Der Fall des Stalkers - Inge ZInßer - E-Book

Der Fall des Stalkers E-Book

Inge Zinßer

0,0

Beschreibung

Wie hatte sie nur so blöd sein können? Warum hatte sie nicht gemerkt, dass er sie beobachtete? Zwei Männer waren tot und sie war in ihrem eigenen Keller eingesperrt. Bald würde er wiederkommen. Was kam dann? Was würde er mit ihr machen? Wie sollte sie sich verhalten? Diese Fragen rauschten ihr durch den Kopf. Hauptkommissar Zondler tappt mit seinem Kollegen Aichele im Dunkeln. Keine Spuren, keine Verdächtigen und keine erkennbare Verbindung zwischen den Opfern. Am Ende sorgt ein fataler Fehltritt des Mörders für eine recht einfache Lösung des Falls.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 235

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Autorin

Inge Zinßer

ist 1954 geboren, verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und sechs Enkelkinder. Viele Jahre war sie als Buchhändlerin tätig. Ein sehr bewegtes, turbulentes Leben, aus dem sie immer wieder kleine Episoden für ihre Bücher verwenden kann. Vor allem das Thema Friedhof beschäftigt die Autorin, da ihr Mann lange in diesem Bereich gearbeitet hat. Ihr erster Regionalkrimi heißt »Grabsharing« – mit diesem neuen Krimi erscheint bereits der sechste Band, stets mit Kommissar Zondler und seinem Kollegen Aichele, sowie Zondlers Freundin Jette. Näheres zur Autorin und ihre Lesetipps unter:www.allerleigeschichten.de.

Titel

Inge Zinßer

DER FALL DES STALKERS

Krimi

Oertel+Spörer

Impressum

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen.Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden.Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2025Postfach 16 42 · 72706 ReutlingenAlle Rechte vorbehalten.Titelfoto: © ChatGPTGestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, ReutlingenLektorat: Bernd WeilerKorrektorat: Sabine TochtermannSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-96555-219-7

Besuchen Sie unsere Homepage und informieren Sie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

Noch hing der Nebel über dem kleinen Fluss Fils, aber die ersten Sonnenstrahlen kämpften sich bereits durch und es versprach, ein warmer Spätsommertag zu werden. Ein Stück die Straße hinauf sah man geradeso den glitzernden Kirchturm von Hochdorf aus dem Nebel ragen. Die Landstraße war ziemlich leer, die Pendler, die sich jeden Tag hier in Richtung Stuttgart einreihten, waren noch nicht unterwegs. Etwas abseits, am Bach unten, war dagegen reger Betrieb. Einige Polizeiautos standen dort, auch ein weißer Bus der Kriminaltechnischen Untersuchung. Mehrere Menschen liefen geschäftig hin und her und das Gelände war abgesperrt. Ein gutes Stück entfernt saß Hauptkommissar Peter Zondler, konzentriert ein- und ausatmend, auf einem Grenzstein am Feldweg zwischen Hochdorf und Reichenbach. Es ging ihm nicht gut, der Anruf der Mordkommission am frühen Morgen und der Tatort hatten ihm diesmal noch mehr auf den Magen geschlagen als sonst. Nicht nur das, seine Gedanken fuhren Karussell, er fragte sich, was er hier eigentlich machte und ob das wirklich das Leben war, wie er es sich vorstellte. Aber für derlei tiefgründiges in sich gehen war jetzt keine Zeit, er musste zusehen, dass seine Übelkeit verging, damit er seine Arbeit machen konnte. Etwa hundert Meter die kleine Böschung hoch verlief die Landstraße nach Plochingen. Immer wieder hörte er Autos vorbeifahren, der Verkehr nahm zu, die Menschen waren nun wach und unterwegs in ihren Alltag. Zondler achtete nicht weiter auf die Verkehrsgeräusche, er konzentrierte sich voll und ganz auf seine Atmung und versuchte alles andere auszublenden. Vor allem das Bild, das sich ihm vorhin ein Stück Richtung Bach geboten hatte. Blut, soviel Blut.

