Der Hebräerbrief - Ein heilsgeschichtlicher Kommentar - Roman Nies - E-Book

Der Hebräerbrief - Ein heilsgeschichtlicher Kommentar E-Book

Roman Nies

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Beschreibung

Der Hebräerbrief ist eines der bedeutungsvollsten Geschichtsdokumente aus der Zeit, als das Christentum entstand. Es war zugleich eine Zeit der Weichenstellung, ob das Evangelium sich im Judentum durchsetzen und ob es außerhalb des Judentums Fuß fassen könnte. Es sollte sich zeigen, dass sich zwar das Christentum zu einer Weltreligion entwickelte, sich aber so weit von den jüdischen Wurzeln entfernte, dass es auch dem Judentum fremd wurde. Der Hebräerbrief bezeugt aber, dass der von Israel so sehnlich erwartete Messias bereits gekommen war und die im Alten Bund geweckten Erwartungen und Verheißungen aufs Genaueste erfüllte. Mit Jesus Christus hatte Gott in der Heilsgeschichte mit den Menschen den entscheidenden Schritt getan. Der vorliegende Kommentar verdeutlicht jedoch, zunächst würde sich das Judentum nicht darauf einlassen. Und auch das Christentum ging unter dem Einfluss der jüdischen und griechischen Kultur einen eigenen Weg, der den Frieden und die Ruhe, die im messianischen Reich gelten sollten, nicht realisieren konnte. Dabei ging auch das Wissen um Gottes Heilsgeschichte verloren.

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Roman Nies

Der Hebräerbrief

Ein heilsgeschichtlicher Kommentar

© 2020 Roman Nies

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-347-13133-0

Hardcover:

978-3-347-13134-7

e-Book:

978-3-347-13135-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Einführung

Das große Erbe

Ein Kampf ums Heil

Die Selbstoffenbarung Gottes

In die Ruhe eingegangen

Das Bessere ist die Reife

Christus ist größer als der Tempel

Neuer Bund und Gemeinde Jesu

Glauben oder Gericht

Exkurs: Die humanistische Endzeitgesellschaft

Lichtwelt und Gerichtswelt

Glaubenswerk ist Gotteswerk

Abel, Kain und Rahab – reine Glaubenssache

Durch das Kreuz zum wahren Leben

Erziehung zu Gerechtigkeit, Vollkommenheit und Frieden

Warten auf Zion

Näherkommen und Bleiben bei Gott

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Einführung

Wenn man den Hebräerbrief auf sich einwirken lässt, gewinnt man den Eindruck, dass der Verfasser die Glaubensfelle der christlichen Gemeinschaft, die er anschreibt, wegschwimmen sieht. Im Blick auf das Ziel des Glaubens hätte der Verfasser viel vorzutragen, aber „es lässt sich schwer darlegen, weil ihr im Hören träge geworden seid.“ (Heb 5,11). Anstatt nun selber Meister der Lehre geworden zu sein, „habt ihr wieder nötig, dass man euch lehre, was die Anfangsgründe der Aussprüche Gottes sind; und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben und nicht feste Speise.“ (Heb 5,12)

Das ist eigentlich ein vernichtendes Urteil, denn es bedeutet, dass die angeschriebenen „Hebräer“ im Glauben Kleinkinder geblieben sind. Sie haben nur wenig oder nichts dazugelernt, seitdem sie das Licht der neuen Glaubenswelt erblickt haben. Was ist schiefgelaufen, fragt man sich? Wie konnte es so weit überhaupt kommen, dass es irgendwann einmal notwendig war, einer Gemeinde - und hier ist es nicht „eine“ Gemeinde, sondern allem Anschein nach die ganze Gemeinde Jesu Christi - nicht die Leviten, sondern die Evangelien zu lesen?

Das erinnert stark an das, was Johannes in seiner letzten Enthüllung apokalyptisch über und an die Gemeinden der Sendschreiben, real existierende Gemeinden im kleinasiatischen Raum zu seiner Zeit, zu schreiben hatte. Es ist der gleiche historische Ort und die gleiche historische Zeit, an die auch der Hebräerbrief anknüpft. Es sind Gemeinden, die noch einen starken messianisch-jüdischen Charakter haben, wie die zahlreichen Hinweise im Enthüllungsbuch des Johannes unzweifelhaft darlegen. *1

Diese Gemeinden sind wie die Hebräer, denn es sind jüdische Gemeinden. Auch sie werden gewarnt: Sie haben die erste Liebe verlassen (Of 2,4); sie haben Irrlehrer, die mit der Unwahrheit Kompromisse eingehen, unter sich (Of 2,14.15); sie dulden Götzendiener bei sich (Of 2,20); sie sind schläfrig geworden (Of 3,2.3); sie sind lau und blind geworden und bilden sich dennoch viel ein (Of 2,16.17). Ja, man denkt unwillkürlich dabei auch an heutige Kirchenvorkommnisse. Gibt es überhaupt in der Bibel auch nur einen Satz, der nicht in einer passenden Analogie jedem Menschen noch etwas zu sagen hätte? In der Bibelauslegung muss es aber zunächst einmal darum gehen, zu erfahren, was der Absender einer Nachricht einem ganz bestimmten Empfänger sagen wollte. In der Bibel gibt es jedoch immer mindestens zwei Absender. Der eine ist der Bote selbst, der Verfasser der Nachricht, der andere ist Gott.

Der Hebräerbrief wendet sich hauptsächlich an die messianischen Juden, die die Überlieferung hier richtigerweise „Hebräer“ genannt hat. *2 Zu den Hebräern gehören aber auch die nichtmessianischen Juden und ganz sicher lädt der Briefverfasser alle Juden ein, den Inhalt seines Briefes zur Kenntnis zu nehmen, denn der Brief ist ein Lehrwerk für alle Juden. Aber nicht nur das. Er ist für Nichtjuden ebenso wichtig. Ihre Adresse steht unsichtbar unter derjenigen der Hebräer. Der Brief ist von einem Juden an Juden geschrieben worden. Der Verfasser und jeder, der den Brief oder eine Abschrift davon zur damaligen Zeit weitergibt, weiß natürlich, dass ihn die nichtjüdischen Christen genauso im Umfeld der messianischen Juden zur Kenntnis bekommen werden.

Alle wichtigen Personen, die bei der Verbreitung des Evangeliums mitwirkten, waren zu jener Zeit Hebräer. Die Nichtjuden spielten in der Anfangszeit des Christentums, jedenfalls bis etwa zur Zeit der Zerstörung des Tempels, eine untergeordnete Rolle. Der Untergang Jerusalems ereignete sich unmittelbar nach der Zeit der Apostel Jesu, denn diese waren, bis auf Johannes, alle schon umgekommen und die Jerusalemer Gemeinde war auch mit dem Tempel untergegangen. Das ist kein Zufall, weil der Tempel und die Jerusalemer Gemeinde in einem engen Kontext standen.

Als sich die christliche Gemeinde weiterentwickelte, übernahmen die Nichtjuden mehr und mehr das Mehrheitszepter. Es waren dabei maßgeblich gebildete Griechen beteiligt, die schon immer in einer Art geistigen Konkurrenz zum Judentum und dessen gelehrtesten Vertreter gestanden hatten. Diese Konkurrenz, die man als hellenistisch-judäisch bezeichnen kann, wirkte auch im entstehenden Christentum weiter fort und kulminierte in der Entstehung einer nichtjüdischen Staatskirche, die von hellenistischen Denkvoraussetzungen und Glaubensvorstelllungen durchdrungen war. Die reine Lehre von Jesus oder Paulus war schnell verloren gegangen.

Von da an war das Schicksal der messianischen Juden besiegelt. Damit verschwanden auch weitgehend die biblischen Lehren des Petrus, Johannes, Jakobus und Paulus. Übrig blieb eine sonderbare Mischung von heidnischen, jüdischen und christlichen Elementen, die von allem etwas genommen hatte und es synkretistisch miteinander zum sogenannten Christentum verband. Aus diesem war das messianische Judentum ausgeschlossen und wurde zunehmend mit Feindlichkeit und Härte abgewiesen.

Zunächst beförderte der staatliche Ordnungssinn Kaiser Konstantins, der zunächst noch durch und durch ein Heide war, die christliche Kirche auf einen Rang über den anderen Religionen. Daraus erhob sich bald die Kirche Roms bei Konstantins Nachfolgern auf dem Kaiserthron als dominierend und richtete sich nur zu gerne nach den kaiserlich angeordneten Verboten zur Ausübung des neutestamentlichen Glaubens, den noch Jakobus oder Petrus oder Johannes ausgeübt hatten, über welchen die staatlich geförderte Kirche nun aber den Bann verhängte. Das betraf nur wenige Menschen, denn die Mehrheit im Römischen Reich waren Nichtjuden. Die Apostel Jesu und ihre Schüler hatten noch die biblischen Feiertage und den Sabbat gehalten. Dies alles war mit Ende des vierten Jahrhunderts im Römischen Reich Christen nicht mehr gestattet und Juden wurde es immer schwerer ihre Religion auszuüben.*3

Der Hebräerbrief richtet sich nicht an Vertreter des Christentums des vierten Jahrhunderts, sondern an Christen, insbesondere messianische Juden des ersten Jahrhunderts. Das war eine Zeit, als die Verfolgung durch die Staatskirche noch nicht begonnen hatte. Dafür gab es eine Verfolgung durch Juden und das Heidentum, denen diese jüdische Sekte, als welche diese neue Glaubensgemeinschaft wahrgenommen wurde, ein Ärgernis war. Dieser Druck hatte ausgereicht, um viele, die sich der Bewegung angeschlossen hatten, aus dem seelischen Gleichgewicht zu bringen. Und auch hier gilt das Gleiche wie bei den Mahnungen in den Briefen von Petrus, Johannes und Paulus: es gab auch viele Mitläufer und Glaubensnovizen, die nicht über die innere Stärke verfügten, allen Herausforderungen gewachsen zu sein. Sie befanden sich in einem eher feindlichen Umfeld und die nächsten Angehörigen, die oft aus der eigenen Familie kamen, waren nicht selten die schärfsten Gegner.

