Apokalypsis - Roman Nies - E-Book

Apokalypsis E-Book

Roman Nies

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Beschreibung

Dieser Kommentar zum Buch der Offenbarung, die Apokalypsis, geht umfassend darauf ein, wie der Gott der Bibel Seine Wirkungen auf die Menschheit entfaltet. Dabei beginnt Er, wie die Bibel sowohl im Alten als auch im Neuen Testament deutlich zum Ausdruck bringt, heilsgeschichtlich mit Israel, dessen herausragende Bedeutung in besonderer Weise gewürdigt werden muss. Das Weltkirchentum steht demgegenüber unter kritischer Betrachtung. Von Theologen wird meist übersehen, dass Hauptadressat der Offenbarung Israel und die Nationen sind, ihr Miteinander in Vergangenheit und Zukunft wurden vom Apostel Johannes bildhaft und dramatisch aufgezeichnet. Das Kirchenchristentum betrachtet sich mehrheitlich als "neues" Israel, ist aber exegetisch nicht mit Israel oder der paulinisch als Leib Christi bezeichneten Gemeinde gleichzusetzen. Das kirchliche Christentum trat historisch nachweisbar in Gegnerschaft zu Israel, aus Gründen, die in diesem Kommentar deutlich zur Sprache kommen. Die Apokalypsis enthüllt sich in Bezug auf Vergangenes mit Stand Beginn 21. Jahrhundert als Geschichtsbuch und öffnet eine verblüffende Perspektive auf das Kommende. Dieser Kommentar berücksichtigt die geschichtliche Entwicklung der letzten hundert Jahre und gelangt zu weit gehenden Schlussfolgerungen. Er soll so auch eine Hilfestellung geben, die Gesamtzusammenhänge im Heilsplan Gottes nach der Bibel mit den Menschen zu erkennen.

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Roman Nies

Apokalypsis

Eine heilsgeschichtliche Auslegung des Buches der Offenbarung

© 2018 Roman Nies

Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-7469-4370-1

Hardcover:

978-3-7469-4371-8

e-Book:

978-3-7469-4372-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

„Wenn der Christus, euer Leben, offenbart werden wird,dann werdet auch ihr mit ihm offenbart werden in Herrlichkeit.“

Kol 3,4

Apokalypsis

-Eine heilsgeschichtliche Auslegungdes Buches der Offenbarung

vonRoman Nies

Vorbemerkungen

1. KapitelDas messianische Israel

Hören und bewahren

Die Sendschreiben an die Gemeinden in Asia (Of 1-3)

Das beschnittene und das unbeschnittene Evangelium

Exkurs Jakobus und die Gerechtigkeit durch Werke

Zwei verschiedene Verkündigungen

Die Offenbarung ist für das Kommende

Offenbarung und Ersatzlehre

Knechte, Könige und Priester

2. KapitelDas Kommen des Messias

Der da ist und der da war und der da kommt

Die Durchbohrer

Er kommt nach der Bedrängnis

Das Alpha und das Omega - Of 1,8

Zum Tag des Herrn – Of 1,10

Wie ein Dieb in der Nacht - Of 3,3

3. KapitelDas kommende Reich

ein Reich komme oder unser Reich komme?

Ganz Israel - ganze Schöpfung?

Messianische Gemeinde oder Leibesgemeinde?

Der Menschensohn - Of 1,13

Der Sprecher mit Schwert und Feuer - Of 1,14-16

Die Perspektive - Of 1,19

Exkurs: Ohne Israel kein Heil

Exkurs: Selbsterlösung durch Überwinden?

4. KapitelDie Sendschreiben

Die richtigen Adressaten

Die Gleichnisse und Israel

Ephesus

Smyrna und die Synagoge des Satan

Pergamon

Exkurs: Der letzte Feind

Pergamon und der Trohn Satans Of 2,13

Thyatira

Exkurs Psalm 2 - Vorausschau auf die Offenbarung

Sardes

Philadelphia und der Tempel

Philadelphia und die Schlüsselgewalt

Laodizäa und die Werke

Die Sendschreiben und die Verheißungen Israels

5. KapitelDie antichristliche Zeit

Tierisches und Allzutierisches

Die antichristliche Macht

Malzeichen

Verstockungszeit und Gemeindezeit laufen aus

Herrlichkeit, Ehre und Macht - Of 4,11

Heilige nicht nur Israels

Exkurs Ablauf der Heilsgeschichte

6. KapitelGerichtszeiten

Die Siegelgerichte

Trübsal und Zorngerichte

Die Einhundertvierundvierzigtausend - Of 7,1-4

Exkurs Die Feste Israels

Entrückung und Drangsalzeit - Of 7,14

Exkurs: Äon oder Ewigkeit, eine Frage der Ausgrenzung

Der Tempel Gottes und die zwei Zeugen - Of 11,1

Jerusalem, Sodom und Ägypten - Of 11,8

Die Plagengerichte

7. KapitelDie Frau Israel im Reifeprozess

Wer herrscht? Der Messias und Seine Heiligen -

Die Bundeslade ist keine Gemeindelade - Of 11,19

Exkurs Jerusalem und Rom

Exkurs Ließ sich Gott von Israel scheiden?

Die Frau Israel - Of 12,1

Die Frau wird verfolgt

Die irregeleitete Ökumene und die Judenverfolgung

Israel wird bewahrt - Of 12,14ff

Ein äonisches Evangelium - Of 14,6

Das Lamm und die Seinen

Freund oder Feind Israels? - Of 15,3

8. KapitelDie Kirche und Babylon

Babylon und die antichristlichen Religionen

Babylon hat Baalswesen

Babylon, Rom und Jerusalem

Exkurs Die Sonderbestimmung Israels

Babylon ist Rom

Babylon und die anderen Kirchen

Babylon und das antike Rom

Babylon, die neue Stadt

Die Merkmale der Hure Babylon

Kirche und Islam, eine unheilige Allianz

Exkurs: Der Islam ist undeutsch und unchristlich

Babylon, das Römische Reich, die Kirche und der Islam

Das Weltkirchentum bloßgelegt

9. KapitelDie künftigen Zeitalter

Das tausendjährige Reich

Die Hochzeit

Das Gerichtswesen am Ende

Das neue Jerusalem

Das große Ende, die große Vollendung

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Vorbemerkungen

Dieser Kommentar zum Buch der Offenbarung enthält keine vollständige Auslegung. Er ist ein Versuch der Klärung wesentlicher Aussagen der Offenbarung und geht auf vieles nicht ein, worüber unzählige frühere Ausleger ihrer Fantasie freien Lauf ließen. Bei den meisten Kommentaren zur Offenbarung hat sich gezeigt, dass die Spekulationen wenig nütze waren und ihr Erleuchtungseffekt von kurzer Dauer war. Mittlerweile ist die Menschheitsgeschichte weiter fortgeschritten und hat die Ausleger allesamt der Lüge gestraft.

Alle Ausleger seit 1947 haben den Vorteil, dass sie die im 19. Jahrhundert noch undenkbare Staatsgründung Israels in ihre Überlegungen mit einbeziehen können. Und seit 1957 wird die Europäische Union immer mehr zu einem Gebilde, das einer Wiedererstehung des „Römischen“ Reiches immer ähnlicher zu werden scheint. Sogar die Türkei, auf deren Gebiet die Gemeinden der sieben Sendschreiben von Of 2-3 verortet sind, will Mitglied dieser Union werden.

Bei den Auslegern ist immer auch ihre theologische Prägung erkennbar. Keine Auslegung kommt ohne Denkvoraussetzungen aus, denn Auslegungen sind nicht Gotteswerk, sondern Menschenwerk. Diesem Werk liegt die Denkvoraussetzung zugrunde, dass die Bibel und damit auch das Buch der Offenbarung Gottes unfehlbares Wort ist. Da Gott wie Er in Seinem Wort selber sagt, Sein Vorhaben zu Seiner Verherrlichung zum Ziel bringt, weil Er den Willen und die Macht dazu hat, ist auch davon auszugehen, dass sich die Prophezeiungen des Alten Testaments bewahrheiten werden. Außerdem ist unbedingt Gott auch da bei Seinem Wort zu nehmen, wo Er sagt, dass Er Seinen Ratschluss durchführen wird und dass Ihn nichts davon abbringen wird. Dies ist eine der Kernaussagen der Bibel mit weitreichenden Folgen, die die Ausleger und Theologen meist gar nicht beachtet haben (Was daher ommt, dass sie Ausleger und Theologen von Kirchen und Glaubensanschauungen sind und nicht von Gott). Das bedeutet auch, dass Gott Seine Pläne mit Israel und den Nationen erfolgreich zum Ziel bringt. Damit sind aber bestimmte theologische Positionen (liberale „Theologie“, katholische „Theologie“, bibelkritische „Theologie“ usw.) nicht vertretbar, denn sie berücksichtigen dies alles nicht.

Es ist hilfreich beim Nachdenken über die Bedeutung der Aussagen der Offenbarung folgende theologischen Positionen zu beachten:

Die Mehrheit der Ausleger vertritt die Ersatztheologie. Die extreme Sichtweise dieser Theologie bedeutet, dass überall, wo in der Offenbarung positiv von Israel geredet wird, die christliche Kirche gemeint ist. Israel als Volk Gottes gibt es nicht mehr, es ist von der Kirche abgelöst worden.

Eine Minderheit der Ausleger vertritt den Dispensationalismus bzw. die heilsgeschichtliche Theologie, die zwischen Gottes Heilsweg mit Israel und der Gemeinde Christi unterscheidet und sie beide einen eigenen Weg bis zum Ende gehen sieht. Die extreme Sichtweise dieser Theologie bedeutet, dass überall im Neuen Testament, wo von Israel geredet wird, auch Israel gemeint ist und dass außerdem zwischen dem Evangelium der Beschneidung für Israel und dem Evangelium der Nichtbeschneidung unterschieden werden muss. Diese begriffliche Unterscheidung ist keine Erfindung von Sektierern, sondern wurde von der Bibel vorgenommen (Gal 2,7). Allerdings werden biblische Ausdrücke bei der Übersetzung oft so sehr umschrieben oder verfremdet, dass sie nicht mehr erkennbar sind.

