Dance with me Heiße Rhythmen, heiße Liebe - Annabelle Benn - E-Book

Dance with me Heiße Rhythmen, heiße Liebe E-Book

Annabelle Benn

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Beschreibung

Heiße Rhythmen, die ins Blut und heiße Männer, die unter die Haut gehen: Das ist "Dance with me"! Dieser Sammelband enthält drei gefühlvolle, romantische Kurzgeschichten rund ums Tanzen. *** Debbie erfüllt den Wunsch ihrer Großmutter, endlich Tango tanzen zu lernen, denn nur so könne sie einen Mann finden! Doch Debbie hat zwei linke Füße und sträubt sich zunächst. Doch dann ist ausgerechnet ihr neuer Kollege ihr Tanzlehrer und es entwickelt sich mehr als nur eine Leidenschaft fürs Tanzen! Soll die Oma etwa doch Recht behalten? *** Salsa entführt Euch nach Miami, Florida. Hier verfällt Liliana dem südamerikanischen Profitänzer Alvarez, der sie nach Strich und Faden verwöhnt. Doch Liliana fällt es schwer, sich nach ihrer Scheidung auf einen neuen Mann einzulassen. Ob Alvarez ihr genügend Sterne vom Himmel holen kann, um sie zu überzeugen? *** Als Georgina sich für den großen Ontario Swing Wettbewerb umzieht, bekommt sie Muffensausen: Worauf hat sie sich da nur eingelassen? Sicherlich wird sie sich und den Traum ihrer schlaflosen Nächte, ihren Tanzlehrer Clarke, grenzenlos blamieren! Sie kann doch gar nicht richtig tanzen! Und noch dazu sitzt Clarkes Freundin im Publikum! Doch manchmal kommt so einiges anderes, als man denkt ...

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Inhalt

Salsa

Kapitel 14

Kapitel 29

Kapitel 317

Kapitel 422

Kapitel 528

Kapitel 632

Kapitel 738

Kapitel 843

Kapitel 945

Epilog55

Tango

Kapitel 157

Kapitel 264

Kapitel 369

Kapitel 473

Kapitel 577

Kapitel 684

Kapitel 789

Kapitel 894

Swing

Kapitel 1102

Kapitel 2106

Kapitel 3117

Kapitel 4124

 

 

 

 

Dance with me: Salsa

Salsa

 

 

 

Kapitel 1

 

Ich lebe meinen Traum. Tanzen. Salsa. Heiße Rhythmen, heiße Männer, heiße – nun ja, zumindest heiße Gedanken.

Hier stehe ich, mitten in einem großen Theater, und fühle mich wie ein kleines Mädchen. Damals wollte ich unbedingt Prima Ballerina werden. Nun, Ballerina bin ich, Liliana Nelson, nicht geworden. Und hier ist es nicht unbedingt so, wie ich es mir mit meinen vier Jahren vorgestellt habe. Es ist nicht gerade wie Schwanensee oder der Nussknacker. Aber für mich ist es genau so aufregend wie damals, als mich meine Mutter zum ersten Mal mit ins Met, und zwar in Romeo und Julia, mitgenommen hat. Ich – mit nur sechs Jahren! - sah Julia und Romeo sterben und war verwirrt. Und traurig, trostlos traurig sogar. Ziemlich sicher rührt mein Hang zu Dramatik und Romantik daher. Ich weiß noch, dass ich ganz aufgeregt neben meiner Mutter in dem weichen Plüschsitz saß. Ich konnte genau so wenig sehen wie jetzt. Ich hatte mein weinrotes Samtkleidchen, meine heißgeliebten weißen Lackschühchen mit weißen, durchbrochenen Kniestrümpfen an.

Lange ist das her, aber ich erinnere mich noch so genau daran, als ob es gestern gewesen wäre. Sogar an das glänzende Programmheft, das sie mir kaufte und das noch nach Druckfarbe roch. Der Besuch des (günstigeren) Matinées war mein Geburtstagsgeschenk und schon Wochen vor der Vorstellung war ich ganz aufgeregt. Wir hatten nicht viel Geld und das Programmheft war teuer, aber ich wollte es unbedingt haben. Ich bekam es, vielleicht, weil ich schwor, es für immer und alle Zeiten aufzuheben. Und das habe ich getan, bis jetzt. Das Heft liegt in der Schachtel, in der ich alle mir wichtigen Erinnerungsstücke aufbewahre.

