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Viola Maybach hat sich mit der reizvollen Serie "Der kleine Fürst" in die Herzen der Leserinnen und Leser geschrieben. Alles beginnt mit einem Schicksalsschlag: Das Fürstenpaar Leopold und Elisabeth von Sternberg kommt bei einem Hubschrauberunglück ums Leben. Ihr einziger Sohn, der 15jährige Christian von Sternberg, den jeder seit frühesten Kinderzeiten "Der kleine Fürst" nennt, wird mit Erreichen der Volljährigkeit die fürstlichen Geschicke übernehmen müssen. "Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Luna Dettmann blieb stehen. Die Siebzehnjährige starrte sprachlos auf die große dunkle Limousine, aus der in diesem Augenblick ein noch junger Mann in Chauffeursuniform stieg. Er hatte Luna und ihren Freund Sebastian Roeder bereits entdeckt und lächelte den beiden Siebzehnjährigen freundlich zu. Es war Per Wiedemann, der Chauffeur auf Schloss Sternberg, der gekommen war, um sie abzuholen. Prinz Christian von Sternberg persönlich hatte die Einladung ausgesprochen, knapp zwei Wochen zuvor. »Nur keine Angst«, sagte Sebastian leise, obwohl er nicht weniger beeindruckt war als Luna. Einen solchen Wagen hatte er noch nie aus der Nähe gesehen, und noch nie war er von einem Chauffeur gefahren worden. Von einem Taxifahrer schon gelegentlich, aber nicht von einem Chauffeur. Er wusste, dass in jeder Wohnung des Hauses Menschen an den Fenstern standen und sie beobachteten. Luna und er waren DAS Tagesgespräch. Sie hatten beide ihre besten Sachen angezogen, schließlich wollten sie sich im Schloss nicht blamieren. Luna trug einen hübschen bunten Rock und eine Seidenbluse, Sebastian hatte sich für dunkle Hosen und ein helles Hemd entschieden. Es war angenehm warm, auf Jacken hatten sie beide verzichtet. Per Wiedemann stellte sich höflich vor, denn sie waren einander bisher nicht begegnet. »Sind Sie bereit zur Abfahrt? Ich soll Ihnen von Prinz Christian ausrichten, wie sehr er sich freut, dass Sie sich entschlossen haben, seine Einladung anzunehmen.« Er hoffte, den beiden Teenagern durch diese Worte die Scheu zu nehmen, die er im Übrigen sehr gut nachvollziehen konnte. »Danke, Herr Wiedemann«, sagte Sebastian, der sich endlich gefangen hatte. »Wir freuen uns auch.«
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Seitenzahl: 114
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Luna Dettmann blieb stehen. Die Siebzehnjährige starrte sprachlos auf die große dunkle Limousine, aus der in diesem Augenblick ein noch junger Mann in Chauffeursuniform stieg. Er hatte Luna und ihren Freund Sebastian Roeder bereits entdeckt und lächelte den beiden Siebzehnjährigen freundlich zu. Es war Per Wiedemann, der Chauffeur auf Schloss Sternberg, der gekommen war, um sie abzuholen. Prinz Christian von Sternberg persönlich hatte die Einladung ausgesprochen, knapp zwei Wochen zuvor.
»Nur keine Angst«, sagte Sebastian leise, obwohl er nicht weniger beeindruckt war als Luna. Einen solchen Wagen hatte er noch nie aus der Nähe gesehen, und noch nie war er von einem Chauffeur gefahren worden. Von einem Taxifahrer schon gelegentlich, aber nicht von einem Chauffeur. Er wusste, dass in jeder Wohnung des Hauses Menschen an den Fenstern standen und sie beobachteten. Luna und er waren DAS Tagesgespräch.
Sie hatten beide ihre besten Sachen angezogen, schließlich wollten sie sich im Schloss nicht blamieren. Luna trug einen hübschen bunten Rock und eine Seidenbluse, Sebastian hatte sich für dunkle Hosen und ein helles Hemd entschieden. Es war angenehm warm, auf Jacken hatten sie beide verzichtet.