Auf dem Stein hier saß es sich recht gut, er könnte ewig sitzen bleiben. Der Granitblock war warm und trocken, da es leider nicht geregnet hatte, wie so oft in letzter Zeit. Hauptkommissar Zondlers Stimmung war aber trotzdem schlecht, da konnte die Sonne noch so warm scheinen. Neben ihm stand Sebastian Aichele, sein Kollege und Freund, der ihn immer wieder beobachtend anschaute. Er machte sich Sorgen um das Häuflein Unglück, das da neben ihm auf einem Stein saß. Peter würde doch hoffentlich nicht ohnmächtig werden? Nach einigen sehr tiefen Atemzügen sagte Zondler:

»Woisch, Aichele, eigentlich mag i nemme! Wie lang mach i des G’schäft jetzt scho? Nächstes Jahr sind es vierzig Dienstjahre! Und i hab d’ Schnauze voll, aber deitlich. Emmer brutaler und blutiger die Straftaten. I vertrag des net, i han des em Grond gnomma no nie vertrage. Des goht mir an mein Körper und an mei Psyche sowieso.«

Es stimmte, der Anblick der vielen Leichen war alles andere als schön und die letzten Jahre hatten sie beide eine Menge davon gesehen, da war einiges zusammengekommen. Aicheles Gedanken drifteten in die Vergangenheit ab. Erst die total verweste tote Bürgermeisterin im falschen Grab. Immerhin hatte Zondler bei diesem Fall seine Jette kennengelernt. Dann hatte die Arbeit sie sogar während Zondlers Urlaub in Hayingen mit dem ermordeten Homöopathen eingeholt. Was wiederum ein privater Glücksfall war, denn in Hayingen hatte Sebastian Aichele Mila entdeckt und sie ihn natürlich. So formten sich Leben, dachte Aichele bei sich. Wenn ihre Arbeit auch oft schwer zu ertragen war, kamen sie rum im Ländle. So wie auf die Schwäbische Alb. Der nächste Fall war dann tatsächlich nicht weit weg gewesen, da waren sie im Filstal unterwegs. Diese Beißzange von Hausmeisterin in Reichenbach, er könnte sie heute noch … Wie hatte die noch gleich geheißen? Vorletztes Jahr dann die Giftgeschichte mit Amanda, gleich bei Zondler in der Nachbarschaft. Ein vertrackter Fall, der eigentlich nur mit ein bisschen Glück noch einigermaßen gut ausgegangen war. Da spielte ein Handgriff mit dem Schicksal: Wer bekommt das vergiftete Kuchenstück? Und im letzten Jahr hatten sie einen ganz alten Fall in Hochdorf aufklären können, der bis in die Gegenwart noch ein Opfer forderte. Alte Geschichten, die Spuren in der Vergangenheit zogen und mit ihren Folgen bis in die Gegenwart reichten. Und was hatte den Anlass zu dieser besonderen Ermittlung gegeben: eine alte Handtasche am verschlammten Bachufer. Damals hatten Jette und ihre Freundin Helene ganz schön bei den Ermittlungen mitgespielt. Er musste im Rückblick zugeben, ohne diese weibliche Unterstützung hätten sie den Fall zum einen nicht erkannt, zum andern auch nicht gelöst. Natürlich gab es dazwischen noch unzählige andere, weniger auffällige Taten, die untersucht und geklärt werden mussten. Er dachte an seinen Schreibtisch im Büro. Dort lag ein guter Stapel solcher mehr oder weniger wichtigen Untersuchungen, an denen womöglich nichts dran war, die aber angezeigt worden und damit von ihnen zu bearbeiten waren. Aufgeschreckt aus seinen Gedanken kam Sebastian Aichele ganz langsam wieder in die Gegenwart zurück. Er tätschelte seinem Kollegen liebevoll die Schulter. Schon lange waren sie ein Team und Aichele schätzte seinen Zondler sehr, wusste auch, dass dieser kein Blut sehen konnte. Jedes Mal, wenn bei einem Opfer Verletzungen mit Blutverlust ins Spiel kamen, wurde Zondler grasgrün im Gesicht und bekam Schweißausbrüche. So gut es ging, versuchte er, es zu verbergen und verzog sich möglichst schnell nach einem stillen Plätzchen abseits des Leichenfundortes, bis er sich wieder im Griff hatte. Aber nicht immer klappte das unauffällig und heute war es wohl besonders schlimm.

»Mach dich net verrückt, Peter, gleich geht’s dir wieder besser, das weißt du selbst am besten. Tief ein- und ausatmen. Lass dir Zeit, ich geh solange rüber zur KTU.«

Zondler nickte nur und saß weiterhin vornübergebeugt auf seinem Stein. Als Aichele beim Untersuchungsteam ankam, sah ihm Holzinger, der Pathologe aus Stuttgart schon stirnrunzelnd entgegen.

