An Spaniens Küsten - C. S. Forester - E-Book

An Spaniens Küsten E-Book

C. S. Forester

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Beschreibung

Der Klassiker unter den Seefahrerepen: Horatio Hornblowers sechstes Abenteuer. Betraut mit dem Kommando über den Zweidecker ›Sutherland‹ sieht sich Hornblower einer Mannschaft gegenüber, der es an Erfahrung, nicht aber an Tapferkeit fehlt. Dank ihres enigmatischen Kapitäns werden die Matrosen schon bald zu einer eingeschworenen Crew und schaffen es, die Angriffe der Franzosen abzuwehren. Hornblowers Wagemut jedoch, mit dem er seine Mannschaft und sein Schiff vor den Franzosen retten kann, führt für ihn in die Gefangenschaft. Der sechste Band der berühmten Romanserie um Horatio Hornblower, einem Meilenstein der maritimen Literatur, ist ein großes Seeabenteuer und ein Lesevergnügen, das bereits Generationen von Lesern begeistert hat.

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Seitenzahl: 416

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Cecil Scott Forester

An Spaniens Küsten

Horatio Hornblower Band 6

Aus dem Englischen von Eugen von Beulwitz

Mit Illustrationen von Samuel H. Bryant

Fischer e-books

1NEUE REKRUTEN

Kapitän Horatio Hornblower las einen verschmierten Probeabzug, den ihm die Drucker gerade ins Haus geschickt hatten: ›An alle tapferen jungen Männer!

An die Seeleute, Landbewohner und Jungen, die den Wunsch haben, für die Freiheit zu kämpfen, und die dem korsischen Tyrannen zeigen wollen, daß er nicht ungestraft den britischen Zorn herausfordern darf.

Seiner Majestät Schiff Sutherland, ein mit vierundsiebzig Kanonen bestückter Zweidecker, wird demnächst in Plymouth in Dienst gestellt. Noch sind einige Stellen zur Ergänzung der Besatzung frei. Der Kommandant, Kapitän Horatio Hornblower, kehrte erst jüngst mit der sechsunddreißig Kanonen tragenden Fregatte Lydia aus dem Pazifik zurück, nachdem er dort den ihm doppelt überlegenen spanischen Zweidecker Natividad niedergekämpft und zum Sinken gebracht hatte. Die Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Lydia sind ihm sämtlich an Bord der Sutherland gefolgt. Welcher tapfere Brite kann dem Ruf widerstehen, in die Reihen dieser Helden einzutreten und mit ihnen den neuen Ruhm zu erwerben, der auf sie wartet? Wer will dem Monsieur Jean Crapaud beibringen, daß die See Britanniens Eigentum ist, auf dem kein französischer Froschfresser sein Gesicht zu zeigen hat? Wer wünscht einen Hut voll goldener Louisdore als Prisengeld? Jeden Abend werden die Fiedler zum Tanz aufspielen. Als Verpflegung gibt es bestes Ochsenfleisch, das beste Brot; dazu täglich Rum zu Mittag. Alles außer der Löhnung, die im Namen Seiner Allergnädigsten Majestät des Königs Georg ausbezahlt wird! Dort, wo dieser Aufruf aushängt, befindet sich ein Offizier HMS Sutherland. Er wird jeden nach Ruhm dürstenden Freiwilligen einstellen.‹

Kapitän Hornblower mußte sich gegen ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit wehren, als er den Probeabzug las. Aufrufe dieser Art konnte man in jedem Marktflecken dutzendweise finden. Es war wenig wahrscheinlich, daß sich Rekruten für ein schwerfälliges Linienschiff finden würden, solange verwegene Kommandanten von Fregatten, deren Ruhm seinen weit übertraf, das ganze Land abgrasten und dabei Summen nennen konnten, die tatsächlich auf ihren früheren Kreuzfahrten erbeutet worden waren. Die Entsendung von vier Offizieren, von denen jeder ein halbes Dutzend Leute mitnehmen mußte, würde ihn tatsächlich fast das ganze Geld kosten, das er während seines letzten Kommandos erspart hatte, und dabei fürchtete er, daß es sich um hinausgeworfenes Geld handeln werde.

Dennoch mußte etwas geschehen. Die Lydia hatte ihn zwar mit zweihundert seebefahrenen Männern versorgt – allerdings sagte das Plakat nichts davon, daß man sie, ohne ihnen nach Abschluß einer zweijährigen Dienstzeit Gelegenheit gegeben zu haben, den Fuß auf britischen Boden zu setzen, samt und sonders an Bord der Sutherland gebracht hatte –, aber um seine Besatzung zu vervollständigen, bedurfte er weiterer fünfzig Seeleute, zu denen noch zweihundert Rekruten und Schiffsjungen treten mußten. Das Wachschiff hatte ihn in dieser Hinsicht völlig im Stich gelassen. Gelang es ihm aber nicht, die Sutherland mit den nötigen Beständen zu versehen, so konnte ihm das den Verlust des Kommandos eintragen. Das aber bedeutete Halbsold – acht Shilling täglich – für den Rest seines Daseins. Wie er bei der Admiralität angesehen war, vermochte er in keiner Weise zu beurteilen, und es entsprach seiner Eigenart, in solcher Lage das Ungünstigste anzunehmen und somit zu argwöhnen, daß seine Stellung sehr gefährdet sei.

Sorge und Nervenanspannung drängten Flüche über seine Lippen, während er mit dem Bleistift auf das Papier klopfte; törichte Verwünschungen waren es, deren Sinnlosigkeit er sich bereits bewußt wurde, noch während er sie aussprach.

Übrigens hütete er sich davor, laut zu sprechen, denn hinter der Doppeltür schlief Maria, die er nicht zu stören wünschte. Maria glaubte, in gesegneten Umständen zu sein. Wohl war es noch zu früh, um dessen sicher zu sein, aber jedenfalls hatte Hornblower genug an ihrer übertriebenen Zärtlichkeit. Jetzt, als er daran dachte, nahm seine nervöse Reizbarkeit noch weiter zu. Er haßte das Land, die Notwendigkeit der Rekrutierung, das dumpfe Wohnzimmer und den Verlust der Unabhängigkeit, die er während all der Monate seiner letzten Reise genossen hatte. Ärgerlich griff er nach seinem Hut und verließ leise das Zimmer. Unten in der Vorhalle wartete der Bote der Druckerei. Ihm händigte Hornblower in schroffer Weise den Probeabzug aus, wobei er ein Gros entsprechender Plakate bestellte. Dann trat er auf die geräuschvolle Straße hinaus.

An der sogenannten Halfpenny-Gate-Brücke ließ ihn der Brückenwärter ohne Bezahlung passieren, sowie er die Uniform sah. Die herumlungernden Bootsleute erkannten den Kommandanten der Sutherland. Sie versuchten, ihn auf sich aufmerksam zu machen, da sie hoffen konnten, angesichts der langen Fahrstrecke ein schönes Trinkgeld zu bekommen.

Hornblower wählte eine Jolle. Es bereitete ihm Genugtuung, daß er sein Ziel nicht zu nennen brauchte. Die Leute legten sich in die Riemen, und die Jolle glitt durch das Gewirr der im Hafen liegenden Schiffe. Der Mann am Schlagriemen schob seinen Priem an die andere Seite und schickte sich an, eine Belanglosigkeit zu sagen, doch erstarb der Versuch in einem Hüsteln, als er die mißmutig gerunzelte Stirn des Fahrgastes bemerkte. Hornblower, der den Vorgang beobachtete, ohne den Mann wirklich anzusehen, verlor etwas von seiner schlechten Laune. Jetzt fiel ihm auch das Muskelspiel der braunen tätowierten Unterarme auf. Im linken Ohr des Mannes schimmerte ein Ohrring. Ehe er Jollenführer wurde, mußte er Hochseemann gewesen sein. Hornblower verspürte den sehnlichen Wunsch, ihn an Bord der Sutherland zu behalten. Wenn es ihm gelang, einige Dutzend brauchbare Seeleute zu bekommen, war er den größten Teil seiner Sorgen los, aber natürlich war der Kerl im Besitz eines Freistellungsscheines, sonst hätte er in einem Hafen, in dem etwa ein Viertel der britischen Marine nach Mannschaften suchte, niemals seinen Beruf ausüben können.

