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Dieses Buch unternimmt etwas vollkommen Neues, denn es bezieht die Welt der menschlichen Urbilder, die Archetypen, in die hypnosystemische Beratung ein. Verflechtungen wie die zwischen Mutterschaft und dem Archetyp der Magierin oder der Vaterschaft mit dem Königs-Archetyp schaffen neue Möglichkeiten in der Beratung und sind gerade vor dem Hintergrund vermehrter kultureller Begegnungen von besonderem Wert. Georg Milzner, Hypnotherapeut und Hypnoanalytiker, zeigt, wie die hypnosystemische Beratung davon profitieren kann, Archetypen ressourcenorientiert einzusetzen. Die bisher zwei Dimensionen der hypnosystemischen Beratung – hier die individuelle Lebensgeschichte und dort das Familiensystem – werden so um eine dritte, menschheitsgeschichtliche Dimension erweitert. Dies kann nicht nur individuell entlastend wirken, sondern eröffnet auch kreative Lösungswege.
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Seitenzahl: 332
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Georg Milzner
Wie unbewusste Bilder die hypnosystemische Arbeit bereichern
VANDENHOECK & RUPRECHT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über https://dnb.de abrufbar.
© 2025 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe
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Umschlagabbildung: Shutterstock AI Generator
Satz: SchwabScantechnik, Göttingen
EPUB-Erstellung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
E-Mail: [email protected]
ISBN 978-3-647-99273-0
Worum geht es in diesem Buch und was habe ich davon, es zu lesen?
Was ist hypnosystemische Familienberatung und was hat sie mit Archetypen zu tun?
Eine Einführung ins Thema mit Erläuterung einiger Methoden
Was sind Archetypen? Und was sind sie nicht?
Einige Begriffsklärungen und Hintergründe
Wer gehört zu meiner Familie?
Helle und dunkle Seiten des Familien-Archetyps
Wer erzählt den Familienmythos?
Familienmythen als Probleme und Ressourcen
Wie werden wir Eltern?
Archetypen von Elternschaft und Betreuung
Was wir zeigen und was wir verbergen
Schatten und Persona in Familienleben und Familienberatung
Mütter, Kriegerinnen und Magierinnen
Wie kann der Archetyp der Großen Mutter sich mit anderen Archetypen verbinden?
Könige ohne Gefolgschaft und Thron?
Wie Väter den Archetypus der Herrschaft zur Kameradschaftlichkeit entwickeln
Von wissenden Kindern und kleinen Tyrannen
Wie archetypische Bilder vom Kind Erziehung und Erziehungsberatung beeinflussen
Wer sind meine Schwestern und Brüder?
Archetypische Geschwisterkonstellationen
Gibt es auch andere archetypische Begleiterinnen und Begleiter als Eltern?
Der Archetyp der Mentorschaft
Wer verteilt in der Familie die Energien?
Archetypische Aspekte der Care-Arbeit
Archetypen auch beim Zocken?
Mythische und archetypische Themen in der Medienpädagogik
Warum das Wissen über Archetypen für Beratende wichtig bleiben wird
Ein paar kleine Anregungen zum Schluss
Literatur
Die Welt der Archetypen, unserer seelischen Urbilder und Urmuster, kann uns für die hypnosystemische Familienberatung eine Menge anbieten. Mit dieser Behauptung möchte ich einsteigen. Vielleicht sind Sie jetzt erst einmal skeptisch, denn wenn wir an Archetypen denken, dann gehen Bilder in uns auf, die nicht unbedingt etwas mit Familientherapie zu tun haben. Wir sehen Krieger und Magierinnen, Königinnen und Heiler. Diese Archetypen gibt es und sie werden uns im Verlauf dieses Buchs an verschiedenen Stellen begegnen.
Es gibt aber auch eine andere Kategorie von Archetypen, die für die Arbeit mit Familien mindestens genauso wichtig ist. Diese Archetypen betreffen die Strukturen, in denen Menschen mit Kindern gelebt haben und die sich in großen Bildern wie in Verhaltensmustern abgeformt haben.
Zu ihnen gehören matriarchale Strukturen, die ins Bild der Großen Mutter eingeflossen sind, patriarchale Strukturen, die im Bild des Vater-Königs aufscheinen, sowie eine Vielzahl von Bildern, die sich Menschen immer wieder von Kindern gemacht haben und die in unsere kollektive Psyche eingesickert sind.
Archetypen können uns als Konstanten der Menschheitsgeschichte dabei helfen herauszufinden, warum Familie zu leben oft mit solchen Schwierigkeiten behaftet ist. Sie erlauben uns entlastende Erkenntnisse, indem wir finden, dass wir mit unseren heutigen Nöten in einer Reihe mit denen stehen, die vor uns waren, und dies weltweit.
Zugleich aber bieten Archetypen uns an, Wege der Veränderung, der Beziehungsheilung und der Familienharmonisierung zu gehen. Sie zeigen uns Muster auf, die nicht dem modernen Verstand entspringen, sondern einem alten Wissen, das sich beständig neu aktualisiert. In diesem Sinn sind sie Ressourcen, die es neu zu entdecken gilt, weil sie in ihrem Ausmaß die individuellen Ressourcen übersteigen.
Ich möchte als Hypnotherapeut und Begründer einer hypno-analytischen Arbeitsform (Milzner, 2000) aber auch zeigen, dass ein hypnosystemischer Betrachtungswinkel uns neue Erkenntnisse über Archetypen vermitteln kann. So werde ich den Versuch unternehmen, das kollektive Unbewusste, das vielfach selbst als eher mythische Vorstellung gilt, mithilfe von wissenschaftlichen Konzepten wie der Systemtheorie neu zu begründen.
Dies hat ganz praktische Konsequenzen und ist also mehr als Theoriebildung. Denn wenn wir zeigen könnten, dass wir in der hypnosystemischen Arbeit nicht nur mit einem Familiengedächtnis arbeiten, sondern mit einer Art Menschheitsgedächtnis, dann würden unsere Möglichkeiten gerade da größer werden, wo wir mit den steigenden Anforderungen durch Aufgaben der Integration zu tun haben.
Gegenwärtig können wir beobachten, dass Archetypen vor allem im Sinn von menschlichen Grundtypen betrachtet werden. Hierbei bekommen einige besondere Aufmerksamkeit, etwa der Krieger und die Kriegerin, die Magierin und der Magier, Königin und König sowie die Liebenden. Diese vier archetypischen Muster wurden Ende der 1980er Jahre vor allem zur Bestimmung archetypischer Verhaltensweisen des Mannes beschrieben (Moore u. Gillette, 1990) und fanden später Eingang in die hypnotherapeutische Arbeit Stephen Gilligans (2011), wo sie nicht mehr nur auf ein Geschlecht reduziert wurden.