»Und, wieder mal das alte Problem?«, fragte er ihn und wies mit dem Kinn Richtung Zondler.

»Ja, heut hat es ihn bös erwischt, ist ja auch schaurig. Er redet sogar vom Quittieren des Polizeidienstes.«

»Heidanei, dann ist es echt schlimm. Vielleicht sollte ich ihm was zur Beruhigung geben?«

»Lieber nicht, Sie wissen doch, dass Sie von nichts wissen, Herr Holzinger, das Ganze ist ihm so schon peinlich genug.«

»So ein Blödsinn, das ganze Kommissariat weiß, dass der Kollege Zondler bei Blut schier umfällt, und er versucht es immer noch zu vertuschen. Dabei isch des doch gar nicht nötig, wir haben alle unsere Schwächen!«

»Tja, er meint immer noch, dass das blamabel ist. Soll er halt noch eine Weile dort drüben hocken, bis die grüne Farbe aus seinem Gesicht verschwindet. Wie weit sind Sie denn hier?«, fragte Aichele.

Holzinger nickte und schaltete dann auf einen professionellen Ton um.

»Männliche Leiche, Alter irgendwas zwischen fünfundzwanzig und dreißig, schätze ich mal grob. Zahlreiche Stichverletzungen, sowohl im Gesicht als auch im Hals- und Brustbereich, der Blutverlust ist dementsprechend. Davon kommt wohl die Übelkeit vom Kollegen Zondler.«

»Und wie lange liegt er schon hier?«, wollte Aichele wissen.

»Noch nicht lange, vielleicht seit gestern Nacht. Sonst wäre er auch schon früher gefunden worden, die Leiche ist ja recht auffällig platziert. Ich gehe davon aus, dass das auch der Tatort ist. Aber das ist euer Job, ihr werdet das schon rausfinden. Ich für meinen Teil bin hier fertig, im Laufe des Tages schau ich mir den Mann dann an und der Bericht folgt«, sagte Holzinger und begann seine Utensilien zusammen zu räumen. Stück für Stück verschwand in seinem großen schwarzen Koffer. Aichele schaute ihm aufmerksam zu. Was da wohl so alles drin war, dachte er.

»Danke, Herr Holzinger«, sagte Sebastian Aichele.

»Keine Ursache. Ich guck noch schnell beim Zondler vorbei, vielleicht kann ich ihm doch was für den Magen geben«, meinte der Gerichtsmediziner noch, schnappte seinen Koffer und ging zum Hauptkommissar hinüber.

Peter Zondler bedankte sich denn auch artig für das Angebot einer Beruhigungsspritze, lehnte aber ab und meinte, ihm ginge es wieder gut. Es sei wirklich nur eine ganz kurzfristige Schwäche gewesen. Vielleicht, weil er noch nichts gegessen habe und zu trinken habe er auch vergessen. Der Pathologe ging nicht weiter darauf ein, er wusste, dass bei diesem Thema sehr viel Feingefühl angebracht war. Daher teilte er Zondler nur noch das vorläufige Untersuchungsergebnis mit und verabschiedete sich dann. Zondler rappelte sich hoch und schlurfte langsam zum Fundort der Leiche hinüber. Diese war immerhin inzwischen mit einer Plane abgedeckt, sodass er kein Blut sehen musste. Sebastian Aichele stand noch dort und schaute ihm entgegen. Ganz zufrieden war er nicht mit Zondlers Gesichtsfarbe, aber es war zumindest besser als vor einer Viertelstunde, dachte Zondlers Kollege im Stillen.

»Wer hat ihn eigentlich gefunden? Wissen wir das?«, fragte Zondler.

»Eine Spaziergängerin. Dort drüben sitzt sie noch auf dem Baumstamm«, sagte sein Kollege und zeigte mit der Hand zum Wegesrand.

Ungefähr fünfzig Meter weiter lagen etliche Holzstämme aufgestapelt, die wohl bald abtransportiert werden sollten. Auf einem davon saß eine bunt angezogene Frau mit auffallend weißen Haaren, die aufmerksam das Geschehen verfolgte. Gemeinsam gingen sie zu der Frau hinüber.

