Three Irish Love Stories - Annabelle Benn - E-Book
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Three Irish Love Stories E-Book

Annabelle Benn

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Beschreibung

Drei herzerfrischende Liebesromane vor der traumhaften Kulisse Irlands.

* Ein Ire fürs Herz * Irische Liebe * An Irish Baby

Drei heitere Geschichten über die Leichtigkeit des Lebens, den Wert echter Freundschaft, Wohlwollen und wahre Liebe.

Ein Ire fürs Herz Seit 7 Jahren ist Millie mit dem erfolgreichen und sehr attraktiven Anwalt Oliver zusammen. Er ist genau der Typ Mann, von dem sie ihr Leben lang geträumt hat. Natürlich gewöhnt man sich im Laufe der Jahre aneinander, durchläuft Höhen und Tiefen und manchmal dauern die Tiefen eben länger, aber deswegen kann man doch nicht alles einfach hinwerfen, denkt sie. Doch übersieht man dabei nicht auch viel? Gerade dann, wenn man dem Partner viel "verdankt"? Als Millie nun von ihrer Firma für ein paar Wochen nach Dublin geschickt wird, ahnt sie nicht, dass diese Geschäftsreise ihr Leben verändern wird. Denn auch wenn die Hauptstadt Irlands nur etwas mehr als eine Flugstunde von London entfernt liegt, gehen die Uhren auf der grünen Insel anders. Alles ist ruhiger und gelassener. Bestimmt könnte Millie dort blendend entspannen, wenn da nicht dieser Colm wäre. Colm ist zwar alles, was sich eine Frau wünschen kann: cool und einfühlsam, lässig und fürsorglich, witzig und charmant, ein fantastischer Musiker und Sänger. Und: beharrlich. Denn seit Millie irischen Boden betreten hat, weicht der ewig strahlende Mann mit den vor Lebensfreude funkelnden Augen nicht mehr von ihrer Seite. Schlimmer noch: Er scheint für jedes Problem eine einfache Lösung parat zu haben. Dabei gibt es für ihre Sorgen doch keine Lösung! Oder doch?

An Irish Baby Beven wünscht sich, dass endlich was vorangeht in ihrem Leben. Heiraten, Haus kaufen, Kinder kriegen, Karriere machen und endlich mehr Geld in der Tasche haben – dafür wäre es allmählich wirklich Zeit! Doch abgesehen davon, dass sie ihr eigenes Unternehmen gegründet hat, dümpelt ihr Leben vor sich hin. Schuld daran ist die Beziehung zu Caden. Denn der verträumte Ire würde lieber einen Tag blaumachen und mit ihr im Tayto-Park Achterbahn fahren, als sich um seine Karriere kümmern! Wie, bitteschön, soll man mit so einem Kindskopf eine Familie gründen können? Gar nicht, findet Beven, und trennt sich. Dumm nur, dass ein paar Wochen später sämtliche Schwangerschaftstests „Baby!“ schreien. Was nun? Abtreiben? Das Kind weggeben? Es allein großziehen? Oder sich auf den erfolgreichen, charmanten, wenn auch geheimnisvollen Amerikaner Jack Cooper einlassen?

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*** Ein Ire fürs Herz ***
*Eins*
*Zwei*
*Drei*
*Vier*
*Fünf*
*Sechs*
*Sieben*
*Acht*
*Neun*
*Zehn*
*Elf*
*Zwölf*
*Dreizehn*
*Vierzehn*
*Fünfzehn*
*Sechzehn*
*Siebzehn*
*Epilog*
*** Irische Liebe ***
*Kapitel 1*
*Kapitel 2*
*Kapitel 3*
*Kapitel 4*
*Kapitel 5*
*Kapitel 6*
*Kapitel 7*
*Kapitel 8 *
*Kapitel 9 *
*Kapitel 10*
*Kapitel 11*
*Kapitel 12*
*Kapitel 13*
*Kapitel 14*
*Kapitel 15*
*Kapitel 16*
*Kapitel 17*
*Kapitel 18*
*Kapitel 19*
*Kapitel 20*
*Kapitel 21*
An Irish Baby
~ Kapitel 1 ~
~ Kapitel 2 ~
~ Kapitel 3 ~
~ Kapitel 4 ~
~ Kapitel 5 ~
~ Kapitel 6 ~
~ Kapitel 7 ~
~ Kapitel 8 ~
~ Kapitel 9 ~
~ Kapitel 10 ~
~ Kapitel 11~
~ Kapitel 12 ~
~ Kapitel 13 ~
~ Kapitel 14 ~
~ Kapitel 15 ~
~ Kapitel 16 ~
~ Kapitel 17 ~
~ Kapitel 18 ~
~ Kapitel 19 ~
~ Kapitel 20 ~
~ Kapitel 21 ~
~ Kapitel 22 ~
~ Kapitel 23~
Epilog

 

Irish Love

Sammelband

 

***

Ein Ire fürs Herz

Irische Liebe

An Irish Baby

***

 

Annabelle Benn

 

 

Copyright: Annabelle Benn

Ein Ire fürs Herz: 2016

Irische Liebe: 2016

An Irish Baby: 2019

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: German Creative

Bildrechte: Annabelle Benn

 

Dieser Sammelband ist IDENTISCH mit dem Sammelband

„Irish Love“.

Da eine andere Autorin für diesen Titel Titelschutz beantragt hat, musste der Titel geändert werden.

*** Ein Ire fürs Herz ***

 

*Eins*

 

Millie pustete über das noch feuchte Aquarell und legte den Pinsel beiseite. Ihr Bild war auf eine doppelseitige Grußkarte gemalt und zeigte eine bunte Galaxie. Für die glitzernden Sterne und fernen Planeten hatte sie einige ihrer liebsten fluoreszierenden Leuchtstifte benutzt, durch die die Töne sehr schön zum Vorschein kamen. Als sie den Farben beim Trocknen zusah, dachte sie daran, wie glücklich es ihre Mutter machen würde, eine selbstgemachte Geburtstagskarte zu bekommen. Sie lächelte. Ihr Frühstückstee war nur noch lauwarm, als sie den zweiten Schluck nahm. Der Februar in London ist grau und unfreundlich, und dieser Morgen bildete keine Ausnahme. Es regnete noch immer und bei dem Geräusch der Tropfen, die an die Fensterscheiben prasselten, wollte sie es sich am liebsten mit einem guten Buch und einem warmen Tee auf der Couch bequem machen. Doch dafür blieb am Montagmorgen um kurz nach acht Uhr keine Zeit. Sie atmete tief durch und blies sich eine Strähne brauner Locken aus ihrem niedlichen Gesicht, denn im Schlafzimmer hörte sie Oliver wild herumwerkeln. Wie jeden Morgen riss er lautstark Schranktüren auf und schlug Schubladen zu, wenn er nach genau dem einen Hemd oder der einen Krawatte suchte, die er an dem Tag tragen wollte.

„Hast du meine Platin-Manschettenknöpfe gesehen? Die mit den Initialen?“, schrie er genervt.

„Hast du im Medizinschrank nachgeschaut?“, antwortete sie bemüht leise, um nicht wie eine dieser besserwisserischen, keifenden Ehefrauen zu klingen, auch wenn das nicht hieß, dass sie Olivers Ehefrau wäre.

„Ja, hab ich!", blaffte er und kam in die Küche gestürmt, wobei er mit fahrigen Bewegungen sein graues Hemd zuknöpfte. Abrupt hielt er inne, kniff die Augen zusammen und rekte das Kinn vor: "Millie? Du bist doch nicht ernsthaft am Malen? Es ist acht Uhr morgens!“

„Das weiß ich. Ich war früh wach“, antwortete sie ausweichend, stand auf und ging zur Spüle, wo sie die Tasse mit dem inzwischen kalten Tee ausschüttete.

„Dann hättest du mir doch beim Suchen helfen können, anstatt die Zeit so sinnlos zu verplempern!“ Kopfschüttelnd und schnaubend drehte er sich um und ging ins Schlafzimmer zurück. Millie presste die Handflächen aneinander, atmete tief durch und folgte ihm. Noch einen Tag mit einem Streit zu beginnen war das Letzte, was sie wollte. Das Wochenende war schon schlimm genug gewesen. Den ganzen Samstag lag er verkatert im Bett und gestern verbrachte er beinahe den ganzen Tag auf dem Golfplatz.

„Ich habe nur schnell eine Geburtstagskarte für meine Mum gemacht“, entschuldigte sie sich und begab sich auf die Suche. Oliver beugte sich gerade vor, um die Schnürsenkel seiner glänzend schwarzen Oxfords zu binden und grunzte zur Antwort. Ihr Wink mit dem Zaunpfahl, dezent auf den Geburtstag hinzuweisen, funktionierte nicht. Er bot nicht an, die Karte zu unterschreiben, Blumen zu schicken oder sie gar zu besuchen. Dabei brauchte man mit dem Zug weniger als drei Stunden nach Liverpool! Nein, er ignorierte den Geburtstag genau wie letztes Jahr und das Jahr davor. Sie wusste, dass er sich mit ihrer Mutter schwertat, wobei er sie kaum kannte. Die etwas schusselige, aber gutherzige Frau war ihm zu "einfach". Oliver war ein Aufsteiger. Seine Eltern, die mittlerweile in einer Art Altersheim für Arme in Indien lebten, hatten schon vor seiner Geburt angefangen, für die Schul- und Universitätsgebühren zu sparen. Oliver war intelligent, gerissen und über alle Maßen ehrgeizig. Er war geradezu besessen von Erfolg, Macht und Geld. Als gefürchteter Anwalt verdiente er mit 35 Jahren hervorragend und hatte bereits mit 26 den letzten Penny des Uni-Darlehens zurückgezahlt. Leider stiegen seine Eigenarten mit seinem Einkommen. So war es wenig verwunderlich, dass Millies Mutter Donna, die ihr Leben lang Friseurin war, unter seinem Niveau lag. Dabei liebte und verehrte Donna ihren Schwiegersohn in spe über alle Maßen.

