American Love - Annabelle Benn - E-Book
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American Love E-Book

Annabelle Benn

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Beschreibung

Drei spritzige, heitere Liebesgeschichten vor der Kulisse der USA

NEW YORK: EIN MILLIARDÄR FÜR MEHR Niemand hätte damit gerechnet, dass die Ranch-Tochter Chaney Veeder den Job als Projektmanagerin bei dem renommierten New Yorker Unternehmen Tremden-Filbert ausgerechnet wegen ihres Aussehens bekommen würde. Und doch tat sie genau das, wenn auch anders, als erwartet. Denn wie es der Zufall wollte, war für ihre Einstellung nicht der als eiskalter Fiesling und alternder Lustmolch bekannte Arthur Tremden, sondern dessen atemberaubend attraktiver Sohn Tanner verantwortlich. Vom ersten Augenblick an fühlte Chaney sich von seinen warm funkelnden Augen und seinem männlichen Charme unwiderstehlich angezogen. Dass Vater und Sohn wenig mehr als den Nachnamen teilen, bleibt der einfühlsamen Chaney ebenso wenig verborgen wie die Tatsache, dass der oft abweisende Tanner in einem Netz aus Intrigen gefangen ist, aus dem er sich nicht selbst zu befreien vermag. Wird Chaney ihm helfen und so den Weg für ihr privates Glück ebnen können?

KANSAS: DAS HERZ DES COWBOYS Tarryn trifft der Schlag: Ihre Chefin schickt sie, den aufstrebenden Star am Mode-Journalisten-Himmel, für eine Reportage aus New York weg! Und nicht etwa nach Paris, London, Mailand oder Tokio, sondern in die hinterste Ecke der Prärie von Kansas! Dort soll sie eine Reportage über die Sterling-Ranch schreiben, die ihre Pforten für Touristen geöffnet hat. Ranch-Urlaub als neue Form von Luxus? Als Tarryn nach einer beschwerlichen Reise endlich ihr Ziel erreicht, wird sie zumindest ein wenig für ihre Strapazen entschädigt. Es wimmelt nämlich nur so von sexy Cowboys, die der jungen Frau aus der Großstadt den Hof machen. Alle? Nun - fast alle. Denn der düstere Cody, seines Zeichens begnadeter Pferdeflüsterer und Rodeo-Held, schenkt ihr kein Fünkchen Beachtung. "Soll er doch!", denkt die kecke Journalstin trotzig, kann sich seiner mysteriösen Anziehungskraft jedoch nicht entziehen. Als sie noch auf ein dunkles Familiengeheimnis stößt, erwacht die Detektivin in ihr. Und … die Liebe.

MINNESSOTA: COMING HOME FOR LOVE Eine zweite Chance für die Highschool Liebe zwischen Cassie und Nick, ein Eifersuchtsdrama und eine kleine Intrige!

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Ein Millionär für mehr
Kapitel 1
Kapitel 16
Das Herz des Cowboys
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
Coming home for love
Cassie 1
Nick 2
Cassie 3
Nick 4
Cassie 5
Nick 6
Cassie 7
Rachel 8
Cassie 9
Rachel 10
Cassie 11
Rachel 12
Nick 13
Cassie 14
Rachel 15
Cassie 16
Nick 17
Cassie 18
Rachel 19
Cassie 20
Nick 21
Cassie 22
Rachel 23
Nick 24
Cassie 25
Nick 26
Rachel 27
Cassie 28
Nick 29
Rachel 30
Cassie 31
EPILOG
„Das kleine Hotel in der Lagune“

 

Copyright: Annabelle Benn, 2016, Deutschland

Lektorat: Bettina Hengesbach, Sonja Herzberg

Cover: via fiverr.com

Bild und Bildrechte bezogen über www.depositphoto.com

Impressum:

R.O.M Autorenclub, R.O.M. logicware, Pettenkoferstr. 16-18, 10247 Berlin

Jegliche Vervielfältigung, auch auszugsweise, ist nur nach schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

 

 

 

 

Ein Millionär für mehr

 

Kapitel 1

 

Nella trank einen langen und beinahe dramatisch nachdenklichen Schluck von ihrem Tee. “Pass auf, Chaney ... ich sag ja nicht, dass du unqualifiziert bist”, meinte sie schließlich, während ihre pechschwarzen Augen versuchten, meinem Blick auszuweichen. “Es ist nur … ich bin ja nicht mal Mr. Tremdens Assistentin, aber sogar ich weiß, dass er einen sehr bestimmten … Typ … an Bewerberinnen im Kopf hat. In den letzten fünf Jahren hat er niemanden eingestellt,der nicht genau seinen … Kriterien entsprach.”

    Ich kaute auf meiner Lippe. “Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstehe”, erwiderte ich mit einem Stirnrunzeln. “Ich spreche fließend Spanisch, bin in allen Gebieten, die er verlangt, qualifiziert …”

    “Chaney …”

    “...habe die Uni mit Eins Minus abgeschlossen, fünf Jahre Erfahrung in Corporate Design und kann überdurchschnittlich schnell tippen …”

    “Chaney, du hörst mir nicht zu ...”

    “... bin VERDAMMT flexibel verfügbar, weil ich zurzeit kein Sozialleben habe …”

    “Chaney! Er macht kein Geheimnis daraus, dass er nur schüchterne, große, blonde und … äh … physisch begabte … Bewerberinnen einstellt.”

    Abrupt klappte ich meinen Mund zu und blickte in das entschuldigende Gesicht meiner Freundin. “Also, willst du damit sagen, dass ich mir High Heels, eine platinblonde Perücke und einen Push-up-BH kaufen muss?”

    Angewidert verzog Nella das Gesicht. “Du HAST gar keinen Push-up-BH? Chaney, im Ernst? Sag mal, lebst du hinterm Mond, oder was?” Mit diesen Worten riss sie ihre Augen genau so weit auf wie ihren Mund, den sie zu einem großen O formte.

    “Hör doch auf, Nel!” Ich zischte durch die Zähne und schielte verstohlen zu den anderen Gästen im Café hinüber, in der Hoffnung, dass uns niemand zugehört hatte. Die einzige Person, die in unsere Richtung blickte, war ein Teenager im Emo-Look mit schwarz umrandeten Augen und ungefähr zehn Piercings zu viel im Gesicht.

    Mit einem Seufzer wedelte Nella mit ihrer Hand durch die Luft. “Der BH ist doch gar nicht der Punkt. Mr. Tremden ist ein fieser, alter Milliardär, der ein Zeitschriftenmodel als Projektmanagerin haben will. Pausenlos begafft er seine Angestellten. Willst du wirklich so tief sinken und dich zum … Objekt machen lassen?”

    “Ehrlich gesagt überlege ich, das noch schnell auf meinen Lebenslauf zu setzen, um zu sehen, ob es hilft. Stell dir das mal vor – ‘stehe gerne regelmäßig als Objekt zur Verfügung, wenn ich dafür als Gegenleistung ein solides Gehalt und gute Empfehlungsschreiben erhalte.’ Bumm! Und schon bin ich eingestellt! ”

    Nella schnaubte und rollte mit den Augen. “Übertreib’s mal nicht, Chaney. Es liegt ein schmaler Grat zwischen entzückend und verzweifelt.” Anmutig trank sie den Rest ihres Tees, schob eine Korkenzieherlocke zurück unter ihr Beanie und erhob sich von ihrem Platz. Ich beobachtete sie und dachte im Stillen, dass sie locker die nächste Tyra Banks hätte sein können, wäre sie nicht nur zierliche 1,58 Meter. Auf einmal wurde mir alles klar.

“Nel! Du bist schwarz!”

Während Nel damit beschäftigt war, sich das Band ihrer Tasche über die Schulter zu legen, stöhnte sie laut auf: “Ich wusste, dass dir das irgendwann auffallen würde. Hat ja nur sieben Jahre Freundschaft gedauert!” Dann grinste sie mich breit an.

“Nein, ich meine … du bist nicht groß, blond und … hast tolle Brüste!”

“Hey! Was hast du denn an meinen Brüsten auszusetzen?”

“Nichts. Die sind fantastisch. Ich würde sofort mit dir ein Date wollen. Ich meine, wenn ich ein Mann wäre. Aber verstehst du nicht, was ich dir sagen will? Ich habe doch eine Chance! Und du bist der Beweis dafür!”

“Hör mal, ich bewundere deinen Optimismus, aber ich muss dich wohl nochmal daran erinnern, dass ich nur eingestellt wurde, weil Jason …”

    “... das Arschloch …”

“... yep – mit der Einstellungsmanagerin Monica geschlafen hat. Er hat mir zu dem Job verholfen!“ Damit war das Thema für sie beendet und sie zeigte mit einem perfekt manikürten Finger vor mich: „Vergiss dein Handy nicht.”

Ich nickte dankend, nahm mein Handy vom Tisch und folgte ihr zur Tür. Das Emo-Mädchen sah von ihrem Handy auf, als wir gingen.

“Viel Glück mit Ihrem Push-up-BH”, rief sie mir nach, als wir zur Tür hinausgingen.

Leicht grinsend holte ich Nella ein, die sich schon ihren Weg über den Gehsteig bahnte.

“Also brauche ich gar keine neue Garderobe, sondern muss mir nur einen betrügerischen Freund aus der Personalabteilung suchen?”

Nella lachte.

“Du bekommst den Job am Ende noch aus purer Hartnäckigkeit”, stöhnte sie und schüttelte ihren Kopf. „Vorausgesetzt, man versteht deine schlechten Witze.”

Ich boxte in der Luft nach ihr, grinste dabei aber über beide Ohren. “Ich schätze, das finden wir morgen heraus.”