Ein anderer bedeutender Archetypus, der viel Aufmerksamkeit erfährt, ist der der Helden- und Heldinnenreise, die als Weg der Selbstfindung beschrieben und mit jeweils unterschiedlichen archetypischen Konstellationen in Verbindung gebracht wird. So hat die Helden- und Heldinnenreise in Hypnotherapie und Neurolingistisches Programmieren (Gilligan u. Dilts, 2013) ebenso Eingang gefunden wie in die feministisch geprägte Psychotherapie (Murdock, 1999) und die systemische Beratung (Lindemann, 2023).
Die psychoanalytische Forschung hat uns gezeigt, dass da, wo Erziehung und Bildung gesellschaftlich konzeptioniert werden, immer auch etwas Unbewusstes im Spiel ist. Wie Erik Erikson fand, ist dies Unbewusste weniger am Kindeswohl orientiert als vielmehr an einer Vorstellung davon, wie der erwachsene Mensch sein soll (Erikson, 2005).
Auch die neueren Erziehungsmodelle und pädagogischen Konzepte basieren vor diesem Hintergrund nicht auf Forschungen allein, sondern werden von unbewussten Motivationen und Weltbildern mitbestimmt. Diese Weltbilder aber sind von alten, mitunter sehr alten Mustern geprägt und wir können finden, dass diese durch die Geschichte hindurch immer wiederkehren.
Es lohnt sich daher, diese Muster zu kennen und die Möglichkeiten der Arbeit mit ihnen auszuloten. In der hypnosystemischen Beratung tun wir dies durch individuelle oder die ganze Familie einbeziehende Trance-Erkundungen sowie durch das Ausloten suggestiv erzeugter innerer Wirklichkeiten, die archetypisch durchströmt sind.
Ich bin gewiss, dass die Arbeit mit Archetypen in der Familienberatung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer wichtiger werden wird. Archetypen sind das, was uns interkulturell zu verbinden vermag. Sie sind zumeist Jahrhunderte, manche Jahrtausende alt und haben sich in der Menschheitsgeschichte als bedeutsam erwiesen. Das macht sie zu Bildern, die zu Brücken werden können, wenn beispielsweise Befunde moderner Bindungsforschung oder aktuelle erziehungswissenschaftliche Entwürfe Menschen aus traditionellen Kulturen fragwürdig erscheinen.
Ich arbeite mit Archetypen seit etwa der Mitte der 1990er Jahre. In dieser Zeit war ich als junger Psychotherapeut nach Abschluss einer verhaltenstherapeutischen und einer Hypnoseausbildung in eine Reihe von Weiterbildungen in Analytischer Psychologie nach C. G. Jung gegangen. Die Verbindung von archetypischem Material mit meinem Trance-orientierten Hintergrund brachte eine Vielzahl an Selbsterfahrungen und therapeutischen Interventionen hervor, die mich bis heute begleiten.
Seitdem Jung in den 1930er Jahren die Welt der Archetypen erstmals erkundete, haben seine Erkenntnisse nicht nur Analytikerinnen und Therapeuten, sondern auch Forschende in den Kulturwissenschaften und in der Bewusstseinsforschung beschäftigt. Hierbei kam es immer wieder zu neuen Erkenntnissen, die darauf hindeuten, dass Archetypen keinesfalls Fantasien sind (Grof, 2007), sondern dass sie das moderne Leben in weit umfassenderer Weise beeinflussen, als viele von uns im Zeitalter der modernen Hirnforschung und der Digitalisierung annehmen.
So stellte ich als Forschender zum Beispiel fest, dass sich archetypische Muster sogar in verstörenden Phänomenen wie dem modernen Amoklauf finden (Milzner, 2010a). Beeindruckt registrierte ich, dass anscheinend uralte Muster auch im therapeutischen Geschehen wirken und dass die therapeutische und die künstlerische Welt, so weit sie heute auseinander liegen, demselben archetypischen Hintergrund verpflichtet sind, nämlich der Kunst der Verwandlung.
Endlich begegne ich archetypischen Mustern auch da, wo ich mit Familien oder als Bildungsreferent über die digitale Entwicklung, über Social Media und insbesondere über Computerspiele spreche. Letztere thematisieren ebenso wie Fantasy-Bücher und -Filme eine Fülle archetypischer Themen und sind in Hinsicht auf die Vermittlung von mythologischem Wissen eine weithin unterschätzte Ressource.
Archetypisches Wissen ist altes Wissen. Wissen bedeutet, es sind keine Vermutungen, keine Spekulationen. Sondern Archetypen geben wieder, was sich an Urbildern in der Psyche eingravierte und was an Urmustern in der menschlichen Psyche entstand.
Archetypen zeigen also nichts, was so oder anders sein könnte, sondern sie zeigen, wie etwas ursprünglich und dann immer wieder war. Archetypen sind keine Blickwinkel, sondern sie sprechen von dem, was der Menschheit – nicht einzelnen Kulturen, nicht einzelnen Völkern – immer wieder geschah.
Archetypen können in der hypnosystemischen Familienberatung auf vielfältige Weise vorkommen: Einmal können wir erkunden, inwieweit in Familienmitgliedern ein archetypisches Geschehen zu wirken scheint. Sodann können wir uns fragen, inwieweit in einer Familie archetypische Bilder vom Kind wirken. Überdies können wir erkunden, ob Einzelne in der Familie sich mit einem Archetyp übermäßig identifizieren. Und endlich können wir in Trancen und Imaginationen individuell und kollektiv erkunden, inwieweit die Einführung alternativer archetypischer Bilder und Muster dem familiären Geschehen möglicherweise guttut.
Die Beschäftigung mit Archetypen kann uns aber auch dahin bringen, allzu sentimentale Klischees mit Blick auf Abstammung und Geschwisterschaft zu relativieren. Sie macht offenbar, dass Familie etwas sehr anderes ist als bloß eine bürgerliche Lebensform und dass in ihr Kräfte wirken, die archaisch sind und viele Varianten des Zusammenlebens ermöglichen.
Eine wichtige Frage betrifft die Geschlechterdifferenzierungen hinsichtlich der Archetypen. Die uns allmählich vertrauter werdende Art, männliche, weibliche und diverse Identitäten sprachlich abzubilden, indem wir etwa von Krieger:innen sprechen, würde im Fall der Archetypen zu Verzerrungen führen. Diese sind ja sehr alt und entsprechen daher dem modernen, differenzierenden und integrierenden Denken oftmals nicht. So wurde der Archetyp der Heldenreise ursprünglich nur auf Männer bezogen und zur Inspiration für eine ganz eigene Heldinnenreise, die aber anders angelegt ist als die Reise des Helden.
