsinn«, gab Franz zurück.

Marvin, der sich nun zu ihnen gesellt hatte, meinte: »Aber lustig.«

Der erste Akt, in dem ein Jack the Ripper, der, da waren sich die drei Freunde einig, als Quasimodo durchgehen könnte, wie er buckelnd über die Bühne hinkte und leichte Mädchen erstach, die sich durch das dunkle London bewegten, ging unter dem Gelächter des Publikums zu Ende. Der Vorhang ruckelte zu. Applaus.

Wie aus dem Nichts stand Hyppolith plötzlich mit gütiger Miene vor ihnen. Erst umarmte er Marvin, dann Franz, sagte würdevoll in seiner französischen Sprachfärbung: »Isch kann verseihen«, und entschwand in sein Reich, die Küche.

»So ein Vogel. Aber klar, Liebe muss alles aushalten können, sogar Stew.« Schorsch feixte.

Den zweiten Akt eröffnete wieder der Erzähler. Er sprach von der grausamen Rache, die Jack baldigst durch Miss Chloé widerfahren werde.

Franz besuchte Hyppolith – er hoffte, nach der Vorstellung endlich mit Schorsch reden zu können – und traf ihn beim Entsorgen des Stews an. Die Schwingtür flappte auf.

»Hey, Franz, komm schnell, ein Wahnsinnsfeger in Action«, zischte Schorsch aufgeregt und war wieder weg. Obwohl er – wie auch Franz und Marvin – dieses Jahr sechsunddreißig wurde, benahm er sich immer noch reichlich kindisch, wenn es um, so redeten sie, »fesche Hasen« ging. Als hätte Hyppolith Franz’ Gedanken gelesen, verdrehte er die Augen. »Vite, vite, sonst versäumst du die Königin der Hersen!«

Feh Hartenstein, deren Kleid an der Schulter zerrissen war und einen schlanken, blassen Arm preisgab, tobte über die Bühne. In der Hand ein Messer, sang sie: »Jack, oh Jack, bald bist du weg. Vermoderst dann im kühlen Grabe, nach dir kräht nicht einmal ein Rabe.« Dabei blitzten ihre hellen Augen aus der Kajalumrahmung und der grellrot bemalte Mund spie Hasstiraden.

Franz hatte noch nie ein derart fein geschnittenes Gesicht gesehen, das schön blieb, auch wenn das Mädchen eine Fratze zog. Nun trat Ripper-Quasimodo auf, schlich an einer Hauswand entlang, wahrscheinlich auf der Suche nach einem Opfer. Chloé sprang auf ihn zu, sie war viel kleiner als ihr Kollege, baute sich vor ihm auf und rammte ihm das Plastikmesser wieder und wieder zwischen die Rippen. Als er zu Boden fiel und einen Todeskampf mimte, stürzte der Racheengel von der Bühne, gellend lachend.

»Na, hab ichs nicht gesagt? Wahnsinnsmäderl, gell?«, schwärmte Schorsch.

»Sieht nett aus, stimmt.«

»Die oder keine, verstehst?«

»Übrigens, ich hab keinen Job mehr.«

Marvin schaltete die Bühnenspots aus. »Hat die Krise dich auch erwischt?«

»Ohne Scheiß?«, fragte Schorsch.

»Glaubst du, ich mach Spaß mit so was? Mein Chef hat drei von sechs Bauzeichnern entlassen. Ich bin gleich in den Urlaub gegangen, hab ja noch sechs Wochen gut, arbeitslos bin ich erst nachher.«

»Na, servas Kaiser …«, sagte Schorsch. »Magst bei uns als Phantomzeichner anfangen?«

»Du spinnst ja.« Franz lachte. »Ich hab Pläne, große Pläne …« Weiter kam er nicht, denn Schorsch starrte schon wieder zur Bühne. Der Vorhang ruckelte nun auf und die Schauspieler hüpften vom Podest. Die kleine Wilde breitete bei ihrem Sprung die Arme aus. Erneut räumte sie Applaus ab, die männlichen Gäste winkten ihr zu. Ohne Perücke sah Feh noch reizender aus, ihre kurz geschnittenen Löckchen schimmerten in einem Tizianrot, das im Licht aufflammte. Sie trug ausgewaschene Jeans und einen grauen Pullover, in den sie zweimal hineinpasste. Der Carmenausschnitt rutschte ständig über ihre Schulter. Die Truppe setzte sich an ihren reservierten Tisch.