 

Der Warteraum bei Tremden-Filbert war dank einer nicht funktionierenden Klimaanlage erstickend heiß. Offenbar hielt das schöne Gebäude aus Zeiten der vorletzten Jahrhundertwende immer noch an seinem nicht so schönen Jahrhundertwendenheiz- und kühlsystem fest, zumindest im Trakt für die untersten Angestellten. Ich war bereits um 7:30 Uhr dort und man hatte mir mitgeteilt, dass die Vorstellungsgespräche noch nicht begonnen hatten. Man verwies mich auf einen unbequemen Stuhl, von dem aus ich die anderen hoffnungsvollen Kandidatinnen bei ihrer Ankunft genau beobachten konnte. Zwei Stunden, drei Zeitschriften, vier Tassen Kaffee und eine erschütternd hohe Anzahl großer, draller, blonder Bewerberinnen später, wartete ich immer noch.

Während ich einen gelangweilten Seufzer unterdrückte, schielte ich zu der Frau hinüber, die neben mir saß. Ihr Haar war erdbeerfarben, wodurch wir meiner Meinung nach im selben Boot saßen. Ich lehnte mich zu ihr hinüber.

“Ich glaube, wir sollten unsere Weihnachtspläne besser abblasen”, raunte ich ihr zu.

Stirnrunzelnd sah sie von ihrem E-Reader auf. “Es ist Juni.”

“Aber nicht mehr, wenn die uns endlich zum Gespräch hereinbitten. Haha.”

Der Erdbeerkopf lächelte nicht einmal. Ich rutschte auf meinem Stuhl herum.

“Bitte entschuldigen Sie mich”, sagte ich unverfänglich, “ich muss mal eben die Toiletten ausfindig machen.”

Als ich aufgestanden war und mich von ihr entfernt hatte, wurde mir bewusst, dass ich nicht einmal gelogen hatte – ich musste wirklich auf die Toilette. Dringend. Und natürlich musste mich die Rezeptionistin ausgerechnet in diesem Moment aufrufen.

“Chaney Veeder? Mr. Allen empfängt Sie jetzt.”

“Ähm ... Mr. Allen?”

“Der Einstellungsmanager.”

“Oh! Super! Aber, ähm … eigentlich …”

Die Frau hob eine Augenbraue. “Gibt es ein Problem?”

“Nein!” Ich verlagerte mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und versuchte, meine hartnäckige Blase zu ignorieren. “Es gibt kein Problem! Aber könnte ich vorher vielleicht noch ganz schnell auf die Toilette gehen?”

“Miss Veeder, Zeit ist hier bei Tremden-Filbert sehr wertvoll. Ich kann Sie ganz nach hinten auf die Liste setzen, wenn Sie Ihren Termin lieber verstreichen lassen wollen.”

“Äh …” Ich hielt inne und betrachtete all die blonden Bewerberinnen, die damit noch vor mir an der Reihe wären. “Ich bin ganz schnell, versprochen. Ich flitze. Haha.” Kein Lachen. Die zweite Niederlage an diesem Morgen. Die Rezeptionistin blickte mich finster an.

“Die Damentoilette ist am Ende des Flurs, um die Ecke und die zweite Tür links. Sie haben drei Minuten, bevor ich den nächsten Namen aufrufe.”

Ich strahlte. “Danke! Vielen Dank!” Während ein Hoffnungsschimmer in mir aufkeimte, drehte ich mich um und eilte zur Tür hinaus. Ich fand die Toiletten, erledigte, was ich zu erledigen hatte, wusch und trocknete meine Hände und warf einen Blick auf mein Handy – ich hatte noch eine ganze Minute Zeit. Ich war von meiner Geschwindigkeit so ermutigt, dass ich nicht aufpasste, als ich das zweite Mal um die Ecke eilte. Prompt fand ich mich in einem frontalen und verheerend massiven Körperkontakt mit einer Person wieder, die einen großen Becher mit einer unwahrscheinlich kalten Flüssigkeit bei sich hatte. Das wurde mir klar, weil sich der gesamte Inhalt des Bechers keine Sekunde später auf meinem sorgsam ausgewählten khakifarbenen Hosenanzug befand.

Mein erster Impuls, als die kalte Flüssigkeit (vielleicht Dr. Pepper?) auf meine Haut traf, war, vor Schreck zu schreien. Mein zweiter Impuls befahl mir jedoch, besser NICHT zu schreien. Das Ergebnis war ein wenig von beidem und so gab ich ein Geräusch von mir, das sich anhörte wie ein Elefantenbaby mit Schluckauf. Sofort kam mir die Vorstellung eines Elefantenbabys mit Schluckauf so lustig vor, dass ich kicherte. Und DANN wurde mir klar, dass ich den Job auf keinen Fall bekommen würde, wenn ich aussah, als hätte ich in der Toilette gebadet. Plötzlich löste sich der Druck, der den ganzen Morgen auf mir gelegen hatte, und ich lachte erneut, diesmal lauter. Erst dann blickte ich zu der Person hinauf, die für all das verantwortlich war und mir fiel die Kinnlade herunter.

Er sah umwerfend aus. Mir war noch nie jemand begegnet, der so atemberaubend perfekt gebaut war. Breite Schultern, dunkle Augen, sorgfältig geschnittenes dunkelbraunes Haar und ein glatt rasiertes Gesicht. Er musste um die dreißig sein und war mindestens zwanzig Zentimeter größer als ich. Als ich meine Augen von seinem (ziemlich intensiven) Blick abwandte, starrte ich direkt auf seinen Kragen, der nicht ganz zugeknöpft war. Mich überfiel plötzlich der starke Wunsch, auch die restlichen Knöpfe seines Hemdes zu öffnen, gleich hier im Flur des Büros. Allein der Gedanke daran, meine Hände über seine breite Brust gleiten zu lassen, bewirkte, dass mir unbehaglich warm wurde.

“Junge Frau? Hallo?”

Das riss mich aus meiner Träumerei und mir wurde klar, dass der gut aussehende junge Mann schon seit einiger Zeit versucht haben musste, meine Aufmerksamkeit zu erwecken, denn seine Stimme klang ungeduldig. Meine Wangen glühten plötzlich.

“Entschuldigung ... wie bitte?”

Ihm entglitt ein kurzes, frustriertes Schnauben. Trotz seines verärgerten Gesichtsausdruckes war ich so hingerissen von seiner Vollkommenheit, dass ich mich zwingen musste, auf seine Worte zu hören. Er hatte wunderschön dicht geschwungenen Augenbrauen und herrlich volle Lippen. “Meine Karte”, sagte er mit einer tiefen Stimme, die Macht ausstrahlte. “Nehmen Sie sie. Wenn Sie meine Sekretärin anrufen, wird sie die Reinigung veranlassen.”

Noch immer im Autopilotmodus nahm ich die kleine graue Visitenkarte entgegen, die er mir entgegenhielt. Meine Finger streiften für den Bruchteil einer Sekunde seine Handfläche und diese kurze Berührung reichte aus, um meine Fantasie erneut zu beflügeln. Wie würde es sich anfühlen, wenn seine Hände unter meine Bluse glitten, über meine Haut strichen und mich hart an seinen Körper zogen …

Ich schüttelte schnell meinen Kopf, als mir klar wurde, dass meine Gedanken schon wieder viel zu weit abschweiften.

“Ähm ... welche Reinigung?”

“Ihr Hosenanzug muss doch wohl gereinigt werden, es sei denn, Ihnen gefallen die Flecken auf dem Stoff. Wenn das der Fall ist, kann Ihnen meine Sekretärin gerne eine Rechnung für die Verbesserungsmaßnahmen ausstellen.”

Ich betrachtete meinen tropfenden Hosenanzug und errötete. “Ich rufe Ihre Sekretärin an. Danke, Mr. … äh …”

“Tremden.”

Sofort richtete ich mich auf. Das war der berüchtigte Mr. Arthur Tremden? Das war der Besitzer des milliardenschweren Unternehmens? Der perverse alte Mann, der seine (zumeist) blonden, modelgleichen Angestellten begaffte? Wenn nicht gar begrapschte? Ich fragte mich, ob mich Nella in Bezug auf meinen potenziellen Chef angeflunkert hatte, um sich anschließend über meine Reaktion zu amüsieren. Sie wusste, dass ich ein hoffnungsloser Fall war, wenn es darum ging, mit attraktiven Männern zu reden. Und dieser hier war weitaus mehr als einfach nur attraktiv. Der Mann hier war ... ein einziger ungeträumter Traum!

“Sie wirken überrascht”, bemerkte er, noch immer mit einem leicht schneidenden Unterton. “Entspreche ich nicht Ihren Erwartungen?”

“Ich ... hatte nur gedacht, dass Sie … etwas älter sind. Und nicht so cholerikerisch.”

Die winzig kleine Andeutung eines Lächelns war auf Mr. Tremdens Gesicht zu erkennen, was meiner Meinung nach auf das Cover der GQ gehörte. Seine zusammengekniffenen Augen funkelten zum ersten Mal, seit ich mit ihm zusammengestoßen war.    “Cholerikerisch …” murmelte er nachdenklich. “Ist das überhaupt ein Wort?”

Ich hob mein Kinn. “Ab jetzt ist es eins. Sie können mich gerne als Quelle nennen, wenn Sie es zukünftig benutzen sollten.”

Das angedeutete Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen, wodurch sich sein gutes Aussehen verzehnfachte. Ich spürte, wie meine Knie weich wurden und stützte mich mit einer Hand an der Wand ab, für den Fall, dass meine Beine nachgeben sollten. Er neigte den Kopf in meine Richtung.

“Ich sehe, Sie haben Charakterstärke, Miss …?”

“Veeder,” antwortete ich, in der Hoffnung, dass ihm nicht auffiel, wie hypnotisiert ich war. “Chaney.”

“Chaney. Sehr erfreut. Darf ich fragen, was Sie heute zu Tremden-Filbert führt? Sind Sie eine neue Klientin?”