Um die Qualität der archetypischen Ströme angemessen zu würdigen, werde ich daher keine vereinheitlichende Schreibweise wählen, sondern eine differenzierende, die weibliche und männliche Formen berücksichtigt. Was Transmenschen angeht, so gibt es hierfür durchaus archetypische und mythische Vorbilder. Diese herauszupräparieren und angemessen zu würdigen, wird jedoch Zeit und Arbeit erfordern, da das Augenmerk von Psychotherapie und Psychoanalyse ja lange Zeit hier nicht lag. Wenn das vorliegende Buch für diese Arbeit einen Anstoß geben kann, würde mich das freuen.
Jede Familie kann in Situationen geraten, in denen sie sich selbst anscheinend nicht helfen kann. Die Familie erscheint dann in Konflikte verstrickt wie in ein Netz, aus dem sie selbst nicht herauskommt.
Familienberatung bedeutet, in solchen Situationen Hilfestellungen anzubieten. Dabei kommen ganz unterschiedliche Modelle zum Zug. Psychoanalytische Familientherapie bedeutet zum Beispiel, unbewusste Themen zu beleuchten, die in der Familie wirksam sind. Kommunikationsorientierte Ansätze schauen nach dem, was die Beteiligten für kommunikative Muster verwenden, und arbeiten daran, diese zu verändern.
Die hypnosystemische Familienberatung hat ein paar Grundannahmen mitgebracht, die hier neue Akzente setzen. So sagt sie, dass die an einem Konflikt beteiligten Menschen immer mehr Potenziale zur Lösung dieses Konflikts in sich tragen, als ihnen selbst bewusst ist. In der Erickson’schen Hypnotherapie nimmt man an, dass diese Potenziale ins Unbewusste abgesunken sind und deshalb auf der Benutzeroberfläche des Bewusstseins nicht zugänglich sind. In Trance können die Beteiligten dann zu diesen Potenzialen wieder Zugang gewinnen.
In der Systemischen Therapie finden wir, dass Menschen den Bezug zu ihren Ressourcen auch durch die im System wirkenden Kräfte verlieren können. Wird das System verändert und variieren die Positionen der Beteiligten, so werden Blickwinkel möglich, die zuvor nicht gelangen. Und mit einem Mal erscheinen jene Menschen, die zuvor vor allem über ihre Probleme definiert wurden, gesünder und kreativer als zuvor.
Hier kommt dann mein Konzept der hypnosystemischen Arbeit mit Archetypen ins Spiel. Archetypen gehören nämlich weder ins Familiensystem noch sind sie ins Unbewusste abgesunkene individuelle Potenziale. Vielmehr sind sie Teile einer anderen Schicht des Unbewussten, die C. G. Jung das »kollektive Unbewusste« nannte. Diese Schicht bündelt gewissermaßen menschliches Wissen, wie es sich über die Jahrtausende der menschlichen Existenz angesammelt hat. Wie wir uns dies vorstellen und auch unseren Klientinnen und Klienten erklären können, zeige ich Ihnen im Verlauf des Buchs.
Hier können wir erst einmal festhalten: Wie wir haben Millionen von Menschen schon gelitten und sich verstrickt, lässt das kollektive Unbewusste uns wissen. Aber es zeigt auch: Diese Millionen von Menschen haben immer wieder Lösungen gefunden und neue Wege der seelischen Heilung gebahnt. Die Leiden und Probleme ebenso wie die Formen der Heilung und die Problemlösungen bilden die Essenz jener seelischen Urbilder, die »Archetypen« genannt werden.
Stellen wir uns Familienberatung mit ihren hypnotherapeutischen und systemischen Wurzeln als ein Wesen vor, so hätte es verschiedene Ahnen. Gunther Schmidt hat das hypnosystemische Konzept maßgeblich begründet und in die Welt gebracht. Dazu könnten wir Virgina Satir und Milton Erickson versuchsweise als die Großeltern der Hypnosystemischen Familientherapie bezeichnen.
Erickson’sche Hypnotherapie und Systemische Familientherapie weisen eine Reihe von Überschneidungen auf, die eine Assoziation oder eine Integration beider Verfahren erleichtern (Schmidt, 1985). Beide sehen problematische Phänomene als Verhaltensmuster innerhalb von konstruierten Wirklichkeiten an und beide haben einen unbedingten Ressourcenbezug (Schmidt, 2022). Respekt voreinander und familiäre Verbundenheit sind nach Ansicht von Michael Yapko (1985) überdies integrale Bestandteile der Hypnotherapie nach Milton Erickson.
Ab wann es so etwas wie eine Familientherapie überhaupt gab, bleibt jedoch eine offene Frage. Wenn indigene Heilerinnen und Schamanen Angehörige um sich herum haben, während sie dem Leiden eines einzelnen Menschen nachgehen, dann kann man sich dies durchaus als eine Urform der Familientherapie vorstellen. Dass Familienarbeit uns heute dennoch modern erscheint, ist vor allem ihren wissenschaftlichen Hintergründen geschuldet.
Ursprünglich war auch die Hypnose keineswegs etwas Privates. Jean-Martin Charcot inszenierte die Hypnose an als hysterisch (heute würden wir sagen »histrionisch«) diagnostizierten Frauen Ende des 19. Jahrhunderts noch vor einem großen Publikum. Das war zwar kein Familienkontext, obschon Angehörige der bedauernswerten Patientinnen anwesend waren oder dies zumindest sein konnten. Aber es handelte sich um einen öffentlichen Ritus, der die Bühne, die für die systemische Aufstellungsarbeit bedeutsam wurde, bereits nutzte.
Erst nach und nach wurde die Trance-Arbeit dann zu etwas, was unter zwei Menschen in einem geschlossenen Raum stattfindet. Für die Hypnose bildete das Labor, in dem keine Öffentlichkeit mehr zuguckte, hierfür die Zwischenstufe, während der Schritt in die Intimität der Behandlungszimmer dann von der Psychoanalyse vollzogen wurde (Mayer, 2003).
Von dieser Intimität wieder zurück zu einer Arbeit im größeren Kontext zu gelangen, war kein kleiner Schritt. Gruppenpsychotherapie und Selbsthilfegruppen wiesen in diese Richtung. Und doch wird dort, wo Familienangehörige nicht stellvertretend besetzt werden, sondern tatsächlich anwesend sind, der persönliche Schutzraum eines Menschen wieder aufgebrochen und zu einem sozialen Feld.