In diesem Bibelkommentar wird meist der wörtlichen Wiedergabe aus dem griechischen Neuen Testament der Vorzug gegeben, weil sich zu oft in der Vergangenheit gezeigt hat, dass die nichtwörtliche Wiedergabe von biblischen Aussagen die naheliegende und wahrscheinlichste Bedeutung verschleiert hat, und dabei einer bestimmten theologischen Denkrichtung Vorschub oder, im Falle der vorgefassten Denkrichtung, Nachschub geleistet wurde. Die Unterschiede zwischen beiden Evangelien sind nach dieser Auffassung in den Schriften des Neuen Testaments erkennbar und bedeuten, dass es einen jeweils eigenen Weg Gottes mit Israel und der Gemeinde des Leibes Christi gibt.

Zwischen diesen beiden Extrempositionen gibt es mittlere Positionen, die anzeigen, dass die Extrempositionen aus bestimmten Gründen nicht vertreten werden können. Jede weitere Position muss eine solche zwischen diesen beiden Extrempositionen sein. Dies wird im vorliegenden Werk berücksichtigt.

Die Ausleger und Theologen der letzten zweitausend Jahren haben sich zwischen diesen beiden Positionen oder jeder anderen Position, die dazwischen steht, entschieden. Wichtig ist, zur Kenntnis zu nehmen, dass es sowohl gewichtige Gründe gibt, die eine extreme Position zu vertreten, wie auch die andere. Zwar vertreten einzelne Befürworter der jeweiligen Position zum Teil mit einer unnachgiebigen Verbissenheit ihren Standpunkt, aber dies ist nicht gerechtfertigt, da die Bibel Argumente für die widerstreitenden Positionen hat und Aussagen, die als Widerlegung für bestimmte Auslegungen geeignet erscheinen, sowohl für die eine als auch die andere Sichtweise getroffen werden können. Bei den verschiedenen Auslegern ist immer wieder eine Sicherheit zum Ausdruck gebracht worden, dass man seine eigene Sichtweise für die unbedingt richtige hält. Wer Gottes Wort verstehen möchte, der sollte eine demütige Haltung einnehmen und das sollte auch erkennbar sein. Wenigstens sollte nicht deutlich ein gegenteiliger Eindruck entstehen. Tatsächlich schmücken die meisten Ausleger ihre Spekulationen mit einem „wir“. „Wir sehen das so…“ oder „…so nicht“. Dies ist immer dann nicht vertretbar, wenn man dem Leser ungefragt unterstellt, dass er die Sichtweise des Auslegers zu übernehmen hat. Aber bei aller gebotenen Demut, müssen bestimmte Dinge gesagt werden. So auch bei der Auslegung der Offenbarung.

Diese Auslegung enthält Kirchenkritik und damit etwas, was in bisherigen Auslegungen erstaunlicherweise meist nicht vorgekommen ist. Der Verfasser meint, völlig zu unrecht. Die meisten Kirchenvertreter picken sich die Aussagen aus, die man irgendwie auf die Kirche deuten kann, sofern sie positiv sind. Ganz selbstverständlich nimmt man an, dass man als Kirchenchrist auf der sicheren Seite ist. Dies ist jedoch ein großer Irrtum. Man darf ja auch den Schriftgelehrten und Pharisäern nicht die Auslegung von Gottes Wort überlassen, denn sie werden kaum Selbstkritik üben, dafür aber wichtige Wahrheiten weglassen, solche, die sie nicht verstehen und solche, die sie andere nicht zur Kenntnis bringen möchten.

Es ist sicherlich richtig, dass es theologische Grundwahrheiten gibt, die man auch mit Bestimmtheit vertreten kann. Daher ist jedem das Recht zugestanden, selber zu entscheiden, was er für wesentlich hält. Dennoch bleibt wahr, dass sich die Ausleger in den vielen Detailfragen hoffnungslos widersprechen. Schon deshalb müsste jedem Ausleger klar sein, dass er nur einen Teil der Wahrheit hat (wenn überhaupt).

Als Ausleger hat man eine wichtige Aufgabe darin zu sehen, das was die Bibel sagt, innerhalb der Grenzen der biblischen Aussagen in einen harmonischen Gleichklang zu bringen und offenkundige Widersprüche aufzulösen. Wenn dies nicht möglich ist, weil die Bibel keine klaren Aussagen trifft, sollten zumindest die nicht miteinander zu vereinbarenden Widersprüche aufgezeigt werden. Dieser Bibelkommentar weist auf viele solche Widersprüche hin und bietet meist eine Lösung an.

Bei jeder Auslegung hat man sich die grundsätzliche Frage zu stellen, ob eine Auslegung Gott und Christus ehrt oder nicht, und ob sie dem in der Bibel klar bezeugten Wesen Gottes und Christi Rechnung trägt. Wenn dies nicht der Fall ist, besteht die Gefahr, dass man an Gottes Wort vorbei auslegt!

Beispielsweise muss eine glaubwürdige Auslegung der Stellen, wo in der Offenbarung Gott Gericht hält über die Nationen übereinstimmen mit dem Wesen des Gottes, den die Bibel einen Gott der Liebe, der Gnade und Barmherzigkeit nennt. Eine Auslegung, die auf Kosten dieser unveränderbaren, quasi als Denkvoraussetzung in der Christenheit geltenden Wesensart Gottes, geht, hat eine kritische Glaubwürdigkeit.

Manche Ausleger lösen Widersprüche auf Kosten der Herstellung noch größerer Widersprüche. Besonders verbreitet ist z. B. dass man sich weigert, Gottes Liebe und Gerechtigkeit in Übereinstimmung zu bringen, weil man eine theologische Position, die man unbedingt halten will, nicht aufgeben will. Man setzt dann, um den Widerspruch zu leugnen, das was man als Gerechtigkeit verstehen will einfach mit der Liebe gleich.

Dieser Bibelkommentar verdankt seine Entstehung dem beklagenswerten Umstand, dass endlich Dinge gesagt und zu Rechtgerückt werden mussten, die geeignet sind, einer irreführenden Tradition der Verbreitung unbiblischer theologischer Sichtweisen der Kirchenchristenheit entgegen zu treten. Es müssen biblische Alternativen zur herrschenden Kirchenmeinung aufgezeigt werden, zumal diese weit verbreitet ist und mitverantwortlich ist für das, was die Christenheit der letzten zweitausend Jahre geleistet oder versäumt hat.

Bisher ist es m.E. keinem Ausleger gelungen, eine in sich stimmige Auslegung vorzulegen. Die Ausleger bemühen sich darum meist auch nicht, wenn doch, scheinen ihre Versuche unweigerlich mit der Erzeugung von Kuriositäten einherzugehen, was ihnen doch wieder den Stempel der Unstimmigkeit aufdrückt.

Hier ein paar Beispiele für Auslegungsprobleme, die hausgemacht sind:

Ersatztheologen vertreten überwiegend die Sichtweise, dass sich die Menschen in ihrem irdischen Leben zu Christus bekehren müssen, wenn nicht, erleiden sie das Schicksal einer endlosen Hölle. Es kommt dabei aber zu einer unerträglichen Spannung zwischen dieser Annahme und der Annahme, dass Gott reine Liebe und Barmherzigkeit und Christi Erlösungsangebot wirklich ein tadelloser Gnadenakt sei.

Dieser Widerspruch konnte bisher von den Ersatztheologen noch nicht überzeugend gelöst werden, was man an der Betonung des Theodizeeproblems sieht. Dieses besagt, dass das Leid der Welt, das sich nach Auffassung der Ersatztheologen bis ins Unendliche steigert, mit einem liebenden Gott nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Die Überlegung ist folgende: Es gibt Menschen, die in diesem Leben Ungerechtigkeit erfahren, wenn sie dann auch noch unbekehrt sterben, hat Gott diese Ungerechtigkeit nicht beseitigt und fügt noch eine weitere, viel schwerwiegendere Ungerechtigkeit hinzu, denn der Mensch hat nie das Evangelium gehört. Die Theologen, die diese Höllendoktrin vertreten, haben für das Theodizeeproblem keine Lösung. Ihre Erklärungsversuche greifen das Kernproblem nicht an. Das bedeutet, dass ihre Sichtweise nur eine bedingte Glaubwürdigkeit hat, weil sie in sich unstimmig ist und bedeutende, brennende Fragen offen lässt. Dass sie bei ihrer Sichtweise bleiben, liegt u.a. daran, dass sie bestimmte Bibelverse meinen, so und nicht anders auslegen zu müssen. Es ist eindeutig auszumachen, dass das Theodizeeproblem hier bestehen bleibt, weil man an der endlosen Verdammung der Ungläubigen festhält und dies als Dogma versteht. Man ist gezwungen zu sagen, da jeder Mensch ungerecht und böse ist, hat jeder Mensch auch nichts anderes verdient. Doch diese Behauptung kann niemand überzeugen.

Ein weiteres Auslegungsproblem ist der Umgang mit Israel, nennen wir es „Israelproblem“, denn wenn Israel tatsächlich von der Kirche abgelöst worden ist, dann hat sich Gott entweder mit Israel geirrt oder Er hat Seinen Plan geändert. Ein irrender Gott, bzw. ein Gott, der Seine Handlungsweise wegen der Menschen (sei es wegen ihrer Unwilligkeit oder ihres Ungehorsams) abändern muss, ist aber kein allweiser, allmächtiger oder allgütiger Gott. Zumindest ist er nicht so souverän wie ein Gott, der seine Vorhaben zum Ziel führt. Genau das bezeugt aber die Bibel mehrfach, dass Gott Sein Vorhaben wahr macht. Dieser Widerspruch in der Theologie der Ersatztheologen bleibt erhalten und macht diese Auslegung relativ unglaubwürdig.

