Anpassung - Philipp Staab - E-Book

Anpassung E-Book

Philipp Staab

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Beschreibung

In der Moderne dominierte der Glaube, die Welt ließe sich gestalten und der Fortschritt sorge quasi automatisch für ein besseres Morgen. Erderwärmung, Wachstumskrise und subjektive Überlastungen haben diesen Optimismus erschüttert. Heute geht es in erster Linie darum, die Katastrophe abzuschwächen. Und selbst wenn dies gelingen sollte, werden wir mit dem Wandel umgehen müssen. Fragen der Selbsterhaltung überlagern dann jene der individuellen und kollektiven Selbstentfaltung. Anpassung wird zum Leitmotiv der Gesellschaft.

Auch die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass wir im Angesicht der Interdependenz und der ökologischen Gefahren nicht länger der grenzenlosen Emanzipation huldigen können. Stattdessen, so Philipp Staab, wird die nächste Gesellschaft vor allem mit der Stabilisierung einer prekär werdenden Ordnung befasst sein. Daraus resultiert allerdings eine Krise des Selbst- und Zeitverhältnisses, auf die auch die Linke eine Antwort finden muss.

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Titel

3Philipp Staab

Anpassung

Leitmotiv der nächsten Gesellschaft

Suhrkamp

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2022

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der edition suhrkamp 2779.

© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2022Alle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns auch eine Nutzungdes Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Umschlaggestaltung nach einem Konzept von Willy Fleckhaus:Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-77478-6

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

5Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

1. Einleitung: Metamorphosen der Anpassung

2. Von Selbstentfaltung zu Selbsterhaltung

Von Selbstentfaltung zu Selbsterhaltung

3. Die Ent-Täuschung der Moderne

4. Adaptive Rebellion

Adaptive Generationen

5. Kritikalität und Kritik – Avantgarden der Anpassung

Die Pandemie als Adaptionskrise

6. Protektive Technokratie

Anmerkungen

1. Einleitung: Metamorphosen der Anpassung

2. Von Selbstentfaltung zu Selbsterhaltung

3. Die Ent-Täuschung der Moderne

4. Adaptive Rebellion

5. Kritikalität und Kritik – Avantgarden der Anpassung

6. Protektive Technokratie

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71. Einleitung: Metamorphosen der Anpassung

Hinter allen Versachlichungen tritt früher oder später die Frage nach der Akzeptanz hervor und damit die alte neue Frage, wie wollen wir leben?

Ulrich Beck (1986)1

Könnte es sein, dass die moderne Semantik des Fortschritts, der Individualisierung, der Emanzipation und der Demokratisierung die falschen Anker für eine Analyse der Gegenwart und der erwartbaren Zukunft liefert? Dass eine Analyse, die auf die verbürgten Kontinuitäten der Modernisierung setzt, ins Leere läuft, weil sie den eigentlichen Formwandel der Gesellschaft verfehlt? Dass wir diese und die nächste Gesellschaft nicht aus ihrem offensiven, sondern aus einem primär defensiven Weltverhältnis heraus bestimmen müssten? Dass nicht Selbstentfaltung, sondern Anpassung, nicht Progression, sondern Selbsterhaltung ihr eigentliches Leitmotiv bilden?

Man kann zweifellos diesen Eindruck gewinnen, wenn man auf die ersten Dekaden des 21. Jahrhunderts zurückblickt. Mit großem Nachdruck hat man nach dem Zusammenbruch der globalen Finanzmärkte die extraktiven Praktiken des Finanzkapitalismus analysiert und gescholten, um dann dennoch dessen seinerzeit als »systemrelevant« geltenden Kern zu 8stabilisieren. Man hat es bei Adaptionsmaßnahmen bewenden lassen, statt offensiv auf einen transformativen Pfad umzuschwenken. Statt eines aktiven Neubeginns standen reaktive Praktiken struktureller Anpassung (structural adjustment) an kapitalistische Sachzwänge auf dem Programm, wie sie schon seit Jahrzehnten die Politik des IWF und der Weltbank gegenüber dem globalen Süden geprägt haben. Angesichts mehrerer akuter Krisen versuchen Gesellschaften weltweit nun zehn Jahre später, in eine aktiv handelnde Rolle zu finden. Welle um Welle aber erzwingt etwa die Covid-19-Pandemie – von den Höhen der Politik und der Wirtschaft bis in die Tiefen des familiären Alltags und der subjektiven Selbstpositionierungen – reaktives, adaptives Handeln. Die Zertrümmerung der europäischen Sicherheitsordnung durch den russischen Überfall auf die Ukraine bringt die Gesellschaften der transatlantischen Moderne in eine defensive Position, aus der man sich nicht wird herausrüsten können. Ihr Internationalismus will nicht solidarisch die Welt erobern, wie man es von der klassisch modernen Linken des 20. Jahrhunderts kannte, sondern schlicht die Verteidigungsfähigkeit gegenüber Risiken erhöhen, die plötzlich zu akuten Gefahren geworden sind.