Ich errötete erneut. “Also, ich bin zum Vorstellungsgespräch für die Managerstelle hier, die Sie online ausgeschrieben haben. Aber ich fürchte, ich habe mittlerweile meinen Termin verpasst.”

Er runzelte die Stirn und sagte mit scharfer Stimme: “Ich habe keine Vorstellungsgespräche organisiert.”

Eine Welle der Scham überkam mich. “Oh. Nein, natürlich müssen Sie die Vorstellungsgespräche in Ihrer Firma nicht selbst organisieren. Bestimmt haben Sie Leute, die das für Sie übernehmen …”

“Meine Firma?”

Jetzt war ich richtig verwirrt. “Ja? Ich meine, es sei denn, das hier ist gar nicht Tremden-Filbert?” Ich überlegte, wie ich mich aus dieser Unterhaltung herauswinden könnte. “Mein Name wurde übrigens vor nicht allzu langer Zeit aufgerufen. Alle Bewerberinnen warten am Ende des Flurs, in Raum 445B.”

Als Mr. Tremden Raum 445B hörte, funkelten seine Augen. Er sah mich von oben bis unten an und studierte mein Äußeres, als müsste er später eine Personenbeschreibung bei der Polizei abgeben. Ich fühlte mich furchtbar unwohl und gleichzeitig furchtbar … bereit. Wenn er mir hier und jetzt ein unsittliches Angebot gemacht hätte, hätte ich Mühe gehabt, es abzulehnen.

Als er fertig damit war, mich zu mustern, nickte er mir zu. “Sie werden schon sehen, dass Termine nie so unabänderlich sind, wie sie scheinen, Miss Veeder”, versetzte er bestimmt. “Bitte folgen Sie mir.”

Mr. Tremden marschierte elegant den Flur entlang und geradewegs auf den Warteraum zu; ich lief ihm so schnell wie möglich hinterher, während ich mich krampfhaft bemühte, meine Augen nicht zu seinem knackigem Hintern wandern zu lassen. Ich war mir jedoch ganz sicher, dass er zum Rest seines Aussehens passte und ehrlich gesagt, hatte ich ohnehin schon genügend Reizüberflutung. Außerdem hoffte ich, dass ich auf irgendeine Weise doch noch zu meinem Vorstellungsgespräch kam.

Das Gesicht der Rezeptionistin zeigte eine Mischung aus Schock und Nachsicht, als wir den Raum betraten.

“Mr. Tremden!”, rief sie, während sie ihre Seidenbluse und die imaginären Falten Ihres Rockes glattstrich. “Kann ich etwas für Sie tun?”

“Ja, Veronica. Bitte informieren Sie meinen Vater, dass die Stelle, die er ohne meine Zustimmung – wie ich anmerken möchte - für mich ausgeschrieben hat, gerade besetzt wurde.”

Moment mal, dachte ich noch alarmierter als zuvor. Sein Vater hat die Stellenanzeige aufgesetzt?

“...Miss Veeder…”, fügte er hinzu "… wird ab Montag den Posten meiner persönlichen Assistentin übernehmen, vorausgesetzt das lässt sich für sie vereinbaren?” Er sah mich mit seinen dunklen Augen an und wartete auf eine Antwort. Ich nickte eilig und beschloss, die Tatsache, dass er mich gerade als seine persönliche Assistentin bezeichnet hatte, zu ignorieren. Die genauen Details könnten wir auch später noch besprechen. “Dann also bis Montag.”

“Ich will Ihnen ja nicht widersprechen, Sir”, warf Veronica ein und klimperte mit ihren künstlichen Wimpern, “aber Ihr Vater hat mir äußerst präzise Anweisungen erteilt. Sie … naja … entspricht nicht ganz seinen … Vorstellungen … für diese Position.”

Mr. Tremdens Blick wurde kühl und ein wenig herablassend. Er beugte sich leicht vor, so imposant und verheißungsvoll, dass Veronica auf ihrem Stuhl in sich zusammensank.

“Sie ist gut ausgebildet, sie ist scharfsinnig und sie ist hübsch. Würden Sie mir da nicht zustimmen?”

Veronicas Blick huschte in meine Richtung und sie nickte, vermutlich zu ängstlich, um zu widersprechen. Dennoch errötete ich heftig. Mr. Tremden fuhr fort: “Ihre Kleidung ist vielleicht etwas altmodisch, aber von guter Qualität und mit optimaler Passform. Sie hätte gerne die Stelle und ich will, dass sie die Stelle bekommt. Welchen Teil der Vorstellungen meines Vaters habe ich missachtet?”

Die Rezeptionistin holte Luft, um zu antworten und überlegte es sich dann anders. “K-keine, Sir. Überhaupt keine.”

“Gut. Dann sorgen Sie bitte dafür, dass ihre persönlichen Angaben auf die Gehaltsliste kommen und dass sie ein Firmenpaket erhält.”

“A-Aber Mr. Tremden”, stotterte die Rezeptionistin, “das zählt nicht wirklich zu meinem Aufgabenbereich …”

    “Heute tut es das”, bemerkte er auf eine bestimmte Art, die keinerlei Widerspruch zuließ. Dann drehte er sich zu dem Meer aus schönen, ziemlich betrübten Blondinen um, die die gesamte Szene andachtsvoll verfolgt hatten. “Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, meine Damen. Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt.”

 

 

Kapitel 2

 

    “Du hättest ihre Gesichter sehen sollen, Nel. Es war, als hätte man einem Raum voller Highschool-Cheerleader mitgeteilt, dass der Abschlussball abgesagt wurde.”

    Nellas braune Augen blitzen. Sie lachte hämisch und nahm einen Schluck von ihrem Martini. “Das hätte ich zu gerne gesehen”, grinste sie kopfschüttelnd und blickte sich in dem neuen stylischen Club um, den wir auf ihr Drängen hin austesteten. Es handelte sich um eine große, schrille Kellerbar voll von rotem Satin und tiefhängenden, mit Glaskugeln überladenen Kronleuchtern. Die Musik war laut und lasziv, die Getränke waren teuer und das Klientel so glamourös, dass ich mich völlig fehl am Platz fühlte.

Ich hätte mich auch damit begnügt, zuhause billigen Chardonnay zu trinken und mir zum siebenundzwanzigsten Mal “Stolz und Vorurteil” anzusehen, aber Nella hatte darauf bestanden, dass ein so großer Meilenstein in meinem Leben nach einer öffentlicher Zelebrierung verlangte – und es ist schwer, Nella vom Gegenteil dessen zu überzeugen, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Also zog ich pflichtbewusst das silberne Bodycon-Kleid und die High Heels an, die sie mir geliehen hatte, und seufzte tief, als ich ein paar Scheine aus meiner immer leerer werdenden “Vergnügungsspardose” zog. Immerhin musste ich zugeben, dass ich mich jetzt, wo ich hier war, doch amüsierte.

“Und übrigens”, fügte Nella hinzu, “ich bin ganz grün vor Neid, dass du die Stelle bekommen hast und du jetzt für den heißesten, begehrtesten Junggesellen der Stadt arbeitest – der auch noch Erbe eines multi-milliardenschweren Unternehmens ist! Persönliche Assistentin von Tanner Tremden höchstpersönlich! Heilige Scheiße!”

    “Projektmanagerin”, korrigierte ich sie.

    “Schätzchen, und selbst wenn du einen Vertrag unterschrieben hättest, seine Toilette zu schrubben! Mann! Dann würde ich immer noch mein Leben gegen deins eintauschen wollen. Ich habe gehört, dass er einen Körper wie ein griechischer Gott hat, stimmt das? Weil, stell dir vor: In den ganzen drei Jahren, in denen ich jetzt schon bei Tremden-Filbert arbeite, hat er sich noch nie in meiner Abteilung blicken lassen!”

    Um Zeit zu gewinnen fuhr ich mit dem Finger über den Rand meines Manhattan-Glases. Ich hatte Nella noch nichts von der starken Faszination erzählt, die Mr. Tremden auf mich ausübte – Tanner, wie ich später herausgefunden hatte. Der Sohn von Mr. Arthur Tremden, vor dem Nel mich gewarnt hatte. Allein bei der Erinnerung an ihn breitete sich ein wohliges Kribbeln auf meiner Haut aus. Da fiel mir wieder ein, wie ich vor einem Mann, den ich sicherlich hätte kennen sollen, etwas über seine Firma dahergeplappert hatte und mit einem Mal kam ich mir wieder schrecklich töricht vor. Dennoch - stärker als die Schmach spürte ich seine starke Anziehungskraft. Sie war stärker als jede, die jemals ein Mann vor ihm auf mich ausgeübt hatte. Mir wurde ganz heiß. Ich wollte ihm, Tanner Tremden, einfach nur nahe sein. Sehr nahe. Und das sowohl körperlich als auch geistig, mental, innerlich. Ich wollte all seine Geheimnisse kennen und wollte, dass er wusste, dass sie bei mir sicher waren. Ich wollte … so viel mehr als nur eine Stelle in seinem Büro. Momentan hatte ich aber vor allem Angst davor, dass ich, wenn ich erst einmal damit begann, Nella zu erzählen, wie viel ich schon für den Sohn unseres gemeinsamen Chefs empfand, nie mehr damit aufhören könnte.

Doch leider bohrte Nella gnadenlos weiter.

“Also?”, fragte sie erwartend, drapierte ihre Arme auf dem Tresen und wackelte mit den Augenbrauen drollig hin und her. “Wie findest du ihn? Ist er toll? Bist du verliebt?”

Ich bemühte mich, so lässig wie möglich zu klingen. “Ich finde, er ist schon ganz attraktiv, ja, doch ... Auf eine moderne, teure Art eben. Ich meine, der Typ hat besser manikürte Hände als ich!” Mit einem betont gleichgültigen Schulterzucken nahm ich einen Schluck von meinem Getränk. Dabei hoffte ich, dass das schummerige Licht die Röte auf meinen Wangen verbarg. “Also, eigentlich ist er nicht mein Typ“, schwindelte ich und blickte stur von ihr weg.

