Amandas Leidenschaft - Inge Zinßer - E-Book

Amandas Leidenschaft E-Book

Inge Zinßer

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Beschreibung

Kommissar Zondler und seine Freundin Jette haben ein Häusle in Hochdorf gekauft und sind am Renovieren. Das Leben könnte so schön sein – aber gegenüber wohnt Amanda Sülzle, eine frisch verwitwete Dame. Sie verliebt sich in Zondler und ist bereit, alles aus dem Weg zu räumen, was ein Hindernis darstellt – und das nicht zum ersten Mal. Während Amanda in ihrer Küche die ideale Giftmischung für ihre überaus leckeren Kuchen sucht, ermittelt Kommissar Zondler auf dem Reutlinger Friedhof. Denn bei einer Friedhofsmesse wurde in einem “Ausstellungsgrab” eine echte Leiche entdeckt. Zwischen Hausrenovierung, aufdringlicher Nachbarin und spannenden Ermittlungen kommt Kommissar Zondler selbst dem Krematoriumsfeuer ziemlich nah. Gut, dass seine Kollegen so aufmerksam sind.

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Inge Zinßer

67 Jahre alt, verheiratet, lebt in Hochdorf, einer kleinen Gemeinde im Kreis Esslingen. Bei der ausgebildeten Buchhändlerin darf der Lesevorrat und der für ihre sechs Enkelkinder nie ausgehen. Nach Grabsharing, Mordstour, D’Beißzang vom Filstal ist dies der vierte Krimi mit Kommissar Zondler. Näheres zur Autorin und ihre Lesetipps unter: www.allerleigeschichten.de.

Inge Zinßer

Amandas Leidenschaft

Ein Schwabenkrimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen.Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden.Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2021

Postfach 16 42 · 72706 Reutlingen

Alle Rechte vorbehalten.Titelbild: © Adobe Stock Foto

Gestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, Reutlingen

Lektorat: Bernd Weiler

Korrektorat: Sabine Tochtermann

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-96555-114-5

Besuchen Sie unsere Homepage und informieren Sie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

Nach einem wunderbaren Sonnenaufgang auf der Alb lag nun bereits wärmendes Licht über Hayingen und seinen Feldern und Wiesen. Es würde ein richtig schöner Sommertag werden. Jette Köhler atmete tief ein und aus und wandte das Gesicht der Sonne zu. Wie schön es hier doch war! Keine schlechte Luft, kein Verkehrslärm und vor allem dieser weite Himmel, der fast immer in Bewegung war. Hier nahm man das Wetter und seine Änderungen viel bewusster wahr.

Es war die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen, aus der Enge Stuttgarts hier heraufzuziehen, und den kleinen Buchladen in Hayingen zu pachten.

Glenn tollte über die bereits abgemähten Wiesen und kam mit dem Ball zurück, den sie für ihn geworfen hatte. Natürlich gefiel es ihm hier auch, in der Stadt wäre er fast nur eingesperrt gewesen. Als sie den Hund zu sich genommen hatte, war ihr die Verantwortung sehr bewusst gewesen.

Sicher wäre sein früheres Herrchen zufrieden, wie schön Glenn es immer noch hatte. Die beiden hatten ebenfalls in Hayingen gelebt. Bis der Homöopath zu Tode kam und sein Hund ein neues Zuhause brauchte. Rein zufällig verbrachten Jette und ihr Freund Zondler damals ihren Wanderurlaub in der Gegend und fanden die Leiche des Homöopathen. Und Zondler, der bei der Mordkommission arbeitete, wurde dann mit der Aufklärung des Falles beauftragt.

Jette pfiff und Glenn kam sofort zu ihr zurück, er war wirklich bestens erzogen.

Schnellen Schrittes liefen sie zurück ins Dorf. Es war an der Zeit, den Buchladen zu öffnen. Glenn zog sich ins obere Stockwerk in die Wohnung zurück und hielt dort ein ausgiebiges Morgenschläfchen.

Alles schien wie immer zu sein und Jette hatte noch keine Ahnung von der dunklen Wolke, die über ihr schwebte. Sie bediente einige Kunden, die ihre Bücher abholten oder bestellen wollten.

Gegen zehn kam der Postbote und brachte einen Stapel Werbung, Rechnungen und als Besonderheit einen Brief ihres Verpächters, der seit fast zwei Jahren in Friedrichshafen lebte und arbeitete. Was wollte der denn? Sie standen sowieso telefonisch in Kontakt, wenn es etwas zu bereden gab, was den Laden betraf. Gespannt riss Jette den Umschlag auf. Das war der Moment, in dem die schwarze Wolke sich zu bilden begann und nicht mehr aufhörte zu wachsen.

Sehr geehrte Frau Köhler, stand da. Seine privaten Umstände hätten sich grundlegend geändert, die langjährige Beziehung mit seiner Freundin sei zu Ende, er müsse ausziehen und auch die Arbeitsstelle in der Buchhandlung sei gekündigt. Kurzum: er komme wieder heim nach Hayingen und würde den Buchladen seiner Eltern wieder selbst führen. Es tue ihm sehr leid, dass er ihr solche Schwierigkeiten mache, aber dies sei leider nicht zu ändern. Er kündige hiermit den Pachtvertrag für den Laden und auch die Wohnung zum 1. Januar nächsten Jahres.

Jette ließ das Blatt fallen und musste sich erst einmal setzen. Gekündigt. Einfach so. Nachdem sie den Laden wieder richtig gut nach oben gebracht hatte, ganz zu schweigen davon, wie sehr sie Hayingen und die Umgebung liebte.