Am Ausrüstungskai und in der Werft wimmelte es von Männern; großenteils waren es seebefahrene Zimmerleute und Takler. Im Vorüberfahren blickte Hornblower so sehnsüchtig zu ihnen hinüber wie ein Kater, der nach dem Goldfischglas schielt. Die Seilerbahn glitt vorbei, der Mastschuppen, die mit einem Kran zum Einsetzen der Masten versehene Hulk und die Hartbrotbäckerei mit ihren rauchenden Schornsteinen. Und Bull Point gegenüber lag die Sutherland vor Anker. Während Hornblower sie über das von kurzen Wellen belebte Wasser hinweg ansah, mischte sich ein sonderbares Mißvergnügen in den naturgemäßen Stolz, den er als Kommandant empfand. Zu einer Zeit, da sich der ausladende Bug bei allen in England gebauten Linienschiffen durchsetzte, erweckte das runde Vorschiff einen merkwürdigen Eindruck. Die plumpen Umrisse deuteten darauf hin, daß man zur Erzielung eines geringen Tiefgangs wissentlich auf andere wünschenswerte Eigenschaften verzichtet hatte. Mit Ausnahme der in England eingesetzten Untermasten verrieten alle Einzelheiten die holländische Herkunft und die Rücksichtnahme auf die zahlreichen Sandbänke und die flachen Flußmündungen der holländischen Küstengewässer. Ursprünglich war die Sutherland die niederländische Eendracht gewesen, die, bei Texel weggenommen und wieder instand gesetzt, nunmehr der häßlichste Zweidecker der ganzen Flotte geworden war.

Mit einem Gefühl der Abneigung, das durch die Besatzungsschwierigkeiten noch verstärkt wurde, dachte Hornblower an die peinliche Lage, in die er unbedingt geraten mußte, wenn er sich einmal mit solchem Schiff von einer Leeküste freisegeln mußte. Wie ein Papierschiffchen würde es nach Lee abtreiben. Bei dem darauf folgenden Kriegsgericht aber würde ihm niemand Glauben schenken, wenn er auf die schlechten Segeleigenschaften des Zweideckers hinwies.

»Langsamer!« herrschte Hornblower den Jollenführer an. Sofort hörte das Knarren der sich in den Dollen reibenden Riemen auf. Gleichzeitig wurde das glucksende Anschlagen der Wellen hörbar.

Während das Boot mit verminderter Fahrt weiterglitt, setzte Hornblower seine Besichtigung fort. Das Schiff war neu angestrichen worden, aber so sparsam, wie es eben die Herren von der Werft bewilligt hatten. Keine weiße oder rote Farbe unterbrach das eintönige Gelb und Schwarz. Ein wohlhabender Kommandant würde mit Hilfe seines Ersten Offiziers solchem Mangel aus eigener Tasche abgeholfen und hier oder dort etwas Gold aufgesetzt haben, Hornblower aber hatte für das teure Gold kein Geld übrig, mochte seine eigene Zukunft bis zu gewissem Grade vom Aussehen der Sutherland abhängen, und er wußte, daß auch Bush, der seine Mutter und mehrere Schwestern unterstützte, keine überflüssigen Mittel besaß. Anderen Kommandanten – Hornblower mußte es sich mißmutig eingestehen – wäre es auf irgendeine Weise gelungen, mehr Farbe von der Werft zu bekommen, sogar Blattgold, aber er verstand sich nicht darauf, schöne Worte zu machen. Die Vergoldungen der ganzen Welt hätten ihn nicht dazu bewegen können, einem Werftbeamten vertraulich auf die Schulter zu klopfen und sich ihm anzubiedern. Nicht, als ob er sich ein Gewissen daraus gemacht hätte, aber sein Selbstbewußtsein ließ derlei nicht zu.

Irgend jemand hatte ihn vom Oberdeck aus bemerkt. Er hörte die Bootsmannspfeifen schrillen. Man bereitete seinen Empfang vor. Mochten sie noch ein wenig warten; heute ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen. Die noch nicht voll ausgerüstete Sutherland lag hoch auf dem Wasser, so daß man einen breiten Streifen ihres Kupferbeschlags sehen konnte. Gottlob, wenigstens das Kupfer war neu. Vor dem Winde segelnd, mochte das häßliche alte Schiff immerhin eine ganz nette Geschwindigkeit entwickeln. Wind und Strom standen quer zueinander. Aus der Art, wie sich das Schiff auf beide einspielte, konnte Hornblower auf seine Manövriereigenschaften schließen. Prüfend ließ Hornblower den Blick über die Linien gleiten, wobei er erwog, wie das Schiff am besten zu handhaben sei. Seine langjährige seemännische Erfahrung kam ihm dabei zugute. Vor seinem geistigen Auge entstand ein Diagramm, in dem alle in See auf das Schiff wirkenden Kräfte zum Ausdruck kamen: der Druck des Windes auf die Segel, die abstützende Wirkung, die das Ruder auf die Vorsegel ausübte, der seitliche Widerstand des Kiels, die Reibung der Außenhaut und der Wasserwiderstand am Bug. Er entwarf einen Plan, nach dem das Schiff vorläufig, das heißt, bis sich praktische Erfahrungen verwerten ließen, getakelt getrimmt werden sollte, aber schon im nächsten Augenblick entsann er sich bitter, daß ihm keine ausreichende Besatzung zur Verfügung stand und daß alles Pläneschmieden nutzlos war, solange dieser Zustand andauerte.

»Ruder an!« knurrte er, und abermals legten sich die Bootsleute ins Zeug.

»Nicht so hart, Jake«, rief der Bugmann dem Schlagmann zu, nachdem er einen Blick über die Schulter geworfen hatte.

Die Jolle glitt unter dem Heck der Sutherland vorbei – die Leute verstanden sich auf Anlagemanöver –, so daß Hornblower einen Blick auf die Heckgalerie werfen konnte, einen der anziehendsten Teile des ganzen Schiffes. Er freute sich, daß die Werft jene Galerie nicht entfernt hatte, wie das bei so vielen Linienschiffen geschehen war. Dort oben konnte er Wind, See und Sonne in einer Zurückgezogenheit genießen, die ihm an Oberdeck versagt blieb. Er wollte sich einen Liegestuhl anfertigen lassen, um ihn auf der Galerie verwenden zu können; ja, er konnte dort sogar seine Wanderungen vornehmen, ohne von irgendwelchen Augen behelligt zu werden, denn die Galerie war fast sechs Meter lang, und er würde nur genötigt sein, sich unterhalb des Mittelbalkens ein wenig zu bücken. Von ganzer Seele sehnte sich Hornblower nach der Zeit, da er in See sein würde, fort von den lästigen Sorgen des Landaufenthalts. Dann wollte er sich häufig auf die Heckgalerie zurückziehen, denn nur in der Einsamkeit, die er dort fand, konnte er Entspannung finden. Ohne Mannschaft blieben solche Gedanken jedoch Träume. Irgendwie mußte er also Leute auftreiben.

Er griff in die Tasche, um die Bootsleute zu bezahlen, und obwohl er nur über wenig Silbergeld verfügte, trieb ihn doch das Selbstbewußtsein dazu, den Jollenführer in einer Weise zu belohnen, wie er sie bei den anderen Linienschiffskommandanten voraussetzen zu müssen glaubte.

»Dank schön, Sir; dank schön«, sagte der Mann, während er sich mit den Fingerknöcheln die Stirn rieb.

Hornblower erstieg das Fallreep und durchschritt die mausgrau gemalte Pforte, die in holländischen Zeiten golden geschimmert hatte. Laut schrillten die Bootsmannspfeifen, die Seesoldatenwache präsentierte das Gewehr, und regungslos standen die Fallreepsgäste. Der Steuermannsmaat Gray – Leutnante gingen keine Hafenwache – salutierte als Wachhabender Offizier, als Hornblower mit der Fingerspitze den Hut berührte, um das Achterdeck zu grüßen. Der Kommandant redete ihn nicht an, obwohl er Gray besonders schätzte. Er bewahrte die steife Zurückhaltung, um sich nicht von einer unangebrachten Gesprächigkeit fortreißen zu lassen. Schweigend sah er sich um.

