Amerikanische Erfindungen - Rivka Galchen - E-Book

Amerikanische Erfindungen E-Book

Rivka Galchen

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Beschreibung

Die Erzählungen der kanadisch-amerikanischen Autorin Rivka Galchen, «Amerikanische Erfindungen», verbinden Psychologie, Philosophie und Naturwissenschaften und führen ihre Protagonisten wie Leser immer wieder auf neues Terrain. So geht es, wenn man lernt, der eigenen Wahrnehmung nicht zu trauen. In einer dieser blühend phantasievollen Storys laufen einer Frau ihre Möbel davon. In einer anderen nimmt die Erzählerin eine Bestellung für Knoblauch-Huhn entgegen, ohne dem hungrigen Anrufer zu sagen, dass sie gar keine Imbissbude ist. In einer dritten Erzählung geht es um Ehe, Beziehung und Einsamkeit. Eine Frau ignoriert beharrlich, dass ihr Mann einen Blog mit dem Namen Ich-hasse-meine-Frau-Dot-Blogspot-Dot-Com betreibt. All diese Storys, die zunächst so tun, als entstammten sie unserem realistischen Alltag, öffnen jählings verborgene Pforten in Schicksale und Welten, die uns nicht so vertraut sind. Ob die davonlaufenden Möbel, die Mysterien des Tunguska-Ereignisses, ein durch Geräusche sprechendes Haus oder die Finessen des Zeitreisens – das Phantasierte und das Erlebte, das Banale und das Erhabene sind in Galchens Welt nur durch eine zart irisierende Wahrnehmung getrennt. Wundersames geschieht, und zugleich stehen die Storys in geheimem Austausch mit kanonischen Erzählungen der Weltliteratur, von Gogols «Nase» über Keats' «Ode an eine griechische Urne» bis hin zu Borges' «Aleph».

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Seitenzahl: 238

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Rivka Galchen

Amerikanische Erfindungen

Storys

 

 

Aus dem Englischen von Grete Osterwald und Thomas Überhoff

 

Über dieses Buch

Die Erzählungen der kanadisch-amerikanischen Autorin Rivka Galchen, «Amerikanische Erfindungen», verbinden Psychologie, Philosophie und Naturwissenschaften und führen ihre Protagonisten wie Leser immer wieder auf neues Terrain. So geht es, wenn man lernt, der eigenen Wahrnehmung nicht zu trauen.

In einer dieser blühend phantasievollen Storys laufen einer Frau ihre Möbel davon. In einer anderen nimmt die Erzählerin eine Bestellung für Knoblauch-Huhn entgegen, ohne dem hungrigen Anrufer zu sagen, dass sie gar keine Imbissbude ist. In einer dritten Erzählung geht es um Ehe, Beziehung und Einsamkeit. Eine Frau ignoriert beharrlich, dass ihr Mann einen Blog mit dem Namen Ich-hasse-meine-Frau-Dot-Blogspot-Dot-Com betreibt.

All diese Storys, die zunächst so tun, als entstammten sie unserem realistischen Alltag, öffnen jählings verborgene Pforten in Schicksale und Welten, die uns nicht so vertraut sind. Ob die davonlaufenden Möbel, die Mysterien des Tunguska-Ereignisses, ein durch Geräusche sprechendes Haus oder die Finessen des Zeitreisens – das Phantasierte und das Erlebte, das Banale und das Erhabene sind in Galchens Welt nur durch eine zart irisierende Wahrnehmung getrennt. Wundersames geschieht, und zugleich stehen die Storys in geheimem Austausch mit kanonischen Erzählungen der Weltliteratur, von Gogols «Nase» über Keats’ «Ode an eine griechische Urne» bis hin zu Borges’ «Aleph».

Vita

Rivka Galchen wurde 1976 in Toronto geboren und wuchs in Norman, Oklahoma, auf. Sie studierte die seltene Mischung von Literatur und Medizin in Princeton und an der Mount Sinai Medical School. Ihr Romanerstling «Atmosphärische Störungen» war ein großer Erfolg in den USA und wurde von den bedeutendsten Rezensenten auf den Titelseiten der Feuilletons gelobt. Der New Yorker listete sie 2010 unter die 20 Besten ihrer Generation unter 40. Rivka Galchen lebt in Manhattan.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel «American Innovations» bei Farrar, Straus and Giroux, New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Januar 2017

Copyright © 2017 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«American Innovations» Copyright © 2014 by Rivka Galchen