Wo sollte sie denn hin? Noch dazu mit dem großen Hund. Keine Arbeit, kein Dach mehr überm Kopf. Plötzlich kamen die Tränen und das sollte was heißen, denn Jette weinte fast nie.

So saß sie eine Weile, riss sich dann aber wieder zusammen, denn die Kundschaft sollte sie so nicht sehen. Den ganzen Tag grübelte sie aber in jeder freien Minute, was zu tun wäre. In der Mittagspause versuchte sie, Peter Zondler zu erreichen, aber im Büro bei der Kripo in Esslingen war ständig besetzt und auf dem Handy meldete er sich auch nicht. Himmel, wenn einmal etwas dringend war und sie ihn brauchte! Der Nachmittag zog sich dann endlos. Sie konnte es fast nicht erwarten, bis die Kirchturmuhr endlich sechs Uhr schlug und sie die Buchhandlung zuschließen konnte.

Gegen sieben erreichte sie dann endlich Peter. Er war soeben von der Dienststelle zurück und hatte sich ein kaltes Radler aus dem Kühlschrank aufgemacht. Betroffen hörte er zu und ließ sich den Brief vom Eigentümer vorlesen. Auch ihn machte die schlechte Nachricht mehr als nachdenklich.

»Arme Jette. Das ist ja echt saublöd, aber wenn er fristgerecht kündigt, wirst du kaum was dagegen machen können. Und jetzt? Was meinst du, wie es weitergeht?«

»Das wollte ich eigentlich dich fragen, Peter«, Jette hörte sich eindeutig sehr, sehr niedergeschlagen an.

»Also, wir haben jetzt August. Das heißt, du hast noch vier Monate Zeit, um etwas Neues zu finden. Die Frage ist nur, was und wo.«

»Eben. Du weißt, wie rar die Buchhändlerstellen sind. Ich will nicht mehr in die Stadt, es war so schön hier auf der Alb und in der Natur. Und was ist mit Glenn, der braucht auch seinen Auslauf. Und noch weiter weg von dir möchte ich auch nicht sein.«

»Dann lass uns nachdenken und am Wochenende besprechen wir alles ausführlich, okay? Bestimmt fällt uns etwas ein bis dahin, das muss sich erst mal setzen im Kopf. Wir finden eine Lösung, versprochen!«

Jette stimmte halbwegs getröstet zu. Nachdem sie ihre Sorgen ausgesprochen hatte, waren sie nicht mehr ganz so erdrückend. Und die schwarze Wolke zeigte schon mehrere graue Stellen. Sie redeten noch eine ganze Weile, auch über Alltägliches und Peter tat sein Möglichstes, um Jette aufzuheitern.

Am Freitagmorgen im Büro der Kriminalpolizei in Esslingen erzählte Zondler seinem Kollegen Aichele von der neusten Entwicklung in Hayingen. Sebastian Aichele kannte sowohl Jette als auch den hübschen kleinen Ort sehr gut von einem früheren Fall, den sie dort gemeinsam aufgeklärt hatten. Außerdem lebte und arbeitete auch seine Freundin Mila dort.

»Oje, das ist ein harter Schlag! Kann man da gar nichts machen? Das ist ja richtig übel, einfach so rausgesetzt zu werden.«

»Rechtlich wohl kaum, solange man die Vertragsfristen einhält. Der Besitzer ist ein netter Kerl, ich glaube nicht, dass er das ohne Not getan hätte. Aber es ist, wie es ist, jetzt muss eine Lösung her.«

»Am besten ihr heiratet und zieht zusammen«, schlug Aichele vor und grinste, »so eine richtig schöne Hochzeit mit Blumenkindern und du im schwarzen oder nachtblauen Anzug …«

»Da sind wir genau die Richtigen für so was, Jette wird mir was husten«, wiegelte Zondler ab.

»Aber warum denn? Denk doch mal praktisch. Ihr seid jetzt schon so lange zusammen und du musst auch mal überlegen, dass du irgendwann in Pension gehst. Es wäre doch nicht schlecht, Jette mit einer Heirat abzusichern oder? Es ist schlicht und einfach vernünftig!«

»Hmmm … hätte gar nicht gedacht, dass so ein junger Kerle so altmodisch über Ehe und Pensionsansprüche denkt«, grinste Zondler.

»Quatsch – altmodisch, das ist die Realität Peter, mach die Augen auf!«

»Ich werde drüber nachdenken, versprochen, und danke für den Rat.«

Und das tat er, die Idee geisterte den ganzen Tag über in seinem Kopf herum. Und am Samstagmorgen immer noch. Er brauchte sich nicht zu beeilen, denn Jette stand ja den ganzen Vormittag noch im Buchladen und hatte zu tun.

Kurz vor Mittag fuhr er dann nach Hayingen und statt zu kochen, lud er Jette ins Kreuz ein. In ihrer Stammwirtschaft war an einem Samstagmittag nicht viel los und sie bekamen einen ruhigen Ecktisch.

Bei Sauerbraten und Knödeln erzählten sie sich gegenseitig, was die Woche so alles passiert war. Beim Nachtisch kam dann das große Thema Buchladen auf den Tisch.

»Also, fassen wir mal zusammen: Dein Vertrag läuft noch bis zum Ende des Jahres, dann musst du sowohl den Laden zurückgeben, als auch aus deiner Wohnung ausziehen. Und in Hayingen und Umgebung wird es schwer sein, eine neue Stelle für dich zu finden«, sagte Peter Zondler.