»Guten Morgen. Mein Name ist Peter Zondler, Kriminalhauptkommissar und das ist mein Kollege Sebastian Aichele, ebenfalls Hauptkommissar. Wir leiten die Ermittlungen hier. Sie haben die Leiche heute Morgen gefunden?«, begann Peter Zondler seine Befragung.

Die Frau sah sich die beiden Männer genau an und nickte dann.

»Ja, ich heiße Manou Sonntag, also eigentlich Manuela.«

»Gut, Frau Sonntag, dann erzählen Sie uns doch, was heute früh passiert ist.«

Manou Sonntag ließ sich nicht zweimal bitten, überhaupt schien sie eine in sich ruhende Person zu sein und wirkte keineswegs verstört. Offensichtlich verfügte sie über ein stabiles Nervenkostüm.

»Ich bin auf meinem Morgenweg gewesen. Wissen Sie, ich stehe immer sehr früh auf, manchmal bin ich schon um sechs unterwegs. Diese ruhigen Morgenstunden, wenn die Natur noch taufrisch ist und das Licht so magisch – das ist einfach wunderbar! Meine Kamera habe ich immer dabei, denn Fotografieren war mein Beruf und ist nun mein Hobby. Vor meiner Rente war ich Pressefotografin bei der Stuttgarter Zeitung, da habe ich einiges gesehen, das können Sie mir glauben.«

»Aha, deshalb sind Sie so unerschrocken und reagieren nicht panisch wegen der Leiche. Ich hab’ mich schon gewundert, normalerweise macht das viel mehr mit Unbeteiligten«, sagte der Hauptkommissar.

»Mich haut das so schnell nicht um, keine Sorge. Jedenfalls war ich heute früh auch schon gegen halb sieben auf diesem Weg hier und bin flott gelaufen wie immer. Tja und als ich so durchs Objektiv geschaut habe, ich wollte gerade eine Aufnahme in die aufgehende Sonne hinein machen, da sah ich ein Bein in den Weg hineinragen – genau da, wo der Tote liegt. Natürlich bin ich sofort hin und wollte sehen, ob ich helfen kann. Ich war jahrzehntelang beim Roten Kreuz, müssen Sie wissen, ich weiß, was zu tun ist … Aber da war nicht mehr zu helfen, das hat man auf den ersten Blick gesehen. Und bevor Sie fragen – nein, ich habe nichts angefasst oder verändert. Hab’ nur mein Smartphone rausgeholt und die Polizei angerufen. Das ist alles.«

»Alles richtig gemacht, danke, Frau Sonntag. Waren Sie gestern auch hier unterwegs?«

»Ja, und da lag hier noch niemand, da bin ich mir sicher.«

»Kennen Sie den Toten zufällig?«

»Tut mir leid, nein, noch nie gesehen.«

»Ich denke, wir sind hier dann vorläufig fertig. Sie können jetzt gern nach Hause gehen und vielen Dank für Ihre Mitarbeit. Der Kollege Aichele schreibt sich noch schnell Ihre Kontaktdaten auf, wir werden sicher noch einmal mit Ihnen reden müssen. Erholen Sie sich gut von dem Schrecken.«

»Schön war’s nicht, aber mir geht es gut. Im Gegensatz zu dem armen Mann. Was da wohl dahintersteckt? Es ist furchtbar.«

Frau Sonntag kruschtelte in ihrer Tasche herum und reichte Aichele eine Visitenkarte, der sich dafür bedankte.

»Es ist immer gut, die persönlichen Daten dabei zu haben. Man weiß ja nicht, ob man mal einen Unfall hat unterwegs und so ist es einfacher mit der Zuordnung, stimmt’s?«

Damit ging sie dann Richtung Hochdorf weiter, auffallend langsam und sehr in Gedanken versunken. Anscheinend war es ihr halt doch ein wenig an die Nieren gegangen, dachte Zondler, als er ihr hinterher sah. Es war eben doch etwas anderes, über solche Dinge zu berichten und unbeteiligt Bilder zu machen, als selbst eine Leiche aufzufinden.

Die KTU war bereits fertig und am Einpacken. Von der Landstraße her bog ein Leichenwagen in den Feldweg ein und näherte sich im Schritttempo. Fahrer und Beifahrer stiegen aus und klappten eine fahrbare Trage auf, die sie aus dem Heck des Autos geschoben hatten. Damit holperten sie zum Tatort.