Schorsch starrte mit seinem Kriminalerblick hinüber. »Die hat keinen BH an.«

»Woher willst du das schon wieder wissen?«

»Siehst du einen Träger?«

Franz zapfte sich ein Weizenbier. »Halterlos? … Du, wir müssen reden.«

»Gleich.« Schorsch nahm einen Moët aus dem Kühlschrank und ging auf den Tisch der Schauspieler zu, Franz sah ihm zu, wie er Feh-Chloé die Champagnerflasche überreichte. Sie nahm sie mit einem Auflacher entgegen und ließ den Korken knallen. Es würde eine Weile dauern, bis er mit Schorsch reden konnte. Franz suchte sich einen Platz, stellte sein Bier ab, legte die Füße auf den Stuhl. Sein Freund balzte schlimmer als der ralligste Hengst.

Auf einmal stand diese Feh vor ihm und lachte ihn an. »Hey, setzt du dich auch zu uns?« Sie streckte ihm die Hand hin, er ergriff sie spontan. Sie drückte zu. »Feh heiß ich. Und du?« Dann packte sie seine Beine und schubste sie vom Stuhl.

»Hey!«

Der Lockenkopf setzte sich glatt auf seinen Schoß, musterte ihn. »Na, kommst rüber?«

Zutraulich wie ein Kätzchen.

»Eigentlich nicht. Ich muss noch was mit meinem Freund besprechen.«

Sie zeigte mit dem Daumen hinter sich, ohne sich umzudrehen. »Mit dem da? Ich weiß nämlich schon, dass ihr Freunde seid.«

»Und was geht dich das an?«

»Nix«, antwortete sie, sprang auf, rückte den Pullover zurecht und tanzte zu ihrem Tisch zurück. Schorsch warf Franz einen ärgerlichen Blick zu.

Was war los mit ihm, spann der? »Komm endlich, Schorsch!«

Aber der winkte nur ab.

Die Küchentür schwang auf und Marvin kam mit seinem Hyppolith heraus. Franz lächelte, jetzt würde Marvin mit den Fingergelenken knacken und Klavier spielen. Schon war er auf dem Weg zu seinem Bösendorfer Flügel. Er spielte eine Melodie aus der Oper »The Fairy-Queen« von Henry Purcell, Franz erkannte das sofort, Marvin liebte Barockmusik, aber auch Jazz spielte er toll. Den Flügel hatte er von seiner Großmama geerbt – ein Kindheitstraum.

Auch Franziii, wie seine Mutter ihn peinlicherweise nannte, hatte so seine Visionen gehabt – das Reisen, immer das Reisen. Wobei Peru damals nicht gerade ein spezifischer Kindertraum gewesen war, das kam erst später, genau genommen vor einer Woche, als Franz die schriftliche Kündigung auf der aktuellen Bauplanskizze seines Zeichenbretts vorgefunden hatte. Bald, sehr bald wäre es so weit. Schorsch schielte Feh in den Ausschnitt. Franz stand auf und ging rüber.

»Was ist, Schorsch, hast jetzt Zeit oder nicht?«

»Entspann dich doch.«

Feh lehnte sich im Stuhl zurück, schaute interessiert zu. »Setz dich zu uns«, sagte sie.

Das wäre das Letzte. Schorsch grinste. Als sein Telefon klingelte, verging es ihm aber.

»Leck mich am Arsch!«, sagte Franz und knallte die Tür hinter sich zu. Ein Föhnsturm fuhr durch die Gassen auf dem Weg zur U-Bahn-Station Stephansplatz, riss an der Tüte mit den neuen Schuhen. Franz drückte sie an seine Brust. Der warme Wind bereitete dem Februarwetter hoffentlich ein Ende, es reichte wirklich. Dass Schorsch sich einen Dreck um ihn scherte, sondern jedem Röckchen hinterherjagte, machte Franz auch bald nichts mehr aus. Seine Pläne würden ihn sowieso aus Wien wegführen.

