Zwetschgendatschikomplott - Rita Falk - E-Book + Hörbuch
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Rita Falk

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Beschreibung

Umbracht is' Der Rudi zieht ins Schlachthofviertel und staunt, als ihm eine riesige Krähe einen abgetrennten Frauenfinger zu Füßen legt. In ihrem sechsten Fall ermitteln der Eberhofer und der Rudi im Münchner Rotlichtmilieu – denn der Finger gehörte einer ermordeten Prostituierten. Während der Wiesn sterben weitere Frauen durch eine rätselhafte Mordwaffe …

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Über das Buch

Zuerst war da dieser Damenfinger im Schnabel einer Krähe. Zu dem Finger gehörte dann die Dirndl-Leiche im Schlachthof-Container. Und jetzt liegen zwei junge tote Dirndlträgerinnen im Neubaugebiet Freiham. Ein Mordsstress ist das in der Löwengrube. Und das ist noch nicht alles. Nur noch mal so zur Erinnerung: Da haben wir also Burschenabschied gefeiert in Niederkaltenkirchen mit dem Simmerl, dem Flötzinger und dem Wolfi. Und irgendwie hab ich mich sogar ein bisserl gefreut auf die Hochzeit mit der Susi. Jetzt ist es natürlich verdammt schade, dass ich die dann ausgerechnet verschlafen habe. Die Susi war zuerst stocksauer und dann auch ziemlich schnell auf und davon mit diesem Lamborghini-Deppen. Himmelherrgottnochmal, wie soll man sich denn da auf diese Wiesnmorde konzentrieren, wenn's privat gerade Kuhfladen schneit?

Rita Falk

Zwetschgendatschikomplott

Ein Provinzkrimi

Kapitel 1

Der Birkenberger Rudi ist jetzt umgezogen. Von seiner eher charmefreien Wohnblocksiedlung am Stadtrand ausgerechnet ins Münchner Schlachthofviertel. Hört sich ekelig an? Ist es auch. Aber der Rudi sagt, es ist DIE neue Ecke in unserer wunderbaren Landeshauptstadt. Total angesagt. Der volle Hype quasi. Alles, was Rang und Namen hat, will dort jetzt hin. Und dass es fast schon so was wie ein Sechser im Lotto ist, wenn man da überhaupt eine bezahlbare Wohnung kriegt. Noch dazu eine mit Balkon. Und die hat er jetzt. Ist zwar Nordseite, aber scheiß drauf, hat der Rudi gesagt. Bis mittags hat er da trotzdem irgendwie Sonne, erst ab zwölf ist sie weg. Und bis dahin ist er längst fertig mit Caffè Latte in der Natur. Seit sechs Wochen wohnt er nun dort, ich hab ihm beim Umzug geholfen, frag nicht! Obwohl er kaum was an Möbeln hat, war das das pure Chaos. Einfach, weil er all seine Habseligkeiten in Plastiktüten verpackt hat. Kein einziger Karton, alles Plastik. Wir sind dahergekommen wie zwei Araber auf dem Weg zum Pfandhaus. Und dann hat er sich auch noch vom Blumenladen ums Eck einen Transporter ausgeliehen. Um es auf den Punkt zu bringen, so eine Vespa Ape, also so ein Teil mit nur drei Rädern und ohne richtiges Lenkrad, dafür aber in Hellblau mit jeder Menge Blumenprints drauf und der Aufschrift »FlowerPower«. Der Rudi ist relativ mittig gesessen und hat das Vehikel gelenkt. Und weil’s logischerweise ziemlich eng ist da drinnen, hab ich meinen Kopf an seine Schulter legen müssen. Genau genommen haben wir ausgesehen wie zwei schwule Araber auf dem Weg zum Pfandhaus. Aber wurst.

Jedenfalls residiert er in seinem neuen Domizil, das er sowieso einzig und allein seinem Beruf zu verdanken hat. Weil er nämlich in seiner Tätigkeit als Privatdetektiv von einem Geschäftsmann beauftragt wurde, dessen Kompagnon zu überwachen, weil Ersterer vermutet hat, dass er von Zweiterem beschissen wird. Was der Rudi dann auch tatsächlich ziemlich schnell und ganz klar bestätigen konnte. Leider hatte aber Zweiterer den Ersten so dermaßen beschissen, dass dieser im Nullkommanix pleite war und deshalb den armen Birkenberger nicht mehr auszahlen konnte. Glücklicherweise aber war er wenigstens noch im Besitz von eben dieser Wohnung. Und dadurch kann der Rudi jetzt relativ günstig darin wohnen, so lange wie er mag. Und obendrein kann er morgens mit seinem Latte auf dem wunderbaren Nordbalkon hocken, die Zeitung lesen oder die Krähen beobachten, was er übrigens mit wachsender Begeisterung tut. Ich persönlich kann diese Leidenschaft nicht teilen. Nicht im Geringsten. Doch der Rudi kann stundenlang dabei zuschauen, wie sich diese Viecher aus dem Container mit den Fleischabfällen kulinarisch versorgen und dabei ganz ekelhafte Krächzgeräusche von sich geben. Das aber nur so am Rande, und wie auf Kommando läutet jetzt prompt mein Telefon und der Rudi ist dran.

 

»Eberhofer«, melde ich mich noch ein wenig verschlafen. Gestern ist es nämlich ziemlich spät geworden beim Wolfi. Und wenn uns dieser blöde Wirt nicht irgendwann rausgeschmissen hätte, dann würden wir wohl immer noch drinhocken, der Flötzinger, der Simmerl und ich. Wir haben Musik gehört und Bier getrunken und ein bisserl über die Weiber gelästert. Aber nur ein ganz kleines bisserl. Und der Wolfi hat Gläser poliert und die Augen verdreht. Wie immer halt.

»Franz! Du glaubst nicht, was auf meinem Balkongeländer hockt«, hör ich den Rudi jetzt durchs Telefon schnaufen.

»Nicht?«, sag ich leicht heiser, räuspere mich und setz mich dann erst mal im Bett auf. Der Ludwig liegt direkt davor auf dem Boden und deswegen steig ich ihm versehentlich auf eine der Pfoten. Ganz vorwurfsvoll schaut er mich an, zieht beleidigt den Schwanz ein und humpelt in die Ecke.

»Sorry, Ludwig«, murmle ich so mehr vor mich hin.