Längst macht sich die Vermutung breit, dass es grundsätzlich sehr schwierig ist, gegenüber »spätmodernen« Risiken in die Offensive zu kommen, dass das handelnde Subjekt der Moderne zwar ein destruktives Weltverhältnis pflegt, seine eigene Steue9rungsfähigkeit aber zugleich massiv überschätzt hat. Selbst wer sich die Entwicklung des Kapitalismus noch als prinzipiell steuerbar vorstellen kann und dementsprechend nach dem großen Umschwenken ruft,2 das dessen destruktive Logik durch gesellschaftliche Einbettung abdämpfen soll,3 ist in aller Regel wenig optimistisch hinsichtlich der Realisierungschancen einer solchen »Great Transformation«.4 Noch deutlicher wird diese gesellschaftliche Stimmung im Hinblick auf den Klimawandel,5 wo sich die Spielräume endgültig auf die abmildernde (Mitigation) und bewahrende (Resilienz) Antizipation von Sachzwängen, also auf adaptive Reaktionen begrenzen.

Unbeirrt hiervon dominiert in der synoptischen Analyse von Gegenwartsgesellschaften nach wie vor eine Semantik der Modernisierung. Die (spät)moderne Gesellschaft ist demzufolge noch immer getragen von einem ungebrochenen Ideal der Selbstentfaltung. Die frühe Modernisierung befreite das Individuum aus den repressiven Bindungen an Boden, Blut und Kirche, zerrüttete die »mechanische Solidarität«6 vormoderner Gemeinschaften und zerschlug sklerotische feudale Herrschaftsverhältnisse. Dem setzte sie die freie Assoziation der Einzelnen, die Dynamisierung der sozialen Ordnung und die Demokratisierung individueller »Lebenschancen« entgegen.7 Die Spätmoderne, so die dominante Lesart, folgt dieser Logik weiterhin weitgehend unbeirrt, wobei sie die Freiheit zur individuellen Besonderung, zum Entwurf des Selbst als singulärer Einheit sogar weiter ra10dikalisiert.8 Modernisierung bedeutet nach wie vor Befreiung im Sinne der »Kontingenzöffnung«.9

Zumindest der Möglichkeit nach. Denn gleichzeitig hat die »(spät)moderne« Gesellschaft von jeher auch neue Herrschaftsformate entwickelt und war insofern voller Ambivalenz: Dem Subjekt wies sie immer größere Eigenverantwortlichkeit zu und stellt es damit bis heute vor die Herausforderung, die seine Lebensführung stabilisierenden Sinnhorizonte selbst wählen und erhalten zu müssen. Nach der Lösung aus feudalen Strukturen und im flexibilisierten Kapitalismus der Gegenwart allzumal ist das Subjekt seines eigenen Glückes Schmied, zugleich aber selbst verantwortlich, wenn es scheitert; es muss sich in einer dynamischen Ordnung bewegen – ob es will oder nicht; für Lebenschancen muss es sich qualifizieren, obwohl die Versprechen der Meritokratie eine Illusion sind.10

Wo diese Beschreibungen kritisch gewendet werden, bilden meist Emanzipation und Authentizität die normativen Fluchtpunkte der Kritik. Anpassung steht dagegen in ihrem Fadenkreuz. Sie gilt als Merkmal traditionaler Gemeinschaften, die die Entfaltung des Individuums behindern, Einpassung verlangen. Gleichzeitig erzeugt die Freisetzung aus den betreffenden Zusammenhängen, aus Dorf, Kirche, Familie oder festgefügten Geschlechterrollen, eigene Quellen von Adaptionsdruck: Sind die traditionalen Bindungen verloren, ist Eigenverantwortung alternativlos, Adaption unumgänglich. Wer etwas werden will, 11muss sich nach den Spielregeln der modernen und dann spätmodernen Gesellschaft richten, auf die er oder sie keinen Einfluss hat. Über die Zielgrößen kapitalistischer Dynamisierung wird nicht verhandelt. Möchte das moderne Subjekt Eigenheim, Automobil und Einbauküche, muss es sich den Imperativen standardisierter Lebensverläufe, betrieblicher Herrschaft und dem Primat politischer Stabilität unterwerfen. Wünscht das spätmoderne Individuum eine Wohnung in Innenstadtlage, bodentiefe Fenster und Urlaub in Instagram-tauglichen Destinationen, muss es Flexibilitätsanforderungen gerecht werden, Motivation aus sich selbst schöpfen und überdies eigenverantwortlich für die Rente vorsorgen. In anderen Worten: Anpassung zwingt, Anpassung ist Repression. Die »(spät)moderne« Kritik denunziert sie daher bevorzugt als Gegenteil der Freiheit.