 

Schweigend durchforstete Millie seinen Nachttisch. Unter dem breiten Ständer eines verchromten Fotorahmens entdeckte sie die Manschettenknöpfe. Die Aufnahme stammte von einem ihrer ersten gemeinsamen Urlaube. Wie glücklich sie damals waren! Tag und Nacht unterhielten sie sich, lachten und scherzten. Pausenlos hielten sie sich an den Händen, strichen einander über den Arm oder Rücken und sahen sich liebevoll in die Augen. Damals … vor fünf, nein sechs Jahren. Und seitdem … Wann genau war er immer abweisender und kürzer angebunden geworden? Seit wann gab er ihr das Gefühl, dass sie nicht gut genug für ihn war? Wann …? Genug! Bitte nicht jetzt!, verbot sie sich weitere Gedanken, schloss die Faust um die Knöpfe und drehte sich um. Schweigend betrachtete sie ihn, der sich gerade in dem großen Ganzkörperspiegel bewunderte. Oliver sah sehr gut aus. Er war etwa 185 cm, und da er drei Mal die Woche im Fitnesscenter trainierte, am Wochenende Golf spielte und eisern auf die Ernährung achtete, wobei er den Alkohol nicht mitzählte, war seine Figur unglaublich sexy definiert. Das kastanienbraune Haar hatte er bereits mit dem fein duftenden Wachs, das er in einem Spezialgeschäft besorgte, streng nach hinten gekämmt. Kritisch kniff er die Augen zusammen, als er die burgundrote Krawatte zu einem doppelten Windsorknoten band. Der anthrazitfarbene Anzug, dessen Jacke noch auf dem Bett lag, war maßgeschneidert; ebenso wie das weiße Hemd, in das er sich ebenfalls seine Initialen hatte einsticken lassen.

Millie verstand, dass die Sache mit den Initialen zum Erfolg gehörte, doch sie verstand nicht, warum.

Milde lächelnd öffnete sie die Hand und streckte ihm die glänzenden Manschettenknöpfe entgegen. „Hast du ein wichtiges Meeting?“, fragte sie bemüht, die Stimmung zu kitten.

„Vielleicht", murmelte er gedankenverloren, nahm einen Knopf nach dem anderen und setzte ihn ein. "Vielleicht wichtig, meine ich."

Jetzt oder nie, dachte Millie beunruhigt. Vermutlich war dies der schlechteste aller nur denkbaren Zeitpunkte, aber es war die letzte Möglichkeit, das heikle Thema anzusprechen und ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Schon vor Wochen hatte sie ihm von der Gelegenheit erzählt, doch auch da hörte er nicht zu. Seine Gleichgültigkeit ihrer Karriere gegenüber verletzte sie und so erwähnte sie die bevorstehende Geschäftsreise nicht mehr. Nun, eigentlich wollte sie ihm am Donnertag davon erzählen, doch da kam er spät und schlecht gelaunt aus der Kanzlei. Am Freitag trafen sie sich nach Büroschluss mit Freunden und am Wochenende – nun, da gab es ebenfalls keine gute Gelegenheit.

„Oliver, mein Dublin-Trip“, begann sie zaghaft.

Leicht genervt darüber, dass sie seine Konzentration mit dem letzten Manschettenknopf störte, sah er auf. „Was ist damit? Willst du dahin?“

„Wollen nicht, aber müssen. Ich soll dort die neuen Mitarbeiter einarbeiten. Und ... heute Abend muss ich los!“ Damit sie seine Reaktion nicht an Mimik und Körperhaltung erkennen musste, drehte sie sich rasch um, nahm das Jackett und reichte es ihm besänftigend.

„Wie bitte? Dublin? Heute?", fuhr er sie an und verengte die Augen.

"Ja. Heute."

"Sag mal, Millie, wovon redest du da? Wieso heute? In drei Tagen ist doch deine OP, schon vergessen? Bist du bis dahin zurück?" Sie konnte nicht sagen, was sie mehr erschreckte: seine Stimme, seine stechenden Augen oder seine angespannten Wangen.

„Ich bin erstmal die nächsten drei oder vier Wochen dort, Oliver. Danach vielleicht nochmal. Ich habe dir doch schon so oft davon erzählt ... Oder es zumindest versucht …" Sie ließ den Kopf und die Schultern sinken. "Ich muss das neue Team dort von Grund auf einarbeiten, das geht nicht von heute auf morgen."

„Ach …", schnaubte er, sah sie prüfend an und schüttelte dann den Kopf; so, als könne er nicht glauben, dass seine Freundin mit so einer Aufgabe betraut worden war. "Okay … Aber wie stellst du dir das jetzt mit deiner OP vor? Ich meine, wir haben zwei Monate auf den Termin gewartet!“

„Ich weiß …", gestand sie kleinlaut und flocht ihre Finger ineinander. "So leid es mir tut, aber die werden wir leider vorerst verschieben müssen.“ Allein, wie er scharf einatmete und wie sich seine Schultern anspannten, verriet ihr, dass das, was nun kommen würde, alles andere als gut war.

„Millie!", zischte er. "Ich wusste, dass du etwas finden würdest, damit du den Termin absagen kannst!" Mit einem Ruck riss er ihr das Jackett aus den Händen.

„Aber - wir können ihn doch auf eines der kommenden Wochenenden verschieben. Ich fliege jeden Freitagabend zurück nach London ...“

"Witzig. Sehr witzig, Millie! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du einen Tag nach der OP in ein Flugzeug steigen und auf diese Insel zurückjetten kannst?", keifte er und zerrte sich die Jacke über die Arme.

"Dann warten wir eben drei oder vier Wochen … Davon geht die Welt doch nicht unter!"

"Richtig, Millie! Die Welt geht davon nicht unter, aber meine Geduld geht daran zu Ende! Immer, immer, ist irgendwas!"

"Aber …"

"Nichts aber! Ich glaube wirklich, du willst gar nicht besser aussehen!"

Jäh zuckte sie zusammen und sah ihn aus erschrockenen Augen an. "D … doch", stammelte sie und Tränen traten in ihre Augen.

"Ach, jetzt heul nicht auch noch, ich bitte dich!", fluchte er, hob die Hände gen Himmel, drehte sich um und stürmte aus dem Zimmer.

"Aber weißt du, was ich allmählich glaube?", rief sie mit zitternder Stimme und ging ihm nach. "Ich glaube allmählich, dass dir mein Aussehen wichtiger ist als mein – als ich selbst!"

"Unsinn! Ist es nicht. Aber mit mehr Oberweite wäre dein Selbstwertgefühl nicht so tief im Keller und dann –«

"Dann was?" Vor Wut und vor Schmerz bebte sie und ballte die Fäuste.

"Ach, egal. Nichts. Ich muss los. Tschüss!", rief er, streifte sich die Platin Rolex Yacht Master auf sein Handgelenk und nahm den Schlüsselbund vom Sideboard.

„Oliver, du kannst doch so nicht gehen!", rief sie voller Angst. "Ich fliege heute Abend für vier Tage nach Dublin!"

„Und? Wie lange weißt du das schon?“, fauchte er, fuhr wie der Blitz herum und blickte sie scharf an. "Warum hast du mir nicht früher etwas davon gesagt?"

„Weil – weil ich die E-Mail erst am Freitagabend bekommen habe!“, schwindelte sie. Jetzt war sicher nicht der richtige Moment, ihm vorzuhalten, dass er ihr nie zuhörte.

"Ach? Und?"

"Und – und dann waren wir aus, am Samstag warst du krank und gestern beim Golfspielen."

"Es reicht! Erzähl mir doch nicht, dass du keine Gelegenheit gehabt hättest, mir etwas davon zu sagen! Manchmal frag ich mich wirklich, in welcher Welt du eigentlich lebst! Ich muss los. Tschüss!"

Er riss die Tür auf, raste hinaus und schon fiel sie lautstark ins Schloss.

Oliver war schneller weg, als die Wasserfarben zum Trocknen brauchten.

 

***

 

Niedergeschlagen sank Millie auf die Couch und fragte sich zum hundertsten Mal, wann alles so schrecklich wurde? Was machte sie verkehrt und vor allem: Wie konnte sie es wieder besser machen? Oliver hatte recht; ihr Selbstwertgefühl war angeschlagen. Aber lag das nicht daran, wie er sie behandelte? Schon seit langer Zeit hatte sie nicht mehr den Eindruck, dass sie ihm nichts mehr recht machen konnte, und zweifelte daran, ob er sie überhaupt noch begehrte, schätzte oder liebte.

Mit einem tiefen Seufzer legte sie den Kopf in den Nacken, streckte Arme und Beine aus und starrte an die Zimmerdecke. Es half alles nichts; sie musste packen und sich für den anstrengenden Tag fertigmachen. Dublin – so sehr sie sich über die Anerkennung, die mit der Geschäftsreise und der Ausbildung der Trainees verbunden war, freute, so gerne wäre sie hier geblieben, um die Wogen zu glätten.

Sie stand auf, packte ein paar Dinge und besah sich kurz darauf kritisch in dem Ganzkörperspiegel, vor dem sich Oliver wenige Minute zuvor bewundert hatte. Ihre Oberweite war mit Körbchengröße B in der Tat nicht üppig, wobei ihr die Form gefiel und bis vor Kurzem hatte sie sich immer wohl damit gefühlt. Wenn sie ehrlich war, wollte sie keine Brustvergrößerung und fand sich auch so schön und begehrenswert. Sie hatte Angst vor der Narkose, den Narben und der Veränderung, doch offensichtlich sah Oliver das anders … Und Millie war selten ehrlich; zumindest, wenn es um Oliver ging.