Umschlaggestaltung Anzinger und Rasp, München

ISBN 978-3-644-04521-7

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für Georgie und Yosefa

Die verlorene Ordnung

Ich war zu Hause, kochte keine Spaghetti. Ich versuchte, etwas weniger oft zu essen, das stimmt. Ein Joghurt morgens, ein Joghurt mittags, Ingwerbonbons zwischendurch und ein normales Abendessen. Ich glaube nicht, dass ich jemand mit einem «Gewichtsproblem» bin, aber irgendwie hatte ich, gerade mal vier Monate arbeitslos, etliche Pfunde zugenommen, und als mir das bewusst wurde – ich wiege mich nie, mein Bruder sagte nur bei einem Besuch: «Ich erkenne deine Beine nicht wieder» –, da war ich nicht glücklich darüber. Obwohl, vielleicht war ich es doch. Denn zumindest hatte ich jetzt etwas, von dem ich wusste, es wäre nicht verkehrt, mich wirklich damit zu beschäftigen. Ich konnte wie diejenigen sein, denen es gelingt, durch den Versuch, mit dem Rauchen oder Trinken aufzuhören, jeden Tag etwas zu erreichen oder es wenigstens anzustreben. Einfach indem sie sich das Ziel setzen, etwas nicht zu tun. An diesem Morgen war kein Joghurt mehr für mein Frühstück da. Ich konnte mir eins holen gehen. Ich konnte mir eins mit Ahornsirup gönnen. Obwohl, die mit Ahornsirup waren immer vollfett. Aber vollfett dürfte in Ordnung sein, es war ja nur ein klitzekleiner –

Mein Telefon klingelt.

Die Ruferkennung zeigt «Unbekannt».

Eigentlich nehme ich als Unbekannt erkannte Anrufe nicht an. Aber manchmal erscheint Unbekannt, weil jemand, sagen wir, aus dem Krankenhaus anruft.

«Einmal Knoblauchhuhn», sagt eine Männerstimme. «Einen Beilagensalat, mit dem Ingwer-Miso-Dressing. Und dazu noch weißen Reis. Weiß, nicht braun. Nicht zum Abholen», sagt er. «Es soll geliefert werden.»

Er hat sich wohl verwählt, stelle ich mir vor. Ich meine, natürlich hat er sich verwählt –

«Nicht das Zitronenhuhn», fährt er fort. «Ich will keins mit Zitrone. Was ich will –»

«Okay. Verstehe –»

«Das letztes Mal haben Sie das Falsche gebracht –»

«Zitronenhuhn –»

«Knoblauchhuhn –»

«Okay –»

«Ich kenne Sie», sagt er.

«Was?»

«Sagen Sie nicht einfach nur ‹okay›, und dann bringen Sie mir doch das Falsche. Okay. Okay. Okay. Sagen Sie nicht einfach nur ‹okay›.» Er beginnt, seine Adresse zu diktieren. Ich habe nichts zu schreiben bei der Hand.

«Okay», sage ich. «Ich meine, in Ordnung.» Ich habe den Überblick verloren, ob es das Zitronenhuhn war, was er wollte, oder doch das Knoblauchhuhn. Wollen und nicht wollen. Welcher Wasserhahn ist warm und welcher kalt. Ich habe noch immer Probleme mit rechts und links.

«Wie lange?», fragt er.

«Dreißig Minuten?»

Er legt auf.

Huch. Warum konnte ich nicht zugeben, dass ich ihm überhaupt kein Huhn bringen würde? Jetzt tue ich einem hungrigen Mann unrecht. Man versucht, nicht allzu viel Unrecht im Leben zu tun. Aber ich kann ihn nicht zurückrufen: Er ist Unbekannt!

Was soll’s, vergiss es.

 