Die aufgeregte und gleichzeitig feierliche Stimmung von hier erinnert mich an damals, auch wenn sonst fast alles anders ist. Ich bin kein Kind mehr, ich bin nicht mehr in New York sondern in Miami, das hier ist keine Ballettvorstellung sondern der Latin-Cup, der nicht nur Tänzer aus der ganzen Welt anzieht, sondern auch im Fernsehen übertragen wird. Einige der Tänzer sind Laien, einige richtig professionell; doch das ist egal, denn alle, die hier mittanzen, sind wirklich Weltklasse.

Das wilde Durcheinander-Geschnattere, die geballte Energie und natürlich die Musik, obgleich natürlich auch diese vollkommen anders ist. Dennoch rollt sie wie ein Zauber in mich, reißt mich mit, bewegt mich, gibt mir das Gefühl zu schweben und mich ganz von allen Sorgen und Gedanken zu lösen. Sie bewegt nicht nur meine Füße und Hüften, sondern auch meine Seele.

Leider habe ich viele Jahre gar nicht mehr getanzt. Wegen Russell, meinem Exmann. Erst nach unserer Scheidung habe ich wieder damit begonnen und dadurch ein völlig neues Lebensgefühl bekommen. Denn: ja, tanzen ist Leben. Mein Leben. Auch wenn ich niemals mit den Halbgöttern, die bald über die Bühne wirbeln werden, mithalten kann. Doch darum geht es gar nicht.

Da vorne ist mein Platz! Endlich! Ich lasse ich mich darauf plumpsen. Der Sitz hier ist, anders als im Met damals, hässlich dunkelgrün, aus billigem, abgewetztem Hart-Plüsch und hat eindeutig seine besten Jahre schon hinter sich. Die Ränder sind aus Metall, und wenn ich mich anlehne, tut mein Rücken weh.

Irgendwo in dem sich allmählich beruhigenden Getümmel schwirren meine Freunde Nicole und Lisa herum. Wir sind zusammen in Nicoles Auto hierhergekommen. Ziemlich spät, wie ich hinzufügen muss, weil Lisa mit ihren langen, blonden Haaren mal wieder nicht die „richtige“ Frisur hinbekam. Normalerweise ist es nicht so schlimm, doch heute können wir deswegen nicht beieinander sitzen. Aber was sagt sie bloß lapidar dazu? „Das ist Kuba-Zeit!“ Der Wettbewerb ist schon in vollem Gange! Wir haben doch glatt die ersten Tänze verpasst und das bei dem Eintrittspreis von 45 Dollar pro Person!

So ist das eben hier in Miami, Südflorida. Ein bisschen Kuba, ein bisschen Latino, ein bisschen USA. Ich liebe diese Mischung, genau so sehr wie die Musik, die immer lauter wird und mich beinahe vom Sitz reißt.

In den USA liebt man ja kaum etwas so sehr wie Klimaanlagen. Warum das so ist, werde ich nie verstehen. Draußen ist es heiß, hier drinnen ist es eiskalt. Was soll das? Wer friert schon gerne? Und wer schleppt gerne den halben Kleiderschrank mit sich herum, nur um für alle Klimazonen der Stadt, die man an einem normalen Tag bereist, gewappnet zu sein? Ich bin ausgerüstet und so wühle ich in meiner großen Tasche, in der sich zwei Paar Schuhe, mindestens so viele Wasserflaschen, Essen auch ein dünner Pulli befindet. Denn das kleine Bolero-Jäckchen, das ich anhabe, wärmt mich überhaupt nicht. Dafür sieht es sehr süß aus und passt ganz wunderbar zu meinem schwarzen Kleidchen, in dem ich mich gleich eine Kleidergröße schlanker fühle. Meine langen, hellbraunen Haare trage ich offen, so dass sie mein Gesicht sanft umrunden. Außerdem kann ich jetzt, so mitten drin und ganz allein, eine Strähne um meinen Finger drehen. Schnell erinnere ich mich, dass ich dabei wirke wie ein unsicherer Teenager, und lasse es wieder bleiben. Aber Tatsache ist, dass ich mich ein bisschen einsam und unwohl fühle. Ich will Nicole schreiben, doch der Akku von meinem Handy ist leer und natürlich befindet sich mein Ladegerät nicht in den Untiefen meiner Beinahe-Reisetasche. Ich schaue mich unsicher um, aber niemand scheint von mir, der Frau ohne Begleitung, großartig Notiz zu nehmen. Ich entspanne mich also und schaue nach vorne auf die Bühne.