Wer sich heute als Angehöriger einer anderen Religion zum Christentum wendet, kann vielleicht seine Familie verlassen, das Dorf, die Stadt, vielleicht sogar das Land. Europa und Nordamerika haben die Fähigkeit und den politischen Willen Flüchtlinge aufzunehmen, wenn sie in ihren Herkunftsländern verfolgt werden. Damals stand die ohnehin fragile Existenz in den Provinzen des Römischen Reichs erst recht auf der Kippe, wenn man sich aus der Sippe entfernte. Das Leben war härter und kürzer im Vergleich zum Leben in den heutigen Wohlfahrtsstaaten, in denen der Staat viele Aufgaben der Familie übernommen hat. Man braucht keine Familie zum Überleben. Und doch ist es auch heutzutage noch für Muslime nicht gefahrlos möglich, die Religion zu wechseln, ganz gleich in welchem Staat sie leben. Auch Juden akzeptieren es in der Regel nicht, wenn einer der ihren Christ wird. *4

Wenn die „Hebräer“, die der Verfasser kritisch in seinem Brief anschreibt, noch wie „Milchbubis“ sind (Heb 5,12), dann verwundert es nicht, dass ihnen die Verzögerung der Ankunft des Messias zu einem Glaubenshindernis wurde. Das eigentliche Problem war ja nicht, dass der Messias noch nicht kam, denn wer sich einmal für den Messias entschieden hat, der lebt und stirbt für Ihn, wie es Paulus einmal gesagt hatte (Gal 2,19-20). Das Problem war eher, dass es immer geheißen hatte, Jesus komme bald zurück in Herrlichkeit. Er kam aber doch nicht so bald, wie man es selber erwartet hatte. Wer glaubensschwach ist, wird noch glaubensschwächer, wenn etwas nicht den Erwartungen entspricht. „Was stimmt jetzt noch?“ fragten sich manche. Dabei sinkt die Bereitschaft, überhaupt noch etwas zu glauben. Man begnügt sich mit der Milch der Glaubensgrundlagen, weil sie leichter verdaulich und bekömmlicher ist, als feste Speise. Und sie hat auch eine Unverbindlichkeit, die vermeintliche, aber gewollte Freiräume schafft. So ist auch heute im 21. Jahrhundert weitgehend die Verfassung der Christenheit, wenn der Glaube überhaupt noch darüber hinausgeht, lediglich einem Kulturkreis anzugehören, der bestimmte Werte zu verteidigen hat.

Der Verfasser des Hebräerbriefes schreibt gegen diese Glaubens-Suppenesser und Zweifler an der Verheißung an. *5 Sie sind glaubensmüde und schwerhörig, schlaff und wankend geworden. *6 Sie sind nur noch Hoffende, nicht mehr Erwartende (Heb b10,35-39). Der Hebräerbrief wird so zu einem Mahnbrief. Wie konnte es zu dieser Situation kommen?

Christus war nicht der einzige Heiland. Im ersten Jahrhundert gab es viele Konkurrenten. Jesus war im ersten Jahrhundert nicht einmal der bekannteste Heilsgott. Asklepios war damals die Nummer eins der Wundergötter. Ihn gab es schon seit 500 Jahren als Gott, der angebetet worden ist. Und er würde noch drei Jahrhunderte weiter „regieren“, bevor er tatsächlich von Jesus – religionsgeschichtlich gesehen – abgelöst wurde.

Im östlichen Mittelmeer hatte man außerdem die Lokalgottheiten, die bei einem drohenden Unheil oder bei Krankheit um Hilfe angerufen werden konnten. Wer sich von diesen nichtjüdischen Menschen für das Christentum interessierte, tat das also nicht unbedingt deshalb, weil er dem Evangelium glaubte oder weil ihn die Geschichte des Jesus Christus oder die Bibel der Juden irgendwie beeindruckte. Vielleicht wollte er nur noch auf eine weitere Quelle des Heils zurückgreifen. Wenn Asklepios nicht half, oder gerade nicht verfügbar war, weil man ihm nicht geopfert hatte, dann konnte man sich ja diesem jüdischen Jesus zuwenden. Auch solche „lauen“ Leute befanden sich im Umfeld der ersten Gemeinde. *7

Das besondere bei Asklepios war, dass er ursprünglich ein Schlangengott war, seine Heilkraft aber von Apollon, seinem Vater, geerbt hatte. Sein Stern ging auf, seitdem es in Epidauros auffällig viele Wunder bei seiner Anbetung gegeben hatte. Das Interessante an der Geschichte ist aus biblischer Sicht, dass Gott JHWH das Schlangensymbol bei den Israeliten in der Wüstenwanderung benutzt hat. Gott hatte Mose geboten, dass er eine eherne Schlange herstelle und auf eine Stange hefte (4 Mos 21,8). Wer von einer Schlange gebissen würde, sollte sie anschauen und dadurch geheilt werden. Das Symbol der Ärzte zeigt genau dieses Schaustück, wo es jedoch als Äskulapstab bezeichnet wird. Das ist sonderbar, aber nicht außergewöhnlich, denn biblische Symbole, Inhalte und Ereignisse tauchen in der Geschichte des Heidentums meist im Zusammenhang mit Legenden und Kulten auf, die zumindest zum Teil ihre Unglaubwürdigkeit bewiesen haben. Das trifft nicht auf die biblischen Sachverhalte zu. *8 JHWH tritt also in der Ärzteschaft in eine gewisse Konkurrenz zu diesem Asklepios. Aber eher ist es umgekehrt, denn JHWH war vor Asklepios. Irgendwie scheinen Israeliten oder jedenfalls das, was sie zu ihrer Heilskunst zählten, auf die griechischen Inseln gelangt zu sein, wo sich dieser Schlangen-Stabglaube erhalten hat, denn es ist unwahrscheinlich, dass sich neben der biblischen Geschichte noch etwas Ähnliches unabhängig davon entwickelt hat.

Die Konkurrenzen zur Bibel werden in der Bibel selbst genannt und beginnen bereits bei 1 Mos 3, wo sie als Manipulation des Widersachers Gottes gekennzeichnet werden. Dort ist es die satanische Schlange, die Zweifel an Gott sät. Die Schlange fragt „Sollte Gott gesagt haben…?“, wobei sie beides hervorrufen möchte, Zweifel an der Rationalität und Berechtigung von Gottes Ordnung und an Gottes Autorität. Es fällt auf, dass auch das gegenwärtige Weltbild der atheistischen Rationalisten, etwa mit der Evolutionstheorie, voll und ganz dieser Frage der Schlange entspricht. Die Folge davon ist, dass die Natur („Mutter Erde“) an sich als ein von Gott, dem Schöpfer, unabhängiger Wert betrachtet wird und (ihre Bewahrung) über überlieferte Werte gestellt wird bzw. werden muss. Die Bedrohung der menschlichen Gesellschaft ist nicht Folge einer sich Gott unterordnenden Menschheit, sondern Folge der beständigen Missachtung der Autorität und der Ordnungen Gottes. Das lehrt die Bibel schon auf ihren ersten Seiten, wo sie auf den engen Zusammenhang zwischen Gott, der Schöpfung und dem Menschen hinweist.

Dann aber ist klar, dass auch schon im ersten Jahrhundert im Zuge der Ausbreitung des Christentums, diese Konkurrenzen benutzt wurden, um Verwirrung zu stiften. Die Frage ist also: Welcher Schlange wendet man sich zu. Der Schlange von Mose oder der Schlange von Asklepios-Apollon?

Apollon ist im alten Griechenland der Gott des Lichts und des Heils. Er wurde von den Griechen auch mit dem Sonnengott Helios gleichgesetzt. Dieser entspricht aber dem Baal des antiken Orients. Baal ist der Widersachergott JHWHs im Alten Testament. So schließt sich der Kreis. Da sich das Christentum zuerst im östlichen Mittelmeer, insbesondere an der Levante, in Griechenland und in Kleinasien verbreitete, war zu erwarten, dass der Widersacher gerade dort mit den dort zur Verfügung stehenden Mitteln mobil machen würde. Er tat das unter anderem auf zwei Wegen. Der eine ist der Weg des kulturellen Brauchtums. Dazu gehört auch die Religion. Der andere Weg ist der Weg der Philosophie. Je lehrhafter eine Religion oder Weltanschauung nämlich wird, desto mehr muss sie Antworten auf theoretische und abstrakte Fragen geben können. Religion ohne Philosophie ist schwach und wenig tragfähig. Aus den Briefen der Apostel geht hervor, dass für die neue, christliche Glaubensrichtung eine große Gefahr von den „Elementen“ der Welt ausging. Diese Elemente versklaven die Menschen (Gal 4,3), wenn sie sich darauf einlassen. Sklaven sind aber Unmündige. Sie sind zu ihrer Unfreiheit verführt worden. Anstatt zum Heil, begeben sie sich in Abhängigkeit und bemerken das noch nicht einmal.

