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Jetzt schlägt's 13! Als ob der Eberhofer Franz nicht schon Ärger genug hätt: Nein, jetzt muss die Susi-Maus sich auch noch als frischgebackene Bürgermeisterin wichtigmachen. Dabei hat er ganz andere Sorgen, als seiner vielbeschäftigten Frau alles hinterherzutragen. Noch dazu, wo er nämlich einen Mordfall hat, einen waschechten. Zumindest glaubt das der Richter Moratschek, dessen geliebte Patentochter Letitia bestimmt nicht von ganz allein in Südtirol vom Berg gestürzt ist. »Kein Bier, kein Leberkäs und zweimal die Woche dreißig Kilometer weit laufen … Dass ich nicht lach! Eher kraxelt ein Pinguin auf die Zugspitz. Und jetzt bewegen Sie Ihren dienstlichen Arsch gefälligst nach Landshut rein, verstanden? Sie haben einen neuen Fall, Eberhofer!« Dem Eberhofer kommt das auch ganz spanisch vor – oder eher italienisch! Und so kraxelt er schon bald auf den Spuren des vermeintlichen Mordopfers in den Dolomiten herum. Und der Rudi, der muss derweil beim Hauptverdächtigen auf dem Campingplatz ermitteln – inkognito versteht sich. Na, sauber! Der 13. Fall soll Unglück bringen? So ein Schmarrn! Oder? »Der Tod kommt hier hinterfotzig, heimtückisch und heimatnah. Beschönigt wird nichts. Zünftig ist im Bayernkrimi sogar das Personal.« Welt am Sonntag »Falk ist Kult, und die Verfilmungen sind es auch, weit über die Weißwurstlinie hinaus.« Wolfram Knorr, Die Weltwoche Alle Bände der ›Eberhofer-Reihe‹: Band 1: Winterkartoffelknödel Band 2: Dampfnudelblues Band 3: Schweinskopf al dente Band 4: Grießnockerlaffäre Band 5: Sauerkrautkoma Band 6: Zwetschgendatschikomplott Band 7: Leberkäsjunkie Band 8: Weißwurstconnection Band 9: Kaiserschmarrndrama Band 10: Guglhupfgeschwader Band 11: Rehragout-Rendezvous Band 12: Steckerlfischfiasko Band 13: Apfelstrudel-Alibi
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Seitenzahl: 409
Veröffentlichungsjahr: 2025
Jetzt schlägt’s 13!
Als ob der Eberhofer Franz nicht schon Ärger genug hätt: Nein, jetzt muss die Susi-Maus sich auch noch als frischgebackene Bürgermeisterin wichtigmachen. Dabei hat er ganz andere Sorgen, als seiner vielbeschäftigten Frau alles hinterherzutragen. Noch dazu, wo er nämlich einen Mordfall hat, einen waschechten. Zumindest glaubt das der Richter Moratschek, dessen geliebte Patentochter Letitia bestimmt nicht von ganz allein in Südtirol vom Berg gestürzt ist.
Dem Eberhofer kommt das auch ganz spanisch vor – oder eher italienisch! Und so kraxelt er schon bald auf den Spuren des vermeintlichen Mordopfers in den Dolomiten herum. Und der Rudi, der muss derweil beim Hauptverdächtigen auf dem Campingplatz ermitteln – inkognito versteht sich. Na, sauber!
Von Rita Falk sind bei dtv außerdem erschienen:
Provinzkrimis
Der erste Fall: Winterkartoffelknödel
Der zweite Fall: Dampfnudelblues
Der dritte Fall: Schweinskopf al dente
Der vierte Fall: Grießnockerlaffäre
Der fünfte Fall: Sauerkrautkoma
Der sechste Fall: Zwetschgendatschikomplott
Der siebte Fall: Leberkäsjunkie
Der achte Fall: Weißwurstconnection
Der neunte Fall: Kaiserschmarrndrama
Der zehnte Fall: Guglhupfgeschwader
Der elfte Fall: Rehragout-Rendezvous
Der zwölfte Fall: Steckerlfischfiasko
Romane
Hannes
Funkenflieger
Rita Falk
Ein Provinzkrimi
»Also«, sag ich zum Simmerl und nehm noch einen letzten Schluck Cola, um mir den restlichen Leberkäs aus meinen Zähnen zu spülen, und stell die leere Flasche auf den Sektempfang-Stehtisch, der hier neuerdings die Metzgerei bereichert. Dann mach ich mich auf den Weg hinter ins Schlachthaus.
»Wie lang willst du dieses depperte Spielchen eigentlich noch durchziehen, Franz?«, ruft mir der Simmerl hinterher, während er den Tisch abräumt.
»Solange es nottut«, ruf ich retour. Und glaub mir, es tut not. Doch dazu muss ich wahrscheinlich erst noch kurz was erklären: Meine Susi, die ist nämlich jetzt Bürgermeisterin, was für mich ja an sich schon Strafe genug wär. Weil ich erstens mit dieser Sorte Karriere-Tussen so gar nix anfangen kann. Rein generell nicht. Und ich es zweitens auch nicht besonders mag, wie wichtig sie auf einmal ist. Also viel wichtiger als ich. Natürlich nur beruflich gesehen. Zumindest denkt sie das, die Frau Bürgermeisterin. Ständig hat sie irgendwie Stress, einen Termin oder ein Meeting. Unser alter Bürgermeister, der hat zuvor gute zwanzig Jahr lang diesen Job hier ausgeübt. Tag für Tag und ich kann mich nicht an einen einzigen stressigen erinnern. Das weiß ich haargenau, weil sein Büro gleich neben dem meinigen liegt. Aber bei der Susi, da ist es anders, die hat Stress, frag nicht!
Doch das ist nur die eine Hälfte des Elends. Die andere ist, dass sie sich seit ihrem fragwürdigen Aufstieg auch in privater Hinsicht komplett verändert hat. Weil sie jetzt nämlich in ihrer spärlichen Freizeit vollkommen ausgebucht ist. Will heißen, dass sie nun ständig irgendwo eingeladen wird, was einen regelrechten Rattenschwanz hinter sich nachzieht. Frisör, Maniküre, Pediküre, Massage, Sauna, Kosmetikerin und Sport. Sport ist das Schlimmste. Im Fitnessstudio, da gehört sie inzwischen ja quasi schon zum Inventar, und wenn sie nicht grad dort abhängt, dann macht sie Yoga oder geht joggen. Sie ist der Meinung, das muss einfach sein. Weil sie doch jetzt mordwichtig ist und repräsentative Pflichten hat. Und da muss man sich selbstverständlich wohlfühlen in seiner Haut und sollte sich von der allerbesten Seite zeigen, gell?
Ich persönlich … ich finde diese Seite an ihr definitiv nicht ihre beste. Viel eher die, wo sie mit verwurstelten Haaren diesen durchsichtigen Fetzen trägt und ihren süßen Schmollmund macht. Das nämlich ist ihre Schokoladenseite. Ohne Frage.
Jetzt aber kommt erst das dicke Ende. Ein weiteres Dilemma an dieser unerfreulichen Entwicklung ist nämlich, dass sie durch das ganze Pensum kaum mehr daheim ist und deswegen die Meinung vertritt, ich müsste mich nun einfach »mehr einbringen«. Also praktisch in den Haushalt und so. Als wenn das meine Aufgabe wär! Doch da darf man nicht blöd sein und muss … wie soll ich sagen … man muss quasi eine Art Alternativprogramm starten. Drum geh ich nun neuerdings ebenfalls zum Joggen. Schlüpf also täglich hoch motiviert in meinen Polizei-Trainingsanzug, welcher zuvor fünfundzwanzig Jahre lang kein einziges Mal ein Tageslicht gesehen hat und bei der letzten Wäsche wohl ziemlich eingelaufen sein muss. Und dann lauf ich halt los. Lauf unsere Einfahrt entlang bis zur Hauptstraße vor, überquere dieselbige in zackigen Schritten und ein paar schwere Atemzüge später, da lehn ich auch schon beim Simmerl an seinem Stehtisch. Vermutlich hat er den eh nur meinetwegen dort hingestellt, damit ich nicht immer so haltlos in seiner Metzgerei rumhecheln muss. Aber wurst. Ja, und während die Susi nun denkt, ich laufe mir die Lunge aus dem Hals, da gibt’s praktisch ersatzweise eine erstklassige Brotzeit und einen entspannten Ratsch obendrein, bevor ich mich eine knappe Stunde später im Schlachthaus tief über den Herd beuge. Genauer gesagt über den dampfenden Wurstkessel. Also sozusagen dort, wo Debreziner, Weißwürstl und Wiener für die Imbisskundschaft so vor sich hin sieden. Wie man sich unschwer vorstellen kann, hab ich demzufolge keine zwei Minuten später nicht nur einen feuerroten Kopf, sondern bin auch durch den ganzen Würstldampf so dermaßen schweißähnlich befeuchtet, als hätt ich grad einen Marathon absolviert. Was fast einem astreinen Alibi gleicht.