„Hmmm”, Nella kniff die Augen zusammen. “Na, wenn du so wenig Interesse an ihm hast, darf ich also annehmen, dass du momentan vollkommen ungebunden bist.”

“Vollkommen.”

“Uuuuuuund ... wenn du so vollkommen ungebunden bist, macht es dir doch sicher nichts aus, dass ich mich dazu entschlossen habe, heute Abend meine Männerjagdkarte auszuspielen.” Dabei blitzte sie mich aus ihren dunklen Augen teuflisch an.

Ich holte tief und dramatisch Luft, stellte mein Glas auf der Theke ab und starrte sie an. “Nein.”

“Doch.”

“Das ist nicht dein Ernst.”

“Das ist mein voller Ernst.”

“Nel! Okay - Aber muss es unbedingt heute Abend sein?”

“Heute Abend, Baby!”, jauchzte Nella und zog damit die Aufmerksamkeit der halben Bar auf uns. “Du erfüllst zurzeit ja endlich mal alle Kriterien, auf die wir uns ursprünglich geeinigt hatten! Also schleppst du heute Abend einen Typen ab oder es steht noch mehr auf dem Spiel!”

Ich stützte mein Gesicht in meine hohlen Hände und stöhnte laut auf. Die Männerjagdkarte war eine meiner ältesten unbezahlten Schulden. Sie stammte noch aus College-Zeiten, als Nella mir einmal einen großen Gefallen getan hatte. Wir hatten beschlossen, ein Jahr unserer grandiosen, unzerrüttbaren Freundschaft in einer Bar namens UpTown in der Nähe der Uni zu zelebrieren. Es sollte ein Frauenabend werden – nur wir beide. Aber dann tauchte dieser Typ aus meinem Statistikseminar auf – auf den ich schon seit Monaten stand, wie ich betonen möchte – und genau dieser Typ begann mit mir zu reden, und zwar so, als wäre er wirklich an mir interessiert. Ich war natürlich sofort Feuer und Flamme. Frederic war beliebt. Frederic kam aus Kalifornien. Frederic war höllisch sexy und Frederic - wollte was von mir!

Das Problem war nur, dass Frederic nicht alleine da war; er hatte einen Verbindungsbruder namens Mitchell mitgebracht, der weder beliebt war, noch aus Kalifornien kam und noch dazu den Ruf hatte, ein schleimiger, schmieriger Mistkerl zu sein. Und dieser Mistkerl - Mitchell wollte nicht im UpTown bleiben. Er wollte Gras in seinem dreckigen Keller rauchen. Mir war sonnenklar, dass dieser Mitchell abgelenkt werden musste, wenn ich eine Chance bei Frederic haben wollte. Also flehte ich Nella an, sich mit ihm zu unterhalten, oder: ihn zu unterhalten. Und, Gott segne sie, das tat sie. Sie weckte sein Interesse, führte eine schrecklich langweilige Unterhaltung über sein anarchistisches Weltbild und als er keine Lust mehr zum Reden hatte, machte sie sogar mit ihm herum, nur damit ich dem kalifornischen Frederic auf der Tanzfläche näherkommen konnte.

Was man eben so tut, bei einem Jahr Freundschaft!

Doch am nächsten Tag, als ich noch immer auf Wolke sieben schwebte, weil der tolle Frederic nach meiner Nummer gefragt hatte, erinnerte mich Nella daran, dass ich schwer in ihrer Schuld stand: Sowohl dafür, dass ich unseren Frauenabend so mir nichts, dir nichts hatte sausen lassen, als auch dafür, dass ich ihr drei Stunden lang diesen unmenschlichen Kerl aufgehalst hatte.

“Der küsst wie eine Ente mit einem Guppy im Schnabel!“ Mit einem vor Ekel verzerrten Gesichtsausdruck blicke sie mich vorwurfsvoll an und schüttelte sich theatralisch. Blick.

“Ehrlich gesagt, Nel … weiß ich nicht, was das heißen soll.”

“Süße - glaube mir, das willst du auch nicht wissen. Es war die schlimmste Erfahrung meines Lebens.” Mit noch mehr Theatralik warf sie die Hände in die Luft und blickte gen Himmel.

Ich grinste entschuldigend. “Was immer du als Entschädigung willst”, versprach ich ihr mit meinem treuesten Hundeblick, “ich tue es.”

Diese Worte sollte ich noch bitterlich bereuen, denn was Nella wollte, war nichts anderes als eine öffentliche Blamage. Genauer gesagt sollte ich einen supersexy Typen aufreißen, während sie mir dabei zusah und sich über mein mangelndes Flirttalent königlich amüsierte. Das war es, was sie ihre “Männerjagdkarte” nannte. Für mich jedoch war es wie eine Kombination aus chinesischer Wasserfolter und einem nie heilenden Sonnenbrand. Jahrelang hatte ich die Einlösung meines Versprechens vor mir hergeschoben und immer wieder erfolgreich Ausreden gefunden. Mal lagen meine Haare nicht richtig oder ich war arbeitslos, mal hatte ich einen Freund, flirtete regelmäßig mit jemandem oder fand jemand anderen minimal attraktiv. Oder es regnete draußen. Oder ich hatte einen eingewachsenen Fingernagel. Oder die Raumtemperatur war drei Grad zu hoch. Oder ... Aber nicht heute!

Beim letzten Mal, als ich mit einer neuen Ausrede ankam, zückte Nella ihr Smartphone und hielt es mir mit einer Liste unter die Nase.

“Da, schau mal! Das sind all deine Gründe, die du mir erzählt hast, damit du dein Versprechen nicht einlösen musst. Heute lasse ich dich nochmal davonkommen, aber nächstes Mal, wenn alle grundlegenden Voraussetzungen erfüllt sind, da machst du auf jeden Fall das, was du mir versprochen hast!” Sie klang ein wenig belustigt und ein wenig sauer und ich verstand. Ich war genervt von ihrer Hartnäckigkeit, aber auch ein wenig beschämt darüber, dass ich mein Versprechen noch immer nicht eingelöst hatte. Notgedrungen und gottergeben willigte ich also ein. Jetzt sah es leider wirklich so aus, als sei “das nächste Mal” in gefährliche Nähe gerückt, als sei „das nächste Mal“ endgültig zu „dieses Mal“ geworden.

Ich seufzte, meiner Meinung nach herzerweichend, und schloss die Augen. Am liebsten hätte ich gar nichts mehr gesehen.

“Bist du ganz sicher, dass ALLE Voraussetzungen erfüllt sind?“, versuchte ich es noch ein letztes Mal.

“Deine Haare liegen? Abgehakt. Dafür habe ich gesorgt. Cooles Outfit? Das ist quasi garantiert, da du es dir von mir geliehen hast. Und außerdem bringt die Farbe deine blauen Augen hervorragend zur Geltung. Gutes Wetter? Perfekt. Frei von körperlichen Beschwerden? Ja.”

“Da fällt mir ein, ich habe heute Morgen ein paarmal gehustet …”

“... Ungebunden? Ja. Und erwerbstätig? Ein ganz dickes Ja!”

“Na gut, na gut, na gut”, gab ich mich geschlagen. “Such dir einen aus. Lass es uns hinter uns bringen.”

Nella quiekte vor Freude, drehte sich auf ihrem Barhocker um und studierte hungrig wie ein It-Girl, die sich eine neue Prada-Handtasche aussucht, die Menge.

“Wie wär’s mit dem Typen da in der Ecke? Der, der sich mit den Möchtegern-Amy-Winehouses unterhält?”

Ich machte eine finstere Miene. Der? Die Frauen hatten ziemlich verrückte Frisuren, aber sie trugen wirklich hübsche Kleider.

“Nella, kannst du bitte nur einen Moment lang berücksichtigen, dass ich nicht DU bin? Ich kann mich nicht an einen Typen heranschmeißen, der schon zwei Frauen dabeihat, die ihn mit Sabber am Kinn anschmachten, als sei er Nick Bateman persönlich!”

“So wie die aussehen, ist das bestimmt nicht alles, was bei denen heute mit Sabber zu tun hat”, kicherte sie.

Ich lief dunkelrot an. “Nel! Red‘ doch nicht so einen Blödsinn! Da dreht sich ja noch deine Oma im Grab um!”

Doch Nella lachte nur noch lauter. “Meine Großmutter ist eine taffe Mami aus Puerto Rico mit den schmutzigsten Fantasien, die du dir vorstellen kannst! Wenn sie irgendwas im Grab macht, dann höchsten mir applaudieren! Aber ja, sorry, ich vergesse immer wieder deine konservative Erziehung in Kansas.” Sie wandte ihren Blick nach links. “Okay, was ist mit dem Typen da hinten? Nicht alleine, aber zumindest ohne Frauen.”

Ich folgte ihrem Blick. “Zu gutaussehend. Unmöglich! Bei dem wäre ich ja wie gelähmt!”

“Okay, der Typ neben dem Skyy Vodka-Schild.”

“Der so aussieht, wie ein Kobold?”

“Ja.”

Ich schnitt eine Grimasse. “Ein bisschen besser darf er schon aussehen.”

“Du machst es mir nicht gerade leicht, meine liebe Chaney,” knurrte sie. “Ich glaube fast, du willst wieder kneifen! Halt! Stopp! Warte! Potenzieller Kandidat auf zwei Uhr!”

 Ich spähte nach rechts und entdeckte den Typen, den sie meinte und zwar gerade in dem Moment, als er sich fünf oder sechs Plätze von uns entfernt an die Bar setzte. Er hatte schulterlange dunkelblonde Haare, eine breite Stirn und eine kantige Nase. Er sah leicht griechisch aus und nach seiner auffälligen Armbanduhr zu urteilen, musste er reich sein. Nicht so gutaussehend wie Mr. Tremden, aber definitiv attraktiv genug, um den Anmachversuch peinlich zu gestalten.