Obwohl, vergessen ist auch Arbeit. Ich kehrte zum Nicht-Spaghetti-Kochen zurück, einer Aufgabe, der ich Nicht-Joghurt-kaufen-Gehen hinzugefügt hatte. Dann fiel mir ein, dass es eine gute Idee wäre, mich anzuziehen. Es war 10.40 Uhr. Etwas früh für ein Huhn. Ja, ich sollte und würde mich anziehen. Unglücklicherweise wünsche ich mir beim Thema Anziehen immer, ein Mann zu sein. Ich meine, nicht so unvermeidlich, wie bei einer Geschlechtsverwirrung, das nicht; ich glaube einfach, es fiele mir leichter, die Kleidung auszuwählen. Aber einen Körper zu haben ist eben immer problematisch. Sogar für unsere Hündin. Einmal, im Sommer, glaubten wir, ihr einen Gefallen zu tun, indem wir ihr das Fell schnitten, aber danach ließ sie den Kopf hängen und war untröstlich. Armes Mädchen. Die Lösung ist, keine Zeit zu haben, um an seinen Körper zu denken, und Hunde – jedenfalls die meisten – haben jede Menge Freizeit. Ich auch, würde ich meinen. Trotzdem fühle ich mich nicht so, als hätte ich eine Menge Zeit; ich fühle mich dauernd unter Zeitdruck; dabei hatte ich, als ich arbeiten ging, immer das Gefühl, reichlich Zeit zu haben. Aber schon da war es schwierig, mich anzuziehen. Eine Zeitlang war ich überzeugt, smokingartige Hosen mit irgendwelchen billigen weißen T-Shirts zu kombinieren würde mein Anziehproblem für mindestens zehn Jahre, wenn nicht für den Rest meines Lebens, lösen. Also kaufte ich smokingartige Hosen! Zwei Stück. Und ein paar Männerunterhemden. Aber es stellte sich heraus, dass ich noch schlampiger aussah als sonst. Und mit schlampig meine ich vor allem einfach weiblich, mit Kurven, was bei vielen Gelegenheiten okay sein mag, sogar großartig, klar, aber das mit dem ordentlichen Aussehen eines Frauenkörpers, ob weiblich oder nicht, ist eine trügerische und instabile Sache. Sich als Frau zu kleiden ist, wie mit Farbe statt mit Schwarzweiß zu arbeiten. Oder aus der freien Hand einen Kreis zu zeichnen. Es heißt, Giottos Auftrag für den Petersdom habe allein darauf beruht, dass man dem Papst einen roten Kreis zeigte, den er mit einem einzigen Pinselstrich gemalt hatte. So schwierig sind Kreise. In den siebenhundert Jahren seit Giotto wahrscheinlich noch –

Ich befand mich wieder in der Küche, kochte noch immer keine Spaghetti und trug ein T-Shirt. Nicht dasselbe, in dem ich aufgewacht war, aber doch eines, das sich am besten als Nachtzeug beschreiben ließe und in dem ich mich auch nicht besonders wohl, männlich oder flachbrüstig fühlte. Giotto? Es war 11.22 Uhr. Ich hätte meine Zeit lieber damit verbringen sollen, Zitronenhuhn für diesen Mann zu kochen, dachte ich. Oder Knoblauchhuhn. Was auch immer. Ich kam mir vor, als hätte ich eine wichtige Verantwortung so komplett vernachlässigt, dass ich mir nicht einmal eingestehen konnte, sie überhaupt zu haben. Nahm ich die Bestellung dieses Mannes wirklich so ernst?

Wenigstens aß ich nicht.

Ich beschloss, nicht im Internet zu surfen.

Dann, mir keine Fernsehshow anzusehen.

Mein liebstes Wurfkissen umarmend, legte ich mich aufs Sofa und dachte: Zähl einfach von hundert rückwärts. Das ist etwas, was ich mache, um mich abzuregen. Seltsam ist nur, dass ich mich nicht erinnern kann, es je bis eins geschafft zu haben. Manchmal schlafe ich ein, bevor ich bei eins angekommen bin – das ist nicht so geheimnisvoll –, aber meistens gerate ich einfach auf Abwege. Ich schweife irgendwie vom Zählen ab, ohne es zu merken, und dann, schon weit entfernt von dem, was auch immer die erste Ablenkung gewesen sein mag, finde ich mich woanders wieder.

Auf dem Wurfkissen sind Matroschka-Puppen abgebildet. Ich fing an, rückwärts zu zählen. Sechsundneunzig, fünfundneunzig, vierundneunzig –

Das Telefon klingelt.

Es ist Unbekannt.

Ich hasse mein Telefon. Ich hasse alle Telefone.

Warum sollte ich mich mit den Problemen dieses hungrigen Mannes herumschlagen, Problemen, die aus einer Vergangenheit stammen, mit der ich nichts zu tun habe? Nicht mein verdammter Zuständigkeitsbereich.

Obwohl, zugegeben, dass unsere Wege jetzt so verschlungen sind – das ist schon irgendwie meine Schuld.

«Okay?», sage ich ins Telefon.

«Ich glaube, ich weiß, wo es ist», sagt eine bekannte Männerstimme.

«Es ist noch nicht mal unterwegs», gestehe ich. «Tut mir leid.»

«Was ist nicht unterwegs? Schläfst du?»

Ich verorte die Stimme genauer. Sie gehört meinem Mann.

«Sorry, tut mir leid. Jetzt bin ich da.»

«Ich sagte, ich glaube, ich weiß, wo es ist. Ich glaube, ich habe ihn verloren, als ich mit Monkey im Innenhof war und Tennisbälle warf.» Unsere Hündin heißt Monkey. Einer der Gründe, warum ich einsamer war als gewöhnlich, bestand darin, dass Monkey zu einer Art Hundeurlaub auf dem Land bei meinen Schwiegereltern war. «Meine Hände waren total kalt. Ich hatte eine eisige Flasche Wasser gekauft.»

«Okay», sage ich.