Das Oberdeck war dem Fortschreiten der Takelung entsprechend mit allerlei Ausrüstungsgegenständen bedeckt, aber, wie Hornblower zu seiner Befriedigung feststellte, zeigte das Durcheinander bereits gewisse Ansätze wiederkehrender Ordnung. Die Trossenrollen, die an Deck beschäftigten Arbeitsgruppen, die an einem Marssegel nähenden Leute des Segelmachers auf der Back vermittelten zwar auf den ersten Blick den Eindruck der Unordnung, doch handelte es sich gewissermaßen um eine disziplinierte Unordnung. Die strengen, an die Offiziere ausgegebenen Befehle trugen bereits Früchte. Als die Besatzung der Lydia erfuhr, daß sie, ohne einen einzigen Tag Landurlaub erhalten zu haben, an Bord der Sutherland gehen sollte, hatte sie beinahe gemeutert, doch befand sie sich jetzt wieder fest in der Hand der Führung.

»Der Wachtmeister bittet, Meldung erstatten zu dürfen«, sagte Gray.

»Soll herkommen.«

Der Wachtmeister war der für die Aufrechterhaltung der Mannszucht verantwortliche Deckoffizier. Er hieß Price, und Hornblower kannte ihn noch nicht. Vermutlich hatte er Verstöße gegen die Mannszucht zu melden. Hornblower seufzte heimlich, obwohl er seinem Gesicht den Ausdruck unerbittlicher Härte verlieh. Er nahm an, daß es eine Auspeitschung geben werde, und der Gedanke an solche barbarische Strafe war ihm verhaßt. Andererseits durfte er gerade zu Beginn eines Kommandos und angesichts einer widerwilligen Besatzung nicht zögern, einen Strafbefehl zu erlassen, bei dessen Ausführung dem betreffenden Sünder der Rücken zerfleischt wurde.

Price erschien an der Spitze eines höchst merkwürdigen Aufzuges. Ihm folgten dreißig paarweise aneinander gefesselte Männer. Nur die letzten beiden schleppten traurig ihre rasselnden Fußketten nach, hatten dafür aber die Hände frei. Die meisten trugen zerfetzte Kleidungsstücke, die durchaus keinen seemännischen Eindruck machten. Teilweise bestanden diese Lumpen aus Sackleinewand oder aus Kordstoff. Bei näherem Zusehen entdeckte Hornblower sogar das Wrack einer feinen Moleskinhose. Wieder ein anderer Bursche hatte sich mit einem ehemals feierlichen schwarzen Tuchanzug bekleidet.

Durch einen Riß an der Schulter schimmerte die weiße Haut. Sämtliche Männer hatten Stoppelbärte der verschiedensten Schattierungen; schwarz, braun, rotblond und grau, und jenen, deren Schädel nicht von Natur kahl waren, hingen wirre Haarsträhnen in die Stirn. Die beiden Wachtmeistersmaate bildeten den Schluß des Aufzuges.

»Halt!« kommandierte Price. »Hut ab!«

Schlurfenden Schrittes kamen die Leute zum Stehen. Sie machten durchweg mürrische Gesichter. Einige starrten vor sich auf die Planken des Achterdecks, während andere sich mit blödem Blick umsahen.

»Was zum Henker bedeutet denn das?« fragte Hornblower ungehalten.

»Mannschaftsersatz, Sir«, meldete Price. »Ich habe den Empfang bescheinigt.«

»Wo kommen sie her?«

»Vom Exeter-Gefängnis, Sir.« Der Wachtmeister brachte eine Liste zum Vorschein. »Vier davon sind Wilddiebe. Waites, das ist der mit den Moleskinhosen, Sir, den hat man wegen Schafdiebstahl eingesteckt. Der da, mit dem schwarzen Anzug, ist wegen Bigamie bestraft, Sir … Ehe ihm das passierte, war er Betriebsleiter einer Brauerei. Die anderen sind durchweg Einbrecher bis auf die zwei Vorgetretenen. Das sind Brandstifter, und die mit den Fußeisen sind Straßenräuber.«

»Ha … hm«, machte Hornblower, der zunächst keine Worte fand. Die Neuen schielten zu ihm hin. In einigen Augen leuchtete so etwas wie Hoffnung auf, andere blickten haßerfüllt, aber die meisten blieben teilnahmslos. Sie hatten den Seedienst gewählt, um dem Galgen, der Deportation oder dem Zuchthaus zu entgehen. Lange Monate der Untersuchungshaft bildeten eine Erklärung für ihr zerlumptes Aussehen. Voller bitterer Empfindungen musterte Hornblower diesen schönen Zuwachs seiner Besatzung; meuterische Kerle, verstockte Sünder und schwachsinnige Tröpfe. Immerhin waren es Männer, und er mußte sehen, wie er mit ihnen fertig wurde. Auch lohnte sich vielleicht der Versuch, die Zuneigung der Verängstigten und Widerspenstigen zu erwerben. Hornblowers angeborene Menschenfreundlichkeit ließ ihn jetzt einen bestimmten Weg einschlagen, nachdem er schnell nachgedachte hatte.

»Weshalb tragen die Leute noch Handschellen?« fragte er so laut, daß alle ihn hören mußten. »Sofort abnehmen.«

»Bitte um Verzeihung, Sir«, entschuldigte sich Price. »Ohne Befehl wagte ich das nicht angesichts dessen, was sie sind, und wo sie herkommen.«

»Das hat gar nichts damit zu tun«, erklärte Hornblower streng. »Jetzt stehen sie im Dienste des Königs, und an Bord meines Schiffes will ich keinen Mann in Eisen sehen, sofern er mir nicht Anlaß gibt, ihn fesseln zu lassen.«

Hornblower richtete seine Worte an Price und vermied es bewußt, die neuen Leute anzusehen. So war die Rede wirkungsvoller, wenn er sich auch etwas schämte, zu solchen rhetorischen Kniffen greifen zu müssen.

»Fortan wünsche ich Rekruten niemals wieder vom Wachtmeister vorgeführt zu bekommen«, fuhr er zornig fort. »Sie stehen in einem ehrenhaften Dienst, und eine ehrenhafte Zukunft liegt vor ihnen. Ich ersuche Sie, ein anderes Mal daran zu denken. Und jetzt sorgen Sie dafür, daß die Leute meinem Befehl entsprechend anständig eingekleidet werden.«

Im allgemeinen hätte es disziplinschädigend wirken können, einen Unteroffizier vor der Front abzukanzeln, aber Hornblower war sich darüber klar, daß im vorliegenden Falle wenig Unheil angerichtet wurde. Früher oder später würden die Leute den Wachtmeister so oder so hassen. Dafür hatte er die Privilegien seines Ranges und seiner Besoldung, um dafür den Prügelknaben für alle Unzufriedenheit der Besatzung abzugeben. Hornblower konnte nunmehr den bisherigen schroffen Tonfall seiner Stimme mildern und die Rekruten unmittelbar anreden.

»Ein Mann, der nach bestem Können seine Pflicht tut, hat hier an Bord nichts zu fürchten und alles zu erhoffen«, sagte er freundlich. »Nun will ich mal sehen, wie ordentlich ihr aussehen könnt, wenn ihr euch gründlich gewaschen und die neuen Sachen angezogen habt. Lassen Sie wegtreten, Price.«

Er wußte, daß er durch sein Verhalten wenigstens die Herzen einiger dieser armen Teufel erobert hatte. Mehrere der bisher verzweifelt und finster dreinblickenden Gesichter hellten sich auf, nachdem der Kommandant gezeigt hatte, daß er seine Untergebenen menschlich zu behandeln wünschte. Es mochte das erstemal seit Monaten, wenn nicht das erstemal in ihrem Leben sein, daß sie solche Erfahrung machten. Gedankenvoll sah Hornblower ihnen nach. Seiner Meinung nach waren sie vom Regen in die Traufe gekommen, als sie das Gefängnis gegen den Seedienst vertauschten. Immerhin aber verkörperten sie für ihn dreißig der zweihundertundfünfzig Menschenleiber, die an den vielen Tauenden holen und sich in die Spaken des Gangspills legen mußten, um die alte Sutherland in See zu bringen.

Eiligen Schrittes erschien Leutnant Bush auf dem Achterdeck und legte militärisch grüßend die Hand an den Hut. Sein ernstes, gebräuntes Gesicht mit den blauen Augen verzog sich zu einem undienstlichen Lächeln. Hornblower empfand es seltsam angenehm und fast beruhigend, die Zuneigung seines Untergebenen aus dessen Verhalten zu erkennen. Seltsam, daß er von diesem außerordentlich tüchtigen Seemann, diesem hervorragenden Unterführer und schneidigen Soldaten, der so manche gute, Hornblower nicht angeborene Eigenschaften besaß, verehrt, um nicht zu sagen, geliebt wurde.