»Sag einmal, Franz, hörst du mir eigentlich zu?«

»Nein, keine Ahnung, Rudi, wer auf deinem Balkongeländer hockt. Das Naabtal Duo?«

»Sehr witzig, Eberhofer. Nein, heute ist es ausnahmsweise einmal nicht das Naabtal Duo, sondern eine Krähe.«

»Es hocken doch ständig irgendwelche Vögel auf deinem Geländer. Das magst du doch so.«

Ich hab nur einen Socken an und kann den zweiten ums Verrecken nicht finden. Schau ins Bett und drunter, schieb den Teppich beiseite, aber nix. Weil ich aber ein findiger Polizeibeamter bin und Wiederholungstäter definitiv erkenne, geh ich rüber zum Ludwig und zieh meine Socke aus seinem Maul. Jetzt ist es aber ganz aus mit der Liebe. Er wendet den Kopf von mir ab und freilich weiß ich gleich, dass er jetzt erst einmal schmollt.

Während ich mich aufs Bett fallen lasse und den zweiten Socken anziehe, hör ich aus dem Telefon irgendwas von: ganz anders … kannst du dir nicht vorstellen … Finger … Nagellack … hörst du mir eigentlich zu? Ehrlich gesagt weiß ich jetzt nicht recht, ob ich noch ein kleines bisschen besoffen bin oder ob der arme Rudi langsam, aber sicher dem Wahnsinn verfällt. Ich brauch erst einmal Kaffee. Deswegen marschier ich aus meinem umgebauten Saustall raus, quer über den Hof rüber und schnurstracks in die Küche rein. Der Ludwig drei Schritte hinter mir her.

»Ach, Bub, bist endlich auf. Der Papa und ich, wir haben schon lang gefrühstückt. Für dich hab ich aber jetzt fei noch nix fertig«, schreit die Oma, streicht dem Ludwig kurz über den Kopf und watschelt auch gleich zur Kaffeemaschine. Grad heute ist ihre Lautstärke wieder unerträglich.

»Ah, die Eberhofer-Oma«, kann ich den Rudi durch den Hörer vernehmen. »Sagst schöne Grüße, gell!«

Die Oma kommt auf mich zu und drückt mir das dampfende Kaffeehaferl in die Hand.

»Grüße vom Rudi«, sag ich ziemlich laut und auch deutlich, aber das Wort Rudi liest sie mir spielend von den Lippen ab.

»Ja, Rudi-Bub, geht’s dir gut?«, schreit sie und presst sich dabei ganz eng ans Telefon. Obwohl sie der Rudi bestimmt problemlos ganz ohne Telefon hören könnte, so laut wie sie brüllt.

»Ja, ja, Oma, dem Rudi geht’s sehr gut. Der hat grad eine Krähe mit einem Finger auf dem Balkon.«

»Mei, ich glaub, ich muss jetzt dann doch einmal zum Ohrenarzt gehen. Ich hab grad verstanden, der Rudi hat eine Krähe mit einem Finger auf dem Balkon. So was, ha!«

Wenn ich jetzt mal genau nachdenke, dann muss ich wohl auch mal dringend zum Ohrenarzt. Dasselbe hab ich nämlich auch grad verstanden.

»Du, Franz, pass einmal auf, jetzt ist die Krähe grad weggeflogen, aber den Finger, den hat sie bei mir liegen lassen. Das ist echt gruselig, Mann. Was soll ich denn damit bloß machen, Franz?«

»Keine Ahnung, du bist doch Privatdetektiv«, sag ich und nehm einen Schluck Kaffee.

»Ja, ja, sehr witzig! Soll ich den Finger vielleicht observieren, oder was?«, fragt er in seinem typisch vorwurfsvollen Tonfall. Und freilich weiß ich längst, was er jetzt von mir erwartet.

»Ach, Scheiße«, sag ich deswegen erst mal und begebe mich wieder zum Saustall zurück. »Pack diesen depperten Finger ins Eisfach, ich mach mich gleich auf den Weg. In einer guten Stunde bin ich da, verdammt.«

»Du bist ein Schatz«, hör ich ihn grad noch und dann häng ich ein.

 

Irgendwie geht’s mir gar nicht gut. Vielleicht hätte ich gestern doch nicht so viel saufen sollen. Vielleicht wär’s überhaupt besser gewesen, ich wär gleich gar nicht zum Wolfi rüber. Aber im Grunde hatte ich gar keine Wahl. Nicht die geringste. Weil der Papa nämlich ausgerechnet gestern mal wieder seinen Moralischen gehabt hat. Und diesmal hat er sich nicht damit begnügt, seine dämlichen Beatles rauf und runter zu hören, beschissene Joints zu rauchen und uralte Fotos von der Mama anzuschauen. Nein, dieses Mal hat er es auch noch für nötig befunden, mir eine Moralpredigt nach der anderen zu halten. Und das nicht nur im Wohnhaus drüben, was ganz klar sein Revier ist. Nein, gestern hat er sogar ein ungeschriebenes Gesetz gebrochen und ist in meinen heiligen Saustall eingedrungen, um mir dort, also quasi in meinem Revier, Vorhaltungen der übelsten Sorte zu machen. Was ich für ein Volldepp wär und dass ich so eine großartige Frau wie die Susi jetzt für immer und ewig vergrault hätte. Und überhaupt, dass ich so eine wie die nie wieder bekomme. Und dass ich sowieso eine Enttäuschung bin, eine ganz riesige, und eine Schande fürs ganze Dorf. So was kann man sich schon mal eine Weile anhören. Schon rein aus dem schlechten Gewissen heraus. Man hockt sich aufs Kanapee, macht sich ein Bier auf und lässt den Alten halt einfach mal toben. Schließlich hat er ja sonst auch keine rechte Freude im Leben. Irgendwann aber muss auch wieder gut sein. Ist es aber nicht. Ganz im Gegenteil. Fast hätte man meinen können, er kommt erst so richtig in Fahrt. Mal ehrlich, was bleibt einem da anderes übrig, als zum Wolfi zu gehen? Besonders, wo man doch dort auf ganz andere Meinungen stößt. Der Flötzinger zum Beispiel. Der Flötzinger ist ja im Grunde nicht so der Hellste, muss man schon sagen. Und seine Weibergeschichten, die sind auf eine peinliche Art und Weise ja fast schon legendär. Aber für den Flötzinger bin ich sozusagen ein richtiger Held. Einfach, weil ich halt keine Mary habe (ja, gut, leider auch keine Susi mehr), keinen Ignatz-Fynn, keine Clara-Jane und erst recht keine Amy-Gertrud oder sonst eine nervige Brut. Da hab ich schon ziemlich viel nicht, was er schon hat und eigentlich gar nicht haben will.