Oliver …

Millie war 27, seit sechs Jahren mit ihm zusammen, hoffte auf Heirat und Kinder. Erneut rief sie sich in Erinnerung, dass man mit 27 nicht einfach von vorne anfangen und alles hinschmeißen konnte, nur, weil es gerade nicht so gut lief. Man musste auch für den anderen da sein, ein paar Opfer bringen, nicht nur sich selbst sehen, dachte sie. Und wenn ihn eine größere Brust glücklich machte, dann war dies ein kleiner Preis, besonders in Anbetracht dessen, was er für sie getan hatte. Ohne ihn hätte sie nämlich die Stelle bei ihrer ersten Firma nicht bekommen und somit nicht selbst ein bisschen Karriere machen können. Ohne seine Hilfe hätten sie die Beerdigung ihres Vaters nicht bezahlen können. Ohne ihn ...

Da klingelte ihr Handy.

„Mum!", presste Millie angespannt hervor und setzte sich auf einen der Designerstühle, deren Beine und Rückenlehnen aus Chrom und deren Polster aus friesischem Kuhfell waren. Mit spitzen Fingern zog sie ihren roten Cardigan in Form und straffte die Schultern.

„Millie, mein Kind! Sag mal, was ist das denn? Ich habe gerade deine Nachricht von dieser Dublin-Reise abgehört!“ Der starke Liverpool-Akzent ihrer Mutter verwirrte Millie. Sie selbst hatte lange gebraucht, um diesem vermaledeiten Arbeiter-Dialekt und damit dem Leben, das sie als Kind in der teils rauen Stadt geführt hatte, zu entkommen. Nie wieder wollte sie so arm wie damals sein, das hatte sie sich geschworen. Dass dies möglich war, verdankte sie Oliver, denn ohne sein Einkommen hätte sie sich höchstens ein Zimmer in einer schäbigen WG in einem schlechten Londoner Stadtteil leisten können.

„Ja, ich fliege heute Abend.«

„Schon! Wie lange musst du denn dort bleiben?"

„Ach, Mum. Es ist doch nur für drei oder vier Wochen, und an den Wochenenden bin ich ohnehin hier," versuchte sie, die Bedenken der Mutter vorwegzunehmen, was ihr leider nicht gelang: "Aber sag mal, Liebes, was sagt Oliver denn dazu? Stört es ihn denn gar nicht?“

"Doch, Mum, natürlich stört es ihn. Ein bisschen zumindest. Aber – er ist doch auch erwachsen und muss ohnehin so viel arbeiten!", verteidigte sie sich beinahe flehend und hoffte, dass wenigstens ihre Mutter sie in ihrer neuen Verantwortung unterstützen würde. Die Aufgabe erhöhte ihre Chancen auf eine Beförderung und damit verbunden auf eine bessere Bezahlung! Mehr Ansehen und mehr Geld für – für so vieles! Zum Beispiel für diese neue Gucci-Tasche oder ein paar neue Louboutin-Schuhe oder … Oh, da gab es so vieles, was sie haben wollte! Haben musste! Sie liebte es, sich schick zu machen, modern und stilvoll zu kleiden, sich zu pflegen und als attraktive Frau an Olivers Seite durchs Leben zu gehen. Sie liebte die Bewunderung der anderen Menschen und das Lächeln, das sie ihrem Freund damit auf die Lippen zeichnete. Sie liebte es aber vor allem für sich selbst, weil sie sich dann einfach besser fühlte. Akzeptierter. Vollwertiger. Selbstbewusster.

„Millie! Soll das etwa heißen, dass Oliver unter der Woche ganz allein ist?", brauste ihre Mutter entsetzt auf.

"Mum …"

"Was hat er denn zum Essen? Hast du hoffentlich vorgekocht?“

Als ob es nichts Wichtigeres als Essen gäbe! Heutzutage kochte doch niemand mehr jeden Abend! Wie sollte das auch möglich sein, bei den langen Arbeitszeiten und den zahlreichen Verpflichtungen, denen man nach Feierabend nachkommen musste.

Genervt verdrehte Millie ihre grünen Augen und seufzte: "Mum! Er kann sich doch selbst etwas warmmachen, oder wo was holen! Außerdem geht er unter der Woche ohnehin meist mit seinen Kunden in schicken Restaurants abendessen. Ich bin mir sicher, er kommt gut allein klar und wird nicht verhungern!“

Dass laute Schnauben ihrer Mutter verriet ihr, dass diese anderer Meinung war. Millie wusste nur all zu gut, was jetzt kam. Nämlich:

„Ich hätte nie auch nur davon zu träumen gewagt, deinen Vater allein zu lassen! Wenn sein Abendessen nicht auf dem Tisch gestanden wäre, wenn er von der Arbeit nachhause kam, dann hätte es was gegeben, das kannst du mir glauben!“

"Mum! Das weiß ich doch! Aber Oliver ist nicht Dad!" Nur zu deutlich erinnerte sie sich an die Ausraster ihres Vaters. Wie er hungrig am Kamin saß und pausenlos so lange vor sich hin grummelte, bis die Mutter das frisch gekochte Essen brachte. Tagelang wechselten die Eltern nach solchen Zwischenfällen kein Wort, bis irgendwann wieder helles Lachen aus der Küche klang.

„Als ob ich das nicht wüsste! Halt mich doch nicht für dumm! Oliver ist ein erfolgreicher Anwalt und dein Vater war nur ein Maurer. Wenn auch ein sehr guter! Alle haben ihn gelobt! Alle!“, regte sich ihre Mutter weiter auf. "Aber Oliver ist auch nur ein Mann. Und im Grunde wollen alle Männer das Gleiche …"

Stumm rollte Millie erneut die Augen, trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte und ließ die Worte über sich hereinprasseln: "Eine starke Frau nach außen, aber eine schwache nach innen. Eine, die zu ihm aufsieht! Wann begreifst du das endlich! Außerdem wollen alle Männer, auch die von heute, eine gute Köchin, Hausfrau und Mutter. Und drittens …"

"Mum!", schrie Millie, die "eine Heilige am Tag und eine Hure bei Nacht" bei Gott nicht hören wollte. Wenn die wüsste! Denn wenn eine Sache nach wie vor blendend lief, dann war das der leidenschaftliche, fantasievolle und in letzter Zeit leicht dominante Sex. Nie im Leben würde sie sich ihren Vater als einen so unersättlichen und heißblütigen Mann vorstellen wollen, wie Oliver es war. "Ich weiß! Mach dir darum bitte keine Sorgen!"

„Millie, ich meine es ja nur gut und deswegen sage ich es dir nochmal: Pass auf den Mann auf! So einen kriegst du so schnell nicht wieder!“

"Ja, ja – und schon gar nicht mit 27!"

"Das ist nicht zum Lachen! Mein Gott! In deinem Alter hatte ich euch beide!"

"Ich weiß, Mum, ich weiß …"

"Na dann – was soll das Ganze dann? Kann nicht jemand anderer fliegen?"

"Mum! Nein! Himmel! Dass sie mich schicken, ist eine Ehre! Ich wäre doch verrückt, abzusagen!"

"Da wäre ich mir nicht so sicher! Sieh zu, dass du Oliver nicht zu erfolgreich und unabhängig wirst. Die wenigsten Männer kommen damit zurecht."

"Oliver schon. Im Gegenteil!"

Es enttäuschte Millie, dass die Beziehung mit Oliver für ihre Mutter offensichtlich wichtiger und bedeutender als ihre Karriere war. Deswegen sagte sie mit Nachdruck: „Mein Job ist mir aber auch wichtig! Ich muss auch an meine Karriere denken! Keine Frau kann sich heutzutage noch auf ihren Mann verlassen!“

"Nicht, wenn sie so tickt wie du! Vergiss nicht, dass du nur einen Bruchteil von Oliver verdienst! Ohne ihn …"

"Ich weiß, Mum, ich weiß … Und ich muss jetzt los."

Auch wenn der Ton ihrer Mutter wieder sanft und freundlich war, so versetzten ihre Worte Millie einen bösen Stich. Was war das nur für ein Tag! Und noch nicht einmal halb neun.

"Ich meine es doch nur gut mit dir, Kind!"

„Ja, Mum", stöhnte sie. "Ich weiß. Trotzdem muss ich jetzt eiligst packen, noch rasch ins Londoner Büro hetzen und dann nach Dublin fliegen, sonst verliere ich meinen Job und das würde Oliver bestimmt nicht gefallen!“

Nun war es ihre Mutter, die seufzte. „Mach dir bitte keine Sorgen, Mum. Oliver ist glücklich! Wir beide sind glücklich! Daran können auch ein paar Wochen in Irland nichts ändern", versuchte sie sich selbst weiszumachen. Galt das schon als Lügen? Sie fühlte sich nicht glücklich, schon lange nicht mehr. Oder änderten sich Glückgefühle mit dem Alter? Wurden sie bei jedem immer schwächer? Erwartete man sich einfach zu viel vom Leben?

„Ich muss jetzt los, Mum. Ich melde mich bald wieder, okay? Ich hab dich lieb, Mum!“ Schnell verabschiedeten sie sich und legte auf. Dann seufzte sie erneut; diesmal lauter und verzweifelter.