«Du weißt ja, wie das ist, wenn deine Hand kalt wird; die Finger schrumpfen. Also könnte es sein, dass der Ring einfach abgefallen ist. Ich bin mir fast sicher, dass es so war. Jetzt sieht es nach Regen aus, und ich fürchte, der Regen wird den Ring direkt in einen Gully spülen. Tut mir leid, dir das aufzuhalsen, aber würde es dir etwas ausmachen, nachsehen zu gehen?»

Er redet über dies: Vor ein paar Wochen war ich kurz weg gewesen, zur Beerdigung meines Onkels, und als ich wiederkam, trug mein Mann seinen Ehering nicht mehr. Dieses Ding ist so unwichtig, um ehrlich zu sein, hatte ich gar nicht bemerkt, dass er ihn nicht mehr trug. Und er selbst hatte es auch nicht bemerkt. Wir sind keine Symbolfreaks. Uns war nicht bewusst, dass sein Ring fehlte, bis wir mit einer Freundin, die aus Chicago zu Besuch gekommen war, beim Abendessen saßen und sie unsere Eheringe sehen wollte. Mein Mann benahm sich etwas merkwürdig. Vermutlich hatte er es zugleich gewusst und nicht gewusst. Also letztlich doch. Etwas in ihm hatte es gewusst. Und ihn genügend geplagt, dass er dann so tat, als wäre nichts geschehen. Armer Kerl.

«Ich werde ihn nicht suchen gehen», sage ich unwillkürlich ins Telefon. Es ist kein wirklicher Entschluss, eher eine Art Entdeckung. Ich will nicht die Frau sein, die in einem öffentlichen Innenhof hoffnungslos nach einem Ehering sucht. Auch wenn die Sache gar nicht mit dem metaphorischen Gewicht beladen ist, mit dem sie irreführenderweise beladen scheint. Trotzdem, nein. Kürzlich hatte ich ein Foto von Susan Sontag gesehen, in einem Teddybärkostüm, aber mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht; man sah ihr an, dass sie sich unwohl fühlte.

«Geh einfach nur hin und versuch, ihn nicht zu suchen», sagt mein Mann. «Nur eine Stippvisite im Hof. Bitte.»

«Ausgeschlossen, dass er noch –»

«Kannst du mir diesen kleinen Gefallen denn wirklich nicht tun?»

«Ist es meine Schuld?»

«Ich bin bei Stunde neunundzwanzig meiner Schicht hier.»

«Ich tue auch nicht nichts», sage ich. Ich finde, ich habe meine Stimme weder gehoben noch gesenkt, und doch kommt es mir vor wie beides. «Du hältst mich für unfähig, aber das stimmt nicht. Du verstehst meinen Standpunkt einfach nicht. Du siehst mich ganz falsch. Das ist nicht fair, das ist nicht richtig –»

«Es tut mir so leid, Liebling», sagt er. Seine Stimme hat eine Spitzkehre zum Zärtlichen gemacht. Was alarmierend ist. «Ich bin auf deiner Seite», sagt er. «Ich liebe dich so sehr, wirklich. Das weißt du doch, nicht wahr? Du weißt, wie sehr ich dich liebe.»

Wir hatten nicht immer so miteinander gesprochen, dass es klang, als versuchten fortgeschrittene Sprachschüler, sich ihre Gefühle mitzuteilen, aber in jüngster Zeit passierte das; ich glaube, wir versuchten einfach, Kurs zu halten, um eine unausweichliche und unbedeutende Meerenge in unserer Beziehung zu durchschiffen.

«Es tut mir leid, Boo», sage ich. «Ich bin es, die sich entschuldigen sollte.» Ich vermisse ihn plötzlich sehr, als wäre ich aus einem jener Träume geweckt worden, in denen die Toten noch bei uns sind. Wachsein ist ein schreckliches Gefühl. Ich quassele drauflos, und mitten in meinem Gefasel sagt er: «Ich muss jetzt», dann ist er weg.

 

Die Tagesstunden in diesem Viertel gehören fast ausschließlich den Lieferboten und Nannies. Die Boten sind alle Männer. Und die Nannies alle Frauen. Und die Frauen alle dunkelhäutig. Ich hatte mir keine großartigen Gedanken über die sozioökonomische Ballung oder Genderhäufung in meiner Nachbarschaft gemacht, bevor ich ein Tageslichtgespenst wurde. Ich meine, klar, ich wusste es so ungefähr, aber plötzlich war es deutlich – im Schutz des Tages sah man oder schien man jedenfalls zu sehen, dass die Jahrzehnte des Feminismus und der Bürgerrechtsfortschritte nie stattgefunden hatten. Das war erschreckend. Trotzdem war es für mich ein nicht untröstlicher Gedanke, dass Männer kräftige Waden hatten, Zeug schleppten und dass es das Schicksal jedes Kleinkinds war, sich in eine andere Frau zu verlieben. War es meine Schuld, wenn solche Gefühle in mir lebten? Vielleicht.