»Und Buchhändler braucht es immer weniger, das ist so. Dazu kommt, dass ich nicht mehr die Jüngste bin und zudem teurer als eine junge Hilfskraft. Ich könnte mich Richtung Riedlingen oder Biberach orientieren, aber ehrlich, große Lust hab ich nicht, jeden Tag mit dem Auto über die Alb zu fahren.«

»Dann musst du wohl doch wieder runter ins Tal, Jette. Es muss ja nicht gleich mitten in die Stadt sein. Ich habe ziemlich lange nachgedacht. Überleg dir doch mal in Ruhe, ob wir uns gemeinsam was suchen sollen. Wir kennen uns schon lange genug, ich wäre sehr glücklich, dich immer bei mir zu haben. Was meinst du?«, fragte Peter Zondler und schaute Jette erwartungsvoll an.

Jettes Hirn arbeitete fieberhaft. In diese Richtung hatte sie noch gar nicht gedacht, selbstständig wie sie war, legte sie seit jeher Wert auf Unabhängigkeit. Aber vernünftig besehen, war das vielleicht gar keine so dumme Idee. Sie würden jede Menge Zeit sparen, das lästige Hin- und Herfahren fiele weg. Es war zwar einerseits entspannend, eine Stunde unterwegs zu sein, aber schon wegen des Spritverbrauchs war es höchst unwirtschaftlich. Und sie würden sich jeden Tag sehen, einen ganz normalen Alltag leben, wie andere Paare. Könnte das gut gehen? Sie war ein gebranntes Kind und ging nicht leichtfertig auf zu viel Nähe ein. Aber Peter war Peter und nicht wie ihr früherer Freund, der sie sehr verletzt hatte. Ihre regelmäßig wiederkehrende Depression hatte sie die letzten zwei Jahre sehr gut in den Griff bekommen. Nur wenn zu viel auf sie einstürmte, dann fühlte sie sich erneut verunsichert und verloren. Die Kündigung des Buchladens hatte sie deshalb in helle Panik versetzt. Sah es nicht wie eine Flucht in ein gemachtes Nest aus, wenn sie mit ihm zusammenzog? War es richtig, sich auf Peter einzulassen, was für sie zu einer gewissen Abhängigkeit führen würde? Ja, beschloss Jette, es wird gut gehen!

Noch etwas zögerlich sagte sie: »Also gut, probieren wir’s. Aber du weißt schon, dass ich nicht immer einfach auszuhalten bin?«

Zondler war gar nicht auf eine solche spontane Zusage vorbereitet, aber es freute ihn doch sehr.

»Ach Jette, du wirst sehen, es wird uns so richtig gut gehen! Dann brauchst du auch keine Angst zu haben, dass du obdachlos wirst. Wenn wir so schnell nichts Passendes finden, dann ziehst du erst einmal zu mir nach Stuttgart. Wir werden nichts überstürzen und das perfekte Nest für uns finden! Und wenn’s nicht gleich mit einer neuen Arbeit klappt, das ist auch egal.«

»Ja, ja, du wirst mich dann halt die nächsten zwanzig Jahre durchfüttern müssen«, unkte Jette nur so halb im Spaß, denn die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz machte ihr wirklich Kummer.

»Und wenn schon, mein Gehalt reicht gut für uns zwei, ich seh’ da überhaupt kein Problem und du musst bitte keins draus machen. Und apropos Durchfüttern – wie wär’s mit Nachtisch und einem Kaffee?«

»Du bist lieb, Peter. Trotzdem hoffe ich, was Neues zu finden, sonst geht mein Selbstbewusstsein in den Keller. Was den Nachtisch betrifft, für mich nicht, ich platze gleich, aber ein Espresso passt noch rein.«

»Wir werden ab sofort auf die Suche nach einer Immobilie gehen, egal was, Hauptsache schön zu wohnen. Irgendwo um Stuttgart rum, halbwegs verkehrsgünstig und mit viel Natur für dich und Glenn.«

Übers Wochenende machten sie sich gleich an die Arbeit und durchforsteten das Internet nach Wohnungen und Häusern im Großraum Stuttgart. Das war allerdings ziemlich frustrierend. Es gab nicht viel im Angebot und was es gab, war entweder viel zu teuer oder eine Bruchbude zum Renovieren. Oder eine Art Hühnerstall mit null Platz für einen Hund zusätzlich.

Aber sie waren ja erst am Anfang, so viel Glück, sofort etwas zu finden, konnte man gar nicht haben. Das Wochenende verlief trotzdem harmonisch und sie waren fleißig am Pläne schmieden. Jette fand ihre innere Ruhe wieder und sah nicht mehr ganz so schwarz.

Am Montagmorgen saßen Zondler und Aichele im Büro, vertieft in Akten, Zeugenaussagen, allgemeinen Schreibkram, als das Telefon läutete. Froh über die Unterbrechung griff Zondler nach dem Hörer.

»Kommissariat Esslingen, Hauptkommissar Zondler«, meldete er sich ganz professionell.

»Wo? Ein Toter sagen Sie, und die Lage ist unklar. Und eine weitere Person ist ins Krankenhaus eingeliefert worden? Gut, alles soweit klar, wir kommen.«

Er legte auf und wandte sich an den Kollegen Aichele.

»Auf, auf, Schluss mit dem lästigen Verwaltungskram, wir haben vielleicht einen Fall!«

Aichele seufzte erleichtert und stand nur zu gerne auf. Sie setzten sich beide in Bewegung und gingen die Treppe zur Tiefgarage hinunter. Dort stand der alte Dienstpassat, der sicher schon fast so viele Dienstjahre auf dem Motor hatte wie Zondler auf dem Buckel, und immer noch tadellos funktionierte. Von ein bisschen Rost abgesehen. Genau wie bei Zondler auch. Etwas stotternd erwachte dieser zum Leben, als er den Schlüssel drehte. Der Passat, nicht der Zondler.