Manch einer mag sich fragen, warum die Völker der antiken Welt so leichtgläubig waren, dass sie ein solches Pantheon von Göttern füllten. Man denkt, das Volk sei unwissend und abergläubisch gewesen und die Naturwissenschaften gab es ja noch nicht. Doch so gut wie nichts stimmt an dieser Vorstellung. Der antike Mensch war nicht abergläubischer als der Mensch von heute. Es ist ein großer Irrtum, wenn man denkt, dass in Epidauros oder Delphi oder Ephesos große Heiligtümer entstanden wären, nur um ein religiöses Bedürfnis der Menschen zu befriedigen. Auch hier gibt die Bibel ein ganz anderes Bild. Zwar sagt die Bibel, dass die Götzen der Heiden Nichtse seien. *9 Jedoch ist damit nicht gesagt, dass sie nicht existent sind. Das zeigt sich im Fall der Zauberer des ägyptischen Pharaos. Hier wird das Verhältnis der Götter der Heiden zum Gott Israels gezeigt, als die Schlangen der ägyptischen Priester von der Schlange des Moses verschlungen wurden (2 Mos 7,12). Die Schlangen waren jeweils aus Holzstäben hervorgekommen. Die Bibel zeigt damit, auch Satan kann in die kreativ bildenden Naturkräfte eingreifen oder zumindest Phänomene hervorrufen, die als Trugbild in Erscheinung treten. Die Bibel stellt den Satan als großen Verführer und Irreführer und Täuscher heraus. *10

Wenn also gegen Gott gerichtete Kräfte solche „Wunder“ vollbringen können, dann ist es nicht verwunderlich, wenn es auf der ganzen Welt Orte religiöser Verehrung gibt, in denen Kräfte zum vermeintlichen Heil oder zum tatsächlichen Unheil wirksam werden. Der Volksmund ist sich dessen unzweifelhaft bewusst, sonst würde er nicht zahlreiche Geschichten erzählen, wonach jemand dem Satan seine Seele verkauft hat, um einen irdischen Erfolg zu erringen, der ihn aber immer am Ende das Seelenheil kostet. Ob diese Orte der Heilserfolgsversprechung dann Delphi oder Lourdes, Fatima oder Ephesos heißen, ist von nebensächlichem Interesse. Sie versprechen viel, halten aber nicht nichts, was am besten für die Menschen wäre, sondern bewirken etwas beim Menschen, was er zumindest teilweise als heilsam empfindet.

Doch Gott geht es beim Menschen nicht vordergründig um gute Empfindungen. Bei Gott sollten die Israeliten lernen. Der Gott Israels ist der höchste Gott, dem sich alle anderen „Götter“ beugen müssen. *11 Und so beobachtet man in der Geschichte der Menschheit, dass die Menschen jenseits von Israel viele Götter mit Potenzen haben, denen sie sich unterwerfen können, um Gunst zu erfahren. Doch nur der Gott Israels ist der höchste Gott. Er ist der Eine, der Himmel und Erde erschaffen hat und der allein die Menschen zu ihrem Heilsziel bringt. Diesem Gott geht es nicht nur darum, das Leben der Menschen zu erleichtern, sondern Er hat die Macht und das Vermögen, den Menschen das göttliche Leben zu geben, das von einer ganz anderen Art ist, als das endliche Leben, über das die anderen Götter beschränkte Macht haben (Mt 10,28). Als Jesus sagt: „Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen; fürchtet aber vielmehr den, der sowohl Seele als auch Leib zu verderben vermag in der Hölle!“ (Mt 10,28) spricht er genau diesen Sachverhalt mit an. Ehrfurcht soll man nicht vor den „Heilanden“ und Göttern der Heiden haben, sondern allein vor dem Gott Israels. Er allein hat die souveräne, alles umfassende Macht über das Leben und Weiterleben jedes einzelnen Menschen. Die anderen Götter bleiben Nichtse, wenn man sie auch so behandelt. Man soll sie ignorieren und nicht auf ihre Werbeversuche eingehen, denn man muss immer teuer bezahlen.

Die Schwierigkeit für den Menschen besteht darin, dass Gott Seine Macht nicht jederzeit zeigt. Er baut die neue Welt und das Heil des Menschen über das Vertrauen in Ihn auf. Kadavergehorsam oder berechnende Anbetung sind Ihm wertlos. Er bringt den Menschen zu seinem Verherrlichungsziel. Dazu muss der Mensch den einzigen Weg gehen, den es zu diesem Ziel geben kann. Im Zentrum, am Anfang und am Vollendungsziel dieses Weges steht Jesus Christus. Von Ihm muss man sich ziehen lassen und das kann man nur, wenn man sich Ihm anvertraut. Nicht ein bisschen, nicht versuchsweise oder halbherzig, sondern voll und ganzherzig.

Zu diesem Vertrauen oder „Glauben“ gehört aber das Verstehen und das Lieben der innersten Beweggründe des Wesens Gottes und der Heiligkeitsverhältnisse zwischen Ihm und der Schöpfung. Was ist damit gemeint? Da ist die unauslotbare Zuneigung Gottes zu Seiner Schöpfung, die darin zum Ausdruck kommt, dass Gott selber in Seinem Sohn die Rechtfertigung und Heiligung der Menschen erwirkt, indem Er Seinen Sohn die Sünden der Menschen sühnen und die Menschen immer näher zu sich ziehen lässt. Wer die Notwendigkeit dazu nicht nur erkannt, sondern auch aus vollem Herzen, d.h. mit Seinem ganzen Wollen erfasst hat, wird dem Wesen Gottes so nachhaltig nahegebracht, dass er es ganz lieben und anstreben lernt. Es gibt keine Vollendung der Erlösung für den Menschen, wenn er sich nicht dem Wesen Gottes angleichen lässt. Der erste Schritt dazu geht über die vertrauensvolle Hingabe an Christus, weil in Ihm Gott dem Menschen gerade am Kreuz von Golgatha so nahegekommen ist, dass Er anstelle des sündigen, unerlösten Menschen getreten ist. Und nun darf im Vertrauen aber auch der Mensch Gott nahekommen.

Diese Heilsvorstellung ist eine ganz andere als die Heilsvorstellungen der Antike oder der Religionen, wo der sündige Mensch allenfalls zu einem besseren Menschen wird, dessen Entwicklung immer mit dem Tod endet und nicht darüber hinausgehen kann, denn der Herr des Totenreiches ist Christus. Andere „Herren“ regieren die Welt nur vorübergehend, denn es ist eine sterbende Welt.

Die Götter der Heiden können diese persönliche Beziehung zwischen Gott und Mensch, die zur Erlösung erforderlich ist, nicht herstellen. Sie können den Menschen eine Gunst erweisen, die sie nicht vor dem Tod und vor der Sünde bewahrt. Für das Jenseits, für das Leben nach dem Tod, für das eigentliche Leben, für das endgültige Leben, sind sie inkompetent. Allein Christus hat hier die umfassende, ja die alles, auch das Totenreich umfassende Hoheit. Dies ist die Lehre der Bibel. Christus ist also nicht wirklich in Konkurrenz zu den anderen Göttern. Er ist konkurrenzlos. Das Christentum wie es in der Bibel dargestellt wird, *12 ist nicht eine von vielen Religionen. Die Bibel selbst widerlegt diese Ansicht, der ein Missverständnis zugrunde liegt, das für Außenstehende unvermeidlich scheint. Das Kirchenchristentum mag einer Religion vielleicht sehr nahekommen. Die biblische Lehre über den Christus gehört zu einer eigenen Kategorie. Sie „spielt“ gewissermaßen „in einer eigenen Liga“. Die Bibel, bzw. die biblischen Autoren, nehmen für sich die Bezeugung einer einmaligen, nämlich direkt von Gott stammenden Wahrheit in Anspruch: Unterstützt wird dieses Selbstverständnis dadurch, dass die Bibel ein in sich geschlossenes und vollständiges Weltbild erklärt.

Die christlichen Gemeinden, die der Hebräerbrief anschreibt, befanden sich in einem Umfeld, wo es eben nicht die glorreiche, philosophisch unanfechtbare neue Lehre über den Zimmermannssohn aus Galiläa gab und sonst nur primitiven Aberglauben. Man muss sich vergegenwärtigen, wenn man dazu in der Lage ist, dass die Unvergleichlichkeit und Größe des Evangeliums nur dann erkannt werden kann, wenn man es bereits kennt und verstanden hat. In dem Maße, wie es die Menschen nicht verstanden haben, selbst wenn sie sich mit dem christlichen Glauben verbunden fühlten, im gleichen Maße ging dieser Glaube auch unter und hatte die Charakteristiken nicht mehr aufzuweisen, die das Evangelium so einzigartig machten. Für einen Heiden war das Evangelium ein Kuriosum, das man wahlweise verspotten oder belächeln konnte. Das ist geradezu die logische Folge davon, wenn man es nicht richtig verstanden hat. Es ist also genau umgekehrt. Nicht der christliche Glaube erstrahlt über andere als Wahrheit von unüberbietbarer Kraft und Logik, sondern er wird zur Kenntnis genommen als ein sonderbarer Emporkömmling im Reigen der Religionen, den man kaum ernst nehmen konnte, wenn man nach den herkömmlichen Maßstäben urteilte.

Der spätere Kaiser Konstantin wird oft als herausragende Persönlichkeit beschrieben, weil er die Weitsicht gehabt haben soll, das Christentum als das Völkervereinende der Zukunft zu erkennen und es sich so zu Nutze zu machen. Tatsächlich kann man sich den Aufstieg des Christentums nicht ohne Konstantins politische Weichenstellungen zugunsten der Kirche, die sich als „katholische“ bezeichnete, vorstellen. *13 Dabei darf man jedoch nicht übersehen, dass das Christentum, das Konstantin, der von Haus aus ein Verehrer Apollons war, kennen lernte, sich in vielem bereits grundlegend unterschied von dem Christentum des ersten Jahrhunderts. Aus den christlichen Gemeinden war eine Kirche geworden, die sich bereits auf einen gefährlichen Irrweg begeben hatte.