Analytisch betrachtet, stecken in dieser Kritik freilich viele Vorannahmen, die in der Gegenwart immer weniger plausibel wirken. Ihr Leitwert »Selbstentfaltung« ist hochgradig voraussetzungsreich. Die Spielräume der Individualisierung wachsen schließlich für die breite Bevölkerung erst, wenn basale Probleme der Selbsterhaltung gelöst sind. Die Erfüllung von Grundbedürfnissen wie Nahrung, Obdach und einem Mindestmaß an sozialer Sicherheit sind, wie etwa Ronald Inglehart unter Bezugnahme auf die Maslow'sche Bedürfnispyramide gezeigt hat, notwendige Bedingungen, damit es überhaupt so etwas geben kann wie ein kulturelles Primat der Individualisie12rung und Selbstverwirklichung.11 Materialistisch besehen, ist genau dies der Grund, warum das Ideal der Selbstentfaltung so eng mit der Modernisierung der Gesellschaft verbunden ist. Denn die wirtschaftliche Dynamik, die die Modernisierung antreibt, eröffnet durch die Entschärfung von Überlebensfragen überhaupt erst die Handlungsfreiräume, die in ihrer Ambivalenz als neue gesellschaftliche Anpassungszwänge kritisiert werden können.

Ein entscheidender Punkt ist nun, dass die typisch moderne Überzeugung, Selbsterhaltungsfragen seien eigentlich gelöst, als stillschweigender Konsens der Gesellschaftsanalyse längst brüchig geworden ist. Vielmehr muss eine systematische Rückkehr von Selbsterhaltungsfragen, die freilich selbst ein Effekt der modernen Selbstentfaltungsprogrammatik sind, den Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung mit dieser, insbesondere aber wohl auch mit der nächsten Gesellschaft bilden.

Diese Erkenntnis ist keineswegs neu: Die Rückkehr von (Über-)Lebensfragen als Nebenfolge der Modernisierung hat allen voran Ulrich Beck bereits Mitte der achtziger Jahre unter dem Begriffspaar Individualisierung und Risiko zum Gegenstand der Gesellschaftstheorie gemacht.12 Die Nebenfolgen fortschreitender Modernisierung treten, so Becks Analyse, zunehmend als nicht mehr zu leugnende Tatbestände ins öffentliche Bewusstsein und werfen als fundamentale »Sicherheitsverletzungen« die Frage nach den von der Gesellschaft zu gewährleistenden 13»Lebens- und Überlebensrechten« auf. Umweltrisiken, Chemieunfälle oder der seinerzeit immer latent befürchtete Atomkrieg – allesamt Ergebnisse vermeintlicher menschlicher Naturbeherrschung – bildeten den Hintergrund dieser Reproblematisierung basaler Sicherheitsfragen.13 Gezeigt wird, wie die moderne Programmatik der Selbstentfaltung selbst eigene Krisen der Selbsterhaltung hervorbringt. Ihre adaptive Bearbeitung ist dabei sowohl Effekt als auch Bedingung des Erhalts von Individualisierungsspielräumen, da Letztere nur unter Gewährleistung Ersterer entstehen können. Eine Soziologie, die diesen Tatbestand ernst nimmt, kann Anpassung folglich nicht mehr einfach als Gegensatz der Freiheit denunzieren. Vielmehr entpuppt sich Adaption als ihre Voraussetzung, vor allem aber als grundsätzliches Leitmotiv einer Gesellschaft, die infolge ihrer eigenen Modernisierung mit systematischen Selbsterhaltungsproblemen konfrontiert ist.

Dies gilt umso mehr, als Risiken, wie Beck betonte, selten wirklich »gelöst«, sondern höchstens gemanagt werden können, während gleichzeitig im Zuge fortschreitender Modernisierung immer neue Risiken kaskadenartig auftauchen. Selbsterhaltungsfragen radikalisieren sich also – und mit ihnen die Wahrnehmung eines Steuerungsverlusts. Dies lässt sich insbesondere an der gesellschaftlichen Thematisierung des Klimawandels nachvollziehen, seit wir immer genauer wissen, wie er mit Verlusten an Biodiversität (Artensterben) und spezifischen Gesundheitsrisiken 14zusammenhängt, und dass mit plötzlichen Radikalisierungen zu rechnen ist, wenn bestimmte Kipppunkte (tipping points) erreicht sind, dass er also gewissermaßen mit einer Multiplizierung sekundärer Gefahren einhergeht.