Ich war nicht immer – und war es auch noch gar nicht lange – ein Tageslichtgespenst, eine Faulenzerin, ein mal pensant, eine Absenz, eine Hausfrau, ein an der Herausforderung, sich anzuziehen, gescheiterter Mensch, jemand, der weniger zu essen für ein angemessenes Primärziel hielt. Ich war eine gut beschäftigte Umweltanwältin gewesen, eine Art Zufallsexpertin in Sachen toxischer Schimmel – Rechtsstreitigkeiten wegen mutmaßlicher Schäden an Eigentum und Personen durch Belastung mit toxischem Schimmel. Ich bearbeitete den ersten Schimmelfall, der hereinkam, sodass ich, als kurz danach der zweite Fall in der Firma auftauchte, diejenige welche war. 2001 hatte ein Gericht in Texas in einem Fall auf Zahlung von zweiunddreißig Millionen Dollar entschieden, und das hatte viele Herzen träumen lassen. Aber der Texas-Fall war eine reine Versicherungsangelegenheit gewesen und deshalb kein Präzedenzfall für toxischen Schimmel. Die meisten Leute verstehen das nicht. Eine Versicherungsgesellschaft hatte es versäumt, unverzüglich für Reparaturen an undichten Rohren in einer Zweiundzwanzig-Zimmer-Villa zu zahlen, woraufhin sich Schimmel ausgebreitet hatte; alle Forderungen wegen persönlicher Gesundheitsschäden durch toxischen Schimmel wurden abgewiesen, während sich die anerkannten Ansprüche aus Schadensersatz für Eigentumsbeschädigung, Strafgeldern, Seelenschmerz und Erstattung der Anwaltskosten des Klägers von fast neun Millionen Dollar ergaben. Aber da der Fall in den Abendnachrichten kam, wurde er, wie zu erwarten, radikal verdreht. Die Folge: Toxischer-Schimmel-Prozess-Fieber. Es steht fest, dass Schimmel, genau wie Staub, eine Umweltbelastung darstellt; manche von uns sind allergisch gegen manche Schimmelpilze, wie andere gegen Staub allergisch sind, obwohl es unwahrscheinlich ist und schon gar nicht wissenschaftlich erwiesen, dass irgendein Schimmel unsere Gesundheit auf eine nachhaltige oder schwere Weise beeinträchtigen kann. Klar ist auch, dass grundlegende Instandhaltung zu den wesentlichen Pflichten eines Immobilienbesitzers gehört. Aber darüber hinaus … Ich bearbeitete ziemlich viele Schimmelfälle. Ich füllte die stummen Felder der Formulare aus. Ich entsandte Umweltgutachter. Der Job war befriedigender, als es klingt, das kann ich wohl sagen. Egal, auf welchem Gebiet, Expertise zu haben und einzusetzen kann sich anfühlen wie ein glücklicher Traum.

Aber eines Tages wachte ich auf und hörte mich sagen: Ich bin eine Gabel, die zum Körneressen benutzt wird. Ich bin kein Löffel. Ich bin eine Gabel. Und ich kann den Leuten nicht länger beim Körneressen helfen.

Ich fand mein Gefühl albern, klar, aber es steuerte mich trotzdem. Ich hatte keinen Plan, aber am Nachmittag sagte ich zu einem der Geschäftsführer: «Ich fürchte, ich muss um meine Kündigung ersuchen.» Ich benutzte dieses Wort, «ersuchen».

Ich hätte all diese Wörter natürlich zurücknehmen können.

Doch am Abend, nach dem Ersuch-Wort, sagte ich zu Boo: «Ich glaube, ich schmeiße meinen Job.»

Er legte seine Mobiltechnologie aus der Hand.

«Mach dir keine Sorgen», sagte ich. «Ich werde eine andere Arbeit finden.»

«Nein, das ist vollkommen okay», sagte er. «Du musst nicht arbeiten, wenn du nicht willst. Oder du könntest in einer Bäckerei anfangen. Warum nicht? Du wirst es rausfinden. Ohne Zeitdruck, okay? Ich mag meine Arbeit. Wir können davon leben.»

Mein Mann ist echt verständnisvoll; dennoch dachte ich unwillkürlich an einen alten chinesischen Film, in dem der Vater Magenkrebs bekommt, die Familie es ihm aber verheimlicht und alle nur sehr freundlich zu ihm sind. «Aber du könntest eines Tages aufwachen und deine Arbeit nicht mehr mögen», sagte ich.

«Das wird mir nicht passieren», sagte er. «So bin ich einfach nicht.» Dann fügte er hinzu: «Ich habe gemerkt, dass du unglücklich warst. Ich habe es früher gemerkt als du selbst. Ehrlich, ich bin erleichtert.»