Nach dem nervenaufreibenden Telefonat war es unvermeidlich, dass sie sich verspäten würde. Dennoch blieb sie ein paar Augenblicke sitzen und versuchte, sich zu beruhigen. Das einzige Geräusch war der Regen, der an die Fenster prasselte. Sie blickte hinaus und dachte an den offenen Kamin in ihrem Elternhaus und wie sich die Familie in kalten Winternächten darum geschart hatte, um sich gegenseitig zu wärmen. Dabei hoffte sie immer, dass die Wärme so tief in ihre Knochen eindringen würde, damit sie nicht wieder frieren müsse, wenn sie wieder allein in ihrem Bett lag. Ja, sie waren arm. Sehr arm. Aber – vielleicht – glücklich.

 

Millie stand auf, ging ins Badezimmer und hängte den flauschigen Bademantel, der mit unzähligen Schmetterlingen und kleinen Blüten übersät war, auf den Haken. Ihre Mutter hatte Recht, dachte sie, als das warme Wasser auf ihre nackte Haut prasselte. Sie musste auf die Beziehung mit Oliver achten, denn sie wollte nie wieder nur glücklich, dafür aber so bitterarm wie in den kalten Winternächten sein.

 

 

*Zwei*

 

Halb genervt, halb gelangweilt scrollte Millie auf ihrem Handy durch Facebook und Instagram. Die schöne Louis Vuitton Reisetasche, die sie von Oliver zu ihrem siebenundzwanzigsten Geburtstag bekommen hatte, stand zwischen ihren Füßen auf dem Boden des Flughafens London Heathrow. Das edle Gepäckstück war groß genug, um darin ihre Sachen für die paar Tage in Dublin unterzubringen. Sie würde ja nur wenige Tage bleiben und schon am Freitag nach London, zu Oliver und ihr altes Leben zurückkehren, wenn auch nur vorrübergehend. Sie wusste, dass sie sich etwas würde einfallen lassen müssen, um sie einander wieder näher zu bringen. Doch womit könnte sie ihn begeistern? Vielleicht mit einem Konzert? Oder mit einem Tagesausflug ans Meer? Sexy Unterwäsche? Davon hatte sie eigentlich genug, alle samt Geschenke von ihm. Sie hing an ihm, verdankte ihm viel und all die gemeinsamen Jahre! All das konnte sie doch nicht einfach so den Bach hinunterlaufen lassen!

Ein Blick auf ihre Uhr ließ sie aufstehen und erneut am Coffee-Shop anstellen. Ihr blieben noch zwanzig Minuten bis zum Boarding; Zeit genug für einen weiteren Kaffee mit Sahne. Der Streit und die Aufregung lagen ihr so schwer im Magen, dass sie nichts essen konnte, auch wenn sie Hunger verspürte.

Auf dem Display ihres Handys erschienen der Reihe nach Fotos von Kollegen und Olivers Freunden; darunter auch diejenigen, die ihre Anwesenheit nie bemerkten. Dieses Scrollen war sinn- und gedankenlos, aber es gehörte inzwischen einfach dazu. Was hatte man früher, vor all den Social Media Seiten, nur gemacht?

Nach einer Weile blieb sie bei einem Bild hängen, das ihre ältere selig lächelnde Schwester Lucy und ihre fünfjährigen Zwillingssöhne zeigte. Unweigerlich schlich sich auch in Millies Gesicht ein Lächeln, wenn auch ein wehmütiges, denn die beiden sprachen seit über drei Jahren nicht mehr miteinander und das letzte Treffen lag noch weiter zurück. Sie kannte ihre Neffen nur von den Fotos, auf die sie in regelmäßigen Abständen mehr oder weniger zufällig im Internet stieß. Leicht verwirrt starrte sie auf die Aufnahme. Lucy sah nicht wirklich gut aus; offensichtlich kümmerte sie sich nicht um ihr Aussehen. Sie trug kein Make-Up und ihre braunen Locken – die gleichen, die Millie jeden Morgen gewissenhaft zu einem glänzenden Vorhang glättete – standen widerspenstig von Lucys Kopf ab. Ihre Schwester schien das jedoch nicht zu stören. Allein wie süß ihre Söhne waren, schien für sie zu zählen.

Millie schaltete den Bildschirm aus, bestellte, bezahlte und wartete auf ihr Getränk. Noch fünfzehn Minuten, dann wäre sie auf dem Weg nach Dublin. Sie wusste nicht viel von Irland, nur, dass die Hauptstadt vermutlich so groß war wie ein normaler Stadtteil Londons. Millie atmete tief durch. Wenn man sie doch nach Paris, Berlin oder Hong Kong geschickt hätte – aber doch nicht nach Dublin! Olivers Freunde waren ohnehin schon vornehm desinteressiert, wenn es um sie oder ihren Job ging. Die Neuigkeit, dass sie auf Geschäftsreise in Dublin war, würde auf dem nächsten Herrenabend höhnisches Gelächter auslösen. Millie sah die Herren beisammen sitzen, in ihren schweren Clubsesseln aus glänzendem Leder mit einem erlesenen schottischen Whisky in der einen und einer edlen kubanischen Zigarre in der anderen Hand. Frauen hatten nur selten Zutritt; Mann wünschte unter sich zu sein. Stört mich auch nicht, dachte Millie bitter, denn die Zoten und Witze waren meist sehr sexistisch. Aber vielleicht war sie ja so unwichtig, dass niemand nach ihr fragte oder Oliver geflissentlich verschwieg, wo sie steckte.

Millie klickte wieder auf Facebook und diesmal erstarrte sie mitten in der Bewegung. Soeben hatte ihre Freundin Fiona ein Bild gepostet, auf dem sie mit einem Surfbrett in der Hand an einem Strand in Bali zu sehen war. Canggu? Fiona strahlte mit der Sonne um die Wette. Wie konnten alle nur so glücklich sein? Alle, die ihr einmal wichtig waren … Waren. Die Betonung lag auf waren, denn sowohl mit ihrer besten Freundin, die sie seit der Grundschule kannte, und mit ihrer Schwester hatte sie keinen Kontakt mehr. Wie überhaupt mit … fast allen. Millie kommentierte den Beitrag nicht, sondern drückte mit viel Überwindung "Gefällt mir". Sie schluckte tief, hielt die Luft an und presste die Augen zusammen. Was war das? Wieso bildete sich ein Kloß in ihrem Hals und wieso drangen Tränen in ihre Augen?

"Alle Fluggäste gebucht auf den Aer Lingus Flug EI 175 nach Dublin werden gebeten, sich in folgenden Gruppen zum Boarding zu begeben …"

Millie erhob sich, noch immer mit zusammengekniffenen Lippen, griff nach ihrer Tasche und hängte sie lady-like in die Beuge ihres Ellbogens. Entschlossen stellte sie ihr Handy auf Flugmodus und stellte sich in die Boarding-Warteschlange. Wenn Oliver ihr bis jetzt nicht auf ihre Abschiedsnachricht geantwortet hatte, war er einfach zu beschäftigt. Oder … Nein. Er hatte doch gesagt, dass er ein vielleicht wichtiges Meeting hatte … Bestimmt ging er mit den Geschäftspartnern anschließend Abendessen.

 

Die drei Becher Kaffee waren eindeutig zu viel, denn aus dem geplanten Nickerchen, das sie auf dem gut einstündigen Flug von ihren kreisenden Gedanken fernhalten sollte, wurde nichts. Da sie nur Handgepäck hatte, schritt sie schon wenige Minuten nach Landung in die Ankunftshalle des Dubliner Flughafens. Suchend blickte sie sich um, denn die Firma hatte angekündigt, einen Fahrer zu schicken. Doch nirgends konnte sie ein Schild mit dem Namen "Millie Sullivan – Pickerton & Sons" erkennen. Überhaupt waren nicht viele Menschen zu sehen. Vielleicht war sie ein wenig früher als erwartet da und der Fahrer stand noch auf eine Zigarette im Freien? Sie beschloss, nachzusehen und ging durch die Glastüren hinaus. Auf vieles war sie vorbereitet, aber nicht auf das irische Wetter! Natürlich regnete es und natürlich kannte sie Regen. Doch der stark-böige Wind überraschte sie. Ihr beigefarbener Mantel flatterte bereits wild im Wind und sie hatte alle Hände voll zu tun, auf ihren hohen Absätzen nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Fest hielt sie die Tasche unter einem Arm, während sie gleichzeitig versuchte, den Mantel zu schließen. Als dies nicht gelingen wollte, ging sie ins Gebäude zurück, knöpfte ihn dort zu und band den Gürtel in einem Knoten zusammen.

So konnte sie diesem schrecklichen Wind trotzen. Mille ging wieder hinaus und sah sich suchend nach einem Schild mit ihrem Namen um. Doch wohin sie auch spähte und sich drehte: Kein Schild und kein Fahrer. Überall war es leer. Wartete die Person vielleicht doch drinnen auf sie? Sie konnte nicht glauben, dass der größte Flughafen des Landes so ruhig war! War sie hier richtig?

„Millie Sullivan?", hörte sie da eine erlösende Männerstimme hinter sich. Mit einem Ruck drehte sie sich um und sah zu ihrer Verwunderung einen jungen Mann von vielleicht dreißig Jahren auf sich zu laufen. Schnell hob sie die Hand und versuchte, mehr von ihm zu erkennen, doch bei dem starken Wind musste sie die Augen zusammenkneifen und sah deswegen nicht viel. Er kam genau richtig, denn ihre Lederschuhe durchweichten gerade ebenso wie ihre Hosenbeine.

„Hi, ich bin Colm. Ich hole dich ab!“, rief er gut gelaunt und streckte ihr seine Hand entgegen. Einem Reflex folgend, nahm sie diese und schüttelte sie widerwillig. Für lange Vorstellungsprozeduren konnte sie sich wenig begeistern, solange sie im strömenden Regen und pfeifenden Wind standen und seit wann reichte man dem Chauffeur die Hand? Und duzte ihn?