Der sich hier entfaltende Adaptionsdruck muss, wie es scheint, sogar bei relativ erfolgreichem Risikomanagement schlicht in Kauf genommen werden. Denn selbst dort, wo wirkmächtiges Handeln noch zumindest als kalkulierbar und daher eher wahrscheinlich erscheint, wirken die Fähigkeiten, Anpassungsprobleme erfolgreich zu bewältigen, auffällig begrenzt. Wer im politischen Mainstream beispielsweise von einem beherrschbaren Klimawandel spricht, meint damit eine Welt, die im Durchschnitt 1,5 bis 2 Grad wärmer ist als die vorindustrielle. Doch schon die aktuelle Erwärmung von rund einem Grad hat zunehmend unbeherrschbare Katastrophen im Gepäck, vom Artensterben über Pandemien und gigantische Waldbrände bis zur klimabedingten Entvölkerung ganzer Landstriche. Nicht ob Selbsterhaltungsrisiken eintreten, steht in diesem Kontext zur Debatte, sondern lediglich in welchem Ausmaß und daher auch für wen sie dies tun werden.

In ökonomischer oder geopolitischer Hinsicht sind vergleichbare Selbsterhaltungsprobleme und entsprechende Ernüchterungen der Handlungsmächtigkeit des modernen Subjekts ebenfalls offensichtlich. Wer auf wirtschaftliche Erholung hofft, tut dies im Kontext eines chronisch krisenhaften globalen Kapitalis15mus, der ohne staatlichen Beistand in immer kürzeren Abständen zusammenzubrechen droht, der neben einigen extremen Gewinnern eine immer größere Zahl von Verlierern produziert und auf wirtschaftlichen Praktiken basiert, die Öko- wie Biosphäre an den Rand des Kollaps gebracht haben. Zeitgleich ist das ausbeuterische Naturverhältnis selbst zu einer entscheidenden Quelle wirtschaftlicher Instabilität geworden, und der Adaptionsdruck auf die Subjekte erhöht sich stetig, während relevante alternative politische Ökonomien nirgendwo in Sicht sind. Mit dem endgültigen Ausklingen der US-Hegemonie wiederum kehren auch in der Geopolitik Selbsterhaltungsfragen zurück, die zumindest für einige Weltregionen seit dem Ende des Kalten Krieges temporär stillgestellt waren. Die aus der Nachkriegszeit noch erinnerliche Angst vor der nuklearen Bedrohung wird dabei in Europa mittlerweile von der Befürchtung unterfüttert, sich nicht länger im Epizentrum amerikanischer Sicherheitsinteressen zu befinden und im Zweifelsfall auf die interessenbasierte Vernunft etwaiger US-Administrationen nicht mehr ohne Weiteres bauen zu können. In solchen Zusammenhängen drängt sich zunehmend der Eindruck auf, dass man unkalkulierbare Gefahren erzeugt, die bestenfalls zeitweise »erfolgreich« externalisiert14 werden können, die man aber keineswegs grundsätzlich im Griff hat.

Stellt man dies in Rechnung, wirken fast 40 Jahre nach der Verkündung der Risikogesellschaft die seinerzeit mit ihr verbundenen Hoffnungen weitgehend 16ernüchtert. Hatte man in den achtziger und neunziger Jahren noch glauben dürfen, dass die unter dem Stichwort der Individualisierung erfassten Dynamiken die Subjekte in die Lage versetzen würden, die betreffenden Risiken erfolgreich einzuhegen – dass also beispielsweise Konsumboykotts, Recycling, individuelle Verhaltensänderungen und der politische Druck sozialer Bewegungen die Exzesse des Risikokapitalismus stoppen und Friedensaktivismus eine konfrontative Politik zur Vernunft bringen könnte –, erscheinen diese Hoffnungen auf eine bessere, oder wie es bei Beck heißt: »reflexive Modernisierung« heute als übertrieben optimistisch. Die sicherlich in Teilen erfolgte subpolitische Einhegung von Risiken15 und das reflexive Management von Modernisierungsfolgen konnten der Radikalisierung von Selbsterhaltungsproblemen keinen Einhalt gebieten. Vielmehr scheint es, als würde gerade das reflexiv-moderne Programm der Absorption von Unsicherheit durch die Überführung unberechenbarer Gefahren in kalkulierbare Risiken nicht länger funktionieren. Atomkraftwerke und zunehmend auch Klimarisiken sind nicht versicherbar, da die Kalkulation potenzieller Schadensfälle jede Versicherung mit ihrem eigenen Bankrott konfrontiert. Extremere Waldbrände und steigende Meeresspiegel sind zwar erwartbar, dennoch vermag ihre Berechenbarkeit niemanden mehr zu beruhigen. Individualisierungsgewinne haben Selbsterhaltungsrisiken systematisch verschärft, die ihrerseits zunehmend spürbaren Adaptionsdruck entfalten.