Gerade wird ein schneller Cabaret-Stil Salsa gespielt. Hola, da geht die Post ab! Ich mag diesen Tanzstil besonders gern, weil sehr viele Hebefiguren und andere schwierige Tanztricks darin vorkommen.

Die wunderbar durchtrainierte, schlanke und perfekt gestylte Frau auf der Bühne dreht sich gerade scheinbar unendlich lange. Das Publikum geht voll mit, alle klatschen und rufen wie wild und die Jury macht eifrig Notizen.

Die relativ große Frau in einem grün-blauen Kleid aus unzähligen glitzernden Pailletten fasziniert mich besonders. Ihre Haare sind, wie es für den Salsa typisch ist, streng nach hinten gekämmt und hochgesteckt. Auch im Haar befinden sich viele Glitzersteinchen und ihre Ohrringe und Armbänder funkeln bei jeder Bewegung im Scheinwerferlicht. Ihr Gesicht ist stark geschminkt, dennoch sieht man, dass sie schwitzt. Genau wie ihr, bolivianischer?, Tanzpartner, der hautenge schwarze Hosen und ein weißes Hemd trägt.

Gerade kickt und schwingt sie ein perfekt gestrecktes Bein über seinen dunkelhaarigen Kopf. Doch nur halb. Mit einer Hand schnappt er sich ihre Fessel, zieht sie so hoch und wirft die ganze Frau über seine Schultern. Scheinbar mühelos streckt sie dabei auch noch die Beine mitten in der Luft in einen vollkommenen Spagat und scheint schwerelos zu schweben.

Mein Blut rast wie Feuer durch meine Venen und mein aufgeregtes Dauergrinsen erreicht meine Ohren.

 

Der nächste Tanz beginnt, wieder ein Cabaret. Auf der Bühne schlingt eine andere Tänzerin gerade ihren Arm um den Nacken ihres Partners. Beide sehen nicht nur umwerfend aus, sondern sind auch gleich groß und von ähnlicher Statur. Allein rein optisch sind sie schon ein Traumpaar. Wenn man aber erst sieht, wie die beiden tanzen! Bis hierher spüre ich die Erotik und Liebe, die zwischen den beiden hin- und hersprüht. Gerade drehen sie sich zueinander und sehen sich an. Ich bin mir sicher, dass sie den neuen Tanz bestimmt mit einem kleinen, süßen Kuss beginnen. Doch da werde ich enttäuscht, denn stattdessen spielen sie Katz und Maus mit vielen Drehungen und Hebefiguren.

Schwungvoll streckt sie ihr formvollendetes rechtes Bein nach hinten hinauf bis zu den Schultern. Er zieht sie bestimmend an ihrer Hand zu sich heran. Mit einem verschlagenen Blick und einem unglaublich erotischen Funkeln in seinen dunklen Augen blickt er zu den Zuschauern, während er eine Hand mit höchster Dramatik über ihren hautengen Body gleiten lässt.

Schüchtern, ein bisschen verlegen und mit einer stillen Hoffnung auf sein Versprechen, doch nur sie allein zu lieben sieht sie ihn von unten herauf an.

Die Musik wird ruhiger und damit auch ihr Tanz. Ihre Lippen berühren sich beinahe, bei der zärtlichen und einfühlsamen Szene, die sie jetzt spielen.

Die Trompeten und Hörner setzen ein und die Musik kulminiert in einem Crescendo.

Nur er – er küsst sie nicht!

Stattdessen dreht er sie von sich weg, bis sie an den gegenüberliegenden Enden der Bühne sind. Es ist romantisch und lustig zugleich und die Zuschauer sind ganz begeistert davon.

Doch jetzt kommt noch mehr!

In ihren halsbrecherisch hohen Stilettos, die wegen der unzähligen Strasssteinchen funkeln und glitzern, streckt sie ihm verführerisch lockend einen Zeh entgegen und verlagert ihr Körpergewicht auf das andere Bein. Sie streckt ihre Hand und spreizt ihre Finger. Sie macht auf frech und er auf interessiert. Nur, dass das alles sehr schnell und mit höchster Präzision vonstattengeht.

Mit einer schnellen Bewegung zieht er sie an sich, dreht sie blitzschnell um die eigene Achse und keine Sekunde später liegt sie über seinem Knie, ihr Rücken durchgebogen, ihre Hochsteckfrisur Millimeter über dem Boden. Sie tut noch überrascht, doch schon zieht er sie wieder zu sich nach oben und küsst sie – endlich! Alle klatschen und jubeln wir verrückt und mein Herz schlägt immer wilder.