Vielleicht am dramatischsten wurde dies in der Arbeit Bert Hellingers sichtbar (Thielbörger, 2014), der nicht nur systemisch, sondern auch hoch suggestiv arbeitete. Ich habe Hellinger selbst erlebt und der Eindruck einer Gratwanderung zwischen archaischem Ritus und Show-Hypnose ist mir in bleibender Erinnerung geblieben. Zugleich rief Hellinger ein archetypisches Muster auf, nämlich den Priester-Heiler, der nicht nur heilkundlich arbeitet, sondern sich zugleich höheren Ordnungen verpflichtet weiß. Dass das Aufrufen eines solchen Archetyps nicht nur Ressourcen mobilisieren, sondern auch zur Selbstverblendung führen kann, ist unbestreitbar.
In der Hypnotherapie mit Einzelnen arbeiten wir mit Trancen, die mitunter tief in die Sphäre des Unbewussten führen. Hierbei können Klientinnen tief mit einem Archetyp aufgeladen werden oder Analysanden in weit zurückliegende Ereignisse eintauchen, um von dort erinnertes Material mitzubringen.
In der hypnosystemischen Beratung können wir solche Erfahrungen nicht anbieten, weil sie verlangen, dass wir als therapeutisch Tätige ganz im Kontakt mit der Trance-reisenden Person sind. So wird auch die Art, mit archetypischen Bildern und Mustern in Kontakt zu kommen, eine andere sein. Ich stelle Ihnen im Folgenden einige hilfreiche Wege vor.
Eine Familie auf eine innere Reise mitzunehmen ist zum Beispiel mit dem Bild eines fliegenden Teppichs möglich. Der Teppich kann auch ein fliegender Koffer sein wie in dem Märchen von Hans Christian Andersen. Oder aber die Familie ruht auf dem Rücken eines mächtigen Vogels, der sie über Stadt und Land dahinträgt.
Auch ein Eintreten in eine andere Welt ist möglich, wie es in den »Chroniken von Narnia« von C. S. Lewis durch einen Schrank hindurch geschieht. Wir lassen dann in leichter Versenkung ein ausgewähltes Familienmitglied vorangehen und der Rest der Familie folgt nach in die archetypische Sphäre.
Und endlich können wir archetypische Erzählungen anbieten, die helfen können, den engen familiären Rahmen aufzusprengen. Das kann zum Beispiel die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn sein, der vom Vater niemals aufgegeben wird. Oder die Geschichte von Odysseus, der nach der Schlacht von Troja eigentlich nur zu seiner Frau und seinem Sohn nach Hause möchte, aber stattdessen zu jahrelangen Irrfahrten gezwungen wird. Beide Erzählungen können nützlich sein, um Entfremdungsprozesse in Familien in einen größeren mythischen Zusammenhang einzubetten und so zu zeigen, dass unser aktuelles Leid einen großen menschheitsgeschichtlichen Hintergrund hat.
Erzählungen dieser Art ermöglichen es uns, das hervorzubringen, was Paul Watzlawick eine »Hypnotherapie ohne Trance« nannte (Watzlawick, 1985). Um solche Geschichten erzählen zu können, gibt es keinen besseren Weg, als möglichst viele von ihnen zu lesen, zu hören oder anzuschauen.
Manchmal sind Menschen so auf ein Problem oder eine Erkrankung fixiert, dass ihr Blick sich verengt und sie für konstruktive Sichtweisen oder alternative Diagnosen verschlossen erscheinen. So ein Muster nennen wir in der Hypnotherapie und der hypnosystemischen Beratung eine »Symptomtrance« oder »Problemtrance«.
Symptomtrancen lassen sich für kurze Zeit unterbrechen, indem wir etwas gänzlich Unerwartetes in die Beratung einstreuen. So gelang es mir einmal, eine sich immer mehr steigernde Wut bei einem Klienten dadurch zu unterbrechen, dass ich in großer Ruhe meine Tasse Kaffee auf den Fußboden ausleerte.
Indem die Symptomtrance für einen Augenblick durchlässig wird, haben wir die Möglichkeit, eine alternative Trance oder Imagination anzubieten. Das kann etwa so klingen:
»Ich schlage Ihnen vor, wir betrachten alles das, was Ihnen widerfuhr, wie vom Balkon in einem alten Theater oder Kino. Da gibt es diese Logen, wie zum Beispiel in manchen Filmen, da ist man ganz entrückt und kann doch alles sehen. Vielleicht sogar besser als andere.
Und während Sie alles das, was Ihnen zurzeit geschieht, woran Sie leiden und was Sie ändern möchten, aus dieser erhöhten, erweiterten Perspektive betrachten, merken Sie, dass das guttut, dass sich eine solche Betrachtung lohnt und dass sich etwas dadurch verändert, besser wird.
Und vielleicht merken Sie, dass es guttut, verschiedene Betrachtungswinkel einzunehmen. So wie ein einziger Winkel von uns selbst ein ganz falsches Bild ergäbe, so wird auch ein einziger Betrachtungswinkel Ihrer Familie nicht gerecht. Manchmal können Sie glänzen miteinander wie ein Häufchen Juwelen. Und dann erscheinen Sie stumpf, als hätte sich Staub über Sie alle gebreitet. Vielleicht möchten Sie beginnen, mit mir zusammen herauszufinden, wie Sie als Familie am schönsten sind – und während Sie nun die Augen wieder öffnen, können wir miteinander herausfinden, was das jeweils Schönste für Sie denn ist.«
Die letzten Sätze eröffnen, nachdem die Symptom- oder Problemtrance aufgelöst wurde, suggestiv die Möglichkeit, einander und die Familie insgesamt anders zu betrachten. Dabei wird die vorherige Problemfixiertheit mit keinem Wort mehr erwähnt, es kommt also zu keiner Kritik des Vorhergegangenen. Vielmehr wird konsequent, aber sanft die andere Sichtweise möglich gemacht.
Um hilfreiche Familientrancen leichter zu machen, empfehle ich, hierfür einen kleinen Hinweis auf die geeignete Körperhaltung zu geben. Wenn Teile der Familie nach oben schauen, während andere nach unten gucken, wird das auf ihre Erlebnisweise Einfluss nehmen. Die, die nach oben schauen, sind schon bereit, sich auf eine träumerische Erlebnisebene einzulassen. Die, die nach unten gucken, sind zumeist noch skeptisch.
