Apokalypse -  - E-Book

Apokalypse E-Book

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Beschreibung

Angesichts von Krisen, Bedrohungen und Ängsten gewinnen apokalyptische Vorstellungen gleichermaßen in religiösen wie in säkularen Kontexten an Popularität. Auch den politischen und gesellschaftlichen Diskurs prägt zunehmend ein apokalyptischer Ton, der zwischen Hoffnungslosigkeit und Hoffnung changiert. Heft 2/2024 Apokalypse enthüllt Narrative von der Antike bis zur Gegenwart und deckt ihre polarisierenden und inspirierenden Potenziale auf.

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Inhalt

Schwerpunktthema Apokalypse

Editorial

Dominik Stockinger

Als die Welt noch unterging.

Apokalyptik und Gegenwartsdeutung im antiken Judentum und im frühen Christentum

Michael Tilly

Der Trost der Apokalypse

Theresia Heimerl

Apokalyptik aus systematisch-theologischer Sicht

Ulrich H. J. Körtner

Zeitgenössische Apokalyptik in wissenssoziologischer Perspektive.

Das Beispiel der Prepper

Alexander-Kenneth Nagel

Das Ende ist da. Über die theologische Erschließungskraft populärer Endzeiterzählungen

Ingo Reuter

Don’t look up.

Weltuntergang als Erlebnis

Tanja Busse

Abhandlung

Katholische Universität – Tautologie oder Gegensatz? Ein Vision-Statement

Manfred Scheuer

Literatur

Das aktuelle theologische Buch

Michael von Brück

Besprechungen

Ausgewählte Neuerscheinungen

Impressum

Liebe Leserin, lieber Leser!

In einer Welt, die von Krisen und Umbrüchen gezeichnet ist, gewinnen apokalyptische Vorstellungen sowohl in religiösen als auch in säkularen Kontexten an Popularität. Massive Bedrohungen und Ängste lösen einen zunehmend apokalyptischen Ton im politischen und gesellschaftlichen Diskurs aus, der zwischen Hoffnungslosigkeit und Zuversicht changiert.

Namhafte Expert:innen enthüllen in diesem Themenheft apokalyptische Narrative von der Antike bis in die Gegenwart und decken ihre polarisierenden und inspirierenden Potenziale auf.

Den Auftakt macht Michael Tilly, Professor für Neues Testament und Leiter des Instituts für antikes Judentum und hellenistische Religionsgeschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er beleuchtet nicht nur das Wirrwarr des apokalyptischen Begriffsfeldes, sondern entdeckt im Zugehen auf die Quellen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede dieses Mentalitätsphänomens in der gegenwärtig säkularen Verwendung des Begriffs Apokalypse und seinen historischen Wurzeln.

Theresia Heimerl, außerordentliche Universitätsprofessorin für Religionswissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz, befasst sich in ihrem Beitrag mit verschiedenen Stationen apokalyptischer Weltdeutung ab dem ausgehenden Frühmittelalter. Mit der These vom Trost der Apokalypse findet sie eine gemeinsame und weiterhin gefragte Schnittmenge aller Weltuntergangsimaginationen.

Ulrich H. J. Körtner, Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, stellt sich die Frage, was Apokalyptik und Eschatologie theologisch-systematisch bedeuten. Er versteht die Apokalyptik vor dem Hintergrund der Weltangst, der Ausweglosigkeit des In-der-Welt-Seins. Doch die biblische Apokalyptik ist im christlichen Verständnis nicht Untergangs-, sondern Hoffnungsliteratur: Heil ist in Christus versprochen, Weltangst hat nicht das letzte Wort. Glaube als Hoffnung und Mut zum fraglichen Sein, darin bewährt sich das Christ:in-Sein – gerade auch in Solidarität mit den Opfern der Geschichte.

Der Beitrag von Alexander-Kenneth Nagel, Professor für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt sozialwissenschaftliche Religionsforschung am Institut für Soziologie der Georg-August-Universität Göttingen, skizziert eine wissenssoziologische Perspektive auf apokalyptische Deutungsmuster in der Gegenwart. Er geht der Frage nach, wie derartige Vorstellungen internalisiert werden und schließlich Denk- und Verhaltensweisen von Menschen beeinflussen können. Illustriert wird das am Beispiel der Prepperszene und ihres „apokalyptischen Lebensstils“.

Gesellschaftlich wie individuell scheinen apokalyptische Stimmungen und Strömungen zuzunehmen. Zukunft wird kaum mehr als Raum der Hoffnung, sondern vielfach angstbesetzt wahrgenommen – vor allem von jüngeren Generationen. Viele können mit den klassisch eschatologischen Topoi nichts mehr anfangen. Angesichts des veränderten Kontextes christlicher Eschatologie in der naturwissenschaftlich reflektierten Moderne drängt die Pädagogik zu einer Revision. Ingo Reuter, außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik an der kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Paderborn, stellt sich der Herausforderung eines Umgangs mit Endlichkeit und Sterblichkeit. „Das Ende“ wird nämlich nicht nur erwartet, sondern ist in gewisser Weise (immer) schon Realität, sowohl in der von uns allen geteilten Erfahrung der Endlichkeit als auch in den „postapokalyptischen“ Zuständen, in denen Menschen auf diesem Planeten aufgrund von Krieg, Umweltzerstörung und Zerfall funktionierender Staatlichkeit in Geschichte wie Gegenwart leben müssen.