»Guten Morgen, die Herren, wir haben da einen Transport für Sie, Sie kennen ja den Weg. Der Tote muss in die Pathologie nach Stuttgart«, begrüßte Zondler die Bestatter. Man kannte sich flüchtig, ihre Wege kreuzten sich immer wieder einmal.

»Morgen. Wird gemacht. Oje, das sieht ja übel aus!«, meinte der Ältere, als er die Plane von dem Toten genommen hatte. Der Anblick war ja auch wirklich erschreckend. Zondler drehte sich schnell auf die Seite. Weiter wurde aber nichts gesprochen, die beiden Männer gingen routiniert ihrer Arbeit nach, hoben die Leiche erst in einen Plastiksack und dann auf die Trage. Mit einem kurzen Nicken verabschiedeten sie sich und waren bald darauf verschwunden. Zondler und Aichele sahen sich noch einmal genau in der Umgebung um, ob auch nichts übersehen worden war. Inzwischen wies hier nichts mehr auf ein Verbrechen hin. Es waren zwar mehrere größere Blutflecke im Gebüsch und auf dem Weg sichtbar, aber die hätten genauso gut von einem Wildtier stammen können.

»Hier gibt es vorläufig nichts mehr für uns zu tun, lass uns gehen. Eigentlich ist das ja schon bequem für mich, ein neuer Fall, fast direkt vor der Haustür. Aber andererseits – wenn des so weitergeht, dann isch mei Ruf vollends ruiniert! Jetzt wohnen Jette und ich seit drei Jahren hier in Hochdorf und das ist schon der dritte Fall in unmittelbarer Nähe. Die Leut meinen bald, ich besorg mir’s G’schäft, weil ich zu faul bin, um nach Esslingen oder Stuttgart zu fahren.«

»Hätt’sch dir halt einen weniger kriminellen Flecken aussuchen sollen, da hab’ ich kein Mitleid. Und für alles kannst du auch nichts, werter Kollege, das ist reiner Zufall«, entgegnete Aichele etwas spöttisch.

Die beiden fuhren zu Zondler nach Hause. Von dort war er am frühen Morgen in Windeseile aufgebrochen, nachdem ihn die Kripo aus Esslingen benachrichtigt hatte. Nicht mal richtig angezogen war er und gefrühstückt hatte er auch noch nicht. Also machte er daheim erst einmal Kaffee für Aichele und sich und stellte Brot, Butter, Gsälz, Käse und Wurst auf den Tisch, denn, wie er richtig vermutete, war auch sein Kollege noch mit leerem Magen unterwegs. Sie waren allein, Jette war schon lange zur Arbeit in den Buchladen aufgebrochen, nur Glenn lag schläfrig auf seiner Matte und blinzelte ihnen zu. Zondler ging es inzwischen wieder besser, seine Innereien hatten sich beruhigt und er langte tüchtig zu.

Aichele war sehr gern bei Zondlers zu Besuch. Als Jette und Peter vor drei Jahren das kleine Häuschen in Hochdorf gekauft hatten, war es ziemlich verwittert und in die Jahre gekommen, weil es längere Zeit nicht bewohnt gewesen war. Mit viel Einsatz und Hilfe, auch von ihm, hatten sie es zusammen renoviert und inzwischen war es ein Schmuckstück. Nun saßen sie in dem gemütlichen Esszimmer mit dem großen Fenster zum Garten raus und frühstückten. Dabei unterhielten sich die beiden Männer natürlich über das Geschehen auf dem Feldweg.

»Papiere wurden keine bei dem Toten gefunden, wir wissen also nicht, mit wem wir es zu tun haben. Höchstens Holzinger findet noch was Auffälliges, eine Tätowierung oder so etwas. Wahrscheinlich müssen wir eine Suchmeldung rausgeben. Vor allem in der näheren Umgebung lassen wir Plakate aufhängen, sobald wir ein Foto von dem Mann haben. Aber wir warten ab, was uns der Holzinger erzählt. Keine Ahnung, ob der Tote aus Hochdorf ist, ich wohne noch nicht lang genug da, um die Leut alle zu kennen.«

Aichele brummte zustimmend, er hatte den Mund voll mit einem großen Stück Heublumenkäse, der hervorragend schmeckte. Zondler schenkte sich noch eine dritte Tasse Kaffee ein und schaute nachdenklich in den Garten.