»Franz«, hat der Flötzinger gestern Abend immer wieder gesagt und mir dabei jedes Mal seinen schwitzigen Arm um die Schultern gelegt. »Franz, da hast du aber grade noch die Kurve gekriegt. Grade noch, glaub mir!« Am Schluss hat er dann nur noch gesagt: »Franz, da hast du grade noch was gekriegt … was war das gleich noch? Wurst. Prost!«

Trotzdem hab ich dann auf dem Heimweg die Susi angerufen. Zugegebenermaßen wie immer, wenn ich ein bisserl zu tief ins Glas geschaut hab. Anscheinend fehlt sie mir in solchen Momenten am meisten.

»Susi?«, hab ich ziemlich leise gefragt. Es war ja schon irrsinnig spät und ich bin grad durch eine Wohnsiedlung durch und wollte freilich keinen wecken.

»Franz, was ist denn schon wieder? Warum zum Teufel rufst du mich immer mitten in der Nacht an? Und immer wenn du total besoffen bist«, sagt die Susi ebenfalls ziemlich leise und ein kleines bisschen müde klingt sie auch.

»Ich bin nicht total besoffen, höchstens ein klitzekleines bisschen.«

»Was willst du, Franz?«

»Susi, warum flüsterst du eigentlich so. Ist ER da?«, frag ich und steig derweil über einen Zaun, wo ein Kinderspielplatz dahintersteckt.

»Das geht dich nichts an, Franz. Du hattest deine Chancen!«

»Aber ich hab doch unsere Hochzeit nicht absichtlich verschlafen, Susimaus!«, sag ich und hock mich derweil auf eine Schaukel. Das entspannt mich irgendwie.

»Aber du hast sie verschlafen, verdammt! Das halbe Dorf war da, die ganze Familie, all unsere Freunde, der Pfarrer und der Bürgermeister, der höchstpersönlich unseren Bund fürs Leben besiegeln wollte, der Kirchenchor war da und die Gemeindeverwaltung hat sogar Spalier gestanden. Ich war da, Franz, bin in einem sauteuren Brautkleid aus Paris und mit meinem depperten Blumenstrauß vor der Kirche gestanden wie ein Arsch! Nur du warst nicht da!«

»Susimaus.«

»Nix Susimaus! Ende der Durchsage!« Klack!

»Susi!«, schrei ich jetzt in den Hörer. Es muss wohl doch ziemlich laut gewesen sein, weil im Handumdrehen ein paar Fenster erleuchtet sind und eines sogar aufgeht.

»Eberhofer, bist du das schon wieder? Geh heim und schlaf deinen Rausch aus, ’zefix!«

Ja, gut, das war’s eigentlich auch schon. Danach bin ich echt gleich heimgegangen und hab versucht, meinen Rausch auszuschlafen. So lange eben, bis der Birkenberger angerufen hat. Das nur zum besseren Verständnis. Damit man halt weiß, warum ich heute nicht grad fit bin wie ein Turnschuh.

 

Nachdem ich in der Dusche die Müdigkeit und den Restalkohol den Gully runtergespült habe, fühle ich mich schon besser und merke deutlich, dass mir jetzt der Hunger hochkommt. Also spring ich in meine Klamotten und mach mich dann direkt auf den Weg zur Simmerl-eigenen Metzgerei. Es ist Samstagvormittag, und wie zu erwarten, ist die Bude knallvoll. Und weil der Simmerl selber nicht da ist, muss ich mich notgedrungen ganz hinten anstellen. Wenn er da ist, nimmt er mich immer schnell mal dazwischen. Ist ja wohl auch klar, wir sind ja befreundet. Aber heute eben Pech, drum anstellen und hungern und warten, bis die Herde sich irgendwann aufgelöst hat. Es dauert ewig.

»Guten Morgen, Gisela«, begrüß ich schließlich die dicke Metzgergattin, die ganz anders als sonst heute kein fröhliches, sondern ein eher grantiges Antlitz aufweist. Welche Laus ist der denn über die Leber gelaufen?

»Ist irgendwas?«, frag ich deswegen erst mal.

Keine Antwort. Nur zusammengekniffene Augen, und obendrein scheint die große Warze in ihrem Gesicht irgendwie zu wackeln. Ich blinzle ein paar Mal. Nein, ich hab mich nicht getäuscht, sie wackelt tatsächlich.

»Ist dein Göttergatte gar nicht da heut?«, frag ich und fühle mich irgendwie gar nicht behaglich dabei.

»Nein«, erwidert sie endlich, und ihr Tonfall passt gut zu ihrem Gesichtsausdruck. »Der Göttergatte flackt noch droben im Bett. Weil er gestern nämlich gesoffen hat. Mit seinen Spezln, seinen halbseidenen. Da muss dann halt die Metzgerin irgendwie allein klarkommen, verstehst. Also, was willst?«

Huihuihui!

»Du, machst mir einfach ein paar Fleischpflanzerlsemmeln. Sagen wir drei.«

Ich will nix wie raus da.

»Sind aus!«

»Sind aus? Aber da liegen doch Pflanzerl.«

»Sind reserviert.«

»Aha, ja, dann nehm ich halt den Leberkäs.«

»Reserviert.«

»Auch reserviert, soso. Wie schaut’s mit Bratensemmeln aus?«

Jetzt sagt sie gar nix mehr. Hebt nur eine Augenbraue. Das schaut echt bedrohlich aus.

»Auch reserviert, nehm ich mal an?«, frag ich ganz vorsichtig.

Augenbraue.

»Ja, gut, Gisela. Dann vielleicht ein andermal wieder, gell«, sag ich noch so und schau, dass ich rauskomm. Mit dem Simmerl möchte ich auch nicht tauschen. Nicht ums Verrecken!

 

So hock ich mich notgedrungen wieder ins Auto und mach mich halt hungrig auf den Weg nach München. Was bleibt mir auch anderes übrig? Weil heute kein Berufsverkehr ist, sind die Straßen wunderbar frei, und dementsprechend kräftig drück ich aufs Pedal. Beim Autofahren kann ich eigentlich relativ gut überlegen. Sogar mit Kater. Und irgendwie geht mir das Gespräch mit dem Rudi grad noch mal durch den Kopf. Mit jedem Kilometer, den ich fahre, wird mein Kopf klarer und klarer, diese Geschichte mit dem Finger aber wird immer unglaublicher, je länger ich drüber nachdenk. Also: Wie war das noch gleich? Der Rudi hat heute wie jeden Morgen, wenn’s sonnig ist, sowohl den Latte als auch die Zeitung auf seinem heiß geliebten Balkon genossen. Hat zwischendurch wieder mal den einen oder anderen Blick auf die Krähen riskiert, und schließlich hat er sogar Besuch gekriegt von so einem Viech. Das ist durchaus nicht ungewöhnlich, weil das Geländer aus der Vogelperspektive heraus ja schon direkt dazu einladen muss, sich genau dort zu platzieren. Aber wurst. Jedenfalls ist dann da wieder so eine Krähe auf diesem Geländer gelandet, und die hat obendrein noch ein Geschenk dabeigehabt. Und zwar einen Finger: sogar mit Nagel und Lack. Das war es zumindest, was ich akustisch verstanden habe. Kapiert hab ich es deshalb noch lange nicht.