“Okay, Nella”, seufzte ich, “Typ Nummer vier müsste gehen. Aber ich brauche erst einen Schnaps …”

Ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen, schob Nella mir ein Glas mit einer goldenen Flüssigkeit herüber.

“Hier bitte. Fürsorglich wie ich bin, habe ich dir schon mal etwas bestellt, während du noch unser Opfer begutachtet hast”, erklärte sie breit grinsend. “Tequila. Dein Lieblingsgetränk.”

“Iiii-gitt! Ich soll direkt ohne Stützräder loslegen?”

“Ja. Los! Auf geht’s, Schätzchen.”

Während mir mehr und mehr die Lust auf diesen Abend verging, trank ich den Tequila (der furchtbar schmeckte) auf ex, stellte das Glas ab und verzog angewidert das Gesicht.

“Also gut. Wird schon schiefgehen.”

„Ja“, seufzte ich ergeben. Dabei fiel mir etwas aus längst vergangenen Zeiten wieder ein:

Mit neun Jahren wurde ich bei einem Diktat beim Spicken erwischt. Ich musste mit meiner Lehrerin zum Rektor gehen, über den breiten Flur, in dem sich alle Schüler der Junior High zwischen ihren Stunden aufhielten. Ich weiß noch ganz genau, dass dieser kurze Weg, der mich zu unabwendbarer Strafe und Demütigung führte, und auf dem so viele abschätzende Blicke auf mir lasteten, dass er sich wie der längste Weg meines Lebens anfühlte. Meines ganzen bisherigen Lebens, bis jetzt, wo ich mir vor Hunderten von top gestylten Leuten einen Weg durch die Bar zu einem Typen bahnen musste, der mich mit einem einzigen Blick vernichten würde, sobald ich den Mund aufmachte.

Nella ging dicht hinter mir, um sicherzustellen, dass ich mich nicht in letzter Sekunde doch noch drückte. Außerdem wollte sie natürlich einen Logenplatz bei meiner Niederlage ergattern.

“Hi”, sagte ich schließlich, als ich vor meinem Ziel stand. “Ich bin Chaney.”

Er drehte sich langsam zu mir um und sah mich mit einer unverkennbaren Belustigung in seinen grauen Augen an. Mir rutschte das Herz in die Hose. Er wusste bestimmt, was ich im Schilde führte.

“Hallo Chaney,” erwiderte er mit einer leichten, tenorartigen Stimme. “Ich bin Alex.”

Es entstand eine lange Pause. Nella versetze mir einen kleinen Schubs von hinten.

“Oh. Äh ... darf ich dich auf einen Drink einladen, Alex?”

Er sah hinunter auf die Theke, wo sein volles Bierglas auf einem Untersetzer stand. Ich wurde rot.

“N-nach diesem hier natürlich.”

Er schnaubte erheitert. “Versuchst du mich abzufüllen, Chaney?”, fragte er völlig entspannt. Aha! Er spielte mit mir.

“Äh ... nein. Ja. Ich meine doch.” Ich machte eine resignierte Geste mit meinen Armen. “Eigentlich weiß ich es selber nicht. Welche Antwort ist denn sexyer?”

Ich hörte, wie Nella sich hinter mir auf die Stirn schlug. Alex dagegen brach in lautes Gelächter aus.

“Naja, sexy war das nicht, aber du hast mich neugierig gemacht”, antwortete er mit einem breiten Grinsen. “Wenn die Damen bitte Platz nehmen würden, dann hole ich uns ALLEN einen Drink. Nach diesem hier versteht sich.” 

Unsicher, ob ich damit mein Männerkarten-Versprechen eingelöst hatte, setzte ich mich neben ihn und hoffte, dass ihm nicht auffallen würde, wie sehr meine Beine zitterten. Nella ließ sich kopfschüttelnd, aber gut gelaunt neben mir nieder.

“Was hat euch denn heute hierher verschlagen, meine Damen?”

“Wir feiern”, antwortete Nella voller Stolz. “Meine Freundin hat heute nämlich einen Job bei Tremden-Filbert ergattert.”

Alex grinste einfältig. “Aha. Nehmt es mir nicht übel, aber das habe ich schon oft gehört. Der Traum aller Mädchen! Die Firma quillt doch über vor Prestige. Ziemlich schwer reinzukommen …“

“Das stimmt. Und das ist noch nicht alles! Chaney arbeitet sogar für Tanner Tremden höchstpersönlich!”, gab Nella mit mir an.

Plötzlich huschte ein schelmisches Lächeln über Alex’ Gesicht.

“Ach, wirklich?”, fragte er mit einer hochgezogenen Augenbraue, wodurch er zugleich skeptisch und hämisch wirkte. “Dann wird er dich bestimmt gleich persönlich begrüßen wollen.” In diesem Moment warf er einen Blick über meine Schulter und nickte einer Person hinter mir zu. „Oder etwa nicht, Trem?”

Ich wirbelte herum, mein Herz schlug bis zum Hals und ich betete, dass es nicht stimmte – dass Tanner Tremden nicht hier in dieser Bar war. Hinter mir. Und dass ich nicht einen Fremden vor ihm, meinem wahnsinnig heißen Chef, verführen musste!

“Ach du heilige Scheiße”, flüsterte ich.

Denn er war es wirklich! Tanner Tremden höchstpersönlich! Unsere Blicke trafen sich, und für eine Sekunde war ich mir sicher, dass er nicht wusste, wer ich war. Dann fiel der Groschen und sein Mund öffnete sich, als er nach Luft schnappte. In seinem schwarzen T-Shirt mit V-Ausschnitt, der grauen Hose, dem zerzausten Haar und den Bartstoppeln am Kinn sah er sogar noch besser aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Eine Hitzewelle überkam mich, als er meinem Blick standhielt und für einen Moment war ich mir sicher, dass das, was in seinen Augen aufflammte, Verlangen war. Verlangen und Vertrautheit und … Verblüffung. Als ob er das Gleiche empfand wie ich, aus den gleichen nicht-existenten Gründen. Als ob er ebenso verwirrt darüber war wie ich! So sehr, dass er seinen Blick nicht abwenden, nicht denken und nicht atmen konnte …

Schließlich brach Alex das Schweigen.

“Meine neue Bekanntschaft hat mir gerade erzählt, dass du sie heute eingestellt hast. Da dachte ich, dass wir alle davon profitieren könnten, wenn sie es beweisen würde.”

Tanner blinzelte und ich konnte beinahe dabei zusehen, wie eine sorgsam einstudierte Maske auf sein Gesicht glitt, wodurch es unmöglich war, seinen Blick zu deuten.

“In der Tat, ich habe sie eingestellt”, sagte er glatt. “Guten Abend, Miss Veeder.”

“Bitte nennen Sie mich Chaney”, erwiderte ich mit einem freundlichen Lächeln, erleichtert, dass keine Atemlosigkeit oder Verzweiflung in meiner Stimme zu hören war, obwohl ich ausreichend von beidem empfand.

Seine Gesichtszüge verhärteten sich. “Bei allem Respekt, Miss Veeder, ich bevorzuge ein strikt professionelles Verhältnis mit Personen, die sich in meiner Anstellung befinden. Besonders mit Frauen.”

Wrumm. Seine Worte trafen mich wie knallende Ohrfeigen. Sein Ton war deutlich. Es war mehr als nur eine Zurückweisung: Es war eine Ermahnung. Eine kühle, berechnende Art, mir mitzuteilen, dass wir weder jetzt noch irgendwann in Zukunft Freunde würden.

Nella, die mit offenem Mund und in einem seltenen Anflug von liebenswerter Sprachlosigkeit neben mir stand, erwachte mit der beschützenden Kraft einer Bärenmutter, die ihr Junges verteidigt, aus ihrer Erstarrung.

“Entschuldigen Sie, Mister Tremden”, entrüstete sie sich, die Hände auf ihre schmalen Hüften gestützt, “aber wann genau in der Geschichte der Betriebswirtschaft ist es zum Verstoß gegen die Professionalitätsregeln geworden, eine Person – Mann ODER Frau – mit seinem oder ihrem Vornamen anzusprechen? Oder wollen Sie meiner Freundin lediglich zu verstehen geben, dass sie es nicht würdig ist, mit Ihnen in der Öffentlichkeit gesehen zu werden? Wir können Eure Majestät selbstverständlich gerne alleine lassen, sollte das der Fall sein!”

“Halt, halt, halt”, unterbrach Alex und gluckste grenzenlos amüsiert, als er mit einem flinken Satz zwischen meinen Chef und meine beste Freundin sprang. “Ich glaube, wir sollten alle ganz schnell einen Gang herunterschalten – oder besser fünf Gänge. Tanner will doch lediglich den guten Namen Ihrer Freundin schützen …” Er machte eine Pause und betrachtete Nella. “Es tut mir leid … wie war Ihr Name noch gleich?”

Nella funkelte ihn nur an und atmete scharf durch die Nase aus.

“Dann erfinde ich eben einen … Miss Sassafras. Wie ich schon sagte, Miss Sassafras, er schützt auch seinen eigenen Ruf, den Tausende Journalisten liebend gern bei der erstbesten Gelegenheit ruinieren würden. Aber darf ich vielleicht das Offensichtlichste hervorheben? Chaney’s Arbeit beginnt nicht vor Montag, richtig? Also können Sie beide heute Abend ganz herrlich unprofessionell sein. Sie können einen Abend mit uns verbringen, bevor Chaney bei der Firma anfängt. Ganz einfach, oder? Problem gelöst.”