»Guten Morgen, Bush. Haben Sie schon unsere neue Mustersendung von Matrosen gesehen?«

»Nein, Sir. Wo kommen sie denn her?«

Der Kommandant erzählte es ihm, worauf sich Bush vergnügt die Hände rieb.

»Dreißig«, schmunzelte er. »Das ist fein. Vom Exeter-Gefängnis hatte ich mir höchstens ein Dutzend versprochen. Hoffentlich schickt uns das Bodmin-Gefängnis heute nochmal soviel.«

»Von dort werden wir kaum brauchbare Seeleute bekommen«, meinte Hornblower, den die Selbstverständlichkeit, mit der Bush das Erscheinen von Zuchthäuslern an Bord der Sutherland zur Kenntnis nahm, in hohem Maße beruhigte.

»Nein, Sir, aber in dieser Woche ist der von Westindien kommende Geleitzug fällig. Ich denke, daß an die zweihundert Kerle davon aufgegriffen werden, und da dürften wohl mindestens zwanzig für uns abfallen.«

»Ha … hm«, räusperte sich Hornblower unbehaglich. Er gehörte nicht zu den Kommandanten, die, sei es ihres Ansehens oder ihrer gewinnenden Art wegen, auf eine Bevorzugung durch den Hafenadmiral rechnen konnten. »Ich möchte mal durch die Decks gehen.«

Damit wurde eine völlige Änderung des Gesprächsstoffes erzielt.

»Die Weiber sind ziemlich unruhig, Sir«, meldete Bush. »Falls Sie gestatten, komme ich mit.«

Das untere Batteriedeck, das sein Licht durch ein halbes Dutzend geöffneter Geschützpforten empfing, bot einen seltsamen Anblick. Ungefähr fünfzig Frauen befanden sich dort. Einige lagen noch in ihren Hängematten. Andere hatten sich gruppenweise an Deck niedergelassen und unterhielten sich mit lauten Stimmen. Drei beugten sich aus einer Geschützpforte und feilschten mit dem Führer eines Händlerbootes um Lebensmittel. Das große, zur Verhinderung von Desertionen um das ganze Schiff gespannte Netz besaß hinreichend große Maschen, um mit der Hand hindurchzugreifen. Zwei andere Frauenzimmer waren einander in die Haare geraten und wurden dabei von ihren Freundinnen angefeuert. Ihr Aussehen stand in sonderbarem Gegensatz zueinander. Die eine war dunkelhaarig und so groß, daß sie sich des niedrigen Decks wegen bücken mußte, während die andere kleine, rundliche und blonde Frau hochaufgerichtet und kühn den drohenden Angriff abwartete.

»Allerdings habe ich das gesagt«, erklärte sie fest. »Und ich sag’s noch mal. Vor dir bin ich nicht bange, wenn du dich auch Frau Dawson nennst.«

Auf diese Beleidigung hin stieß die Lange einen kreischenden Laut aus. Sie schnellte vorwärts, und ihre gierigen Hände krallten sich in das Haar der Feindin, deren Kopf sie so wütend schüttelte, als wollte sie ihn abreißen. Dafür trat ihr die mutige Kleine gegen die Schienbeine und zerkratzte ihr das Gesicht. Bei der wilden Balgerei flogen die Unterröcke, bis eine der in den Hängematten Liegenden einen Warnungsruf hören ließ.

»Hört auf, ihr verrückten Schlampen! Der Kommandant kommt!«

Keuchend und zerzaust ließen die Streitenden voneinander ab, und aller Augen richteten sich auf Hornblower, der in leicht vornüber geneigter Haltung näher kam.

»Die nächste Frau, die hier Raufhändel anfängt, wird augenblicks von Bord gejagt.«

Die Dunkle strich sich das Haar aus der Stirn und schnupfte geringschätzig.

»Ist bei mir nicht nötig«, sagte sie. »Ich gehe von allein. Von den Hungerleidern hier ist ja doch nischt zu verdienen.« Offenbar machte sie sich mit diesen Worten zum Sprachrohr der öffentlichen Meinung, denn ein leichtes Beifallsgemurmel folgte.

»Bekommen die Kerls denn niemals ihre Löhnung?« rief eine keifende Stimme.

»Ruhe!« brüllte Bush plötzlich. Er drängte sich vor, um den Kommandanten gegen die Beleidigungen zu schützen, denen er angesichts der Tatsache ausgesetzt war, daß es die Regierung bisher nicht für nötig gehalten hatte, die Löhnung auszuzahlen, obwohl die Sutherland schon seit Monatsfrist im Hafen lag. »Du da, was hast du dich nach acht Glas noch in deiner Hängematte zu räkeln?«

Aber der Versuch, eine Gegenoffensive zu unternehmen, führte zur Katastrophe.

»Oh, ich stehe schon auf, wenn Sie wünschen, Herr Leutnant«, sagte das Weib, das die Decke zurückwarf und sich an Deck gleiten ließ. »Von meinem Rock trennte ich mich, um meinem Tom eine Wurst zu kaufen, und für den Unterrock bekamen wir eine Biersuppe. Soll ich im Hemd an Deck kommen, Herr Leutnant?«

Ein Kichern durchlief die Reihen der Zuschauerinnen.

»Scher dich in deine Hängematte und benimmt dich anständig!« tobte der entrüstete Bush. Hornblower lachte auch, vielleicht deshalb, weil ihn als Verheirateten der Anblick einer kaum bekleideten Frau weniger aufregte als seinen Ersten Offizier.

Gewandt schwang sich die Person wieder in die Hängematte und zog zufrieden die Decke über sich. »Anständig kann ich mich erst dann wieder benehmen, wenn mein Tom seine Löhnung bekommt.«

»Und was soll er damit anfangen, wenn er sie bekommt?« höhnte die Blonde. »Ohne Landurlaub! Soll er das Geld an irgend so’n Bumbootskerl verschleudern!«

»Fünf Pfund für dreiundzwanzig Monate!« setzte eine andere giftig hinzu. »Dabei ist ein Monat schon wieder vorbei.«

»Ruhe!« befahl Bush abermals.

Hornblower trat den Rückzug an. Fast hätte er den Zweck seines Rundganges vergessen. Wenn die Frage der Löhnung angeschnitten wurde, konnte er jenen Weibern nicht mehr in die Augen sehen. Die Mannschaften waren schändlich behandelt worden. Angesichts des Landes hatte man sie an Bord eingesperrt, und ihre Frauen – einige von ihnen trugen diesen Titel zu Recht, im übrigen genügte nach den von der Admiralität erlassenen Bestimmungen eine mündliche Versicherung, ihre Anwesenheit an Bord zu dulden – hatten allen Grund zur Klage. Niemand, nicht einmal Bush, wußte, daß die geringfügige Summe, die unter der Mannschaft verteilt worden war, einen großen Teil von Hornblowers eigenen Ersparnissen darstellte, ja daß sie alles war, was er unter Berücksichtigung der notwendigen Ausgaben für die demnächst aufbrechenden Rekrutierungskommandos zu entbehren vermochte. Vielleicht überschätzte er infolge seiner lebhaften Einbildungsgabe und seiner Empfindsamkeit die Beschwerden der Leute. Er dachte an die Enge des Lebens unter Deck, wo dem einzelnen zum Aufhängen der Hängematte nur ein fünfzig Zentimeter breiter Raum zur Verfügung stand, indessen seine Frau den nächsten halben Meter einnahm. So hingen Ehegatten, Weiber und Männer in langer Reihe nebeneinander. Auch der Gedanke daran, daß Frauen auf die abstoßend schlechte Mannschaftskost angewiesen waren, bedrückte ihn. Möglicherweise berücksichtigte er dabei allerdings zuwenig die abhärtende Wirkung langdauernder Gewohnheit.

Unerwartet erschien er durch das vordere Luk an Oberdeck. Thompson, einer der Gewalthaber des Vorschiffes, nahm sich gerade die Rekruten vor.