»Ach, sind wir wieder mal am Joggen, Herr Eberhofer?«, reißt mich jetzt urplötzlich die Metzgersgattin aus meinen Gedanken heraus. Sie muss wohl grad mitten aus dem Schlachthausboden gewachsen sein.
»Servus, Gisela«, sag ich und heb mein triefendes Haupt aus dem Tiegel.
»Servus, Franz«, grinst sie süffisant, lehnt sich an die Fliesenwand, legt den Kopf schief und verschränkt die Arme vor der Brust. »Was würdest mir eigentlich zahlen, wenn ich der Susi nix erzähl? Also praktisch nix von deinen ganzen dubiosen Joggingrunden hier bei uns.«
»Gegenfrage, Gisela«, sag ich und wisch mir das Kondenswasser aus den Augen. »Was würdest du mir eigentlich zahlen, wenn ich deinem Simmerl nix erzähl?«
»Was würdest denn dem schon erzählen wollen?«
»Lass mich kurz überlegen. Mei, vielleicht könnt ich ihm ja was von diesen dubiosen Singproben erzählen. Also die mit deinem schnuckeligen Chorleiter am Dienstag- und Donnerstagabend. Dort auf eurem Pendlerparkplatz drüben am Waldrand, wo es doch so romantisch ist. Ich seh euch da immer, wenn ich mit der Hinkelotta meine Runden dreh.«
So schnell hab ich noch nie jemanden rot werden sehen. Allerhand.
»Arschloch«, zischt sie noch knapp, bevor sie dann schnaubend die Bühne verlässt.
Warum ich dem Simmerl bisher noch nichts von den amourösen Ausflügen seiner Gattin erzählt hab und es auch nicht tun werde, das hat gute Gründe. Eine ganz ähnliche Situation hat es nämlich schon einmal gegeben in meinem Leben. Das ist ein paar Jahre lang her, vielleicht auch Jahrzehnte, doch ich erinnere mich noch haargenau daran. Es war ein lauer Sommerabend und ich war nach ein paar Halben beim Wolfi gemütlich auf dem Heimweg, wie mich plötzlich die Blase drückt. Also fahr ich rechts ran, steig aus und fang halt an, ins Gebüsch zu bieseln. Und grad wie ich da so steh und entspannt laufen lass, da bemerk ich hinter eben genau diesen Sträuchern ein Fahrzeug, das seltsame Bewegungen macht. Und weil es ja freilich schon eine Art Berufskrankheit ist, drum muss ich mir das doch genauer anschauen. Also pack ich den kleinen Franzl wieder in seine Hose zurück und bahn mir den Weg in Richtung beschlagener Autoscheiben. Klopf an dieselben, was das Fahrzeug prompt stillstehen lässt. Nach dem zweiten Anklopfen wird schließlich das Fenster geöffnet. Und da ist sie dann plötzlich gewesen, diese ungute Situation. Es war nämlich die Ehefrau eines sehr guten Freundes, die dort auf der Rückbank lümmelte. Und zwar barfuß bis zum Hals und zu zweit. Aber eben nicht mit ihm.
Nachdem er die Geschichte dann von mir erfahren hat, da war es dann eher ein Ex-Freund von mir. Eigentlich weiß ich bis heute nicht recht, warum er die Sache dann mit mir beendet hat und nicht mit ihr. Aber so ist es nun mal. Übrigens sind die beiden bis heute ein Paar. Ja, das kann kapieren, wer will, ich tu es nicht. Aber das nur zum besseren Verständnis. Damit man halt weiß, warum der Simmerl keinerlei Infos abkriegt, was diese Sache betrifft. Jedenfalls nicht von mir. Immerhin handelt es sich in diesem Fall auch nicht nur um einen guten Freund, sondern sozusagen um das wertvollste Glied in meiner Nahrungskette. Da würd ich mir ja lieber ins Knie schießen, als hier Themen anzuschneiden, die mich ja ohnehin nix angehen.
Wie ich kurz darauf den heimatlichen Hausgang betrete, stoß ich gleich auf die Susi. Sie steht vor dem Spiegel mit prüfendem Blick, trägt ein Dirndl und zupft sich ein paar Haarsträhnen zurecht. Dann malt sie ihre Lippen an.
»Ah, schon fleißig gewesen?«, fragt sie freundlich, ohne mich aber eines Blickes zu würdigen. Sie schaut umwerfend aus in der drallen Klamotte, was mich prompt veranlasst, ihren hübschen Nacken zu knutschen.
»Ja, sehr fleißig«, hauche ich so verführerisch, wie ich es nur hinkrieg. Relativ erfolglos, wie sich aber gleich rausstellen wird.
»Franz, bitte«, sagt sie, dreht sich zu mir um und irgendwie hat sich ihr Tonfall verändert. »Langsam solltest du … Ja, du solltest wirklich dringend deine Ernährung umstellen. Weniger Fleisch und mehr Obst und Gemüse, verstehst. Wirklich dringend! Ah … selbst dein … dein Schweiß … der … ja, ich muss es leider so sagen, sogar dein Schweiß, der stinkt inzwischen nach Würstl und Leberkäs. Das ist doch nicht normal, Franz.«
»Geh, was du dir wieder einbildest.«
»Ich bilde mir nichts ein. Geh ins Wohnzimmer und frag den Paul. Du stinkst nach …«
»Ja, ich geh duschen«, kann ich sie grad noch unterbrechen. Und in derselben Sekunde hör ich mein Telefon läuten, was den unerquicklichen Dialog dann endgültig stoppt …
Dran ist der Moratschek. Der hat sich ja schon ewig nicht mehr gemeldet. Was nicht weiter schlimm ist. Ganz im Gegenteil. Weil, wenn der Moratschek anruft, dann hat das meist Auswirkungen der beruflichen Sorte.
»Na, Eberhofer«, kann ich ihn durch die Muschel vernehmen, untrüglich gefolgt vom Verzehr einer Prise Schnupftabak. »Wie ist es? Geht’s Ihnen gut?«
»Bis soeben ging’s noch«, sag ich, während ich die Treppe hochgeh. »Und selbst? Wie ist das richterliche Befinden?«
»Schlecht, Eberhofer. Sehr schlecht.«
»Ja, so ist das Leben, gell. Einmal auf und einmal ab. Da kann man nix machen«, entgegne ich und öffne die Badezimmertür.
»Kann man schon. Da kann man schon was machen, Eberhofer. Und zwar Sie höchstpersönlich … Sie können was machen. Wo wir gerade bei machen sind, was genau machen Sie gerade?«
»Ich mache grad die Dusche an«, antworte ich und schalte den Lautsprecher ein. Immerhin muss ich mich ja meines Trainingsanzugs entledigen, wenn ich duschen will. Herrgott noch eins, ist der eng!