Immer noch beschämt über Nellas Ausbruch, spähte ich zu Tanner hinüber und bemerkte, dass seine Lippen angespannt waren und seine Augen funkelten. Für mich war das eine klare Antwort.

“Ich denke, wir gehen einfach”, sagte ich schnell, packte Nella am Arm und zog sie hinter mir her Richtung Ausgang. Als wir draußen standen, drehte ich mich zu ihr.

“Denkst du, was ich denke?”

Sie nickte, noch immer wütend. “Ja. Lass uns um ein paar Ecken gehen, möglichst weit weg von den Idiotenzwillingen da drin. Dann rufen wir ein Taxi, okay? Ich muss mich erstmal abreagieren.”

Wir kamen einen halben Block weit, als ich etwas Erstaunliches hörte, etwas, mit dem ich nie gerechnet hätte – meinen Namen. Laut geschrien von jemandem, der hinter uns herrannte.

“Chaney! Chaney, warte!”

Nella und ich warfen uns einen ungläubigen Blick zu. Tanner, Mr. Tremden, hatte mir doch gerade eben erst verkündet, dass er nichts mit mir zu tun haben wollte, dass wir eine Beziehung zueinander hatten, die nur auf Stift und Papier und Produktivität beruhte! Ganz egal, dass ich etwas völlig Anderes gespürt hatte, als er mich angeschaut hatte! Alles nur Einbildung! Warum um alles in der Welt rannte er mir jetzt hinterher? Wir blieben stehen und sahen ihm dabei zu, wie er uns immer näherkam und schließlich vor uns stehen blieb. Sein leicht angestrengtes Atmen verleitete mich dazu, mir ein paar andere Aktivitäten vorzustellen, die ihn genauso außer Atem bringen könnten ... Ruhe im Kopf! Er hatte gerade eine simple Freundschaft zu mir abgelehnt; warum also kamen mir nur immer noch solche Gedanken? Und warum stand ich noch immer so auf ihn? Niemals würde es zu derartigen Aktivitäten zwischen uns beiden kommen. Er mochte mich ja noch nicht einmal! Dennoch wartete ich höflich, bis er weitersprach.

“Ich wollte mich für das, was gerade passiert ist, entschuldigen. Ich glaube, es ist der Eindruck entstanden, dass ich Sie nicht mag oder mich nicht mit ihnen unterhalten will, nur weil Sie für mich arbeiten. Das ist aber nicht der Fall. Ich würde mich geehrt und mehr als erleichtert fühlen, wenn Sie und Ihre Freundin Alex und mich mit Ihrer Gesellschaft beglücken würden.”

Ich konnte an seiner Stimme und der Haltung seiner Schultern erkennen, dass er nicht meinte, was er sagte. Dass er nicht wollte, dass wir zurückkommen, den Rest des Abends mit ihm verbringen und dass er in diesem Moment nicht hier stehen wollte. Ich vermutete, dass Alex hinter seinem Sinneswandel steckte. Welchen Einfluss hatte der Kerl wohl auf ihn? Und warum gehorchte Tanner ihm? Das istein Geheimnis, dessen Antwort mich brennend interessierte! Tanner wirkte nicht wie ein Mann, der sich von anderen Menschen sagen ließ, was er zu tun hatte. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, würde ich ihn nicht dazu zwingen, gegen seinen Willen Zeit mit mir zu verbringen.

“Vielen Dank für das Angebot, Mr. Tremden”, setzte ich an, “aber ich glaube, wir lehnen es dankend ab.”

Plötzlich trat er einen Schritt auf mich zu und griff sacht nach meinem Unterarm. Allein dieser leichte Körperkontakt genügte, dass mir ganz schwindelig wurde. “Bitte”, sagte er fast flehend und mit samtig-tiefer Stimme. Für einen Moment lichtete sich die aufgesetzte Maske aus seinem wunderschönen Gesicht und ein Kampf verschiedener Emotionen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. “Bitte bleiben Sie.”

Ich wusste, dass Nella mich später wahrscheinlich in Stücke reißen würde, weil ich kein Rückgrat zeigte. Aber jetzt, wo seine Haut meine berührte und ich das schmerzliche Flehen in seinen Augen sah, nein, da könnte ich auf keinen Fall Nein sagen.

“Natürlich bleiben wir”, erwiderte ich. “Vorausgesetzt Sie können uns wieder Zutritt in diese Bar verschaffen.”

Er, und damit meine ich sowohl seine Mundwinkel als auch seine Augen, lächelte. “Ich denke, das kann ich.”

 

 

 

Kapitel 3

 

Als ich am Samstagmorgen spät erwachte, brummte mir der Schädel, die Gedanken an das, was am Abend zuvor geschehen war, vertrieben sogar meine Lust zu frühstücken.

 

Mit Tanner voran waren wir zurück in den Club gegangen und fanden Alex genau an der Stelle vor, wo wir ihn zurückgelassen hatten. Kurz darauf hatte er eine winzige Sitzecke für uns vier organisiert. Alex winkte umgehend eine Bedienung im schwarzen, sexy Outfit zu uns. Er spendierte uns allen eine Runde und pfiff anerkennend, als ich einen Manhattan bestellte.

“Stark und würzig”, lachte er. “Wo hast du denn das Trinken gelernt, Chaney?” Täuschte ich mich, oder funkelten seine Augen? Flirtend?

“Kansas”, antwortete ich mit halb erstickter Stimme und kaum in der Lage, überhaupt zu sprechen, da Tanners Bein gegen meinen nackten Oberschenkel drückte. Unnötig zu sagen, dass jeder Zentimeter meiner Haut prickelte und kribbelte.

“Kansas!” Alex schnaubte. “Der Vorzeigestaat der Sonnenblumen und - wovon noch? Sehr wenigen anderen Dingen?”

“Und Weizen”, flötete Nella zuckersüß. “Auch der Verkauf von I.Q.-Punkten floriert prächtig, und davon scheinst du ja nicht gerade viele zu haben. Vielleicht kann Chaney dir eine Lieferung zum Sonderpreis organisieren.”

“Miss Sassafras“, konterte er umgehend „Sie sind eigentlich viel zu hübsch für so ein Rumgezicke!“

Das war der Startschuss für Nella und Alex, sich mit schlagfertigen Sprüchen gegenseitig zu übertrumpfen. Schwupp - zumindest waren die beiden so voll und ganz miteinander beschäftig und Tanner und ich - nun, Tanner und ich waren auf uns alleine gestellt.

“Ich wollte schon mal immer nach Kansas”, bemerkte er leise.

“Ach, wirklich?”, fragte ich überrascht. “Warum das denn? Ich meine, verstehen Sie mich nicht falsch – es war schon schön, dort aufzuwachsen. Aber die meisten Stadtmenschen finden, dass das Verhältnis von Unterhaltungsmöglichkeiten und Grünflächen in Kansas kein für sie erstrebenswertes ist.“

“Sehen Sie - genau das würde mir vermutlich gefallen. Das hört sich für mich nach einem ziemlich friedlichen Ort an ...”

Verwirrt fragte ich ihn, warum er nicht einfach mal nach Kansas fuhr, wenn er unbedingt dorthin wollte. Statt zu antworten, verhärtete sich sein Gesicht jedoch wieder.

“Nun ja, ich bin ziemlich eingespannt hier in der Stadt. Ich habe ein paar Wohltätigkeitsprojekte, die eine Menge Zeit und Geld erfordern. Da wäre es nicht gerade von Vorteil, wenn ich länger verreisen würde.” Ich verstand ihn nicht. Warum länger? Er konnte doch auch nur für ein Wochenende hinfliegen, so weit war es nun auch wieder nicht. Seine Mimik verriet mir jedoch, dass ich besser nicht weiterbohren sollte. Rasch fragte ich also: “Um welche Art von Projekten handelt es sich denn?”

    Er neigte seinen Kopf zur Seite und betrachtete mich mit zusammengekniffenen Lippen. Doch aus seinen Augen blitzte der Schalk. “Was, Sie haben mich gar nicht gegoogelt?”

   “Hätte ich das tun sollen? Wissen Sie, mir ist es eigentlich lieber, dass mir die Leute selbst das von sich erzählen, was sie mir erzählen wollen.”

    “Oh, das ist eine interessante Sichtweise. Generell sehe ich das auch so, aber in diesem Fall könnten Sie online einen guten Überblick über diese Projekte gewinnen. Dann müssten wir jetzt nicht von der Arbeit sprechen. Ich will nämlich, dass Sie bei einigen dieser Projekte mitarbeiten.”

Es schien nicht so, als wollte er die Angelegenheit weiter bereden, sodass wir in ein Schweigen verfielen, das von Sekunde zu Sekunde unangenehmer wurde. Ich begann mich zu fragen, ob ich einen erneuten Fluchtversuch unternehmen sollte, als ich bemerkte, dass Alex uns einen eindringlichen Blick zuwarf. Sofort bemühte sich Tanner zu lächeln und beugte sich aus seiner Höhe näher zu mir herunter.

“Was machen Sie eigentlich gerne in Ihrer Freizeit?”, fragte er unvermittelt.

Ich runzelte die Stirn. “Sie müssen das nicht tun”, sagte ich so leise, dass nur er es hören konnte.

“Was tun?”

“Mir etwas vorspielen. Ich weiß zwar nicht, was Alex gegen Sie in der Hand hat, aber ich weiß sehr wohl, dass Sie nicht hier sein und mit mir reden wollen. Mir ist klar, dass er Sie dazu zwingt. Wir können eine andere Lösung finden.”

Er hob die Augenbrauen. “Ach. Da schau mal einer an. Schießen Sie los. Ich bin ganz Ohr.” Was war der Mann nur für ein A***loch! So herablassend konnte wirklich nur einer sein. Tanner Tremden, der seinem Ruf alle Ehre machte! Ich atmete tief ein und aus, bevor ich betont kühl antwortete: “Ist es wichtig, wo Sie Zeit mit mir verbringen? Denn falls nicht, können wir gemeinsam gehen und Sie erzählen ihm einfach, Sie hätten mich mit zu sich nach Hause genommen.”