2. Szene – Ermittlungen

Schorsch fror wie ein Schneider. Das Wetter hatte umgeschlagen, eisiger Nordwind pfiff um den Dienstwagen, einen Golf. Bald war die Nacht vorbei, Helmreich kaute an den Fingernägeln und starrte das Haus in der Taborstraße an. »Keine Sau rennt draußen herum bei dem Scheißwetter.«

»Kollege, glaubst, ich hab keine Wut? Heut hätt ich ein Supermädel aufreißen können, aber nein, ausgerechnet in dem Moment der erste handfeste Hinweis auf Kinderschänder. Hättst aber auch wen andern für die Observierung anrufen können«, sagte er mit einem Blick auf Helmreich, der sich schon wieder eine Zigarette zwischen die Lippen schob.

»Na, wen hätt ich anrufen sollen, den Polizeipräsidenten vielleicht? Du hast Bereitschaft, also?«, knurrte er hustend. »Kanakische Hausmeisterin, depperte. Wird eh wieder ein Schmarrn sein. Die ist wahrscheinlich sauer auf den Verdächtigen und zack, ruf ma die Polizei an.«

»Es ist eine neue Hausmeisterin, die vielleicht genauer hinschaut. Jetzt warten wir bis sieben, dann fahren wir heim. Die Stund halt ma noch aus.« Schorsch schickte den widerstrebenden Helmreich – »nur weilst jetzt Hauptkommissar bist«, motzte der – um Kaffee zum Bäcker an der nächsten Ecke.

»Eine der Verbesserungen durch den Aufstieg«, grinste Schorsch. Es fing zu schneien an. Kaffee schlürfend fixierte er den Hauseingang. Endlich öffnete sich die Tür. Eine junge Frau, eingemummt in Webpelz, verließ das Haus und stapfte in Moonboots zur Bäckerei. Um halb sieben kam ein Mann mit einem kleinen Jungen heraus.

Der Bub heulte, Schorsch schlüpfte aus dem Auto. »Polizei, guten Morgen. Warum weint das Kind?«

Der junge Vater erklärte, dass sein Sohn nicht in den Kindergarten wolle. »Jeden Tag dasselbe Theater! Nachdem wir beide berufstätig sind, bleibt eben nichts anderes übrig.« Schorsch verlangte den Ausweis, sah ihn an und ließ den Mann gehen.

»Und?«, fragte Helmreich und riss den Mund auf.

»Nix. Halt dir die Hand beim Gähnen vor, ich seh bis in deinen Magen rein. Die Hausmeisterin knöpf ich mir noch einmal vor, das sag ich dir. Aber erst später, jetzt gehen wir schlafen.«

Helmreich warf ihm einen dankbaren Blick zu und startete.

Satan, der riesige schwarze Kater mit den weißen Vorderpfoten, stimmte sein übliches Geschrei an, als Schorsch die Wohnung aufsperrte. Nachdem er Satan ausgiebig begrüßt hatte, sein Gesicht in das Seidenfell gedrückt, ihn gestreichelt hatte, legte er sich ins Bett. Der Kater rollte sich in Schorschs Kniekehlen ein.

Am frühen Nachmittag weckte Satan ihn, er saß ihm milchtretend auf der Brust und miaute.

»Fresssack!« Schorsch stand auf, duschte und riss sich ein Haar aus, das aus seinem linken Nasenloch ragte. Er rieb sich den Schlaf aus den wasserblauen Augen, band den Zopf im Nacken zusammen. Satan schaute ihn mit brechendem Blick an, bis Schorsch ihm den Futternapf reichlich gefüllt hatte, und stürzte sich darauf. Währenddessen sprudelte schon die Espressomaschine, Schorsch stellte sie weg und eine Pfanne auf die Gasflamme. Er briet sich ein paar Eier, schlang sie runter, kontrollierte seinen Hosenschlitz, ob der geschlossen war, und sperrte sorgfältig die Eingangstür dreimal hinter sich ab. Dass ihm seine Hightech-Ausstattung von ein paar Idioten geklaut werden könnte, machte ihm Angst.

Er fluchte, als er die Eisschicht auf der Windschutzscheibe seines alten Saab sah. »Verdammtes Hurenwetter!«, knirschte er und sah zum Himmel hinauf, als ob da oben wer was dran ändern könnte. Was blieb ihm übrig, als zu kratzen? Danach waren seine Finger taub. Er drehte die Heizung hoch und fuhr in die Stadt.