»Sie machen die Dusche an? Um was zu tun? Um zu duschen?«
»Das ist in den allermeisten Fällen der Plan, wenn man die Dusche anmacht. Korrekt.«
»Natürlich ist das korrekt, Sie Spinner. Aber doch nicht an einem Arbeitstag um elf Uhr am Vormittag. Oder haben Sie etwa Urlaub?«
»Mei, Urlaub eigentlich nicht. Eher Ferien.«
»Ferien? Sie haben keine Ferien, Eberhofer. Kinder haben Ferien. Schüler, höchstens noch Studenten. Der Rest der Bevölkerung, sprich die arbeitende Mehrheit, die hat Urlaub.«
»Aber der Paul, der hat Ferien. Also mein Sohn sozusagen.«
»Ich weiß, wie Ihr Sohn heißt, Menschenskinder. Und ob Sie’s glauben oder nicht, ich weiß auch, dass Ferien sind. Pfingstferien, um genau zu sein. Doch das war nicht meine Frage. Meine Frage war, ob Sie Urlaub haben. Also einen richtigen. Einen legitimen. Einen mit Urlaubsschein und Pipapo.«
Ich schüttle den Kopf.
»Und jetzt schütteln Sie nicht den Kopf, Eberhofer. Nur, weil ich das nicht sehen kann, zefix. Also kein Urlaub. Wie erklären Sie sich dann, dass Sie mitten in Ihrem Arbeitstag, den Sie voll bezahlt bekommen, vom Steuerzahler übrigens, dass Sie da einfach ganz gemütlich eine Dusche nehmen.«
»Richter Moratschek«, schnauf ich, wie ich mich endlich aus dem ersten Hosenbein rausgezwängt hab. »Kennen Sie die Sorte Polizisten, die wo mit hohem Blutdruck, kurzatmig und fettleibig keinem einzigen Verbrecher mehr hinterherkommen. Und jetzt nicken Sie nicht, nur, weil ich das nicht sehen kann. Also, natürlich kennen Sie diese Sorte Polizisten, eh klar. Immerhin sind Sie schon gefühlt seit hundert Jahren Richter, gell. Ein großartiger Richter sogar, der sie allesamt kennt, diese Pappenheimer. Und jetzt, Moratschek, jetzt kommt’s. Um eben genau dem entgegenzusteuern, dem Verfall jeglicher Fitness praktisch, und auch um ein Vorbild zu sein für all die jungen Kollegen da draußen, exakt aus dem Grund heraus hab ich mich jetzt einem rigorosen Fitnessplan verschrieben. Und dazu gehört dann halt auch der Ausdauerlauf. Zweimal die Woche. Zwanzig, dreißig Kilometer, verstehens. Und von so einem Ausdauerlauf, da komm ich quasi grad zurück. Und, was sagens jetzt? Da sagens jetzt nix mehr, gell?« Inzwischen ist auch das zweite Bein wieder in Freiheit.
Tatsächlich sagt er nix mehr, der ehrenwerte Richter Moratschek. Man hört nur ein weiteres Mal, wie eine Ladung Gletscherprise hinter seine Kiemen wandert.
»Ein Fitnessplan, soso. Ja, da schau einer an«, murmelt er ein paar Wimpernschläge später in die Muschel. »Und wie muss ich mir das vorstellen? So voll diszipliniert, oder was?«
»Vollkommen.«
»Also auch kein Bier mehr?«
»Nix.«
»Keine Leberkässemmeln? Keine Fleischpflanzerlsemmeln?«
»Weder noch. Keine einzige, Moratschek. Nicht eine.«
»Ja, ja, das tät mir bestimmt auch nicht schaden.«
»Bestimmt nicht.«
»Meinens, ich sollt dann vielleicht auch gleich besser meinen Schnupftabak bleiben lassen, gell?«
»Unbedingt«, sag ich, setz mich nun auf den Badewannenrand und zieh die Socken aus. Irgendwie ist er schon ein netter Kerl, der Moratschek. Es folgt wieder ein Päuschen. Wahrscheinlich muss er nun doch einen Moment lang innehalten, um sich quasi schon mal rein mental auf seine zukünftige neue Lebensweise einzuschwingen.
»Sagen Sie, glauben Sie eigentlich, dass Sie mit einem Vollidioten telefonieren?«, schreit er mir jetzt durch die Leitung, dass mir schier das Trommelfell platzt. »Kein Bier, kein Leberkäs und zweimal die Woche dreißig Kilometer weit laufen … Dass ich nicht lach! Eher kraxelt ein Pinguin auf die Zugspitz. Und jetzt Schluss mit der Märchenstunde und stattdessen bewegen Sie Ihren dienstlichen Arsch gefälligst nach Landshut rein, und zwar optimalerweise innerhalb von zwanzig Minuten, verstanden? Und dann stehen Sie bei mir hier auf der Matte. Geduscht oder ungeduscht, das ist mir vollkommen wurscht. So und jetzt Ende der Durchsage, Kommissar Münchhausen.«
Zack, aufgelegt.
Nachdem ich schließlich aus der Dusche raus und angezogen bin, schau ich noch auf einen Sprung ins Wohnzimmer. Dort sitzt der Paul am PC und macht irgendetwas Mathematisches, was auf mich wie eine Abiturarbeit wirkt. Da er aber erst in der fünften Klasse ist, scheint mir diese Möglichkeit zumindest fragwürdig, wenn auch nicht völlig ausgeschlossen, weil er ein echt helles Köpfchen ist und bereits eine Klasse übersprungen hat.
»Ich muss los, Paul«, sag ich und streich ihm über den Kopf.
»Arbeiten?«, sagt er, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.
»Ja. Wenn was ist, der Opa ist drüben.«
»Ich sitze hier auf einem Stuhl vor dem Computer, was soll da schon groß sein?«
»Der Blitz könnte einschlagen, die Decke runterkrachen, der Dachstuhl einfallen, polnische Einbrecher könnten einbrechen oder sogar ein Massenmörder könnte … möglicherweise einer, der sich auf Fünftklässler mit mathematischen Talenten spezialisiert hat. Der Würger von Wolfenbüttel könnte kommen oder …«
»Okay, dann geh ich zum Opa.«
Sag ich doch, ein helles Köpfchen.
Wie ich von unserer Doppelhaushälfte über den Hof in Richtung altes Wohnhaus wandere, fällt mein Blick auf den Saustall. Auf meinen Saustall. Auf meinen heiß geliebten Saustall, um genau zu sein. Wie viele sorglose Stunden hab ich da drinnen verbracht? Wie viel Freiheit dort erlebt. Meine erste eigene Bude. Ein komplettes Männerding. Keine Bilder an der Wand, keine Blumen am Fenster. Dafür musste aber auch keiner die Schuhe ausziehen und es war immer ein Bier im Kühlschrank. Einfach schön halt. Nichts war wegzuräumen oder aufzuhängen und man konnte Metallica hören auf Höllenlautstärke, ganz egal wie spät es war. Ich glaub, mir hat noch nie was so gefehlt, wie es mein Saustall tut. Inzwischen hat ihn meine Nichte geerbt. Oder besser: Die Sushi hat sich den Saustall unter den Nagel gerissen. Natürlich heißt sie in Wirklichkeit nicht Sushi, sondern Uschi. Weil sie aber mütterlicherseits asiatische Wurzeln hat und einfach zuckersüß ist (oder war, inzwischen ist sie ein Teenager), drum hab ich sie gleich nach ihrer Geburt einfach mal Sushi genannt. Mittlerweile nennen sie alle so. Sogar ihre Lehrer.
Schon von der Diele aus kann ich die Beatles vernehmen, was darauf schließen lässt, dass der Plattenspieler läuft. Zielorientiert steuere ich das Wohnzimmer an, weil ich dort den Papa vermute, welcher nicht nur mein Erzeuger ist, sondern seit geraumer Zeit auch der von ehemals illegaler Botanik. Will heißen, er baut seit ich denken kann Cannabis an. Früher heimlich in einer verborgenen Ecke des Gartens, seit der Gesetzesänderung rotzfrech mitten im Wohnhaus. Das weiß ich, wie es jeder weiß, der hier wohnt, und dennoch trifft mich jetzt beinah der Schlag. Inzwischen ist nämlich alles so dermaßen zugewuchert, dass sich praktisch die Fenster im Höchstfall nur noch erahnen lassen.
»Was verschafft mir die Ehre«, dringt nun die Stimme vom Papa durch diesen Dschungel hindurch.