Etwas Ähnliches gilt, wenn Teile der Familie aufrecht sitzen und andere betont lässig in den Sesseln liegen oder sich zusammenrollen. Ihre Gefühle und inneren Muster werden durch Körperhaltungen gebahnt oder zumindest erleichtert. Und wenn sich die Haltungen betont unterscheiden, sind die betreffenden Personen in jeweils anderen inneren Schaltkreisen unterwegs. Es ist dann in etwa so, als wären die einen ein bisschen angetrunken und die anderen stocknüchtern – man versteht einander nicht mehr so gut. Ich würde dies ansprechen und Haltungen vorgeben, zum Beispiel:
»Wir machen als Therapeuten und Beraterinnen immer dieselbe Erfahrung: Wenn die Körperhaltungen zu weit voneinander entfernt sind, entfernen sich auch die Denkweisen voneinander und die Arten, sich etwas vorzustellen.
Ich möchte Ihnen daher vorschlagen, dass Sie sich alle in eine ähnliche Körperhaltung begeben, also alle sitzen gerade auf dem Stuhl oder alle liegen dösend herum – aber immer eben alle.
Es ist dann ein bisschen wie bei einer Gruppe, in der alle dieselben Bewegungen machen. Wir kennen das aus der Musik, aus dem Sport, aus spirituellen Traditionen: Die Menschen sind verschieden, aber die Ähnlichkeit der Bewegungen und der Haltungen nähert sie einander an.«
Wir sprechen bei dem Phänomen, dass Gefühle und innere Haltungen von Körperhaltungen mitbedingt werden, von »embodied emotions«. Beispielsweise ist es unmöglich, gänzlich depressiv zu sein, wenn man nach oben schaut. Ein anderes Beispiel, das nicht nur Emotionen betrifft, sondern auch unsere mentalen Muster: Wenn wir die Beine übereinanderschlagen, das Kinn in die Hand stützen und leicht nach unten schauen, werden kritische Haltungen eher gefördert und die Fähigkeit zu kreativen Entwürfen lässt nach. Um zu vermeiden, dass die körperlich bedingten Bereitschaften in der Familie weit auseinanderdriften, ist also eine gemeinsame oder im Verbund zumindest ähnliche Körperhaltung zu empfehlen.
Systemische Beratung ist auch als Kunst des subtilen Fragens bekannt (Kindl-Beilfuß, 2023). Hypnotherapie dagegen ist weniger eine Therapie des Fragens als der Suggestion. Was Hypnotherapeutinnen und Hypnoanalytiker als »Suggestion« bezeichnen, bedeutet wörtlich genommen »Vorschlag«. In der Hypnose aber meint sie mehr: nämlich die Erzeugung einer inneren Wirklichkeit.
Typisch für Suggestionen sind u. a. die folgenden Merkmale: Sie erzeugen vor allem einen inneren Eindruck und können von äußeren Geschehnissen unabhängige Erlebnisse begünstigen. Sie können Erlebnisse intensiver oder schwächer werden lassen, begünstigen eine Handlungsbereitschaft und: Sie wirken unterhalb unserer bewussten Kritikfähigkeit. Suggestionen können daher segensreich sein, aber auch schrecklich wirken.
Grundsätzlich können wir direkte Suggestionen von indirekten Suggestionen unterscheiden. Ein Beispiel für direkte Suggestionen:
»Sie entspannen sich tiefer, Ihr Körper ruht, ruht angenehm. Alles andere beginnt unwichtig zu werden, nur Ihr Wohlgefühl zählt – hier jetzt, im Miteinander und zugleich ganz für sich …«
Indirekte Suggestionen sind schwieriger zu erkennen, denn sie sprechen eine Person nicht direkt an. Vielmehr können sie von anderen erzählen und etwa in kleine Geschichten eingebettet sein:
»Ich muss an eine Kollegin denken, die, immer wenn sie sich entspannen will, zunächst zu sich selbst sagt, dass nun nichts anderes mehr zählt als das tiefe Fühlen, dass alles andere unwichtig ist, nur ihr Körper ruht …«
Suggestionen, die in dieser Weise in die Beratung eingestreut werden, wirken in der Folge, als sei einem familiären Gewebe etwas Neues, Konstruktives gewissermaßen »eingenäht« worden (Loriedo, 1985). Suggestionen legen hiermit Perspektivwechsel nahe und ermöglichen da, wo wir mit Archetypen arbeiten, konstruktive Wendungen, wenn die archetypische Energie im Begriff ist, ins Negative zu schlagen. Die Wirkung von Suggestionen bemisst sich nach:
–Intensität,
–unterschwelliger Bereitschaft,
–Wiederholung.
Auch der psychische Spannungszustand, den Klientinnen und Klienten mitbringen, wirkt auf die Suggestibilität ein.
Der suggestive Raum erfasst alles das, was Mitglieder eines Systems miteinander für möglich halten. Ich entwarf das Konzept des suggestiven Raums ursprünglich für die Arbeit mit Angehörigen von Psychosebetroffenen (Milzner, 2001). Es erwies sich dabei, dass die Angehörigen mitunter alle dieselbe Vorstellung von den Entwicklungsmöglichkeiten der Betroffenen hatten. Diese sollten ihre Medikamente nehmen, und der Rest würde sich schon geben.
Das hierin wirkende suggestive Modell war äußerst simpel. Es besagte, wer seine Medikamente nimmt und ein ruhiges Leben führt, bekommt keine Rückfälle. Dass dies nicht immer zu guten Prozessen führte, kann man sich leicht vorstellen. Ich entwarf in Auseinandersetzung mit den Familienmitgliedern daher andere Vorstellungen, die ich jeweils fragend einführte, beispielsweise so:
»Können Sie sich vorstellen, dass es auch noch etwas anderes gibt, was Ihren Sohn gesund macht? Etwas, was kein Medikament ist?«
Oder:
»Wenn nun manche Menschen glauben, dass es vor allem die Beziehungen sind, die uns heilen, könnte das dann auch für Sie stimmen?«
Nach jeweils fünf bis zehn solcher Fragen und den Antworten darauf hatte sich mir erschlossen, wie die autosuggestiven Muster in den Angehörigen aussahen. Nun ergänzte ich noch einige eigene Erfahrungen, danach stellten wir die Schnittmenge unserer Annahmen fest. Ich wusste nun, was wir miteinander für möglich hielten und wie also der suggestive Raum aussah, in dem wir arbeiten würden.
Um in der Familienberatung Archetypen anzuwenden, müssen wir den suggestiven Raum entsprechend »möblieren«. Das bedeutet, wir müssen ihn auf eine Weise aufladen, in der archetypische Bilder und Erkenntnisse für wahr genommen werden.