Wie gesagt, die Götter der Völker der Antike waren mächtig und einflussreich. Und das nicht nur auf dem Papier. Und ob der Gott, der Konstantin bei der Schlacht an der Milvischen Brücke ein Zeichen setzte, der Gott Israels war, nur weil er für Konstantin eine Art Kreuz erscheinen ließ, *14 ist noch lange nicht ausgemacht. Im Zeichen dieses speziellen Kreuzes wurden nach Konstantin bis in die Gegenwart noch unzählige Gräuel verübt, die man unmöglich dem Walten des Geistes Christi zuschreiben kann. Gott irrt sich nicht, auch nicht darin, wem Er Seinen Geist gibt. Auch die anderen Völker der Antike, einschließlich der Griechen und Römer, bauten ihre Tempel und Altäre. Auch sie brachten, wie die Juden, ihren Göttern Brand- und Blutopfer dar, um ihre Gunst zu erwerben. Da hat es nicht einer dem anderen nachgemacht. Ihr gemeinsamer Vorvater Noah und dessen Söhne hatten dieses Brauchtum weitergegeben (1 Mos 8,20). Vom Grundsatz her, besteht bei allen Völkern ein Verständnis dafür, dass man der höheren Macht etwas geben muss, wenn man etwas von ihr haben will. Vertrauen, Zuneigung wenn möglich, wenigstens Gehorsam. Wobei aus biblischer Sicht die Opferungen nur ein vorläufiger Hinweis dafür waren, dass die Sünden zu sühnen waren. Die Opferungen waren aber nie ausreichende Sühnungen. Diese Sühnung wurde durch ein einziges Opfer, nämlich jenes auf Golgatha geleistet.

Man kennt schon von den irdischen Herrschern, oder vorher schon innerhalb jeder beliebigen menschlichen Gemeinschaft, dass das Zusammenleben mit wechselseitigem Geben und Nehmen funktioniert. Dem, der über einem ist, sollte man sich unterordnen. Und Gott ist der Höchste, dem man sich unterordnen muss. Das fällt umso leichter und hat noch größere Aussicht auf Erfolg, wenn man Ihn aufrichtig und nicht nur aus Berechnung verehrt und tatsächlich zu einer persönlichen Beziehung zur Gottheit kommt. Bei vielen Kulturkreisen gab es dazu einen Initiationsritus. Bei den Nachfahren Jakobs war das die Beschneidung, die einen Angehörigen Israels zu einem Volkszugehörigen machte. Auch dabei floss Blut.

Andere Völker kannten ähnliche Riten. Sie hatten ebenso wie Israel ihre Feiertage mit bestimmten Symbolen und Funktionen. Das war alles noch nicht außergewöhnlich. Der katholischen Kirche gelang es Opfer, Blut und Gott in eine Verbindung zu bringen, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Während die Anbetung JHWHs im Tempel zu Jerusalem bis zum Jahr 70 noch bekannten und üblichen Gebräuchen folgte, die mit den Riten anderer Völker vergleichbar war, führte das kirchliche Christentum eine völlig neue Form der Feier des mystischen Einsseins mit Gott ein. In der katholischen Messe wird nach dem Glauben der Katholiken ein Stück Brot in den Leib Gottes und Wein in das Blut Jesu Christi verwandelt und dann gegessen und getrunken. Ein ritueller Gottesverzehr. *15 Die katholische Kirche, die über Jahrhunderte das Außenbild der Christenheit prägte, machte aus einer Symbolik einen tatsächlichen Vollzug, der ihr dazu verhalf, Macht über die Kirchgänger zu erhalten, denn nur wer an der Messe teilnahm, war ein anerkanntes Mitglied der christlichen Gemeinschaft. Könige und Herrschaften erflehten die Zulassung an der sogenannten heiligen Messe, wenn sie sich mit dem Papsttum verfehdet hatten. *16 Ein unlösbares Geheimnis, wie Gott Seine Seinsform in die Hände des Menschen geben kann, oder die Alternative: eine frevlerische Anmaßung, wie sie größer nicht sein kann? Das soll jeder selber für sich entscheiden. Dass es jahrhundertelang strengstens verboten war, unter Androhung der Todesstrafe, diesen Ritus anzuzweifeln, spricht nicht für dessen Richtigkeit.

Man muss erkennen, dass die „heilige Messe“ des Kirchenchristentums in der Entstehungszeit, also noch lange bevor sie dogmatisiert wurde, dem Christentum auch ein zweifelhaftes Ansehen verschaffte, obwohl es doch in jener Zeit viele Konkurrenzkulte, gab, die nicht viel weniger bizarr anmuten mussten.

Neben Asklepios gab es im Umfeld des entstehenden Christentums zahlreiche andere Heilsgötter. Die ersten, die dagegen anzupredigen hatten, waren die Jesusjünger. Man kann die damalige Zeit mit dem 21. Jahrhundert vergleichen, wo es ebenso viele Heilsanbieter und Scharlatane, Halbweise und Medizinpraktikanten gibt. Dazu werden die alten Götter wiederbelebt, zum Teil mit neuen Namen, anderen Masken und gefälligerem Outfit, upgedated und upgeshaped.

Zur Zeit der Entstehung des Christentums nannte Paulus diese Erscheinungsformen der Lösungsangebote für die Probleme des Lebens „stoicheion“. Das ist das Elementare, was eine Sache ausmacht. *17 Zu den „Elementen“ einer Sache gehören alle Aspekte, auch die geistigen und seelischen Implikationen. Deshalb hat auch der christliche Glauben seine „Elemente“, die ihn ausmachen. Dem stehen aber die Elemente der Welt, bemerkt und beurteilt von denen, die von Gott nichts oder nicht viel wissen oder auch nichts wissen wollen, entgegen.

Weitere prominente Heilsversprecher stammten aus Ägypten. Dazu gehörte die ägyptische Göttin Isis, die schon seit über eintausend Jahren auch als Astarte oder Aschera *18 elementar durch die religiöse Welt zog. Davon berichtet auch die Bibel. Sie wird im Alten Testament auch „Himmelskönigin“ genannt. *19 Sie steht biblisch gesehen gewissermaßen in Konkurrenz zu Israel, denn Israel ist die wahre Himmelskönigin: „Und ein großes Zeichen erschien im Himmel: Eine Frau, bekleidet mit der Sonne, und der Mond war unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen.“ (Of 12,1), die im Buch der Offenbarung ihrem Feind entgegengesetzt wird. Das ist der Drache, der schon immer ein Israelhasser war und auch Christus und die, die Ihm angehören, versucht hat, zu verschlingen (Of 12,3-5). *20 Die antike Welt, in der das Christentum entstand, kannte also nicht nur männliche Heilande, deren bekannteste die Namen Baal, Helios, Apollo, Serapis oder Asklepios waren und für die man eine Verkörperung oder zumindest Versinnbildlichung in den Himmelskörpern Sonne, Mond, Planeten und Sterne sah. *21 Diesen männlichen Vertretern der Heilkunst wurden weibliche Ergänzungen zugesellt, die dann Isis, Astarte, Artemis, Eleusis oder Salus genannt wurden. Asklepios hatte auch eine Tochter. Hygieia hatte das Talent zu heilen, von ihm geerbt. *22

Ganz im Widerspruch zu Paulus, der vor diesen „Elementen“ des heidnischen Glaubens warnte, nahm die spätere Kirche alle diese Elemente des heidnischen Pantheons in Ehren auf und gab ihnen nur andere Namen. Das waren die Namen der „Heiligen“. Das war praktisch, denn so wurde für die Heiden das Christentum annehmbarer und sie selber mussten wenig an ihren religiösen Gepflogenheiten ändern. Irgendwann gab es für jede Gebetsbitte und jeden Wunsch in der Kirche einen zuständigen Heiligen.

Die Kirche ist bei dieser einfachen Methode des „Christenmachens“ geblieben wie man an den Missionsmethoden der Spanier und Portugiesen in Südamerika sehen kann. Es genügte, sich vor dem Kreuz der Kirche niederzubeugen, dann galt man als Christ. Dass man seinen alten Glauben an Lokal-, Schutz- und Wettergötter beibehielt war nicht zu beanstanden, sofern man sie Sankt Irgendwie nannte. Nicht selten machte man sich nicht einmal so viel Mühe. Man erklärte die Götzen einfach als Engel. Und so waren sie Schutzgeister geblieben und so mussten sie nicht einmal aus den Hütten, auf die man ein Kreuz aufgepflanzt hatte, vertrieben werden! Ebenso übernahm man einen Teil der kultischen Handlungen und Symbole. *23

Man brauchte immer anstelle des unsichtbaren Gottes etwas Vermittelndes und Stellvertretendes. Man wusste, dass man „unrein“ war und nicht direkt mit Gott in Verbindung treten konnte. Gott musste darum gebeten werden, doch ein Ding, das er selber reinigen mochte, mit einer heilsamen Wirkung zu versehen, dessen sich der Mensch wieder bemächtigen konnte. Man stellte heiligende Statuen und Statuetten auf, wie man das später in der christlichen Kirche fortführte. Der Handel mit Reliquien und der Wettbewerb, wer die wirkungsvollsten Heiligtümer besaß, wurde nahtlos von den Katholiken übernommen, mit der gleichen Wirksamkeit. *24 Diese bestand jedoch hauptsächlich darin, dass anstelle der Verehrung des Gottes die Verehrung und der Gebrauch von Fetischen und Mächten der Finsternis, die das auszunützen wissen, trat. *25 Das war ein schlechter Handel. Anstatt die unmittelbare Nähe zu Gott, die ein Mensch über den Geist Christi mit Gott haben kann, zu erbitten, wirft man die Beziehung weg und ersetzt sie durch tote Gegenstände und zweifelhafte Geistführung.