Per Wiedemann stellte sich höflich vor, denn sie waren einander bisher nicht begegnet. »Sind Sie bereit zur Abfahrt? Ich soll Ihnen von Prinz Christian ausrichten, wie sehr er sich freut, dass Sie sich entschlossen haben, seine Einladung anzunehmen.« Er hoffte, den beiden Teenagern durch diese Worte die Scheu zu nehmen, die er im Übrigen sehr gut nachvollziehen konnte.
»Danke, Herr Wiedemann«, sagte Sebastian, der sich endlich gefangen hatte. »Wir freuen uns auch.« Luna und er stiegen in den Fond der Limousine.
Per Wiedemann nahm wieder hinter dem Steuer Platz, geschmeidig setzte sich der Wagen in Bewegung. Auf der Fahrt behielt der Chauffeur seine Fahrgäste unauffällig im Auge. Sie gefielen ihm beide, aber die Hauptperson war natürlich Sebastian Roeder. Wer ihm vor einigen Wochen gesagt hätte, dass er ausgerechnet diesen Jungen ins Schloss bringen würde, dem hätte er wohl ins Gesicht gelacht.
Es lagen schwere Monate hinter den Schlossbewohnern. Sebastians Mutter Corinna, die auf ihren Prozess wartete, hatte in einem Brief behauptet, sie habe rund zwanzig Jahre zuvor eine Beziehung mit Fürst Leopold von Sternberg gehabt, der im vergangenen Jahr gemeinsam mit seiner Frau bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war. Aus dieser Beziehung sei ein Sohn hervorgegangen, der heute siebzehnjährige Sebastian. Er sei also der Erstgeborene des Fürsten und nicht sein ehelicher Sohn, der anderthalb Jahre jüngere Christian von Sternberg. Sie brauche Geld für Sebastians Ausbildung, da er hochbegabt sei und ihr die Mittel für die angemessene Förderung seiner Talente fehlten.
Corinna Roeder hatte ›Beweise‹ für ihre Behauptungen vorgelegt, und eine Zeit lang hatte es schlecht für die Sternberger ausgesehen. Die öffentliche Meinung richtete sich gegen den verstorbenen Fürsten, der sehr beliebt gewesen war und als untadeliger Charakter gegolten hatte. Und dieser Mann hatte vermutlich nicht nur seine Frau und seine Familie, sondern auch die Öffentlichkeit jahrelang belogen und betrogen! Corinna Roeder wurde als furchtlose Frau angesehen, die es endlich wagte, dem mächtigen Fürstenhaus die Stirn zu bieten.
Doch nach und nach war das Lügengebäude zusammengebrochen. Es hatten sich Zeugen gefunden, die ausgesagt hatten, dass Sebastians Mutter eine Zeit lang mit einem Mann zusammen gewesen war, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Fürst Leopold gehabt hatte. So erklärten sich dann auch die Fotos, auf denen sie angeblich mit dem Fürsten zu sehen war und die Ähnlichkeit ihres Sohnes mit Leopold.
Es war eine lange, schmutzige Auseinandersetzung, und für die Sternberger eine überaus schmerzvolle Zeit gewesen. Am meisten gelitten hatte zweifellos der fünfzehnjährige Prinz Christian unter der sogenannten ›Affäre‹. Er hatte im Jahr zuvor seine Eltern verloren und versuchte noch immer, das zu verarbeiten, als diese neue Tragödie begonnen hatte. Aber er war fest entschlossen gewesen, den Ruf seines Vaters wiederherzustellen. Dass ihm das schließlich gelungen war, hatte er auch Sebastian zu verdanken, der gegen den ausdrücklichen Willen seiner Mutter von einem Auslandsjahr in den USA zurückgekehrt war, um sich hier einer Gen-Untersuchung zu unterziehen, die für endgültige Klärung sorgen sollte.