Theodizeeproblem und Israelproblem sind offenkundig Schwächen der Ersatztheologie, weil sie beide mit vielen Bibelworten über Gottes Vorhaben und Seinem Wesen in krassem Widerspruch stehen. Das ist deshalb schwerwiegend, weil jeder Zweifel an Gottes Vorhaben und Seinem Wesen das rechte Verständnis über Gott und das, was Er tut gefährdet und damit auch die Beziehung zu Gott nicht ins rechte Licht setzen kann. Das muss aber ein ernsthaftes Anliegen jedes Gottesfreundes und Gottliebhabers sein, dass er auf die bestmögliche Beziehung zu Gott aus ist.

Man kann beide Probleme, Theodizeeproblem und Israelproblem, auch unter dem Begriff „Gottes-Wesennichtehrend-Problem“ zusammenfassen, denn wie eben ausgeführt, wird Gott nicht dadurch geehrt, dass man Dinge über Ihn sagt, die im Widerspruch zu dem stehen, was Er selber über Sein Wesen sagt. Das ist grundsätzlich nicht möglich. Man muss also der Frage nachgehen, ob es eine Auslegung gibt, die sowohl Gottes Wort in vollem Umfang Rechnung trägt, als auch den Vorwurf Gott zu verunehren gar nicht erst aufkommen lässt, weil sie Gott offenkundig ehrbar darstellt.

Doch auch Dispensationalisten haben Auslegungsprobleme. In seiner extremen Form hat der Dispensationalismus das Theodizeeproblem und auch das Israelproblem gelöst. Dafür werden andere „Problemfässer“ aufgemacht.

Das Theodizeeproblem wird dadurch gelöst, dass man sagt, Gott bringt die Schöpfung zur Vollendung. Alles Leid der Welt war nur vorübergehend und wird in der Vollendung in jeder Beziehung aus der Welt geschafft, weil es sonst keine „Vollendung“ der Schöpfung wäre. Das war immer Gottes Plan und Willen. Und Gott kann sich nur verherrlichen, indem Er nichts verliert und alles gewinnt. Ein Mensch, der in diesem Leben eine Ungerechtigkeit erfährt und unerlöst stirbt, kann nach dieser Vorstellung hoffen, dass alle seine Tränen einst noch getrocknet werden, dass also Gott nicht locker lässt, alle Probleme für jeden zu lösen, das Problem der rechten Beziehung zu Gott, das Problem der rechten Beziehung zu den Mitmenschen, das Problem wie man die höchste Form der Existenz, so wie Gott es vorgesehen hat, erreicht. Eines ist den Menschen klar, wenn der Mensch es nicht selber schafft, die höchste Existenzform zu erreichen, muss er seine Hoffnung auf einen Gott setzen, der das bewerkstelligen kann.

Das Israelproblem wird gelöst, indem man sagt, Gottes Verheißungen gegenüber Israel werden erfüllt, die Gemeinde Christi oder „Kirche“ hat nicht Israel ersetzt, sondern besteht als eigene Heilskörperschaft mit eigenen Aufgaben. Man kann sofort erkennen, dass angesichts der historischen Entwicklung die Erfüllung der Verheißungen für Israel nicht mehr überzeugend abgestritten werden kann (auch wenn dies weiterhin versucht wird. Damit ist nicht gesagt, dass die Gründung des Staates Israels die biblischen Verheißungen beweist, sondern lediglich, dass die Auffassung, dass die biblischen Verheißungen über die Wiederherstellung Israels nicht mehr gelten würde, nur noch schwer zu vertreten ist).

Als Beispiel für solche Probleme des extremen Dispensationalismus wäre die Behauptung zu nennen, dass Paulus ein anderes Evangelium verkündet hat als die anderen Apostel. Man verkompliziert damit – jedenfalls auf den ersten Blick - die biblische Botschaft gegenüber der bloßen Behauptung, dass es nur „ein“ Evangelium gibt. Und man muss erklären, warum Paulus selber sagt, dass es nur ein Evangelium und kein anderes gibt und darum seine Verkündigung wie man sie aus seinen Briefen entnehmen kann, so viele Elemente der Verkündigung von Jesus und seiner Jünger enthält. Es ist ja möglich, dass es eine plausible Erklärung dafür gibt, aber zunächst einmal hat man ein Auslegungsproblem. Nennen wir es der Einfachheit halber „Zwei-Evangelien-Problem“, das zumindest ein „Harmonisierungsproblem“ ist. Es gibt Probleme, die sind nicht lösbar, weil sie nur theoretisch konstruiert sind. Es gibt aber auch Probleme, die dazu da sind, gelöst zu werden.

Dieser Kommentar zur Offenbarung hat das Ziel, diese unterschiedlichen und sich zum Teil widersprechenden Positionen bei der Auslegung zu berücksichtigen und die jeweiligen wesentlichen Schlussfolgerungen zu verdeutlichen. Dabei wird klar, dass man an einer heilsgeschichtlichen Auslegung der Offenbarung, die die ganze Bibel, beginnend mit dem ersten Vers der Bibel, berücksichtigt, nicht vorbei kommt. Diese Erkenntnis ist wegweisend: Die Offenbarung bietet nicht durchgehend völlig Neues, sondern baut auf dem Alten auf und beweist, Gott ist in Seinem Tun konsequent bis zum Schluss. Streng genommen gibt es keine „Überraschungen“. Wer sich überraschen lässt, hat vorher schon etwas nicht recht verstanden oder unberücksichtigt gelassen. Gott ist zielsicher, verlässlich und treu. Am Ende steht Er gerechtfertigt und verherrlicht da. In diesem Bibelkommentar wird Gott, nach dem Verständnis des Verfassers, nirgendwo verunehrt. Das unterscheidet ihn von vielen anderen.

Dass Johannes, der die Offenbarung aufschreiben durfte, an einer Stelle sein Erstaunen ausdrückt über das, was er „sehen“ kann, kommt daher, dass er mit seinen Vorkenntnissen und bisherigen Lebenserfahrungen einen anderen Standpunkt haben musste, als wir ihn heute, zweitausend Jahre später haben können, nachdem wir erkannt haben, was so erstaunlich an den Vorkommnissen der Geschichte Gottes mit den Menschen ist.

Diese erstaunlichen Vorkommnisse wurden bisher kaum bei Auslegern gewürdigt. In diesem Bibelkommentar kommen sie deutlich zur Sprache. Einen anderen Standpunkt als Johannes haben zu „können“ kommt aber nur, wenn man das, was sich in der Menschheitsgeschichte seit dem ersten Jahrhundert ereignet hat, sofern es biblische Relevanz hat, biblisch richtig deutet.

Wenn man eine beliebige Zahl der verschiedenen Kommentare zum Buch der Offenbarung der letzten hundert Jahre und noch solche dazu nimmt, die andere Kirchenleute von Rang und Namen der letzten beinahe 2000 Jahre abgegeben haben *1, dann fällt folgendes auf:

1. Die Kommentare unterscheiden sich inhaltlich oft so sehr, dass sie sich gegenseitig ausschließen. Offensichtlich haben also diese Kommentarschreiber nicht die richtige Auslegung gefunden.

2. Die Kommentare sind nicht nur gegensätzlich, sie bedienen auch die ganze Palette der Auslegungsvarianten, von wörtlicher Auslegung (wenn von einem „Tier“ die Rede ist, dann ist es auch ein Tier), über bildhafter Auslegung (wenn von einem „Tier“ die Rede ist, dann ist in Wirklichkeit etwas mit tierhaften Merkmalen gemeint), bis zur bibelkritischen Auslegung, die dem Inhalt der Offenbarung keinerlei Wirklichkeitswert beimisst, und der fantasievollsten, von jeglichem Bezug zur Realität losgelösten Exegese. Auch dies birgt zwangsläufig, dass Tatsachen nicht wiedergegeben werden.

Man sieht daran, dass es viele Kommentatoren gibt, die den Nachweis erbracht haben, nicht dazu berufen zu sein, das Buch der Offenbarung offen zu legen. Sie offerieren dann wenige ernstzunehmende Beiträge, dafür viel heiteres Rätselraten. Manche legen sich fest, dass ein bestimmter Vers ins 16. Jahrhundert zu verlegen sei, andere sehen den gleichen Vers im 19. Jahrhundert ohne den Rest eines Zweifels erfüllt. Ihre blühende Fantasie erzeugt oft einfach nur blühenden Unsinn.

Aber nicht nur. Es gibt auch Auslegungen, die gute Argumente auf ihrer Seite haben, doch sobald man vom Lager der evangelischen Kommentare ins katholische Lager überwechselt, wird alles ganz anders gesehen. So ist es z.B. für nichtkatholische Ausleger nicht ungewohnt, den Papst als Antichrist zu sehen und die katholische Kirche als Hure Babylon. An ihren Argumenten kann man ersehen, dass diese Idee nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Es ist beispielsweise eine Tatsache, dass Rom dafür bekannt ist, auf sieben Hügeln erbaut worden zu sein, was Rom für die Frau, von der in Of 17,3 die Rede ist, die zugleich Stadt ist, qualifizieren würde.

Aber auch die Katholiken haben umgekehrt den Protestanten heimgezahlt, denn: „Im Gegensatz dazu sahen die katholischen Exegeten, welche die gleiche Methode anwandten, den Antichristen im Protestantismus und entdeckten, dass die geheimnisvolle Zahl 666 im Namen Martin Luthers enthalten war.“ *2

Abgesehen davon, dass man da Luther zu viel Unehre tut, stellt Luther im Vergleich zu dem Träger der Zahl in der Offenbarung nur eine begrenzte Bedrohung oder Erschrecknis für die Menschen des mittlerweile 21. Jahrhunderts dar. Luther ist tot und sogar die Lutheraner halten sich nicht an das, was er lehrte. Hier geht es um etwas Dauerhafteres und Größeres, dauerhafter und größer auch im Potential des Bösen. Luther taugt nicht als dauerhafter Hauptakteur der Weltgeschichte wie das „Tier“ und die „Hure“ beschrieben werden.