Die Idee der späteren Kirche, dass von den Bildnissen die Kraft Gottes, oder die Segensmacht von Verstorbenen oder auch noch lebendigen Heiligen und Heroen wirken könnte, speiste sich aus zwei Quellen. Da war die heidnische, die jeder kannte. *26 Auch den Juden blieben solche im Alten Testament verbotene Zuwendungen an fremde Götter nicht unbekannt. Ihre Aufklärung darüber war ja gerade mit ein Grund, weshalb die Juden oft auch auf die Heiden herabschauten. Aber nicht, weil man eine Stellvertretung oder immaterielle Übertragungswege der Heiloder Segenskraft Gottes für unmöglich hielt, sonst hätte man den Vorschriften der Torah über die Wirksamkeit der Opferungen und der Reinigungen keinen Glauben schenken können. Die Übergänge zwischen symbolischer Bedeutung mit geistigem Verständnis und der entsprechenden Wirkung im materiellen und immateriellen Bereich sind für den Erkenntnissuchenden fließend.

Dass bei diesem Synkretismus sehr fraglich ist, ob man überhaupt noch von einem authentischen christlichen Glauben reden kann, zeigt sich auch, weil dieses synkretistische Religionskonglomerat, das sich im Symbolismus erkennbar machte, als nicht haltbar erwies. Das erklärt warum die meisten sogenannten Christen dort, wo die Länder von den Arabern erobert wurden, Muslime wurden. Religionen sind austauschbar, von begrenztem Nutzen und endlich.

Die andere Quelle des Kirchenchristentums ist dennoch nicht ganz überraschend die Bibel selbst. Mt 14,36 zeigt, dass es unter der jüdischen Bevölkerung die Erwartungshaltung gab, dass ein Berühren des Gewandes eines Propheten Gottes eine heilsame Wirkung haben könnte. Die Bibel bestreitet das nicht. Gott kann jederzeit Wunder vollbringen, wie Er es gerade will, um damit in speziellen Fällen beispielhaft zu handeln. Man denke an die Plagen Ägyptens. Die Bibel sagt zur Erwartungshandlung der Menschen gegenüber Jesus: „und alle, die ihn anrührten, wurden völlig geheilt.“*27 Jesus gibt sogar eine Erklärung dafür, dass eine Kraft von Ihm ausfließt, die diese Heilung bewirkt (Lk 8,46) und dass das infolge des Glaubens geschieht (Lk 8, 48). Diese wundersamen Wirkungen sind den Juden aus dem Alten Testament und vielleicht auch aus persönlichen Erfahrungen bekannt.

Es gibt also tatsächlich einen Zusammenhang zwischen physischen Dingen und Glaubenshaltungen, die geistlich nutzbar sind und dann auch wieder zu physischen Veränderungen führen. Die materielle Welt ist zur immateriellen Welt hin offen und umgekehrt gilt offenbar das Gleiche. Das lehrt die Bibel schon lange. Das lehrt aber auch die persönliche Erfahrung, die viele Menschen haben. So gesehen scheint die Hinwendung der Kirchenchristen zu Zauberglauben, Fetischen und jeglicher Form von Spiritismus unvermeidlich und sogar konsequent gewesen zu sein, und leider auch in ihrem Ungehorsam gegenüber Gott, weil ja Gott die Beschäftigung mit Dingen, die sich aufdrängen, untersagt und als Alternative lediglich das Vertrauen in Ihn anbietet. Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: wahrhaftes und tragfähiges Heil erfordert das Vertrauen in den Gott, der die Himmel und die Erde erschaffen hat. Fehlt einem aber dieses Vertrauen sucht man nach Ersatzbefriedigungen, Ersatzgöttern und Ersatzheil. Und gerade darin gerät man in die Schieflage. So wie es nicht gut ist, irgendeinen Gott anzubeten – Hauptsache er hilft, so ist es auch nicht gut, irgendeinem Ritus oder einer Glaubenspraxis zu folgen – Hauptsache er hilft.

Gottes Anliegen ist es nicht, diese Formen der Religiosität für unwirksam zu erklären, oder sie gar unwirksam zu machen, denn ein Ersatz ist ja tatsächlich ein Ersatz, wenn auch nur ein ungenügender. Ihm geht es darum, dass man sich nur Ihm zuwendet, im Denken, Fühlen und Tun. Es ist seine immerwährende heilsame Eifersucht, die einerseits zunächst einmal die Wahlmöglichkeiten gewährt, dann aber auch deutlich macht, dass Er die bessere, ja einzig vernünftige und heilsamste Wahl ist. Viele Wahlen sind heilsam, aber nur vordergründig und stark eingeschränkt. Es gibt Pilzarten, die sehr schmackhaft sind und den Hunger stillen, aber doch ein tödliches Gift in sich haben. Dann ist man früh tot, hat aber ein sattes und schmackhaftes Leben gehabt.

Man sollte sich auch nicht über die reale Existenz von Wunderwirkern zu sehr wundern. Sie waren ebenso zahlreich in der Antike wie der Wunderglaube. Die Nachfrage regelt das Angebot. Zu ihnen gehörten auch die Seher, Zauberer und Propheten. Manchen Herrschern schrieb man göttliche Eigenschaften zu. Und auch hier widerspricht die Bibel keineswegs. Deshalb sollte man auch im 21. Jahrhundert vorsichtig sein, wenn man den Irrlehrenden, Verführern und Machthabern keine Verführungsmächte und Machttaten zutrauen möchte. Die Zauberer des Pharaos kamen schon zur Ansprache. Das neutestamentliche Beispiel gibt ein Mann, der ausgerechnet Simon heißt. Der andere Simon mit dem Beinamen Petrus war auch ein „Wundermann“ nach antiker Vorstellung. Die Wunder, die Simon Petrus wirkte, hatten die Vollmacht Gottes. Bei Simon, dem Zauberer, war das nicht der Fall.

Solchen Zauberern nachzufolgen und ihnen Glauben zu schenken, war für einen Juden eine schwere Verfehlung, die ihn für das Volk Gottes disqualifizierte (5 Mos 18,14). Im Neuen Testament werden Zauberer in einem Atemzug mit Ungläubigen, Frevlern, Mördern, Hurern und Götzendiener genannt, die im Feuer einen zweiten Tod durchleiden werden (Of 21,8). Das sind allesamt Menschen, die Gott kein Vertrauen schenken. Und daher sollte man ihnen auch kein Vertrauen schenken.

Für das Verständnis der Heilsgeschichte Gottes ist es bedeutsam, dass dieser Simon die Leute mit seinen Künsten verzauberte, doch dann gläubig wurde und seine Neigung, aus dem Übernatürlichen für sich etwas Großes zu gewinnen, beibehielt. Was war das für ein Glauben bei Simon? Er glaubte, dass Jesus der Messias Israels war und dass Er auferstanden war. Viel mehr kann es nicht gewesen sein. In Ap 8,13 heißt es: „Auch Simon selbst glaubte, und als er getauft war, hielt er sich zu Philippus; und als er die Zeichen und großen Wunder sah, die geschahen, geriet er außer sich.“ Simon wollte den Jüngern Jesu sogar Geld geben, wenn er dafür die Gabe des heiligen Geistes bekam (Ap 8,18). Das Problem des Simon war, dass er nicht aufrichtig vor Gott war. Er hatte also allenfalls eine Teilbekehrung seines Herzens (Ap 8,21).

Es gibt also gläubige Christen, die nicht vollständig bekehrt sind und daher noch ihren Lastern nachgehen. Nun erinnere man sich aber and die dreitausend, die unmittelbar nach Pfingsten in Ap 2 „gläubig“ wurden (Ap 2,41). Bei diesem Glauben kann es sich auch nur um einen Anfangsglauben gehandelt haben, der bei den meisten damals wohl nicht viel mehr beinhaltete als den Glauben daran, dass dieser Jesus Christus, den man vor wenigen Tagen in Jerusalem gekreuzigt hatte, tatsächlich der Messias Israels war und, nachdem Er ja bereits von den Toten auferstanden war, bald wieder zurückkehren würde, um das lang ersehnte messianische Reich zu errichten. Da wollte dann jeder dabei sein. Wenn es etwas zu „erben“ gibt, sind sie alle da. Diese „Bekehrungswelle“ wurde begleitet von „vielen Wunder und Zeichen durch die Apostel.“ (Ap 2,43) Kein großes Wunder war also die Bekehrungswelle.

Man findet in der theologischen Literatur kaum den Gedanken, dass es sich dabei um eine ähnliche Erscheinung handelt wie bei unzähligen ähnlichen Bekehrungsereignissen, bei denen den Zuhörern viel versprochen wird und wo eine Euphorie erzeugt wird, die auf viele ansteckend wirkt. Die Frage ist dann, ob die Versprechungen gehalten werden. Wenn man dem Petrus damals als Jude zuhörte, hätte man glauben können, dass der Messias bald zurückkehren würde. Doch zu den Lebzeiten der Zuhörer geschah das nicht und es kam, was kommen musste, viele „Gläubige“ verloren ihren Enthusiasmus. Wie viele dieser Dreitausend sind im Glauben geblieben?