»Woisch, Sebastian, heute Morgen am Tatort bin ich wirklich ins Grübeln gekommen. Ich glaub, meine Zeit bei der Kripo isch bald vorbei, du kannsch dich schon mal seelisch drauf vorbereiten, meine Nachfolge anzutreten.«

»Davon will ich gar nichts hören, Peter. Bestimmt geht das bald wieder vorbei, jetzt warte erst mal ab, es ist sicher nur eine Phase. Und du musst ja auch nicht alles allein stemmen.«

Die Vorstellung, auf den Freund im Büro verzichten zu müssen, behagte ihm absolut nicht.

Peter Zondler sagte nichts mehr zu dem Thema, seufzte nur noch einmal tief.

Nach dem ausführlichen Frühstück fuhren sie nach Esslingen ins Kommissariat. Es gab eine Menge zu tun, was den neuen Fall betraf und beide Männer arbeiteten lange und konzentriert. Leider wussten sie noch immer nicht, um wen es sich bei dem Toten handelte. Die Abfragen nach einem Vermissten waren negativ, es wurden zwar aktuell zwei alte Männer gesucht, aber die hatten nichts mit ihrer Leiche gemeinsam. Zeugen hatten sich, außer Frau Sonntag, keine gemeldet. Auch mit sonstigen Spuren am Fundort der Leiche sah es schlecht aus – nichts, absolut nichts. Keine Reifenspuren oder Fußabdrücke, keine Kippen oder sonst irgendetwas, was der oder die Täter verloren haben könnten. Wischspuren im trockenen Sand waren aufgefallen, der Täter hatte die sicher selbst verursacht. Immerhin hatten sie eine Porträtaufnahme des jungen Mannes, nachdem er in der Pathologie vom Blut gesäubert worden war. Das konnten sie an die Presse geben. Aichele leitete alles in die Wege, sodass das Foto zuerst an alle Dienststellen und dann auch an die umliegenden Zeitungsredaktionen ging. Nun warteten sie auf den Bericht von Holzinger, aber es war bereits halb sechs, das schien heute wohl nichts mehr zu werden.

»Dann ganget mir halt hoim. Den Holzinger mag ich nicht so drängen, der tut sicher sein Bestes und morgen früh reicht’s auch noch. Und, was machst du so heut Abend?«, fragte Zondler den jungen Kollegen. Aichele seufzte.

»Nichts Besonderes. Am Kinderzimmer weiterarbeiten. Mila hat heute wahrscheinlich die Wände gestrichen und ich bin immer noch mit diesem Kinderbett beschäftigt. Im Internet haben wir ein Zwillingsgitterbett aufgetrieben, zwar gebraucht, aber es sieht noch sehr gut aus. Neue Farbe muss halt ran. Aber es ist doch alles arbeitsintensiver als ich dachte und viel Feinarbeit. Die Stäbe müssen einwandfrei geschliffen werden, schließlich sollen die Kleinen keine Spreißen in die Finger kriegen.«

Mila war Aicheles Freundin und das schon seit längerer Zeit. Sie hatten sich damals in Hayingen kennengelernt, als Zondler und er bei dem Homöopathenfall im Gasthaus Ochsen einquartiert gewesen waren. Mila hatte dort als Bedienung bei ihrer Tante ausgeholfen und Sebastian war sofort hin und weg von der natürlichen jungen Frau gewesen. Die hatte ihn allerdings ordentlich zappeln lassen. Aichele war sehr oft von Stuttgart auf die Alb gefahren oder umgekehrt Mila von der Alb runter. Sie wollte ihre Arbeit im Blumenladen nicht aufgeben und auch nicht von Hayingen weg und er konnte sich nicht vorstellen, nach Hayingen auf die Schwäbische Alb zu ziehen. So ging es ziemlich lange. Nun hatte sich aber plötzlich Nachwuchs angekündigt und das gleich im Doppelpack. Das änderte ihrer beider Leben von Grund auf, es musste eine Entscheidung getroffen werden. In wenigen Wochen würden sie Eltern sein und bis dahin gab es immer noch viel zu tun. Das Schlimmste hatten sie hinter sich, hofften sie zumindest. Der Umzug nach Reichenbach in die erste gemeinsame Wohnung – tatsächlich lag sie in der Nähe eines gewissen Mietshauses, das den Herren Kommissaren bereits bekannt gewesen war – ging reibungsloser als gedacht, aber nun kamen die Feinheiten und wie gesagt das Kinderzimmer. Es musste noch mit Kommode, Wickeltisch, Windeleimer und diesen ganzen Sachen eingerichtet werden, von denen Aichele bisher nicht mal wusste, dass sie existierten. Und teuer war das! Einiges hatten sie gebraucht gekauft oder geschenkt bekommen, aber trotzdem. Auf jeden Fall war es für beide eine riesige Umstellung, das Zusammenleben, die ganzen Fragen, die auf sie einstürmten – welche Geburtsklinik, Hebamme, Kinderarzt … und dann noch das ganze Gefühlsleben! Mila kämpfte mit den Hormonen, weinte schnell bei jeder Kleinigkeit, was bis jetzt überhaupt nicht ihre Art gewesen war. Sebastian stand manchmal hilflos daneben und war ein einziges Fragezeichen. Er wusste selbst noch nicht, wie und ob er mit der Verantwortung für zwei Kinder zurechtkommen würde. Es war eine gänzlich neue Welt für ihn. Aber natürlich freute er sich auf die Kleinen und er liebte Mila, das stand außer Frage. Sie würden das schon hinkriegen. Trotz der Zweifel an manchen Tagen schaute er mit Freude in die Zukunft.