Unterwegs setzte er Aichele von dem Telefonat in Kenntnis. Viel war das nicht. Die zuständige Polizeidienststelle habe einen Notruf aus Hochdorf erhalten. Als sie dort eintrafen, fanden sie eine männliche Leiche im Bad. Weiterhin eine Frau in der Diele, die kaum noch ansprechbar gewesen sei. Bis jetzt sei nicht klar, was dort passiert sei, keine Spur von Blut oder einem Gewaltverbrechen.

»Hört sich spannend an, was?«, Aichele freute sich richtiggehend auf ein neues Rätsel.

In Hochdorf kannten sich die beiden Kriminalbeamten ganz gut aus, denn sie hatten dort vor einiger Zeit einmal zu tun gehabt. Es war eine kleinere Gemeinde am Rande des Landkreises Esslingen, idyllisch von Streuobstwiesen umgeben, aber auch von hohen Strommasten eingekesselt. Die neu Hinzugezogenen sagten, es sei wunderbar ländlich, die Alteingesessenen meinten, es sei älles nimme dees, viel zu viel zugebaut und man kenne die meisten Leute nicht mehr. Recht hatten wohl beide.

Die angegebene Straße befand sich am Ortsende und sie konnten schon von Weitem ein blinkendes Einsatzfahrzeug sehen, das vor dem allerletzten Haus am rechten Straßenrand stand.

Sie stellten den Passat dahinter ab und gingen über den Kiesweg zu dem in den Garten gerückten kleineren Gebäude. Es war gepflegt, sah aber seeelenlos aus. Ein Eindruck, den der fantasielose Vorgarten noch verstärkte, der fast nur aus langweiligen Bodendeckern bestand. Die Haustür war weit geöffnet und ihm Rahmen stand ein Polizist, der bereits auf sie wartete.

»Hallo Kollege, also was gibt es hier?«, fragte Zondler, nachdem sie sich vorgestellt hatten.

»Das ist allerdings ziemlich mysteriös. Wir wurden vor circa einer Stunde angerufen. Eine Frauenstimme, kaum zu verstehen, die um Hilfe rief. Wir bekamen grade noch die Adresse gesagt und dann hörten wir nichts mehr, außer sehr unregelmäßiges Atmen. Also bestellten wir sofort den Notarzt und setzten uns in Bewegung. Als wir hier ankamen, stand die Haustür offen. Dahinter lag eine Frau, schwer nach Atem ringend und offensichtlich bewusstlos. Der Notarzt traf kurz nach uns ein und kümmerte sich um sie. Erst nach einer ganzen Weile begannen wir, uns im Haus umzusehen. Im Bad stießen wir dann auf den Körper eines Mannes, der zusammengekrümmt vor der Toilettenschüssel lag. Eindeutig tot. Er liegt übrigens noch immer dort, wir haben nichts angerührt.«

»Das will ich hoffen. Warum haben Sie so spät das Haus durchsucht, vielleicht wäre der Mann noch zu retten gewesen?«

»Eher nicht, der Arzt meinte, er wäre schon seit ein paar Stunden tot. Gott sei Dank müssen wir uns da nichts vorwerfen.«

»Was ist mit der Frau? Lebt sie noch?«, fragte Aichele

»Bis jetzt schon, der Notarzt hat sie mitgenommen nach Nürtingen. Mehr wissen wir nicht, keine Ahnung, was hier vorgefallen ist. Ich zeig Ihnen jetzt das Bad, in Ordnung?«, endete der junge Polizist und führte sie weiter ins Haus und einen Stock höher vor die Badezimmertür.

Aichele und Zondler blieben an der Türe stehen, um keine Spuren zu verwischen. Kein Zweifel, der ältere Mann sah sehr tot aus. Sein Gesicht war bläulich verfärbt wie in Krämpfen und zudem hatte er Schaum vor dem Mund. Er lag mit dem Kopf in einer Pfütze aus Erbrochenem.

Zondler wurde fast sofort übel, denn dies gehörte zu den Dingen, die er noch weniger ansehen konnte als Blut. Mühsam riss er sich zusammen.

»Oje, der sieht nicht gut aus. Aichele ruf die Spurensicherung, die müssen sich das anschauen. Und den Holzinger natürlich auch.«

Aichele nickte und tat wie ihm geheißen. Vom Alter her war der Rechtsmediziner Holzinger bereits seit gut einem Jahr in Pension. Aber da Personalmangel herrschte und die ungeklärten Todesfälle mehr anstatt weniger wurden, arbeitete er immer noch. Und zwar voller Freude, denn die Pathologie war seine Leidenschaft. Der Umgang mit den Kollegen von der Polizei war angenehm und manchmal auch sehr lustig. An den Studenten, die seine Katakomben zu Lernzwecken aufsuchen mussten, hatte er auch immer seine Freude. Was sollte er denn daheim rumsitzen, im Garten arbeiten oder irgendwo in der Gegend rumgondeln? Seine Frau war zwar anderer Ansicht, aber insgeheim war auch sie erleichtert, dass er ihr unter den Füßen weg war.

Holzinger vernahm den Ruf zum Tatort also sehr gerne und war voller Tatendrang. Das Team der Spurensicherung holte ihn auf dem Parkplatz der Rechtsmedizin ab und nach einem halben Stündchen trafen sie bereits in Hochdorf ein.