Interessanterweise ist auch bei diesem „verzauberten“ Simon der Glaube vorhanden, dass die Jünger Jesu, die über die Gabe des heiligen Geistes verfügten, in der Lage wären, für ihn zu bitten, damit seine von den Aposteln diagnostizierten Versäumnisse behoben würden (Ap 8,24). Genauso machten es ganze Generationen von Kirchenchristen. Man bekehrt sein Herz nicht unmittelbar vor Gott und nimmt dafür die Sühne von Jesus Christus als Abdeckung, sondern wendet sich an andere, doch hoffentlich irgendwie Beauftragte Gottes oder Menschen, bei denen man Grund zur Annahme hat, dass sie Beauftragte wären: Priester, Heilige, Verstorbene, Hinz und Kunz, Hauptsache man lässt die unangenehme Sache einen anderen erledigen. Und man ist auch bereit, dafür zu zahlen. Man spendet Geld, man kauft einen Ablassbrief, man pilgert und fügt sich Schmerzen zu, usw. Das sind „simonische“ Handlungen, die bei Gott nicht gut ankommen. *28 Im Grunde macht man damit Gott käuflich, weil man denkt, von Gott Geistlichkeit erwerben zu können. Eine Hure verkauft gegen Geld ihren Körper. Bei Gott dachte man - und viele denken es noch immer -, man könnte Seine Heiligkeit, Seine Gnade oder Seine Zuneigung erkaufen. Das legt ein beredtes Zeugnis dafür ab, dass man nicht viel über Gott weiß.

Das hatten die Reformatoren durchschaut, dass da eher der Gott des Geldes angebetet wurde als Jesus Christus. Luther begann mit dieser Erkenntnis, dass der päpstliche Ablasshandel gegen den Geist Christi sei, die Reformation, die bis zum heutigen Tage von der Kirche Roms abgelehnt wird. *29 Die katholische Kirche ist eine simonische Kirche. Nicht wenige Päpste sind durch ihr Geld Papst geworden. Geld regiert nicht nur die Welt, sie regiert auch die Weltkirche.

Die Jünger Jesu vertrieben Simon, nachdem sie ihn zur ehrlichen Umkehr aufgerufen hatten. Er wurde keiner von ihnen. Er blieb ohne den Geist Christi, weil es ihm nicht ernst genug gewesen war mit der Umkehr und der vertrauensvollen Zuwendung zu Christus. Man muss also auch heute noch Ausschau halten nach simonischem Gebaren unter den Kirchen und ihren Vertretern, um die Spreu vom Weizen trennen zu können. Wer Teil haben möchte am Reich Gottes, muss sein Herz aufrichtig Gott zugewandt haben (Ap 8,21). Man suche danach, ob die Gläubigen darauf aus sind, Gott die Ehre zu geben, oder ob nach Geld und Ruhm und Macht gestrebt wird.

Zauberer hatte es sowohl im Orient als auch im klassischen Griechenland gegeben. *30 Die Verschmelzung von Orient und Okzident an der Nahtstelle Griechenland erfolgte in der Auseinandersetzung des Griechentums mit dem persischen Kulturkreis und dann seit Alexander dem Großen, der beide Kulturen miteinander verschmelzen wollte, durch den Hellenismus. Dass sich das Christentum ausgerechnet in diesem Raum ausbreitete, hatte nicht nur die frühe Auseinandersetzung zur Folge, sondern auch die gegenseitige Durchdringung. Das Christentum wie es in der Kirche im vierten Jahrhundert entwickelt ist, hat kulturgeschichtlich zwei Haupt-Urstämme im Judentum und im griechisch-orientalen Hellenismus. *31

Eigentlich sollte die christliche Kirche die Lehren der Bibel überliefern. Das hat sie jedoch nur zum Teil, weil sie sich zu sehr auf andere Lehren eingelassen hat. Die Aussagen der Bibel und von Philosophen sind von der Kirche zusammengefügt worden zu eigenen kirchlichen Aussagen, die im Laufe der Tradition ergänzt wurden. Die Tradition ist aber nicht identisch mit der Heilsgeschichte Gottes.

Die Kirche des vierten Jahrhunderts war das Ergebnis synkretistischer Strömungen und Entwicklungen. Eine Übernahme „reiner“ apostolischer Lehren durch nachfolgende Generationen ist eine Legende. Nicht einmal die Jünger Jesu oder Paulus selbst gelang es, alle in einem Glauben zu halten, wie die neutestamentlichen Briefe und die Apostelgeschichte des Lukas eindeutig belegen. Eine Sukzession apostolischer Einheit ist eine Erfindung eben jener Kirche, die zu verbergen hat, dass sie eine simonische Ader hat, eine babylonische Wurzel und eine hellenistische Prägung.

Die Entstehung der christlichen Kirche fällt außerdem in eine Zeit, in welcher der Dämonenglaube eine Hochblüte erlebte. Die Dämonen waren für den Mensch der Antike nicht einfach Abgesandte des Teufels, sondern Geister, die im Auftrag ihrer Götter eine Verbindung mit den Menschen eingehen konnten, die sowohl Fluch als auch Segen für die Menschen bedeuten konnte. Diese Einschätzung deckt sich mit der biblischen Lehre, wenn man dem „Segen“ eine Vorläufigkeit oder Vermeintlichkeit voranstellt. Da verhält es sich ganz ähnlich wie mit dem Gift in Pilzen, die zunächst sehr schmackhaft sind oder, um ein biblisches Beispiel zu nennen, das Linsengericht, welchem Esau nicht widerstehen konnte. Zunächst schmeckt es vorzüglich, auf was man sich eingelassen hat. Der Duft und der Geschmack haben einem die Sinne vernebelt und der Genuss des Dargereichten bringt eine vorläufige Sättigung, jedoch nur das Brot, das Christus darreicht, ist die reine Speise, die nicht mehr hungern lässt.

Bei Platon, einem der einflussreichsten Denker für die alte christliche Kirche, haben die Dämonen eine vermittelnde Funktion zwischen Gott und den Menschen. * 32 Bei seinem Schüler Xenokrates gab es schon einen deutlicheren Dualismus zwischen guten und bösen Dämonen. Das wurde von den philosophischen Schulen der Stoa und dann des Neuplatonismus übernommen und fand schließlich bei den sogenannten „Kirchenvätern“ freundliche Aufnahme. *33 Auch in der Bibel findet sich ein strenger Dualismus zwischen Gut und Böse. Doch lässt er sich auf die Engelwelt nicht immer so eindeutig abbilden. Saul wurde von einem bösen Geist von Gott geängstigt (1 Sam 16,14). Bei Hiob gibt Gott einem der „Söhne Gottes“, nämlich Satan (Hiob 1,6), die ausdrückliche Genehmigung, den armen, nichtsahnenden Hiob mit allen erdenklichen Bösartigkeiten zu überschütten (Hiob 1,12). Die Engel sind in der Bibel Diener Gottes. Das gilt offenbar auch für den Teil der Engel, der mit Satan das Böse protegiert und repräsentiert.

Zauberei trug der Dualität von Gut und Böse, wozu die Dämonen und Schutzgeister angerufen wurden, schon immer Rechnung und sei es nur, dass böse Geister vertrieben oder in Schach gehalten und ihre Wirkungen eingedämmt werden sollte. Man unterscheidet daher auch zwischen schwarzer und weißer Magie. Aus der Sicht der Bibel ist beides zu ächten. Mit dem Bösen gemeinsame Sache zu machen, um noch etwas Gutes dabei zu bewirken, ist von Gott nicht gestattet worden, gerade weil Er eine Vermischung von Gut und Böse nicht dulden kann. Gott versucht ja die Menschen zu heiligen. Dazu ist absolute Reinheit gefordert, keine „nützliche“ Vermischung.

Da man nie genau wusste, wes Geistes Kind jemand oder etwas war, war es nur folgerichtig, dass man versuchte, sich gegen alles abzusichern. Wer mit Christus nicht zufrieden ist, braucht noch andere Helfer. Und so übernahm die Kirche auch bald andere Vorstellungen des Heidentums über das Jenseits und die Kontaktmöglichkeiten mit dem Jenseits. So haben auch die Schutzheiligen der katholischen Kirche ihre Herkunft im orientalen und griechischen Totenkult. Gerade die verstorbenen Mitglieder der Herrscherfamilien wurden zu Heroen stilisiert, die man bei Bedarf anrufen konnte. *34 Hatte man nicht zu Lebzeiten versucht, sich mit ihnen gut zu stellen, dann vielleicht danach, um nichts von ihnen befürchten zu müssen. Dazu schmückt man auch die Gräber und bringt Opfergaben und bezieht sie in die Verehrung und die Gebete an die Gottheit mit ein. Das Heidentum hatte die Menschen im Griff und ließ auch dann nicht locker, wenn sich jemand für den neuen Gott Jesus Christus entschied. Die Kirche musste irgendwie darauf eingehen. Doch wie ist die entscheidende Frage!

Es ging dabei weniger um Toleranz als um Einbezugnahme und Wachstum. Um die Menschen unter ihrer Obhut zu halten, kam es zu einem kühnen wie genialen Schachzug, der wohl eher nicht einem einzelnen unbekannten Verschwörer zuzuschreiben ist. Auch die katholische Messe bezieht nämlich ihre Inspiration aus dem hellenistisch - orientalen Kulturkreis, der Mysterien-Kulte zum Zwecke der religiösen Erbauung kannte. Die Symbolik der Jesusworte beim Abendmahl reichte der Kirche nicht. Sie war für sie schon deshalb ungenügend, weil sie das Wesentliche gar nicht verstanden hatte. Es ist wie bei einem Landarbeiter, der beim Graben auf dem Feld einen farbigen Stein herauszieht und bemerkt, dass das matt schummernde Objekt so hart ist, dass er es zum Schärfen seiner Sense gebrauchen kann, dabei aber verkennt, dass er einen unschätzbar wertvollen Edelstein besitzt.