Zu beachten ist jedoch auch, dass manche Argumente auf Paradigmen aufbauen, die ihrerseits aus der Tradition und nicht vom Wort Gottes stammen. So hat man z. B. für die Zahl 666 (Of 13,6) schon immer die Berechnung aufgrund des Zahlenwertes der hebräischen oder griechischen Buchstaben durchgeführt, was dazu führen musste, dass unzählige Personen, die den Zahlenwert ergeben, verdächtigt worden sind der Antichrist zu sein (VICARIUS FILII DIE ergibt den Zahlenwert 666). Dabei besagt der Bibeltext nur, dass die Zahl einen Bezug zu dieser Person hat (Of 13,8). Es könnte z.B. sein, dass der kommende Antichrist sich diese Zahl aussucht, um die dann noch lebenden Bibelkenner spöttisch auf sich aufmerksam zu machen, weil er ja selber die Bibel kennt. Manche Autofahrer verhalten sich ja ganz genauso, wenn sie mit Absicht auf diese Tradition, dass der Antichrist diese Zahl haben soll, zurückgreifen und für ihr Nummernschild die 666 wählen. Manche Prophezeiungen werden nicht übernatürlich erfüllt, sondern Menschen erfüllen Prophezeiungen, weil sie sie erfüllen wollen und können.

Dieser Kommentar will nicht versuchen, das Buch der Offenbarung offen zu legen. Er will schwerpunktmäßig der Frage nachgehen, ob der Inhalt der Offenbarung etwas hergibt zu dem Thema, ob es in der Offenbarung um Israel und die Nationen oder um die Gemeinde Christi geht. Dabei soll der heilsgeschichtliche Kontext angesprochen werden. Die Welt- und Kirchengeschichte wird dabei auf eine Weise miteinbezogen, wie es bisher in Kommentaren und Auslegungen noch wenig geschehen ist.

Es soll in diesem Kommentar nicht auf den Aufbau der Offenbarung eingegangen und auch nicht gezielt alle Kernaussagen kommentiert werden, da nicht alle ihre Schriftstellen für die gestellte Aufgabe relevant sind. Es zeigt sich aber, dass wichtige Ereignisse der Welt- und Kirchengeschichte „heiße Kandidaten“ für Ereignisse und Sachverhalte sind, die in der Offenbarung prominent sind. Es gibt historische Fakten, die klar angesprochen werden müssen.

Das Ergebnis dieser Arbeit ist, dass viele Auslegungsvarianten als zumindest widersprüchlich, wenn nicht als ausgeschlossen attestiert werden müssen und andererseits auch wenig bekannte Varianten ins Licht gerückt werden. Dabei sind neue, bemerkenswerte Gedanken berücksichtigt worden, die nicht isoliert geblieben sind, sondern sich in eine umfassendere Sichtweise einfügen ließen. Im Ergebnis liegt ein Kommentar vor, den man als kirchenkritisch bezeichnen kann und Anti-Israelismus, sowie die Verfolgung der Juden durch die christliche Kirche zum besseren Verständnis der Offenbarung als großes Thema darstellt.

Wer erwartet, dass dieser Kommentar zur Offenbarung eine Lobeshymne auf die Kirchen dieser Welt anstimmt und sich damit in die Reihe so vieler Kommentare einreiht, die nur wiederholen, was die Vorgänger geschrieben haben und gegenseitig auf sich verweisen, dem wird dieser Kommentar nicht gefallen können.

Man kann die bisherigen Auslegungsvarianten der Kirchengeschichte grob in zwei Gruppen unterscheiden. *3

Die präteristische, die die Ereignisse der Offenbarung auf die Gemeinde bezieht und auf die Kirchengeschichte projiziert. Und die historische, die auch nur die Gemeinde sehen will, aber zukünftiges Geschehen zulässt. Diese Auslegungsvarianten sind bei den Weltkirchen beheimatet, deren Bibelauslegungen auch sonst extreme Abweichungen vom geschriebenen Wort aufweisen und wegen des Paradigmas der Ersatztheologie, überall wo die Offenbarung vorteilhaft von Israel spricht, ganz selbstverständlich die Kirche setzt.

Dieser Kommentar zur Offenbarung wird viele Argumente aus der Bibel dafür gewinnen, dass diese Sichtweise nicht stimmen kann.

Es soll aber ebenso darauf hingewiesen werden, dass es ebenso wenig richtig sein kann, wenn man das andere Extrem vertritt, dass die Gemeinde Christi überhaupt nicht in der Offenbarung vorkommt.

Die Offenbarung ist nicht nur für Israel. Sie ist auch für die Nationen, sofern sie mit Israel in Verbindung stehen. So war es schon im Alten Testament. Alle Völker werden dem Messias Israels unterstellt sein, aber damit werden sie auch Israel unterstellt. Das lehrt das Alte Testament. In der Bibel spielt das alte Ägypten eine gewichtige Rolle, weil es Israel versklavte und festhielt. Die Namen der ägyptischen Pharaonen sind hingegen in der Bibel weniger als Schall und Rauch und werden daher gar nicht erwähnt. Für die Großmacht Babylon muss noch mehr als nur seine historische Rolle in der Vergangenheit beachtet werden. Babylon kommt nicht nur als politische und militärische Macht im Alten Testament vor, sondern auch als religiöses Verführungssystem mit seinen Göttern und der systematischen Verweigerung gegenüber dem Gott Israels, der zugleich der Schöpfergott ist.

Warum ist das wichtig im Zusammenhang mit der Offenbarung? Dort taucht Babylon als die „Hure Babylon“ wieder auf. Es ist deshalb wichtig, weil die Nationen, die seit der Niederschrift der Offenbarung durch Johannes im ersten Jahrhundert eine Verbindung mit Israel eingegangen sind, dies nicht nur aufgrund ihrer politischen Ausrichtung getan haben, sondern auch in kultureller, gesellschaftlicher und eben auch existentieller Hinsicht. Existenz bedeutet für das religiöse Israel aber anders wie für andere Nationen immer die Stellung zu Gott.

Das lässt erwarten, dass die Nationen in der Offenbarung nicht unbedingt nur als politische Kontrahenten oder Verbündete Israels in Erscheinung treten, sondern ähnlich wie im Alten Testament in einem religiösen, eben heilsgeschichtlichen Zusammenhang. Genau das wird in der Offenbarung beschrieben. Und das bedeutet unweigerlich, wenn wir heute Verhältnisse haben, die von weltgeschichtlicher und zugleich religiöser Bedeutung sind und die Offenbarung daran anknüpft oder diese Verhältnisse aufgreift, dann müssen die christlichen Kirchen aller Wahrscheinlichkeit nach daran beteiligt sein, denn die weltweit bedeutendste Kultur ist die des Westens und diese wurde durch die Jahrhunderte von den christlichen Kirchen (und der Gegnerschaft zum Christentum) mitbestimmt und wird es zum Teil immer noch.

Da Israel und die Nationen ausdrücklich in der Offenbarung mehrfach genannt werden, ist es demnach kein Widerspruch zu sagen, die Offenbarung handelt von Israel und den Nationen, und diese sind mit ihren religiösen Systemen beteiligt. Diese Sichtweise ist bekannt aus dem Alten Testament, wo es keine politische Geschichte Israels und der Nationen gibt, die nicht zugleich religionsgeschichtliche Bedeutung hätte. Heinrich Langenberg drückte es so aus: „Die ganze Heilsgeschichte der Weltregierung Gottes dreht sich um dieses Land als Zentrum. Es ist deshalb selbstverständlich, dass der ganze Prophetismus israelitisch orientiert ist, nicht aus Partikularismus, aus völkische Engherzigkeit, sondern im Gegenteil mit einem universalen, alle Völker umspannenden Weitblick.“ *4

Joachim Cochlovius sieht es in seinem Kommentar zur Offenbarung ähnlich. Er warnt vor einer falschen Schwerpunktsetzung: „Viel Verwirrung in der Auslegung des prophetischen Wortes der Bibel entsteht dort, wo nicht unterschieden wird zwischen der unterschiedlichen Bestimmung und Berufung von Heiden und Juden.“ *5

Im angelsächsischen Bereich vertrat diese Position insbesondere Cyrus Ingerson Scofield. Ihm zufolge gilt die Notwendigkeit, in der Prophetie streng auf die Adressaten zu achten, gerade auch bezüglich des göttlichen Auftrags von Israel und der Gemeinde, denn Israel habe „irdische und zeitliche, die Gemeinde geistliche und himmlische Verheißungen“ *6

Wie oben schon angedeutet, dreht sich aber bei den meisten Auslegern der Offenbarung beinahe alles um die Gemeinde. Der im letzten Jahrhundert bedeutende Theologe Adolf Schlatter schreibt schon in seiner Einleitung zum Kommentar zu dem, was er bereits unexakt „Offenbarung des Johannes“ nennt: „Mit ihr spricht er als Prophet zur Kirche…“ und: „Jesus hat ihm, was er der Kirche zu sagen hat, geoffenbart…“ *7

Damit meint er die christliche Kirche. Schlatter unterstellt also dem Verfasser der Offenbarung, dem Apostel Johannes, dass er über und für die zukünftige Kirche der Christen, die er noch nicht kannte, geschrieben hat, und zwar auch da, wo er etwas über „Israel“ schrieb.

Die Urgemeinde war jüdisch. Gegen Ende des ersten Jahrhunderts verliert sich die Spur judenchristlicher Gemeinden. Sie verliert sich aber auch in der Erinnerung der Ausleger und in der Wahrnehmung der Theologen. Sie kommt praktisch bis ins 20. Jahrhundert dann auch nicht mehr im Kirchenchristentum vor, spielt allenfalls eine unbedeutende Nebenrolle, aber meist viel weniger als das. Mit der Abwendung vom Judentum, der Zuwendung zum Antisemitismus, der noch dogmatisch gerechtfertigt wurde und in den Judenverfolgungen gipfelte, ging auch das Verständnis von Gottes Wort zunehmend verloren. Man hatte vergessen, das Heil kommt von den Juden, denn Jesus war Jude. Aber dann kommt auch das rechte Bibelverständnis von den Juden, denn das Wort Gottes, das Verständnis für das Wort Gottes gibt, ist Jesus.