»Grüß Gott die Herren, na, was habt ihr denn diesmal? Ach, ich seh schon – ich wette, das ist eine Vergiftung!«, sagte er, nachdem er nur einen kurzen Blick über die Schwelle des Badezimmers zum Toten geworfen hatte.

Dann zog er einen Overall und Überschuhe an und ging hinein um die Leiche näher anzuschauen.

Auch die Spusi bereitete sich auf ihre Arbeit vor. Zondler und Aichele waren hier momentan überflüssig und gingen hinunter ins Wohnzimmer.

»Dann schauen wir mal, mit wem wir es überhaupt zu tun haben«, sagte Zondler.

Sie sahen sich in der Wohnung um, entdeckten in der Diele eine Ablage, auf der einige Papiere und Briefe lagen, mit der Adresse der Hausbewohner. In der Küche fanden sie ein Portemonnaie mit Ausweis, ausgestellt auf Amanda Sülzle.

»Da haben wir den Namen der Frau. Adresse stimmt, geboren ist sie im August 1965. Und die Briefe sind hauptsächlich adressiert an Eberhard Sülze, das ist dann sicherlich unser Toter«, meinte Aichele und Zondler nickte.

»So wird’s sein. Schick die Daten mal ans Präsidium, die sollen nachschauen, ob wir was über sie haben. Und auch die Angehörigen rausfinden.«

Aichele nahm das Smartphone zur Hand und telefonierte mit Frau Wiesner im Büro. Die würde alles schnell und gut erledigen wie immer, auf ihre Perle war Verlass. Holzinger war inzwischen fertig mit seiner ersten Leichenschau und kam die Treppe runter.

»Also liebe Ermittler, das schaut absolut nach einer Vergiftung aus. Was es genau war, kann ich noch nicht sagen, ich hab mal was von dem Erbrochenen eingepackt. Was ist los Zondler, Sie werden mir ja fast so grün im Gesicht wie der da oben?«

»Mir ist grad net so gut, ich hab’s nicht so mit Mageninhalten«, gab dieser schmallippig zu.

Holzinger wusste um die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen und wechselte schnell das Thema.

»Wird schon wieder, Zondler, machen Sie sich nichts draus. Also wir nehmen die Leiche jetzt mit ins Institut. Was ist mit der Frau, wissen Sie da schon was?«

»Nein, bis jetzt nicht. Am besten, wir fahren in der Klinik vorbei und geben dann Bescheid, oder?«, sagte Aichele.

Holzinger nickte und auch Zondler fand das eine gute Idee. Hauptsache er kam schnell hier raus an die frische Luft.

Vor der Türe brauchte er noch ein paar Minuten, bevor er ins Auto steigen konnte.

»Wie hältst du das bloß aus, Aichele, schlägt dir das nie auf den Magen? Bei mir wird das immer schlimmer mit dem Alter, keine Ahnung warum, ich werde noch zur Mimose. Meinst du, das ist ein Grund für Berufsunfähigkeit und Frühpensionierung?«

»Mach dir da bloß keine falschen Hoffnungen, Peter. Die versetzen dich höchstens in den Innendienst und dann darfst du nur noch Papiere ausfüllen, die riechen nicht.«

»Bloß das nicht! Dann muss ich wohl noch eine Weile durchhalten.«

Inzwischen hatte sich sein Magen wieder beruhigt und er stieg ins Auto.

»Also los, fahren wir nach Nürtingen.«

In der Notaufnahme wurde ihnen gesagt, die eingelieferte Frau werde noch untersucht, sie sollten sich so lange in den Wartebereich setzen. Es werde dann jemand zu ihnen kommen.

Das dauerte und dauerte. Nach fast einer Stunde kam endlich ein Arzt, ließ sich ihre Ausweise zeigen und führte sie dann in ein Untersuchungszimmer.

»Die Frau hat einen anaphylaktischen Schock erlitten aufgrund einer Vergiftung. Es handelt sich wohl um Pilze, jedenfalls konnten wir Reste davon in ihrem Mageninhalt feststellen.«

Zondler wurde schon wieder leicht übel.

»Was heißt denn das, wird sie überleben?«, fragte Aichele nach.

»Ja, sie wird es wohl schaffen, ich denke, es war eine relativ kleine Pilzmenge und sie wurde noch rechtzeitig gefunden. Wir haben ihr ein Antidot verabreicht, sodass das Gift nicht in die Leber eindringen kann.«

»Wir haben ihren Mann auch im Haus gefunden, leider kam jede Hilfe zu spät. Unser Rechtsmediziner hat ihn mitgenommen. Und auch einen Teil des Erbrochenen, ich meine nur, falls Sie davon was brauchen sollten zur Klärung. Wir nehmen an, er wird die gleiche Diagnose stellen wie Sie?«

»Das ist anzunehmen. Vielleicht hat er eine größere Portion gegessen oder seine Konstitution war schlechter. Sehr bedauerlich für ihn. Ihre Patientin haben wir auf Station gebracht, sie ist allerdings sehr schwach, besser, Sie lassen sie schlafen und befragen sie erst morgen.«

»Vielen Dank Herr Doktor … Kühn«, setzte Zondler nach einem kurzen Blick auf das Namensschild am Kittel des Arztes noch nach.

»Das werden wird tun, auf Wiedersehen.«

Aichele und Zondler wandten sich zum Ausgang.

»Sieht so aus, als ob es doch kein Fall für uns ist, was? Pilzvergiftung durch Unachtsamkeit.«

»Höchstens, wenn einer den andern umbringen wollte«, grummelte Zondler vor sich hin.

Am Abend telefonierte Zondler mit Jette.