 

Als das Telefon wieder klingelt – Unbekannt – nehme ich sofort ab. Ich war so kindisch gewesen, den Ring nicht suchen zu wollen; ich würde Boo sagen, dass ich ihn suchen gehen würde, und dann würde ich es tun, den Ring suchen gehen.

«Fünfundfünfzig Minuten», sagt er.

«Tut mir furchtbar leid, ich –»

«Sie sagten, eine halbe Stunde. Da geht es um Versprechen und Erwartungen. Sie brauchen solche Versprechen nicht zu geben. Aber Sie tun es. Sie lassen einen in der Erwartung. Und warum? Weil Sie nicht nur ein Loser sind mit dem Scheißjob, den Sie da machen, sondern auch eine schreckliche Person, eine von der schlimmsten Sorte, der Sorte, die es nötig hat, dass jeder denkt, wie reizend sie doch ist. Ich habe Sie nie attraktiv gefunden. Ich habe Ihnen nie getraut. Sie sagen: Ja dies, Tut mir leid jenes, und Ups, TUT MIR WIRKLICH LEID, und WIR WOLLEN SIE NUR GLÜCKLICH MACHEN, aber wer fällt schon darauf herein? Ich jedenfalls nicht. Ich bin einer, der sieht, wer Sie wirklich sind –»

«Ich glaube, Sie –»

«Warum entschuldigen Sie sich und kichern die ganze Zeit? Bei jedem Kerl das gleiche. Warum tragen Sie diesen silbernen Trikotanzug und diesen lächerlichen Lidschatten? Ihre Brüste sehen ungleich aus in dem Trikotanzug. Wissen Sie, wie Sie aussehen? Sie sehen aus wie eine Hure. Nicht wie ein Escort- oder Callgirl. Sie sehen aus wie ein Zehn-Dollar-Blowjob. Wenn Sie glauben, Sie könnten in dieser Stadt je was anderes sein als eine Huren-Fotze mehr –»

Ich lege auf.

Ich stelle das Telefon aus.

Ich schenke mir ein Glas Wasser ein, aber dann verschütte ich es erst, ehe ich es vollends fallen lasse, und dann wische ich nur schlampig auf. Ich besitze gar keinen silbernen Trikotanzug. Dennoch war ich von einem kleinen allwissenden Gott zur Rede gestellt worden. Die Strafe würde folgen, und zwar auf dem Fuße. Ich schlüpfe in die Stiefel meines Mannes und in seinen Regenmantel, wodurch ich mir unabsichtlich eine Gummihülle entsprechend dem sauberen und flachbrüstigen Aussehen schaffe, nach dem ich mich jahrelang gesehnt habe. Ich verließ die Wohnung und ging los zu dem Innenhof, ein paar Blocks weiter; ich würde nicht ohne den Ring zurückkommen.

 

Als ich den Hof erreiche, sehe ich, dass es kein richtiger Innenhof ist, sondern nur ein bisschen Beton und ein paar Picknicktische am windigen Sockel des höchsten Gebäudes in der Nachbarschaft. Sich das als einen Innenhof vorzustellen – ich glaube, das war eine Phantasie, an der mein Mann und ich im Unterbewusstsein insgeheim zusammengewirkt hatten. Plötzlich sehe ich etwas in der Mittagssonne glitzern; es erweist sich als silbriges Kaugummipapier. Nicht einmal eine Münze liegt auf dem Boden. Teddybärkostüm, denke ich. Es fängt an zu nieseln. Dann erinnere ich mich: Pförtner sind mehr als nur Typen, vor deren Augen man sich immer als Versager fühlt, nicht genügend Unterhaltungswert für sie zu haben. Wäre ich in einem sogenannten Innenhof und fände einen Goldring, der mir nicht gehörte …

Zwischen mir und dem Pförtner, dort an seinem Pult, sind zwei Frauen. Zwei Dunkelhäutige; beide tragen braun; sie tragen, wie mir etwas spät klarwird, UPS-Uniformen. Eine von ihnen trägt eine flauschige braune Weste darüber. «Der Typ war total fertig», sagt die mit der Weste.

Ich fühle mich irgendwie schlecht, weil ich mich dabei ertappe, den Frauen auf den Hintern zu starren (dieses Wort erscheint mir noch als die sanfteste und zärtlichste Option), aber irgendwie fühle ich mich auch gut, weil beide Hintern so attraktiv sind, wenngleich ganz verschieden: Der eine ist jugendlich und anspruchslos, der andere dagegen schamlos raumgreifend und erinnert irgendwie an Gärtnern – an Vorbeugen und Rummachen. Die Hosen sitzen schön eng. Ich weiß, dass ich – und eigentlich jeder – so nicht über Frauen und, was das betrifft, auch nicht über Männer denken sollte, weil es, ich glaube, so läuft das Argument, die Menschen auf Behältnisse für sexuelle Möglichkeiten reduziert. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich das ist, was in mir vorgeht. Vielleicht denke ich nur, dass diese Frauen ihr Anziehproblem gelöst haben. «Ich glaube, das war sein Freund», sagt die eine, «der das Kennzeichen des Lastwagens aufgeschrieben hat.»