Hierfür eignet sich ein Einstieg wie dieser:
»Als moderne Menschen glauben wir, wir wüssten mehr über unser Menschsein und über das, was mit uns geschieht, als frühere Generationen. Das stimmt auch, aber es gibt so vieles, das uns Menschen – Einzelnen und Familien – immer schon passiert ist, auch in den Generationen vor uns, sich nicht verstanden zu fühlen zum Beispiel. Und dieses Unverständnis tut so weh, trotz oder gerade wegen der Liebe, die man füreinander empfindet.«
Suggestion in der hypnosystemischen Beratung bedeutet auch, auf den suggestiven Gehalt von Begriffen zu achten. Ein schönes Beispiel ist der Umgang mit einem Wort wie »Stiefvater« oder Stiefmutter«. Jesper Juul hat hierfür die alternativen Begriffe »Bonusvater« und »Bonusmutter« geprägt (Juul, 2011). Sie machen von dem archetypischen Ballast der Stiefeltern frei, die ja in Märchen und Mythen nahezu immer als bösartig, neidisch, ausnutzend oder blockierend in Erscheinung treten. Ein Bonus dagegen ist etwas, das hinzutritt und das zugleich den ursprünglichen biologischen Müttern oder Vätern ihre Bedeutung lässt.
Ein anderer Begriff, der sich suggestiv verwandeln lässt, ist das »Patchwork«. So gebräuchlich er auch ist und so sinnvoll es ist, ihn ebenso wie das Wort »Stiefmutter« oder »-vater« auch in positiver Form zu benutzen (Koester, 2023), so sehr lohnt es sich doch, ihn gelegentlich zu variieren oder zu ergänzen. Patchwork bedeutet so viel wie »Flickwerk«, worin auch abwertend »Flickschusterei« mitschwingt. Beides meint, aus etwas Kaputtem so gut als möglich noch irgendetwas Taugliches hinzukriegen. Und das ist ein bisschen wenig.
Obwohl Patchwork eigentlich etwas neu Verbundenes bezeichnet, spürt man, wie eng die Verbindung zu anderen Begriffen ist, mit denen Trennungen beschrieben werden. Ehen »zerbrechen« oder »scheitern«, Beziehungen »gehen kaputt«. Nichts davon entspricht dem, was Menschen durchleben, die sich verlieben und wieder entlieben, die ineinander Hoffnung setzen und investieren und womöglich um Hoffnungen beraubt dann wieder zusammenklauben, was sie zuvor investierten.
Wir können hier adäquatere und lebensnahe Begriffe und Wendungen finden, die etwa so klingen:
»Beziehungen scheitern eigentlich nie, sie zerbrechen nicht und können auch nicht kaputtgehen, denn sie sind kein Stuhl und keine Gartenliege. Vielmehr entstehen sie und gehen zu Ende oder dauern weiter – und wie alles, was lebt, sind sie durch Bewegung gekennzeichnet und Rhythmus …
Würden wir bei einem wunderbaren Film sagen, er sei gescheitert, nur weil er irgendwann zu Ende ist? Nein, wir kämen nicht auf den Gedanken, das erschiene uns komisch. Und nichts hindert uns, eine gelebte Beziehung wie einen Film zu betrachten, der zu Ende ging und an den wir uns erinnern.«
Den Begriff des Patchworks ersetze ich als Berater nach und nach durch »Collage«. Im Gegensatz zum Patchwork, das alles Mögliche, auch ersichtlich Unharmonische bedeuten kann, lässt die »Familiencollage« an etwas Schönes, Harmonisches denken.
Wer möchte, kann als Therapeutin oder Berater der Familiencollage durch bildnerische Mittel zuarbeiten und etwa Zeichnungen oder Fotografien aller Familienmitglieder anfertigen, die dann in ein möglichst harmonisches Bild eingefügt werden.
Die meisten Ausführungen zur Hypnose beziehen sich auf Jugendliche oder Erwachsene. Es gibt jedoch eine Reihe von Unterschieden, die bei der Hypnose mit Kindern zu beachten lohnt.
Kinder gehen zwar leicht in Trance; spontane Versunkenheit taucht bei ihnen als Teil ihrer natürlichen Selbstregulation auf. Sie lassen sich aber nicht unbedingt leicht in Trance führen, vor allem das Schließen der Augen erleben viele als verstörend.
Die leichtesten Wege in die Hypnose gehen bei Kindern über das »Storytelling«, in das dann positive Imaginationen eingebaut werden (»Ich stelle mir vor, du hast einen Helfer bei dir, freundlich und stark, und nur du kannst ihn sehen …«).
Eine andere gute Möglichkeit sind imaginative Veränderungen der äußeren Wahrnehmung (»Schau dir mal deinen Fingernagel an. Sieht er nicht ein bisschen aus wie ein Tablet? Stell dir vor, da ist gerade ›Minecraft‹ zu sehen, und du beginnst zu spielen …«).
Der dritte Weg sind Suggestionen ohne Trance-Vertiefung, wie sie die sogenannte Schule von Nancy benutzte und Paul Watzlawick sie später wieder aufgriff, als er von »Hypnotherapy without Trance« sprach (Watzlawick, 1985). Dem Kind werden in der Therapiesitzung immer wieder kleine, sehr positive Suggestionen eingestreut: »Wenn ich dich jetzt so anschaue, dann spüre ich, du hast unheimlich viel gute Kräfte in dir. Und wenn wir uns nach Weihnachten wiedersehen, dann sind deine inneren Kräfte schon gewachsen.«
Eine in Hypnotherapie und systemischer Beratung verbreitete Methode ist das Reframing. Hierbei wird ein Phänomen – ein Symptom, eine Verhaltensweise oder eine bereits bestehende Diagnose – in ein anderes Interpretationsmuster überführt, wodurch das betreffende Phänomen anders erscheint und konstruktiver bearbeitet werden kann.
Das Phänomen wird beim Reframing wie ein Bild betrachtet, das durch die Interpretation in einen Rahmen gebracht wird. Reframing findet beispielsweise da statt, wo wir einem Kind, das schulischen Aufgaben gegenüber Widerstand an den Tag legt, bescheinigen, es wisse schon ganz gut, was es lernen wolle und was nicht.
Reframing kann helfen, indem ein Diagnosedruck gemindert oder ein Blickwinkel in helfender Weise modifiziert wird. Reframing kann aber auch in Richtung Relativierung oder im schlimmeren Fall Beschönigung gehen, wenn einem Heranwachsenden dadurch Hilfe verweigert wird. Das ist zum Beispiel da der Fall, wo ein Sozialarbeiter über ein Kind mit Dyskalkulie sagt, man wisse ja, auch Einstein habe mit Mathe Probleme gehabt. Zwar würde hier der Erfolgsdruck in Hinsicht auf das Rechnenkönnen gemindert. Doch würde unterschlagen, dass Heranwachsende, die nicht rechnen können, viele Probleme haben und zum Beispiel an Verkaufsständen leicht übers Ohr gehauen werden können.