»In nächster Zeit möchte ich bitte keine Pilzgerichte essen, darauf ist mir heut gründlich der Appetit vergangen. Scheint eine gefährliche Sache zu sein.«

Und er erzählte ihr von dem neuen Fall, der wohl doch keiner werden würde.

»Morgen fahren der Aichele und ich noch mal ins Krankenhaus und befragen die Frau. Sie wird uns wohl genauer sagen können, wie das zugegangen ist.«

Frau Sülzle lag noch etwas blass im Bett, als die beiden Kriminalbeamten am nächsten Tag das Krankenzimmer betraten. Sie war eine Frau in den Fünfzigern, auffällig rotes Haar, mit Silberfäden durchzogen. Sehr viel mehr war nicht von ihr zu sehen, denn sie hatte die Decke bis über den Hals hochgezogen und wirkte insgesamt recht erschöpft.

»Guten Morgen, Frau Sülzle, mein Name ist Peter Zondler und das ist Herr Aichele. Wir sind von der Kriminalpolizei Esslingen und wurden gestern in Ihr Haus gerufen, weil ein Kollege von uns Sie bewusstlos in Ihrem Haus entdeckt hat.«

Frau Sülzle nickte kraftlos mit halb geschlossenen Augen.

»Mein Mann …«, sagte sie leise.

»Leider müssen wir Ihnen sagen, dass wir ihn tot im Badezimmer gefunden haben. Es war wohl zu spät, er hat es nicht geschafft. Es tut uns sehr leid.«

Die Frau im Bett schloss die Augen ganz und drehte den Kopf zur Seite. Alle schwiegen.

Nach einer ganzen Weile sagte Aichele:

»Aber Sie können uns sicher helfen, Frau Sülzle, und uns erzählen, wie es zu diesem schlimmen Unglück gekommen ist. Es ist wichtig, damit wir ein Verbrechen ausschließen können.«

Erschrocken riss Frau Sülzle die Augen auf.

»Ein Verbrechen, um Gottes willen, nein! Mein armer Mann! Natürlich erzähle ich Ihnen alles!«

Stockend und mit einigen Pausen fing sie an zu sprechen.

»Vorgestern Abend hab ich für uns gekocht. Semmelknödel mit Rahmpilzen, wir mögen das beide sehr gern. Und haben mit gutem Appetit gegessen. Das heißt, ich nicht viel, weil mir schon den ganzen Tag nicht so gut war. Aber ihm hat’s geschmeckt wie immer. In der Nacht hab ich dann meinen Mann gehört, als er zur Toilette ging, mir aber nichts dabei gedacht. Seit er älter ist, muss er nachts oft raus, sie wissen schon, die Prostata.«

Zondler nickte wissend, Aichele nicht.

»Ich war wohl sehr müde, jedenfalls bin ich gleich wieder eingeschlafen und hab nichts mehr gehört. Am nächsten Morgen lag er nicht neben mir, aber ich dachte, er sei schon aufgestanden. Er steht immer sehr zeitig auf. Mir war gar nicht gut, ich hatte Bauchschmerzen und Schwindelgefühle, irgendwas war gar nicht in Ordnung. Ich bin zum Bad gegangen und dann, und dann hab ich ihn da liegen sehen. O Gott, es war einfach furchtbar!«

Sie schlug die Hände vors Gesicht und konnte nicht weitersprechen, es schüttelte sie richtiggehend.

Die Männer ließen ihr Zeit, sich wieder zu fassen.

»Wie ging es dann weiter, Frau Sülzle?«, fragte Zondler nach einigen Minuten.

»Mir war furchtbar übel, ich musste mich auch erbrechen und mein Kreislauf war total durcheinander. Irgendwie schleppte ich mich ins Erdgeschoss und rief den Notruf. Zur Haustür bin ich auch noch gekommen und hab sie geöffnet. Dann bin ich umgefallen und weiß nichts mehr. Erst hier im Krankenhaus bin ich wieder zu mir gekommen.«

»Sie hatten großes Glück Frau Sülzle, dass Sie noch anrufen konnten, und dass schnell jemand kam.«

»Glück? Ja. Aber mein Mann …«, sie fing an zu weinen und die Männer standen hilflos daneben.

»Eine Frage habe ich noch, Frau Sülzle«, durchbrach Aichele das Schluchzen, »woher stammten denn die Pilze, die sie gekocht haben?«

»Die haben wir selbst gesammelt, mein Mann und ich. Wir kennen uns aus, das machen wir schon immer und es ist noch nie etwas passiert.«

»Das ist sehr tragisch. Wir lassen Sie jetzt alleine, damit Sie sich ausruhen können. Auf Wiedersehen und gute Besserung, Frau Sülzle.«

Amanda Sülzle nickte matt und drehte sich auf die Seite. Die beiden Kommissare standen auf und verließen leise das Krankenzimmer.

»Selbst gesammelt, oweia, so gut waren die Kenntnisse dann doch nicht, was Aichele?«, sagte Zondler draußen vor der Tür des Krankenzimmers.

»Scheint so, ich würde mich das eh nicht getrauen, ich kann grade noch einen Pfifferling von einem Champignon unterscheiden. Wenn’s mal Pilze gibt, dann sind die aus dem Supermarkt. Meine Oma hat uns früher oft mitgenommen in den Wald zum Sammeln, aber ich hab das alles vergessen und gehe lieber kein Risiko ein.«

»Wir fahren noch mal nach Hochdorf und schauen uns im Haus um, vielleicht liegen da noch mehr von den giftigen Pilzen rum, da muss man sicher mal aufräumen«, meinte Zondler abschließend.