»Sag mal, Papa«, stottere ich ein bisschen überfordert und schreite dabei Blumentopf um Blumentopf ab. »Eigenbedarf … Ich mein, schau dich doch mal um! Das hat doch hier nix mehr mit Eigenbedarf zu tun.«
»Hat ja auch niemand behauptet, dass das alles nur für mich ist«, sagt er, während er augenscheinlich seinen aktuellen Bestand kontrolliert.
»Ja, für wen sollte es denn sonst sein?«
»Bekannte … Verwandte …«, murmelt er kaum hörbar durch die Blätter hindurch.
»Was … was denn für Verwandte bitte schön?«
»Kennst du nicht.«
»Hast du einen Vogel, oder was? Ich bin dein Sohn und du mein Vater.«
»Was zu beweisen wäre.«
»Papa, was für Verwandte? Ich kenne alle deine Verwandten. Sogar namentlich und höchstpersönlich. Und einige davon mag ich noch nicht mal.«
»Der Leopold, der hat damit nichts zu tun. Und überhaupt, du solltest nicht so über deinen Bruder reden. Er hat auch seine guten Seiten«, sagt er weiter und kämpft sich einen Weg zu mir durch das Dickicht. »Aber wechseln wir das Thema. Was hat dich jetzt überhaupt hierhergetrieben? Ich mein, du wirst doch einen Grund gehabt haben für deinen Besuch. Nur, dass du dich über meine Drogenplantage aufregen kannst, wird es ja nicht gewesen sein.«
»Ach ja, Mensch. Da siehst es mal, ich bin schon ganz benebelt, allein durch die bloße Anwesenheit hier.«
»Hab doch gesagt, dass es für die Verwandtschaft ist«, grinst er mir nun her.
»Ja, verdammt, ich muss los. Und der Paul, der ist drüben allein. Vielleicht kannst ja hernach mal kurz rübergehen und nach ihm schauen«, sag ich noch so und dreh mich dann ab.
»Logisch schau ich nach dem Paulchen. Obwohl wir gestern gestritten haben. Aber vielleicht können wir ja gleich eine feine kleine Friedenspfeife rauchen, wir zwei.«
»Das kannst du ruhig machen. Dann knall ich dich ab«, ruf ich ihm noch zu und öffne die Haustür. Das brummige Lachen vom Papa, das kann ich noch hören, als sie schon zurück ins Schloss gefallen ist.
Ich treffe auf einen recht bekümmerten Moratschek, wie ich schließlich und endlich in seinem amtsgerichtlichen Büro ankomm. Und im ersten Moment denke ich, meine minimale Verspätung wär möglicherweise der Auslöser dafür. Weil es mir halt beim besten Willen nicht möglich gewesen ist, innerhalb von seinen geforderten zwanzig Minuten bei ihm aufzuschlagen. Da haben auch Blaulicht und Sirene nicht groß was dran ändern können. Selbst dann nicht, wenn ich kurz vor der Ortsausfahrt von Niederkaltenkirchen nicht zufällig noch auf den Flötzinger gestoßen wär. Doch es sollte sich relativ zügig klären, dass gar nicht meine Person für den richterlichen Trübsinn verantwortlich ist, sondern die Letitia, welche sein Patenkind ist. Aber alles der Reihe nach.
Der Moratschek, der steht hier am Fenster, hat die Arme hinterrücks verschränkt und schaut in die Ferne. Ich soll es mir bequem machen, sagt er gleich nach seinem mürrischen Grußwort. Und dass er meine Hilfe braucht. Dann beginnt er zu erzählen und es ist deutlich, wie schwer ihm die Worte aus der Kehle kratzen.
Es ist erst knappe zwei Wochen her, da hat er noch getanzt mit ihr. Mit seiner Leddi, wie er sein Patenkind liebevoll nennt. Auf ihrer Hochzeit ist das gewesen. Ein rauschendes Fest in einem uralten, kleinen Dorf mitten in Italien. Fast wie im Film ist das gewesen. Sie war glücklich wie noch nie und hat ihren nagelneuen Gatten den ganzen lieben langen Tag angehimmelt, als wär er ein Popstar. Ja, und nun ist sie tot, seine Leddi. Weil sie am dritten Tag ihrer Flitterwochen auf einer Bergtour von irgendeinem Gipfel in den Dolomiten in den Tod gestürzt ist. Mit von der Partie war nur ihr Ehemann und der behauptet nun, dass es ein tragischer Unfall war, und mimt den bis ins Mark erschütterten und untröstlichen Witwer. Und genau das … das kauft er ihm einfach nicht ab, sagt der Moratschek am Ende seines tristen Monologs.
»Warum nicht?«, muss ich hier nachfragen.
»Weil die ganze Sache einfach bis zum Himmel stinkt. Dieser Kerl, das ist ein Betrüger. Ein Scharlatan. Ein Tunichtgut«, entgegnet er, den Blick weiterhin starr aus dem Fenster gerichtet.
»Hat er auch einen Namen?«
»Hat er. Schönberger. Michael. Der schöne Mike.«
»Der schöne Mike. Soso. Haben die Kollegen … also die vor Ort … haben die nicht …«
»Doch, doch. Natürlich haben die kurz ermittelt. Aber das sind Italiener, Eberhofer. Und wenn man vielleicht eines mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit über Italiener sagen kann, dann, dass ihnen die Ehefrau das Heiligste ist. Sie gehen zwar fremd, auf Teufel komm raus. Das weiß ein jeder und es tun wohl auch alle früher oder später. Und dennoch ist ihnen die Ehe irgendwie heilig. Die bringen ihre Gattin nicht einfach mal so um. Erst recht nicht so kurz nach der Hochzeit. Das macht ja im Normalfall auch gar keinen Sinn. Nein, nein, ich glaube, dass er dort unten mit seiner hinterfotzigen, tränenreichen Masche ganz einwandfrei durchgekommen ist, dieser Schönberger. Aber bei mir tut er das nicht. Ich hab dieses Bürschchen nämlich durchschaut. Vom ersten Moment an.«
»Wenn Sie wollen, dass ich ihn auch durchschauen kann, dann bräuchte ich schon noch ein paar mehr Details.«
»Die sollen Sie kriegen«, sagt er und dreht sich nun zu mir um. »Warum zum Geier haben Sie eigentlich Ihre Füße auf meinem Schreibtisch? Sind Sie noch ganz bei Trost, Eberhofer?«
»Sie haben doch gesagt, dass ich’s mir bequem machen soll …«
»Herrschaftszeiten, nehmen Sie Ihre Haxen da runter, und zwar pronto! Und ziehen Sie Ihre Schuhe wieder an. Wir sind doch hier nicht in einem … in einem Meditationskurs«, knurrt er und so tu ich halt wie mir geheißen. Er schüttelt kurz sein richterliches Haupt und erzählt dann nahtlos weiter.
Eigentlich, sagt er, eigentlich hat er sich ja gleich gedacht, dass mit dem Kerl etwas nicht stimmt. Nicht stimmen kann. Gleich wie die Leddi die beiden miteinander bekannt gemacht hat, gleich da ist ihm schon irgendwas Unangenehmes aufgestoßen, dem Moratschek. Allein, wie sie da so gestanden ist, seine kleine Patentochter, unscheinbar und schüchtern neben diesem … diesem Adonis. Regelrecht angebetet hat sie ihn, zu ihm aufgeschaut, um dann mit roten Wangen und glänzenden Augen zu verkünden, dass sie den Bund der Ehe schließen wollen. Und das, wo sie ihn noch keine drei Monate kannte. Keine drei Monate! Das muss man sich mal vorstellen. Da stimmt doch was nicht. Besonders, wo sie ansonsten nämlich keineswegs leichtfertig war.
»Aber jetzt mal ehrlich, Moratschek. Was für einen Grund sollte der schöne Mike denn haben, seine nagelneue Ehefrau von einem Gipfel zu stoßen?«
»Kluge Frage, Eberhofer. Ja, da blitzt jetzt der Gendarm durch, gell? Die berühmte Frage nach dem Tatmotiv. Alibi und Tatmotiv, das ist des Pudels Kern. Und zwar bei jedem Kriminalfall.«
»Momentan haben wir keinen Kriminalfall, Moratschek. Sondern nur eine vom Berg geplumpste Patentochter.«
»Wenn Sie weiterhin aufmerksam zuhören, dann haben Sie innerhalb von dreißig Sekunden einen astreinen Kriminalfall.«
»Nur zu«, fordere ich ihn auf, und weil er sich jetzt dem Fenster zuwendet, leg ich meine Füße wieder auf den Schreibtisch.