Man verfolgt und verleugnet Gottes Volk nicht ungestraft. Dies wird natürlich heftig bestritten. Die nichtjüdische Christenheit versteht sich ja seither als Wahrer der Wahrheit und von Gott geheiligte Instanz. Inzwischen hat sich weltweit und kirchenweit eine Selbstverständlichkeit der Arroganz, es als feste Denkvoraussetzung zu besitzen, das auserwählte Volk abgelöst zu haben, eingestellt, der nicht mehr beizukommen ist, es sei denn Gott tut es. Und Gott hat Mittel und Wege, auch Gerichtswege. Das Kirchenchristentum rechnet vielleicht nicht damit, schweren Zeiten entgegen zu gehen. Insbesondere dann nicht, wenn man längst die Rolle der Schriftgelehrten und Pharisäer und Hohepriester Zurzeit Jesu übernommen hat und uneinsichtig bleiben will, bis man von Gott einsichtig gemacht wird.

Auch davon handelt die Offenbarung. Das ist spannend und dramatisch und für die meisten noch ein geschlossenes Buch. Es gibt ganze Heerscharen von Auslegern, die die Offenbarung kommentiert haben und nur in den Sendschreiben, nirgendwo sonst in der Offenbarung, Kirchenkritisches entdeckt zu haben glauben. Dabei ist ihnen aber verborgen geblieben, dass die Offenbarung auf eine Art und Weise auf die Kirchen Bezug nimmt, wie sie es bisher noch nicht vermutet haben.

Wie so viele in den Großkirchen aufgewachsene Kirchenkinder erweist sich auch Schlatter nur als Kind seiner Zeit. Es war unter Theologen schon immer selbstverständlich, bestimmte, auf Tradition fußende Meinungen, mit Tatsachen gleichzusetzen. Die traditionelle Sichtweise wird meist gar nicht mehr hinterfragt, sie hat ja das Siegel ganzer Heerscharen von Theologen und ruht auf den Gräbern von Kirchenfürsten. Sie wird als gegeben vorausgesetzt.

An der katholischen Kirche wird oft die Haltung kritisiert, neben der Bibel auch die kirchliche Überlieferung als gottgegeben zu betrachten. Jedoch haben die nichtkatholischen Ausleger ihre eigene Tradition, die bei der Frage, was wahr ist, eine nicht geringere Bedeutung hat, als wie im Katholizismus.

Schlatter stellt in der bei den Auslegern allgemein üblichen Diktion und Sprachregelung, ohne es weiter zu belegen, die Behauptung auf: „Wir wissen auch durch das Evangelium des Johannes und durch seine Briefe, sowie durch die in der Kirche bewährten Erinnerungen an ihn, dass er den letzten Abschnitt seiner Arbeit nicht mehr Jerusalem und der Judenschaft, sondern der kleinasiatischen Christenheit widmete.“ *8

Da ist die Autorität des „Wir“, die Gewissheit des „wissen“, die Nennung von Schriftstellen der Bibel, die angeblich etwas aussagen, und die „in der Kirche bewährten Erinnerungen“ und dann erst kommt die Vermutung, die in Wahrheit in der Luft zwischen zwei Buchseiten hängt, sonst aber nicht mit der Wahrheit in Verbundenheit steht.

Was Schlatter nicht so recht bedacht zu haben scheint, ist, dass die kleinasiatischen Gemeinden stark vom Judentum geprägt waren. Paulinische Gemeinden wie Thessalonich und Korinth in Griechenland fehlen ebenso in der Aufzählung von Ortsgemeinden in der Offenbarung wie die galatischen Gemeinden.

In den Kapiteln zwei und drei werden diese kleinasiatischen Gemeinden angesprochen. Danach ist nicht mehr in der Offenbarung von einer Gemeinde die Rede, jedenfalls nicht ausdrücklich. „Gemeinde“ oder „Kirche“ wird von den Auslegern mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit andernorts hineingelesen. Es wird also nicht Exegese sondern Eisegese betrieben, die man für Exegese ausgibt. Die Argumentation dafür lautet meist, „wer sollen denn die Heiligen (oder „Ältesten“, „Märtyrer“ usw.) sonst sein?“ und ist durchweg nicht wirklich substantiiert.

Manche Ausleger behaupten daher konsequent, die Gemeinde Christi komme in der Offenbarung überhaupt nicht vor. Andere sagen, sie komme zwar vor, aber nicht da, wo die meisten Ausleger sie sehen wollen und sehen können, denn so nah wie Jesus Seine Leibesgemeinde hat, ist sie vorerst für diejenigen, die überall die christliche Kirche sehen wollen, wo es sich in Wirklichkeit um Israel handelt, nicht sichtbar.

Der Leib Christi ist nicht für die sichtbar,

die zu weit vom Haupt Christi entfernt sind

Interessanterweise scheint noch kein Ausleger auf den Gedanken gekommen zu sein, dass die christlichen Kirchen, wie sie historisch in Erscheinung getreten sind, in der Offenbarung unter dem Oberbegriff der Nationen vorkommen. Vermutlich deshalb, weil das bedeuten würde, dass sie mit den Nationen eine schwere Gerichtszeit durchlaufen müssten und, nebenbei bemerkt, ihre theologischen Schlussfolgerungen nicht stimmen würden.

Das wäre außerdem gleichbedeutend mit der Auffassung, dass nicht alle, die sich „Christen“ nennen, entrückt werden. Auch interessant ist, festzustellen, dass die meisten Kirchenchristen nichts von einer Entrückung wissen, oder nicht an eine Entrückung glauben. Wenn sie aber stattfindet und dann gilt, was Jesus einmal sagte: „Euch geschehe nach eurem Glauben.“ (Mt 9,29; wenn nicht anders genannt, wird die Konkordante oder Elberfelder Übersetzung zitiert), werden sie auch nichts mit der Entrückung zu tun haben.

Zur begrifflichen Klarstellung und Unterscheidung muss bei jeder Auslegung der Offenbarung noch gesagt werden, was biblisch nachweisbar als Gemeinde Christi, Israel und die Nationen zu bezeichnen ist. Dies ist eine Grundvoraussetzung zum Verständnis der Offenbarung.

Unter „Gemeinde Christi“ oder „Leibesgemeinde Christi“ oder einfach „Leib Christi“ wird in dieser Arbeit das bezeichnet, was Paulus im Neuen Testament als Leib Christi und Christi Glieder bezeichnet und mit folgenden wesentlichen Merkmalen umschrieben hat:

- er ist dem Gesetz (der Torah) getötet durch das Sterben Christi (Röm 7,4),

- er setzt sich zusammen aus einzelnen Gliedern, den Auserwählten (Röm 12,45, 1 Kor 12,20.27; Eph 1,23),

- er wird erbaut „zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur vollen Mannesreife, zum Maß der vollen Reife Christi“ (Eph 4,12-13),

- Glied Christi sein heißt, eines Geistes mit Ihm zu sein (1 Kor 6,13-15).

- er wurde auserwählt vor Grundlegung der Welt „dass wir heilig und tadellos vor ihm seien in Liebe“ (Eph 1,4),

Ein kurzer Vergleich zeigt das gleiche wie ein sehr gründliches Erforschen der historischen Fakten: die Christenheit wie sie in der Welt wahrgenommen worden ist, ist mitverantwortlich für viele positive gesellschaftliche und historische Entwicklungen, allerdings ist sie nicht bekannt dafür „heilig und tadellos“ geworden zu sein. Und in den Religionskriegen, Zwangsbekehrungen und der seit 1600 Jahren praktizierten nachhaltigen und folgenschweren Verfolgung von Andersgläubigen und insbesondere der Juden kann kaum „Liebe“ als vorherrschendes Motiv erkannt werden, ebenso wie die „Erkenntnis des Sohnes Gottes“ wegen der vielen sich widersprechenden Meinungen, Glaubenssätzen und Dogmen gerade eben auch über Jesus eher nicht umfassend stattgefunden haben kann. Glaubt man den Kirchen, dann gibt es viele verschiedene Christusse. Glaubt man einer Kirche, hat man einen bestimmten „Christus“, aber nie den vollständigen biblischen Christus.

Mit anderen Worten, der biblische „Leib Christi“ ist mit der historischen Christenheit ganz offensichtlich nicht zu identifizieren. Wer alle Fakten berücksichtigt, kann zu keinem anderen Ergebnis kommen. Diese unausweichliche Erkenntnis kann beim Verständnis der Offenbarung nicht übergangen werden. Sie ist ein Schlüssel dafür. Da die bisherigen Bibelausleger mehrheitlich diesem historischen Kirchenchristentum angehört haben, ist nicht verwunderlich, dass dieser Schlüssel von keinem benutzt worden ist. Dann ist es unausweichlich, dass sie die Offenbarung nicht richtig ausgelegt haben können, wenn dieser Schlüssel für die Auslegung erforderlich ist.