Kurz vor der Jahrtausendwende begann auch Hollywood unübersehbar das Ende zu inszenieren. Mit einer Filmanalyse kommt der thematische Teil dieses Heftes zu seinem Ende. Die Journalistin und Autorin Tanja Busse widmet sich der Wort- und Bildsprache des Blockbusters „Armageddon“, der das apokalyptische Erbe aufgreift und dramatische Szenen erleben lässt, die zwischen realen Ängsten und fiktionaler Unterhaltung oszillieren.

Neben den thematischen Beiträgen bietet dieses Heft ein „Vision Statement“ unseres Großkanzlers, Bischof Manfred Scheuer, für die Katholische Privat-Universität Linz anlässlich des feierlichen Festakts zum Abschluss des 350-Jahr-Jubiläums der Universität am 11. Mai 2023. Auch sein Beitrag bedient sich formal des apokalyptischen Formenrepertoires – denn „wer Visionen hat“, braucht nicht unbedingt „einen Arzt“ … er kann auch Apokalyptiker sein!

Liebe Leserinnen und Leser der ThPQ,

der symbolische Stand der „Weltuntergangsuhr“ wurde in diesem Jahr von der Non-Profit Organisation Bulletin of the Atomic Scientists zum zweiten Mal in Folge bei 90 Sekunden belassen. In den Worten von Präsidentin Rachel Bronson stehe damit die Welt „so kurz vor einer globalen Katastrophe wie noch nie“.1 Damit teilt sie die Ansicht der Apokalyptik. Es sind Versuche, die Welt handhabbar zu machen, ohne sie letztlich in den Griff zu bekommen. Im Gegensatz zur modernen Auffassung rechnet die religiöse Apokalyptik mit einem verheißungsvollen Eingreifen Gottes. Wir hoffen, dass dieses Heft zum Begreifen dieses Mentalitätsphänomens einen Beitrag leistet.

Ihr Dominik StockingerIm Namen der Redaktion

1Weltuntergang in 90 Sekunden: Forscher warnen vor Katastrophe, in: Süddeutsche Zeitung, 24.01.2024, online unter https://www.sueddeutsche.de/wissen/weltuntergangsuhr-doomsday-1.6337744 [Abruf: 31.01.2024].

Michael Tilly

Als die Welt noch unterging

Apokalyptik und Gegenwartsdeutung im antiken Judentum und im frühen Christentum

Was haben Greta Thunberg, Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth gemeinsam? Alle drei bedienen sich am apokalyptischen Motivrepertoire. Der Beitrag widmet sich den Wurzeln der Apokalyptik und den Funktionen der Inanspruchnahme apokalyptischer Redeweisen in antiken jüdischen und frühchristlichen Gemeinschaften und deckt auf, wie sich die Wahrnehmung dieses Mentalitätsphänomens in gegenwärtigen Bezügen verändert hat. (Redaktion)

1. Weltende oder Zeitenwende?

„People are suffering. People are dying. Entire ecosystems are collapsing. We are in the beginning of a mass extinction, and all you can talk about is money and fairy tales of eternal economic growth.“1 Allein in diesem kurzen Ausschnitt aus ihrer vielbeachteten Rede beim UN-Klimagipfel im September 2019 hat die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg gleich auf eine ganze Reihe von Motiven Bezug genommen, die charakteristisch sind für die Apokalyptik, wie sie sich zunächst in antiken jüdischen und frühchristlichen Gemeinschaften herausbildete und seit dem Mittelalter gerade in den abendländischen Kirchen und insbesondere in Krisenzeiten immer wieder als einflussreiche Denkbewegung präsentierte. Sowohl Thunbergs perspektivische Wahrnehmung der Gegenwart als zutiefst krisenhaften, von Leid und Niedergang geprägten Endpunkt der Weltgeschichte als auch ihre Vorstellung vom kosmischen Ausmaß dieses Unheils begegnen bereits in antiken Texten. Ebenso ist ihr Bewusstsein, während der eigenen Lebenszeit an einer universalen Äonenwende teilzuhaben, typisch bereits für die individuelle und kollektive Selbstwahrnehmung antiker religiöser Schriftsteller.

Die Verknüpfung solcher „apokalyptischer“ Motive mit allerlei Weltuntergangsängsten und Weltvernichtungsfantasien hat mittlerweile Eingang in sämtliche Bereiche der populärkulturellen Allgemeinbildung gefunden. Mit dem Begriff „Apokalypse“ werden dabei vor allem weltweite Krisen, bedrohliche Schreckensbilder und Endgerichtserwartungen destruktiver Kulte assoziiert. Zwischen diesem gegenwärtigen Wortgebrauch, insbesondere im medialen Alltag und in der politischen Rhetorik, und der ursprünglichen Bedeutung des altgriechischen Wortes ἀποκάλυψις besteht jedoch ein wichtiger inhaltlicher Unterschied, denn dieses bedeutet an keiner Stelle ein endgültiges und alles vernichtendes globales Unglück, ein schockierendes Menschheitsverbrechen oder gar den drohenden Untergang der Natur und Zivilisation. Die umgangssprachliche Rede von der „Apokalypse“ im Sinne eines Angst und Schrecken erregenden Weltuntergangsszenarios stellt deshalb eine unzulässige Verkürzung dar.2