»Wenn du Hilfe brauchst, dann sag’s, gell! Du weißt ja, ich bin ein geschickter und erfahrener Handwerker.«

Bei diesen Worten grinste Zondler spitzbübisch, er war, wie alle wussten, alles andere als handwerklich begabt. Auch Aichele verdrehte etwas die Augen, denn das Angebot hörte sich eher wie eine Drohung an.

»Mila streicht wirklich noch Wände? Mit dem dicken Bauch, geht das überhaupt?«, fragte Zondler nun.

»Hab’ ich ihr auch gesagt. Das ist doch nichts mehr für sie und sie soll sich schonen. Aber nein, ihr ist sterbenslangweilig und sie fühlt sich unnütz. Versuch mal, eine zu allem entschlossene Mila von etwas abzuhalten – keine Chance! Ich bin gespannt, wie das Zimmer aussieht.«

»Dann mach, dass du heimkommst! Entweder rettest du Mila oder das Zimmer.«

Die Männer fuhren ihre Computer herunter, schalteten das Licht aus und verließen das Büro. Zondler hatte Aichele in seinem Auto nach Esslingen mitgenommen und lieferte ihn nach einer kürzeren Fahrt in Reichenbach ab. Seit sie in fast direkter Nachbarschaft wohnten, machten sie das öfter so, das sparte Sprit und war gut für die Umwelt.

»Also dann, schönen Gruß an Mila, macht’s gut ihr zwei!«

»Danke, auch einen Gruß an Jette«, sagte Aichele, winkte noch kurz und nahm dann den kleinen Plattenweg zu ihrem winzigen Mietshäuschen.

Das Haus war ein Glückstreffer gewesen, wirklich sehr klein, aber mit Garten und das Beste war, sie mussten fast nichts renovieren und konnten sofort einziehen! Der Vermieter lebte seit zwei Jahren auf Teneriffa und würde ihnen das Haus wahrscheinlich sogar verkaufen, konnte sich aber noch nicht ganz davon trennen. Also lebten sie erst einmal zur Miete, hatten aber freie Hand bei der Gestaltung der Innenräume. Mila war gleich auf den ersten Blick vernarrt in das Haus gewesen. Sie liebte den zugewachsenen Garten mit dem alten Baumbestand, dem vielen Efeu und dem pausenlosen Vogelgezwitscher. Als Floristin hatte sie einen guten Blick für Pflanzen und jede Menge Praxis aus dem Blumenladen in Hayingen vorzuweisen. Ganz sicher würde dieser Garten ein kleines Paradies werden. Platz für einen Sandkasten und eine Schaukel gab es auch, mehr brauchte man ihrer Meinung nicht für Kinder. Viel wichtiger waren die versteckten Ecken, wo sie mal ein Lägerle bauen oder mit Schlamm und Blättern kochen konnten. Aber das würde noch zwei, drei Jahre dauern. Vorläufig machte sie es drinnen etwas wohnlicher. Als Sebastian die Haustür schloss, roch er sofort die frische Wandfarbe, sie hatte also tatsächlich gestrichen! Er zog die Schuhe aus und ging zum Kinderzimmer.