„Hi Colm. Freut mich. Könnten wir bitte gleich zum Auto gehen? Ich werde sonst bis auf die Haut nass und außerdem fürchte ich, dass mich der Wind noch wegbläst“, sagte sie mit eingezogenem Kopf. Völlig unvermittelt lachte er so laut auf, dass sie sich pikiert fragte, ob ihr Witz tatsächlich so lustig war oder ob sie etwas verpasst hatte.

„Die kleine Brise“, schmunzelte er gutmütig, als er sich wieder fasste. Zumindest vermutete sie, dass er das sagte, denn sie musste sich mächtig anstrengen, seinen irischen Akzent über den pfeifenden Wind hinweg zu verstehen. „Na komm, dann gehen wir mal besser zum Auto! Gib mir mal deine Tasche!" Überrascht reicht sie sie ihm und ehe sie sich versah, sprintete er zu einem kleinen, blauen Vauxhall, der für sie nicht im Entferntesten wie ein Taxi oder Firmenwagen aussah. Bevor sie das Auto erreichte, beförderte er schon ihr Gepäckstück auf den Rücksitz und hielt ihr, nun selbst im strömenden Regen stehend, die Tür auf. Dankbar schlüpfte sie schnell ins trockene Innere. Eins stand fest: Dieser Ire mit dem schwerverständlichen Englisch war höflich, oder freundlich, oder beides, aber auf keinen Fall geschäftsmännisch.

Als er neben ihr saß und den Motor anlassen wollte, konnte sie nicht anders, als ihn auf überraschend direkte Art zu fragen, was er mit der Firma zu tun hätte.

Er ließ den Motor nicht an, sondern drehte sich stattdessen mit einem warmen Lächeln zu ihr. Sie verstand nicht, warum und wartete vergebens auf eine Antwort. Er sah nicht schlecht aus, nur sehr lässig. Seine Augen waren grün, oder doch blau? Das war in dem Licht schwer zu sagen. Und warum schaute er sie so fragend, oder mitleidig, an? Sein Haar war rotgold und so geschnitten, dass es nach dem Regenschauer wie nasser Samt aussah.

„Willkommen in Irland, Millie", war alles, was er langsam und mit einem tiefen Blick sagte, bevor er sich in seinem Sitz wieder umdrehte und den Motor anließ.

„Danke, Colm“, murmelte sie und war sich noch weniger als zuvor sicher, wohin sie hier geraten war. War sie hier wirklich richtig? Warum konnte er ihr nicht einfach antworten? War ihre Frage so unhöflich? Eine geschäftliche Begrüßung sah normalerweise anders aus. Und warum saß sie überhaupt auf dem Beifahrer- und nicht auf dem Rücksitz? Innerlich schüttelte sie den Kopf, unterdrückte ein Seufzen und öffnete den breiten Gürtel ihres Mantels. Heute war einfach nicht ihr Tag.

„Hier in Irland brauchst mehr als das dünne Ding!“, sagte er unvermittelt, als er an einer Ausfahrtsschranke hielt und zeigte auf ihren Mantel und ihre Schuhe.

„Danke. In der Tasche habe ich einen Schal und einen Schirm“, sagte sie bemüht höflich, allerdings mit leicht schmalen Lippen. Und Colm? Der lachte schon wieder, aber dieses Mal wurde sie sauer. Was bildete sich dieser fremde Mann mit dem Bauerndialekt eigentlich ein?

„Du brauchst eine richtige Jacke! Und einen Hut. Ein Schirm hat hier eine durchschnittliche Lebenserwartung von weniger als einen Tag!", erklärte er mit einem heiteren Glucksen in der Stimme und einem Funkeln in den Augen.

Wie bitte? Ach, morgen war das Wetter bestimmt wieder besser. War das der irische Humor, von dem sie immer wieder mal gehört hatte? Das sollte lustig sein? Dieser junge Mann sollte sie einfach in Ruhe lassen. Sie war hungrig, müde und genervt. Hut – zu gegebenen Anlässen, ja! Natürlich hatte sie Hüte. Aber diese Hüte hatte der Mann, der sie in Sneakers, Jeans und einer Freizeitjacke abholte, sicher nicht im Sinn! Einen Hut aus Plastik vielleicht? Ganz sicher nicht! Nur über ihre Leiche! Bevor das passierte, würde sie kündigen! Sie verkniff sich eine Antwort, lehnte sich zurück und schaute aus dem Fenster.

Allerdings konnte sie nicht viel erkennen, denn Dublin war um zwanzig Uhr nicht mehr so hell beleuchtet, wie London selbst um Mitternacht noch. Glücklicherweise versuchte Colm nicht mehr, sich weiter mit ihr zu unterhalten. Schweigend fuhren sie am Fluss Liffey entlang und im Radio lief tatsächlich "Still haven't found what I'm looking for" von der Dubliner Band U2. Verbittert dachte Millie, dass sie das, was sie suchte, ganz gewiss nicht in diesem besseren Kuhdorf finden würde; weil sie es ohnehin schon gefunden und nur irgendwie in letzter Zeit, in den letzten Jahren … vielleicht einen Teil davon verloren hatte.

Die Gebäude standen dichter beieinander und wurden höher; doch auch in der Stadt herrschte wenig Verkehr. Die georgianischen Häuser, die das Ufer säumten, hatten verschiedenfarbige Türen und die kleinen Brücken waren nett beleuchtet. Doch Millie war nicht nach nett. Millie war nach Essen, nach etwas Warmem, Schwerem, Fettigem, mit verboten vielen Kalorien. Millie war nach einem Telefonat mit Oliver, in dem er ihr sagte, wie sehr er sie vermisste und liebte. Das Lied war noch nicht zu Ende, da hielt Colm an.

„So, da wären wir schon. Du bist im besten Teil der Stadt untergebracht, in Broadstone. Da hinten ist das Trinity College“, sagte Colm mit einem gewissen Stolz in der Stimme.

„Das ist mein Hotel?“, fragte sie zweifelnd, denn das vermeintliche Hotel sah wie ein gewöhnliches Wohnhaus aus.

„Ja! Es ist ein Apartment-Hotel, damit du mehr Platz hast und auch mal selbst eine Kleinigkeit kochen kannst. Und das hier ist dein Schlüssel.“ Er reichte ihr einen metallenen Schlüsselanhänger in Form eines Kleeblatts, den sie skeptisch entgegennahm.

„Du wohnst in Apartment Nummer 20, im zweiten Stock und hast einen tollen Blick auf den Liffey! Das Einchecken habe ich schon für dich erledigt. Du musst nur deine Tasche auspacken!“ Seine Stimme und sein Blick waren warm.

„Danke, Colm“, sagte sie und tastete nach dem Türöffner. Als sie ihn nicht fand, drehte sie sich um, doch auch jetzt half er ihr nicht, sondern blieb ruhig sitzen und betrachtete sie mit einem merkwürdigen Lächeln.

„Das da vorne ist die Ha’penny Bridge“, sagte er plötzlich und zeigte aus dem Fenster auf eine hübsche Brücke, deren weißes Geländer aus vielen schlanken Latten/ Pfosten/Stäben bestand. In regelmäßigen Abständen erhoben sich auf dem Geländer nach oben gerichteter Bögen, auf denen je eine Laterne leuchtete. „Das Büro ist auf der anderen Seite des Flusses. Du musst nur über die Brücke und dann zirka fünf Minuten nach rechts gehen, dann siehst du es schon. Du kannst es gar nicht verfehlen.“

„Danke, Colm“, sagte sie noch einmal mit angehaltenem Atem, fand endlich den Türgrif und drückte die Autotür auf. Doch als sie ausstieg, sprang auch er aus dem Auto. Waren alle Iren so? Irre?

„Willst du, dass ich dich reinbringe? Kommst du zurecht? Soll ich dich morgen früh abholen?“, schleuderte er ihr die Fragen nur so entgegen.

„Colm! Danke! Ich komm schon klar. Ich finde es bestimmt, und falls doch nicht, schaue ich einfach auf mein Handy Navi“, presste sie mit einem Lächeln hervor, reichte ihm entschieden die Hand und schüttelte sie langsam. „Wie du meinst“, sagte er dann leise, zog seine Hand aus ihrer, öffnete die Tür zum Rücksitz und reichte ihr die die Tasche. Anschließend vergrub er seine Hände in den Hosentaschen. "Danke!", wiederholte sie, und war bereits auf dem Weg zum Gebäudeeingang, als sie erneut seine Stimme hörte. „Dann bis morgen.“

Abrupt blieb sie stehen. Wie bitte? „Heißt das, du arbeitest auch im Büro?“, fragte sie staunend und kopfschüttelnd. Der Mann trug Jeans, Sportschuhe und eine Freizeitjacke! Nach Manager sah er nicht aus. Zudem fuhr er einen blauen Vauxhall; nichts, womit man angeben konnte oder was einem Firmenfahrzeug entsprach. Das alles war reichlich merkwürdig.

Nun schüttelte auch er den Kopf, hob die Hand, stieg ein und fuhr los.

Was für ein seltsamer Mann, dachte Millie, als sie die Gebäudetür aufdrückte und in das trockene und windstille Innere trat.

 

Das Apartment war klein, aber gemütlich. Auf dem hellen Holzfußboden lagen zwei cognacbraune Teppiche, die gut zu den modernen, dunkelbraunen Holzmöbeln des Wohn- und Schlafzimmers gut passten. Zwei große chromfarbene Stehlampen, mehrere Grünpflanzen und schöne Fotografien erinnerten sie an Zuhause. Die kleine, aber vollständig eingerichtete Küche war in Grau gehalten, wobei die rot lackierten Holzleisten dem Raum einen peppigen Anstrich verliehen. Küche und Wohnzimmer wurden von einer Theke abgetrennt, an der zwei schwarze Barstühle mit roter Lederlehne standen.