Sebastians Rückkehr hatte Corinna Roeder schließlich zum Aufgeben bewogen – und zu einem umfassenden Geständnis: Ja, die ganze Geschichte war von A bis Z erfunden, sie hatte gelogen. Es war Sebastians Vater, Sven Helmgart, gewesen, der sie überredet hatte, jenen verhängnisvollen Brief an die Sternberger zu schreiben. Von Sven Helmgart freilich fehlte nach wie vor jede Spur.
»Das Schloss!«, rief Luna und riss Per Wiedemann dadurch aus seinen Gedanken.
Er lächelte und nahm den Fuß vom Gas. Weit vor ihnen ragte Schloss Sternberg auf seiner Anhöhe auf. Es war ein überwältigender Anblick, selbst für ihn, der daran gewöhnt war. »Noch schöner ist es in der Abenddämmerung«, sagte er. »Jedenfalls an schönen, sonnigen Tagen, wenn der Himmel hinter dem Schloss sich rot färbt. Es gibt zahllose Fotos davon. Und ich glaube, die vielen Haltemöglichkeiten hier an der Straße haben auch damit zu tun: Man wollte den Leuten die Möglichkeit geben, anzuhalten und den Anblick in Ruhe zu genießen.«
»Ich wusste nicht, dass es so schön ist«, sagte Luna. »Es ist ein berühmtes Gebäude, das wusste ich natürlich, aber jetzt begreife ich erst, warum alle Leute immer so schwärmen, wenn die Rede auf Schloss Sternberg kommt.«
»Es wird gleich aus unserem Blickfeld verschwinden«, erklärte Per Wiedemann. »Wir biegen dann von dieser Straße ab und fahren den Sternberg hinauf.«
»Heißt der wirklich so?«
»Nein, aber fragen Sie mich bitte nicht nach seinem richtigen Namen«, lachte Per Wiedemann. »Ich glaube, den wissen nur noch ein paar Historiker. Alle Leute nennen ihn den Sternberg, und das passt ja auch. Wenn das Schloss dann wieder zu sehen ist, sind wir ihm schon ganz nahe, und ich verspreche Ihnen, auch das ist ein Anblick, den Sie nicht vergessen werden.«
Sie erreichten die kleine Straße, die zum Schloss führte, wenige Minuten später. Noch immer war sie durch eine Schranke und Wachleute gesichert, das war im Zuge der ›Affäre‹ nötig geworden. Zu viele Fotografen hatten sich auf den Weg gemacht, um Bilder einer Familie im Ausnahmezustand aufzunehmen. Die Schlossbewohner hatten sich dadurch empfindlich gestört gefühlt und daher die Schranke errichten lassen.
Die beiden Wachleute grüßten freundlich, die Schranke wurde geöffnet, sie konnten passieren. Per Wiedemann rief ihnen einen Gruß zu.
Die Straße, die zum Schloss führte, war schmal und kurvig. Sie schlängelte sich durch dichten Mischwald, der nie schöner war als im Frühjahr. Das helle frische Grün der Bäume leuchtete im Sonnenlicht.
»Wie schön es hier ist«, sagte Sebastian. Seine Stimme klang fast andächtig.
»Ja, das empfinden alle so«, erwiderte Per Wiedemann.
»Sag mir schnell noch mal, wer zur Familie gehört.« Jetzt klang Luna nervös. »Du hast ja alle schon einmal gesehen, als deine Mutter vernommen wurde, aber ich kenne niemanden.«
Christian von Sternberg hatte es Sebastian bei seiner Einladung freigestellt, eine Freundin oder einen Freund mitzubringen. Es war für Sebastian keine Frage gewesen, dass Luna ihn begleiten sollte, Luna, die ihm in den schweren Tagen vor dem Geständnis seiner Mutter beigestanden und an die er sein Herz verloren hatte.
»Sie müssen mir vielleicht helfen, Herr Wiedemann«, sagte Sebastian. »Also, da ist zuerst Prinz Christian von Sternberg, der Sohn des verstorbenen Fürstenpaares.«
»Ja, klar.« Luna nickte.