»Die Leddi, die ist … war ein liebes Mädel. Sie hätte keine Schönheitswettbewerbe gewonnen, aber sie hat nett ausgesehen. Sie war Apothekerin und hat ein gutes Geld verdient. Aber deswegen bringt man noch niemanden um, denken Sie jetzt. Ja, ich kann Ihre Gedanken lesen und weiß auch, wenn Sie Ihre Haxen wieder auf den Schreibtisch legen. Selbst wenn Sie’s noch so geräuschlos machen. Aber wenn Sie sich dabei besser konzentrieren können, dann sei’s so. Jetzt passen Sie auf, wir kommen auf die Zielgerade, und das Tatmotiv ist keine drei Atemzüge mehr weit entfernt. Es ist nämlich so, dass die Eltern von der Letitia vor zweieinhalb Jahren ums Leben gekommen sind. Und ihrer Tochter, ihrem einzigen Kind, ein kleines Vermögen hinterlassen haben. Zwei Mietshäuser in bester Lage in Augsburg und eines in München. Allein von diesen monatlichen Einnahmen könnte eine kleine Familie problemlos ein ganzes Jahr lang gut durchkommen. Wenn man die Immobilien verkauft, dann dürfte man ausgesorgt haben.«
»Was macht er selber denn eigentlich beruflich, der schöne Mike?«, will ich nach einer kurzen Denkpause wissen.
»Er hat einen Campingplatz. Irgendwo zwischen Landshut und Freising. Das ist auch so eine halbseidene Geschichte. Campingplatzbetreiber. Das ist doch kein Beruf, Menschenskind.«
»Wie haben sich die beiden denn eigentlich kennengelernt?«
»In ihrer Apotheke. Sie hat dort gearbeitet und er hatte einfach eine gottverdammte Grippe. Von all den unzähligen Apotheken in unserem Lande, da musste er ausgerechnet in die ihrige kommen. Dabei wohnt er noch nicht mal dort ums Eck. Sondern ist mit dem Auto einfach zufällig vorbeigefahren. Schicksal hat die Leddi das genannt. Na ja, am Ende … am Ende war es das ja auch«, sagt er, macht eine kleine Pause und wischt sich mit dem Taschentuch über die Augen. »Es war Liebe auf den ersten Blick, hat sie gesagt, und ist wohl seit diesem Blick auch nicht mehr von ihrer Wolke sieben heruntergekommen. Jedenfalls hat er dann ziemlich holterdiepolter seine langjährige Partnerin verlassen und der Leddi einen Antrag gemacht, so schnell konnte man gar nicht schauen. Alles sehr übereilt und, wenn Sie mich fragen, auch mysteriös.«
»Sie sehen das jetzt natürlich nicht besonders objektiv, Moratschek«, muss ich hier einwenden.
»Natürlich nicht, was denken Sie denn? Mit Leddis Vater war ich schon im Kindergarten und sie war mein Patenkind. Ich kenn sie seit ihrer Geburt. Ich war mit an ihrem ersten Schultag und hab ihr zum bestandenen Abi meinen alten Toyota geschenkt. Gut, eigentlich war es der von meiner Frau. Aber nachdem die zweimal innerhalb nur einer Woche gegen unsere Garagenmauer gedonnert ist, da hab ich ihr dann lieber eine Jahreskarte für den Bus gekauft und fertig.«
»Verstehe.«
»Was genau verstehen Sie? Das mit der Buskarte oder dass ich mit der Leddi so eng war.«
»Beides.«
»Ja, wir waren sehr eng, wir beide. Und grad nach dem furchtbaren Unfall, wo ihre Eltern ums Leben gekommen sind, da sind wir zwei noch ein bisschen enger geworden. Mein Gott, was ist sie oft unbeholfen und scheu gewesen. Aber sie war auch fleißig und ehrlich und lieb. Und … und das ist jetzt entscheidend, sie war ungeheuer unsportlich. Vielleicht sogar der unsportlichste Mensch, den ich je kannte. Außer mir selber und Ihnen natürlich, lieber Eberhofer. Ja, und da kommt dann plötzlich so ein … so ein Traummann und eine Sportskanone vor dem Herrn, heiratet sie vom Fleck weg und schleppt sie drei Tage später einen verdammten Berg hinauf? Wo sie abstürzt und stirbt? Und das, obwohl sie jegliche Art von Risiko stets wie die Pest gemieden hat? Ich glaub, das Gefährlichste, was sie in sportlicher Hinsicht jemals gemacht hat, war eine Runde Minigolf. Ja, verdammt noch mal, da kann man doch gar nichts mehr objektiv sehen, Eberhofer. Beim besten Willen nicht. Schalten Sie doch mal Ihr Hirn ein, wenn Sie es noch nicht komplett versoffen haben.«
»Jetzt aber nicht persönlich werden, gell. Vielleicht nehmen Sie lieber eine Prise Schnupftabak, bevor Sie hier noch mit Akten schmeißen.«
»Ja, ja, entschuldigen Sie«, knurrt er und kramt ungeschickt sein Döschen aus dem Sakko. »Aber da muss einem doch der Gaul durchgehen.« Er verteilt zwei große Haufen. Zunächst auf dem Handrücken und dann in seine Nasenlöcher und wirkt gleich wieder deutlich entspannter.
»Also, um es kurz zusammenzufassen, Moratschek. Sie glauben, der schöne Mike, der hat die Leddi nur wegen ihrem Vermögen geheiratet. Um sie dann am dritten Tag ihrer Flitterwochen von einem Berg runterzuschubsen, damit er alles erbt. Ist das so weit korrekt?«
»Korrekter geht’s nicht«, nickt er zu mir rüber und schaut jetzt auch ziemlich zufrieden aus. Ich zieh ein Packerl Tempos aus der Jackentasche, wink damit kurz und werf’s ihm zu. Er versteht die Botschaft sofort, fischt ein Taschentuch heraus und entfernt die Gletscherprise-Krümel, die noch an seiner Nase kleben. Dann spricht er weiter. Leise, fast tonlos.
»Er … er ist bei mir gewesen, dieser Adonis. Gestern Abend … da ist er plötzlich auf meinem Fußabstreifer gestanden und hat sich … hat sich dann an meine Schulter geschmissen. Können Sie sich das vorstellen? Was für eine Dreistigkeit. Hat sich an meine Schulter geschmissen und hat geweint wie ein kleines Kind. Ich hab ihn einfach stehen lassen. Meine Frau war es, die ihn letztendlich doch hereingebeten hat. Ich bin dann weg. Bin vis-à-vis rüber ins Wirtshaus und hab dort bestimmt eine ganze Flasche Rotwein getrunken. Vielleicht war’s sogar mehr. Er war jedenfalls wieder weg, wie ich schließlich heimgekommen bin.«
Jetzt dreht er sich langsam wieder vom Fenster weg und so nehm ich lieber mal und ebenso langsam meine Füße vom Schreibtisch. Ich weiß genau, was jetzt folgt.
»Und nun, Eberhofer, nun kommen Sie auf den Plan.«
Bingo!
»Aha«, sag ich, weil mir weiter nix einfällt.