»Vielleicht gelingt’s uns, Seeleute aus euch zu machen, und vielleicht gelingt’s uns nicht«, sagte er. »Wahrscheinlich werdet ihr mit ’ner Kanonenkugel am Bein über Bord geschmissen, noch ehe Ouessant in Sicht kommt. Schade um die schöne Kanonenkugel. Vorwärts mit der Pumpe da! Laßt die Farbe eurer Haut sehen, ihr Galgenvögel! Wenn euch erst die neunschwänzige Katze anspringt, dann werden wir auch die Farbe eurer Rückenknochen kennenlernen, ihr …«

»Genug, Thompson!« schrie Hornblower wütend.

Auf Grund eines ständigen Befehls wurden die neuen Mannschaften entlaust. Nackt und fröstelnd standen sie an Deck herum. Zweien von ihnen wurden gerade die Köpfe kahlgeschoren. Ein Dutzend von Kerlen, die dieses Verfahren bereits überstanden hatten und mit ihrem vom Gefängnisaufenthalt kränklichen Aussehen wenig in die jetzige Umgebung zu passen schienen, wurde von Thompson zu der Pumpe getrieben, an der einige grinsende Matrosen arbeiteten. Scheu und Kälte ließen die Neulinge schaudern. Die meisten mochten im ganzen Leben noch nicht gebadet haben. Angesichts der unerwünschten und blutdürstigen Bemerkungen Thompsons machten sie einen erbarmungswürdigen Eindruck.

Hornblower, der niemals ganz das Elend seiner ersten seemännischen Lehrzeit vergessen konnte, war entrüstet. Jede rohe Behandlung war ihm verhaßt, und für die Art mancher anderer Kommandanten, die es darauf anlegten, den Geist der ihnen unterstellten Leute zu brechen, hatte er nichts übrig. Eines Tages konnten sein militärischer Ruf und seine Zukunft von diesen Leuten abhängen, die mutig ihr Leben aufs Spiel setzen und nötigenfalls opfern sollten. Das aber konnte man von verprügelten und seelisch gebrochenen Männern nicht erwarten. Das Scheren und Baden war notwendig, wenn man das Schiff von Flöhen, Wanzen und Läusen freihalten wollte, die einem das Leben an Bord zur Qual machen konnten; aber seine Männer waren ihm zu wertvoll, um mehr als nötig eingeschüchtert zu werden. Es war seltsam, daß er, der sich nie für eine Führernatur hielt, doch immer führte und jedes Treiben vermied.

»Unter die Pumpe mit euch, Kerls«, sagte er freundlich, und als sie noch immer zögerten: »Wenn wir erst in See sind, werdet ihr mich selbst jeden Morgen, sobald es sieben glast, unter jener Pumpe sehen. Ist’s nicht so?«

»Aye aye, Sir«, antworteten ihm die Männer an der Pumpe. Des Kommandanten seltsame Gewohnheit, sich allmorgendlich kaltes Seewasser über den Rücken gießen zu lassen, hatte an Bord der Lydia häufig zu lebhaftem Gerede geführt.

»Also marsch! Vielleicht bringt ihr’s alle noch mal zum Kapitän. Du da, Waites, zeige den anderen, daß du Schneid hast.«

Es erwies sich als günstiger Umstand, daß sich Hornblower nicht nur des Namens entsann, sondern den ehemaligen Schafdieb Waites in der neuen Kleidung erkannte; jenen Mann, der ihm der Moleskinhosen wegen aufgefallen war. Die Leute schielten zu ihrem mit goldenen Litzen geschmückten Kommandanten hinüber, der eine so heitere Sprechweise besaß und dessen Würde es zuließ, täglich ein Bad zu nehmen. Waites gab sich einen Ruck und tauchte unter den sprudelnden Schlauch. Nach Luft schnappend drehte er sich heldenhaft im Kreise, während ihn das kalte Wasser überlief. Jemand warf ihm einen Brocken Bimsstein zu, damit er sich damit scheuere, während die übrigen Leute darauf brannten, an die Reihe zu kommen. Die armen Kerle benahmen sich wie Schafe. Man mußte ihnen nur einen Leithammel geben.

Hornblowers Blick fiel auf einen häßlichen roten Striemen, der sich über eine weiße Schulter zog. Er winkte Thompson beiseite.

»Sie haben früh angefangen mit Ihrer beliebten Nachhilfe.«

Thompson grinste verlegen. Nervös fingerte er an dem zwei Fuß langen Tauende herum, das einen Knoten aufwies und mit dem die seemännischen Unteroffiziere ganz allgemein ihren Befehlen Nachdruck zu verleihen pflegten.

»Ich dulde keinen Unteroffizier an Bord, der nicht weiß, wann es am Platze ist, den Starter zu benutzen. Die Leute begreifen noch gar nicht, was man von ihnen verlangt. Prügel sind daher völlig unangebracht. Noch ein solcher Mißgriff, Thompson, und Sie werden degradiert. Statt Unteroffizier zu spielen, werden Sie für den Rest der Reise als Latrinenreiniger fungieren. Wegtreten!«

Tief beeindruckt von dem Zorn, den der Kommandant zu erkennen gegeben hatte, schlich der Gemaßregelte davon.

»Mr. Bush, bitte, behalten Sie ihn im Auge«, wandte sich Hornblower an seinen Ersten. »Zuweilen pflegt sich ein Unteroffizier für einen erhaltenen Tadel in einer Weise an seinen Untergebenen zu rächen, die überhaupt nicht wiedergutzumachen ist. Das aber wünsche ich unter allen Umständen vermieden zu sehen.«

»Aye aye, Sir«, antwortete Bush philosophisch.

Hornblower war für ihn der einzige Kommandant, der sich um die Anwendung der Starter kümmerte. Starter bildeten ebenso wie das schlechte Essen, die fünfzig Zentimeter breiten Hängemattsplätze und die ständige Lebensgefahr einen feststehenden Bestandteil des Seemannslebens. Bush vermochte niemals die Disziplinarmethoden Hornblowers ganz zu verstehen. Als Hornblower vor der Mannschaft zugab, daß er sich selbst unter der Pumpe abduschen ließ, war er entsetzt gewesen. Ihm mußte es als Wahnsinn erscheinen, die Leute ahnen zu lassen, daß er Fleisch von ihrem Fleisch war. Aber eine zweijährige Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß die Eigenart des Kommandanten zuweilen überraschende Ergebnisse zeitigte. Er war daher bereit, ihm treu und blindlings, resigniert und dennoch bewundernd zu gehorchen.

2HEIMLICHE WÜNSCHE

»Der Hausknecht des ›Engel‹ hat einen Brief überbracht, Sir«, meldete die Wirtin, nachdem Hornblower sie auf ihr Klopfen an der Wohnzimmertür hatte eintreten lassen. »Er wartet auf Antwort.«

Ein Blick auf die Anschrift ließ Hornblower zusammenzucken. Diese klaren, weiblichen Schriftzüge, die er vor Monaten zum letztenmal gesehen hatte, bedeuteten ungeheuer viel für ihn. Als er nun seine Frau anredete, suchte er die ihn beherrschenden Gefühle zu verbergen.

»Er ist an uns beide gerichtet, Maria. Soll ich ihn öffnen?«

»Bitte.«

Hornblower riß den Umschlag auf und entfaltete das kurze Schreiben:

›Gasthaus zum Engel, Plymouth, den 4. Mai 1810

Konteradmiral Sir Percy und Lady Barbara Leighton würden es sich zur Ehre gereichen lassen, wenn Herr Kapitän und Mrs. Horatio Hornblower morgen um vier Uhr bei ihnen speisen wollten.‹

»Der Admiral wohnt im Engel. Er bittet uns für morgen zu Tisch«, sagte Hornblower so gelassen, wie es sein klopfendes Herz zuließ. »Lady Barbara ist auch hier. Ich denke, wir müssen annehmen.«

Er reichte die Einladung seiner Frau hinüber.

»Ich habe nur mein blaues Kleid anzuziehen«, bemerkte Maria, nachdem sie sie gelesen hatte.

Natürlich; das erste, woran eine Frau beim Erhalten einer Einladung dachte, war ihre Toilette. Hornblower bemühte sich, seine Gedanken auf die Frage des blauen Kleides zu richten, während sein Herz bei dem Bewußtsein der Nähe der Lady Barbara Jubellieder sang.