Ein großer Flachbildschirm hing an der Wand gegenüber der großen, anthrazitfarbenen Couch, auf der sich drei Leute bequem ausstrecken konnten.

Schön und neu sah alles aus, wenn auch ein wenig unpersönlich und doch nicht wie ihr Zuhause. Wobei, überlegte sie, recht viel anders sah die Londoner Wohnung eigentlich doch nicht aus. Nach und nach verschwanden alle Urlaubsandenken, bunte Teller, Vasen etc. verschwunden. Natürlich waren ihre Möbel wesentlich exklusiver und ganz anders gearbeitet, das war gar kein Vergleich. Und auch die Bilder, nun ja … Das hier waren billige Drucke, von denen es tausende gab, während die Auflagen der überdimensionalen Fotos in London streng limitiert waren. Doch ohnehin würde sie hier nur wenig Zeit verbringen und für eine Firmenwohnung war sie sehr schön.

Millie stellte die Louis-Vuitton-Tasche ins Schlafzimmer, öffnete die Fenster zum Durchlüften, wusch sich gründlich die Hände, bürstete ihr vom Wind zerzaustes Haar und schaltete den Wasserkocher an. Wenig später goss sie sich eine Tasse Tee auf, um sich aufzuwärmen. Denn obwohl sie die Heizung im Apartment ganz aufdrehte, konnte sie die Kälte, die ihr bis in die Knochen gedrungen war, nicht abschütteln. Vielleicht brauchte sie doch einen anderen Mantel? So ein Unsinn, schalt sie sich umgehend. Wenn man einen Burberry-Mantel hat, braucht man sein Leben lang keinen anderen! Zudem schrieben sie fast Anfang März, und nach nur drei Mal schlafen war sie schon wieder auf dem Rückweg nach London!

Sie nahm die Teetasse in beide Hände und trat an die breite französische Fensterfront. Der Blick auf den Fluss war von hier aus bezaubernd, in dem sich die trüben, weißen Lichter der Straßenlaternen und der Ha'penny Bridge spiegelten. Mit hellen Lichtpunkten besprenkelt floss das Wasser träge Richtung Meer. Ohne es zu wollen, verglich sie den Liffey mit der Themse. Der Londoner Fluss, das Herzblut der Stadt, war majestätisch und viel breiter. Tag und Nacht schipperten Lastkähne und Touristenboote darauf herum. Genau wie im Rest der Stadt war auch dort immer etwas los. Der Liffey hingegen war ein besserer Bach und selbst von hier und um diese Zeit konnte sie erkennen, dass sie ihn in weniger als einer Minute überquert hätte. Über die Tower Bridge brauchte man mindestens sieben Minuten, und das auch nur, wenn man keine High-Heels trug und sich beeilte.

Sie nahm einen Schluck Tee, als ihr Handy in dem Ton, den sie Oliver zugewiesen hatte, piepte. Oliver! Endlich! Sie hastete zu der Theke und griff hastig nach dem Smartphone. Enttäuscht ließ sie ihre Hand und Mundwinkel sinken, denn viel stand nicht darin. Lediglich: "Guten Flug gehabt? Ich bin mit den Jungs unterwegs. Reden wir später?"

Kein Kuss, kein LG, kein "du fehlst mir." Aber zumindest hatte er geantwortet und klang nicht mehr so genervt wie am Morgen. Immerhin, das war doch ein Anfang! Millie atmete tief ein, straffte die Schultern, lächelte und schickte ihm ein Kuss-Smiley. Inständig hoffte sie, dass „später“ vor dreiundzwanzig Uhr bedeutete, denn spätestens da wollte sie ins Bett gehen. Ihr Magen knurrte lautstark und zog sich schmerzend zusammen. Nein, keine Mahlzeit mehr. Es war nach einundzwanzig Uhr und sie hatte heute bereits Unmengen an Kalorien in Form von Sahne in sich hineingefuttert. Das musste reichen.

Die Visionen von gegrillten Sandwiches, von einem Shepard's Pie oder Fish'n'Chips waren genau das: Visionen, Halluzinationen. Kein vernünftiger Mensch, der auf sich achtete, würde jemals so etwas Abscheuliches zu sich nehmen! Das war Gift für den Körper!

Oh, ein warmes Bad würde ihr sicherlich guttun, dachte sie und ließ es sich prompt ein. In dem wohlduftenden Wasser entspannte sie sich und versuchte, nicht an Oliver zu denken. Erst, als ihre Haut ausgeweicht und schrumpelig war und sie wie ein kleiner Wassermann aussah, schlüpfte sie in ihren Pyjama und machte es sich vor dem großen Fernseher auf der riesigen Couch bequem.

Widerwillig zappte sie durch alle Kanäle des irischen Fernsehprogramms und freute sich, auf BBC endlich wieder richtiges Englisch zu hören. Wenigstens das war ein kleines Stückchen Heimat, dachte sie und stellte fest, dass die Nachrichtensprecherin heute mehr Oberweite als sonst zu haben schien. Schlagartig wurde ihr bewusst, was sie nach ihrer Rückkehr nach London erwartete. Ihr Herz rutschte in die Knie, doch sie hob es schnell wieder auf. Millie stellte sich vor, wie Oliver sie bewundern und wie viel erotischer und begehrenswerter sie sich selbst mit größeren Brüsten fühlen würde. Natürlich würde auch ihr Zusammenleben davon profitieren. Sie musste sich wirklich zusammenreißen und ihre Beziehung aus einem anderen Blickwinkel betrachten; mehr Verständnis für Oliver aufbringen und …

Und noch mehr Verständnis?

Wann rief er denn nun eigentlich an?

Um Punkt dreiundzwanzig Uhr gab sie das Warten auf und legte sich ins Bett, denn schließlich wollte, oder eher musste, sie vor Arbeitsbeginn noch eine Stunde laufen und glücklicherweise schien ihr die Strecke am Fluss entlang bestens geeignet zu sein.

"Gute Nacht, mein Schatz, schlaf gut und träum was Schönes", schrieb sie an Oliver und malte drei Herzen dazu.

 

 

*Drei*

 

Als Millie am nächsten Morgen die schweren Vorhänge aufzog, war sie sehr überrascht zu sehen, dass die Sonne aus einem tiefblauen Himmel, über den ein paar vereinzelte Schäfchenwolken jagten, lachte. Beim Einschlafen gestern Abend hatte es doch noch wie aus Eimern geschüttet! Heute wirkten die Brücke und der Fluss sehr beschaulich. Weniger schwerfällig, sondern heiter, leicht, gar einladend. Sie stellte ihre Lieblingsmusik an und tänzelte mit einem Lächeln voller Vorfreude auf Olivers Nachricht zu ihrem Handy. Gleich würde sie eine Stunde laufen, danach einen Smoothie trinken und: Vielleicht würde die Zeit hier ja doch ganz schön werden?

Vielleicht aber auch nicht, denn ihr Handy zeigte: Nichts. Gar nichts. Kein einziges Lebenszeichen von Oliver. Millie wurde flau im Magen, ihr Kopf fühlte sich leer an und drehte sich wild. Was hatte das zu bedeuten? Kein Gute Nacht, kein Guten Morgen – einfach nichts? Kraftlos sank sie auf die Couch und starrte den dunklen Bildschirm an. Nichts. Und noch immer nichts. Bestimmt gab es eine einfache Erklärung für sein Schweigen. Vielleicht war der Empfang so schlecht, oder er war todmüde, und betrunken, ins Bett gefallen und schlief noch. Oder der Messengerdienst hing überhaupt … doch er hing nicht. "Zuletzt online um 00:34" stand unter seinem Namen. Ihr wurde schwindelig, ihr Atem ging flach und ihr Körper zitterte. Oliver … Was war los mit ihm? Was hatte er schon wieder? So eisig hatte er sie nach einem Streit noch nie angeschwiegen! Aber sie war auch noch nie alleine auf Geschäftsreise gewesen ... Was konnte sie tun? Nochmals schreiben? Nach dem Laufen, sagte sie sich, nach dem Laufen!

Entschlossen, nichts in die Sache hineinzuinterpretieren, zog sie ihre graue Lycra-Laufhose mit der neonpinken Jacke an, legte den Pulsmesser um und schnürte die ebenfalls neonpinken Joggingschuhe zu. Sie stöpselte ihre Laufmusik an und nach einem Schluck Wasser mit Magnesium ging es los. Das Laufen auf nüchternen Magen tat gut; rasch kamen ihre Gedanken zur Ruhe und sie konzentrierte sich auf ihren Rhythmus und den Weg. Fast die ganze Strecke über blickte sie auf das friedlich dahinfließende Wasser und stellte sich vor, wie herrlich es wäre, den Tag am Meer zu verbringen. Den Wind in den Haaren und im Gesicht zu spüren … So wie früher, als Kind, in Liverpool … in einem anderen Leben.

 

Vielleicht ergab sich ja die Möglichkeit, nach der Arbeit hinzufahren? Vielleicht ging hier ja wirklich alles einen gemächlicheren Gang, was sie auch an der geringen Anzahl an Läufern ablesen wollte. Und an dem kaum vorhandenen Verkehr. Und daran, wie der Wind sanft über ihre Haut strich und ein paar widerspenstige Strähnen in ihrer Stirn kitzelten. Colm jedenfalls machte nicht den Eindruck, als würde er unter großem Druck stehen. Vielleicht könnte sie sich ja ein wenig erholen, überlegte sie, als sie sich abschließend dehnte, duschte und ein dezentes Tages-Make-up auftrug.