 

Nach einer guten Stunde komm ich schließlich im Schlachthofviertel an, und da ist es jetzt schon ziemlich gut, dass der Rudi ausgerechnet dort hingezogen ist. Weil dort … dort ist es nämlich überhaupt gar kein Problem nicht, eine anständige Brotzeit zu kriegen. Und weil ich schließlich weiß, was sich gehört, bring ich dem Birkenberger freilich auch etwas vom besten Metzger Münchens mit. So sitzen wir zwei dann schon ein kleines bisschen später zwischen seiner spärlichen Möblierung und lassen es uns schmecken. Ein feiner Fleischsalat, ein paar Radl Göttinger, eine grobe Streichwurst, Pressack weiß und sauer und ein halbes Dutzend ganz rescher Brezen. Ein Traum.

»Und, Rudi, wo ist jetzt dieses Teil?«, frag ich, grad wie ich mir ein Gäbelchen Fleischsalat einverleibe.

»Hm!«, macht der Rudi und steht auf. Er hat Manieren, mit vollem Mund spricht man nicht. Anschließend zieht er einen Karton hervor, welcher offensichtlich Einmalhandschuhe beherbergt, jedenfalls zieht er ein Paar davon heraus, streift sie sich über und geht dann rüber zum Kühlschrank. Öffnet das Gefrierfach, kommt mit einem Frühstücksbeutel zurück und legt ihn vor mir auf den Tisch. Darauf starren wir beide dann erst mal eine Weile. Die nächste Breze gibt’s mit der Groben.

»Joooaaaa, das ist eindeutig ein Finger«, sag ich schließlich mit Blick auf den Beutel.

»Hab ich mir schon fast gedacht«, nickt der Rudi. »Der Pressack ist übrigens der Hammer!«

»Stimmt. Die Grobe ist aber auch nicht schlecht.«

»Ziemlich klein, dieser Finger. Fast wie von einem Kind, gell«, sagt der Rudi.

»Klein schon, aber definitiv nicht von einem Kind. Schau dir das doch an, das sind doch keine Kindernägel, schau mal genau hin.«

»Ja, dafür sind sie wahrscheinlich doch zu groß, stimmt. Und außerdem lackiert.«

»Wobei das wiederum gar keine Rolle spielt. Meine Nichte, die Sushi, die ist noch nicht einmal vier und hat ihre winzigen Nägel auch manchmal lackiert. So rosa, weißt. Da ist sie dann auch immer tierisch stolz drauf. Irgendwie lustig.«

»Das hier ist aber kein Rosa.«

»Nein, vielleicht eher Pink.«

»Also bitte! Das ist doch kein Pink! Das ist eher … ja, wie soll ich sagen? So mehr Fuchsia, mit einem klitzekleinen Touch ins Burgund möglicherweise?«

 

Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass der Birkenberger manchmal durchaus einen klitzekleinen Touch ins Weibische hat?

»Meinetwegen auch das«, sag ich, nachdem ich ausgiebig die Augen verdreht hab. »Was aber hier doch überhaupt nicht die Frage ist, Rudi. Die Frage ist doch einzig und allein: Wem gehört dieser verdammte Finger – und wo ist der Rest?«

»Womit wir uns wieder mal einig wären.«

»Gut«, sag ich etwas erleichtert, weil Uneinigkeiten mit dem Birkenberger – und speziell in Ermittlungsangelegenheiten – meistens anstrengend sind. Im Grunde sind sie es immer. »Wo fangen wir an?«

Der Rudi lehnt sich im Sofa zurück, hat die Lider auf halbmast, krault sich das Kinn und scheint intensiv nachzudenken. Und ich schau mir den Finger noch einmal etwas genauer an. Ja. Fuchsia, mit einem Touch ins Burgund.

Kapitel 2

Leider haben wir dann gar nicht mehr viel ermitteln können, der Rudi und ich, weil wir beide eingeschlafen sind. Ich wahrscheinlich noch wegen gestern beim Wolfi und so, und mit vollem Magen neige ich tendenziell sowieso schnell zur Müdigkeit. Und der Rudi hatte in der letzten Nacht eine mordswichtige Observierung und ist davon auch noch ganz platt. Wie auch immer, jedenfalls dämmert es draußen schon, wie wir schließlich aufwachen, und ein Blick auf die Uhr zeigt mir deutlich, dass es höchste Eisenbahn für die Heimreise ist. Weil die Oma schon seit Jahrzehnten jeden zweiten Samstag im Monat mit ihren Landfrauen zum Aerobic geht, und da muss ich sie vorher hinfahren – und hinterher freilich wieder abholen. Die Turnhalle ist nämlich im Nachbardorf, 7,3 Kilometer entfernt. Das ist zum Laufen eindeutig zu weit. Erst recht mit dem ganzen Aerobic. Ja, gut, das Wort bringt’s jetzt vielleicht nicht ganz auf den Punkt, bei Aerobic hab ich schon irgendwie andere Bilder im Kopf. Bei den Landfrauen, da geht’s vielleicht eher um das gesellschaftliche Zusammentreffen, würd ich mal sagen. Und ich kann mir da durchaus ein Urteil erlauben, weil ich schon einige Male das Vergnügen hatte, dabei zuschauen zu dürfen. Wenn ich meinetwegen etwas zu früh dran war oder sie etwas länger gemacht haben, da konnte ich schon mal den einen oder anderen Blick auf diverse Bewegungsabläufe werfen. Und was soll ich sagen? Eine Mensch-ärgere-dich-nicht-WM ist das reinste Work-out dagegen. Aber was soll’s? Die Mädels haben ihren Spaß, und das ist schließlich das Wichtigste. Und so verabschiede ich mich nur noch kurz vom Rudi und bin gleich auf dem Weg nach Niederkaltenkirchen.