17Wie aber soll man eine Gesellschaft beschreiben, die sich nicht primär von der Selbstentfaltung, sondern von Problemen der Selbsterhaltung her bestimmen lassen muss? Deren Leitmotiv nicht Fortschritt, Emanzipation oder individuelle Freiheit, sondern Anpassung darstellt? Intellektuelle Interventionen, die aus einer Perspektive der Anpassung erfolgen, liefern heute zaghaft erste Bilder von Gesellschaften, die sich von der rücksichtslosen Priorisierung des Selbstentfaltungsprogramms verabschiedet haben. Verwendete man zur Charakterisierung moderner Gesellschaften klassischerweise bevorzugt Metaphern des Körpers oder öfter noch der Maschine, ist das Leitsymbol sensitiver Gegenwartsanalysen heute der Pilz. Was der moderne Reflex zunächst als verunreinigenden Schimmel wahrnimmt, den es zu beseitigen gilt, oder als anzueignende Ressource, die man konsumieren oder auf dem Markt verkaufen kann, wird dort zum Sinnbild einer paradigmatischen nach-modernen Lebensform.

Eva von Redecker beispielsweise erkennt in Pilzen ein Gegenmodell zum isolierenden Individualismus der Moderne. Morcheln, Pfifferlinge oder Fliegenpilze bilden weitläufige unterirdische Myzele, die Bäumen als Lieferanten und Netzwerke für den Austausch von Nährstoffen dienen, während die Pilze vom Zucker profitieren, den die Bäume aus der Photosynthese gewinnen.16 Das steht bei von Redecker sinnbildlich für eine symbiotische, reziproke und solidarische Lebensweise, an der sich Menschen für ih18re Beziehungen zueinander, aber auch zu ihren natürlichen Umwelten ein Beispiel nehmen könnten. Die Subjekte müssen sich nur dazu entscheiden.

Bindet dieser romantische Bezug die Aufgabe einer modernen Weltbeziehung noch an ein heroisches, nach Emanzipation strebendes – also grundsätzlich: modernes – Subjekt, gehen andere Pilz-Theorien bereits darüber hinaus. So entringt die US-amerikanische Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing ihrer ökonomisch-sozialen Analyse des in Japan als Delikatesse geltenden Matsutake-Pilzes Bilder einer grundsätzlich adaptiven Gesellschaft, die nicht länger auf Rettung oder Befreiung hofft.17 Wie die spätmodernen Risiken selbst sind Matsutake ein nichtintendiertes Beiprodukt der Modernisierung, wachsen sie doch nur in industriell genutzten Wäldern. Nachdem Japan im Laufe des 20. Jahrhunderts verstärkt auf Renaturierung setzte und die Verseuchung durch den Reaktorunfall von Tschernobyl die Pilze aus europäischen Wäldern ab 1986 ungenießbar machte, bildete sich ein neuer Schwerpunkt der Matsutake-Ernte an der US-amerikanischen Westküste. Hier beobachtet Tsing, wie in den Ruinen des kapitalistisch ausgelaugten Waldes um den Matsutake-Pilz herum eine spezifische Waldökologie, ja eine eigene Sozialökologie entstanden ist. Matsutake stützen den verwundeten Forst, ohne ihn zu heilen. Sie sind Helfer der Anpassung, und dies in mehrerlei Hinsicht. Denn jenseits der Waldökologie werden sie auch zur Lebensgrundlage von Nischenökonomien prekarisier19ter Gruppen, die die Pilze in den Wäldern Oregons sammeln. Hier treffen Sonderlinge auf gesetzesflüchtige Jugendliche, vor allem aber auf Gruppen asiatischer Einwanderer, für deren gemeinschaftsorientierte Lebensweise im modernen Amerika kein Platz ist. Sie bilden eine Assemblage adaptiver Prekarität zwischen Bäumen, Pilzen und Menschen, die für Tsing den Status einer global vernetzten und zugleich fragmentierten Gegenwart widerspiegelt.

Was sich hier andeutet, ist ein anderer, nicht moderner Begriff der Anpassung. Dabei geht es nicht um den heroisch-sorgenden Entschluss zur Symbiose als Vision einer Gesellschaft nach der Moderne. Die Sozialökologie der Gesellschaft wird vielmehr selbst als Effekt kapitalistischer Verwüstung und allumfassenden Weltverlusts imaginiert, Anpassung dagegen als Bedingung der Fähigkeit zu Lebensführung in einer Welt, für die es kein Zurück zu Fortschritt und Modernität gibt. Ergründet werden sollen vielmehr die Möglichkeiten eines Lebens in den Ruinen des Kapitalismus,18 dessen Kernprobleme einerseits Fragen der Herrschaft, andererseits die das Subjekt stabilisierenden Sinnhorizonte darstellen. Schemenhaft erkennbar wird dabei eine Haltung, deren Träger nach dem Ort eines nachmodernen Subjekts in der Welt suchen, nach sichtbaren und unsichtbaren Netzwerken der Solidarität, die es im Angesicht der Krise nicht nur ermöglichen, biologisch zu überleben, sondern ein Leben tatsächlich aktiv zu führen. Tsing findet die entsprechenden Sinnbe20züge in den Interaktionen des Überlebens, in den Nischen des globalen Kapitalismus, die von unwahrscheinlichen Allianzen prekarisierter menschlicher und nichtmenschlicher Lebensformen besetzt werden. Sie geben den Blick frei auf eine mögliche Lebensweise der Zukunft, in der es am Ende zufällige Ökologien und nichtmoderne Gemeinschaften sind, die die Möglichkeit eines subjektiv gelingenden Lebens gewährleisten.