Vor dem nächsten Paar gibt es eine ein-minütige Pause, denn die Jury braucht Zeit zum Ausfüllen der Formulare. Unzählige gertenschlanke Mädchen mit Glitzer auf den Augenlidern stehen herum und blockieren in ihren kaum vorhandenen Kostümen und Teamjacken die Durchgänge. Ich schaue ihnen beim Aufwärmen zu und wie sie ihre aufgestaute Nervosität mit spontanen Sprüngen und Spagaten abzubauen versuchen.

Die meisten von ihnen sind wohl Anfang zwanzig. Bei Wettbewerben auf diesem Niveau nehmen fast nur junge Leute teil. Ein Profitänzer tanzt normalerweise mit fünf Jahren sein erstes Turnier; wer erst mit zehn beginnt, hat man schon fast keine Chance mehr.

Ich? Ich bin 38 und habe erst nach dieser zermürbenden Scheidung von Russell mit dem Salsa-Tanzen angefangen. Ich hätte hier nicht den Hauch einer Chance, aber deswegen bin ich auch nicht hier. Nein, ich bin hier, weil ich zusehen, die Musik und die Energie spüren und weil ich später selbst tanzen will. Das reicht mir vollkommen. Ich bin einfach nur glücklich, dass ich hier bin.

 

 

Kapitel 2

 

Die Tanzveranstaltung ist ein Spektakel mit vielen Lasern, einer großen Videowand, Nahaufnahmen, lauter Musik und heißen Rhythmen. Die schlanken, ästhetischen Körper der Tänzer stecken in bunten Kostümen, auffallend geschmückt mit Pailletten und Federn. Die Tänzerinnen sind überwältigend schön, mit langen Hälsen und Beinen bis in den Himmel. Und die Männer erst – maskulin, selbstsicher, dominant. Aufrechte Haltung, gestählte Körper und die angeborene Kunst, eine Frau mit einem bloßen BIick oder einem leichten Fingerzeig in die Knie zu zwingen und völlig willenlos zu verführen.

Ich kann gar nicht mehr verstehen, wie ich mir so lange überlegt habe, ob ich ein Ticket kaufe oder nicht. Lag es wirklich nur an den 45 Dollar oder traue ich mich immer noch nicht ganz, richtig zu leben und das zu tun, was mir Spaß macht? Ich muss mehr ausgehen, mehr aus mir rausgehen, mehr Leben wagen! Ja, das muss ich und jetzt und hier verspreche ich es mir, hoch und heilig.

Das hier, das ist la vida pura: das pure Leben!

Jeder Muskel, jedes Gelenk der Tänzer ist so beweglich und geschmeidig wie mein Körper es in meinen kühnsten Träumen niemals sein wird. Sie stecken so voll Kraft und sind doch gleichzeitig so anmutig. Die Besten von ihnen benützen ihre Körper, Hände und Gesichter um eine Geschichte zu erzählen, die tiefer geht, als Wörter es jemals könnten.

Ja, aus jeder Pore der atemberaubenden Tänzer triefen Erotik, Verführungskünste und Können. So verleihen sie sich selbst und ihren Geschichten Ausdruck, verzaubern die Zuschauer und entführen sie in eine andere Welt.

Ich schaue mich in der großen Halle um und sehe viele vertraute Gesichter, sowohl auf der Bühne als auch im Publikum. Das ist meine Salsa-Welt. Von grottenschlecht bis wunderbar ist unter den Zuschauern, die später selbst tanzen wollen, alles vertreten. Doch wir gehören zusammen, denn uns verbindet die Leidenschaft für den Tanz, die Musik und all die mit Worten nicht erzählbaren Geschichten. Allein dadurch strahlen alle eine einzigartige Schönheit aus.

Ich bin gerne von schönen Menschen umgeben, muss ich zugeben. Dann fühle ich mich selbst auch toll und begehrenswert.

„Ist der Platz frei?“, dringt da eine tiefe, warme Stimme mit leicht südamerikanischem Akzent von hinten an mein Ohr. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Frau, die neben mir gesessen hatte, weggegangen war.

Automatisch schaue ich mich sofort um, ob nicht ein bekanntes Gesicht in der Nähe ist, der oder die neben mir sitzen möchte. Da ist zwar niemand, dennoch zögere ich. Diese Stimme … Langsam drehe ich mich um und schaue dem Mann, dem sie gehört, direkt in die Augen.

Irgendwie schaffe ich es, „Nein!“ zu fiepen.