»Erstens sind Sie Polizist. Und zweitens, und ich kann Ihnen noch nicht einmal sagen, warum, hab ich irgendwie einen Narren an Ihnen gefressen, obwohl Sie ganz zweifelsohne einen an der Waffel haben. Doch ganz egal wie unkonventionell Ihre Ermittlungsmethoden auch sein mögen, der Erfolg gibt Ihnen jedes Mal recht. Also ziehen Sie verdammt noch mal los und verhaften Sie dieses Arschloch. Bitte! Damit können Sie mich wieder zu einem glücklichen Menschen machen.«
»So gern ich Sie auch zu einem glücklichen Menschen machen tät, Moratschek, trotzdem kann ich jetzt nicht einfach so mir nix, dir nix auf seinen beschissenen Campingplatz fahren und den schönen Mike mal so grundlos verhaften. Das wissen Sie genau.«
»Dann finden Sie einen Grund. Lassen Sie sich was einfallen oder prügeln Sie das Geständnis meinetwegen auch aus ihm raus. Das ist alles fein. Nur sorgen Sie dafür, dass er hinter Gitter kommt. Außerdem, und das muss man so sagen, haben Sie doch schon ganz andere Fälle gelöst. Sogar Fälle, wo gar keiner geglaubt hat, dass es überhaupt Fälle sind. Erinnern wir uns nur an diesen dubiosen Dreifachmord dort in Ihrem Kaff vor etlichen Jahren«, sagt er weiter und ist jetzt richtig in Fahrt gekommen.
»Trotzdem hab ich keine Ahnung, wie Sie sich das vorstellen«, sag ich jetzt mehr zu mir selber und schüttle den Kopf.
»Ja, ich hab auch keine Ahnung. Und zweimal keine Ahnung ist doppelt scheiße. Dennoch gibt’s für alles eine Lösung. Also, wie gesagt, lassen Sie sich was einfallen. Und zwar hurtig. Ich zähl auf Sie. So, und jetzt müssen Sie los, weil ich in fünf Minuten eine Verhandlung hab und zuvor noch einen Haufen absetzen muss. Habe die Ehre, Eberhofer. Und nicht vergessen: oberste Priorität! Bleiben Sie mir da dran, gell«, sagt er und hat mich somit quasi auch schon zur Tür rausgeschoben.
Auf dem Weg zum Streifenwagen zurück, da geht mir diese ganze Geschichte noch einmal so durch den Kopf. Jede winzige Kleinigkeit. Was glaubt der eigentlich, der Moratschek? Ich kann ja schlecht auf diesen Campingplatz fahren und sagen: Schönberger, ich verhafte Sie jetzt, weil der Moratschek denkt, dass Sie sein geliebtes Patenkind von einem Berg in den Dolomiten runtergeschubst haben, um sich das Vermögen unter den Nagel zu reißen. Nein, so geht das nicht. Und er weiß das freilich haargenau, immerhin ist er ja nicht blöd und ein Richter obendrein. Nichtsdestotrotz muss ich ihm schon irgendwie recht geben. Diese Angelegenheit ist in der Tat höchst seltsam und stinkt bis zum Himmel. Und sagen wir einmal so: Wenn der Moratschek richtigliegt mit seinen Spekulationen, dann muss dieser Kerl in den Knast, keine Frage.
Jetzt bin ich ja zugegebenermaßen eigentlich kein vom Ehrgeiz zerfressener Polizist und lauf auch nicht hechelnderweise jeder Arbeit hinterher. Doch aus diversen Gründen heraus muss ich schon gestehen, dass ich nun ziemlich angefixt bin. Erstens darf so ein Mörder, immer schön vorausgesetzt, er ist es tatsächlich, natürlich nicht frei rumlaufen. Möglicherweise schlägt er ja ein weiteres Mal zu und mutiert gar zum Serienkiller. Also quasi frei nach dem Motto: Wer einmal Blut geleckt hat … Genau. Zweitens kann ich so sportliche und gut aussehende Männer eh nicht gut ausstehen. Schon rein generell nicht. Drittens könnte ich bei der Susi endlich wieder mal punkten und ihr deutlich machen, dass es wohl doch mein Job ist, der wo wichtiger ist. Viertens würde ich auch unseren ehrenwerten Richter zu einem glücklichen Menschen machen, wie wir bereits wissen. Und zu guter Letzt würde ich auch den Birkenberger Rudi wieder einmal sehen. Ist ja auch schon ein gutes Weilchen her, wenn ich so nachdenk. Mit der Überzeugungskraft all dieser Gründe krame ich mein Telefon aus der Jacke, ehe ich ins Auto steige.
Keine zehn Sekunden später dröhnt es mir schon entgegen: »Franz, gut, dass du anrufst. Kannst du mir vielleicht ein bisschen Geld leihen.« Das halte ich doch für eine eher seltsame Art der Begrüßung. Grad wenn zuvor fast zwei Jahre lang Funkstille geherrscht hat.
»Wieso? Laufen die Geschäfte nicht mehr so gut?«, frag ich und starte den Motor.
»Nein, Franz, überhaupt nicht. Es ist praktisch fast wie verhext. Das kannst du dir nicht vorstellen. Die Leute, die sparen, wo es nur geht. Kaum noch einer lässt seine Ehefrau beschatten oder meinetwegen auch den Gatten. Firmenspionage: Fehlanzeige, gefakte Krankmeldungen: Fehlanzeige. Ich könnte die Liste noch ewig fortsetzen, es läuft immer aufs Gleiche heraus: alles Fehlanzeige, verstehst? Privatdetektive sind eine aussterbende Spezies, befürchte ich. Also, wie schaut’s aus? Kannst du mir jetzt was leihen oder nicht?«
»Ja, wie viel brauchst denn?«
»Zweitausend oder drei …«, kommt es nun eher zaghaft retour.
»Euro?«
»Ja, natürlich Euro, du Spinner. Oder denkst du, ich kann hier mit Lire bezahlen?«
»Rudi, das ist verdammt viel Geld. Das hab ich nicht einfach mal so im Hosensack.«
»Das ist auch gar nicht notwendig, du kannst es prima überweisen. Eine Blitzüberweisung wär allerdings super.«
»Sehr witzig.«
»Nein, ist es nicht. Es ist sogar alles andere als witzig, Franz. Ich hab diesen Monat noch keine Miete bezahlt und heute ist der Zwanzigste. Was heißen will, dass in zehn Tagen bereits die nächste fällig ist. Mein Auto hab ich schon vor Wochen verkauft und außer ein paar Scheiben Toastbrot und einem halben Glas Erdnussbutter ist nix mehr zum Essen da. So schaut’s aus, wenn du’s genau wissen willst.«
»So ein Erdnussbuttertoast ist aber schon etwas Feines.«
»Das mag sein, immer vorausgesetzt, dass man keine Allergie gegen Nüsse hat.«
»Du hast eine Allergie gegen Nüsse?«, muss ich hier nachfragen, weil mir das vollkommen unbekannt ist.
»Wahrscheinlich schon. Jedenfalls kratzt mir immer der Hals, wenn ich sie esse, diese Erdnussbutter.«
»Aber wieso kaufst du sie dann?«
»Ich hab sie nicht gekauft, sie ist noch von meinem Vormieter da.«
»Rudi, wie lange wohnst du jetzt schon dort? Fünf Jahre?«
»Fünfeinhalb.«
»Du hast seit fünfeinhalb Jahren ein halbes Glas Erdnussbutter, das noch von deinem Vormieter ist? Warum?«
»Hab ich für schlechte Zeiten aufgehoben. Und momentan sind die Zeiten eben schlecht. Zumindest bei mir. Oder glaubst du ernsthaft, dass ich dich anpumpen würd, weil ich mir eine Rolex kaufen will?«
»Die kriegt man auch gar nicht für zwei- oder dreitausend Euro«, muss ich hier loswerden.
»Franz, ich werde dieses Gespräch jetzt beenden.«
»Wieso? Geht doch auf meine Rechnung.«
»Ha! Das war ja klar, dass nun so was noch kommt. Ich werde dieses Gespräch jetzt beenden, weil es mich demütigt. Weil DU mich demütigst. Weil ich meinen besten Freund um Geld anflehe …«
»Ich bin dein einziger Freund, Rudi«, muss ich ihn hier kurz unterbrechen. Nur der Richtigkeit halber.