Um halb neun verließ sie, mit teuren Nahrungsergänzungsmitteln und einem Magermilch-Cappuccino aus dem Beutel gestärkt, das Gebäude, überquerte einfach die Straße und ging auf die Ha’penny Brücke zu. Ihre geflochtene, dunkelbraune Bottega Veneta-Tasche baumelte an ihrem Unterarm, während sie aufgrund ihrer Stilettos und des engen Bleistiftrockes nur mit kleinen Schritten vorantippeln konnte. Hatte der Rock sie schon immer so beim Gehen eingeengt? Sie hatte doch nicht zugenommen? Nein, das war völlig ausgeschlossen. Bestimmt kam sie sich nur deswegen so langsam vor, weil alle Frauen um sie herum flache Schuhe und weite Röcke oder Hosen trugen. In London würde sich niemand, die es je zu etwas bringen wollte, in derartigen Outfits ins Büro trauen. Die Frauen hier waren ungewöhnlich schlecht gekleidet für einen Dienstagmorgen im Büro. London war eben eine Business-Metropole und Dublin war … tiefste Provinz. Ideal zum Erholen! Vielleicht sollte sie auch einmal flache … nein! Auf keinen Fall! Woher kamen in letzter Zeit immer nur diese irrsinnigen Einfälle!

Der graue Bleistiftrock mit der edlen Seitennaht war teuer; Oliver hatte ihn mit viel Liebe ausgesucht. Der weiche Stoff schmiegte sich hauteng an ihre Oberschenkel und ließ sie, das wusste sie, zwar geschäftsmäßig aber doch auch sexy erscheinen. Mit den Waffen einer Frau, dachte sie und gab sich insgeheim das Daumen-Hoch-Zeichen.

Ihr, nun wieder trockener, Trenchcoat flatterte munter in der sanften Brise, als sie die Brücke erreichte. Der Fluss glitzerte in der Sonne, als hätte man Goldstreußel auf das träge dahinfließende Wasser gesprenkelt. Beschwingt ging sie über die hübsche Brücke, wich ein paar frühen Touristen aus, die Fotos von sich und dem Fluss schossen. Die bunten Liebesschlösser am Brückengeländer glitzerten in der Morgensonne und malten ein Lächeln in Millies hübsches Gesicht. Ach ja, die Wünsche von Liebenden, dachte sie und schüttelte dann betrübt den Kopf. Es war unvorstellbar, dass Oliver ihre Liebe mit einem Schloss auf einer Brücke besiegeln würde. Gewiss würde er schnauben und lachen. Doch natürlich hatte er recht. So etwas war nur etwas für commons, für das gemeine Volk; dem sowohl er als auch sie glücklich entkommen waren. Und was – ja, auch dabei hatte Oliver ihr unsagbar geholfen. Nicht nur mit seinem Geld, sondern auch mit seiner Stilsicherheit. Kein Wunder, dass es keine Fotos von ihr gab, die älter als sieben Jahre waren! Auf Meilen sah man ihr damals an Kleidungsstil, Frisur und Make-up ihre soziale Herkunft an. Damals war nichts Teueres und Erlesenes an ihr zu finden. Erst Oliver verlieh ihr diesen Anstrich. Er selbst hatte Enormes für seinen sozialen und beruflichen Aufstieg geleistet, und leistete es immer noch. Natürlich konnte er da kein kitschiges Schloss an einer Brücke anbringen, auch wenn sie noch so schön glitzerten. Doch dass ihr so etwas gefiel, würde sie ihm niemals verraten.

Am Ende der Brücke bog sie rechts ab. Die Straße hier war nahezu menschenleer, was sie stark verwunderte, vor allem, wenn man bedachte, dass es sich um den größten und geschäftigsten Teil der Stadt handelte. Das Gekreische der Möwen erfüllte die Luft und sie spazierte gemütlich den Fluss entlang, bis nach weniger als fünf Minuten ein rotes Backsteinhaus mit dem silberfarbenen Schriftzug "Pickerton & Sons" auftauchte.

Schön und vertrauenserweckend sah das aus.

Gut gelaunt überquerte Millie die Straße und fand sich vor einem Eingang ohne Schranken und ohne Wachpersonal wieder. In London befanden sich die Büroräume des Unternehmens neben dem Shard, dem ehemaligen London Bridge Tower. Dort überprüften zwei uniformierte Sicherheitsleute jeden Ausweis, bevor sie die Erlaubnis gaben, einzutreten. Hier jedoch standen die Glastüren einladend weit offen und vereinzelt gingen Leute hinein. Einfach so. Das gefiel Millie und mit einem kleinen Lächeln schüttelte sie den Kopf. Nicht einmal die Rezeption war besetzt. So wartete sie allein in dem menschenleeren Foyer und konnte kaum glauben, wie locker und entspannt die Regeln desselben Arbeitgebers waren.

„Oh, es tut mir so leid, Miss“, vernahm sie da einen starken irischen Akzent, der zu einer jungen Frau mit rotblonden Locken gehörte, die gerade hinter dem Rezeptionstresen Platz nahm. Das Gesicht der Frau war rundlich, ein paar lustige Sommersprossen tanzten auf ihrer Nase und ihren Wangen und ihre hellen Augen glitzerten munter.

„Also, guten Morgen, Miss, wie kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte sie sich aufrichtig herzlich und sah sie aus großen, gutmütigen Augen an. Ein lang vergessenes Gefühl machte sich in Millie breit; eins, das sie noch nie bei der Arbeit gefühlt hatte. Es war etwas wie keine Anspannung, wenn es das gab.

„Guten Morgen! Ich bin Millie Sullivan. Das Londoner Büro schickt mich für die Einarbeitung der Trainees im Verkauf“, sagte sie lächelnd und streckte dem Mädchen ihre Hand entgegen. Ein bisschen ungelenk stand diese von ihrem Stuhl auf, umschloss Millies rechte Hand mit ihren und schüttelte sie kräftig.

„Miss Sullivan. Natürlich! Wie schön! Oh, Sie sehen ja chic aus!", lachte sie erfreut. Als die völlig überrumpelte Millie nicht antwortete, fuhr sie umgehend fort: "Bitte nehmen Sie den Aufzug in den sechsten Stock. Mr. Byrne wartet bereits auf Sie!" Noch immer hielt sie Millies Hand fest in ihren.

„Danke!“, Millie musste aufgrund der übertriebenen Höflichkeit lachen.

„Lorna“, stellte die Irin sich vor.

„Danke, Lorna.“ Millie zog ihre Hand weg, lächelte und ging zu den Aufzügen.

„Einen schönen Tag, Miss Sullivan“, rief ihr Lorna mit ihrer hohen, munteren Stimme nach, als sie bereits in den Lift trat und den Knopf für den sechsten Stock drückte.

 

Als Millie oben ausstieg, fühlte sie eine Welle der Aufregung in sich aufsteigen. Bei dem Anblick des langen Ganges musste sie aus irgendeinem Grund an London und Oliver denken. Noch immer hatte er sich nicht bei ihr gemeldet und das, obwohl auch er inzwischen längst auf den Beinen und im Büro sein musste. Was er wohl hatte? Doch nun war keine Zeit zum Grübeln! Millie stand wortwörtlich mit einem Fuß in einem neuen Lebensabschnitt. Wenn sie ihre Aufgabe hier gut bewältigte, würde sie gewiss befördert werden und Oliver wäre stolz auf sie. Dann würde er erkennen, dass sich der Aufenthalt in Dublin gelohnt hatte. Vorfreude und Stolz erfüllten sie, denn es war eine große Herausforderung und Ehre, zum ersten Mal ein ganzes Team einzuarbeiten.

„Miss Sullivan?“, eine weitere lebhafte Stimme begrüßte sie, als sie aus dem kleinen Vorraum, in dem die Aufzüge hielten, in den langen Gang trat.

„Ja, das bin ich!“, rief sie leise und wischte ihre plötzlich feuchten Hände am Rock ab. Sie blickte in das Gesicht eines blassen, rothaarigen Jungen, der nicht älter als zweiundzwanzig sein konnte, und lächelte ihn freundlich an.

„Guten Morgen. Ich bin Darragh, Mr. Byrnes Sekretär. Er hat mich gebeten, Sie hier abzuholen. Ich hoffe, Sie haben das Büro ohne Probleme gefunden?“, plapperte er vor sich hin, als sie ihm den langen Flur hinunterfolgte, der zu einem Großraumbüro führte.

„Das war ganz leicht, danke Darragh“, betonte sie seinen Namen und hoffte, ihn korrekt auszusprechen.

Als sie den großen, hellen Raum betraten, sah sie endlich andere Angestellte, und zwar viele. Sie saßen an ihren in Reihen und Quadraten aufgestellten Schreibtischen, tippten, telefonierten und starrten auf ihre Computerbildschirme. Das hier erinnerte sie schon eher an London; es war wie eine Mini-Version ihres gewöhnlichen Arbeitsplatzes. Was dort wohl gerade vor sich ging?

„Darragh, sag mal, weißt du, ob ein Colm hier arbeitet?“, fragte sie, als sie vor einer Tür hielten. Sie hatte den jungen Mann nirgendwo entdeckt und wollte das Rätsel lösen. Leider gelang es ihr nämlich so gut wie nie, ihre Neugier zu zügeln. Statt einer Antwort lachte Darragh laut auf und fragte: „Welcher denn?" Schon klopfte er an die Tür ohne Namenschild.