Der – Adonis, anders kann man das gar nicht bezeichnen – trägt eine engsitzende schwarze Hose, ein weißes, ebenso enganliegendes Hemd mit kurzen Ärmeln, das sich verführerisch an seinen wohl definierten Oberkörper schmiegt. Er ist ziemlich groß, bestimmt 190. Er schlängelt sich mit einem Nicken und Lächeln an mir vorbei und nimmt neben mir Platz. Neben mir! Dabei streift sein Knie meins. Kalt ist mir an dieser Stelle nicht mehr.

„Entschuldigung.“ Wieder diese warme, weiche Stimme mit ihren ganz eigenen, tiefen Schwingungen, die mich sofort tief innen berühren.

Es stört mich gar nicht, dass er mich berührt hat, wenn auch unabsichtlich.

„Macht doch nichts“, sage ich. „Wir sind hier ja wie die Sardinen zusammengepfercht!“ Sardinen? Zusammengepfercht? Habe ich das gerade wirklich gesagt? Leider ist auf meine intellektuellen Fähigkeiten nicht immer Verlass, besonders dann nicht, wenn in meinem Bauch kleine Schmetterlinge aus ihren Kokons krabbeln und ihre Flügel ausfalten. Und das tun sie gerade.

Ich lächle also verlegen und er lächelt zurück. Dabei scheint sein ganzes ebenmäßiges Gesicht zu leuchten. Er ist unglaublich schön. Seine Haut ist von Natur aus leicht dunkel, wie ein guter Milchkaffee. Seine Augen sind fast schwarz, so wie zartschmelzende Zartbitter-Schokolade. Sie sind von dichten, langen Wimpern umrandet. Seine griechische Nase verleiht ihm zusätzlich einen unwiderstehlich männlichen Ausdruck.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen so vollkommenen Mann aus nächster Nähe gesehen zu haben.

„Hallo, ich bin Alvarez“, sagt er und streckt mir seine gepflegte Hand entgegen. Ich bin richtig aufgeregt, was für mich sehr ungewöhnlich ist. Normalerweise bringt mich nichts so schnell aus der Fassung.

„Hallo, freut mich!“, antworte ich und nehme seine Hand ein wenig zu schnell; so, als könne er mich beißen oder als würde er es sich anders überlegen, und seine Hand wieder wegziehen, noch bevor sie meine berührt hat.

Er bemerkt das natürlich und amüsiert sich darüber. Das sehe ich an den feinen Falten, die sich um seine Augen bilden und an dem frechen Funkeln darin. Auch seine vollen Lippen verziehen sich leicht zu einem Lächeln. Doch – Moment, wartet er noch auf etwas?

Oh ja! Mein Name! Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt!

„Oh, sorry, ich bin Liliana!“, hole ich das Versäumte schnell nach und jetzt zucken seine Mund- und Augenwinkeln noch mehr als zuvor.

Ich heiße gar nicht wirklich Liliana, aber mir gefällt der Name. Beim Tanzen bin ich Liliana, eine verführerische Frau, die das Leben genießt. Liliana ist anders als Lily, die Buchhalterin und alleinerziehende Mutter, die gerade eine Horrorscheidung nach noch viel mehr Jahren Horrorehe hinter sich hat. Diesen Horror, den tanze ich mir als Liliana von der Seele. Dieser Teil von mir hat hier nichts zu suchen.

Allein der Umstand, dass ich ihm erst jetzt meinen Namen sage, ermöglicht es, dass ich seine Hand noch ein paar Augenblicke länger halten und spüren kann. Unglaublich, wie weich und fest zugleich sie ist. Und wie gut sie sich anfühlt! Am liebsten würde ich sie gleich gar nicht mehr loslassen.

Ich frage mich gerade, wie er wohl tanzt, und auch, wie er wohl riecht. Ich lehne mich ein wenig zu ihm vor. Mhm, ja, er riecht ein bisschen exotisch und …. Oh ja … ganz eindeutig nach Mann.

Wie lange schnuppere ich denn schon an ihm herum? Hilfe!

Mein schwarzes Lieblingskleid ist kurz. Sehr kurz. In dem Moment stößt die Klimaanlage, vor der ich sitze, einen neuen Schwall eisiger Luft aus. Sofort zittere ich leicht, obwohl dieser heiße Mann neben mir sitzt.