Die »Löwengrube« war am Montag wie ausgestorben.

»Da können wir ungestört quatschen«, sagte Marvin und klopfte Schorsch auf den Rücken, der ein paar Münzen in die Musikbox warf und blindlings Ziffern und Buchstaben drückte; Marvin hatte sowieso astreine Singles eingelegt. »Michelle« von den Beatles. Bei Speckbroten, die Hyppolith servierte, dabei Schorsch auf die Wange küsste, fragte Marvin: »Was war gestern mit Franz los?«

»Weiß nicht«, sagte er, »vielleicht wegen der Kündigung?«

»Die hat ihm doch eine Entscheidung erspart.«

Schorsch war beim dritten Speckbrot, wieder mal war er froh, dass er essen konnte, was er wollte. »Was meinst?«

»Ich verrat dir nix, Schorsch, hab’s versprochen, er will dir das seit gestern Abend … aber du warst ja anderweitig …«

Was konnte Schorsch dafür, dass ihn das Mädel so heiß gemacht hatte? »Ich werd ihn dann besuchen, muss eh in der Nähe eine balkanesische Hausmeisterin abwatschen, die schon wieder angerufen hat, weil’s unschuldige Leut anzeigt.«

Marvin grinste und schob ihm das nächste Brot unters Kinn. »Bist du ein Fremdenhasser geworden?«

»Immer gewesen, du blöder Ire. Gib mir ein kleines Bier.«

»Und du bist ein chauvinistischer Wienerwurst, sagt dir der Fransmann«, kicherte Hyppolith, während er das Bier für ihn zapfte.

Ein fünftes Brot lehnte Schorsch ab. »Wir haben schon viel Pack hier. Erst vorigen Monat hab ich einen Burschen geschnappt, der seine Schwester abgestochen hat. Sie wollt einen von uns heiraten. Der Vater sitzt auch in U-Haft, er hat den Sohn wahrscheinlich zum Ehrenmord angestiftet. Was sagts jetzt?«

Sobald Schorsch am Haustor des Gemeindebaus klingelte, summte der Türöffner. Sonst fragte sein Freund immer nach. Er ging durch den versifften Hausflur zum Lift, drückte auf die 5.

Die Wohnungstür war angelehnt.

»Franz?« Er folgte dem Scheppern aus dem Wohnzimmer.

Die Türen der scheußlichen Schrankwand standen offen. Franz kramte in einem der Fächer Papiere zusammen. Sein langes braunes Haar, von Natur aus kraus, stand in alle Richtungen.

»Was machst denn?«

»Wonach siehts denn aus?« Franz drehte sich um, ließ sich auf die Knie fallen und schaute unter die abgenutzte Schlafcouch vor dem Wandschrank. Dann hielt er mit Siegerlächeln ein Gummiband hoch und fing seine Haare damit im Nacken ein.

»Magst einen Tee? Yogi oder Earl Grey.« Mit zwei Schritten war er bei der Küchenzeile und füllte Wasser in den Kochtopf.

»Geh mir weg mit dem indischen Zeug.« Nachdem Franz den heißen Tee auf den Tisch gestellt hatte, sagte Schorsch: »Du warst gestern hysterisch. Warum?«

»Ich mach mir ein Butterbrot. Magst auch?« Franz sprang auf und säbelte eine Scheibe vom Brotwecken.

»Hab beim Marvin was gegessen. Also, was war?«

Franz schnellte herum, blickte auf die Schneide seines Messers.

»Ach, jetzt hast plötzlich Zeit, mir zuzuhören? Interessant.«

»Willst mich aufschlitzen?«

Schorsch grinste, es war doch alles bestens zwischen ihnen.

»Pass auf, es ist so …«, Franz kaute auf dem Brot herum.

Die Türklingel schellte. »Hast nicht offengelassen?«

»Nein!«

Franz ging hinaus, kam mit dem Nachbarn zurück. Schorsch kannte Diego Alcantra, der mit seiner Frau und einigen Kindern – wie viele, hatte er noch nie recht durchschaut – aus Peru eingewandert war. Diego nickte, musterte dann eingehend die Schrankwand, die Couch und den Tisch.