Die zweite Personengruppe, die bei der Auslegung der Offenbarung eine Rolle spielen könnte, ist das Volk Israel, denn Israel ist ein Hauptthema im ganzen Alten Testament und auch in weiten Teilen des Neuen Testaments. Die wesentlichen Merkmale des Volkes Israel, der Nachfahren der 12 Söhne Jakobs, nach der Bibel sind:

- Israel hat einen Bund mit Gott; dieser Bund verlangt von Israel die Befolgung der Torah (2 Mos 19,5-8),

- Gott sagt zu, für immer Nachkommen auf dem Thron Davids einzusetzen und nie Seine Gnade weichen zu lassen und zwar unabhängig vom Verhalten Israels (Ps 89,28-37),

- Israel hat von Gott die Verheißung, unter seinem Messias den Nationen vorzustehen (Ps 67,3-5; 72,11; 86,9; 149,6-7; Jes 14,1-2; 43,1-3; 49,22; Dan 7,22; Hes 37,28; Mi 4,13; Zeph 3,8-9; Sach14,16.18-19; Mt 6,33),

- Gott wird mit Israel einen neuen Bund schließen, wobei Er ihnen das Gesetz (die Torah) in ihr Inneres schreibt und aufs Herz legt (Jer 31,31-33.36).

Es fällt schon beim bloßen Lesen der Offenbarung auf, dass sie voll ist mit Anspielungen auf die Geschichte Israels und anderen thematischen Bezügen, die bereits im Alten Testament aufgegriffen worden sind. Der messianische Jude Arnold Fruchtenbaum schreibt: „Der Wert des Buches der Offenbarung liegt nicht darin, dass es neue Informationen vermittelt, sondern dass es eher die Prophetenworte des Alten Testaments aufgreift und sie chronologisch ordnet, so dass man die Folge der verschiedenen Ereignisse bestimmen kann.“ *9

Ein anderer messianischer Jude, David H. Stern, weist auf einen Unterschied zu den im ersten und zweiten Jahrhundert weit verbreiteten jüdischen Apokalypsen hin, wenn er sagt, dass „die Offenbarung eine ganz eigene Art, auf die Tenach Bezug zu nehmen“ hat *10

Stern macht noch eine wichtige Feststellung: „Es finden sich im Text zwar nur wenige direkte Zitate, aber nicht weniger als fünfhundert Anspielungen auf die Tenach, insbesondere auf die Bücher Exodus, Jesaja, Ezechiel, Sacharja und Daniel." *11 Stern macht sich auch gar nicht die Mühe, sie alle herauszuarbeiten. Seine Schlussfolgerung ist berechtigt: „Die vielen Tenach-Belege und Anspielungen beweisen jedoch, dass die Offenbarung fest im von Gott inspirierten Wort der Propheten Israels verankert ist. *12

Die meisten Ausleger der Offenbarung betonen hingegen die Gemeinde zum Nachteil Israels. Das verfälscht die biblischen Aussagen wie nachzuweisen sein wird.

Es gibt aber weitere Charakteristiken dieser unbiblischen, gemeindelastigen Auslegung der meisten Ausleger, die ebenso das rechte Verständnis des biblischen Wortes verstellen müssen. Das ganze Buch der Offenbarung handelt von der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Die meisten Kommentatoren und Ausleger betonen den Gerichtscharakter der Offenbarung. Aber Gottes Gerichte sind nur Etappen Seiner Heilsgeschichte mit dem Menschen. Gott ist ja kein Gott des Unheils, sondern des Heils.

Der Gott der Bibel ist kein Gott des Unheils, sondern des Heils

Diesen Eindruck gewinnt man bei den meisten Bibelkommentatoren und Bibelauslegern nicht. Wenn bei ihnen von Geretteten die Rede ist, sind fast ausschließlich die Angehörigen der Kirchen, oder auch nur der „fromme“ oder „heilige“ oder „gerechte“ Teil davon gemeint. Die Zeugen Jehovas glauben, dass alle anderen ins Gericht und dann gleich in die Hölle gehen. Bei den Katholiken sind es die Nichtkatholiken. Bei den Lutheranern eher die Katholiken, usw. Es wird da viel verdammt und geröstet. Das Buch der Offenbarung als Abrechnung. Es ist erstaunlich, wie sehr die meisten von ihnen dennoch dazu neigen, so zu tun als seien sie ihrer Sache sicher oder als kämen sie gerade von einer Privataudienz mit Christus, wenn sie betonen, wie schrecklich die Gerichte Gottes sind und wie endgültig sie sind und vor allem, dass sie selber – Gott sei Dank – nicht davon betroffen sind, denn sie sind ja rechtgläubig. Es gibt wohl keine Religion, in der es so viele vermeintlich Rechtgläubige gibt, die sich untereinander verdammen und die Rechtgläubigkeit absprechen. Das spricht bereits Bände über die Fragwürdigkeit eines solchen Geistes, der dahinter steckt. Ein Geist des Rettungswillens oder des Verdammungswillens und der Unversöhnlichkeit?

Da die Kirchen sich widersprechen und miteinander wetteifern in bizarren, absurden, oft grotesken Deutungen geistlicher und biblischer Wirklichkeiten ist ihren Versicherungen nicht viel zuzutrauen. Die unweigerliche Folgerung ist, dass ihnen in ihren Aussagen nicht zu trauen ist. Dann ist es aber zumindest auch fraglich, ob sie die Hauptsache verstanden haben.

Wenn die Offenbarung von Israel und den Nationen handelt, in den Kommentaren aber nur die Gemeinde und die Nationen abgehandelt werden, hat man eine Hauptsache nicht verstanden. Wenn die Offenbarung von Gerichtswegen und Heilswegen handelt, bei denen die Heilswege über die Gerichtswege dominieren, es aber in den Kommentaren anders herum dargestellt wird, dann hat man eine weitere wichtige Hauptsache nicht verstanden.

1. KapitelDas messianische Israel

Hören und bewahren

Die Bibel selbst erklärt, dass das Buch der Offenbarung eine wichtige Bedeutung hat. Wenn es in Of 1,3 heißt: „Glückselig, der liest und die hören die Worte der Weissagung und bewahren, was in ihr geschrieben ist!“, dann ist das eine für Juden vertraute Ermahnung. Lesen und Hören! Israel ist das erste Volk des Buches, des Buches aller Bücher schlechthin. Es ist also von Anfang an ein lesendes Volk wie kein zweites. Die Juden befolgen damit die Anweisung Gottes in Jos 1,8: „Dieses Buch des Gesetzes soll nicht von deinem Mund weichen, und du sollst Tag und Nacht darüber nachsinnen, damit du darauf achtest, nach alledem zu handeln, was darin geschrieben ist.“ Wenn das für das „Buch des Gesetzes“, die Torah, galt, dann gilt das für jedes weitere Wort Gottes natürlich genauso.

Schon Maimonides leitete aus 5 Mos 4, 9; 6, 7 u. 11,19 die Lehrpflichten für alle jüdischen Kinder ab. Im traditionellen Judentum hört das Lernen, was Gott Seinem Volk sagen will, nie auf. Die jüdische Kultur ist wohl die einzige, die von sich behaupten kann, eine lebenslange Lernmotivation und Lernfähigkeit als Ideal etabliert zu haben. Das Lernen wird nicht als zeitgebundene Tätigkeit verstanden, sondern eine Einstellung, die immer existiert und nie aufhört. Der Lerninhalt der religiösen Juden lautet: „Widme Dich dem Studium der Torah" (Sprüche der Väter 4, 12). Schon im Kindergarten bringen sie ihren Kindern das Lesen des Hebräischen bei. Das „Schema Jisrael", das Grundbekenntnis der religiösen Juden, kennen sie schon vorher und auch mit den Festen des Judentums werden sie schnell vertraut. Ab der ersten Klasse werden die fünf Bücher Mose gelernt. Ab dem elften Lebensjahr beginnen die Schüler mit den Schriften des Talmuds (zuerst Mischna, später Gemara). Kein Jude ist zu alt, den religiösen Lernpflichten nachzukommen, denn es heißt: „Wer die Torah lernt, dem kann der Todesengel nichts anhaben." *13

Es heißt auch: „Ein Fünfjähriger ist reif für die Bibel, ein Zehnjähriger für die Mischna, ein Dreizehnjähriger für die Erfüllung der Gebote…“ (Sprüche der Väter 5,24)

Die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben, haben sich breite Bevölkerungsschichten schon zurzeit Jesu angeeignet. Sie hatte im Mittelalter ein Niveau, das bei den Europäern erst in der Moderne und in den arabischen Staaten immer noch nicht erreicht wurde. Man könnte von einem vererbbar gemachten Bildungsvorsprung des Judentums gegenüber anderen Völkern sprechen und sich deshalb weniger über die Bedeutung und den Erfolg ihrer geistigen Errungenschaften wundern. Das viele Studieren hat im geistigen, nicht unbedingt im geistlichen Bereich, große Früchte hervorgebracht.

Wer recht lernen will, muss auch das rechte Hören beherrschen und vom Hören zum Gehorchen weiterschreiten. Im Judentum wurde erkannt, dass das Hören des Wortes Gottes zu einem Gehorchen führen sollte (2 Mos 24,7). Diese Erkenntnis richtig umzusetzen, hat es aus christlicher Sicht noch nicht vermocht, sonst würde es seinen Messias erkannt haben.

Auch das in Of 1,3 angewiesene „Bewahren" des Wortes Gottes sollte ein Verstehen voraussetzen. Aber man kann auch etwas bewahren, was man erst später versteht. Die Juden wurden von Gott verstockt, nachdem sie sich selber verstockt hatten. Aber bei den Nationen ist es nicht anders. Wenn die Kirchen zu den Nationen gehören, muss man befürchten, dass auch für sie dieses Verstockungsgericht wirksam ist:

Wer sich Gottes Wort und Weisung verschließt, wird verschlossen.

Aber so wie stimmt, „was Gott zusammengefügt hat, kann er auch wieder lösen", gilt auch:

Was Gott verschlossen hat, kann er auch wieder auftun

Nicht nur die Juden wurden halsstarrig, sondern auch die Kirchenleute. Die ersten Kirchenväter lehnten das Buch der Offenbarung als kanonisch oder uninspiriert ab. Wäre es nach der Kirche im vierten Jahrhundert gegangen, einer Kirche die längst auf Konfrontations- und Abgrenzungskurs mit der Nation ihres Meisters gegangen war, hätte man es nicht zu den kanonischen Schriften gezählt. Aber Gott hat es verhindert. Das Dokument der Anklage gegen das Kirchenchristentum konnte dann nur noch umgedeutet werden, damit es erträglicher und für Kirchenchristen bekömmlicher ist. Genau das wurde bis zum heutigen Tag getan.