»Bist du nicht!«
»Doch.«
»Also, dann muss ich eben meinen einzigen Freund anflehen, was ohnehin schon schlimm genug ist und mich in den Tiefen meiner Menschenwürde verletzt.«
»Jetzt halt mal den Ball flach und werd nicht dramatisch, Rudi. Du kriegst die Kohle und nun entspann dich.«
»Wann?«
»Mei, keine Ahnung. Die nächsten Tage halt.«
»Vor oder nach meinem Hungertod?«
»Also gut. Morgen früh. Morgen früh komm ich nach München gesaust, lad dich zum Mittagessen ein, mach dir den Kühlschrank voll und zahl deine depperte Miete.«
»Wirklich?«
»Wirklich. Alles natürlich gegen einen Schuldschein.«
»Gegen einen Schuldschein? Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Denkst du, ich würde dir das nicht zurückzahlen wollen?«
»Wenn du es eh zurückzahlen willst, dann kannst du doch auch ohne Bauchweh diesen blöden Schuldschein quittieren, oder nicht? Also, was ist jetzt, Deal oder nicht?«
»Deal«, kommt es einen tiefen Atemzug später ein bisschen trotzig durch die Muschel.
»Prima, so machen wir das. Dafür hältst du aber die nächsten zehn Minuten lang deine Klappe, verstanden? Hältst die Klappe und hörst mir ganz genau zu. Wär nämlich gut möglich, dass wir zwei grad einen neuen Fall an der Backe haben.«
»Okay, schieß los«, sagt er noch und so schieß ich halt los.
Kaum hab ich das Gespräch mit dem Rudi beendet, ist die Susi an der Strippe. Genauer gesagt hat sie schon zuvor ein paar Mal angerufen, aber wie gesagt, da hatte ich ja ein anderes Telefonat in der Leitung und selbst mir ist es nicht möglich, zwei Telefongespräche gleichzeitig zu führen.
»Ja, Susi, was gibt’s?«, sag ich jetzt in den Hörer.
»Es ist inzwischen das fünfte Mal, dass ich anruf«, zischt sie mit ihrer Bürgermeisterinnen-Stimme.
»Ich weiß.«
»Warum gehst du dann nicht ran oder rufst zurück?«
»Weil du einfach schneller warst, Susi-Maus. Ich hätte dich bestimmt gleich …«
»Ja, bestimmt«, unterbricht sie mich prompt. »Der Paul ist allein zu Hause.«
»Nein, ist er nicht. Der Papa ist da und die Oma, auch wenn sie flachliegt. Und die Panida und die Sushi, die sind ebenfalls …«
»Aber keiner von denen ist dazu abgeordnet, ein Babysitter für den Paul zu sein.«
»Stopp, Madam«, muss ich hier aber entschieden dazwischengrätschen, und nun ist es die Polizisten-Stimme, die aus mir spricht. »Ich bin auch nicht als Babysitter abgeordnet, verstanden. Ich hab nämlich ebenfalls einen Beruf und den hatte ich lange vor dir und dem Paul. Und auch vor deiner … deiner lächerlichen Karriere. Was denkst du eigentlich, wer du bist? So, und nun hab ich zufällig einen Mord aufzuklären. Also sei so gut und regiere dein restliches Volk und lass mich gefälligst zufrieden mit deinem Käse.«
»Ha!«, hör ich jetzt nur noch knapp, dann ist es mucksmäuschenstill in der Leitung.
»Bist du noch dran, Susi?«, frag ich deswegen nach.
»Weißt du, was du bist, Franz? Du bist einfach nur ein ganz gemeiner Arsch, genau das bist du. Und ehrlich gesagt frage ich mich wieder einmal, was ich eigentlich an dir finde. Wenn ich so nachdenke, dann fällt mir eigentlich nicht wirklich was ein. Aber gut, lassen wir das. Ich hab heut noch einen langen Arbeitstag, es wird spät.«
»Du hast seltsamerweise ständig lange Arbeitstage. Wenn ich da so an deinen Vorgänger denke, dann hat der die allermeiste Zeit über Solitär gespielt oder blöde Golfbälle auf seiner Puttingmatte hin und her geschubst.«
»Vielleicht ist er ja auch genau aus diesem Grund heraus inzwischen mein Vorgänger und kein Bürgermeister mehr. Hast du da schon mal drüber nachgedacht? Jedenfalls wird’s bei mir eben leider wieder später und da müsste vielleicht jemand von euch heut bitte schön noch einmal so gut sein und den Paul abfüttern und ins Bett bringen. Ich schaffe es einfach beim besten Willen nicht. Ach ja, und es wär übrigens ganz prima, wenn du dir am Wochenende einmal eine Stunde für mich Zeit nehmen könntest.«
»Ich für dich? Du bist es ja, die nie da ist.«
»Eine Stunde, Franz.«
»Zum Schnackseln?«, frag ich ein bisschen versöhnlich und insgeheim freu ich mich schon.
»Nein, Franz, nicht zum Schnackseln. Sondern vielmehr, um unsere aktuelle Lebenssituation zu besprechen. Unsere Zukunft, verstehst. Und ob es überhaupt eine gemeinsame gibt. Denn so … so kann es ja wohl nicht weitergehen. Sagst halt einfach Bescheid, wann es dir passt, gell. Und jetzt, servus.«
»Susi …? Susi …?«
Aufgelegt. Miststück.
Unsere aktuelle Lebenssituation will sie besprechen. Hat die einen Pecker, oder was? Die bräuchte doch einfach nur genauso sein, wie sie früher war, dann wär’s völlig geschmeidig und es gäb überhaupt nichts zu besprechen. Nicht das Geringste. War doch alles einwandfrei entspannt die ganzen letzten Jahre lang. Aber ehrlich, seit sie nun Bürgermeisterin ist, da ist sie quasi völlig mutiert und hat sich komplett verändert. Grad so, wie wenn ein anderer in sie hineingeschlüpft wär. Vielleicht eine Art Poltergeist oder so was in der Art. Ja, das sind so meine Gedanken, wie ich jetzt in unseren Hof reinfahr.
Das Wohnzimmer ist leer, der Computer verwaist und auch auf mein mehrfaches Rufen hin bleibt das Haus stumm und still. Dann wird er wohl drüben sein, der Paul. Drüben im alten Wohnhaus beim Papa und bei der Oma. Und genau wie vermutet kann ich ihn dort schließlich auch finden. Da hockt er nämlich gemütlich im Schneidersitz der Oma gegenüber. Um genau zu sein, in ihrem Bett, wo sie neuerdings die allermeiste Zeit verbringt. Ja, unser altes Mädchen, es funktioniert einfach nicht mehr so richtig. Ist oft müde, schwach und erschöpft, was aber in ihrem Alter wohl auch mehr als legitim sein dürfte. Der Paul ist oft hier oben bei ihr und beide scheinen das sehr zu genießen. Heute ist es offensichtlich ein Kartenspiel, mit dem sie sich die Zeit vertreiben. Bei genauerer Betrachtung ein Quartett, wo es um Motorräder geht. Davon hat die Oma zwar ungefähr die gleiche Ahnung wie der Papst von einem Swingerclub, aber darum geht es auch gar nicht. Vielmehr geht es darum, dass die beiden einfach eine gute Zeit zusammen verbringen.
»Umdrehungen dreitausendfünfhundert«, sagt die Oma ziemlich laut, weil sie denkt, alle hätten so schlechte Ohren wie sie.
»Siebentausend«, triumphiert der Paul nun in etwa derselben Lautstärke und streckt ihr erwartungsfroh die kleine Hand entgegen. Ein bisschen mürrisch rückt sie noch ihre Karte heraus, ehe sie meine Anwesenheit notiert.
»Franz, hast etwa schon Feierabend?«, will sie dann zuerst einmal wissen, und so nicke ich kurz.
»Ja«, sag ich und geh rüber zum Bett. »Spielts ein Quartett, ihr zwei?«
»Ja, das ist noch ein altes«, antwortet der Paul, ist aufgesprungen und strahlt mich an. »Beim Quartett, da kann sie wenigstens nicht bescheißen, die Oma. Schau mal, Papa, wie alt das ist. Da sind noch D-Mark-Preise drauf. Das ist doch bestimmt noch von euch, wie ihr klein wart. Du und der Onkel Leopold. Damit habt ihr früher auch immer gespielt, oder?«
Ich nehm ihm mal seinen Stapel aus der Hand. Tatsächlich, D-Mark-Preise. Und jede Menge Kabaflecken.