»Sofa werde ich nicht nehmen, ist … aus, por fin«, er lächelte, »aber Kasten und Tisch bitte ja.«

»Alles klar, Diego, dann werde ich die Couch auf den Müll schmeißen. In ein paar Wochen kannst du die Sachen haben.«

Schorsch konnte kaum abwarten, bis Diego draußen war. »Richtest dich neu ein?«

Mit einem Seufzen ließ Franz sich auf die Couch fallen. »Ich hau ab aus Wien.«

Schorsch griff nach dem Tee. »Scheißheiß!« Er stellte den Becher auf den Tisch, er schwappte über.

»Der ist nicht einmal mehr warm, Schorsch, steht mindestens eine Viertelstunde da herum.«

»Klugscheißer.«

»Ich habs einfach satt.« Franz ging zum Fenster.

»Wann und warum?« Eine Gänsehaut überzog Schorschs Nacken.

»Nächsten Monat wird der ganze Block hier generalsaniert, übrigens von dem Architekten, wegen dem ich gekündigt worden bin, dann schießt die Miete in die Höhe.«

Das Gschlader1 im Becher war ungenießbar. Sein Freund lehnte mit dem Rücken am Fenster. »Und wieso weiß ich das noch nicht? Ich mein, dein Nachbar weiß es?« Jetzt war die Gänsehaut verschwunden, dafür wurde ihm die Kehle trocken.

»Ich bin dein bester Freund …«

Es tat gut zu sehen, dass Franz den Blick senkte, ehe er fortfuhr: »Ich habs gerade mal geschafft, dir von der Kündigung zu erzählen, so spitz warst auf die Kleine.«

»Komm, ich bin doch nicht von gestern.« Schorsch wurde wütend, was für eine Ausflucht!

»Ich schwörs. Es war komplett spontan. Des kennst doch, wennst plötzlich was weißt. Ich wollt ja reden mit dir.«

»Und …wohin solls gehen, Herr Franz Jäger?«

Mit einem Schritt stand Franz neben ihm. Seine Augen glühten auf, als er auf ihn herunterblickte; dass er einen halben Kopf größer war, hatte Schorsch immer schon gefuchst. Und schöner war er auch, drahtiger und mit den langen Beinen. Schon in der Schule musste Schorsch dieses Manko mit mehr Schmackes wettmachen, um bei den Weibern zu punkten, was ihm aber auch gelang. Denn Franz war zum Glück viel scheuer als er.

Das alles ging ihm durch den Kopf, während Franz an verbalem Durchfall litt, er quasselte ohne Ende, sprach von einem Tal namens Santa Cruz in Peru, wo er ein Gästehaus zimmern wollte mit den Einheimischen. Von irgendwelchen Touren. Franz packte ihn am Arm, zwang Schorsch, genau zuzuhören.

»Mitten in der Cordillera Blanca gibt es ein Dorf, es heißt Cashapampa und liegt auf fast dreitausend Höhenmetern.« Der war nicht zu bremsen. »So frugal wie die Häuser aus rauem Stein, mit roten Ziegeldächern, soll auch meins aussehen. Worauf soll ich warten? Bis ich vierzig bin und nimmer kann?« Franz strahlte wie ein kleiner Junge.

»Na, dann träum mal weiter.«

Schorsch stieg ins Auto. Ein Gutes hatte es, Feh, die ihn den ganzen Abend ausgefragt hatte, mit Herzerln in den Augen, wenn sie zu Franz hinübergeschaut hat, fiel bald aus ihrem siebten Himmel. Und er war da, um sie aufzufangen.

Trotzdem war er getroffen von Franz’ Schwärmerei. Seit der Schule hielt er zu ihm. Wie Pech und Schwefel waren sie. Und nachdem vor drei Jahren Franz’ Frau gestorben war, hatte der sogenannte Blutsbruder keinen Schritt mehr ohne ihn gemacht. Bis jetzt. Andauernd versuchte Schorsch, ihm zu helfen, indem er ihn zu Events mitnahm, ihm hübsche Frauen vorstellte – er selbst konnte ja mittlerweile großmütig sein, die Teenagerzeit war längst vorbei, und heutzutage genügte normalerweise ein Fingerschnippen, um jede rumzukriegen – aber nichts hatte bisher gegriffen. Die Trauer um Rebecca stand bisher wie eine Mauer zwischen Franz und dem Leben. Dabei war er ein gut aussehender Typ mit seinen sanften braunen Augen. Nicht einmal Hexi, eine Bergkameradin, die super zu ihm passte, sich ihm dauernd zu Füßen warf, hatte sie einreißen können.

