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«Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Wer hat Angst vor mir?» Das Echo eines Kinderspiels hallt gespenstisch durch die Geschichten und Erinnerungen von drei Jugendlichen der ersten Nachwende-Generation und begleitet sie auf ihrer Suche: nach einem Land, das Heimat sein soll, nach einer Identität, die ihren Eltern verlorengegangen ist, nach jemandem, auf den sie schießen können. Obwohl eigentlich längst im Westen angekommen, fehlt ihnen die Orientierung, denn nicht nur die Eltern denken nach wie vor im Osten – auch den Lehrern, die jahrzehntelang ein anderes System vertreten haben, bedeutet die neue Freiheit weniger Chance als Bedrohung. Ein Kampf beginnt und eskaliert in der gewalttätigen Phantasie eines Amoklaufs, dort, wo die Fronten am offensichtlichsten, wo Täter- und Opferrollen am klarsten verteilt sind, in der Schule. Ein Stück «mit formaler Kraft und entschlossenem Stilwillen … eine artifizielle Verbaloffensive, in der sich ‹Die Jugend› insgesamt mit Waffengewalt erhebt – eine erst paralysierte, unterwürfige Defensive, dann ein fast alttestamentarischer Rachefeldzug gegen die Leere der Welt und die Angst im eigenen Herzen.» (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
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Seitenzahl: 38
Veröffentlichungsjahr: 2016
Thomas Freyer
«Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Wer hat Angst vor mir?» Das Echo eines Kinderspiels hallt gespenstisch durch die Geschichten und Erinnerungen von drei Jugendlichen der ersten Nachwende-Generation und begleitet sie auf ihrer Suche: nach einem Land, das Heimat sein soll, nach einer Identität, die ihren Eltern verloren gegangen ist, nach jemandem, auf den sie schießen können. Obwohl eigentlich längst im Westen angekommen, fehlt ihnen die Orientierung, denn nicht nur die Eltern denken nach wie vor im Osten – auch den Lehrern, die jahrzehntelang ein anderes System vertreten haben, bedeutet die neue Freiheit weniger Chance als Bedrohung. Ein Kampf beginnt und eskaliert in der gewalttätigen Phantasie eines Amoklaufs dort, wo die Fronten am offensichtlichsten, wo Täter- und Opferrollen am klarsten verteilt sind, in der Schule. Ein Stück «mit formaler Kraft und entschlossenem Stilwillen … eine artifizielle Verbaloffensive, in der sich ‹Die Jugend› insgesamt mit Waffengewalt erhebt – eine erst paralysierte, unterwürfige Defensive, dann ein fast alttestamentarischer Rachefeldzug gegen die Leere der Welt und die Angst im eigenen Herzen.» (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Thomas Freyer, Amoklauf mein Kinderspiel
Originalausgabe
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2016
Copyright © 2016 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Aufführungsrechte: Rowohlt Theater Verlag, Hamburger Straße 17, 21465 Reinbek
Umschlaggestaltung any.way, Walter Hellmann
Umschlagabbildungen iStockphoto.com
Satz Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN 978-3-644-90571-9
www.rowohlt-theater.de
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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www.rowohlt.de
T
Auf dem Weg.
An den Mülltonnen vorbei zur Schule. Ball spielen verboten, steht auf dem Schild. Am Block gegenüber haben die Abrissarbeiten begonnen.
Ich zünde mir eine Zigarette an. Ziehe, bis sich mein Magen verkrampft. Wie an jedem Morgen. Seit Wochen habe ich nicht mehr gefrühstückt. Den ersten Kaffee werde ich in der Hofpause trinken.
An der Straßenbahnhaltestelle treffe ich die Direktorin. Sie kommen zu spät, sagt sie. Sieht mir dabei lächelnd ins Gesicht. Legt mir die Hand auf die Schulter, dass mir das Schlüsselbein bricht.
Ich reiße mich los.
Hinter mir wird mein Name gerufen. Meine Mutter, die mich begleiten will. Hand in Hand mit der Direktorin.
Die Zigarette fällt mir aus dem Gesicht.
Die Zeit zwischen meinen Schritten wird kürzer. Der Abstand mit jedem Schritt größer. An der Ampel hänge ich beide ab.
Stille.
Schweiß läuft an meinem Rücken, an meiner Brust herunter. Im Schleckermarkt kaufe ich eine Cola. Trinke sie, während ich bezahle.
Noch sieben Minuten bis zum Stundenklingeln. Noch fünfhundert Meter bis zur Schule. Ich muss mich beeilen.
Beeilung.
Immer weiter zieht sich mein Magen zusammen. Immer mehr Menschen versammeln sich auf dem Schulhof. Eltern. Lehrer. Die Schüler auf den Bäumen. Die Krallen in den Stamm gepresst. Für jeden Schüler ein Baum.
Mein Vater steckt mir ein Mikro an den Kragen. Jagt mich wortlos auf den Baum. Sei ruhig, wenn du nichts zu sagen hast, ist in seinen Augen zu lesen. Eigentlich arbeitet er um diese Zeit.
Stille.
Dann das Stundenklingeln.
Stille.
Ein leises Knacken. Stille. Die Mikrophone werden eingeschaltet. Jeder Schüler ein Mikrophon.
Meine Schulter kann ich nicht mehr spüren. Mein Magen ein einziger Zellklumpen.
Von hier oben sehe ich in erwartungsvolle Gesichter. Nicht wissend, was sie von mir wollen. Meine Eltern. Lehrer.
Das erste Pausenklingeln. Dann wieder Stille.
Kein Gefühl für die eigenen Muskeln. Knochen. Vier Meter über dem Boden schläft mir das Gesicht ein.
Ihr schaut mir nicht in die Augen. Steht geduldig um den Stamm herum. Wenn ihr mir wenigstens in die Augen schauen würdet.
Ab und zu kommen verschiedene Lehrer vorbei. Bleiben kurz stehen und gehen zum nächsten.
Ihr wartet auf ein Wort aus meinem Mund. Aber da ist nichts. Ich hab euch nichts zu sagen.
Nichts.
Stille.
Stille.