Die geistlichen Nachfahren dieser Kirchenväter, wollen uns heute über die Offenbarung belehren. Hat denn Gott die Verstockung der Kirchen aufgelöst? Er hat einzelne Juden in die Gemeinde Christi gerufen, ebenso hat Er auch einzelne Kirchenmitglieder in Seine Gemeinde eingegliedert. Ist es berechtigt dann von einer Verstockung der Kirchen zu reden? Wenn man die Beharrlichkeit der Kirchen sieht, auf ihrem Weg des Anti-Israelismus zu beharren, dazu einen anderen Christus zu verkünden, als den biblischen, dann muss man das bejahen.

Der biblische Christus ist, wie jeder leicht in der Bibel nachlesen kann, von den Toten leiblich auferstanden. Er ist Gott und Schöpfer der Himmel und der Erde. Und Er ist der alleinige Erlöser, zu dem hin keine Werke oder Sakramente führen. Bereits an diesen drei Kriterien des Glaubens scheitern alle großen Kirchen. Es gibt noch viele andere, an denen sie ebenfalls scheitern, weil sie den biblischen Glauben nicht gekannt oder längst aufgegeben haben und andere Dinge an seine Stelle gesetzt haben.

Das Buch der Offenbarung kann gerade in der Endzeit, wenn Gott Verstockungen beendet, denen eine Hilfe und Glaubensermutigung sein, die erkennen, dass sie die Bewahrheitung des Wortes Gottes erleben dürfen. Die Eindrücklichkeit des Beweises wird dann wahrscheinlich auch daher rühren, dass man sieht, wie verführt die sogenannte Christenheit tatsächlich war, wie sie sich zu einem gefälschten Evangelium hingewendet hat und wie klar doch eigentlich alles schon geschrieben stand und nicht zuletzt, dass Israel eben nicht durch eine ominöse Kirche ersetzt worden ist. Das alles wird für die, die es sehen können, zu einem gewaltigen Zeugnis.

In der Schlussermahnung der Offenbarung wird es noch einmal wiederholt wie wichtig die Bewahrung von Gottes Wort ist: „Und siehe, ich komme bald. Glückselig, der die Worte der Weissagung dieses Buches bewahrt!“ (Of 22,7)

Bezeichnenderweise ist es Petrus, der Apostel des Evangeliums der Beschneidung, der Apostel Israels, der die Briefempfänger, Juden in der Diaspora, ermahnt, an dem prophetischen Wort festzuhalten und darauf zu achten (2 Pet 1,19). Sie wären beim Lesen der Offenbarung nicht auf den Gedanken gekommen, dass es nicht für sie, die Juden, geschrieben war. Sprache und Inhalte waren ihnen bekannt aus dem Alten Testament. Im Buch der Offenbarung fanden sie, dass es (weiterhin) um Gottes Weg mit Israel und den Nationen ging. Es baut thematisch und lehrmäßig nicht auf den Paulusbriefen auf, sondern scheint eine Fortsetzung der Apostelgeschichte und der Evangelien zu sein, während diese im Wesentlichen eine Fortsetzung der Schriften des Alten Testaments sind.

Die Worte der Propheten des Alten Testaments werden in der Offenbarung immer wieder aufgenommen, das was sie vorausgesagt haben, läuft in der Offenbarung tatsächlich ab. Es zeigt sich, Gott hält Sein Wort und erfüllt die Verheißungen. Es sind die Verheißungen, die Gott Israel und all jenen gegeben hat, die schon im Alten Testament auf Gottes Wort hören sollten, aber es nicht taten. Es sind aber auch die Verheißungen, die jene ermutigen sollen, die Gott beim Wort nehmen. Dass die Kirchen Israel ersetzt haben, ist eine Erfindung. Der Autor ist nicht unbekannt. Es ist jemand, der Zweifel an der Zuverlässigkeit des Wortes Gottes und der Glaubwürdigkeit Gottes säen will.

Die Offenbarung ist das Wort des Herrn an Seine Knechte: „Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gab, um seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muss; und indem er sie durch seinen Engel sandte, hat er sie seinem Knecht Johannes kundgetan, der das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi bezeugt hat, alles, was er sah.“ (Of 1,1-2)

Schon der Beginn der Offenbarung deutet auf das Alte Testament, denn wann immer Gott etwas durch Seine Beauftragten sagen lässt, bezeugt Er die Herkunft des „Wortes des Herrn" (1 Mos 15,1.4; 2 Mos 24,3; 4 Mos 11,24; Jos 3,9; 1 Sam 3,1; 1 Kö 6,11; 1 Chr 11,3; Esr 1,1; Ps 12,7; Jes 1,10; Jer 1,2; Hes 1,3; Dan 9,2; Hos 1,1; Joel 1,1; Am 7,6; Jon 1,1; Mi 1,1; Zef 1,1; Hag 1,1; Sach 1,1; Mal 1,1). Diese Formulierung findet sich häufig im Alten Testament. Da beginnen Propheten ihre Niederschrift mit dem „Es geschah das Wort des Herrn“. Es ist ein Ereignis, wenn Gott spricht, da muss jeder zuhören. Aber wer ist der meist mit „HERR“ wiedergegebene JHWH? Es ist Jesus Christus (Joh 1,3; 1 Kor 8,6; Kol 1,16-17; Heb 1,2). Johannes ist demnach einer von diesen Beauftragten und Knechten JHWHs.

„Und ich wandte mich um, die Stimme zu sehen, die mit mir redete, und als ich mich umwandte, sah ich … einen, gleich einem Menschensohn… Und er legte seine Rechte auf mich und sprach:.. Schreibe nun, was du gesehen hast und was ist und was nach diesem geschehen wird.“ (Of 1,12-19)

Die Offenbarung beginnt damit, dass Johannes klar stellt, nur das niedergeschrieben zu haben, was ihm von Gott gezeigt wurde. Jesus Christus selber hat mit ihm gesprochen (Of 1,12-13). Johannes ist im Neuen Testament neben Paulus der einzige, dem Christus nach Seiner Himmelfahrt gesonderte Enthüllungen gibt. Man könnte sagen, bei Paulus haben sich die Offenbarungen, die er von Jesus Christus erhalten hat, in den Briefen niedergeschlagen, bei Johannes in der Offenbarung.

Christus weist Johannes an, aufzuschreiben, was geschehen wird (Of 1,19). Er weist ihn nicht an, Bilder aufzuzeichnen, die Hinweise geben auf das, was geschehen wird. Das wird von vielen Bibelauslegern oft nicht beachtet. Für manche Ausleger der Neuzeit ist die Offenbarung ein symbolisches Werk, das nur ungefähr zeigen soll, was schon geschehen ist und offen lässt, was geschehen kann. Das widerspricht aber dem, was Jesus Christus selber sagt. Gleich zu Anfang kann man bei den Auslegern die Probe aufs Exempel machen, denn wenn sie da schon ihr Wort gegen das Wort Gottes stellen, hat man auch im Folgenden keine zutreffenden Auslegungen zu erwarten.

Die Offenbarung ist ein Buch über die Endzeit

nicht über die Vergangenheit.

Geistliche Erkenntnisse und Wahrheiten müssen vom Geist Gottes aufgeschlossen werden, sonst bleiben sie verschlossen.

Für Christen, die die Bibel für wahr halten, stellt sich die Frage, ob sie ihre Zeit dafür einsetzen sollen, solche Bibel verneinende und bibelkritischen Werke zu lesen. Bibel verneinend sind alle Auslegungen, die Fremdworte über Gottes Wort stellen oder Gottes Wort in den nicht mehr gütigen Bereich oder in die nicht mehr gültige Vergangenheit verlegen, wo es in Wirklichkeit aktuell und kompetent ist. Bibelkritisch sind alle Auslegungen, die leugnen, dass Gottes Wort Gottes Wort ist und behaupten, dass die Bibel die Denkweisen von Autoren wiedergibt oder in Wirklichkeit Irrtümer enthält.

Nach den Eingangsworten kommt Johannes gleich in den ersten drei Kapiteln auf die Sendschreiben an die sieben Gemeinden in der römischen Provinz Asien zu sprechen. Er schreibt also „an die sieben herausgerufenen Gemeinden, die in der Provinz Asien sind.“ (Of 1,4). Der Bibelleser, der in einer Kirche aufgewachsen ist - was für die meisten gilt - oder gerade die Paulusbriefe gelesen hat - was für die wenigsten Kirchgänger gilt - wird hier unwillkürlich an „christliche“ Gemeinden denken. Und zweifellos sind es Gemeinden, die daran glauben, dass Jesus der Messias ist.

Aber schon hier scheiden sich die Geister der Ausleger. Die meisten sagen, was nun in den Kapiteln 2-3 bei der Beschreibung der einzelnen Gemeinden, Ephesus (heute Efes), Smyrna (Izmir), Pergamon (Bergama), Thyatira (Akhisar), Sardes (Sart), Philadelphia (Alaşehir), Laodizäa (Lâdik), folgt, sei auf die nichtjüdischen christlichen Kirchen zu beziehen. Sie sind sich lediglich nicht einig, ob die Kirchen in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft existiert haben bzw. existieren werden oder zu jeder Zeit der Kirchengeschichte nebeneinander, oder vielleicht doch hintereinander. Deshalb sagen manche gleich, es gilt für alle zu allen Zeiten *14

Das ist schon deshalb richtig, weil ja jedes Wort Gottes für jeden lehrreich ist. Es wäre unsinnig, zu sagen, „da ich nicht zur Gemeinde in Pergamon gehöre, muss ich das gar nicht erst gelesen haben, was Christus der Gemeinde zu Pergamon zu sagen hat“. Dennoch ist es heilsgeschichtlich bedeutsam, wem die Verheißungen, Anweisungen und Warnungen, die in den sieben Sendschreiben genannt sind, in erster Linie gelten. Wenn man das richtig zuordnet, hat das auch tiefgreifende Konsequenzen für das Verstehen von Gottes Wort über den engen Rahmen der jeweiligen Sendschreiben hinaus.