Satan hüpfte vom Garderobenschrank, als Schorsch aufsperrte. »Du wirst dir einmal die Haxen brechen und dann schaust blöd.«

Heute Abend würde er sich die Hausmeisterin vorknöpfen. Was hatte sie nur gegen diesen jungen Vater? Er füllte Satans Napf und zog sich für den Nachtdienst um. Der Verrat von Franz an ihrer Freundschaft ließ ihn nicht los.

1 Gesöff

3. Szene – Der Duft der Liebe

Franz fing an, Schränke und Schubladen auszuräumen und den Inhalt auf schwarze Müllsäcke zu verteilen. Ein Foto fiel ihm in die Hände: Rebecca und er. Sie küssten sich vor dem Gipfelkreuz am Großglockner. In Rebecca hätte genug Kraft gesteckt, um ihn nach Peru zu begleiten. Nach all den Jahren kribbelte es bei ihrem Anblick nicht mehr in seinem Bauch. Er zog das Foto aus dem Rahmen, streichelte ihr Gesicht. Im Schrank hing immer noch ihre hellblaue Seidenbluse, die hatte er nie weggeben können. Er nahm den zarten Duft von »Chloé« wahr, Becky hatte sich dieses Parfum zu jedem Anlass von Franz schenken lassen, wickelte das Foto in die Bluse und brachte es wieder nicht über sich, diese Erinnerung zu entsorgen. Er ließ das duftige Päckchen in den Karton mit seinen Dokumenten gleiten. Dann machte er sich daran, Broschüren auszusortieren.

In den vergilbten Schulsachen lag das Foto von Schorsch, ihm und Marvin. Teenager. Marvins Gesicht entflammt in Akne, daher die Narben. Franz rieb sich über die stoppelige Wange. Marvin hielt seine Sticks in die Kamera, Franz die Gitarre und Schorsch biss spaßeshalber ins Mikrofon. Sie saßen im Probenraum, den sie im Kellerstübchen von Marvins Elternhaus eingerichtet hatten. Die »Perplex« waren auf dem Schulball am Ende der Sechsten aufgetreten. Marvin hatte vorher eine halbe Flasche Wodka gekippt, er war vor Lampenfieber fast gestorben. Der Rhythmus auf der Bühne geriet demnach total aus den Fugen. Franz konnte sich gegen das Schlagzeugfeuer nicht durchzusetzen. Marvin hatte auf offener Bühne gekotzt, die »Perplex« k. o. getrommelt.

Mit den Kartons fuhr Franz in den Keller zu den Containern. Dreck lag vor den Hausmülltonnen, auch ein Schwangerschaftstest. Dann lief er zur nächsten Ecke der Wohnanlage in den Supermarkt, kaufte ein halbes Huhn und Gemüse ein. Am Rückweg platschte er in eine halb gefrorene Pfütze. Es taute. Der Winter lag in den letzten Zügen. Der Frühling kam doch noch.

Im Lift traf er Pablo, Diegos Sohn, der grenzgenial Hip-Hop tanzte. Der Junge zuckte versunken zur Musik aus den Kopfhörern, Franz lächelte ihn an. Pablo lebte mit seiner Familie in zwei Zimmern – der Vater betrieb einen Kiosk mit peruanischen Spezialitäten am Naschmarkt. An Geburtstagen stand die Wohnungstür jedem offen, der zum Gratulieren kam. Diego und seine Frau Marita boten Essen an.

Eine Hauspartei folgte niemals der Einladung: Vater und Sohn Vyskocil, die allein lebten, seit die Ehefrau und Mutter das Weite gesucht hatte. Manchmal trampelten sie Arm in Arm stockbesoffen durchs Stiegenhaus, Naziparolen grölend. Eines Tages hatten sie die Hip-Hopper im Hof bedroht. Franz schaute Diego und den anderen Jungen aus den umliegenden Wohnblocks an den Sommerabenden gern zu, wenn sie unter seinem Fenster zusammenkamen und sich Tanz-Battles lieferten. Heute noch bedauerte er, dass er zum Zeitpunkt des Zoffs über die Nazisprüche bei der Arbeit gewesen war. Einem der Burschen hatte der jüngere Vyskocil, unter dem Applaus des Vaters, den Kiefer ausgerenkt. Zu gern hätte Franz den beiden Ratten die Fresse poliert.