Unterwegs erhielten sie einen Anruf von Frau Wiesner.

»Also: die Sülzles sind erst seit drei Jahren verheiratet, sie ist fast zwanzig Jahre jünger als ihr Mann. Kinder gibt es auf beiden Seiten keine, auch sonst keine näheren Angehörigen. Anscheinend waren sie gut situiert, der Mann pensionierter Beamter, die Frau ging keiner Arbeit nach. Früher war sie wohl Verkäuferin in einem Modegeschäft. Sonst nichts, zwei unbeschriebene Blätter.«

»Danke Frau Wiesner, schnell und ausführlich wie immer«, sagte Aichele.

»Und wie immer gerne!«, lächelte Frau Wiesner durchs Telefon.

Inzwischen hatten sie ihr Ziel erreicht und standen vor dem Haus der Sülzles. Zondler hatte den Hausschlüssel in der Tasche und öffnete die Türe, nachdem er das polizeiliche Siegel vorher entfernt hatte. Es war unbeschädigt, wie nicht anders zu erwarten gewesen war.

Sie betraten den Flur und gingen von dort Richtung Küche weiter. Zondler nahm sich den Kühlschrank noch einmal gründlich vor und Aichele durchsuchte einen kleinen Nebenraum, der als Speisekammer diente.

»Nichts zu finden hier, Aichele, und bei dir?«, tönte es aus dem offenen Kühlschrank.

»Hier stehen einige Schraubgläser mit getrockneten Pilzen. Die nehmen wir auf jeden Fall mit, die soll sich das Labor mal anschauen. Sonst nichts.«

Sie sahen noch im Keller nach, im Gefrierschrank und auch im Gartenhäuschen. Nirgends sonst waren Pilze aufbewahrt.

»Dann sind wir schon fertig. Es war wohl eine einmalige Mahlzeit, wirklich blöd gelaufen. Lass uns abhauen.«

Beim Abschließen des Hauses fiel Zondler auf der anderen Straßenseite ein kleines, eingewachsenes Häuschen auf, das sicher seit längerer Zeit unbewohnt war.

»Ich muss da mal kurz rüber, Aichele, das Häusle sieht nett aus, findest du nicht auch?«

Beide Männer wechselten die Straßenseite und schauten neugierig über den Gartenzaun auf das verwilderte Grundstück. Der alte Holzzaun war ganz eingewachsen mit wilden Brombeeren und anderen Gewächsen. Die Gartentür hing schief in den Angeln und der Briefkasten daran war total verrostet.

»Das hat schon was, vor allem viel Arbeit. Aber stimmt, irgendwie strahlt es was Besonderes aus. Wärst du interessiert? Für dich und Jette?«, nun grinste Aichele übers ganze Gesicht, »ich hör also doch schon die Hochzeitsglocken läuten …«

»Du bist doch ein Depp! Nein, aber zusammenziehen werden wir wohl, und wir suchen was ein wenig außerhalb, wegen Glenn. Und Jette will sowieso Natur um sich. Ich kann ja mal auf der Gemeinde fragen, ob die etwas über das Haus wissen.«

»Du kannst auch Frau Sülzle fragen, schließlich ist sie Nachbarin«, warf Aichele noch ein.

»Mach ich, das ist eine gute Idee«, meinte Zondler und ging zum Auto.

Peter Zondler erzählte Jette noch nichts von seiner Entdeckung. Erst wollte er wissen, ob das Haus überhaupt verkauft würde. Am nächsten Morgen fuhr er noch einmal alleine ins Krankenhaus zu Frau Sülzle. Offiziell, um ihr den Schlüssel vorbei zu bringen, inoffiziell wollte er sie aber ausfragen.

Sie wurde gerade entlassen und war fast dabei, die Klinik zu verlassen. Zondler bot sich an, sie heimzufahren, was dankbar angenommen wurde. Nichts erinnerte mehr an die Frau von gestern, die elend und krank im Bett gelegen hatte. Frau Sülzle lächelte ihn überaus freundlich an, hängte sich bei ihm ein und ließ sich so zum Auto führen. Das war fast ein wenig zu viel des Guten, aber Zondler traute sich nicht, sich aus der Umklammerung zu befreien.

Den ganzen Weg über redete die Frau dann davon, wie schön und lieb es von ihm sei, sie abzuholen. Nun müsse sie doch nicht ganz alleine in das leere kalte Haus zurückkehren. Zondler sagte nicht viel, er konzentrierte sich sehr aufs Fahren. Als sie vorm Haus hielten und ausgestiegen waren, dachte er, der richtige Moment sei gekommen.

»Was ich Sie fragen wollte, Frau Sülzle, das Haus da gegenüber mit dem verwilderten Garten. Wohnt da jemand?«

»Nein, schon über drei Jahre nicht mehr, es hat der alten Frau Hämmerle gehört, die ist dort drin gestorben. Seither passiert nichts. Es gehört einem Neffen, der in England lebt, aber der braucht das wohl nicht, sonst wär schon längst was damit geschehen.«

»Könnten Sie mir sagen, wie er heißt und wo ich ihn erreiche?«

»Nein, ich hab keine Adresse. Aber weshalb? Sind Sie etwa interessiert an dem alten Hexenhaus? Das würde mich ja ungemein freuen, Sie als Nachbarn zu haben!«

Frau Sülzle schaute ihn intensiv an, lächelte leicht und strich sich die Haare hinters Ohr.