»Nein«, sag ich und geb ihm seine Karten zurück. »Mit dem Onkel Leopold, da hab ich nur einmal Karten gespielt und danach nie mehr wieder. Im Leben nicht. Der hat nämlich immer gewinnen müssen. Wenn er nicht gewonnen hat, dann hat er einen ausgewachsenen Nervenzusammenbruch gekriegt und das halbe Dorf zusammengebrüllt, die alte Heulsuse.«
»Was erzählst du denn dem Kind für Geschichten?«, können wir nun plötzlich den Leopold höchstselbst aus dem Türrahmen raus vernehmen. Er muss sich herangerobbt haben. Die alten Holzdielen, die ansonsten jeden Schritt verraten, haben seine aktuelle Ankunft jedenfalls nicht vorhergesagt.
»Glaub ihm bloß kein einziges Wort, deinem Papa. Es war nämlich genau umgekehrt. Wenn einer nicht verlieren hat können, dann ist er es gewesen. Einmal, da hat er mir sogar einen Kugelschreiber in den Kopf gerammt, weil er verloren hat. Ich hab mit drei Stichen genäht werden müssen. So schaut’s aus. Diese Schmerzen werde ich niemals vergessen. Und das ist die Wahrheit, Paulchen.«
»Paul«, sagt der Paul.
»Ja, meinetwegen auch Paul. Glauben darfst du es trotzdem. Wenn ich mal so genauer nachdenke, dann muss ich ohnehin sagen, dass er immer ziemlich fies war zu mir. Obwohl ich ihn mit meiner brüderlichen Liebe quasi überschüttet habe«, erzählt die alte Schleimsau nun weiter. »Ich glaub sogar, dass er mich als Kind nie richtig hat ausstehen können.«
»Das tut er bis heute nicht, Paul«, muss ich hier der Vollständigkeit halber noch erwähnen. »Weswegen bist du eigentlich gekommen, Leopold?«
»Ach ja, genau. Ich hab euch grad das Abendessen rübergebracht, das die Panida gekocht hat. Ihr solltet es essen, ehe es kalt wird.«
»Lass mich raten, Leopold. Hühnchen mit Reis und Gemüse? Oder Reis und Gemüse mit Hühnchen?«
»Was für ein erbärmlich undankbarer Tropf du doch bist, Franz! Und wie hämisch obendrein. Irgendwie hab ich sogar das Gefühl, es wird immer schlimmer mit dir. Es wird immer schlimmer, seit die Susi die Frau Bürgermeister ist und du immer noch das kleine Würstchen bei der Bayrischen Polizei. Ganz abgesehen davon ist die thailändische Küche nicht nur schmackhaft, sondern auch bekömmlich und gesund. Und du solltest dankbar sein, dass sie überhaupt für euch mitkocht, die Panida. So, Oma, soll ich dich runterbringen?«
»Nein, sollst du nicht. Ich bring die Oma runter. Und jetzt Abflug hier und schau besser, dass du die Treppe selber runterkommst, eh ich dich schubs«, entgegne ich noch. Anschließend helf ich der Oma zuerst aus den Federn heraus und dann in ihren Hausmantel hinein. Hock sie in der Diele draußen in ihren Treppenlift, den wir neuerdings haben, und nehm sie unten wieder in Empfang.
Nach dem Hühnchen mit Reis und Gemüse machen wir dasselbe Spielchen, nur in umgekehrter Reihenfolge und mit einem kleinen Zwischenstopp im Bad. Danach bring ich auch das Paulchen ins Bett. Wenn er es selber nicht hören kann, dann darf man ihn übrigens noch völlig entspannt Paulchen nennen.
Kaum lieg ich endlich in T-Shirt und Unterhose auf dem Sofa und hab die Fernbedienung in Beschlag, da läutet mein Telefon und der Wolfi ist dran. Und das ist jetzt ausgesprochen seltsam, weil er mich sonst nie anruft. Höchstens mal zum Geburtstag. Aber auch da eher nicht, weil ich an den meisten meiner Geburtstage ja eh bei ihm im Wirtshaus rumhäng.
»Wolfi, was gibt’s?«, frag ich genau in dem Moment, wo im Fernseher zwei ältere Mädels Yoga machen und eine davon Angst hat, sich in die Hose zu bieseln, während ihr die andere rät, es doch einfach ganz entspannt laufen zu lassen. Diese Sorte von Werbung kommt inzwischen relativ häufig und immer um die gleiche Urzeit. Und genau genommen ist das gar nicht so schlecht, denn dadurch werde ich praktisch nicht fett. Weil es mich nämlich jedes Mal so dermaßen herwürgt dabei, dass mir quasi jegliche Gelüste auf irgendwelche Naschereien komplett vergehen. Eigentlich kein Wunder, wenn da manch einer schwul wird. Und mal angenommen, die Susi, die ist später auch mal nicht mehr ganz dicht, dann kommt sie weg. Nein, das würde ich echt nicht ertragen.
»Hörst du mir eigentlich zu, Franz?«, reißt mich der Wolfi nun aus meinen Gedanken heraus. »Ich hab dich gefragt, wann du endlich kommst.«
»Warum sollte ich kommen? Wir haben doch gar nichts ausgemacht?«
»Stimmt, mit mir hast du nix ausgemacht, aber wohl mit dem Flötzinger. Jedenfalls hockt der hier seit über einer Stunde am Tresen, heult in sein Bierglas und behauptet, er wartet auf dich.«
»Stimmt. Hab ich ganz vergessen.«
»Es geht ihm echt hundsmiserabel. Seine Mary … die heiratet wieder.«
»Ich weiß. Hat er mir heut Mittag schon kurz erzählt.«
»Ich weiß. Hat er mir soeben erzählt.«
»Ja, scheiße! Aber ich kann jetzt nicht weg hier, weil die Susi nicht da ist.«
»Das hab ich mir schon gedacht, dass sie nicht da ist.«
»Bist du ein Hellseher, oder was?«
»Das nicht. Aber sie kann gar nicht da sein, also bei dir sozusagen. Weil sie nämlich bei mir ist«, erklärt er mir nun. Allerhand.
»Sie ist bei dir im Wirtshaus, die Susi?«
»In voller Montur.«
»Mit wem?«
»Mei, eine davon ist diese Sonderbare, die auch auf der Gemeinde arbeitet. Weißt schon, dieses Flintenweib, wo man immer das Gefühl hat, dass man gleich salutieren muss …«
»Die Jutta?«
»Genau, die Jutta. Ja, und die zwei anderen … die kenn ich nicht. So ein Kerl im Anzug ist dabei, der jede Menge Pläne hier angeschleppt hat, und noch einer im Karohemd mit Schnauzbart und einem Ohrring. Sie sitzen da, trinken Wasser und reden wohl über den Umbau vom Kindergarten oder so was in der Art.«
»Wer ist sonst noch da? Irgendwelche anderen Gäste?«, will ich hier wissen.
»Außer dem Flötzinger, meinst du?«
»Ja.«
»Niemand.«
»So, Wolfi«, sag ich, während ich wieder in meine Jeans zurückschlüpf. »Dann schmeiß die Susi samt ihrer Truppe jetzt raus. Sagst halt einfach, dass du jetzt zusperrst und dann bin ich zehn Minuten später praktisch schon da.«
»Wie stellst du dir das vor? Wie, bitte schön, soll ich das machen, Franz? Ich kann doch nicht einfach meine Gäste vor die Tür setzen.«
»Ja, keine Ahnung. Musst dir halt was einfallen lassen. Sagst meinetwegen, dass deine Oma im Sterben liegt, oder so was.«
»Du hast sie doch nicht mehr alle«, schnaubt er jetzt durch die Muschel.
»Der Flötzinger, der hat Depressionen und ich hab Lust auf ein Bier. Da wirst du das doch wohl hinkriegen für die zwei besten Gäste, die du jemals hattest, oder etwa nicht?«
»Ja, von mir aus. Ach, leck mich am Arsch«, sagt er noch, dann hängt er mir ein.
Ein paar Minuten später, grad wie ich mir die Schuhe zubind, da schleicht sich plötzlich der Paul ins Wohnzimmer. Bleibt dann im Schlafanzug und barfuß neben der Anrichte stehen, hat seinen Kuschel-Tiger unter dem Arm und blickt zu mir rüber.