In der Antike versteht man unter Apokalypse eine „Aufdeckung“ oder „Enthüllung“ göttlicher Geheimnisse und das wiederum hat seinen Ursprung im letzten Buch der christlichen Bibel. Im ersten Vers der neutestamentlichen Johannesoffenbarung (Offb 1,1) heißt es: „Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gegeben hat, um seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll.“ Der hier mit „Offenbarung“ übersetzte griechische Begriff ἀποκάλυψις bedeutet – ebenso wie sein lateinisches Pendant revelatio – in antiken Texten aber auch einfach „Entschleierung“ oder „Entdeckung“. Ausgehend von Offb 1,1 wurde das Wort Apokalypse von christlichen Autoren seit der Antike zunächst als Sammelbezeichnung einer literarischen Gattung gebraucht. Diese Gattungsbezeichnung wiederum wurde bald auf inhaltlich und formal mit dem letzten Buch der christlichen Bibel vergleichbare Offenbarungsschriften übertragen. So benennen die Kirchenschriftsteller als Apokalypsen einen besonderen Teil der ihnen bekannten religiösen Literatur. Als Apokalyptiker beziehungsweise Angehörige einer apokalyptischen Bewegung bezeichnet man nicht nur die Verfasser solcher Apokalypsen, sondern auch alle Gruppen und Individuen, die als Trägerkreise und Adressaten der in diesen Schriften zum Ausdruck kommenden Vorstellungswelt gelten können. Unter dem Begriff apokalyptische Eschatologie werden ihre besonderen Zukunfts- und Endzeiterwartungen zusammengefasst. Und auch der Begriff Apokalyptik entstammt nicht der antiken Terminologie. Erstmals taucht das Kunstwort bei dem evangelischen Theologen Gottfried Christian Friedrich Lücke (1791–1855) in der Einleitung zu seiner Kommentierung der Johannesoffenbarung auf.3

Ein wichtiger Grund für das Aufkommen apokalyptischer Vorstellungen besteht in dem existenziell erlebten Dilemma gerade religiöser Menschen, die einerseits die Welt zuweilen als ungerecht und ihre eigene Lebenssituation als unerträglich empfinden und andererseits am Glauben an die Allmacht und Güte Gottes und an ihrem eigenen positiven Selbstbild festhalten wollen. Deuten diese Menschen ihre eigene Existenz nun als rundum heillos, gottlos und verloren und blicken sie zugleich auf die sie umgebende Welt als ein abweisendes und böses Unheilskontinuum, dann ist für sie weder aus dem eigenen Handeln noch aus allen innerweltlichen Ereignissen und Entwicklungen irgendein Heil mehr ableitbar. Ihre pessimistische Grundüberzeugung betrifft dabei nicht nur Geschichte und Gegenwart, sondern bedeutet zugleich auch den bedrohlichen Verlust der Zukunft als des für ihr eigenes Dasein konstitutiven Raumes der Hoffnung und der Freiheit.

Das apokalyptische Denkmodell hat also die Hoffnung auf Gottes Selbstmitteilung in dieser Welt aufgegeben. Vielmehr erwartet man nur noch eine rein jenseitige Verwirklichung des Heils. Indem dieses Offenbarungskonzept dem Augenschein der Realität in der „bösen“ diesseitigen Welt, in der Gottes Wege fremd und unerforschlich sind, nun eine verborgene „gute“ jenseitige Gegenwelt gegenüberstellt, in der Gott selbst plant, entscheidet und handelt, relativiert es die Bedeutung der vom leidenden Menschen erfahrenen Wirklichkeit als des alleinigen Maßstabs göttlicher Gerechtigkeit.

Am Anfang der apokalyptischen Geschichtsdeutung steht die Wahrnehmung von Geschichte als lineare und determinierte Geschehensfolge. Dabei erfährt der Geschichtsverlauf eine Periodisierung. Er bekommt zugleich einen Anfang und ein Ende. Dazwischen reihen sich verschiedene Äonen („Weltzeitalter“), die durch eine generelle Verschlechterung der irdischen Zustände und einen zunehmenden Ordnungsverlust gekennzeichnet sind. Am Ausgangspunkt und am Zielpunkt der Menschheitsgeschichte steht umfassendes Heil, aber dieses Heil wird im konkreten historischen Geschehen zunehmend bedroht und prekär. Die unmittelbare Gegenwart wird als Geschichtsperiode des völligen Ordnungsverlustes und der bis zur Unerträglichkeit gesteigerten Not erlebt und damit zugleich als Bestandteil des letzten und schlimmsten Zeitabschnitts vor dem totalen katastrophischen Ende dieser Welt betrachtet.4

Die Vorstellung von endzeitlichen Plagen und vom katastrophalen Zusammenbruch dieser Zivilisation gilt innerhalb dieses Vorstellungskomplexes allerdings nicht als finales Geschehen, sondern nur als ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur endgültigen Erlösung und zum Heil. Dem apokalyptischen Geschichtsverständnis entspricht der Dreischritt Krise – Katharsis – Heil. Die Pragmatik dieses Dreischritts besteht in der Provokation einer persönlichen Glaubensentscheidung gegen den Augenschein der Realität und zugleich in der Überwindung der bisherigen Weltangst durch eine neue Deutung des eigenen Daseins, das durch die Erwartung des bevorstehenden Weltendes nicht gelähmt wird, sondern diese Erwartung in eine umfassende Heilshoffnung integriert.