 

Die Oma steht schon im Hof, wie ich ankomm, und hat bereits einen ihrer Puma-Trainingsanzüge an. Die hat sie übrigens in allen erdenklichen Farben. Gab mal irgendwo Mengenrabatt, was sonst, und da hat sie freilich kräftig zugeschlagen. Hat alle in ihrer Größe aufgekauft – und alle eine Nummer größer ebenfalls. Nur für den Fall, dass sie mal zunimmt. Heute ist die Wahl offensichtlich auf ein ziemlich knalliges Hellgelb gefallen.

 

»Ja, wo bleibst denn, Bub? Das Training fängt in zwanzig Minuten an! Ja, geh, jetzt schick dich!«, schreit sie schon beim Einsteigen und knallt dann die Autotür zu, dass die Scheiben vibrieren. Der Papa steht in seiner Latzhose drüben in der Haustür, die Hände in den Taschen vergraben, und nickt mir zu. Ich lass mal das Fenster herunter.

»Kommst dann gleich heim, gell, Franz«, ruft er mir zu. »Die Oma hat uns feine Zigeunerschnitzel gemacht, mit Bratkartofferln und einem Gurkensalat.«

Schaut wohl ganz danach aus, als hätte er seinen Moralischen wieder einigermaßen überwunden.

»Ja, Herrschaft, jetzt fahr halt endlich los«, quengelt mir der kleine Zitronenfalter aus dem Nebensitz rüber.

 

»Bin gleich da«, ruf ich noch dem Papa entgegen, dann trete ich aufs Gaspedal. Die Oma entspannt sich augenblicklich, kneift mich in die Wange und lacht.

»Jetzt fahrst aber gleich wieder schön heim, Franz, weil ich hab euch feine Zigeunerschnitzel gemacht, mit Bratkartofferln und Gurkensalat.«

»Wirklich?«

»Ja, freust dich?«

»Ja, freilich freu ich mich da«, antworte ich und nicke brav.

»Der Leopold kommt auch noch vorbei«, sagt sie. Und damit ist alle Freude wie weggeblasen.

»Der Leopold?«, murmele ich mehr so vor mich hin.

»Musst mich heute nicht abholen, Franz. Ich bin hernach noch auf einem Geburtstag eingeladen, weißt. Die Mooshammer Liesl, die ist nämlich am Mittwoch achtzig geworden, die alte Kuh. Und da gibt’s noch ein Büfett hinterher und eine Bowle.«

»Und da gehst im Trainingsanzug hin, oder was?«, frag ich und zupf dabei an ihrer Jacke, einfach, um die Verständigung zu erleichtern.

»Geh, Schmarrn! Ich hab da doch drunter noch eine Bluse, und einen Rock hab ich freilich auch dabei«, sagt sie, öffnet zum Beweis kurz den Reißverschluss von ihrer Jacke und zaubert dann tatsächlich noch einen Rock aus ihrer Handtasche.

»Schuhe?«, frag ich mit Blick auf ihre Sneakers.

»Ja, die sieht doch kein Mensch, die Füß sind doch unterm Tisch, Bub!«

Gut, da ist was dran.

 

Gleich darauf kommen wir auch schon an der Turnhalle an, und die Oma entspringt dem Wageninneren. Knapp zwanzig Frauen, nicht mehr taufrisch, stehen dort auf dem Kopfsteinpflaster und fangen plötzlich zu kreischen an, als wär Elvis Presley höchstselbst von den Toten auferstanden. Zuerst denke ich ja, es ist meinetwegen, und fühle mich beinahe ein bisserl geschmeichelt. Aber noch bevor ich überhaupt rot werden kann, seh ich, dass der Applaus jemand anderem gebührt. Das Geburtstagskind, die Mooshammerin, kommt nämlich grad dahergeradelt. Sie winkt den Mädels kurz zu, bedankt sich gestenreich für den frenetischen Jubel, bleibt dann genau auf meiner Höhe stehen, und so muss ich schon rein anstandsmäßig kurz aus dem Wagen steigen und ihr die Hand schütteln.

»Was muss ich da hören, Liesl«, sag ich und geh einmal komplett um sie und ihr Radl herum. »Achtzig? Das ist doch eine astreine Lüge, oder? Wer behauptet denn so was? Da haben sie dich bestimmt mit dem Datum beschissen, Mooshammerin. Fuchzig, allerhöchstens fünfundfuchzig, würd ich einmal schätzen!«

»Eberhofer, du Schmeichler!«, sagt die Liesl und lacht.

»Nein, gar nicht! Du schaust ja aus wie die Gina Lollobrigida in ihren besten Zeiten, also in Jung halt!«

»Geh, jetzt hör aber auf, du machst mich ja noch ganz verlegen. Aber andererseits ist da schon irgendwas dran, weißt. Die gesunde Ernährung, die gute Luft. Ja, und natürlich auch der Sport, gell«, sagt sie und schaut ganz versonnen zur Turnhalle rüber.

»Genau«, sag ich und muss grinsen. »Also, ich fahr dann mal. Dir jedenfalls alles Gute, Liesl, und tust recht schön feiern, gell!«

Dann steig ich zurück in den Wagen, und gleich darauf erreicht das Geburtstagskind auch schon seinen Fanclub. Sofort hebt das Gekreische wieder an.

 

Wie ich heimkomm, ist erwartungsgemäß der Leopold da, und der Papa steht am Herd und brät die Kartoffeln. Er hat ordentlich Zwiebeln und Kümmel dazugemacht, und die ganze Küche duftet danach. Alles wäre jetzt perfekt gewesen, wenn nur der Leopold … Aber lassen wir das.

Während des wunderbaren Mahls erzählt unser Gast ständig von seiner großartigen Buchhandlung, seiner großartigen Tochter (die tatsächlich großartig ist! Von ihm hat sie das allerdings nicht) und wie großartig jetzt endlich seine Ehe funktioniert. Und das nach so einer Krise! Da sieht man mal wieder: Es bleibt zusammen, was zusammengehört, sagt der Leopold mit einem miesen kleinen Seitenblick auf seinen Bruder. Der Papa schnauft ein bisserl theatralisch durch und wirft mir abartige Blicke über den Tisch. Anschließend starrt er hinter mich an die Wand. Und ich weiß haargenau, was er da sucht. Die Oma, die hat nämlich dort ein Bild aufgehängt. Von meiner Susi. Oder besser meiner Ex-Susi. Ein gerahmtes Foto, so wie man es halt von Verstorbenen her kennt. Und exakt so eines hängt jetzt bei uns an der Küchenwand. Nur nicht mit einem schwarzen Band, sondern mit einem weißen. Irgendwie pervers, oder?