«Hat Sie jemand belästigt?», werfe ich unwillkürlich ein. «Das ist ein ziemlich schlimmes Viertel hier. Auch wenn es so was wie ein schönes Viertel ist, ist es doch irgendwie schlimm –»

«Jedes Viertel ist heutzutage schlimm –»

«Heute ist iPhone-Tag –»

Die Frauen haben sich umgewandt und mir ihren Kreis geöffnet.

«Sie haben zwei Millionen iPhones bestellt –»

«In meiner Nachbarschaft wurde schon jemand abgestochen bei einer Lieferung.»

«Ich hasse Telefone», sage ich ins Blaue. «Ich hasse sie wirklich.»

«In Russland gibt’s kein Apple», sagt der Pförtner. «Den Russen kannst du die Dinger für vierzehnhundert Dollar verkaufen. Du kaufst sie für sechshundert und verkaufst sie für vierzehnhundert.»

«Ausliefern muss entsetzlich sein», sage ich zu den Frauen. «Man weiß ja nie, was mit dem Menschen hinter der Tür los ist. Das ist, als klopfte man bei seinem eigenen Albtraum an.»

«Die Leute lieben ihre iPhones», sagt die Lieferbotin mit der Weste. «Meine Tochter sagt, es ist, als würden sie ihr iPhone heiraten.»

Ich frage weiterhin nicht nach Boos Ring. «Ich habe noch nie eine Frau als Auslieferin bei UPS arbeiten sehen», sage ich. «Und plötzlich sind Sie da – gleich zwei auf einmal. Ich glaube, ich sehe ein Einhorn. Oder das Ungeheuer von Loch Ness. Vielleicht beides, wer weiß.»

Es folgt eine kleine Stille.

«Normalerweise fahren sie nicht zu zweit», sagt der Pförtner. «Das machen sie nur, weil es heute als gefährlich gilt.»

«Es gibt mindestens hundert von uns», sagt die Frau ohne Weste achselzuckend.

«Nicht allzu viele, aber einige.»

«Viel Glück», sagt der Pförtner.

Die Frauen entfernen sich.

Jetzt bin ich mit dem Pförtner allein. Zurück in der vertrauten Welt. Ich fühle mich genötigt zu hoffen, dass er mich attraktiv findet, und ärgere mich über ihn, als wäre er für dieses Gefühl verantwortlich, und ohne es zu merken, bin ich schon dabei, den Reißverschluss am Regenmantel meines Mannes aufzuziehen und die Kapuze nach hinten zu schieben, wie eines dieser Affenweibchen, bei denen der Eisprung kein Geheimnis ist. Ich suche, stelle ich mir vor, zu diesem Mann zu sagen, einen Ehering. Oh, sagt er, Ringe sucht ihr doch alle.

Es war kein Ring da. Aber heute, erinnere ich mich, hast du ein Einhorn gesehen. Immerhin. Es geht sowieso nur darum, sich zu beschäftigen. Wir können uns einfach einen anderen Ring kaufen. Warum sind wir nicht längst darauf gekommen? Der alte hat vielleicht dreihundert Dollar gekostet. Wir könnten uns einen neuen kaufen, was ist denn schon dabei, nicht nötig, zu denken, er bedeute etwas, was er nicht bedeutet, auch wenn es was Schönes bedeuten würde, ihn wiederzuhaben, denke ich im Stillen, während ich einen einladenden leeren Tisch in der hinteren Ecke eines Peruanischen Hähnchengrills entdecke, wo ich Pommes frites bestelle. Manche Leute retten ihre Ehen – nicht, dass unsere Ehe gerettet werden müsste, nicht, dass sie in Gefahr wäre, man lässt sich ja schließlich nicht vom semantisch leeren Verlust eines Rings verführen, rufe ich mir in Erinnerung –, indem sie sich gemeinsam in Abenteuer stürzen. Wir könnten einen Coup landen. Ich und Boo. Boo und … klar, wir hätten irgendwelche Namen à la Bonnie und Clyde, nur unter uns. Wir könnten einen UPS-Transporter voller iPhones überfallen. Irgendwo auf einem ländlichen Lieferweg. Die Schusswaffen bräuchten ja nicht echt zu sein, absolut nicht. Und danach könnten wir in ein anderes Land ziehen. Ein teures und kaltes Land, wo niemand uns suchen kommt und wo die Leute ihre Türen offen lassen, weil der Reichtum so gerecht verteilt ist. Das ist nicht meine Art von Tagtraum, denke ich. Das ist nicht meine Träumerei. Es ist die von jemand anderem. Vielleicht ist das auch gut so. Ich selbst war nie ein Walter Mitty. Obwohl ich mich regelmäßig in diesen Typ verliebt und ihn beneidet habe. Aber ein Walter Mitty kann nicht mit einem Walter Mitty verheiratet sein. Es funktioniert nicht. Das zulässige Maximum ist ein Walter Mitty pro Haushalt. So läuft es nun einmal.