»Er lebt jetzt bei der Familie seiner Tante, Baronin Sofia von Kant war eine Schwester seiner Mutter. Das stimmt doch, Herr Wiedemann?«
»Ja, das ist richtig.«
»Sind die jetzt ins Schloss gezogen, damit er nicht so allein ist?«, fragte Luna.
»Nein, sie wohnen schon seit vielen Jahren hier, im Westflügel«, erklärte Per Wiedemann. »Die Fürstenfamilie lebte im Ostflügel, der seit dem Unglück im letzten Jahr leer steht. Prinz Christian ist damals zu den Kants in den Westflügel gezogen.«
»Also, seine Tante ist dann Baronin von Kant«, sagte Luna. »Ihr Mann …«
»… ist Baron Friedrich«, fuhr Sebastian fort. »Die beiden haben zwei Kinder, Anna und Konrad. Anna ist dreizehn, Konrad sechzehn. Wir duzen uns, du kannst sie auch duzen.«
»Ich war noch nie in einem Schloss. Vielleicht hätte ich doch besser nicht mitfahren sollen.« Lunas Besorgnis steigerte sich hörbar.
»Sie werden sich wohlfühlen, Luna«, sagte Per Wiedemann. »Und ich versichere Ihnen, dass Sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Alle freuen sich auf Ihren Besuch, Sie können überhaupt nichts falsch machen.«
»Na, ich weiß nicht«, murmelte Luna, keineswegs beruhigt.
Der Wald begann sich zu lichten, was bedeutete, dass die Fahrt sich ihrem Ende zuneigte. Erneut ging Per Wiedemann vom Gas, um seinen beiden Fahrgästen Zeit zum Staunen zu geben.
Und das taten sie. Mit großen Augen betrachteten sie das Schloss, das jetzt plötzlich vor ihnen stand wie aus dem Nichts gewachsen. Seine eleganten Proportionen waren berühmt, Luna und Sebastian hatten, wie jeder im Land, schon Fotos des Gebäudes gesehen, aber niemand hatte sie auf die Gesamtwirkung von Schloss, Park und weiterer Umgebung vorbereitet. Schloss Sternberg sah in seiner fast schmerzhaften Schönheit wie ein Märchenschloss aus.
»Magisch«, sagte Luna.
Das Wort gefiel Per Wiedemann, er fand es treffend. Einige Augenblicke später brachte er die Limousine vor dem prächtigen Hauptportal zum Stehen. Noch bevor er den Motor ausschalten konnte, wurde das Portal von innen geöffnet, ein elegant gekleideter älterer Herr erschien.
»So alt ist der Baron schon?«, fragte Luna überrascht.
»Das ist nicht Baron von Kant«, erklärte Per Wiedemann mit einem Lächeln, »sondern Herr Hagedorn, der Butler. Er ist gekommen, um Sie willkommen zu heißen.«
»Oh!« Lunas Gesicht lief rosarot an. »Ich …, ich hatte keine Ahnung, dass Butler so elegant aussehen.«
»Hör auf, dir Sorgen zu machen, Luna«, bat Sebastian. »Alles wird gut gehen, du wirst schon sehen.« Mit diesen Worten stieg er aus dem Wagen.
Eberhard Hagedorn, der schon seit vielen Jahren Butler auf Sternberg war, erkannte sofort die Unsicherheit der beiden jungen Besucher, und so fiel sein Lächeln zur Begrüßung besonders freundlich aus. »Willkommen auf Schloss Sternberg, Frau Dettmann und Herr Roeder«, sagte er mit warmer Stimme. »Die Herrschaften erwarten Sie auf der Terrasse, wenn Sie mir bitte folgen würden?«
Hinter ihm tauchten Anna, Konrad und Christian auf. »Stimmt gar nicht, Herr Hagedorn«, rief Anna. »Wir waren viel zu aufgeregt, um auf der Terrasse zu warten!« Sie strahlte Luna an. »Du musst Luna sein, ich bin Anna. Das ist mein Bruder Konny, und das ist Chris. Ach, und das hier ist Togo, er gehört Chris und ist, wie man sieht, ein Boxer. Hallo, Sebastian. Kommt rein, es gibt Tee, Kaffee, Limonade und vor allem die besten Schokotörtchen der Welt. Und wenn wir uns ordentlich vollgestopft haben, zeigen wir euch alles, was ihr gerne sehen möchtet.«
»Schön, dass ihr da seid«, sagte Konrad, und Christian setzte hinzu: »Wir freuen uns sehr, dass ihr gekommen seid.«
Damit war das Eis gebrochen, alle Besorgnis fiel von Luna ab, und auch Sebastian atmete auf. Hier schien es tatsächlich ungezwungen zuzugehen.