Die Hoffnung vieler jüdischer und christlicher Frommer auf das helfende Eingreifen Gottes in Krisensituationen trug von Anfang an dazu bei, dass die solcherart skizzierte apokalyptische Eschatologie ihre Kraft vor allem in Zeiten der Unterdrückung und Verfolgung entfaltete. Dabei konnte sie sowohl den sektiererischen Rückzug aus der Mehrheitsgesellschaft als auch den aktiven Widerstand gegen diese provozieren. In beiden Fällen begründeten apokalyptische Vorstellungen die Relativierung weltlicher Machtstrukturen und die Distanzierung von vorgegebenen Regeln und Konventionen. Beides konnte zuweilen auch dazu führen, dass gegen solche Strukturen – und auch gegen ihre Repräsentanten – gewaltsam vorgegangen wurde.5

Solche religiös begründeten Abgrenzungsbestrebungen der apokalyptischen Bewegung haben nicht nur eine religiöse, sondern auch eine soziale Funktion. Im Rahmen ihrer Vorstellungswelt droht jedem ihrer Anhänger als Konsequenz eines abweichenden Verhaltens die zukünftige Bestrafung im universalen Endgericht und zugleich der gegenwärtige Ausschluss aus der eigenen Gruppe. Die Furcht vor dieser zweifachen Bestrafung soll die Angehörigen einer apokalyptischen Gemeinschaft motivieren, den Konformitätserwartungen ihrer Umwelt zu widerstehen und jeglichem Assimilationsdruck konsequent standzuhalten.

2. Apokalyptik im antiken Judentum

Entstehung und Entwicklung der jüdischen Apokalyptik sind unlösbar mit der griechischen Kolonisation und dem Vordringen des Hellenismus im östlichen Mittelmeerraum seit dem ausgehenden 4. Jahrhundert v. Chr. verbunden. Von Anfang an stellte sie als ein Krisenphänomen eine religiöse Reaktion auf gesellschaftliche und politische Umbrüche dar. Ein wesentlicher Auslöser für die Entstehung der Apokalyptik im Judentum war der Versuch eines machthungrigen Teils der Jerusalemer Oberschicht, die Stadt mit Hilfe des Seleukidenherrschers Antiochos IV. im Jahre 167 v. Chr. gewaltsam in eine hellenistische Metropole zu verwandeln, um so das traditionell mit Tora und Tempel verbundene lokale Herrschaftssystem zu beseitigen.6 Als theologische Reaktion auf diese Krisenerfahrung und die sich aus dem Martyrium vieler Widerstand leistender Frommer ergebende Theodizeefrage7 erlangte die Geschichtskonzeption der Apokalyptik nun verstärkt die Funktion, die Frage nach der Allmacht und Gerechtigkeit des Gottes Israels zu beantworten und die eigene Gemeinschaft – als Idealbild Israels – angesichts der gegenwärtigen Notlage zu stabilisieren. Auch unter der Regentschaft der jüdischen Hasmonäerdynastie im ausgehenden 2. und im 1. Jahrhundert v. Chr., der von Seiten der jüdischen Torafrommen nicht nur Machtstreben, Korruption und Opportunismus, sondern auch mangelnde Traditionsbindung vorgeworfen wurde, wirkte das Mentalitätsphänomen Apokalyptik fort.8 Es gab allerdings niemals eine konturierte und homogene apokalyptische Bewegung (und erst recht nicht die Gruppenbezeichnung Apokalyptiker), sondern nur unterschiedliche apokalyptische Zirkel und Gruppen, die zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten agierten. Diese heterogenen Trägerkreise der frühen jüdischen Apokalyptik lassen sich zudem weder in vereinheitlichender Weise soziokulturell einordnen noch als eine breite ‚volkstümliche‘ Bewegung definieren.9

Als wichtigste Quelle für die Entstehung und Entwicklung der apokalyptischen Vorstellungswelt gilt die religiöse Literatur des antiken Judentums, die den anhaltenden Konflikt von fremder Macht und eigener Ohnmacht beziehungsweise die wahrgenommene Bedrohung der religiösen Identität widerspiegelt.10 Hier entwickelte sich seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. ein Repertoire von charakteristischen Formen und Motiven der Sammelgattung „Apokalypse“.11 Diese Schriften enthalten exklusive Offenbarungsmitteilungen eines verborgenen göttlichen Heilsplanes, Deutungen des Weltlaufs und Enthüllungen des Weltendes. In ihnen kommen Verzweiflung, Rachefantasien, Sehnsüchte und Hoffnungen ihrer Autoren und Adressaten zum Ausdruck. Ihre wichtigsten Themen sind sowohl die Hoffnung auf zukünftige Erlösung, Befreiung und nationale Restitution als auch die Idealisierung der Vergangenheit und eine damit einhergehende Gegenwartskritik.

In den apokalyptischen Schriften geht es um die Vermittlung von tröstenden Offenbarungserfahrungen gerade in solchen Krisensituationen, deren theologische Interpretation durch herkömmliche Modelle göttlichen Heilshandelns als unmöglich erscheint. Ihre Verfasser knüpfen an die biblische Schriftprophetie an, indem sie wichtige Formen und Inhalte von ihr übernehmen. Eine wesentliche Differenz besteht jedoch darin, dass die Prophetie von der Vorstellung der Geschichte als Ort des heilvollen Eingreifens Gottes ins Weltgeschehen überzeugt ist, während die Apokalyptik davon ausgeht, dass Gott der heillosen Geschichte ein radikales Ende setzt.

Die apokalyptische Literatur übernahm neben der Schriftprophetie auch Gedankengut der biblischen Weisheit; mit der Theodizeefrage behandelt sie ein wesentliches weisheitliches Problem. Jedoch ist die Weisheit vor allem am Aufbau der Welt interessiert, wohingegen die Apokalyptik nach der Zukunft der Welt fragt.