 

«Warum ist dein Telefon ausgestellt? Wo warst du?»

Stunden müssen vergangen sein. Boo ist wieder zu Hause. Draußen ist es dunkel.

«Ich hatte Angst», sage ich. «Ich bekam unheimliche Anrufe. Tut mir leid. Tut mir wirklich leid.»

Geöffnete Post liegt auf dem Tisch.

Boo sagt: «Schau, ich weiß, es gibt etwas Wichtiges, was du mir nicht gesagt hast.»

Mein Körper scheint das Klima zu wechseln. Das muss der atmungsinaktive Regenmantel sein.

«Ich weiß, dass du Angst hast», sagt er. «Ich weiß, dass du vor vielen Dingen Angst hast. Ich will dich nicht erwischen. Ich habe das Erwischen satt. Ich will kein Erwischer sein. Ich will es einfach gesagt bekommen. Sag mir einfach, was du mir verheimlicht hast. Das könnte ein guter Tag für uns sein. Du könntest es mir sagen, und ich bekäme das Gefühl, dir wieder mehr vertrauen zu können, weil ich wüsste, dass du mir Dinge sagen kannst, auch wenn es Angst macht und schwierig zu sagen ist.»

Ich sehe, dass neben der Post ein voller Schuhkarton mit meinen Papieren auf dem Tisch steht. «Ich war nur draußen», höre ich mich sagen. Hat das etwas mit diesem Anrufer zu tun, der geliefert haben wollte? «Ich war einfach einsam im Haus, und ich fand es unheimlich, darum bin ich rausgegangen», fahre ich fort. «Ich habe einen Salat gegessen. Ich meine, es passiert so viel an einem Tag. Ich meine, man kann sich immer mehr erzählen. Aber ich wüsste nichts, was ich ein Geheimnis nennen würde.»

Dann entsteht eine lange Pause. Es ist, denke ich, als hätte ich etwas enorm Anstößiges gesagt, als hätte ich ihn das Ungeheuer von Loch Ness genannt oder ein Einhorn. Dabei ist er doch mein Einhorn. Ich hatte vergessen, dass ich das früher immer gesagt hatte; so hatte ich mich gefühlt, als ich mich in ihn verliebte, als hätte ich ein Fabelwesen gefunden. Er war weniger praktisch damals, eher verträumt. Er hatte einen alten Gürtel mit einem kleinen Pony darauf. Das Pony stand dauernd auf dem Kopf.

«Bitte», sagt er. «Ich frage dich, so nett ich kann. Ist da nicht etwas, was du mir sagen willst?»

«Ich bin rausgegangen und habe den Ring gesucht», sage ich. «Das wollte ich dir erzählen. Ich habe ihn nicht gefunden. Aber ich habe ihn gesucht. Wir sollten einfach einen anderen kaufen.»

«Hier ist ein Abfindungsscheck für dich gekommen», sagt er. «Genau genommen habe ich drei von deinen Abfindungsschecks gefunden.»

«Wie seltsam», sage ich.

«Natürlich wurde keiner eingelöst.»

Das Einhorn hat plötzlich eine Menge zu sagen. Warum habe ich ihm nicht einfach erzählen können, dass ich gefeuert worden bin?, sagt er. Oder etwas Ähnliches. Ich weiß wirklich und wahrhaftig und ganz ehrlich nicht, wovon er redet. Ich sage, dass ich gesagt habe, ich hätte gekündigt, weil ich gekündigt hatte. Ich erinnere mich wirklich, dieses Wort, «ersuchen», gebraucht zu haben, um meine Kündigung einzureichen. Und es habe in letzter Zeit viele Irrläufer bei der Post gegeben, sage ich. Auch Irrläufer bei Anrufen. Ich hätte vorgehabt, ihn darauf hinzuweisen.

Er sagt, dass viele Menschen lügen, aber warum erzählte ich Lügen, die mir nicht mal halfen? Das sei doch verdammt seltsam, sagt er. Auch etwas über die Miete und über die Krankenversicherung. «Aber das alles kümmert mich im Grunde