Der Hühnereintopf schmeckte nicht besonders, Schorsch ging ihm nicht aus dem Sinn. Wie konnte er nur so ein feiger Hund sein, warum hatte er seinen besten Freund nicht rechtzeitig eingeweiht? Er sollte ihn anrufen, ihm das erklären. Einen Bissen schluckte er noch, dann schob er den Teller weg und in dem Moment klingelte sein Telefon.

»Hörst, Franz, ehrlich gesagt, find ich es megascheiße, dass du mir nix von Peru gesagt hast. Ist sicher nicht wie eine Verkündigung über dich gekommen! Der g’schissene Nachbar weiß davon, krallt sich deine Möbel, und ich erfahre ganz zufällig, dass du dich schleichst?«

Der Schweiß brach Franz aus. »Geh, Schorsch, muss ich dir alles immer gleich …«

»Es geht doch nicht um einen Furz! Das ist das zweite Mal, dass du heimlichtust und mir was Wesentliches verschweigst. Ich sag nur, vierter Monat.«

Franz ahnte, was jetzt wieder kommen würde, er konnte es nicht mehr hören, aber Schorsch geriet noch mehr in Saft. »Du bist dann herumgerannt wie ein stinkertes G’selchtes2, aber kein Wort zu mir, dass Rebecca schwanger war bei ihrem Tod.«

Jetzt war’s raus. Er und Rebecca hatten sich unglaublich gefreut auf das Kind. Franz war nicht fähig gewesen, es mit Schorsch zu besprechen. Als Schorsch sich eines Tages bei einem Bier über seine Arbeit ausweinte, sie am liebsten an den Nagel gehängt hätte, weil eine werdende Mutter bei einem Banküberfall erschossen worden war, brach es aus Franz heraus. Rebecca hatte mit ihm mindestens fünf Kinder haben wollen und das erste lag mit ihr im Grab.

Nun brüllte Schorsch, Franz hielt das Handy weg vom Ohr. »Du wirst das eh nicht schaffen, Auswandern ist viel zu groß für dich! Aber dass du vielleicht auf die Idee gekommen wärst, mich …«

Franz’ Beine zuckten, er stand auf und begann hin und her zu laufen. »Was meinst denn? Red dich aus!«

Aber Schorsch schwieg.

Das war Beharrlichkeit! Sollte vielleicht Franz ihm sagen, warum der Herr Hauptkommissar so wütend war? Plötzlich wusste er genau, Schorsch wäre gern gefragt worden, ob er mit nach Peru auswandern würde! Stattdessen sagte Franz: »Redest du vielleicht von dir? Bist immer noch ein Bulle, obwohl du Angst hast, durchzudrehen bei all dem Schrecklichen, was du Tag für Tag sehen musst! Und so gern wärst du ein toller Sportler, der Pokale abräumt. Aber eins sag ich dir, so lange es mich gibt, wirst du kein Leiberl reißen beim Klettern. Warum? Weil du in Wirklichkeit feig bist, Schorsch, und nur so tust, als wärst du weiß Gott wer!«

Schorsch schnaubte, seine Stimme wurde schneidend: »Red mich einfach nimmer an. Du willst auswandern.« Schorsch murmelte nur noch, war kaum zu verstehen, »… und zwar ohne mich. So schauts aus.« Er legte auf.

Franz wusch sein Gesicht. Er hatte seinen Freund verletzt. Schorsch, der stets den Ton angab.

2 verdorbenes Rauchfleisch

4. Szene – Die Abfuhr

Die Hausmeisterin wollte Schorschs Dienstmarke sehen. Ihr Busen schaukelte unter der Bluse. Sie schwang die runden Hüften vor Schorsch in die Zimmer-Küche-Wohnung, in der drei Kinder laut kreischend herumwuselten.

»Ihre Kinder?«

Die Frau fixierte ihn mit glühenden Augen: »Immer der Bub schreit, alles nix gut da oben, viele Männer kommen immer. Ist ›Aktenzeichen XY‹, das weiß ich. Da oben ist hundertprozentig was faul!«

»Bei der Observierung gestern Nacht hat kein Verdächtiger das Haus betreten«, sagte Schorsch.