„Ist dir kalt?“

Ich lächle und zucke die Schultern, während ich verzweifelt nach einer schlauen Antwort suche. Aber wie schon gesagt: Denken ist nicht immer meine Stärke. Irgendwie ist es mir auch peinlich, dass er gleich gemerkt hat, dass ich friere. Ich zeige ungerne Schwächen und Frieren ist schwach, finde ich. Oder ist es mir peinlich, so viel Aufmerksamkeit von einem Mann zu bekommen? Die noch dazu so natürlich wirkt?

„Es ist ja auch eiskalt hier drin!“, sage ich also und könnte mich sofort dafür ohrfeigen. Es klingt so weinerlich und als würde ich mich beschweren. Mein Exmann hat immer gesagt, dass ich mich zu viel beschwere. Ja, darüber hat ER sich beschwert! Also, ja, ich arbeite daran, es nicht mehr so oft zu tun und nicht überall das Negative und potenziell Gefährliche zu sehen. Aber dieser Mann hier - Allll-varez wirkt gar nicht so, als wäre ihm das negativ aufgefallen oder als würde es ihn stören. Er wirkt eher so, als hätte er es gar nicht als Beschwerde aufgefasst.

Er bückt sich und zieht eine Jacke aus seiner Tasche. Er fragt gar nicht, ob ich sie will. Er legt sie mir einfach um die Schultern, so, als wäre es das Normalste der Welt. Ich versteife mich, weil ich es nicht gewohnt bin, so umsorgt zu werden. Noch dazu von einem Fremden!

Die Jacke fühlt sich gut an, ganz weich und warm und sie riecht ganz leicht nach ihm.

Ich schlüpfe mit einem dankbaren Lächeln hinein. Sie ist mir natürlich viel zu groß. Er streicht sie mir am Rücken und an den Armen glatt und – seine Berührung gefällt mir. Mehr als das. Sie lässt diese Schmetterlinge zum ersten Mal mit den noch frischen Flügeln flattern.

Meine Wangen werden warm – also rot. Es ist eigenartig, dass er sieht, was ich spüre.

„Besser so?“, fragt er mich, wobei er längst weiß, dass es so besser ist. Das verrät mir das schelmische Zucken in seinen Augenwinkeln. Sofort schrillen die Alarmglocken in mir: Der Typ ist zu geschniegelt und zu perfekt!

Ich versteife mich wieder und wende meine Aufmerksamkeit den Tänzern zu, genau, wie er es auch tut. Der Unterschied zwischen uns ist nur, dass er sich gemütlich zurücklehnt und so tut, als wäre ich gar nicht da. Ich hingegen sitze nach vorne gebeugt da und brauche einige Zeit, bis ich mich halbwegs entspannen kann.

Nach einer Weile des gegenseitigen Ignorierens vergesse ich tatsächlich, dass er da ist. Nun ja, so gut das in seiner warmen Jacke und mit meinem Arm, der sich an seinen drückt, möglich ist. Auch berührt sein Knie ganz leicht meines, weil es hier einfach zu eng ist, als dass er seine langen Beine woandershin ausstrecken könnte. Die Tänzer auf der Bühne halten mich mit ihren Dramen so in Atem, die sie aufführen, dass ich keine Gelegenheit habe, um mir über Alvarez neben mir Gedanken zu machen. Es reicht vollkommen, ihn die ganze Zeit über so nah bei mir zu haben.

Als der Tanz ruhiger wird, bemerke ich, dass er mich genau beobachtet und ich spüre, dass es ihm gefällt, wie ich auf ihn und die Darbietung reagiere, wie sehr mich der Wettbewerb ergreift. Oder vielleicht amüsiert es ihn nur?

Ich hingegen, ich fühle mich schrecklich gehemmt und verlegen. Trotzdem lasse ich ihn mich weiter anschauen. Ich spüre sogar, dass es mir gefällt, so betrachtet zu werden.

Er zieht einen Flachmann aus seiner Tasche und bietet mir einen Schluck daraus an. Was? Wie bitte? Ich bin restlos verwirrt. Aber klar, Alkohol gibt es erst nach dem Wettbewerb, die Nacht ist lang und – wer würde da nicht ... Aber aus dem Flachmann eines Fremden? Da kann ja alles Mögliche drin sein! Und noch dazu – nein! Ich wollte doch mehr leben, mehr wagen! Wildentschlossen, tapfer zu sein, und schwer bemüht, locker zu wirken, nehme ich die Flasche und widerstehe dem Versuch, das Mundstück abzuwischen. Ich will ja nicht wie eine alte Mutter oder spießig rüberkommen!

„Was ist denn da drin?“, frage ich trotzdem.

„Kakao, Wodka und Sahne“, antwortet er wieder mit dieser warmen Stimme, die die Schokolade in der Flasche heiß werden lässt.