Die Apokalyptik ist in jüdischen Texten erstmalig seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. greifbar. Ein Teil der hier begegnenden (und später auch von der christlichen Apokalyptik rezipierten) Vorstellungen, Motive und Formen hat Entsprechungen in Zukunftserwartungen und Jenseitsbeschreibungen antiker ägyptischer, persischer, griechischer und römischer Überlieferungen,12 wenngleich eine direkte und umfängliche traditionsgeschichtliche Verbindung mit dem Phänomen der antik-jüdischen Apokalyptik aufgrund des differenten geschichtlichen und kulturellen Kontextes unwahrscheinlich ist. Vielmehr ist anzunehmen, dass es während des andauernden und engen Kontaktes mit diesen Kulturen (seit dem babylonischen Exil fanden persische Traditionen Eingang in das jüdische Denken; und während nahezu des gesamten 3. Jahrhunderts v. Chr. war Palästina ununterbrochen ägyptisch beherrscht) zu einem Transfer auch von solchen literarischen Formen und religiösen Inhalten kam, die kennzeichnend für die apokalyptische Vorstellungswelt des antiken Judentums wurden.13

3. Apokalyptik, die Jesusbewegung und das frühe Christentum

Wesentliche Traditionen aus dem vielgestaltigen antiken Judentum wurden von der Jesusbewegung und vom nachösterlichen Christentum übernommen. Dabei rezipierte die christliche Bekenntnisbildung insbesondere kennzeichnende Formen und Inhalte des jüdischen religiösen Schrifttums; die christliche Literatur schrieb deren komplexes eschatologisches Symbolsystem in ebenso eigenständiger wie innovativer Weise fort. Der Kern des christlichen Bekenntnisses, die Heilsbedeutung von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, wurde nunmehr mittels der Eschatologie der jüdischen Tradition – nämlich der biblischen Prophetie, der Weisheit und der Apokalyptik – entfaltet und begreifbar gemacht.14 Durchweg begegnen dabei traditionelle jüdische Zukunfts- und Gegenwartsaussagen, insbesondere über das kommende beziehungsweise anbrechende Reich Gottes. Gerade die von den Verfassern der neutestamentlichen Schriften formulierten Zukunftshoffnungen speisen sich aus den – nun als christliche Offenbarungsquelle betrachteten – prophetischen Überlieferungen der hebräischen Heiligen Schriften (etwa Jes 7 und Dan 12) und ihrer besonderen Fortschreibung und Deutung in der jüdischen apokalyptischen Literatur.

Weder die erinnerte Person noch die Botschaft Jesu aus Nazareth sind ohne Berücksichtigung der jüdischen Apokalyptik hinreichend zu verstehen.15 Jesus war sicher kein unapokalyptischer Weisheitsprediger oder philosophischer Lehrer, der ‚zeitlose‘ Wahrheiten verkündete. Vielmehr waren seine Verkündigung und sein Wirken von den ihn umgebenden wirtschaftlich-sozialen Verhältnissen, von dem ihn prägenden religiösen und kulturellen Umfeld und damit eben auch von der jüdischen Apokalyptik beeinflusst. Ebenso wie Johannes der Täufer ging auch er offenbar von der Notwendigkeit zur individuellen Umkehr aus, von der niemand ausgenommen wird. Und wie der Täufer verkündete er ein künftiges Gottesgericht, übte zugleich scharfe Kritik an geistlichen und weltlichen Autoritäten und griff dabei nie über den jüdischen Volksgedanken hinaus. Gerade in den Einlassworten (so Mk 9,43ff.; Mk 10,15.23 und öfter), den Terminworten (so Mk 9,1 und öfter) und den Abendmahlsworten Jesu (Mk 14,25) zeigt sich eine deutliche Ausrichtung seiner Heils- und Unheilsbotschaft auf eine chronologische Zukunft als Bestandteil einer linear gedachten Zeitachse – wobei die Gottesherrschaft hier nicht als Folge der Menschheitsgeschichte erscheint, sondern außergeschichtlich von der Zukunft her auf diese zuläuft (Mt 11,12f.). Zwischen der apokalyptischen Gerichtspredigt Johannes des Täufers und der Verkündigung Jesu besteht also eine grundlegende Kontinuität. Bei aller Vorsicht hinsichtlich der Rekonstruierbarkeit der Wortverkündigung Jesu halte ich es für plausibel, dass auch im Mittelpunkt seines öffentlichen Auftretens die Botschaft vom kommenden Äon stand, das heißt von der bereits gegenwärtig anbrechenden, konkret erfahrbaren und zugleich auf ihre Vollendung zulaufenden Königsherrschaft Gottes als einmaliges zukünftiges Geschehen (Mt 6,10).

Sowohl die Erwartung des nahen Endes der Welt als auch die im Glauben an die Auferstehung des gekreuzigten Jesus aus Nazareth begründete Verheißung einer allgemeinen Auferstehung der Toten als Voraussetzung eines vergeltenden Endgerichts gehören zu den Grundlagen des nachösterlichen christlichen Glaubens. Beide ‚typisch christliche‘ Hoffnungsgüter nehmen zentrale jüdisch-apokalyptische Motive auf. Aber bereits der frühchristliche Osterglaube selbst entspringt religiösen Grunderfahrungen im ‚apokalyptischen‘ Erscheinungsmodus der Vision, welche mittels traditioneller apokalyptischer Vorstellungen und Bilder als das entscheidende Zeichen der anbrechenden Endzeit und im Horizont einer zu erwartenden allgemeinen Totenerweckung gedeutet wurden (1 Kor 15,20).16 Die Präsenz des totgeglaubten Jesus in solchen Erscheinungen seiner Anhänger, wie sie die Liste in 1 Kor 15,3–8 aufzählt und wie sie sich später in den Evangelien widerspiegeln (Mt 28; Lk 24; Joh 20–21; dazu auch Mk 16,9–20), bewirkten den Glauben an die Auferweckung Jesu als endzeitliche Machttat Gottes.