Millie lachte ebenfalls, wenn auch nervös und ein wenig beschämt. "Herein!", ertönte es von drinnen und Darragh hielt ihr die Tür auf. Verlegen blickte sie auf den marineblauen Teppichboden und versuchte, sich zu sammeln, bevor sie ihrem Chef auf Zeit gegenüberstand. Der erste Eindruck war immer der wichtigste und nun stand sie im Begriff, den Manager der Dubliner Zweigstelle zu treffen, dem sie direkt unterstellt war. Sie bemühte sich zu lächeln und blickte auf.

Gerade, als sie ihr Gesicht so weit anhob, um ihren neuen Chef anzusehen, sagte eine bekannte Stimme: „Ah, Millie, da bist du ja. Guten Morgen!“ Ihr Lächeln gefror, noch bevor sie den Sprecher ansah, denn hinter dem großen Schreibtisch saß niemand anderer als Colm. Der Mann, der sie gestern in einem lässigen Freizeitlook vom Flughafen abgeholt hatte! Heute jedoch trug er einen dunklen Anzug, ein hellblaues Hemd und eine pflaumenfarbene Krawatte. War in Irland alles so wechselhaft und wandelbar wie das Wetter?

„Colm“, stieß sie mit einem überraschten und zugleich fragenden Unterton hervor und ihr Lächeln fiel in sich zusammen.

„Das war dann alles, Darragh, danke,“ verabschiedete Colm seinen Sekretär, der die Tür nicht gerade leise schloss. Millie zuckte.

„Du siehst überrascht aus“, stellte Colm sachlich, aber mit einem breiten Grinsen und flackerndem Blick, fest.

„Ja – nun - du hast mich doch vom Flughafen abgeholt!“, verteidigte sie sich unbewusst.

„Ja, hätte ich das etwa nicht tun sollen?“, fragte er mit einem Zucken um seine Mundwinkel und Augen. Mit einer fließenden Bewegung stand er auf und kam hinter seinem Schreibtisch hervor.

„Also, um ehrlich zu sein, hatte ich gedacht, dass du der Firmenchauffeur bist", purzelten die Worte aus ihrem Mund und sie spürte die Hitze in ihre Wangen jagen. Hastig versuchte sie, die Situation zu retten, und fuhr fort. "Oder Mr. Byrnes Sekretär.“

„Na ja, dein Flugzeug ist lange nach Büroschluss gelandet. Da konnte ich Darragh schlecht bitten, jemandem vom Flughafen abzuholen. Außerdem habe ich es gern getan“, erklärte er so lapidar, als sei es das Normalste der Welt. Mit einem tiefen Blick aus seinen, eindeutig, grünen Augen legte er seine Hände auf ihre Schulter und schüttelte sie sanft: „Bleib locker, Millie Sullivan, und willkommen in unserem Büro! Soll ich dich erstmal herumführen und dir alles zeigen?“ Lag da eine kleine Spur Spott in seiner Stimme und in seinem Blick?

Millie war von seiner Berührung so durcheinander, dass sie vorübergehend die Sprache verlor. Mehrmals räusperte sie sich, reckte den Hals in die Luft und drückte die Schultern durch.

„Vielen Dank für das herzliche Willkommen, Mr. Byrne“, gelang es ihr schließlich zu sagen, doch noch immer mied sie seinen Blick.

„Colm“, korrigierte er sie prompt mit einem hörbaren Grinsen in der Stimme und funkelnden Augen.

„Colm. Ich freue mich darauf, den Rest des Teams kennenzulernen.“ Um ihre Nervosität zu überspielen, streifte sie ihren ohnehin faltenlos sitzenden Rock glatt und richtete den Henkel ihrer Tasche an ihrem Armgelenk, auch wenn es gar nichts zu richten gab.

„Großartig. Oder möchtest du zuerst einen Kaffee?“, fragte er und hielt ihr die Tür auf.

„Kaffee? Ja, das wäre fantastisch." Sie hatte sich ein wenig beruhigt und tippelte mit ihrem engen Rock und den hohen Absätzen so schnell es ihr möglich war hinter ihm her. Er schritt sehr schnell voran und drosselte erst sein Tempo, als er bemerkte, dass er sie verloren hatte. "Die Dublinerinnen wechseln alle erst im Büro ihre Schuhe. Siehst du die ganzen Plastiktüten an der Garderobe?", fragte er mit leiser Stimme und zeigte zu mehreren überladenen Ständern.

"Ja …" Sie wusste nicht, ob sie sich über seinen Kommentar ärgern oder ihn nett finden sollte. Doch so freundlich, wie alle Angestellten ihn und wie er sie grüßte, fand sie den Hinweis nett. Flache Schuhe … weiter Rock … große Schritte. Schwachsinn!

Auf dem Weg zu den Aufzügen ging er ihr einen halben Schritt voraus und sie konnte nicht umhin, als zu bemerken, dass auch er zu den Männern gehörte, die in einem Anzug seriöser, wichtiger und mächtiger wirkten. Doch nicht viel. Colm war noch immer Colm. Seine Haltung war aufrecht, seine Schultern waren breit und sein Gang war kraftvoll, ohne dabei eilend und gestresst zu sein.

„Wir könnten natürlich in die Kantine gehen. Aber ich finde, dass du an deinem ersten Tag in Dublin etwas Besseres verdient hast als den wässrigen Nescafé," bemerkte er mit einem Glucksen in der Kehle.

Während sie warteten und Millie abwechselnd von ihren Fußspitzen an die Wand und wieder zurückschaute, wurde ihr bewusst, dass er sie ansah. Zaghaft hob sie den Blick und entdeckte ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen, das sie jedoch erschreckte. Warum sah und lächelte er sie an? Machte er sich über sie lustig oder wollte er … hatte er unanständige Gedanken? Ihre Bluse spannte ein wenig über ihrem kleinen Busen, was ihr gefiel und was Oliver empfohlen hatte. War ihr Outfit für Dublin doch zu aufreizend? Sie musste auf der Hut sein und sich künftig dem hiesigen Kleidungsstil ein wenig anpassen. Colm war ihr Vorgesetzter – der sie jetzt außer Haus zum Kaffeetrinken einlud. Das waren ja Sitten hier!

Folglich mied sie seinen Blickkontakt.

Noch immer grüßte er weitere Angestellte und lächelte sie dabei ebenfalls breit an. Vielleicht war ja alles falscher Alarm und er war einfach freundlich. Dublin war eben Dublin und so sehr sie auch hin und- herüberlegte, ihr wollte kein Londoner Manager einfallen, der auf so natürliche und gelassene Art mit seinen Mitarbeitern umging. Unvorstellbar war auch, dass einer von ihnen sie zum Kaffee außer Haus einladen würde.

Die ganze Liftfahrt fiel ihr nichts ein, was sie sagen könnte.

„Ah Lorna, könnten Sie Darragh bitte ausrichten, dass ich eine Stunde nicht im Büro bin?“, bat er die junge Frau, die an ihrem Rezeptionstisch saß und sich die Nägel feilte.

„Klar, mach ich, Mr. Byrne. Und nochmals hallo Miss Sullivan!“, kicherte sie, hob die Hand mit der Feile und winkte den beiden zu.

Vor dem Gebäude bemerkte Millie zu ihrer Überraschung, dass der Himmel wieder bedeckt war. Auch der Wind blies, wenn auch zum Glück nicht so stark wie am Abend zuvor.

„Das ist das irische Wetter! Fünf Minuten Sonne, fünf Minuten Regen! Aber fast immer Wind. Du solltest dir dringend einen Regenmantel kaufen, am besten heute noch!", meinte Colm mit einem Blick auf ihren Mantel und führte sie an der Hausseite entlang. Verlegen wandte Millie den Blick ab und nickte leicht. "Danke für den Tipp!"

Nach wenigen Metern erreichten sie ein hübsches Café, dessen Fensterrahmen und Tür in hellem Holz gehalten war. Auf einer Schiefertafel vor dem Eingang stand: ‚Ich mag meine Eier genauso wie meinen Papst: Benedict.‘ Millie gackerte los und schlug sich die Hände vor den Mund.

„Lustig, nicht? Ein bisschen Craic muss schon sein, nicht wahr?“, lachte auch Colm.

„Wie bitte? Crack?“ Mit weitaufgerissenen Augen drehte sie sich zu ihm.

„Oh, tut mir leid. Ein bisschen Spaß. Craic bedeutet Spaß. Kann man praktisch in jedem Satz verwenden“, klärte er sie auf, öffnete die Tür und folgte ihr zum Tresen, wo er die Barista mit einem fröhlichen „Guten Morgen, Anne!“ begrüßte.

„Morgen Colm! Das Übliche?", fragte Anne mit diesem allgegenwärtigen irischen Lachen und war schon dabei, die Bestellung in die Kasse einzutippen, bevor er überhaupt antworten konnte.

„Danke Anne. Das hier ist übrigens meine neue Freundin Millie aus London", stellte er sie vor. Vor Scham wurde Millie ganz klein und spürte, dass ihre Wangen erröteten.

Wie anders hier doch alles war! Natürlich ging auch sie jeden Morgen in das gleiche Café und bestellte den ewig gleichen Skinny Latte. Allerdings konnte weder sie sich an die Baristas noch die Baristas sich an sie erinnern und das, obwohl sie seit der Eröffnung vor drei Jahren dort Stammgast war!

„Guten Morgen Millie aus London. Was darf’s sein?“, wandte Anne sich gut gelaunt an sie.

„Einen Skinny Latte, bitte.“

„Magermilch, ja? Und zum Essen?“, fragte Anne, während sie die Bestellung eintippte.

„Nichts, danke.“

„Was? Du hast schon gefrühstückt?“, entfuhrt es Colm. "Wo denn?"

„Nein, nein. Ich habe nur keinen Hunger.“