„Klingt lecker!“, sage ich und lache; wohl auch, um mir damit etwas Mut zu machen.

„Das ist es …“, raunt er.

Irgendwie erwartet, dass er Rum oder Whiskey sagen würde. Ich bin immer noch hin- und hergerissen. Es ist total verrückt, einen Drink von einem Fremden anzunehmen, aber gleichzeitig will ich heute mal endlich sorglos sein!

Also, bitte.

Ich nehme einen Schluck. Das Zeug ist klebrig süß, aber es wärmt mich sofort von innen. Hm, schmunzle ich in mich hinein: außen seine Jacke, innen sein Getränk … Ich schließe die Augen und genieße das Gefühl, so von ihm umgeben und gewärmt zu werden. Als ich sie wieder aufmache, starrt er mich an, und zwar so, als wäre ich dieser White Russian und als wolle er mich auf der Stelle vernaschen.

Das finde ich plötzlich lustig und kichere. Vielleicht, weil ich ein Ventil für die ganze Auf- und Erregung brauche.

„Ist das nicht eigentlich ein Mädchen-Getränk?“, ziehe ich ihn auf. Sofort wird mir bewusst, dass ich damit an seinem Latino-Stolz kratzen könnte und lächle ihn zur Wiedergutmachung verführerisch aus gesenkten Lidern an.

Doch er lacht nur und nimmt ebenfalls einen Schluck, wobei er mich nicht aus den Augen lässt. Sein dunkler, samtiger Blick durchdringt mich. Das fühlt sich merkwürdig gut und entsetzlich schrecklich zugleich an.

Dann sagt er leise, bevor er unterdrückt lacht: „Na, Liliana, ich hatte ja keine Ahnung, dass ich neben einer Sexistin sitze“.

Mein Kopf fliegt herum, sprachlos starre ich ihn an und ein Lachen blubbert aus meinem Inneren nach oben. Schlagfertig ist er auch noch! Also gut, ein Punkt an ihn! Wunderbar.

Wunderbar ist auch, dass mein Name wie zähflüssiger Honig von seinen Lippen tropft. Völlig verzaubert schaue ich ihn an und bevor sich meine Lippen ganz von selbst öffnen, beiße ich mir schnell darauf.

Er streicht mit seinem Daumen darüber und warnt mich mit einer tiefen, schroffen Stimme: „Schmoll nicht so. Ein Schmollmund, noch dazu so ein sinnlicher, hat nämlich eine sehr dramatische Wirkung auf MÄNNER.“ Er lächelt mich sündig heiß an, seine Augen funkeln, sein Daumen hält mein Kinn – noch einen Augenblick – dann lässt er mich los.

Ich halte seinen Blick und nehme, ohne zu fragen, die Flasche aus seiner Hand. Mein Blick haftet an seinem. Langsam führe ich sie an meine Lippen, lege den Kopf leicht in den Nacken und nehme noch einen Schluck. Flüssiger Mut, denke ich mir, als die Süßigkeit meine Kehle hinabrinnt.

„Zuerst nennst du mich eine Sexistin und dann sagst du mir, dass mein Schmollmund gefährlich ist! Also, was für ein Typ Frau bin ich denn nun, Alvarez?“, flirte ich mit neuem Mut und betone jede einzelne Silbe seines sinnlich klingenden Namens.

Sein Mund kommt meinem Ohr betörend nahe; so nahe, dass meine Härchen seine berühren. Über die laute Musik hinweg raunt er mir langsam zu: „Die richtige.“

Einen Moment lang fühle ich mich vollkommen verloren und gebe ihm einfach die Flasche zurück. Plötzlich halte ich es für eine schlechte Idee, noch mehr Alkohol zu trinken. Trotzdem: er ist wunderschön. Interessant. Interessiert. Und ich? Pf, ich hatte schon seit über einem Jahr kein Date mehr! Kein Wunder, dass ich aus der Übung bin!

Ich lächle und spiegle unbewusst seine Bewegungen. Auch ich lehne mich weit zu ihm vor und flüstere ihm zu: „Dann ist die Frage, ob du auch der richtige Mann bist!“

Doch leider flüstere ich wohl zu leise.

„Was?“, fragte er nämlich zurück.

Ich lache nur. Wiederholen werde ich die Frage sicher nicht; der Mut ist schon verflogen.

Doch er gibt nicht auf. „Was hast du gesagt, Liliana?“ Da ist er wieder, dieser Effekt, den mein Name von seinen Lippen auf mich hat.