Dieser tastende Blick auf die nächste Gesellschaft richtet sich hier auf die Ränder der gegenwärtigen, wo die Versprechen der Moderne längst aufgegeben sind, auf einen zerstörten Wald voller Entwurzelter, die weitgehend sich selbst überlassen bleiben und die der Krankenwagen in Ermangelung einer tauglichen Straße meist zu spät erreicht.19 Mit der Moderne wird hier freilich in gewisser Weise gleich die Gesellschaft insgesamt aufgegeben. Die soziale Arbeitsteilung bildet als systemischer Zwang kapitalistischer Integration zwar den Hintergrund, schließlich werden die Pilze für den Weltmarkt gesammelt; positive Aspekte des Sozialen wie Solidarität, Freiheit und Sinn werden dagegen den Mikrogemeinschaften der Abgehängten zugeschlagen. Ganz grundsätzlich sind sie in ihren Adaptionsleistungen am Rande der Gesellschaft sich selbst überlassen. Wir haben es mit adaptiven Gemeinschaften, nicht mit einer adaptiven Gesellschaft zu tun.

Letztere begegnet uns dagegen, wann immer soziale Mobilisierungen als Reaktionen auf akute Risiken 21stattfinden, etwa im Kontext der Covid-19-Pandemie. Diese ist in den vergangenen Jahren vielfach als Vorspann zu jener Art von Krisen beschrieben worden, die laut allen vernünftigen Prognosen das 21. Jahrhundert prägen werden. Die Pandemie ist, nach aktuellem Kenntnisstand, nicht nur Effekt eines rücksichtslosen gesellschaftlichen Naturverhältnisses, sondern ähnelt den klimainduzierten Krisen der Gegenwart und Zukunft auch in der Hinsicht, dass von ihr akute Gefährdungen für menschliches Leben ausgehen, dass sie Defizite politischer Steuerung schonungslos offengelegt und dass ihre Bearbeitung in einzelnen Ländern zumindest zeitweise fundamentale Umstellungen der politischen Ökonomie angestoßen hat. Sie ist zudem eine Krise des Kapitalismus, nicht nur, weil man das ihr zugrunde liegende Naturverhältnis als genuin kapitalistisch beschreiben kann,20 sondern auch, weil sie durch ihre wirtschaftlichen Folgen dramatische soziale Verwerfungen erzeugt und die kapitalistische Wirtschaftsweise selbst teils heftig erschüttert hat.

Heuristisch und zugespitzt formuliert, werden in dieser exemplarischen Anpassungskrise grundsätzliche Umstellungen sichtbar, die uns über den Charakter der adaptiven Gesellschaft informieren können. So machte die Anpassung an die Pandemie jene zuvor meist nicht akut thematisierten Probleme zivilisatorischer Selbstgefährdungen und gesellschaftlicher Verwundbarkeit – also Selbsterhaltungsfragen – zum grundlegenden Fluchtpunkt sozialer Stabilisie22rung und alltäglicher Lebensführung. Fundamentale »Sicherheitsverletzungen«21 rückten ins Zentrum der gesellschaftlichen Selbstthematisierung und haben sich dort über zahlreiche pandemische Wellen hinweg einstweilen gehalten. Selbstverwirklichungsfantasien und Politiken der individuellen Freiheit traten zurück hinter Strategien des Schutzes von Leben sowie der Betonung gesellschaftlicher Vernetzung und Abhängigkeit. Im Rahmen dieser Dynamik wurden gesellschaftliche Koordinationsweisen grundlegend angepasst, man denke etwa an die Spontanspaltung des Arbeitsmarktes in systemrelevante und solche Tätigkeiten, auf die zeitweise verzichtet werden konnte, aber auch an die temporäre Mobilisierung von Freiwilligen oder den Einsatz des Militärs in essenziellen Bereichen. Eine Ökonomie der gesellschaftlichen Selbsterhaltung hatte hier zeitweise Vorrang vor anderen Wirtschaftsbereichen, die doch überwiegend mit weit größerem Prestige ausgestattet und in der Regel mit einem höheren sozialen Status verbunden sind. Im Zentrum standen in der Folge kurzzeitig jene Tätigkeiten, die für den Erhalt von Gesellschaft im basalen Sinne entscheidend sind und die offenbar gerade dann ins Licht der öffentlichen Wahrnehmung rücken, wenn soziale Stabilität bedroht ist. Die soziale Praxis der Anpassung richtete sich dabei gerade darauf aus, dass der Krankenwagen, der die Pilzsammler nicht erreicht, im Notfall doch kommt. Kollektive Anpassung entpuppt sich als eine spezifische Form der Arbeit, die auf die Erhaltung von Leben 23ausgerichtet ist und vornehmlich innerhalb eines Infrastrukturkomplexes der Gesellschaft erbracht wird. Anpassungspolitik, so lässt sich schließen, ist in bedeutendem Maße Infrastrukturpolitik. Sie gibt dem Allgemeinen Vorrang vor dem Besonderen, priorisiert kollektive Verpflichtung und eigenverantwortliche Selbstführung zulasten kompetitiver Selbstentfaltung.