Seine Augen flammten einen Moment lang auf, dann schluckte er trocken.

“Es wäre Ihnen allen Ernstes recht, wenn ich ihm das erzähle?”

Ich lächelte dünn und dachte an mein Versprechen an Nella. “Es wäre mir gleichgültig. Und ganz nebenbei würde das nicht nur ihr, sondern auch noch mein Problem gleich mit lösen.”

“Ihr Problem?“

„Ja, genau. Mein Problem.“

„Aha. Was das ist, geht mich nichts an?“

„Es tut nichts zur Sache.“

Er hob die Augenbrauen und nickte kaum merklich. „Aber was ist mit Ihrer Freundin? Sie hatten doch vor, etwas zu feiern.”

“Für mich hat es sich ausgefeiert. Und Nella … die kann schon selbst auf sich aufpassen.”

Er pfiff leise durch die Zähne und sah zu dem heiter schäkernden Paar. “Daran habe ich keinerlei Zweifel.” Anschließend betrachtete er mich nachdenklich. “Es gibt nur ein Problem an Ihrem Plan. Alex ist nicht dumm. Er weiß, dass Sie gutmütig und brav sind. Das sieht er jedem an, und Ihnen ganz besonders. Mit Sicherheit ahnt er, dass wir die ganze Sache geplant haben, und dass alles nur Show ist.”

Ich biss mir auf die Lippe und hoffte, somit meinen dröhnend lauten Herzschlag zu dämpfen. “Dann müssen wir ihn wohl davon überzeugen, dass dem nicht so ist. Kommen Sie mit!”

Mit weitaus mehr Selbstbewusstsein, als ich in Wirklichkeit empfand, bahnte ich mir meinen Weg zur Tanzfläche, während mir Tanner mit einem verwirrten Gesichtsausdruck folgte. Als ich meine Arme um seinen Hals schlang, begann er, meinen Plan zu durchschauen. Er spielte hervorragend mit, legte die Hände um meine Taille und zog mich an sich. Zu behaupten, mir würde dadurch warm, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Langsam bewegten wir uns im Takt der Musik hin und her, während ich ununterbrochen die Mulde zwischen seinen Schlüsselbeinen anstarrte.

“Sie müssen mich schon ein bisschen anders anschauen, damit wir glaubhaft den Eindruck erwecken, zwischen uns fliegen die Funken nur so!”, bemerkte er schließlich in einem beinahe entschuldigenden Tonfall.

Ich musste mich zwingen, ihn anzusehen, aber als ich es einmal geschafft hatte, hätte mich nichts mehr dazu bewegen können, meinen Blick abzuwenden. So nahe wie wir uns nun waren, konnte ich deutlich erkennen, dass seine Augen eher haselnuss- als dunkelbraun waren, eine komplexe Mischung aus Farbtönen, die sich ständig veränderten, während wir uns zur angenehm ruhigen und melodischen Musik aneinandergeschmiegt bewegten. Obwohl ich mich in einer Art Trance befand, spürte ich jede von Tanners Bewegungen, sah jedes Blinzeln seiner Augen und hörte jeden einzelnen Atemzug. Während ich ihm weiterhin tief in die Augen schaute, bemerkte ich eine Veränderung – die gleiche Mischung aus Fassungslosigkeit und Begehren, die mir schon zuvor aufgefallen war, diesmal jedoch gepaart mit dankbarer Zärtlichkeit und einem Anflug von Schmerz. Was quälte ihn nur so sehr? Meine Augen mussten meine Gedanken, die ich nicht aussprechen konnte, verraten haben, dann stumm schüttelte er kaum merkbar den Kopf. Er wollte nicht darüber sprechen und ich lächelte, um ihm zu signalisieren, dass das in Ordnung war.

Statt zurückzulächeln, starrte Tanner mich einfach nur weiter an. Und plötzlich, so als hätte er bewusst beschlossen, einem Impuls nachzugeben, wurde sein Griff um meine Taille fester und er zog mich so dicht an sich, dass weder ein Blatt noch eine Feder zwischen uns gepasst hätte. Ich fühlte seinen Herzschlag genauso schnell wie meinen eigenen und sein warmer Atem strömte in meinen Nacken. Ich konnte mich nicht erinnern, mich jemals zugleich so geborgen und begehrt zugleich zu haben. Meine Arme schlossen sich um seinen Nacken, ich schmiegte mein Gesicht an seinen Hals und ließ meinen Körper nahtlos mit seinem verschmelzen, während wir uns weiterhin langsam zusammen bewegten. Es war mir völlig egal, ob uns Alex oder sonst jemand zuschaute. Ich hatte mich noch nie so unglaublich allein in einer Menschenmenge gefühlt. Nach einer halben Ewigkeit, oder vielleicht auch nur nach ein paar Sekunden, löste sich Tanner leicht aus der Umarmung, berührte sanft mein Kinn und zog mein Gesicht wieder zu sich. In meinem Körper herrschten ein völlig ungewohnter Aufruhr und die Hitze, die seine nicht gerade weiche Männlichkeit ausstrahlte, tat ihr übriges, um mich in einen Zustand unbekannten Begehrens zu versetzen.

Gesteigert wurde dieses Gefühl, als er sich mit beinahe geschlossenen Augen zu mir hinunter beugte und mich küsste.

In diesem Moment explodierte meine Welt in tausend glitzernde Splitter aus Emotionen. Es fühlte sich an, als würden all meine Sinne von ihm durchdrungen oder als ob die Schwerkraft ausgesetzt hätte. Es gab kein Hoch, kein Runter, keinen Orientierungspunkt mehr. Es gab nur noch ihn und mich; und ich kreiste um ihn, auch wenn er es war, der mich umschlang. Ich war völlig in seinem Bann, gefangen von ihm und presste meine Hüften dichter an ihn. Genüsslich stöhnte er auf, küsste mich noch intensiver und ich spürte alles noch intensiver. Ich wollte entweder hier und jetzt sterben oder für immer in diesem Moment verweilen. Doch weder das eine noch das andere war mir vergönnt, denn er beendete den Kuss, hielt mich jedoch weiterhin fest, während wir uns atemlos und mit großen Augen ansahen.

“Möchten Sie gehen?”, fragte er und seine Stimme klang tief und unglaublich verführerisch. Ich nickte nur, da ich mir nicht sicher war, ob ich einen Ton herausbringen könnte.

Er nahm meine Hand und führte mich hinaus. Wir waren gerade vor dem Club angekommen, als eine glänzende schwarze Limousine vorfuhr. Tanner öffnete mir die Tür und legte eine Hand auf meinen Rücken, während ich in den Wagen stieg. Plötzlich fiel mir etwas ein.

“Alex und Nella!”, erinnerte ich mich. “Wir haben ihnen nicht Bescheid gesagt, dass wir gehen. Nella ist sicher beleidigt, wenn wir einfach verschwinden.“ Dabei sah ich ihn so entschuldigend an, dass Tanner nickte. “Stimmt. Ich laufe schnell zurück und sage ihnen Bescheid.” Bevor er die Wagentür zudrückte und zum Club zurückrannte, hielt er kurz inne und schenkte mir ein atemberaubendes Lächeln. Ich wusste, dass es ein echtes Lächeln war; ein glückliches, eins, das seine Augen leuchten ließ. Es war so ehrlich und schön, dass ich fast in der Limo sitzen geblieben wäre, als er drinnen verschwunden war, aber dann gewann doch meine realistische Veranlagung die Oberhand. Ich hatte soeben den wundervollsten Abend meines Lebens, der möglicherweise nicht länger als zehn Minuten gedauert hatte, verlebt. Doch von hier an war alles Weitere fraglich: Würde er mich nach Hause bringen? Würde er mich mit zu sich nehmen? Ganz egal, wofür er sich entschied: Hätten wir auf dem Weg überhaupt etwas, über das wir uns unterhalten könnten? Und nicht zu vergessen, würde die zusätzliche gemeinsame Zeit unser Arbeitsklima am Montag nur noch angespannter gestalten, wenn er offiziell mein Chef war? Ich wusste es nicht und bekam plötzlich luftabschnürend große Angst vor den Antworten, egal, wie sie lauten mochten.

“Bitte richten Sie Mr. Tremden meinen besten Dank für den schönen Abend aus”, bat ich kurzerhand seinen Chauffeur, einen weißhaarigen Mann mit einem silbernen Brillengestell, “und sagen Sie ihm, dass ich mir ein Taxi genommen habe. Ach ja, und sagen Sie ihm bitte auch, dass er Alex erzählen kann, was er will.” Dann öffnete ich die Tür, stieg aus der Limousine und machte mich auf den Heimweg.

 

Kapitel 4

 

Die Bilder der letzten Nacht wiederholten sich pausenlos in meinem Kopf, als ich am Samstag durch die Nachbarschaft joggte. Nachdem ich genug gelaufen war, gönnte ich mir eine Limettenlimonade bei meinem Lieblingsstraßenverkäufer namens Carl, einem tätowierten ehemaligen Hippie, der mich, seitdem ich vor Kurzem hierhergezogen war, ständig anlächelte und mir zuwinkte. Mittlerweile bot er mir sogar seine frischgepressten, jedoch gezuckerten, Getränke in einer Minigröße an, die er extra für mich kreiert hatte. Er nannte sie “Chaney-Becher” und verkaufte sie an Frauen, die “an ihrer Fitness arbeiteten”. Obwohl er mir stets versicherte, dass ich es gar nicht nötig hatte, an meiner Fitness zu arbeiten, da seiner Meinung nach alles an mir perfekt aussah. Manchmal ging ich auch an seinem Stand vorbei, wenn ich gar keinen Durst verspürte, nur um mein Selbstwertgefühl aufzubauen.