Die ersten Christen hofften auf ihre endzeitliche Erlösung als die von Gott exklusiv erwählte Gemeinde. Dabei lebten sie in der Überzeugung, angesichts des nahen Endes dieser Welt in exklusiver Weise das wahre Gottesvolk Israel zu repräsentieren, das aus dem erwarteten Weltgericht herausgenommen und verschont wird. Charismatische Begabungen wie die Kraft zur Heilung von Kranken und die exorzistische Macht über alle gottfeindlichen Mächte – deren augenscheinliches Auftreten nach der jüdischen Apokalyptik das anbrechende Weltende begleiten und damit erweisen sollte – wurden in den frühchristlichen Gemeinden als Zeichen der wirkmächtigen Gegenwart des Geistes Gottes wahrgenommen und von christlichen Autoren später auch in der Jesustradition verankert. Der entscheidende Unterschied zwischen der jüdischen und der frühchristlichen Apokalyptik besteht jedoch darin, dass im Christentum die entscheidende Heilswende nicht als ein zukünftiges beziehungsweise außergeschichtliches Hoffnungsgut betrachtet wurde, sondern als ein bereits stattgefundenes – also geschichtliches – Impulsereignis. Die weitere christliche Bekenntnisbildung bis in die Gegenwart hinein beruht auf dieser grundlegenden Transformation. Hiervon völlig unabhängig diente das Mentalitätsphänomen Apokalyptik in der Geschichte des Christentums immer wieder dazu, konkrete Krisensituationen mittels endzeitlicher Szenarien zu deuten und zu bewältigen.17

Die Johannesoffenbarung gilt als die bekannteste Quelle und wichtigste Inspiration der christlichen Zukunftserwartungen und ihrer visionären Bilder und Vorstellungsgehalte.18 Sie enthält eine Interpretation der eigenen Zeitgeschichte im Horizont des Übergeschichtlichen, das in zahlreichen Bildern und Motiven zum Ausdruck kommt, die der jüdischen apokalyptischen Literatur entlehnt sind. Der Autor der Johannesoffenbarung wandte sich mit einem bemerkenswerten Autoritätsanspruch gegen die Anpassung der jungen christlichen Gemeinden an die hellenistisch-römische Alltagskultur im Osten des Imperiums und an die religiöse Staatsideologie seiner Zeit, wobei er mittels eindrucksvoller Metaphorik und Symbolik das ihn umgebende Geschehen als finales Weltgeschehen deutete. Im Hintergrund stand dabei allerdings wohl keine aktuelle gewaltsame Christenverfolgung, sondern eher eine provozierte Entscheidungssituation im andauernden Loyalitätskonflikt zwischen den kleinasiatischen christlichen Gemeinden und dem römischen Staat während der letzten Regierungsjahre des Kaisers Domitian (81–96 n. Chr.). Gerade die gewalttätigen Endzeitszenarien der Johannesoffenbarung haben sicher keine Entsprechung in einer tatsächlichen Gewalterfahrung dieser Gemeinden. Der Seher von Patmos wollte weniger eine von außen bedrängte Gemeinde trösten, als vielmehr eine binnenchristliche Verständigung über das – von ihm favorisierte – bewusst distanzierte Verhältnis gegenüber der hellenistisch-römischen Mehrheitsgesellschaft provozieren.19

4. Endstation oder Übergang?

Im metaphorischen umgangssprachlichen Gebrauch und in der gängigen Verwendung des Ausdrucks Apokalypse in weiten Teilen der kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Diskurse der Gegenwart zeigt sich eine durchgehende und tiefgreifende Säkularisierung der jüdischen und christlichen Eschatologie. Das Weltende wird hierbei der Verfügung Gottes entzogen und in die Verfügungsgewalt der Menschheit gestellt. Diese massiv verfremdende Wahrnehmung des Apokalypsebegriffs und der mit ihm verbundenen Motivik speisen sich unbeschadet ihrer wesenhaft areligiösen Verwendung vor allem aus der jüdischen und christlichen Tradition. Zum einen lässt sich dabei die Wahrnehmung der Zukunft als Erwartungszeitraum durch den gesellschaftlichen Fortschrittsglauben und die wirtschaftliche Globalisierung – mit Greta Thunbergs Worten: „[A]ll you can talk about is money and fairy tales of eternal economic growth.“ – in den Kategorien der apokalyptischen Vorstellungswelt einordnen. Zum anderen greift auch das Motivrepertoire moderner Weltuntergangsvorstellungen – noch einmal Thunberg: „People are suffering. People are dying. Entire ecosystems are collapsing.“ – immer wieder auf traditionelle apokalyptisch-eschatologische Bilder zurück.

In beiden Fällen ist dieser Rückgriff auf die Apokalyptik nicht funktionslos. Die eigentlichen Auslöser der auch von Thunberg zum Ausdruck gebrachten krisenhaften Angst vor dem endgültigen Ende der Menschheit und der bewohnbaren Welt sind pessimistische Zeitdiagnosen auf Grundlage subjektiv empfundener und realer Bedrohungen der Weltbevölkerung und globaler Katastrophen wie beispielsweise Umweltprobleme, Hungersnöte, Seuchen, Kriege, Terrorismus oder die Risiken des zivilen Gebrauchs und eines militärischen Einsatzes letztlich unkontrollierbarer Nukleartechnik. Unter Zuhilfenahme der apokalyptischen Vorstellungswelt erhalten diese im engen persönlichen Lebenskontext tatsächlich kaum unmittelbar zu greifenden, aber dennoch latent empfundenen Bedrohungen und Krisen eine symbolische Darstellung. Sie werden also durch die Apokalyptik erst fassbar und lassen sich so einer Art der Bewältigung zuführen. Zugleich bedeutet die apokalyptische Wahrnehmung der Synchronie der eigenen begrenzten Lebenszeit und der begrenzten Zeit der aktuell ihrem Ende entgegengehenden Weltgeschichte („[W]e are in the beginning of a mass extinction […].“) eine sinnstiftende Aufwertung der eigenen gefährdeten, prekären und ohnmächtigen Existenz, denn der entscheidende und endgültige Wendepunkt des Weltlaufs überschneidet sich nunmehr mit dem eigenen individuellen Lebensweg.