Doch was sieht man jenseits solcher Intuitionen, wenn man Anpassung ins Zentrum der Gesellschaftsanalyse stellt? Welche Begriffe der Emanzipation, welche Zeitbezüge, welche Versprechen auf ein subjektiv richtiges Leben und welche Perspektiven des Politischen bildet die adaptive Gesellschaft aus? Wirft man diese genuin soziologischen Fragen auf, geht es um weit mehr als um Probleme des biologischen Überlebens. Die die gesellschaftliche Selbstthematisierung prägenden Selbsterhaltungsprobleme sind vielmehr als Fragen nach der Möglichkeit und Form von Lebensführung zu bestimmen. Denn Weisen der Lebensführung bilden zum einen die Grundlage der alltäglichen Stabilisierung gesellschaftlicher Strukturen. Zum anderen sind sie getragen von spezifischen Sinnbezügen, die ihrerseits die Subjekte in der Fortsetzung ihrer gesellschaftlichen Existenzweise stabilisieren. Will man Anpassung also als gesellschaftliche Praxis erfassen, geht es zuvorderst um die Konfigurationen adaptiver Lebensführung. Den zentralen Orientierungspunkt einer solchen Perspektive bildet insbesondere Max Webers berühmte Analyse der so24zialen Bedingungen kapitalistischer Modernisierung. Diese erfasst er als Effekt spezifischer Sinnhorizonte, die ihrerseits auf die Möglichkeit zukünftiger Erlösung ausgerichtet waren.22 So erläutert Weber in seiner Abhandlung zur protestantischen Ethik, wie die unsichere Heilserwartung des Protestantismus jene auf die Ewigkeit ausgerichteten Zeithorizonte erzeugte, die als Motivation einer von innerweltlicher Askese getragenen Lebensführung zum Ausgangspunkt kapitalistischer Dynamik wurden.

Wie sich unschwer erkennen lässt, sind mit einer solchen Perspektive auch Fragen gesellschaftlicher Herrschaft aufgerufen. Denn Lebensführung strukturiert soziale Zusammenhänge von den Konfigurationen der Ungleichheit bis zu den Modi politischer Herrschaft. Es macht schließlich einen Unterschied, ob man etwa die liberale Demokratie aus der Perspektive eines Tagelöhners oder einer Managerin betrachtet. Was für Ersteren als ausbeuterisches System erscheint, für das er womöglich nur Spott und Verachtung übrig hat, gilt Letzterer als Ermöglicher von Anerkennung und Erfolg und damit als hochgradig legitime Herrschaftsform. Auch die Kritik der Gesellschaft muss sich daher von den sie prägenden Vektoren der Lebensführung her entfalten.

Der entscheidende Aspekt für eine Analyse der Gegenwart liegt freilich darin, dass die Möglichkeit der Lebensführung – also der an kollektiven Sinnbezügen orientierten und zugleich in relativer Autonomie gestaltbaren Praxis des Individuums – im Zei25chen gesellschaftlich virulenter Selbsterhaltungsfragen schlicht nicht mehr einfach unterstellt werden kann. Zur adaptiven Gesellschaft gehört vielmehr das für sie konstitutive Wissen, dass Lebensführung und damit Subjektivität fundamental gefährdet sind – und zwar durch sich selbst. Die adaptive Konstellation wirft damit die soziologisch entscheidende Frage auf, unter welchen Voraussetzungen Lebensführung unter den Bedingungen gefährdeter Selbsterhaltung gelingen kann.