Zu Hause tat ich schließlich genau das, was Tanner mir vorgeschlagen hatte – ich googelte ihn. Das Internet hielt schier unendlich viele Informationen über den Mann parat, mit dem ich getanzt und den ich geküsst hatte; bevor ich davongelaufen war. Mein zukünftiger Chef war in Greenwich (sicherlich sehr behütet) aufgewachsen, hatte seinen Abschluss von der Columbia Universität mit Auszeichnung bestanden (nichts Anderes hatte ich insgeheim erwartet). In weniger als drei Jahren hatte er es im Unternehmen seines Vaters an die Spitze geschafft und die Unternehmenszahlen bewiesen, dass unmöglich nur sein Verwandtschaftsgrad für diese steile Karriere zuständig gewesen sein konnte.

ÜBERALL waren Bilder von ihm – auf Fashionblogs, auf Klatschseiten und in Artikeln im Business Insider … es schien, als könnte man nicht genug von seiner Macht, seiner Intelligenz und seinem umwerfend guten Aussehen bekommen. Natürlich wurden ihm Romanzen mit den berühmtesten Schauspielerinnen, Models und Erbinnen der Welt nachgesagt; die Fotos von ihm und diesen Frauen auf dem roten Teppich reichten aus, um meine Laune vollständig zu ruinieren. Auf keinen Fall konnte er an mir interessiert sein, wenn er mit einem Fingerschnippen eine Giselle-Bündchen-Doppelgängerin haben konnte, die noch dazu Mitglied bei Mensa International war.

Seufzend versuchte ich, mich zu konzentrieren. Wonach sollte ich nochmal suchen? Ach ja, nach den Wohltätigkeitsorganisationen, in die er involviert war. Bei meiner Suche fand ich heraus, dass er regelmäßig an eine ganze Reihe angesehener Organisationen spendete, vom amerikanischen Krebsverband, über Habitat for Humanity bis hin zu verschiedenen kleineren privaten und bildungsbezogenen Spenden. Nichts davon wirkte, als würde er dabei meine Hilfe in irgendeiner Form benötigen, dachte ich, bis ich auf einen kleinen Artikel auf einem weitgehend unbekannten Nachrichtenblog stieß.

Der Titel lautete “Multi-Millionär setzt sich für psychische Gesundheit ein”. Völlig fasziniert las ich weiter, dass Tanner vor einem Jahr eine gemeinnützige Organisation namens Shana’s Way ins Leben gerufen hatte, um Menschen mit leichten bis schweren psychischen Erkrankungen zu unterstützen. Nach einem Klick auf den Link, der zur Website führte, fand ich heraus, dass die Organisation Hilfsanträge für finanziell benachteiligte Familien anbot, ebenso wie eine Reihe teurer Stipendien für Menschen, die einen Beruf im psychiatrischen Bereich anstrebten sowie eine beeindruckend lange Liste mit Telefonnummern und Adressen von Kliniken in jedem Bundesstaat. Als ich auf die Spenderseite gelangte, pfiff ich durch die Zähne. Der Großteil der beachtlichen Finanzierung stammte von Tremden-Filbert, ein kleinerer Teil von Spendern, deren Namen ich nicht kannte.

“Muss nett sein, wenn man seinen guten alten Vater auf seiner Seite hat”, überlegte ich laut. Als hätte mein Gedanke eine groteske Verlagerung im Kosmos ausgelöst, begann mein Handy zu vibrieren, da just in dem Moment mein Vater mich anrief.

“Hi Papi”, rief ich freudig überrascht. “Was gibt’s denn Neues?”

“Ach, eigentlich nichts Weltbewegendes. Ich will nur mal hören, was mein kleines Mädchen so macht”, ertönte seine gewohnt raue Stimme mit dem Hauch eines Näselns, das die Vokale leicht in die Länge zog. “Sag schon: Wie ist sie, die große, böse Stadt?”

Ich lachte auf und ließ mich rückwärts auf mein Bett fallen, wobei ich meine Kissen und Stofftiere überall verteilte. “Immer noch groß, aber gar nicht so böse, zumindest heute nicht. Ich habe den Job bekommen, von dem ich dir erzählt habe.”

“Wirklich? Bei dieser Firma, über die ich etwas auf Forbes.com gelesen habe?”

“Ja, genau bei der!”

“Wow, Chaney! Da bin ich aber mächtig stolz auf dich! Das ist eine echt verdammt grandiose Leistung!”

Ich machte mir eine innere Notiz, dankbar zu sein, dass ich jemanden in meinem Leben hatte, der die Worte “verdammt” und “grandiose Leistung” im selben Atemzug benutzte. Außer meinem Vater kannte ich niemanden, der in diese soziale Kategorie fiel.     “Und wie läuft´s auf der Farm, Pops?”

“Gut, gut. Ich reite heute das neue Pferd ein. Hübsches Ding. Wo wir gerade beim Einreiten sind, wann ist denn dein erster Arbeitstag im neuen Büro?”

    “Montag”, erwiderte ich und spürte einen kleinen Ruck im Magen. “Bin ziemlich nervös.”

    “Dazu hast du doch überhaupt keinen Grund. Du machst das mit Links! Da bin ich mir sicher, Chaney!”

    Ich seufzte mit einem Blick auf den Tremden-Filbert-Stift, der auf meinem Schreibtisch lag. Zumindest hoffte ich, dass er recht hatte.

 

Kapitel 5

 

    Der Montag ereilte mich wie ein Hurrikan – aufwirbelnd, viel früher als vorhergesagt und mit einer gehörigen Portion Nässe. Ich stand eine Stunde früher auf, als nötig gewesen wäre, verzweifelte an meinen Haaren und meinem Kleid (sollte ich professionell schick oder entspannt aussehen? Haare zu oder offen? Dezent oder dramatisch geschminkt?) und zog schließlich mein graues Standard-Etuikleid an, dazu schwarze hohe Schuhe, band meine Haare in einem Halbzopf zusammen (ein Kompromiss!) und schminkte mich frisch und natürlich. Da ich zu nervös war, um auch nur einen Bissen zu essen, stürzte ich nur eine Tasse schwarzen Kaffee hinunter, griff nach meinem Regenschirm und flitzte zur U-Bahn. Die ganze Fahrt verbrachte ich ausschließlich damit, mir auszumalen, was an diesem Morgen alles ganz furchtbar, furchtbar schieflaufen könnte.

    Die Realität entpuppte sich jedoch als äußerst unspektakulär. Ich kam ganze vierzig Minuten zu früh bei Tremden-Filbert an und wartete eine geschlagene halbe Stunde auf einer Bank vor dem Gebäude, bis ich der Meinung war, nun hineingehen zu können. So machte ich mich also auf den Weg nach oben in die Abteilung von Tanner Tremden, wo mir seine elegante, in Chanel gekleidete, (wie zu erwarten) blonde Sekretärin einige Dokumente zur Fertigstellung überreichte und mich dann in sein riesengroßes Büro führte.

Zwar hatte ich den Großteil des Wochenendes damit verbracht, seinen Anblick und die sinnliche Wirkung, die er auf mich hatte, in einer Dauerschleife Revue passieren zu lassen. Doch nichts auf der Welt hätte mich auf Tanners Männlichkeit und Macht vorbereiten können, die er, an seinem schweren Mahagoni-Schreibtisch sitzend, ausstrahlte. Mir stockte der Atem und zu allem Überfluss fiel mir wieder ein, wie sich seine Lippen auf meinen angefühlt hatten und was für ein Geräusch er gemacht hatte, als ich mich an ihn geschmiegt hatte. Obwohl ich versuchte, ruhig zu bleiben, sehnte sich jede Faser meines Körpers danach, dass er all das nochmal tat - und zwar jetzt gleich. Ich wollte nichts sehnlicher, als dass er mich auf seinen Schreibtisch drückte, auf mich kletterte, meine Handgelenke über meinem Kopf festhielt, sein Becken an meines presste und mich leidenschaftlich küsste. Als er jedoch aufsah, war in seinen Augen nichts als kühle Professionalität zu erkennen. Nicht einmal ein Hauch von dem Begehren, das am Freitag so lichterloh gelodert hatte ...

“Miss Veeder” begrüßte er mich in emotionslosem Ton. “Ich hoffe, Sie hatten bisher einen angenehmen Morgen.”

“Sehr angenehm, danke.”

    “Nichts zu danken. Ich habe einen Schreibtisch gegenüber meiner Sekretärin Lynelle für Sie aufstellen lassen. Sie haben ihn wahrscheinlich bei Ihrer Ankunft gesehen.”

    “Ich ... ja, habe ich”, erwiderte ich und fühlte mich irgendwie im Stich gelassen. In meiner alten Firma hatte ich mein eigenes kleines Büro gehabt. Ich war mir nicht sicher, was genau ich hier erwartet hatte. Ein Zimmer mit guter Aussicht? Die Schlüssel zu seiner Wohnung? Jedenfalls war der schäbige kleine Schreibtisch vor Tanners Büro mit Ausblick auf seine Sekretärin und ohne Ausblick auf Tanner selbst nicht gerade der Arbeitsplatz meiner Träume. Allerdings hatte ich keinerlei Recht, mehr zu erwarten. Zumindest noch nicht. Nicht bevor man gesehen hatte, wie gut ich in meinem Beruf war.

    “Wunderbar”, fuhr Tanner fort, der nichts von meinem inneren Dialog ahnte. “Ich habe Ihnen eine geschützte E-Mail-Adresse einrichten und Ihnen einen Ordner mit Dokumenten zum Korrekturlesen und Bearbeiten schicken lassen. Bis auf Weiteres werden Sie damit beschäftigt sein.” Abrupt wandte er sich wieder seinem Computer zu und seine langen, geschmeidigen Finger tippten in einem schnellen Rhythmus.