Die Kirche verband christlich überliefertes Gedankengut mit den „Elementen“ der Heiden. Die Mysterien-Kulte waren zur Zeit Jesu ausgereift, so dass sie weiten Teilen der Gesellschaft als ein Konsumentenbedürfnis dienen konnten. Was den Menschen über den Tod hinaus bewahren und zu einem besseren Schicksal verhelfen konnte, erhoffte man in einem geheimen Verfahren zu erhalten, denn die Volksreligionen hatten nichts vollends Überzeugendes zu bieten. Das Leben blieb ja beschwerlich und das Leben nach dem Tod war schmerzlich ungewiss. Natürlich konnte man auch die Kommunion mit Jesus Christus, die er in seinem letzten Mahl mit den Jüngern als Zielsetzung zur Erlösung und zur Teilhabe am himmlischen Erbe angab, als solches Mysterium bezeichnen. Denn Jesus hatte das Abendmahl nur mit seinen zwölf Jüngern in einem eigens dafür bestellten Raum abgehalten. Er sagte ihnen das Einssein mit Gott zu! Das ist das Zentrale jedes Mysterienkultes, das Verschmelzen, die Hochzeit mit der Gottheit. Doch waren es nicht die heidnischen Kulte, die dem christlichen Kult nachäfften, sondern es war der Kult der katholischen Kirche, der mit den heidnischen Kulten in Konkurrenz trat, um das Volk zu sich zu ziehen und zu befriedigen. Die biblische Lehre ist davon nicht betroffen. Sie wurde zu allen Zeiten nur von denen verstanden, die Gott dafür vorgesehen hat. Ihnen hat Er die Einsicht gegeben, so dass sie auch das Andere durchschauen, denn das ist die natürliche Folge, wer das Eine dem Wesen nach erkannt hat, vermag auch das Weitere richtig einzuordnen.

Jesus knüpfte an einer über tausendjährigen Passahmahlpraxis im Judentum an. Das hatte ein historisches Ereignis als Grundlage und kein wirklich mystisches Ereignis! Jesus hielt auch nur ein Passahmahl ab, wie es seit Mose bei den Juden Brauch war. Beim ersten Passahabend hatte das Blut von Lämmern an den Türpfosten den Engeln Gottes gezeigt, wer den Worten Gottes vertraut hatte, um sich retten zu lassen. Der Unterschied zu allen anderen Passahmahlen war, dass das endgültige und letzte Opferlamm mit Jesus am Tisch saß und ankündigte, dass Er sich selber hingeben würde. Er verwies also auf das bevorstehende Heilswirken, ebenso ein historisches Ereignis, das man im Nachgang befeiern konnte. Aber nicht die Feier würde die Erlösung bringen, denn die war historisch bereits geschehen. Das hat die katholische Kirche nie verstanden, weil sie in ihrem heidnischen Aberglauben zu tief verstrickt war und ist. Luther hat diesen Aberglauben leider übernommen.

Die einzige Änderung, die Jesus beim Abendmahl vornahm, war keine echte Änderung, sondern nur eine Ergänzung, denn während die Juden beim Passahmahl das ungesäuerte Brot gebrochen hatten, um ihren Dank anlässlich des rettenden Auszugs aus Ägypten zu sagen und mit dem Wein an das vor dem Tod rettende vergossene Blut des Passahlamms gedachten, erklärte nun Jesus, dass die Symbolik endgültig Verwirklichung finden würde in Ihm selbst, denn Er gab Seinen menschlichen Leib dahin zur Rettung Israels und Sein Blut war das Blut des endgültigen Passahlammes, das Blut des neuen, endgültigen Bundes. Jesus hat Seinen Jüngern gesagt, dass sie dieses Passah feiern sollten. Das gleiche Passah wie die Juden, nur ist nun das Gedenken an das Opferlamm ersetzt durch das viel bessere Gedenken an Jesus. Ebenso feiern messianische Juden das Passahfest heute, wie sie es vor zweitausend Jahren gemacht haben.

Ähnliche „Rettungsmahle“, bei denen geweihte Speise konsumiert und Blut von Opfertieren vergossen wurde, gab es auch bei anderen Völkern. Und ebenso wie im Judentum gab es bei den Heidenvölkern auch rituelle Reinigungen. Als Jesus zusätzlich den Jüngern beim letzten Abendmahl die Füße wusch, gab er ihnen ein Beispiel für Demut, die zugleich den brüderlichen Zusammenhalt stärken sollte. Ohne Demut kann der Mensch Gott nicht gefallen, was damit auch wichtiger ist als die rituelle Reinigung, die ebenso voller Symbolik auf geistliche Wirklichkeiten ist, aber im Judentum bereits gegeben war. Durch die Waschungen bei den Mysterien sollte die Seele gereinigt werden, oder zumindest die Bereitschaft signalisieren, für eine Reinigung bereit zu sein. Bei vielen Mysterienkulten stand dies am Anfang der Aufnahme in die Gemeinschaft der Auserwählten. Auch im Judentum und später im Christentum stand am Anfang des neuen Weges, der ein Umkehrweg war, oder auch bei der Erneuerung eines als richtig erkannten Weges, das Wasserbad. Noch heute findet man in ganz Israel solche Mikwe genannten Wasserbäder aus der Zeit des zweiten Tempels. Ziel der Mysterienkulte ist es, eine Einheit mit der Gottheit einzugehen. Die Abschiedsrede von Jesus im Johannesevangelium beim letzten Passahmahl hat dies zentral zum Thema. Jesus bittet den Vatergott, dass die Jünger untereinander und sie mit Jesus und dem Vatergott eine Einheit bilden (Joh 17). *35

Die Mitteilung untereinander zwischen den Eingeweihten und der Gottheit erfolgt in den Mysterienkulten durch Kultformeln. Solcherart kultischer Handlungen hat auch die katholische Kirche übernommen, während Jesus noch in freier Rede den Jüngern etwas mitzuteilen hatte. In der Kirche wurden Ansprachen und Gebete in einer Kultsprache eingeführt, die bald niemand mehr verstand, außer den Eingeweihten. Doch diese waren Ordensbrüder, Priester und Kirchenführer. Latein war über 1.700 Jahre die Kultsprache der katholischen Kirche. Weniger als 1 Prozent der Katholiken verstand sie, so konnte man sicher sein, dass man das Volk widerspruchsloser führen konnte, wenn nicht jeder alles wusste, denn die katholischen Lehren an sich waren und sind widersprüchlich. Vor allem widersprachen und widersprechen sie häufig dem Wort Gottes.

Was der Priester bei der heiligen Messe sprach, waren heilige Worte, die etwas unglaublich Wunderliches vollbrachten. Sie veranlassten Christus, der bei Seinem Vater im Himmel ist, sich in Brot und Wein zu verwandeln und sich vom Priester der Kirche konsumieren zu lassen, während das Volk wenigstens noch am Leib Christi teilhaben konnte.

Solche Mysterienkulte, bei denen man mit der Gottheit eine enge Beziehung eingehen konnte, waren in der Antike nichts Ungewöhnliches. Im Kult des Eleusis erhoffte man sich eine Wiedergeburt. Im Kult des Dionysos ging es um das uneingeschränkte, befreite Werden und Wachsen. *36 Dionysos war der umtriebige, Festen, Wein, Weib und Gesang zugeneigte Sohn des Zeus. Er sollte eine ungezügelte Lebensentfaltung gewähren. Bei den Dionysosfesten gab es feierliche Umzüge und Festgelage. Er war aber doch ein sterblicher Gott, der einem Komplott zum Opfer fiel und erst durch die Wiederbelebung durch seinen Göttervater Zeus unsterblich wurde. Zwischenzeitlich war dieser Gott also von der Bildfläche menschlicher Zugänglichkeit verschwunden und tauchte dann doch wieder auf. Das dürfte den Christen von den Dionysos-Jüngern vorgeworfen worden sein, dass ihr Christus doch nur eine Nacherzählung der Dionysos-Legende wäre. Ob solche Ähnlichkeiten der Erzählungen eine Missionierung begünstigten oder erschwerten, wird vom Einzelfall abhängen, jedoch verhilft einem Menschen eine Bekehrung, die nicht von Gott, sondern von Menschen vorgenommen wird, nicht zu einer Beziehung zu Gott, sondern zu den Menschen. Dadurch gerät er in falsche Abhängigkeiten.

Aus dem Iran stammte ein Kult, der sich zur Zeit der Entstehung des Christentums über das ganze Römische Reich ausbreitete. Unter Diokletian war Mithras sogar Staatsgott. Man findet an den Standorten römischer Legionen häufig noch die Überreste eines Mithrasaltars. Da man ihn zum Teil auch mit dem Sol invictus, dem Sonnengott, gleichsetzte, feierte man auch seinen Geburtstag am 25. Dezember. Die katholische Kirche übernahm beides, die Vorstellung, dass doch Jesus Christus der Sol invictus sei und deshalb auch sein Geburtstag am 25. Dezember zu feiern sei. Es gab noch Weiteres, was eine Nähe zur christlichen Tradition anzeigte. Mithras wurde aus einem Felsen geboren. Hirten beteten das neugeborene Kind an. Er wurde von einem Stier getötet, aber nach einer weiteren Legende vom Sonnengott zu neuem Leben erweckt. Der Tod wird auch hier als Voraussetzung für neues Leben gesehen.