Aus christlicher Sicht besteht das Hauptproblem von derartigen negativen apokalyptischen Konzepten, wie sie auch die schwedische Klimaaktivistin propagiert, keinesfalls nur darin, dass sie nicht die Verbesserung der bestehenden Gesellschaftsordnung, sondern deren radikale Überwindung fordern, sondern vor allem darin, dass sie auf der Vorstellung einer grundsätzlich transzendenzlos gedachten Welt basieren. Diese Konzepte gehen zunächst von einem ursprünglichen ökologischen und gesellschaftlichen Idealzustand der Weltgeschichte aus, welche nunmehr unaufhaltsam auf ihr nahes Ende zuläuft, wobei den zu erwartenden katastrophalen Schrecken der Endzeit keine irdische oder gar himmlische Heilszeit folgt. Weiterhin besteht die Pragmatik dieses „kupierten“ apokalyptischen Konzeptes – um eine Wendung Klaus Vondungs aufzugreifen – vor allem darin, Reformdruck zur Abwehr einer als möglich oder wahrscheinlich erachteten Krise zu erzeugen. Gegenwärtiges Handeln und Entscheiden tritt an die Stelle von Heilsgewissheit und Zukunftshoffnung. Schließlich, und das ist das Entscheidende, liegt die Rettung der Welt hierbei in der Hand des Menschen, nicht in der Hand Gottes. Gerade die fortschrittskritische Ideologie der radikalen Ökologiebewegung („Letzte Generation“; „Extinction Rebellion“) entspricht diesem nicht unproblematischen Konzept.

Der Unterschied zwischen dieser säkularen (respektive pseudoreligiösen) Verwendung des Apokalypsebegriffs durch selbsternannte Klimaschützer und seinem spezifisch christlichen Gebrauch ist offenkundig: Während erstere die Weltgeschichte in regressiver Weise als fortwährenden Abstieg weg von ihrem idealen Ursprung hin zu einem notwendigerweise katastrophalen Schlusspunkt begreift, hält letztere prinzipiell an seiner Heilskomponente fest, indem die Erwartung eines Endes dieser Welt eben nicht allein als finaler Untergang gedeutet wird, sondern als Wendepunkt und Übergang in eine neue Welt des Heils, die in der christlichen Existenz zudem bereits in die Gegenwart hineinragt. Während der „kupierten“ säkularen Apokalyptik demnach prinzipiell keine Hoffnung auf Erlösung innewohnt, enthält die christliche Apokalyptik einen grundsätzlichen Ansatz zur Überwindung der menschlichen Weltangst in einer bedrängenden Gegenwartssituation durch einen übergreifenden und sinnstiftenden Hoffnungsentwurf.20

Der Autor

Michael Tilly, geboren 1963, ist seit 2012 Professor für Neues Testament und Leiter des Instituts für antikes Judentum und hellenistische Religionsgeschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Studium der Evangelischen Theologie in Mainz und Heidelberg, Promotion mit einer neutestamentlichen Arbeit über Johannes den Täufer (1993), judaistische Habilitation über Jerusalemer Heiligtumstraditionen (2001). Seit 2012 Research Associate an der University of Pretoria (Südafrika), seit 2016 ordentliches Mitglied der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Von 2016 bis 2019 Dekan der Tübinger Evangelisch-Theologischen Fakultät. Herausgeber der Reihe „Rabbinische Texte“, Mitherausgeber der Reihen „Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament“ und „Encounters between Judaism and Christianity“ sowie der Zeitschriften „Kerygma und Dogma“, „Theologische Rundschau“ und „Marriage, Families and Spirituality“. Seit 2018 Mitglied des Minerva-Stipendienkomitees der Max-Planck-Gesellschaft.

Publikationen (Auswahl): Einführung in die Septuaginta (Einführung Theologie), Darmstadt 2005; So lebten Jesu Zeitgenossen. Alltag und Glaube im antiken Judentum, Stuttgart 2008; gem. m. Wolfgang Zwickel, Religionsgeschichte Israels. Von der Vorzeit bis zu den Anfängen des Christentums, Darmstadt 22015; 1 Makkabäer (Herders theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2015; gem. m. Wolfgang Oswald, Geschichte Israels (Geschichte kompakt), Darmstadt 2016; Das Judentum, 7., korr. u. erg. Aufl., Wiesbaden 2018.

Weiterführende Literatur

David Hellholm (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East. Proceedings of the International Colloquium on Apocalypticism, Uppsala, August 12–7, 1979, Tübingen 21989.

Der umfangreiche Tagungsband enthält zahlreiche lesenswerte Beiträge zu nahezu allen Aspekten der Apokalyptik im antiken Judentum, im frühen Christentum und in deren Umwelt.

Lothar Bluhm u. a. (Hg.), Untergangsszenarien. Apokalyptische Denkbilder in Literatur, Kunst und Wissenschaft, Berlin 2013.