»Es steht dir ausgezeichnet«, sagte er. »Du weißt, wie gern ich es immer hatte.«

In Wirklichkeit hätte es wohl eines besseren Kleides bedurft, um Marias plumpe Figur etwas vorteilhafter erscheinen zu lassen. Andererseits wußte Hornblower aber auch, daß man diese Einladung unter allen Umständen annehmen mußte und daß es ein Akt der Freundlichkeit war, wenn er Maria hinsichtlich ihres Aussehens beruhigte. Letzten Endes war es ganz gleichgültig, was sie trug, wenn sie nur selbst glaubte, daß es ihr stand. Ihr durch das Kompliment ausgelöstes fröhliches Lächeln ließ ihn Gewissensbisse empfinden. Wie Judas Ischariot kam er sich vor. Neben Lady Barbara würde Maria natürlich höchst unscheinbar und schlecht angezogen aussehen, aber er war sich auch darüber klar, daß sie zufrieden und arglos sein würde, solange er so tat, als liebe er sie.

Er schrieb also eine sorgfältig erwogene Antwort und läutete, um sie dem Boten aushändigen zu lassen. Dann knöpfte er sich den Uniformrock zu.

»Ich muß an Bord«, erklärte er.

Marias vorwurfsvoller Blick schmerzte ihn. Er wußte, daß sie darauf gerechnet hatte, den Abend in seiner Gesellschaft verbringen zu können, und tatsächlich hatte er eigentlich nicht die Absicht gehabt, an Bord zu gehen. Es handelte sich nur um einen Vorwand, denn der Gedanke, mit Maria im Wohnzimmer sitzen und ihren geistlosen Bemerkungen zuhören zu müssen, war ihm unerträglich. Er wünschte allein zu sein, um sich des Bewußtseins zu erfreuen, daß Lady Barbara in der gleichen Stadt weilte und daß er sie anderen Tages wiedersehen sollte. Jene Gedanken ließen ihn nicht stillsitzen. Während er schnellen Schrittes zum Hafen ging, hätte er vor Freude singen können, wobei er jegliche Erinnerung daran auszulöschen suchte, daß sich Maria pflichtbewußt in sein Fortgehen fügte. Nun, sie wußte, wie sehr der Kommandant eines in Dienst zu stellenden Linienschiffes in Anspruch genommen wurde.

In seinem Drang zur Einsamkeit trieb er die Bootsleute an, bis sie schwitzten. An Deck grüßte er nur ganz kurz das Achterdeck und den Wachhabenden Offizier, ehe er in die Geborgenheit und den Frieden der Kajüte verschwand. Hunderterlei Dinge hätten seine Aufmerksamkeit auf sich lenken können, aber jetzt hatte er keine Zeit für sie. Er durchschritt den Wohnraum, in dem schon die nötigen Vorbereitungen für sein Anbordkommen getroffen worden waren, und trat auf die große Heckgalerie hinaus. Vor jeder Störung gesichert, konnte er sich dort gegen die Reling lehnen und über das Wasser hinweg in die Ferne starren.

Es lief Ebbstrom. Unterstützt von dem leichten Nordostwind, war die Sutherland herumgeschwojt, so daß man von der nach Süden gerichteten Heckgalerie die ganze Länge des Hamoaze genannten Hafenbeckens überblicken konnte. Zur Linken erstreckten sich die Werftanlagen, in denen ein Leben wie in einem Bienenkorb herrschte. Die glitzernde Wasseroberfläche war mit allerlei kleinen Fahrzeugen belebt. In der Ferne, hinter den Dächern des Verpflegungsamtes, ragte der Mount Edgcumbe empor; die Stadt Plymouth selbst konnte er nicht sehen, sie lag hinter dem Devils Point. So blieb es Hornblower versagt, das Dach anstarren zu können, unter dem Lady Barbara weilte.

Immerhin tröstete ihn das Bewußtsein, daß sie da war und daß er sie andern Tages wiedersehen sollte. In seiner Erregung umspannte er die Reling, bis seine Finger schmerzten. Er wandte sich ab und begann, auf der Galerie hin und her zu gehen, wobei er die Hände als Gegengewicht gegen die von den niedrigen Balken bedingte gebückte Haltung auf den Rücken legte. Der Schmerz, den er vor drei Wochen empfunden hatte, als er von der Vermählung der Lady Barbara mit dem Admiral Leighton erfuhr, war inzwischen verflogen. Geblieben war nur die Freude darüber, daß sie sich seiner entsann. Hornblower verstieg sich zu dem Verdacht, daß sie ihren Gatten nur deswegen nach Plymouth begleitet hatte, weil sie hoffte, ihm – Hornblower – zu begegnen. Es war immerhin möglich. Bei dem Gedanken, sie könnte von dem Wunsch getrieben worden sein, noch ein paar Tage mit ihrem Gatten zu verleben, hielt er sich nicht auf. Offenbar hatte sie Sir Percy diese Einladung fast sofort nach ihrer Ankunft abgeschmeichelt. Hornblower übersah geflissentlich, daß jeder Admiral den Wunsch verspüren mußte, einen ihm unterstellten neuen Kommandanten so bald wie möglich kennenzulernen. Für ihn stand es fest, daß er es der von Lady Barbara bewirkten Fürsprache Sir Percys zu danken hatte, daß ihm die Admiralität sofort – das heißt, ohne ihn auch nur einen einzigen Monat auf Halbsold zu setzen – ein neues Kommando übertragen hatte. Somit verdankte er also der Lady Barbara jene zusätzlichen zehn Shilling täglich, die ihm das Kommando eines Linienschiffs eintrug.

Ein Viertel der Kapitänsliste hatte er bereits hinter sich gebracht. Binnen weniger als zwanzig Jahren – also lange vor dem Erreichen des sechzigsten Lebensjahres – würde er seine Flagge als Admiral setzen, sofern er weiterhin derartige Kommandos erhielt wie bisher. Dann mochten sie ihn seinetwegen zum alten Eisen werfen, denn der Admiralsrang genügte ihm. Mit seinem Ruhegehalt konnte er in Lonson wohnen und einen Gönner finden, der ihm einen Sitz im Parlament verschaffte. Macht, Ansehen und eine gesicherte Lebensstellung würden ihm beschieden sein. Das alles lag durchaus im Bereich der Möglichkeiten … und Lady Barbara entsann sich seiner, bewahrte ihm ein freundliches Andenken, wünschte ihn ungeachtet seines ihr gegenüber bekundeten albernen Benehmens wiederzusehen. Hoch gingen die Wogen in ihm.

Eine auf regungslosen Schwingen dahergleitende Möwe stand plötzlich dicht vor ihm in der Luft und schrie ihm mißtönend ins Gesicht. Scheinbar ziellos flatterte sie dann an der Reling entlang und strich ebenso ziellos wieder davon. Hornblower folgte ihr mit den Augen, und als er seine Wanderungen wiederaufnahm, war der Faden seiner Gedanken abgerissen.

Statt dessen tauchte die quälende Frage des unzureichenden Mannschaftsersatzes vor ihm auf. Morgen mußte er seinem Admiral schändlicherweise eingestehen, daß an Bord der Sutherland noch immer hundertundfünfzig Mann fehlten. Man würde feststellen, daß er hinsichtlich der wichtigsten Pflicht eines Kommandanten versagte. Ein Offizier konnte der denkbar beste Seemann, der schneidigste Soldat sein – Hornblower hielt sich weder für das eine noch das andere –, und dennoch waren alle seine Talente wertlos, falls es ihm nicht gelang, sein Schiff zu bemannen.

Vielleicht hatte sich Leighton überhaupt gar nicht für ihn verwendet, so daß Hornblower die Zuteilung zu seinem Geschwader lediglich dem Zufall verdankte. Leighton würde argwöhnen, daß er der Liebhaber seiner Frau gewesen war, Eifersucht würde ihn peinigen, und er würde jede Gelegenheit benutzen. Hornblower zugrunde zu richten. Er würde ihm das Leben zur Hölle machen, ihn zur Verzweiflung treiben und schließlich seine Verabschiedung durchsetzen. Jeder Admiral konnte jedem Kommandanten die Karriere verderben, wenn es ihm darum zu tun war. Es erschien ihm durchaus nicht unmöglich, daß Lady Barbara ihn nur deswegen unter Leightons Gewalt gebracht hatte, um sich für die von ihm erfahrene Behandlung zu rächen. Das kam ihm viel glaubhafter vor als die vorherigen Phantastereien. Das kalte Fieber packte ihn.