»Vielleicht, mal sehen. Meine Lebensgefährtin und ich suchen ein neues Zuhause. Danke, dann frage ich am besten auf der Gemeinde nach. Ihre Pilze aus der Vorratskammer haben wir mitgenommen, die werden im Labor untersucht, wenn nichts damit ist, bekommen Sie sie natürlich wieder.«

»Werfen Sie das Zeug bloß weg! Ich esse nie mehr im Leben Pilze! Danke, dass Sie mich hergebracht haben. In nächster Zeit werde ich einiges zu regeln haben, erst einmal die Beisetzung meines Mannes. Ach ja, es ist nicht leicht«, meinte Frau Sülzle und verzog das Gesicht. Zondler war sich sicher, dass sie demnächst anfangen würde zu weinen. Er fühlte sich nicht imstande, sie großartig zu trösten. Lieber schauen, dass er weg kam, bevor sie sich an seine Brust warf.

»Bestimmt nicht. Alles Gute Ihnen und auf Wiedersehen«, sagte Zondler. Dann stieg er zügig ins Auto und beschloss, sofort am Rathaus vorbeizufahren, wenn er schon hier war.

Amanda Sülzle sah ihm lange nach und es gingen ihr ganz neue Gedanken durch den Kopf. Das Bild ihres verstorbenen Ehemanns wurde immer undeutlicher, er schien sich von ihr zu entfernen und im Nebel zu verschwinden. Gleichzeitig wurde sein Bild von einem neuen Mann überdeckt – Kommissar Zondler. Amanda Sülzle genoss dieses Gefühl und eine neue Wärme breitete sich in ihr aus. Sie lächelte versonnen, schloss dann ihre Haustür auf und verschwand im Inneren des Hauses.

Glücklicherweise war das Rathaus heute geöffnet und Zondler bekam auch Auskunft. Wie Frau Sülzle gesagt hatte, war ein entfernt lebender Neffe zuständig und er bekam sogar die Adresse, was er sicher nur seinem Status als Kriminalbeamter zu verdanken hatte. Datenschutz hin oder her. Immerhin hatte er nun eine Telefonnummer. Kaum war er zurück in Esslingen, wählte er diese und hatte schon wieder Glück.

Der Mann am Telefon wusste erst nicht so recht um was es ging, erst, als er den Namen seiner Tante, der Frau Hämmerle, erwähnte, wurde ihm klar, dass es um das alte Haus ging.

»Das habe ich geerbt vor einer ganzen Weile, stimmt. Wenn ich nur Zeit hätte, mich darum zu kümmern. Ich lebe in England, wissen Sie, und ehrlich gesagt, ist mir das fast schon lästig, ich glaube auch, dass es nicht allzu gut in Schuss ist. Bestimmt war ich schon zwanzig Jahre nicht mehr dort. Meine Tante hatte zu mir kein nahes Verhältnis oder umgekehrt, ist aber doch immerhin nett, mir das Ganze zu vererben.«

»Würden Sie es in Erwägung ziehen, mir das Haus zu verkaufen?«, fragte Zondler nun ganz direkt.

Herr Schindele am anderen Ende schwieg. Nach einiger Zeit kam die Frage:

»Sie hätten Interesse?«

»Prinzipiell ja. Ich suche für meine Lebensgefährtin und mich ein neues Heim mit etwas Natur – und die gibt es dort wirklich. Allerdings müssten wir das Haus natürlich erst einmal anschauen, bis jetzt habe ich es nur vom Gartenzaun her gesehen.«

»Das ließe sich sicher irgendwie machen«, sagte Herr Schindele.

Es wurde beschlossen, dass er die Schlüssel zu einem alten Freund in Hochdorf schicken würde und der könne dann zusammen mit Zondler das Haus besichtigen. Sie tauschten noch ihre E-Mail-Adressen nebst Handynummern, und Peter Zondler hatte den Eindruck, dass es gar nicht so schlecht gelaufen war.

Im Laufe des Tages erreichte ihn dann eine E-Mail mit der Adresse des Freundes von Herrn Schindele, der versprach, sich zu melden, sobald er den Hausschlüssel habe. Das ging ja fix, dachte Zondler bei sich und freute sich. Sollte er Jette schon davon erzählen? Noch nicht, erst wenn ich den Schlüssel habe, beschloss er.

Dann kam eine Nachricht aus dem Labor. Die getrockneten Pilze aus dem Hause Sülzle seien alle miteinander unverdächtig. Das war beruhigend und er wies den Laboranten an, die Pilze zu vernichten, da Frau Sülzle der Appetit darauf verständlicherweise vergangen sei. Oder sie könnten sich auch gerne ein Pilzragout damit kochen im Labor. Der Vorschlag stieß allerdings nicht auf große Begeisterung.

Zondler war in seine Akten vertieft, als Holzinger um die Mittagszeit ins Büro geschlendert kam und fragte, ob er Lust habe, mit ihm in die Kantine zum Essen zu gehen. Es gab Gaisburger Marsch und beide schätzten den Eintopf seit jeher. Für Schwaben ist das so eine Art Grundnahrungsmittel, das es einmal die Woche gibt, vorzugsweise am Samstag. Und zwar deshalb, weil die Suppe alleine vor sich hinköcheln kann, solange man die Kehrwoche macht. Beim Schlürfen der heißen Brühe meinte Holzinger:

»Euer Pilzopfer kann ich freigeben, mit dem bin ich fertig. Es waren eindeutig giftige Pilze, ich hab den Kahlen Krempling nachgewiesen. Der ist wirklich extrem giftig. Allerdings ist mir ein Rätsel, wieso die Ehefrau viel schwächere Symptome hatte, wenn sie doch gekocht hatte und die beiden zusammen gegessen haben.«