Auch Baronin Sofia und Baron Friedrich empfingen sie mit großer Herzlichkeit, und schon bald unterhielten sich alle lebhaft. Über die überstandene ›Affäre‹ sprachen sie freilich nicht, das war kein Thema für diesen unbeschwerten Frühlingstag. Nur einmal schweiften Sebastians Gedanken zu seiner Mutter ab, ohne deren Lügen er wohl niemals nach Sternberg gekommen wäre. Er wusste, dass diese Einladung der Dank für seine Entscheidung zur Rückkehr war: Damit war das Ende der ›Affäre‹ eingeläutet worden.
Er war sehr böse auf seine Mutter gewesen, und noch immer gab es Stunden, in denen er ihr grollte, aber im Grunde seines Herzens hatte er ihr verziehen, obwohl er nicht nachvollziehen konnte, was sie getan hatte. Aber er wusste, dass sie den Brief mit der verhängnisvollen Lüge längst bitter bereute, und sie würde dafür bezahlen müssen.
Was würde sie empfinden, fragte er sich, wenn sie mich jetzt hier sehen könnte? Wäre sie froh, dass die Sternberger mir nicht nachtragen, was sie getan hat? Ja, beantwortete er seine eigene Frage. Wahrscheinlich wäre sie froh.
Als Anna schließlich vorschlug, den beiden Gästen die Stallungen mit den edlen Pferden zu zeigen, die hier gezüchtet wurden, waren Luna und Sebastian Feuer und Flamme, und so ließen sie Baronin Sofia und Baron Friedrich allein auf der Terrasse zurück. Togo folgte den Teenagern glücklich, endlich wurden ihm wieder einmal Stöckchen geworfen, und er konnte sich austoben.
»Es war gut, dass wir Sebastian eingeladen haben«, sagte der Baron leise. »Als Chris diese Idee äußerte, war ich zunächst skeptisch, aber jetzt sehe ich, dass er Recht hatte. Er ist nicht seine Mutter, ihn kann man für das, was geschehen ist, nicht verantwortlich machen.«
Sofia nickte nur. Sie legte den Kopf zurück und schloss die Augen.
»Bist du müde?«, fragte er liebevoll.
»Ja, ein wenig. Es war zu viel Aufregung in der letzten Zeit.«
Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. Die ›Affäre‹ war beendet, aber sie würde noch lange nachwirken, dem heiteren äußeren Anschein zum Trotz, das war ihm bewusst.
Ihnen allen war das bewusst.
*
Severin Graf von Baldach rollte langsam in seine großzügige Penthauswohnung.
»Ich hatte keine Ahnung«, rief seine Haushälterin Lisa Fehling, die ihn an der Tür erwartet hatte, bestürzt, »dass Sie noch nicht wieder laufen können, Severin.« Die vertrauliche Anrede hatte sie auf seinen Wunsch beibehalten, schließlich kannte sie ihn schon, seit er auf die Welt gekommen war. Allerdings siezte sie ihn seit seinem achtzehnten Lebensjahr, davon hatte sie sich durch nichts abbringen lassen.
»Ich hab’s Ihnen absichtlich verschwiegen, Frau Fehling«, gestand der junge Graf und rollte weiter ins Wohnzimmer. Die Räder seines Rollstuhls bewegte er mit den Armen.
»Wollen Sie nicht lieber auf dem Sofa Platz nehmen?«, fragte sie besorgt. »Das ist doch viel bequemer als dieses …, dieses Ding da.«