Reframing mit Archetypen kann jedoch den Druck von Eltern nehmen, wenn die archetypische Zuordnung konstruktiven Spielraum lässt. Dies ist im folgenden Beispiel nachzuvollziehen.
Es geht um Roland, einen als aggressiv verschrienen Jungen. Roland wird von einer Lehrerin als »notorisch bösartig« beschrieben, angeblich schlägt er Mitschülerinnen und Mitschülern bewusst Spielzeuge aus der Hand und zerstört in der Außenanlage der Schule die Sandburgen anderer Kinder.
Insbesondere Rolands Mutter, die die regelmäßig stattfindenden Kontakte mit der Schule wahrnimmt, leidet unter der Etikettierung ihres Sohnes. Wohl bekommt sie mit, dass keineswegs alle Lehrpersonen ihn für »bösartig« halten, sondern eben nur eine Lehrerin. Diese aber hat die Mutter mit ihrer forschen Sprache und der Vehemenz ihrer Beurteilung nachhaltig beeindruckt. Zunehmend ist sie sich sicher, dass doch etwas daran ist – und dass ihr Kind bösartige Neigungen in sich trägt.
Der Sozialarbeiterin in der Beratungsstelle erscheint Roland zugewandt und ein wenig treuherzig. Freimütig räumt er ein, manchmal in Sandburgen zu springen. »Das fetzt voll«, sagt er und lacht dabei.
Nach der Begegnung mit Roland findet ein kleines Gespräch nur mit der Mutter statt. Die Sozialarbeiterin erzählt von Kindern, die wild, aber eben nicht bösartig sind. Sie hauen schon mal auf etwas drauf, aber sie quälen nicht absichtlich. Ungestüm sind sie, aber grausam sind sie nicht. Ein bisschen wie eine Figur in der »Avengers«-Reihe.
Kennt Rolands Mutter die Marvel-Filme? Die Mutter muss lachen. »An wen denken Sie da?« »Ich denke an Thor. Stellen Sie sich den doch einmal vor«, ermuntert die Sozialarbeiterin.
Die Mutter schließt für eine kurze Weile die Augen, während die Sozialarbeiterin weiterspricht: »Sie kennen ihn, Thor, den mit dem Hammer und dem starken Temperament. Ungestüm, aber auch schön, gutherzig und wild zugleich. Und so war er schon als Junge, als kindlicher Gott – so wild und ungestüm und so gut und schön, schwierig manchmal, ganz bestimmt, aber auch gut und anständig.«
Die Sozialarbeiterin ruft hier ein archetypisches Bild auf, das ich »das wilde Kind« nenne und das sowohl in Vorstellungen vom »richtigen Kind« als auch in Vorstellungen vom »bösen Kind« auftaucht (S. 138 ff.). Indem sie es mit dem Gott Thor verknüpft, der ja eigentlich eine mythische germanische Instanz ist, gibt sie der Wildheit eine Art spiritueller Bedeutung. Und indem sie die Brücke zu Thor über die »Avengers«-Filme bildet, kommt das Mainstream-Kino mit dazu, eine Welt, die alle kennen und über die man leicht neue Blickwinkel erzeugen kann. Thor als Avenger (deutsch: Rächer) ist attraktiv, wild und gutartig, nicht derb und womöglich rotgesichtig, wie er in manchen älteren mythologischen Werken erscheint, in denen er, der auch der Gott des Ackerbaus ist, selbst als bäuerlich beschrieben wird (Dahn u. Dahn, 1899, S. 59). Er wirkt eher wie ein kalifornischer Surfer, der nicht so ganz weiß, wohin mit seiner Kraft.
Indem Rolands Wildheit in einen anderen Rahmen gestellt wird, kann die Mutter leichter mit ihm umgehen. Wild erscheint nicht mehr als böse, sondern als ungestüm. Vielleicht ein bisschen viel Energie, aber nichts zum Erschrecken.
Nicht immer ist das Reframing in der hypnosystemischen Arbeit mit Archetypen ausreichend. Wo Kinder oder Jugendliche mit einem dunklen archetypischen Bild in Verbindung gebracht werden, da reicht es nicht, die Rahmen auszutauschen. Es müssen andere Bilder her.
Denn innere Bilder sind etwas anderes als die Rahmungen, mit denen einem Geschehen eine Bedeutung zugeschrieben wird. Bilder, die ein heranwachsender Mensch mitbringt, können hochgradig autosuggestiv wirken. Sie tragen dann nicht mehr dazu bei, Dinge in Bewegung zu bringen (Schuler, 2023), sondern engen den Bewegungsraum des Kindes auf eine destruktive Weise ein.
Wenn wir dahin kommen wollen, innere Bilder wieder zu Methoden der Veränderung werden zu lassen (Hoffmann-Biesinger, 2023), müssen wir in die Bilder selbst hinein. Das sieht dann zum Beispiel so aus:
Svetlana beschreibt, wie sie sich selbst empfindet, wenn ihre Mutter sich mit ihrem neuen Freund trifft. Obschon der Freund nett ist und respektvoll mit der Zwölfjährigen umgeht, ist da immer wieder das Bild eines hässlichen Entleins, das in der Gesellschaft der glanzvollen Mutter, die einem Schwan gleicht, übersehen wird.
Die Therapeutin erhebt Einspruch: »Svetlana, nein! Du kennst das Märchen vom hässlichen Entlein, und du weißt, dass das angebliche Entlein nur auf andere Enten hässlich wirkt, weil es eben ein Schwan ist!«
Sie pausiert kurz und lässt die Intervention wirken, ehe sie hinzufügt: »Also für mich stimmt das ganze Bild nicht. Das wäre ja schöner Quatsch, ein attraktiver Typ trifft sich mit einer Schwanenfrau und deren Ententochter. Nein, das ist einfach Blödsinn.«
Svetlana und die Therapeutin kennen sich seit etwa einem halben Jahr, die Beziehung ist tragfähig und normalerweise von Freundlichkeit und Respekt geprägt. Jetzt sagt Svetlana zögernd und mit einem schiefen Lächeln: »So kenne ich Sie gar nicht, so … aufgebracht.«
»Weil es nötig ist, du schönes Wesen! Weil du eher das schöne Kätzchen einer schönen Katze bist. So wie Marie und Duchesse in ›Aristocats‹.«
Die Therapeutin zeigt Svetlana auf dem Computer einige Szenen, in denen die schöne und elegante Pariser Katze Duchesse mit ihren Kindern Berlioz, Toulouse und eben Marie zu sehen ist. Man erkennt gleich, dass Marie einmal eine ebenso schöne erwachsene Katze werden wird wie ihre Mutter. Jetzt aber ist sie ein bezauberndes Kätzchen. Und der kommende Lebensgefährte von Duchesse, der streunende Kater Thomas O’Malley, wird nach einer Weile zeigen, dass ihm die Kinder ans Herz gewachsen sind.