»Aber sonst immer, ich schwöre beim Leben meiner Enkel. Und überhaupt, was fragen so blöd, gehen selber auffi!« Sie streckte die Hand Richtung Zimmerdecke.

Helmreichs Füße lagen auf dem Schreibtisch. Er versteckte sich hinter der Tageszeitung. »Bist deppert, da hat schon wieder einer sein Baby totgeprügelt«, murmelte er, als Schorsch hereinkam.

»Hast nix zu tun?« Schorsch hängte seinen Mantel an den Haken.

»Nein, Chef.« Helmreich schwang die Beine Richtung Boden. »Und was war in der Taborstraße?«

»Heut Abend um elf schaun wir uns das an, egal, ob mit oder ohne Passierschein!« Er zog Helmreich die Zeitung weg. »Was ist da los? Das wird immer ärger und das Jugendamt tut nichts.« Er kochte ohnehin schon vor Wut, trank den sechsten Kaffee heute und wandte sich dem Papierkram zu. Es war eine Menge zu tippen, weil er sich alles nur flott auf Post-it-Zetteln notierte. »Immer am Montag könnte ich kotzen, wenn ich die letzten sieben Tag’ ins Reine schreiben muss«, stöhnte er.

»Bist selber schuld, Chef. Und so lang du nicht der Direktor hier bist …«

»Ich weiß!«

In dem Moment stürmte der Abteilungsvorgesetzte herein. »Bei Floridsdorf hams eine weibliche Leich’ gefunden, wen können wir abstellen?«

Schorsch zeigte mit dem Finger auf Helmreich. Der stöhnte und zog seine neue beige Daunenjacke über.

»Die Farbe passt zu dir«, sagte Schorsch und tippte weiter. Er spürte den Blick des Kollegen. »Ich bin an was anderem dran, muss eh gleich los.«

Helmreich knallte die Tür hinter sich zu.

Eine Stunde später kam er zurück, schüttelte sich. »Sauwind an der Donau, wenn man ihn nicht braucht im Winter!« Er schenkte sich heißen Kaffee ein, wärmte die Hände daran und setzte sich auf einen Heizkörper.

»Und was war, du verweichlichtes Buberl?«

Helmreichs Gesicht hatte tatsächlich die geschissene Farbe seiner Daunenjacke angenommen. »Nur eine Giftlerin, goldener Schuss, kein Mord. Aber bis der Pathologe da war und dann der Leichenwagen, hats ewig gedauert. Trotz dem Scheißwetter und obwohl es finster ist, musst dauernd Leut’ verjagen, die es wissen wollen. Na ja.«

»Also kannst jetzt heimgehen. Ich schau allein in die Taborstraße.« Schorsch fuhr den PC herunter.

»Darfst ja eigentlich net.«

»Ich schon, Helmreich!«

»Bist sicher?«

»Worauf du einen lassen kannst!«

Frau Ülzmir legte den Zeigefinger auf den Mund. Schorsch schlich die knarrenden Stufen hinauf. Ein glatzköpfiger Kerl wie ein Schrank stieß beinahe mit ihm zusammen, grüßte freundlich und überlaut:

»N’Abend, Herr Inspektor!«, rannte weiter.

Wenn der ihn erkannte, dann war er ja richtig hier. Sein Frust wegen Franz wurde vom Jagdfieber geschluckt, Schorsch pirschte sich an die Tür Nummer 5 heran. Minutenlang keinerlei Geräusch. Er drückte auf die Klingel.

Die Frau mit dem müden Gesicht schaute seinen Ausweis nicht an. Schorsch folgte ihr durch die Diele, sie schlurfte voran, öffnete eine Tür am Ende des schmalen Gangs, rief »Besuch!« und verschwand in ein anderes Zimmer.

Salzsäulen verschiedener Farbe saßen um einen Tisch, auf dem ein geblümtes Wachstuch lag.

Schorsch zeigte die Dienstmarke her. »Guten Abend, Polizei.«

Einer der Männer bewegte sich, wollte an ihm vorbei. »Sitzen bleiben, bis ich weiß, was hier los ist.«