Die Sendschreiben an die Gemeinden in AsiaOf 1-3

Die meisten Ausleger sehen in den Gemeinden der Sendschreiben die christlichen Kirchen. Damit sind schon einmal gewisse Weichen gestellt. Darüber, dass es doch klar heißt, dass die Kirchen in „Asia“ sind, lässt man sich bei dieser Wahl nicht beeinträchtigen. Zurzeit der Abfassung der Offenbarung war „Asia“ die gleichnamige römische Provinz, ein Gebiet, das heute vollständig in der Türkei liegt. Sollte eine der Kirchen zum Beispiel für die Kirche der Reformationszeit stehen (dafür wird meist Sardes auserwählt), wäre es nicht herzuleiten und als irreführend zu bezeichnen, warum Gott dokumentieren lässt, dass die Gemeinde in „Asia“ sei. Luther, Calvin, Zwingli und John Knox waren weder in Asia noch in der Türkei. Und auch umgekehrt ist zu fragen, was sollen Gemeinden in Asia mit einer Offenbarung anfangen, die sich irgendwo anders erfüllt?

Man sieht daran, viele Auslegungen kommen ohne Beiseitelassen oder Nichtberücksichtigung biblischer Aussagen oder Teilaussagen nicht zu Recht. Man passt die biblische Aussage dem eigenen Konzept an und nicht umgekehrt. Diese Methode wird besonders deutlich im Umgang mit Schriftstellen, die von Israel oder jüdischen Bedeutungsinhalten reden, aber durchweg kirchlich umgedeutet werden. Die Widersprüchlichkeit mancher Auslegungen zeigt sich darin, dass man zwar in der Lage ist, zu erkennen, dass viele Angelegenheiten Israels angesprochen werden, aber man beharrt darauf, dass dies doch für die Gemeinde unabhängig von Israel gelten müsse.

Als Beispiel dafür schreibt Thomas Jettel in seinem Offenbarungskommentar: „Es spricht einiges dafür, dass es sich in Offenbarung 2-3 um menschlichen Boten handelt.“ Und zwar mit der Begründung: „Im Judentum wurden die Synagogenvorsteher „Boten“ (gr: aggeloi) genannt.“ Eigentlich ist somit der Gedanke naheliegend, dass es sich bei den Gemeinden um jüdische Gemeinden handeln kann *15 Aber nein, weil das nicht sein darf, macht man die Boten zu nichtjüdischen Kirchenvorstehern.

Ein Prinzip jeder Bibelauslegung sollte also sein, die Bibel sich selber erklären zu lassen, wo sie es tut. Man muss der Bibel die Chance geben, verstanden zu werden, vorher noch sie zu Wort kommen zu lassen und danach ihr zu glauben! Ein weiteres Prinzip ist, den Bibelstellen keinen anderen Sinn zu geben, wenn die Aussage an sich bereits klar und sinnvoll ist und in den Kontext passt. Zum Dritten muss man berücksichtigen, dass es in Gottes Wort keine Floskeln oder überflüssigen Worte gibt. Also: sich selber erklären lassen - keinen anderen Sinn geben - alles wichtig nehmen.

Die wichtigste Regel dafür, Gottes Wort zu verstehen ist,

es für sich sprechen zu lassen, weil man dabei Gott sprechen lässt.

Es gibt eine kleine Zahl von Auslegern, die in den Gemeinden der Sendschreiben jüdische Gemeinden erkennen wollen. Ihre Argumentation ist leicht nachzuvollziehen und nicht zu widerlegen.

Wären diese Gemeinden der Sendschreiben leibeschristliche Gemeinden, also solche Gemeinden, die Paulus in seinen Briefen angesprochen hat, dann würde die Auffassung, dass das Buch der Offenbarung jedenfalls zum Teil für die nichtjüdische Christenheit geschrieben worden ist, Gewicht bekommen. Kann der Nachweis nicht erbracht werden, dass es sich um solche nichtjüdischen Gemeinden handelt, reduzieren sich die Argumente, dass die Offenbarung von den Kirchen handelt, schlagartig und wenig bleibt übrig. Daher ist es wichtig, zu erfahren, wofür diese Gemeinden stehen.

Doch bevor man dies beurteilen kann, bedarf es einer grundsätzlichen Überlegung. Was von den meisten Auslegern überhaupt nicht erkannt wird, ist, dass gerade Paulus und Johannes selbst, der Verfasser der Offenbarung, in ihren Briefen die Empfänger, also die „Christenheit“ – ein Wort, das nicht in der Bibel vorkommt, nicht nur zweiteilen in Juden und Nichtjuden oder, mit anderen Worten, in die Beschneidung und die Nicht-Beschneidung. Es gibt bei ihnen auch die Warnung vor einer verführten oder irregeleiteten und irreleitenden Anhängerschaft des rechten Glaubens. Es sind „falsche Brüder“ oder noch weniger als „Brüder“, vor denen die Apostel warnen, sowohl Paulus wie auch Johannes. Das bedeutet, dass es sowohl auf der Seite der „Judenchristen“, als auch auf der Seite der „Heidenchristen“ Irrlehrer und Verständnislose gab. Und die Bibel warnt vor ihnen.

Auch Jesus hatte in den Evangelien unterschieden in Juden, die Er erwählt, berufen oder wohlwollend angesprochen hat und solche, die Er verurteilte, weil ihr Gottesdienst heuchlerisch und falschen Herzens war. Das war vor Golgatha, als es noch keine „Christen“ und keine „Christengemeinde“ gab. Nach Golgatha war die Situation in Bezug auf die Erwählung, Berufung und den falschen Gottesdienst aber ganz ähnlich. Das zeigen Apostelgeschichte und Apostelbriefe. Somit ist klar, dass man erwarten kann, im Buch der Offenbarung diesen drei Gruppen zu begegnen:

- denen, die Gott dienen,

- denen, die Gott nicht dienen und

- denen die Gott in falscher Weise dienen bzw. nur meinen, dass sie Gott dienen. Genau genommen muss noch unterschieden werden zwischen

- Juden und

- Nichtjuden, weil das nicht erst seit der Apostelgeschichte und den Apostelbriefen ein großes Thema in der Bibel ist.

Die Bibel ist zwar das Buch über Gott und Seine Schöpfung, das ist die Menschheit. Sie ist aber genauer gesagt das Buch über

- Gott,

- Sein Volk Israel und den

- Rest der Menschheit und

- Eine Auswahl innerhalb der vorgenannten Personengruppen

-

Dieses Faktum spricht einen auf beinahe jeder Seite der Bibel an. Das gilt gerade auch für die Offenbarung. Die meisten Ausleger wollen aber nur Gott, die Kirche, das fehlgeschlagene Volk Israel, die Ungläubigen erkennen. Sie bilden dabei als zusammengehörende Paare: Gott und die Kirche, Israel und die Ungläubigen. Die einen sind gesegnet, die anderen verdammt.

Die Bibel, einschließlich der Offenbarung, hat eine andere Ordnung, die man als doppelte Pyramide darstellen kann.

Oben ist Gott, dann kommt die Auswahl zu Seinem Dienst, dann Israel, dann die Nationen (der Rest der Menschheit), diese finden über Israel und die Leibesgemeinde zurück zu Gott.

Gott – Auswahl – Israel – Nationen – Israel – Auswahl – Gott

Erst dann ist Gottes Schöpfung abgeschlossen und das Ende der Heilsgeschichte erreicht. Am Ende steht die Verherrlichung Gottes. Das stimmt mit dem Ergebnis der Offenbarung überein.

In Bezug auf die Sendschreiben ist zu beachten, dass Gal 2,9 davon berichtet, dass Johannes und die anderen Apostel im Unterschied zu Paulus ausschließlich unter Juden predigen sollten. So wurde es auf der Apostelkonferenz in Jerusalem beschlossen. Johannes hat das Buch der Offenbarung lange danach verfasst, vermutlich gegen Ende des ersten Jahrhunderts. Warum sollte ihn Gott jetzt etwas verfassen lassen, was an Nichtjuden gerichtet wäre? Hat Gott keine klare Linie? Vielleicht reicht als Erklärung, dass zu der Zeit Paulus nicht mehr gelebt hat. Aber ebenso kann man argumentieren, dass Johannes der Apostel ist, der in erster Linie, wie gehabt, seine Botschaft an messianische Juden zu richten hat.

Klare Linien – das ist das, was man bei der Bibelauslegung suchen sollte. Ist es nicht sogar folgerichtig, wenn man annimmt, dass wegen Gal 2,9 die Sendschreiben an jüdische Gemeinden, die an Jesus glaubten, adressiert sind? Diese These wird von den meisten Auslegern nicht vertreten, sie ist aber bisher nicht widerlegt worden.

Es ist kaum anzunehmen, dass Gemeinden, d.h. Versammlungen von Menschen, die an Jesus Christus als Messias und Erlöser glaubten, die in der damaligen Region der Sendschreiben tatsächlich existierten, ähnlich rein jüdische Gemeinden waren, wie es heute teilweise in Jerusalem bei den messianisch-jüdischen Gemeinden der Fall ist (aber eben auch nur teilweise). Die meisten Gemeinden dürften auch nichtjüdische Besucher gehabt haben. Die Frage, ob sie mehrheitlich Juden oder Nichtjuden waren, lässt sich heute, zweitausend Jahre später, nicht beantworten.

Die Paulusbriefe zeigen m.E. textimmanent und deutlich, dass es in den Gemeinden, die Paulus kannte, beides, Juden und Nichtjuden gab. Das ergibt sich daraus, dass er in seiner Anrede an die Briefempfänger wechselt von jüdisch auf nichtjüdisch. *17