»Großer Gott, entschuldige bitte«, sagt der Leopold, der die Situation wohl blitzartig und messerscharf durchschaut hat, und legt dabei mitfühlend seine Hand auf meinen Arm. »Wie unsensibel von mir, Bruderherz. Wie kann ich nur so von meinem Leben schwärmen, wo deines doch grad den Bach runtergeht. Sag einmal, Papa, da sind aber furchtbar viele Zwiebeln drin. Das ist eigentlich schon eher eine Mahlzeit, wenn man alleine lebt, gell?«

 

Dann läutet mein Telefon. Ja, der liebe Gott hat ein Auge auf uns! Wahrscheinlich allein schon, weil er ums Verrecken keinen weiteren Brudermord haben will.

Der Birkenberger ist am Apparat und will wissen, ob er grad stört. Nein, sag ich, er hätte noch niemals so wenig gestört wie jetzt grade. Gut, sagt er, das ist perfekt. Und so erzählt er mir fast schon ekstatisch, dass ihm jetzt plötzlich, ja, praktisch wie aus heiterem Himmel, eine Idee gekommen sei. Und zwar direkt eine ganz grandiose, um genau zu sein. Er ist sich nämlich fast tausendprozentig sicher, sagt er, dass der Rest, also quasi das Drumherum von diesem Finger, in einem von diesen Containern liegen müsste, da wo die ganzen Fleischabfälle entsorgt werden. Anders macht das doch gar keinen Sinn. Ich soll doch einfach mal kurz überlegen, dann würd ich ganz von selbst draufkommen, meint der Rudi. Und deswegen hätt er sich grad überlegt, dass er sich jetzt sofort trotz fortgeschrittener Stunde und einem Wahnsinnswolkenbruch gleich auf den Weg machen wird, um der Sache auf den Grund zu gehen. Andererseits ist es dann wahrscheinlich schon wieder ziemlich gut, das mit der Stunde und dem Regen, sagt er. Weil, da dürften wohl nicht so arg viel Menschen unterwegs sein, die ihn bei seiner eher seltsamen Mission stören könnten. Im Übrigen hätte er einen nachtschwarzen Regenmantel bis runter zum Boden und mit Kapuze, da würde man ihn sowieso nicht erkennen.

Der Birkenberger, wieder mal voll in seinem Element! Ja, gut, sag ich, dann viel Spaß auch! Danach häng ich ein. Wenn ich mir das Bild einmal so vorstelle, wie der Rudi in stockfinsterer Nacht, von Kopf bis Fuß in schwarzes Plastik gehüllt und bei strömendem Regen, in Fleischcontainern rumwühlt … Ja, gut, nicht mein Problem.

 

Der Leopold hilft dem Papa beim Abwasch, ich schnapp mir den Ludwig und wir drehen unsere Runde. Die ersten paar Schritte lang ist er tatsächlich noch leicht eingeschnappt, wegen der Pfote von heut früh. Das merk ich immer gleich, weil er dann halt nur eher gelangweilt hinter mir herläuft. Irgendwann aber kommt logischerweise sein natürlicher Jagdtrieb zum Einsatz und er überholt mich schwanzwedelnd, verschwindet im Dickicht der Bäume und macht die Gegend unsicher. Vier Hühner und ein Hase gehen mittlerweile auf sein Konto. Und ich könnte schwören, wenn ich unseren alten Förster, der ja auch Jäger ist, nicht gleich am allerersten Tag mit meiner Dienstwaffe bedroht hätte, der Ludwig, der wär dem längst zum Opfer gefallen. Aber wurst. Übrigens brauchen wir eins-neunzehn für die Runde, was absoluter Durchschnitt ist.

 

Um drei viertel zwei, also in der nachtschlafendsten aller Zeiten, ruft der Birkenberger an. Schon bevor ich abnehm, weiß ich, dass er es ist. Dass er es sein muss!

»Rudi, wenn du jetzt nicht grad knietief in einer Blutlache stehst, dann leg lieber gleich wieder auf«, murmele ich in den Hörer.

»Franz!«, stöhnt er. »Nicht auflegen, hörst du!«

»Also keine Blutlache?«

»Franz, hör mir doch einmal zu! Du willst nicht wissen, was ich grad eben gefunden hab.«

»Stimmt!«, sag ich, leg auf und schalte mein Handy aus.

»Gute Nacht, Freunde«, summe ich noch kurz, dann schlaf ich ein.

Wie am Montag in der Früh der Wecker läutet, bin ich zuerst mal ein bisschen enttäuscht, wie immer, wenn ich diesen Traum habe. Grade eben bin ich nämlich mit dem Rudi noch mitten in München und Schulter an Schulter auf Verbrecherjagd gewesen, genau so, wie wir es halt auch tatsächlich jahrelang gemacht haben, wir zwei. Und jetzt lieg ich da in meinem Saustall und muss gleich ohne ihn los. Andererseits ist es dann schon wieder ziemlich gut, dass ich nicht zu Ende geträumt habe. Weil ich es beim besten Willen nicht mehr sehen kann, wie der Birkenberger einem Typen die Eier wegschießt. Selbst, wenn es ein Kinderschänder war.

 

Es ist ziemlich spät, wie ich schließlich in mein Büro komm. Die A 92 war knallvoll wie eben an allen Montagen, und trotz Blaulicht und Sirene hab ich fast eineinhalb Stunden bis nach München gebraucht. Die Parkplatzsuche war auch eine schiere Ewigkeit lang negativ, und das, obwohl wir als Polizeibeamte rund um die PP Löwengrube parken dürfen – und das sogar mit Zivilfahrzeugen, wenn wir nur unsere Winkerkelle ordentlich hinter die Frontscheibe legen. Trotzdem war heute nix frei, weil erstens die Scheißwiesn ist und es zweitens wie an allen anderen Montagvormittagen auch etliche Besprechungen unter den Kollegen gibt. Drum sind die halt noch alle im Haus, anstatt draußen ihrem Dienst nachzugehen. Da kann man nichts machen. So bin ich quasi gezwungen, meinen Streifenwagen in der Feuerwehranfahrtszone zu parken. Dann nur noch ein kurzer Stopp beim Metzger, und schon eile ich ins Büro.

Schon wie ich den Korridor entlanggehe, kann ich die Stimme vom Rudi erkennen. Er ist in meinem Büro, die Zimmertüre ist angelehnt, und ganz eindeutig unterhält er sich gerade mit meiner Kollegin, der Steffi. Wenn man etwas genauer hinhört, merkt man jedoch ziemlich schnell, dass es sich gar nicht um ein Gespräch handelt. Jedenfalls keines im üblichen Sinne. Nein, es ist vielmehr ein Verhör, das da drinnen gerade stattfindet. Da muss ich jetzt aber erst mal ein kleines bisschen lauschen.