Das Buch thematisiert nicht nur wichtige theologische Gesichtspunkte des Begriffs Apokalypse, sondern verknüpft diese auch mit der Literatur, Kunst und Wissenschaft der Moderne und geht dabei insbesondere auf die apokalyptische Dimension des aktuellen Klimadiskurses ein.

John J. Collins (Hg.), The Oxford Handbook of Apocalyptic Literature, Oxford–New York 2014.

In diesem Handbuch werden die literarischen und phänomenologischen Kontexte, die sozialen Funktionen und die literarischen Merkmale der apokalyptischen Literatur und Theologie im antiken und im gegenwärtigen Judentum und Christentum in gründlicher Weise erhellt.

1„We’ll Be Watching You“: Thunberg’s UN Speech (23.09.2019), online unter https://archive-yaleglobal.yale.edu/content/well-be-watching-you-thunbergs-un-speech [Abruf: 08.11.2023].

2Zur Begrifflichkeit und zum modernen Sprachgebrauch siehe Michael Tilly, Apokalyptik (UTB Profile), Tübingen 2012, 9–12; Alexander-Kenneth Nagel, Corona und andere Weltuntergänge. Apokalyptische Krisenhermeneutik in der modernen Gesellschaft (Kulturen und Gesellschaft 48), Bielefeld 2021.

3[Gottfried Christian] Friedrich Lücke, Commentar über die Schriften des Evangelisten Johannes IV, 1: Versuch einer vollständigen Einleitung in die Offenbarung Johannis und in die gesammte apokalyptische Litteratur, Bonn 1832, VIII. Vgl. hierzu Alf Christophersen, Die Begründung der Apokalyptikforschung durch Friedrich Lücke. Zum Verhältnis von Eschatologie und Apokalyptik, in: Kerygma und Dogma 47 (2001), 158–179.

4Vgl. Bernd U. Schipper, Apokalyptik und Apokalypse – Ein religionsgeschichtlicher Überblick, in: Alexander K. Nagel / Bernd U. Schipper / Ansgar Weymann (Hg.), Apokalypse. Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik, Frankfurt a. M.–New York 2008, 73–98.

5Vgl. Heinz-Josef Fabry, Die frühjüdische Apokalyptik als Reaktion auf Fremdherrschaft. Zur Funktion von 4Q246, in: Bernd Kollmann / Wolfgang Reinbold / Annette Steudel (Hg.), Antikes Judentum und frühes Christentum. Festschrift für Hartmut Stegemann zum 65. Geburtstag (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche 97), Berlin–New York 1999, 84–98.

6Vgl. Elias Bickermann, Der Gott der Makkabäer. Untersuchungen über Sinn und Ursprung der makkabäischen Erhebung, Berlin 1937; Thomas Fischer, Seleukiden und Makkabäer. Beiträge zur Seleukidengeschichte und zu den politischen Ereignissen in Judäa während der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr., Bochum 1980; Daniel J. Harrington, The Maccabean Revolt. Anatomy of a Biblical Revolution (Old Testament Studies 1), Wilmington (DE) 1988; Ernst Haag, Das hellenistische Zeitalter. Israel und die Bibel im 4. bis 1. Jahrhundert v. Chr. (Biblische Enzyklopädie 9), Stuttgart 2003, 73–80 (Kap. „Die Aufstandsbewegung der Makkabäer“).

7Die sogenannte Theodizeefrage problematisiert bekanntlich die Rechtfertigung des allmächtigen Gottes angesichts des Übels in der Welt.

8Vgl. Andreas Bedenbender, Der Gott der Welt tritt auf den Sinai. Entstehung, Entwicklung und Funktionsweise der frühjüdischen Apokalyptik (Arbeiten zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte 8), Berlin 2000.

9Vgl. Anathea E. Portier-Young, Apocalypse against Empire. Theologies of Resistance in Early Judaism, Grand Rapids (MI)–Cambridge 2011.

10Zu nennen sind z. B. das biblische Buch Daniel, das äthiopische Henochbuch, die jüdischen Sibyllinen, das Jubiläenbuch, das syrische Baruchbuch und das 4. Buch Esra.

11Vgl. Stephan Beyerle, Von der Löwengrube ins himmlische Jerusalem: Erwägungen zur jüdischen Apokalyptik, in: Glaube und Lernen 14 (1999), 23–34; Michael Tilly, Art. Apokalyptische Literatur/Apokalypse V. Judaistisch, in: Oda Wischmeyer (Hg.), Lexikon der Bibelhermeneutik. Begriffe – Methoden – Theorien – Konzepte, Berlin 2009, 30–31. Zur ‚klassischen‘ Definition des Begriffs siehe John J. Collins (Hg.), Apocalypse. The Morphology of a Genre (Semeia 14), Missoula (MT) 1979.

12Vgl. etwa das „Töpferorakel“, die „Prophezeiung des Lammes des Bokchoris“, die „Orakel des Hystaspes“ sowie den Mythos von der „Himmelsreise des Er“ in Platons Politeia (614b–621d).

13Vgl. Michael Tilly, Apokalyptik (s. Anm. 2), 26–35.

14Vgl. Kurt Erlemann, Naherwartung und Parusieverzögerung im Neuen Testament (Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter 17), Tübingen–Basel 1995; Michael Becker / Markus Öhler (Hg.), Apokalyptik als Herausforderung neutestamentlicher Theologie (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe 214), Tübingen 2006.

15Vgl. Michael Tilly, Apokalyptik (s. Anm. 2), 93–96; Angelika Strotmann, Der historische Jesus: Eine Einführung (Grundwissen Theologie), Stuttgart/Paderborn, 3., erg. u. erw. Aufl., Paderborn 2019, 106–114.

16Vgl. Peter Wolff