Beim heiligen Mahl verzehren Helios-Sol und Mithras das Fleisch und Blut des Stieres. Helios-Sol ist der Himmelsgott, aber Mithras ist der Kosmokrator und Held, der die Lücke, die der Sonnengott belassen hat, schließt. Bei ihrem gemeinsamen Mahl verschmelzen die beiden zum unbesiegbaren Sonnengott Mithras. Die in den Mithräum genannten Kulträumen versammelten Mithras-Jünger aßen im Gedächtnis und zur Erneuerung der Heilskräfte aber nicht Fleisch und Blut eines Stieres, sondern Brot und Wein. Mithras wurde zum Beschützer und Heiland der Menschen, denn er wurde zugleich zum Sieger über Ahriman, eine Art Satan, ausgerufen. Wenn dieser endgültig beseitigt ist, wird es zu Totenauferstehungen und dem Untergang der alten Welt kommen. Man versteht so, wie es zur Ausprägung des katholischen Kultes als Konkurrenzkult kommen konnte, weil es bei den Katholiken heißen sollte, nicht nur die Götter verschmelzen zu einer Macht, sondern auch die Gläubigen verschmelzen mit Gott. Die Basilica San Clemente wird nicht die einzige Kirche sein, die über einer Mithraskultstätte erbaut worden ist und nicht unbedingt auf dem Felsen Christus. *37

In die hellenistische Welt wurde der ägyptische Gott Serapis von dem Diadochenherrscher Ptolemaios I. eingeführt. *38 Serapis ist eine Zusammenführung von Osiris-Apis, dem Gatte der Isis. Das Götterpaar Osiris-Isis entsprach dem kanaanitischen Baal-Astarte-Duo. Nach der Legende soll Osiris ermordet und von der Gattin wiederbelebt worden sein, nachdem sie dazu das Auge ihres Sohnes Horus opferte. Osiris blieb zuständig für das Totenreich, wo er als Richter fungierte. Wenn es einem dort gut gehen sollte, musste man sich also mit ihm gut stellen. Jesus hätte also nach Meinung der Osiris-Anhänger, als er drei Tage im Hades war, Osiris um Erlaubnis fragen müssen, ob Er im Totenreich predigen und es dann wieder verlassen durfte (1 Pet 3,18-20).

Für beide Gottheiten gab es eigene Mysterienkulte. Isis wurde als Fruchtbarkeitsgöttin verehrt. Die katholische Maria wurde später auch wegen ihrer jungfräulichen Fruchtbarkeit angerufen. Isis wurde wie Maria häufig mit ihrem Knaben zusammen dargestellt. *39 Isis wurde geradezu zu einer Weltgottheit, denn im Lauf der Zeit wurden Isis und Serapis mit vielen orientalen oder griechischen Gottheiten gleichgesetzt. Wenn nun ein gewisser Kult eines jüdischen Gottessohnes auftauchte, bei dem man bestimmte, bereits bekannte Bestandteile des eigenen Kultes wiederentdeckte, wurde das nicht gleich als ungewöhnliche Neuheit aufgenommen. Das war auf den ersten Schluck nur kalter Kaffee. Tiefer in die Tasse blickte man nicht. Wenn doch, konnte man das, was man sah, immer noch als Torheit oder Ärgernis abtun. Diese Jesus war unheroisch und genügte nicht dem hellenistischen oder orientalen Anspruch einer Gottheit, die zwar nicht immer souverän, aber wegen ihrem Heroismus immer verehrungswürdig handelt. Außerdem kam dieser Jesus den Menschen viel zu nahe.

Man fand eine Isis-Inschrift mit einer auffälligen Ähnlichkeit in der Ansprache verglichen mit der späteren Mutter Gottes der Katholiken: „Göttin, Isis, die eine, die du alles bist“.*40 Es war üblich, jeden Morgen das Gottesbild der Isis einzukleiden, zu besprengen, einzuräuchern und Speisen vorzulegen. Besonders in Italien haben sich viele Inschriften und Artefakte aus jener Zeit erhalten. So manche Namensinschrift der Isis dürfte durch den Namen der Gottesmutter ersetzt worden sein. Den Rest konnte man stehen lassen. Gerade in südeuropäischen Ländern, wo die Maria besonders stark verehrt und in eigenen Festen und Umzügen gefeiert wird, haben sich viele Gebräuche erhalten, die bis in die vorchristliche Zeit zurückgeführt werden können, die aber inzwischen auf die katholische Maria übergesprungen sind. *41

Zu den kulturell-gesellschaftlichen Verhältnissen der damaligen Zeit gehörte auch das Selbstverständnis, dass man die Herrscher als Abbild von Gottheiten verstand. Alexander der Große war nicht lange tot, da begann man ihn schon als Gott zu verehren. Dass sich auch die römischen Kaiser über die Zuweisung göttlicher Weihen seitens ihrer Untertanen erfreuten und dies zum Teil auch einforderten, ist allgemein bekannt. Schließlich war das auch mit ein Anklagepunkt bei der Verurteilung von Jesus und dann der ersten Christen, als sie den Kaiser nicht als Herrscher von göttlichen Gnaden die Verehrung zukommen ließen, die der Staat erwartete. Viele Christen wurden daraufhin getestet, inwieweit sie loyale Mitbewohner des Römischen Reiches waren. Eigentlich hatten sie dabei nichts zu befürchten (Röm 13,1). Wenn sie jedoch aufgefordert waren, vor dem Opferaltar des Kaisers, der in den Tempeln der verschiedenen Gottheiten auch dabeistand, zu opfern und sich weigerten, erlitten sie Repressalien, die zeitweise soweit gehen konnten, dass man auch vor Hinrichtungen nicht zurückschreckte.

Man kann annehmen, dass die Christen, die in der Arena hingerichtet worden sind, vorher befragt oder verhört worden sind und mit ihren Antworten die Gerichte nicht zufriedenstellen konnten. Sie wurden wohl eher nicht dazu aufgefordert, ihre Religion aufzugeben, als Kompromisse einzugehen, wozu sie nicht in der Lage waren. *42

Wie schon das Alte Testament zeigt, war es eine weit verbreitete Sitte, dass sich die Herrscher des Orients selber in den Himmel erhöhten. So wird es über die Könige von Babylon, Assyrien und Ägypten und sogar Tyrus berichtet. *43 Die Archäologen und Historiker haben zahlreiche Belege dazu vorgelegt. Der orientale Herrscher ist Beauftragter, Schützling oder sogar Sohn des Stadt- oder Staatsgottes. Wenn die Christen den Messias als König aller Könige herausstellten, mochte das manchen Widerspruch hervorgerufen haben, zumal die Juden nicht sonderlich beliebt waren. Aber ein toter König war keine Gefahr. Man konnte die Christen ihren absonderlichen Glauben weiter ausüben lassen, es sei denn, dass sie sich in gesellschaftliche Sphären vorwagten, wo sie zu Konkurrenten wurden und die bestehende Hierarchie gefährdeten. Im Griechenland der nachklassischen Zeit war man geneigt, Göttlichkeit weniger sterblichen Herrschern zuzuschreiben. *44

Dafür verherrlichte man überragende Leistungen und Qualitäten. Ein Mensch, der Heldenhaftes vollbrachte, etwa wie Alexander der Große, war für die Menschen gottähnlich und verdiente göttliche Verehrung. Für einen Griechen war deshalb das jämmerliche Bild eines Gekreuzigten, der sogar noch darüber klagte, dass ihn sein Gott verlassen hatte, nichts weiter als eine unnütze Torheit. Ein Gekreuzigter genügt auch ästhetischen Ansprüchen nicht. Für gebildete Griechen unterlag Jesus einer Bande von missgünstigen, eifersüchtigen und um ihre Herrschaft besorgten Schwachköpfen, als was sie die Hohepriester Israels bezeichnet hätten. Das zu erkennen, war man in der Lage, wenn man nicht selber zum Täterkreis gehörte. Dieser Jesus verdiente vielleicht sogar noch Mitleid als „tragischer“ Held, aber doch nicht göttliche Verehrung. Er war bestenfalls ein Sisyphos. So musste es Christen immer wieder entgegengeschallt haben im Umfeld griechischer Lehrer und Denker.

Durch den Hellenismus verbreitete sich auch die Ansicht, dass die ganze Menschheit von einer einzigen Kultur umfasst werden sollte. Im Kosmopolitismus hellenistischer Prägung liege das Heil der Welt oder zumindest stelle er die beste aller Kulturen her, die für alle Völker gelten könne. Dieser Gedanke wurde dann auch von den Römern übernommen und wurde dem Begriff des Pax Romana zugeordnet. Zu diesem umfassenden „Römischen Frieden“, der unter Kaiser Augustus, einem Zeitgenossen Jesu, seine längste Friedenszeit erfuhr, und schon vor Christi Geburt begonnen hatte, trat der Schalom Israels mit dem Messias Jesus Christus in gewisser Weise in Konkurrenz. Es scheint kaum wie ein Zufall, dass der Kaiser Augustus mit seinem Weltreichkonzept und Jesus mit Seinem Königreichskonzept Zeitgenossen waren. Der Frieden der Welt, den Gott nicht geben will, wird im Evangelium durch einen anderen Frieden ersetzt. Das Reich Gottes ist ein anderes als das Römische Reich. Das erweckte das Misstrauen der Römer für die nur diese römische Welt an erster Stelle stehen konnte.

Jesus hatte zu Seinen Jüngern gesagt: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch.“