»Wow! Du warst aber fleißig! Das sieht toll aus, Mila, so hell und freundlich wie die Sonne selbst!«

Mila stand farbverschmiert in der Mitte des Raums und strahlte mit der gelben Farbe um die Wette.

»Ja, ich bin auch sehr zufrieden! Morgen kommt noch eine türkisene Bordüre oben dran und dann ist das Zimmer fast fertig. Aber jetzt bin ich echt geschafft, ich spür mein Kreuz und muss dringend aufs Sofa.«

»Dann komm, du hast dich bestimmt viel zu sehr angestrengt. Ich mach uns was zum Abendessen und du ruhst dich aus – das ist eine polizeiliche Anordnung!«

»Oh, oh, da leg ich mich lieber nicht mit dir an, wenn es von ganz oben kommt«, grinste Mila und zog ihren Kittel aus. Der war so eng, dass er sich nicht über ihrem Bauch schließen ließ und so hatte sie noch eine senkrechte gelbe Farbspur auf ihrem Shirt. Sie verzog sich ins Bad, schrubbte Hände und Gesicht, und zog auch ein frisches Oberteil an. Dann watschelte sie ins Wohnzimmer und ließ sich vorsichtig aufs Sofa sinken. Das tat gut! Sebastian machte sich in der Küche zu schaffen und bemühte sich, etwas Leckeres für Mila aufzutischen. Sie und die Kleinen brauchten schließlich gesunde Kost und ihm würde es auch nicht schaden. Im Kühlschrank fand er Mozzarella und eine Salatgurke. Tomaten waren auch noch genügend da. Seine Entscheidung war schnell getroffen. Er richtete eine Platte mit Tomaten und Käsescheiben und dekorierte alles mit den letzten Resten eines Basilikumtöpfchens, dessen Blätter schon recht schlapp aussahen. Auch die Gurke schnitt er auf und gab die Rädchen in eine kleine Schüssel. Dazu gab es Butterbrot. Und weil noch Schinken da war, kam der auch noch mit auf den Esstisch.

»Mila, kommst du? Essen ist gerichtet!«

»Ja, gleich, so schnell es zu dritt eben geht.«

Dankbar setzte sie sich an den Tisch.

»Bald werden die Arme zu kurz, wenn ich hier sitze, mit dem Bauch komm ich nicht näher ran. Schön hast du das gemacht, Sebastian, sieht appetitlich aus und so bunt!«

»Mach ich gern, mein Schatz, ich würde dir noch mehr abnehmen, aber ich glaube, die Hauptarbeit musst du leisten.«

»So ist es und nicht zu ändern. Aber das Streichen hat heute richtig Spaß gemacht! Es ist nicht so, dass ich leide, nur jetzt, nachdem es fertig ist, spür ich die Müdigkeit. Ist nicht schlimm. Ich bin wirklich froh, wenn ich etwas Sinnvolles machen kann und nicht nur faul hier rumliege. Aber erzähl du jetzt, was gibt es Neues aus eurer Mördergrube?«

Sebastian berichtete ihr daraufhin ausführlich, was sich alles ereignet hatte.

Zondler war inzwischen ebenfalls zu Hause angelangt. Seit sie in Hochdorf wohnten, freute er sich jeden Tag auf den Feierabend. Das lag zum einen am Haus und zum andern an Jette. Wie schön war es doch, die Tür aufzuschließen und laut zu rufen: »Bin da! Wer noch?« Die letzten zwei Jahre waren turbulent und arbeitsreich gewesen, aber inzwischen war fast alles fertig bei den Umbauten und sie hatten Zeit, die Früchte ihrer Arbeit zu genießen. Hochdorf war inzwischen nicht nur ihr Wohnort, sondern ein richtiges Zuhause mit sozialem Umfeld und Bindungen. Jette arbeitete halbtags in Reichenbach im Buchladen und fühlte sich ausgesprochen wohl dort. Halbtags deswegen, weil sie sich nebenher auch noch intensiv um Glenn, ihren Hund, kümmern wollte. Der sollte schließlich nicht den ganzen Tag allein daheim sein und in den Laden konnte sie ihn nicht mitnehmen, dort war kein Platz. Zudem war zu Hause wirklich sehr viel zu tun. Und so hatte sie auch mehr Zeit für den Garten und für Peter. Alles lief bestens und sie genossen ihren Alltag zu dritt.