Sie mußte ahnen, wer Maria war, und die Einladung hatte sie nur deswegen veranlaßt, um sich über ihre Unzulänglichkeiten lustig machen zu können. Das Diner sollte zu einer einzigen, ausgedehnten Demütigung des Gastes werden. Innerhalb der nächsten zehn Tage konnte er sich keinen neuen Vorschuß geben lassen, sonst hätte sich Maria das beste Kleid, das in Plymouth zu haben war, besorgen müssen, obwohl es in Plymouth natürlich nichts gab, war vor den Augen der Tochter eines Earls hätte bestehen können, die ihre Garderobe höchstwahrscheinlich aus Paris bezog. Nachdem er seine Leutnants Bush, Gerard, Hooker und Rayner auf den Rekrutenfang geschickt hatte, besaß er jetzt in der ganzen Welt nicht mehr als zwanzig Pfund. Dreißig Mann hatten jene vier mitgenommen; die einzigen zuverlässigen des ganzen Schiffes. Wahrscheinlich gab es infolgedessen morgen irgendwelchen Spektakel an Bord, und wahrscheinlich würde dieser ausgerechnet zu jener Zeit seinen Höhepunkt erreichen, da er beim Admiral speiste.

Düstere Vorahnungen konnten kaum weitergehen. Ärgerlich riß Hornblower den Kopf empor und stieß ihn heftig gegen einen der vorspringenden Balken. Da ballte er die Fäuste und verwünschte den ganzen Dienst, wie er ihn schon unzählige Male verwünscht hatte. Schließlich mußte er über sich selbst lachen. Wenn er nicht die Eigenschaft der Selbstverspottung besessen hätte, so wäre er schon längst einer dieser übergeschnappten Kommandanten der Königlichen Marine. Er riß sich zusammen und schickte sich an, ernsthafter über seine Zukunft nachzudenken.

Die Befehle, durch die er dem Geschwader des Admirals Leighton zugeteilt worden war, hatten den kurzen Hinweis enthalten, daß er zur Verwendung im westlichen Mittelmeer vorgesehen sei. Dieser Hinweis bedeutete einen ungewöhnlichen Vertrauensbeweis. Er selbst kannte Kapitäne, die ihre persönliche Ausrüstung unter der Voraussetzung besorgt hatten, nach Westindien entsandt zu werden, und die dann zu dem für die Ostsee bestimmten Geleitzug kommandiert worden waren. Die Erwähnung des westlichen Mittelmeeres bedeutete, daß es sich um die Blockade von Toulon, den Schutz Siziliens, die Störung der Genueser Küstenschiffahrt und wahrscheinlich auch um eine Beteiligung am spanischen Krieg handelte. Die Aufgaben, die seiner harrten, waren demnach bedeutend vielseitiger, als sie ihm beispielsweise bei der Blockade von Brest gestellt worden wären. Allerdings bestand nunmehr, da Spanien der Verbündete Englands geworden war, erheblich geringere Aussicht auf die Gewinnung von Prisengeldern.

Seine spanischen Sprachkenntnisse ließen Hornblower fast mit Sicherheit annehmen, daß die Sutherland dazu ausersehen war, an der katalanischen Küste mit der spanischen Armee zusammenzuwirken. Lord Cochrane hatte sich dort ausgezeichnet, aber seit kurzem war Cochranes Stern verblaßt. Noch sprach man innerhalb der Marine von den Beschlüssen des Kriegsgerichts, das jener Aktion an der Küste des Baskenlandes gefolgt war. Cochrane durfte von Glück sagen, wenn er jemals wieder ein anderes Schiff bekam. Er war ein lebendiges Beispiel dafür, daß ein aktiver Seeoffizier sehr töricht handelte, wenn er sich in die Politik mischte. Hornblower, in dem Zuversicht und Pessimismus um die Vorhand rangen, hielt es für möglich, daß ihn die Admiralität zum Nachfolger Cochranes bestimmt hatte. War das der Fall, so genoß er zweifellos ein bedeutend besseres dienstliches Ansehen, als er bisher zu hoffen gewagt hatte. Hornblower gab sich ernstlich Mühe, solche Hoffnungen nicht zu groß werden zu lassen. Er lächelte bei dem Gedanken, daß ein Überschwang der Gefühle nur dazu führte, daß man sich den Schädel am Decksbalken stieß.

Die Erkenntnis beruhigte ihn wieder, und er sagte sich philosophisch, daß solche akademischen Erwägungen lediglich Kraftvergeudung bedeuteten. Früher oder später würde er erfahren, was man mit ihm vorhatte, und alles Grübeln und alle Sorgen konnten sein Geschick nicht um eine Haaresbreite ändern. Hundertundzwanzig britische Linienschiffe befanden sich in See, wozu noch fast zweihundert Fregatten kamen. Jedes dieser Schiffe wurde von einem Kommandanten geführt, der für seine Besatzung ein Gott und für die Admiralität höchstwahrscheinlich nur eine Nummer war. Er – Hornblower – mußte also als vernünftiger Mann alle Phantastereien aus seinem Denken verbannen, nach Hause gehen und einen geruhsamen Abend in Gesellschaft seiner Frau verleben, ohne sich von Gedanken an die Zukunft beunruhigen zu lassen.

Und dennoch, als er die Heckgalerie verließ, um die Gig klarpfeifen zu lassen, durchströmte ihn bei dem Gedanken, daß er schon morgen Lady Barbara wiedersehen werde, ein Gefühl überwältigender Freude.

3GESPIELTES HELDENTUM

»Sehe ich gut aus?« fragte Maria, die ihre Toilette beendet hatte.

Hornblower stand vor ihr und knöpfte sich gerade den Galarock zu. Er zwang sich zu einem bewundernden Lächeln. »Fabelhaft«, nickte er. »Das Kleid bringt deine Figur vorteilhafter zur Geltung als jedes andere, das du getragen hast.«

Seine Antwort wurde mit einem Lächeln belohnt. Es hätte keinen Zweck gehabt, Maria die Wahrheit zu sagen und ihr zu erklären, daß sich gerade dieses Blau nicht mit dem starken Rot ihrer Wangen vertrug. Mit ihrer untersetzten Gestalt, dem groben schwarzen Haar und der unschönen Gesichtsfarbe konnte Maria überhaupt niemals als gut aussehend erscheinen. Günstigsten Falles konnte man sie für die Frau eines kleinen Kaufmanns halten und schlimmsten Falles für irgendeine Scheuerfrau, die sich die abgelegten Kleider ihrer Herrin angezogen hatte. Ihre derben roten Hände glichen Hornblowers Meinung zufolge ohnehin denen einer Scheuerfrau.

»Ich habe noch meine Pariser Handschuhe«, sagte Maria, die seinen Blick wahrnahm. Der Eifer, mit dem sie jedem seiner Wünsche zuvorzukommen suchte, konnte unerträglich lästig werden. In seiner Macht lag es jetzt, sie furchtbar zu kränken, und dieses Bewußtsein peinigte ihn.

»Desto besser«, erwiderte er galant. Er stand jetzt vor dem Spiegel und zupfte sich den Rock zurecht.