»Also ich fasse noch einmal zusammen, Herr Birkenberger«, kann ich die Steffi vernehmen. »Gestern Vormittag hat Ihnen also eine Krähe diesen lackierten Damenfinger auf den Balkon gelegt.«

»Fuchsia mit einem Touch ins Burgund.«

»Ja, das sagten Sie bereits. Und daraufhin hatten Sie dann das Bedürfnis, nach der dazugehörigen Leiche zu suchen.«

»Korrekt!«

»Mitten in der Nacht und bei strömendem Regen?«

»Regenmantel!«

»Und warum haben Sie nicht schlicht und ergreifend die Polizei gerufen?«

»Das hab ich ja. Aber der geschätzte Kollege Eberhofer hat einfach eingehängt.«

Ach, du Scheiße! Kann das denn wahr sein? Ich ziehe mal mein Telefon hervor und merke auch gleich: Es ist tatsächlich immer noch ausgeschaltet! Mit der Last eines schlechten Gewissens begeb ich mich mal ins Büro. Schließlich und endlich will ich jetzt schon einmal wissen, was da drinnen überhaupt so abgeht.

 

»Servus, Rudi. Du, das ist jetzt echt scheiße«, sag ich, weil es mir wirklich irgendwie leidtut.

»Ja, das ist es, Eberhofer«, erwidert der Rudi. Er hockt da in einem Bürostuhl, trägt noch immer diesen unsäglichen Regenmantel und verschränkt gerade bockig seine Arme vor der Brust. Sagen tut er kein Wort mehr. Er schaut mich ja noch nicht einmal an. Stattdessen beginnt aber die Steffi zu erzählen. Und das ist durchaus nicht uninteressant. Verhaftet worden ist er nämlich heute Nacht, der eifrige Schnüffler. Weil er nämlich von einem seiner Nachbarn, der auf dem Balkon eine rauchen war, beobachtet wurde. Und zwar dabei, wie er im Regenmantel samt Gummihandschuhen und einer Taschenlampe in fremde Container gekraxelt ist und darin dann wie ein Wilder rumgewühlt hat. Und das auch noch ziemlich lange sogar. Genau genommen von der ›Tagesschau‹ an bis weit nach dem ›Tatort‹. Und irgendwann ist ihm das alles doch recht spanisch vorgekommen, dem Herrn Nachbarn, und drum hat er halt schließlich die Kollegen gerufen.

»Und jetzt ist er verdächtig, der Herr Birkenberger, oder was?«, frag ich mit einem Blick auf den Rudi und muss dabei grinsen.

»Nein, verdächtig ist er erst mal nicht«, sagt die Steffi. »Jedenfalls nicht mehr als du oder ich. Der Herr Birkenberger hat mir ja alles recht glaubhaft dargelegt. Auch wenn es schon ziemlich schräg ist. Aber das ist ja nichts Neues bei euch beiden, oder?«

 

Jetzt steht der Rudi auf und geht rüber zur Steffi. Er schenkt ihr sein breitestes Lächeln und legt ihr den Arm auf die Schulter. Grad so, als würden sie sich schon ewig lang kennen. Dabei hat er sie noch nie zuvor jemals gesehen. Also, nicht dass ich wüsste. Ich kenn sie ja selbst kaum. Also schon, aber halt noch nicht so richtig lange. Und es ist auch mehr so platonisch, so wie es unter Kollegen halt meistens ist. Ja, gut, ein bisserl näher kenn ich sie dann schon eigentlich. Aber der Rudi, der eben nicht!

 

»Ich sehe, ihr zwei seid schon Freunde geworden«, sag ich deswegen und setze mich nieder. Hol meine Semmeln raus und breite sie vor mir auf dem Schreibtisch aus. Leberkäs, ungarische Salami oder Gelbwurst. Wo anfangen?

Dann klopft es kurz und knackig an der Türe, und im selben Moment wird sie auch schon aufgerissen. Es ist der Stahlgruber, der jetzt noch dazustößt, seines Zeichens Kriminalhauptkommissar und mein direkter Vorgesetzter.

»Sagen Sie mal, Eberhofer, haben Sie eigentlich den Arsch offen, oder was?«, brüllt er mich an und wendet sich dann rüber zur Steffi. »Entschuldigung, werte Kollegin, aber …«

»Tu dir bloß keinen Zwang an«, antwortet sie und zuckt schmunzelnd mit den Schultern. Der Birkenberger lächelt ebenfalls. Lehnt jetzt dort drüben am Regal mit all diesen Ordnern, hat die Arme verschränkt und ein selbstgefälliges, überhebliches Grinsen in der Visage, dass ich ihn beinahe umbringen könnte.

»Wir haben eine nagelneue Leiche hier flacken, Eberhofer, und Sie hocken dort auf Ihrem Allerwertesten und machen in aller Seelenruhe Brotzeit! Ja, geht’s noch!«, knurrt der Stahlgruber weiter.

»Wir haben was?«, frag ich und droh dabei fast an der Ungarischen zu ersticken.

»Ja, haben Sie ernsthaft gedacht, dass dieser Frauenfinger an einer lebenden Hand fehlt, oder was?«, lästert der Stahlgruber und schaut mich dabei an, als wär ich nicht mehr ganz dicht. Irgendwie ist mir das jetzt peinlich. Etwas hilfesuchend schau ich erst mal den Birkenberger an.

»Tja, Franz, du warst ja leider nicht erreichbar«, setzt der gleich noch eins drauf, und plötzlich hat er wieder diesen ganz gequälten Tonfall drauf.

»Sie entschuldigen uns für einen kleinen Moment«, zische ich, pack ihn am Ärmel und zerr ihn in den Gang hinaus. Dann schließ ich die Bürotür hinter uns.

»Wovon faselt ihr da grade bitt’ schön, wenn die Frage gestattet ist«, flüstere ich.

»Schon vergessen? Container, Fleischabfälle, Finger. Und? Funkt’s?«, antwortet der Rudi, und man kann ihm die Genugtuung ganz deutlich anhören.

»Du meinst …?«

»Ja, mein ich!«

»Da war tatsächlich eine Leiche drin? In diesen Scheißcontainern, oder was?«

»So isses!«

»Ja, ganz toll! Und wo ist sie jetzt?«

»Exakt dort, wo sie hingehört, Franz. Beim Günter in der Gerichtsmedizin.«

Das ist ja echt allerhand!

Gleich darauf fliegt die Zimmertür auf und der Stahlgruber rauscht an uns vorbei.