In der Hoffnung, so stolz und ein bisschen unnahbar zu wirken, schüttle ich den Kopf, stütze die Ellbogen auf die Knie, und schenke meine ganze Aufmerksamkeit den Tänzern.

Doch er lässt sich nicht so leicht abwimmeln. Er legt eine Hand auf meine Schulter und lehnt sich zu mir vor. Ich spüre seinen heißen Atem an meinem Hals, während er leise und mit sich hebender Stimme sagt: „Du weißt aber schon, dass es sehr ungezogen ist, auf Fragen keine Antwort zu geben?“

Meine Haut prickelt wie verrückt und die Schmetterlinge schwingen sich zum ersten Flug auf. Wie lange habe ich das schon nicht mehr gefühlt!

Ich wende mich wieder zu ihm, schaue ihm tief in seine Schokoladen-Augen und wispere, diesmal laut genug: „Da schau einer an, wer hier wen ungezogen nennt.“ Als wäre das nicht genügend flirtend, muss ich mir auch noch mit der Zungenspitze über meine Lippen lecken – ähm, ja, das war wohl zu viel flüssiger Mut.

Prompt schaut er mich so an, als würde er mich jede Sekunde küssen und tut es dann doch nicht. Aus irgendeinem Grund ist mir klar, dass er dem Drang nur widersteht, weil er mich nicht verschrecken will.

„Ich? Ungezogen?“, fragt er und tut ganz schockiert, doch der Schalk in seinen Augen tanzt Polka. „Ich bin doch ein braver Junge! Perfekt für ein braves Mädchen! Sieht man mir das nicht an?“ Ich gluckse verlegen, und er fährt todernst fort: „Und du bist doch ein braves Mädchen, oder etwa nicht, Liliana?“

Da ist sie wieder – diese Erregung, die mein Name aus seinem Mund in mir auslöst. Puh! Ist das wirklich auf einmal so heiß hier drin? Seine Stimme ist ganz tief und einladend, sodass ich einfach nicht anders kann. Langsam drehe ich mich zu ihm und werfe ihm einen Blick zu, als wäre ich der Jäger und er der Gejagte.

Mein Schokoladen-Sahne-Wodka-Mut verlässt mich auch schon wieder, als ich sehe, welche Wirkung mein Verhalten auf ihn hat. Hastig will ich mich wegdrehen. Aber er, er kitzelt mich! So, als ob wir uns seit Jahren kennen würden! Und irgendwie fühlt es sich auch so an. Ich kichere wie ein kleines Kind und drehe mich von ihm weg. Die Frau neben mir schaut mich missbilligend an, denn: So benimmt man sich schließlich nicht in der Öffentlichkeit! So was von ungezogen!

Auf einmal wird es hell. Pause.

Oder: Ende?

Ende!

Denn Alvarez sagt: „Ich muss jetzt los, Liliana. Aber bitte versprich mir für später einen Tanz - oder zwei.“ Er zwinkert mir zu und mir fällt auf, dass ich rein gar nichts von ihm weiß. Schnell versuche ich, meine Enttäuschung zu verbergen und werfe ihm ein leichtfüßiges „Na klar doch!“ hin, weil ich mir sicher bin, dass er viel zu gefragt und beschäftigt sein wird, als dass er sich später an den versprochenen Tanz mit mir erinnern wird.

Mit schwerem Herzen schaue ich ihm nach, wie er sich flink und geschmeidig wie eine Raubkatze den Gang entlang bewegt und sich von mir entfernt. Verboten sexy sehen seine Pomuskeln aus, deren Bewegungen sich unter dem engen, dünnen Stoff deutlich abzeichnen. So von hinten erinnert er mich an Baryschnikow, den berühmten Balletttänzer, in den ich als Teenie so unsterblich verliebt war.

Die Frau neben mir, die vorhin so strafend geschaut hat, sagt ganz laut: „Wow! Mit dem hast du aber einen Fang gemacht!“ Die ist wirklich eine Raubkatze, eine ganz gefährliche! Sie schaut ihm genauso schmachtend nach wie ich und das gefällt mir gar nicht. Nein. Ganz. Und. Gar nicht!

Ich lächle ihr trotzdem zu, fange mich wieder und komme mir schrecklich lächerlich dabei vor, dass ich wegen eines Kerls, den ich kaum kenne, so eifersüchtig werde. „Schön wär’s“, murmle ich und hoffe, dass sie es nicht gehört hat.

 

 

 

Kapitel 3