Die Antwort auf diese Frage, die ich in den folgenden Kapiteln Stück für Stück entfalten werde, lautet, grob gefasst, dass erstens unter Selbsterhaltungsbedingungen stabilisierende Sinnbezüge aus adaptiver Praxis gewonnen werden, die sich in ihren Grundzügen – der Absage an einen modernen Begriff der Emanzipation, einem reflexiven Verzicht auf Fortschritt als Leitbild gesellschaftlicher Zukunft, einem kompetenz- und verantwortungsbasierten sowie dem Selbstverständnis nach post-narzisstischen Ideal des richtigen Lebens – beschreiben lässt. Zweitens entfaltet Lebensführung in der gegenwärtigen Konstellation der adaptiven Gesellschaft eine spezifische politische Dynamik, die ich als technokratische Sehnsucht erfasse. Meine Befunde entspringen dabei einer Haltung, die Anpassung als reales gesellschaftliches Phänomen ernst nehmen möchte, ohne in den soziologischen Chor jener einzustimmen, die Adaption – einer modernen Perspektive folgend, die Ingolfur Blühdorn treffend und polemisch als »subjekt26zentriertes Emanzipationsprogramm«23 beschrieben hat – kategorisch ablehnen. Es geht mir dabei zunächst um den Versuch einer neutralen Betrachtung von Anpassung als einer zentralen gesellschaftlichen Praxis, nicht um ihr Lob, aber auch nicht um ihre Denunziation.

Einer Soziologie, die über eine Beobachtung von Anpassung zu einem Begriff der Gesellschaft kommen möchte, fehlen einstweilen noch die Wörter. Sie muss Abstand gewinnen von den normativen Konnotationen des Begriffs in der Semantik der modernen Vergangenheit. In deren Tradition wird Anpassung eben nach wie vor keineswegs neutral oder offen thematisiert, sondern in der Regel wahlweise zynisch oder denunziatorisch ins Spiel gebracht. Zynisch, wenn mit Adaption die Stabilisierung einer sozialen Ordnung gemeint ist, die sich doch gerade verändern müsste, um angesichts von Selbsterhaltungsrisiken zu bestehen. Denunziatorisch, wenn Anpassung als Affront gegen die verdiente Selbstentfaltung des Individuums begriffen wird. Im zweiten Kapitel werde ich mich daher zunächst mit dem klassischen soziologischen Verständnis von Anpassung befassen und es in Beziehung setzen zur aktuellen Krise (spät)moderner Gesellschaften und den dort auch jenseits der Soziologie entwickelten Lesarten von Anpassung. Es zeigt sich dabei, dass alle vorliegenden Zugriffe auf gesellschaftliche Adaption sich, wie oben bereits angedeutet, vor dem Hintergrund eines normativen Primats der Selbstentfaltung entwerfen. Mit einer Um27stellung der Perspektive auf Probleme der Selbsterhaltung scheint sich dagegen ein neues Verständnis von Anpassung zu etablieren, das diese als integrierte Praxis individueller und kollektiver Transformation und als Voraussetzung etwaiger Freiheitsgewinne in der adaptiven Gesellschaft begreift. Gleichzeitig wird so der moderne Leitbegriff der Emanzipation infrage gestellt, geht es bei Anpassung doch primär um eine Praxis, die Lebensführung ganz basal erst ermöglichen soll. Ein aktualisiertes Verständnis von Anpassung skizziert allerdings, bei allen ihr innewohnenden Zumutungen, auch eine eigene Perspektive der Freiheit. Denn mit der Ablösung des kulturellen Primats der Selbstentfaltung können auch spätmoderne Selbstverwirklichungszumutungen in den Hintergrund treten.24

Nicht mehr zu vermitteln ist die adaptive Gesellschaft hingegen mit einer klassisch-modernen Perspektive auf Fortschritt als gesellschaftlichem Projekt konstanter Perfektionierung, grenzenloser Selbstentfaltung und immer weiterer Erschließung, Gefügigmachung und Vernutzung von Zukunft durch ein heroisches Subjekt. Der Aufstieg des Paradigmas der Anpassung, wie er sich etwa im Bedeutungsgewinn neuer politischer Leitbegriffe wie Mitigation und Resilienz ausdrückt, ist daher mit einer Krise (spät)moderner Zeitbezüge verbunden, wie ich in Kapitel 3 zeigen werde. Die adaptive Gesellschaft, so die Schlussfolgerung, ist dabei schon weiter als große Teile der sie beobachtenden Sozialwissenschaften. 28Sie hat sich in ihren messbaren subjektiven Sinnbezügen bereits seit geraumer Zeit von der Idee eines gesellschaftlichen Projekts des Fortschritts – also der konstanten Verbesserung menschlicher Lebensverhältnisse, der im Prinzip grenzenlosen Entfaltung des Subjekts und der von ihm betriebenen heroischen Eroberung und Gestaltung der Zukunft – verabschiedet. Auch hier scheint eine eigene Perspektive der Befreiung auf. Denn mit dem Verzicht auf Fortschritt wird das spätmoderne Subjekt auch von der Verantwortung für das unglaubwürdig gewordene Projekt gesellschaftlicher Perfektionierung entlastet.