»Kümmern Sie sich verdammt noch mal um Ihre Arbeit, Eberhofer!«, schreit er noch im Weggehen. »Ach, und fahren Sie gefälligst Ihre Schrottkiste aus der Anfahrtszone!«

Kapitel 3

Wie zu erwarten, kann mir der Günter am Telefon noch nichts wirklich Brauchbares mitteilen. Er hätte die Leiche erst vor grad mal zwei Stunden reingekriegt, sagt er, und dass er schließlich und endlich kein Hexer ist. Weiblich, blutjung und asiatischer Herkunft. Das ist alles, was er bisher weiß. Gut, aber das hat mir der Rudi ja zuvor auch schon berichtet. Und dass die Leiche ziemlich zugerichtet ist, das hab ich von ihm auch längst erfahren. Und dass es schwer wird, da eine anständige Rekonstruktion hinzubekommen. Bei den ganzen Verletzungen. Mehr weiß er nicht, der Günter, übermorgen, frühestens morgen am Nachmittag kann er vermutlich Genaueres sagen. Und nun soll ich ihn bitt’ schön erst mal in Ruhe lassen, sonst wird das sowieso nix mehr.

»Und was machen wir jetzt, Franz?«, fragt der Birkenberger, der meinen Wissensstand teilt, einfach weil er mitgehört hat.

»Brotzeit«, sag ich und begeb mich an meinen Schreibtisch zurück. Die Ungarische ist der Wahnsinn! »Bevor uns der Günter nix liefert, macht es eh keinen Sinn. Und, Rudi, WIR machen gar nichts, verstanden. Du Privatdetektiv, ich Bulle. Das ist die Basis.«

»Das ist ja geradezu lächerlich, Franz! Wo wärst du denn eigentlich ohne mich, ha? Hast du da drüber schon mal nachgedacht? Hättest du auch nur einen einzigen Fall aufgeklärt ohne meine Hilfe? Ach, was soll’s! Mach doch, was du willst, du Spinner. Du kommst schon wieder angekrochen, wenn du nicht mehr weiterweißt«, keift er mir noch her und dreht sich anschließend zum Gehen ab. »Habe die Ehre zusammen!«

Und dann ist er weg. Die Tür knallt so dermaßen ins Schloss, dass gleich der Schlüssel auf den Fußboden scheppert. Doch danach ist erst mal Ruhe.

 

»Weißt du was, Franz«, sagt die Steffi, wie sie sich bückt, um den Schlüssel aufzuheben und ihn zurück ins Schloss zu stecken. Sie trägt einen String, das seh ich genau. Und das schaut ziemlich rattenscharf aus. »Ihr zwei, ihr seid echt wie ein altes Ehepaar, der Birkenberger und du.«

Ja, das würd mir grad noch fehlen! Der Rudi als Lebenspartner so bis zur goldenen Hochzeit. Jesses.

»Es ist zwölf, ich muss weg«, sagt sie weiter und schnappt sich Jacke und Tasche vom Haken. »Die Mädchen machen heute Nachmittag das Seepferdchen, weißt du. Die sind schon ganz aufgeregt. Also, bis morgen, Franz.«

»Ja, gut. Bis morgen.«

So ein Halbtagsjob ist eine astreine Sache. Da kann man dann mittags hier rausgehen und hat hinterher tatsächlich noch jede Menge Zeit für ein Privatleben. Kann in den Biergarten gehen oder ins Kino. Kann Spaziergänge machen oder eine Radltour oder das Seepferdchen meinetwegen. Was immer das auch sein mag. Ich schnaufe tief durch und esse die letzte der Semmeln, es ist die mit Gelbwurst. Auch nicht schlecht. Gar nicht schlecht, das muss man schon sagen.

 

Wie ich am Abend in meinem Saustall völlig relaxed und mit geschlossenen Augen auf dem Kanapee liege, Pink Floyd höre und dem Ludwig seinen Kopf kraule, klopft es kurz an der Tür und der Flötzinger kommt rein. Er schaut niedergeschlagen aus. Gut, das tut er, seit er verheiratet ist, aber heute ist es noch einen Tick schlimmer. So steht er also da im Türrahmen in seiner Uralt-Jogginghose, einem verdreckten blauen Kittel mit der Aufschrift »Gas Wasser Heizung Flötzinger« und mit einem Stoffbeutel in der Hand, der ständig klimpert, wenn er sich bewegt. Er schaut sich kurz um, grade so, als wenn er auf Nummer sicher gehen will, dass wir auch wirklich allein sind. Danach lässt er sich in einen Sessel plumpsen.

»Schaust irgendwie echt scheiße aus, Flötzinger«, sag ich erst mal und setze mich auf.

»Das ist gut. Sehr gut sogar. Wirke ich auf dich, sagen wir, krank? Wirke ich auf dich krank, Franz? Sei bitte ganz ehrlich.«

»Mei, krank? Krank eigentlich nicht. Eher heruntergekommen.«

»Also nicht krank, bist du sicher?«

»Wie gesagt, eher heruntergekommen.«

»Ja, herzlichen Dank auch«, sagt er und zerrt zwei Bierflaschen aus seinem Beutel. Die öffnet er direkt mit den Zähnen und reicht mir eine davon zum Sofa rüber. Wir prosten uns zu und nehmen dann erst mal einen kräftigen Schluck. Ein paar Schlucke später wird er dann auch gesprächig, der Flötzinger. Und erzählt Dinge, die ich im Grunde genommen überhaupt gar nicht wissen möchte. Es ist furchtbar, wirklich ganz furchtbar, sagt er. Weil seine werte Gattin, die Mary, seit Neuestem der Meinung ist, dass etwas unternommen werden müsste. Etwas, das ihre Ehe sozusagen ein kleines bisschen wiederbelebt. Ihr einen neuen Schwung verleiht. Also ein gemeinsames Hobby beispielsweise. Und damit geht sie ihm jetzt tierisch auf den Wecker, die Mary. Weil sie halt jeden verdammten Tag deswegen rumnörgelt und irgendwelche dämlichen Vorschläge macht.

»Da komm ich am Abend von der Arbeit heim, verstehst, bin fix und fertig mit der Welt und will nur noch duschen und essen«, sagt der Flötzinger und schüttelt den Kopf. »Und was macht die Mary? Die hockt vorm Computer, hat überhaupt nichts gekocht und schaut stattdessen stundenlang nach, was unsere Ehe wieder aufpolieren könnte. Kannst dir das vorstellen, Franz?«

»Nein. Will ich auch gar nicht.«