»Die Galauniform kleidet dich vorzüglich«, meinte Maria bewundernd. Nachdem Hornblower mit der Lydia nach England zurückgekehrt war, hatte er sich zunächst neue Uniformen besorgt. Infolge der Dürftigkeit seiner Garderobe hatte er sich während der letzten Reise demütigenden Vorfällen aussetzen müssen. Jetzt besah er sich wohlgefällig im Spiegel. Sein Rock war aus feinstem blauem Tuch gearbeitet. Die schweren Epauletten auf seinen Schultern bestanden aus echtem Gold, und das gleiche galt von den goldenen, die Knopflöcher umsäumenden Litzen. Die Knöpfe und Ärmelaufschläge glitzerten, wenn er sich bewegte. Es freute Hornblower, die breiten goldenen Ärmelstreifen zu betrachten, die ihn als Kapitän mit mindestens dreijähriger Dienstzeit kennzeichneten. Seine Krawatte bestand aus schwerer chinesischer Seide. Mit dem Schnitt der weißen Kniehosen war er zufrieden. Die dicken weißen Seidenstrümpfe stellten das Beste dar, was er in dieser Art hatte bekommen können. Während er sie beaugenscheinigte, dachte er mit einem gewissen Schuldbewußtsein daran, daß Maria, unter ihrem Rock verborgen, billige Baumwollstrümpfe trug, die nur vier Shilling das Paar gekostet hatten. Vom Kopf bis zu den Fußgelenken war er gekleidet, wie es sich für einen Gentleman schickte. Nur die Schuhe machten ihm einige Sorge. Die Schnallen bestanden nur aus Tombak. Er fürchtete, daß ihre minderwertige Beschaffenheit gerade durch den Gegensatz zu dem sonst überall verwendeten echten Gold unliebsam in Erscheinung treten könnte. Andrerseits hatte er nicht gewagt, zwanzig Guineen für goldene Schnallen auszugeben, da sein Geld knapp wurde. Heute abend mußte er es vermeiden, die Aufmerksamkeit auf seine Fußbekleidung zu lenken. Bedauerlich war es, daß sich der Ehrensäbel im Werte von hundert Guineen, der ihm seines Kampfes mit der Natividad wegen vom Patriotischen Fonds verliehen worden war, noch nicht in seinem Besitz befand. So mußte er sich vorläufig mit jenem anderen, halb so wertvollen Ehrensäbel begnügen, den er vor acht Jahren nach der Wegnahme der Castilla erhalten hatte.

Er ergriff seinen Galahut – der Knopf und die Litzen waren ebenfalls echt vergoldet – und zog sich die Handschuhe an.

»Bist du fertig?« wandte er sich an Maria.

»Vollständig, Horatio.« Frühzeitig hatte sie erkannt, wie sehr ihm Unpünktlichkeit verhaßt war, und pflichtbewußt hütete sie sich davor, ihm in dieser Hinsicht zu mißfallen.

Als sie die Straße betraten, spiegelte sich die Nachmittagssonne in Hornblowers goldenem Schmuck. Ein vorbeikommender Leutnant der Bürgerwehr grüßte ihn respektvoll. Es fiel ihm auf, daß die Dame, die jener Leutnant am Arm führte, Maria aufmerksamer betrachtet als ihn selbst, und in ihrem Blick glaubte er das Befremden darüber zu erkennen, daß sie sich in Begleitung eines höheren Offiziers befand. Maria war gewiß nicht die Frau, die man am Arm eines Offiziers zu sehen erwartete, aber sie war nun mal seine Frau, die in seinen jungen Jahren zu ihm gehalten hatte, und nun galt es, ihre selbstlose Herzensgüte zu vergelten, deretwegen er sie geheiratet hatte. Der kleine Horatio und die kleine Maria waren an den Blattern gestorben; wenn keine anderen Gründe vorgelegen hätten, so hätte dies genügt, ihr seine Anhänglichkeit zu sichern. Nun glaubte sie überdies, wieder in Erwartung zu sein. Daß es so weit kommen konnte, war natürlich eine ungeheuerliche Torheit gewesen, aber diese Torheit war immerhin entschuldbar bei einem Mann, dessen Herz sich bei der Nachricht von der Verheiratung der Lady Barbara vor Eifersucht geradezu verzehrt hatte. Dennoch galt es nun, solche Verfehlungen durch verstärkte Anhänglichkeit wiedergutzumachen. Sein Ehrgefühl, aber auch die ihm angeborene Empfindsamkeit und Unentschlossenheit zwangen ihn dazu, Maria treu zu bleiben, ihr Zerstreuungen zu bieten und ganz so zu handeln, als sei er ihr wirklich liebender Gatte.

Das war aber noch nicht alles. Sein Stolz würde ihm niemals gestatten, öffentlich einzugestehen, daß er einen Fehler begangen hatte, einen törichten Mißgriff, wie er von einem unreifen Jungen zu erwarten gewesen wäre. Selbst wenn er es über sich vermocht hätte, Maria das Herz zu brechen, so würde er es allein aus diesem Grunde nicht zu einem offenen Bruch haben kommen lassen. Hornblower entsann sich der unanständigen Bemerkungen, die innerhalb der Marine über Nelsons Eheirrungen gemacht wurden, und mit Bowen und Samson war es ebenso. Solange er treu zu seiner Gattin stand, blieb er gegen solchen Klatsch gefeit. Die Öffentlichkeit war Exzentrizitäten gegenüber duldsam, verhöhnte aber den Schwächling. Vielleicht wunderte man sich über seine Anhänglichkeit, aber das war auch alles. Solange er sich den Anschein gab, als sei Maria für ihn die einzige Frau auf der ganzen Welt, waren die Menschen gezwungen anzunehmen, daß sie größere Vorzüge besaß, als der Beschauer zunächst annehmen konnte.

»In den Engel sind wir gebeten worden, nicht wahr, Horatio?« vernahm er plötzlich die Stimme Marias neben sich.

»Ja, allerdings.«

»Wir sind daran vorbeigegangen. Du hörtest mich nicht, als ich es dir vorhin sagte.«

Sie kehrten um. Eine niedliche Magd führte sie durch den kühlen und halbdunklen Flur des Gasthauses. In dem eichengetäfelten Zimmer, das sie nun betraten, befanden sich mehrere Personen, aber für Hornblower war nur eine einzige anwesend. Lady Barbara trug ein graublaues Seidenkleid, das genau der Farbe ihrer Augen entsprach. An einem goldenen Halskettchen hingen zwei Saphire, aber leblos schienen die Edelsteine zu sein, wenn man den Blick jener Augen auf sich gerichtet sah. Hornblower verneigte sich und stellte mit einigen gemurmelten Worten Maria vor. Die Ecken des Zimmers schienen in dichtem Nebel zu liegen, so daß nur Lady Barbaras Erscheinung klar hervortrat. Die goldbraune Tönung ihrer Wangen war in der Zwischenzeit geschwunden; weiß war ihre Haut, wie es sich für eine große Dame schickte.

Plötzlich kam es Hornblower zum Bewußtsein, daß jemand schon seit einem Weilchen mit ihm sprach.

»Es ist mir eine große Freude, Sie begrüßen zu können, Herr Kapitän. Darf ich Sie vorstellen? … Herr Kapitän Hornblower, Mrs. Elliott … Herr Kapitän Hornblower, Mrs. Bolton … Der Kommandant meines Flaggschiffes, Herr Kapitän Elliott von der Pluto … Und hier ist auch Herr Kapitän Bolton, der Kommandant der Caligula, der mir erzählt, daß er Sie bereits von der alten Indefatigable her kennt.«

Die Nebelschwaden vor Hornblowers Augen lichteten sich etwas. Er vermochte einige Worte zu stammeln, aber dann erschien zum guten Glück der Wirt mit der Meldung, daß angerichtet sei. Dadurch gewann er wenige Augenblicke zur Sammlung. Die Gesellschaft nahm an einem runden Tische Platz. Ihm gegenüber saß Bolton, dessen offenes, ehrliches Gesicht mit den geröteten Wangen Vertrauen erweckte. Hornblower fühlte noch seinen Händedruck, den einer rauhen, schwieligen Hand. Bolton machte durchaus keinen eleganten Eindruck, und das gleiche galt von seiner Gattin, die zur Rechten Hornblowers zwischen ihm und dem Admiral saß. Wie Hornblower zu seiner unermeßlichen Erleichterung feststellte, war sie genau so schlicht und unmodern gekleidet wie Maria.

»Ich muß Ihnen noch meine Glückwünsche zu Ihrem neuen Kommando aussprechen, Herr Kapitän«, sagte die links von ihm sitzende Lady Barbara. Ein Hauch ihres Parfüms wehte zu ihm herüber und drohte ihn zu verwirren.

Ihre Nähe zu atmen, ihre Stimme zu hören, wirkte auf ihn wie ein betäubender Zaubertrunk. Er wußte nicht, was er auf ihre Worte erwiderte.

Der Admiral tauchte einen Schöpflöffel in die vor ihm stehende silberne Suppenschüssel. »Der Wirt schwor mir, daß er die Kunst, eine Schildkrötensuppe zuzubereiten, verstehe«, wandte er sich an die Gesellschaft im allgemeinen. »Ich vertraute also eine Schildkröte seiner Obhut an. Gebe Gott, daß er die Wahrheit sprach. Den Sherry – George, bring den Sherry – werden Sie hoffentlich trinkbar finden.«