Der Begriff »Archetyp« ist sehr alt, er taucht bei Platon auf, bei Plotin kehrt er wieder und wird später auch bei Immanuel Kant und bei Henri Bergson zumindest am Rand erwähnt. Bei Platon sind Archetypen so etwas wie Urbilder. Das Urbild eines Pferdes ist sowohl sein basaler Bauplan als auch seine unveränderliche Gestalt. Platon kannte das Konzept der Evolution der Lebewesen nicht, ihn konnte der Gedanke, dass alle Wesen auf eine Urform ihrer jeweiligen Gattung zurückgehen, noch leicht überzeugen.
Auch in der Biologie gibt es den Archetyp. Hier wurde er von Richard Owen (1848) eingeführt, der damit den elementaren Bauplan meinte, der insbesondere für Wirbeltiere gelten sollte. Owen war Zeitgenosse und in Teilen Weggefährte Charles Darwins (Rupke, 1995). Obschon er also die Evolutionstheorie in ihrer Entstehung mitbekam, hing er in seiner Vorstellung noch platonischen Mustern an.
Ungefähr zur selben Zeit, in der Owen und Darwin arbeiteten, bekam der Begriff »Familie« in der Biologie seine heutige Bedeutung (Winston, 1999). Ursprünglich als »Hausgemeinschaft« gemeint, vermochte Familie nun eine Rangfolge zu beschreiben und Abstammungen festzulegen.
Es erscheint mir wichtig, unsere Erkundung über Archetypen in der Familienberatung mit diesem kleinen wissenschaftshistorischen Schlenker zu beginnen. Er zeigt uns nämlich, dass wir es im Fall von Archetypen wie im Fall der Familie ursprünglich mit Vorstellungen zu tun haben. Vorstellungen von dem, wie ein Urbild denn wohl beschaffen ist, und Vorstellungen davon, wie eine Rangfolge aussieht.
Wir werden im Kapitel über den Familien-Archetyp sehen, dass dieser keineswegs ein festgefügtes Bild davon vermittelt, wie Familie immer war. Vielmehr wird sich zeigen, dass unseren Vorstellungen von Familie nicht ein einziges Urbild zugrunde liegt, sondern dass es eine Vielzahl archetypischer Familienbilder gibt, die ineinander übergehen und einander nicht ausschließen, sondern ergänzen.
Wenn der Begriff »Archetyp« auch schon sehr alt ist, so verbinden ihn die meisten Menschen doch mit C. G. Jung. Bis heute gilt er als der Entdecker der archetypischen Welt und in mancher Hinsicht stimmt das auch. Insbesondere fand Jung, dass Archetypen bezogen auf das Seelische nicht individuell sind, sondern Teil einer anderen Schicht des Unbewussten, die Jung als kollektiv ansah. Das bedeutet, Archetypen gibt es überall – gerade der Umstand, dass sie in den weltweit erzählten Geschichten immer wieder gefunden werden können, macht sie zu dem, was sie sind.
Die Auseinandersetzung mit Archetypen hatte bei Jung ursprünglich zwei Seiten. Die eine bezog sich auf seine Arbeit als Psychiater, denn hier gelang es ihm, den scheinbar wirren Hervorbringungen schizophrener Menschen Sinngehalt abzugewinnen, indem er menschheitsgeschichtlich bedeutsame Bilder darin fand. Jungs Wirken ist noch in den Arbeiten etwa Ronald D. Laings spürbar, dessen Versuche, im schizophrenen Geschehen Muster einer Daseinskrise zu erkennen, in Teilen hieran anknüpfen (Serra, 2023). Auch meine eigene Forschungsarbeit zu psychotischen Zuständen wurde hiervon beeinflusst, indem ich Verknüpfungen psychotischer, religiöser, künstlerischer und schamanischer Ausnahmezustände aufzeigen konnte, die gleichfalls archetypischen Mustern folgen (Milzner, 2010b).
Die zweite Seite von Jungs Auseinandersetzung mit Archetypen hatte etwas mit seiner eigenen Selbstwerdung zu tun. Er begriff das archetypische Geschehen als Teil einer inneren Reise und erkannte Begegnungen mit Boten aus seinem Unbewussten als eine Form der inneren Führung.
Gegenwärtig werden Archetypen vor allem als Bilder angesehen oder aber als Möglichkeiten, die in uns stecken. Eine andere zeitgenössische Variante des Umgangs mit Archetypen besteht darin, sie als Rollenmuster oder als Typen zu begreifen (Vogler, 2010). So werden Archetypen weniger zu Bildern als vielmehr zu Grundmustern, die etwa in Filmen dann die Rollenverteilung bestimmen: Diese Figur steht für den Helden, jene für die alte Weise, dieser für den Trickster, jene für die Königin.
Der Trend, Archetypen im Sinn einer Typologie zu behandeln, weist bereits in die 1990er Jahre zurück (Moore u. Gillette, 1990). Insbesondere in esoterisch berührten Gruppen und von Selbstfindungs-Coaches wurde seither in immer neuen Varianten versucht, die eigene Person als einen Archetyp zu begreifen und so zu ermitteln, wo man in dieser Welt hingehört (Myss, 2013).
Der Trend ist nicht unsympathisch, aber gefährlich. Nicht unsympathisch ist er, weil er sich einreiht in eine ganze Kette von Typologien, die allesamt dazu da sind, Selbstfindungsprozesse zu erleichtern. Sie entstammen keineswegs nur esoterischem oder magischem Denken, sondern sind auch ein wiederkehrendes Phänomen in Psychologie und Psychiatrie. Astrologische Zuordnungen, Zuordnungen nach »Körperbau und Charakter« (Kretschmer, 1977), die Typologie der Psychoanalyse und die Typologie des Ayurveda, die Mittel-Typen in der Homöopathie und die Typologie des Human Design – immer wieder werden Typologien gebildet. Dies ist auch sinnvoll, denn Typologien erleichtern das Handeln da, wo wir die Tiefe und Besonderheit einer Person noch nicht verstanden haben.